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INHALT: Das andere Wohlfühl-Buch. Ein Mann auf der Suche nach dem wahren Glück. Unterwegs auf der Reise zu sich selbst. "Schon lange hat mich kein Buch mehr so berührt und zum Nachdenken angeregt." "Ich konnte es einfach nicht mehr weglegen."(Leseri:In bei lovelybooks) Christoph sucht menschliche Nähe und den tieferen Sinn in seinem Leben. Als er bei seinem Lieblingsbuchhändler ein geheimnisvolles Manuskript findet, macht sich Christoph auf die Suche nach dem sagenumwobenen "Dorf der Bücher". Unterwegs zum Rezept für mehr Glück und Erfüllung. Wertvolle Rezepte, die auch wir heute in Beruf, im Privatleben und in unseren Familien so dringend benötigen, um endlich zu spüren, dass wir angekommen sind. Gemeinsam mit Christoph geht der Leser auf eine abenteuerliche Reise entlang der Perlenstraße, die ihn für immer verändern wird. FAZIT: Der Perlenpflücker ist ein geistreiches Buch, das nicht nur wichtige Fragen aufwirft, sondern auch zahlreiche lebensnahe Antworten liefert. Es ist eine Einladung, sich auf die Suche zu machen, ausgetretene Pfade zu verlassen, Neues zu erleben und mehr über diese Welt und das Leben an sich zu erfahren. Mit seinem Roman "Der Perlenpflücker" regt der Autor Kurt Haspel seine Leser an, das Leben bewusster wahrzunehmen. Durch die Verquickung allzu menschlicher mit sehr exotischen Erlebnissen leitet uns die Hauptfigur von Erlebnis-Oase zu Erlebnis-Oase. Es erwarten uns zahlreiche mystische Begegnungen mit verschiedenen Menschen, mit dem gemeinsamen Zweck, die beinahe unsichtbaren Perlen des Lebens neu zu entdecken. PRESSESTIMMEN: "Habe den Mut, dich deiner eigenen Gefühle zu bedienen!", lautet der Aufruf des Autors an seine Leser. "Kurzweilig, schön geschrieben und mit zartem Nachklang." "Eine Perle unter den Büchern, die es wert ist, gepflückt zu werden."
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Seitenzahl: 160
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den Perlen in meinem Leben gewidmet
Mein besonderer Dank gilt:
meinen Eltern, ohne die ich nie so groß geworden wäre;
Karin, ohne die dieser Roman nie erschienen wäre;
meinen eigenen Lehrern und Mentoren,
dem inspirierenden Georg Gesellmann,
meinen Lektoren, Peter Kienesberger
und dem Verlagsteam
und Alexandra,
der Frau an der Seite meines Herzens.
„Das Königreich des Vaters ist mit einem Kaufmann zu vergleichen, der Frachtgut hatte und eine Perle fand. Dieser Kaufmann war klug, er veräußerte sein Frachtgut und kaufte sich diese eine Perle. Auch ihr sucht einen Schatz, der nicht verdirbt…“
Thomas-Evangelium, Spruch 76
Prolog
Kapitel 01
Kapitel 02
Kapitel 03
Kapitel 04
Kapitel 05
Kapitel 06
Kapitel 07
Kapitel 08
Kapitel 09
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Nach den endlosen Tagen und Wochen des verzweifelten Suchens und der angespannten Erwartung hielt Christoph es nun endlich in Händen. Sein ganz persönliches Buch des Lebens. Er mochte es kaum glauben, so groß war seine Freude. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern löste er das Seidenband, das die beiden Buchdeckel schon so lange fest zusammengehalten hatte. Zahllose Gedanken schossen ihm ungeordnet durch den Kopf.
Was würde er wohl vorfinden? Welcher Weg war ihm vorgezeichnet? Wohin würde ihn dieser noch führen? Was, wenn er nun Dinge erfuhr, die ihm so ganz und gar nicht behagen würden? Ihn überkam ein Anflug von Angst. Wie lange würde er wohl noch auf diesem wunderbaren Planeten, dieser Erde - die er in den letzten Wochen und Tagen seiner abenteuerlichen Reise so zu schätzen und zu lieben gelernt hatte - noch wandeln dürfen? Wollte er das heute überhaupt schon wissen? War er schon so weit? Wie viel Zeit blieb ihm noch, um all das anzufangen, was er im Leben noch vor hatte, was er noch alles zu verwirklichen gedachte?
