11,99 €
Das Wunder von Lourdes – die bekannteste Heiligenlegende des 20. Jahrhunderts Bernadette Soubrious lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester in großer Armut in dem französischen Dörfchen Lourdes. Eines Nachmittags erscheint dem Mädchen beim Holzsuchen eine weißgekleidete „Dame“, die es auffordert, weitere fünfzehn Mal zur selben Stelle zurückzukehren. Es tut wie geheißen. Bei einer dieser Erscheinungen führt die „Dame“ Bernadette zu einer Quelle, deren Wasser heilbringende Wirkung hat. Schon bald strömen Gläubige von nah und fern herbei, alle wollen dem Wunder von Lourdes beiwohnen. Doch die Kirche hegt schwere Zweifel – ausgerechnet einem einfachen Bauernmädchen soll die Heilige Mutter Gottes erschienen sein? Bernadette lässt sich in ihrem Glauben nicht beirren und gerät in einen Zwist mit der Obrigkeit …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 814
Bernadette Soubrious lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester in großer Armut in dem französischen Dörfchen Lourdes. Eines Nachmittags erscheint dem Mädchen beim Holzsuchen plötzlich eine weißgekleidete »Dame«, die es auffordert, weitere fünfzehn Mal zur selben Stelle zurückzukehren. Es tut wie geheißen, und der Wunsch, die »Dame« zu sehen, wird bald übermächtig. Bei einer dieser Erscheinungen führt die »Dame« Bernadette zu einer Quelle, deren Wasser heilbringende Wirkung hat. Schon bald strömen Gläubige von nah und fern herbei, alle wollen dem Wunder von Lourdes beiwohnen. Doch die Kirche hegt schwere Zweifel – ausgerechnet Bernadette, einem einfachen Bauernmädchen, soll die Heilige Mutter Gottes erschienen sein? Bernadette lässt sich in ihrem Glauben nicht beirren und gerät in Zwist mit der Obrigkeit …
Franz Werfel wurde 1890 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Prag geboren. Bereits während der Schulzeit veröffentlichte er seine ersten Gedichte. 1912 ging er nach Leipzig, wo er als Lektor beim Kurt Wolff Verlag tätig war. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und 1917 in das Wiener Kriegspressequartier versetzt. 1938 emigrierte er nach Frankreich und zwei Jahre später über die Iberische Halbinsel in die USA. Dort starb Franz Werfel 1945 in Beverly Hills.
Im insel taschenbuch liegen von Franz Werfel außerdem vor: Eine blassblaue