Ohne länger darüber zu sinnieren schlug Christoph den Deckel zur Seite und fand darunter einen beträchtlichen Stoß von sauber gebundenem blütenweißen Papier. Auf der ersten Seite standen in kunstvoller Handschrift mit geschwungenen Bögen und in ausladenden Buchstaben nur zwei Worte: Mein Lebensbaum.
Hastig griff er nach der nächsten Seite und begann weiter zu lesen. Der Text war in seiner eigenen Sprache verfasst und mit feinsäuberlichen Buchstaben geschrieben, als wäre das eines von den Büchern, die er von seinen regelmäßigen Besuchen in Meister Bertrands Buchhandlung gut kannte.
„Dieses Buch erzählt aus dem Leben des Herrn Christoph...“, begann er hastig zu lesen. Begierig, alles zu erfassen und jedes noch so kleine Detail in seinem Geist aufzunehmen, um es für immer in seinem Gedächtnis zu bewahren.
Doch von einem Moment auf den anderen ergaben die weiteren Worte keinen Sinn mehr. Sie waren plötzlich wie aneinandergereihte sinnlose Silben, die sich in seinem Kopf nicht mehr zu sinnvollen Wörtern zusammensetzen ließen.
Je mehr Christoph herumblätterte, umso schlimmer wurde es. Letztendlich verschwammen die Zeilen ineinander und ihm war, als würde er mit jedem Augenblick schlechter und schlechter sehen und wie ein Kurzsichtiger - ohne Brille auf der Nase - verzweifelt versuchen, eine viel zu klein geratene Schrift entziffern zu wollen.
Ein Wortsalat aus Buchstaben und Silben. Ein Kauderwelsch aus undurchdringlichen Zeichen, die sich keiner bekannten Sprache zuordnen ließen. Christoph wurde immer nervöser und dieser seltsame Zustand beunruhigte ihn ungemein.
Hastig versuchte er weiterzublättern, doch es kam noch schlimmer! Wie verkohltes Papier, das bei der leisesten Berührung und dem sanftesten Windhauch zwischen den Fingern zu Staub zerfällt, zerbröselten nun die einzelnen Buchseiten unwiederbringlich zwischen seinen Händen.
Christoph sank auf seine Knie nieder und ließ den Tränen der Verzweiflung freien Lauf. Wütend fasste er in den staubigen Boden und ließ den Buchstaub, der sich nun vollständig mit dem Sand des Bodens vermengt hatte, nochmals durch seine Finger rieseln. Sein Geist versuchte zu begreifen, was viel zu schwerwiegend war, um es zu verstehen. Wie konnte ihm nur ein solches Unglück widerfahren nach all den Mühen, die er in seinem Leben auf sich genommen hatte. Nun war alles dahin und von seinem Buch des Lebens blieb ihm nur ein loser Buchrücken, zusammengehalten von einem orangeroten Stoffband, das nun neckisch im Wind der Zeit zu flattern begann.
Plötzlich wurde aus dem wehenden Band die immer größer und größer werdende Fahne einer Reiterstandarte, gefertigt aus derselben orange leuchtenden Farbe. Auf einmal waren es viele solcher Fahnen, die reitende Beduinen in ihren Händen hielten. Das Galoppieren schwoll an und aus der sengenden Hitze des Tages tauchten die verschwommenen Silhouetten einer ganzen Reiterarmee hinter den Dünen auf. Sie ritten mit lautstarken Kampfgeschrei und dröhnendem Geräusch direkt auf Christoph zu. Nun konnte man schon ganz deutlich das Schnauben der Pferde, das Klirren des Zaumzeuges und vor allem das surrende Zischen von blankem Metall hören.
Ehe sich Christoph noch des Reiters mit seinem perlenbesetzten Säbel gewahr wurde, ging dieser gerade daran, Christoph - aus der vollen Wucht des Galopps heraus - mit einem einzigen Säbelhieb den Schädel vom Rumpf abzutrennen!
Jäh bäumte sich Christophs Rumpf auf.
Alte Männer in schwarzen Anzügen und mit altmodischen Gehstöcken standen plötzlich im Halbkreis um ihn herum und klopften rhythmisch mit dem Stockenden auf den harten Steinboden.
Das Klopfen wurde immer lauter und lauter, bis es sich nahezu unerträglich in Christophs Gehirn bohrte. Abermals zischte ein Gegenstand wie ein Axthieb durch die Luft. Wieder und wieder, begleitet vom gleichmäßigen Hämmern der Stockspitzen.
Christophs Kopf sah sich im Raum um. Er lag in seinem Bett und der Regen pochte mit aller Wucht an die beschlagenen Scheiben seines Schlafzimmerfensters. Völlig erschöpft und angespannt war er aus einem seiner zahlreichen Vorahnungsträume erwacht, die ihn in letzter Zeit so plagten.
Doch was hatte dieser Traum zu bedeuten? Wofür standen die alten Männer in ihren schwarzen Anzügen und den Holzstöcken? Was hatten all diese Beduinenreiter mit ihren perlengeschmückten Säbeln zu bedeuten? Was wollte sein Unterbewusstsein mit diesem Traum nur zum Ausdruck bringen?
Christoph dachte angestrengt darüber nach. Doch zu diesem Zeitpunkt konnte er es noch nicht erahnen. Nicht einmal im Ansatz.
Es war dieser Regen, dieser ewige Regen, der scheinbar endlos niederprasselte. Es gab eine lange Zeit, da liebte Christoph diesen ständigen Regen, der ihn davon abhielt, hinauszugehen, sich im Freien aufzuhalten oder durch die Straßen zu laufen und über Probleme zu sinnieren und nach Lösungen zu suchen, wo es anscheinend keine gab. Auch wenn er feste Prinzipien in seinem Leben hatte, war es nicht immer leicht, diesen zu folgen.
Dieser dunkle, wolkenschwere Himmel, der die Gemüter der Menschen schwer und träge werden ließ. Wie auch sein Gemüt, das nun ebenfalls dazu neigte, sich langsam zu verdunkeln. So wie der Himmel über ihm, über der Stadt und überhaupt über dem ganzen Land, in dem es zehn Monate lang nur regnete.
Sonnige Tage mochte Christoph zwar für kurze Zeit am Morgen, danach hielt er diese aber nur aus, wenn er in einem kühlen Zimmer saß oder die Fensterläden des Raumes abdunkeln konnte. So hatte er wieder sein gewohntes graues und fahles Licht. So war er geschützt vor den Strahlen der Sonne, der Helligkeit und der großen Hitze. Er musste keine Menschen treffen oder sich durch die überfüllte und überhitzte Innenstadt quälen, den heißen Asphalt und die zahllosen Passanten ertragen, denen die hohen Temperaturen ohnedies nur die innere Ruhe raubten. Christoph zog es vor, zuhause zu bleiben, am Schreibtisch zu sitzen und dem Wetter die Schuld an seinem Verhalten zu geben. Er hatte schon Reisen in andere Länder unternommen und erlebt, was wahre Hitze, azurblaues Tageslicht und endloser Sonnenschein bedeuten. Doch nach Tagen und Wochen der ununterbrochenen Hitze sehnte er sich wieder zurück nach der kühlen Heimat. Erst wieder zuhause angekommen, wurde ihm gewahr, wie kalt, trüb und vor allem wie regnerisch es hier tatsächlich war. Aber das war eben der endlose Kreislauf der Dinge und ein großer und entscheidender Teil seines gleichförmigen Lebens.
Der Regen, die verhangenen Tage und der trübe Himmel, der alles überspannte. Auf Wochen und Monate des kalten und nassen Regens folgten einige Wochen, die mit sonnigen Tagen durchsetzt waren und in diese Periode fiel auch die Zeit der Urlaubsreisen. Manche seiner Landsleute würden dann für Tage in den Süden fahren, um über das dort herrschende noch heißere Wetter zu klagen. Viele aber - und das war jetzt zur großen Mode geworden - hatten Länder ausfindig gemacht, in denen es noch weit kälter und unwirtlicher als in der eigenen Heimat war.
Wenn Christoph einmal die Zeit lang wurde oder die eigenen vier Wände begannen, immer näher aneinanderzurücken, als wolle sein durchaus geräumiges Apartment um ihn herum immer kleiner und kleiner werden, dann entschloss er sich zu einem ausgedehnten Spaziergang mit festem Schuhwerk, Regenschirm und natürlich mehreren Schichten wetterfester Kleidung, quer durch den niederprasselnden Regen.
Man roch die frische, reingewaschene Regenluft, spürte den feuchten Wind auf den Wangen und registrierte jeden noch so zarten Schein von Sonnenlicht, welcher dann und wann zwischen den dunkelgrauen Regenwolken hervorzublinzeln schien. Da war ihm selbst der verregnetste Tag gut und teuer. Wenn der Körper einfach nach Bewegung verlangte und einem die abgestandene Luft geschlossener Räume ins Freie treibt. Manchmal hatte Christoph dieses Erlebnis durch Zufall. Dann nämlich, wenn er durch ein Missgeschick mitten unter einer häuslichen Verrichtung noch einmal auf die Straße musste, um im Laden vorne an der Kreuzung noch schnell etwas fürs Abendbrot zu besorgen. Spätestens am Rückweg merkte er, wie angenehm kühl und frisch die Luft und die Welt rund um ihn eigentlich war und wie schön es insgesamt war, in diesem nasskalten Land zu leben. Man konnte geradezu von Glück sagen, dass hier jeder ohne Bedenken Wasser aus der Leitung oder aus jedem Brunnen trinken konnte. Man konnte einfach das Gesicht in den Regen strecken, den Mund weit öffnen oder die hohlen Hände zu einer Schale formen, um das frische Nass in vollen Zügen zu genießen. Diesen Überschwall an Wasser, den der strenge Winter dann zu festen, lautlos tanzenden Schneekristallen werden lässt.
Meist verließ Christoph sein Apartment gezielt. Sein Apartment, das ihm, wie gesagt, in regelmäßigen Abständen als viel zu klein erschien. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wenn er dann - jedes Mal, nachdem er von einer längeren Auslandsreise heimkehrte - nach dem Aufsperren der Eingangstüre erleichtert feststellte, dass diese seine Wohnung mehr als geräumig war und absolut nichts Beengendes an sich hatte. Dieses Gefühl wollte er sich bewahren und er beschloss, diese Empfindung mental zu konservieren, sobald ihn wieder einmal dieses Gefühl der Beengtheit zu erfassen drohte.
Doch wie so viele der zuvor konservierten Gefühle und Gedanken hielt sich auch dieser nur für eine gewisse Zeit, vielleicht sogar für einige Monate, um dann endgültig aus seiner Erinnerung zu entweichen.
Einige dieser mentalen Konserven hielten sich weit länger. So wie diejenige, die ihn an seinen ersten Kuss auf einer Kellertreppe erinnerte. Das Mädchen war damals sechs und besonders stolz darauf, weil gerade sie die Auserwählte war. Christoph war zu diesem Zeitpunkt gerade mal sieben und hatte zuvor eigentlich nur mit ihrem großen Bruder darum gewettet, dass er dessen kleine, hässliche Schwester küssen würde. So gewann er eine Wette und darüber hinaus auch eine dieser Erinnerungen, die scheinbar sehr lange haltbar war.
Andere Erinnerungen waren anscheinend ebenso von besonders langer Haltbarkeit. Vor allem die schmerzvollen. Während andere Erinnerungen verflogen waren, ehe man die Kellertreppe hinuntergestiegen war oder gerade in dem Laden mit der flackernden Neonbeleuchtung angekommen war, wo man ganz dringend noch irgendetwas besorgen musste. Aber was war es noch gleich? War es Seife oder rote Farbe? Frische Milch oder eine Wertkarte? Die Erinnerung war weg. Da war zwar plötzlich die Erinnerung an den flauschigen Teddybären, den man als Kind im Park vergessen hatte oder an diesen eiskalten Regentag beim Begräbnis des Großvaters, aber all die kleinen kurzen Erinnerungen des laufenden Tages waren wie verweht. Jene an die schnell hingekritzelte Telefonnummer, den Vornamen des freundlichen Lobbyboys oder den Namen der Dame im Frisörladen, die auf Anhieb den perfekten Haarschnitt hinbekam. Sie waren aus dem Sinn, einfach weg und wie ausgelöscht.
Christophs Psychologe ging hier sogar noch weiter, indem er behauptete, dass wir unsere Erinnerung selbst schreiben, formulieren und im Zerrspiegel der Zeit verändern, manipulieren und oft sogar fundamental verändern. Manchmal zu unseren Gunsten, meistens aber dagegen. Man führte Versuche mit Personen durch, denen man Fotos aus ihrer Kindheit zeigte und diese mit Fotos mischte, auf denen Teile verändert oder gar neue Inhalte dargestellt wurden. Die Versuchsperson glaubte zwar Fotos zu sehen, die sie persönlich betreffen, da sie Teil ihrer Biografie wären, obwohl ein großer Teil davon aber mit ihrem tatsächlichen früheren Leben absolut nichts zu tun hatte. Das Erschreckende an diesem Experiment war aber das Ergebnis, welches zeigte, dass Menschen diese fiktiven biografischen Elemente problemlos in ihre Erinnerungswelten einordnen konnten. So erinnerten sie sich an diesen runzeligen Elefanten, auf dem sie nie geritten waren, an den bunten Clown, der sie in die Manege holte, der so aber nie existiert hatte - außer in der künstlich geschaffenen Bilderwelt der Versuchsleiter. Es ging sogar noch weiter. Die Versuchspersonen konnten sich auch noch genau an das beängstigende Trompeten des Elefanten erinnern, auf dem sie eigentlich niemals geritten sind, oder aber an die leisen Worte, die der alberne Clown, der nur im Experiment der Wissenschaftler existierte, in der Manege zu ihnen gesagt hatte. Ebenso gab es Erinnerungen an die grellen Scheinwerferlichter und die bedrohlichen Blicke der anderen Zuschauer in dieser muffigen Zeltkuppel, in der die Versuchspersonen nie gestanden haben konnten.
„Anstatt falsche oder inkorrekte Informationen - speziell unsere Vergangenheit betreffend - zu hinterfragen oder auf richtig oder falsch hin zu kategorisieren, vermengen wir sie lieber mit der Wahrheit. Wir sind also eher bereit, unsere Erinnerung umzuprogrammieren, als sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu durchforsten“, hatte ihm sein Psychologe einmal erklärt.
„Das würde ja heißen, wir können unsere eignen Erinnerungen ganz massiv manipulieren?“, entgegnete Christoph damals entsetzt.
Er wurde sogleich dahingehend belehrt, dass es sich tatsächlich so verhalte. Es falle uns anscheinend leichter, an etwas niemals existent Gewesenes zu glauben, als dieses Trugbild aus unserer visuellen Erinnerung zu verbannen.
Christoph musste an dieses Gespräch denken und an das Mädchen auf der Kellertreppe, und plötzlich war er sich nun nicht mehr sicher, ob sie ebenfalls nur eine bloße Vorspiegelung seiner Erinnerung war. Doch Christoph erinnerte sich zu genau an diese staubige Kellertreppe, auch in anderen Zusammenhängen. Nämlich dann, wenn ihn sein Vater dazu nötigte, in den Keller hinunterzusteigen, um etwas zu holen. Dann war sie wieder da, diese unendliche Angst. Die Angst vor der Dunkelheit, den grässlichen Schatten und vor all dem Undefinierten, das in seinem Kinderleben noch keinen ordentlichen Platz gefunden hatte. Diese Treppe war also absolut real. Aber das Mädchen mit seinen Zöpfen und seiner Zahnspange? Es hat definitiv zu dieser Zeit in seiner Straße gelebt. Aber vielleicht war es ja doch nur seine Phantasie, sein Wunschtraum gewesen, sie zu küssen und in Wirklichkeit hatte er nie den Mut gefunden, sie tatsächlich anzusprechen, geschweige denn sie zu küssen.
So wartete und wartete er, und da sie ihrerseits ebenso keine Initiative ergriff, verging ihrer beider Kindheit im stillen Warten aufeinander, bis da dereinst ein Anderer kam, der sie in seinen Arm schloss, der sie küsste und der sie dann mit sich fort nahm in ein fernes Land. Ihn aber tröstete nur die eigene Phantasie mit dieser wunderbaren Episode auf der Kellertreppe über dieses Versäumnis hinweg.
Christoph spürte bereits die Nässe des kalten Regens durch seine Kleidung kriechen und beschloss daher, seinen philosophischen Spaziergang für heute zu beenden und in die wärmende Behaglichkeit seiner Wohnung zurückzukehren.
Christoph tat an diesem Tag vieles, aber nichts Konkretes. Er schlichtete die Schuhe im Schrank, rückte die Blumen zurecht, ordnete seine Bücher, damit alle Buchrücken farblich sortiert und auf selber Höhe aus den Regalreihen ragten.
Mehrmals ging er zur Toilette, ohne einen wirklichen Drang zu verspüren. Beobachtete am Fenster die vorbeiziehenden Wolken am Himmel. Richtete sodann die Faltenwürfe der Gardinen aus, sodass sie alle gleich breit und symmetrisch herabhingen. Trank mehrere Tassen wohlriechenden Tee, sinnierte darüber, einen schon lange geplanten Brief an einen Freund zu richten, dessen Inhalt er minutiös Satz für Satz plante, um es dann letztendlich bei der Absicht zu belassen, diesen Brief vielleicht irgendwann einmal tatsächlich zu verfassen.
Er erledigte den Abwasch der letzten Tage, sortierte die gespülten Tassen im Küchenschrank und ging erneut zum Postkasten unten an der Treppe. Er war leer. So leer wie es auch sein Gemüt in diesen Tagen nur sein konnte.
Da fand er diese Perle in einer seiner Schubladen. Er hatte sie irgendwann irgendwo gefunden und dann so lange aufbewahrt, bis er sie letztendlich vergessen hatte. Verwundert darüber, dass sie sich überhaupt in seinem Besitz befand, drehte Christoph die Perle zwischen den Fingern herum.
Ob sie wohl echt war? Wer sie wohl verloren hatte? Sicher eine Frau! Sie konnte nun ihren zweiten Perlohrring ebenfalls wegwerfen, da ihr die Perle für den anderen sowieso schon fehlte. Irgendetwas an diesem kleinen runden Ding war von anziehender Schönheit. Ein Wunderwerk der Natur. Eigentlich zu schön, um echt zu sein, dachte Christoph. Er biss hinein, um zu testen, ob diese Perle denn wirklich echt sei. Was sonst konnte man schließlich tun, um eine Perle auf ihre Echtheit hin zu prüfen?
Er wusste es nicht, also biss er hinein und zwar so herzhaft, dass ihm danach die Zähne schmerzten. Doch die Perle selbst fiel weder auseinander noch trug sie irgendwelche Bissspuren davon. Also musste sie echt sein. Welchen Wert sie wohl hat? Ich muss sie morgen unbedingt in ein Geschäft bringen und sie dort verkaufen, dachte Christoph, während er die Perle in seine Hosentasche steckte. Dabei glänzte sie still vor sich hin, so wie sie es schon seit Angedenken der Zeit zu tun schien.
„Um nochmals auf Ihre Visionen vom Dorf der Bücher zurückzukommen …“
„Das sind keine Visionen! Dieses Dorf gibt es. So sicher, wie ich hier bei Ihnen auf der Couch liege!“, entgegnete Christoph, indem er den Kopf anhob.
„Ich wollte Sie nicht kompromittieren, Christoph! Das lag absolut nicht in meiner Absicht!“
Der Psychologe schlug sein ledergebundenes Notizbuch auf und suchte nach einer Eintragung. Er kraulte sich nun selbst am Bart unter seinem Kinn, während er weitersprach.
„Ich habe seit unserem letzten Treffen ausführlich zu diesem Thema recherchiert, aber ich konnte absolut nichts Brauchbares über das magische Buch finden. Es gibt keinen konkreten Hinweis, weder auf das Dorf der Bücher – wie Sie es nennen - noch auf das besagte magische Buch des Lebens.“
„Doch, ich weiß es ganz sicher. Ich habe davon gelesen. Das sagenhafte Dorf der Bücher gibt es… irgendwo in Indien liegt ein Dorf und jeder Fremde, der dort hinkommt, erhält Einblick in sein Buch des Lebens.“
„Überlegen Sie doch einmal! Bei einer Weltbevölkerung von rund acht Milliarden Menschen würde das bedeuten, es muss Aber-Milliarden solcher Bücher geben, die…“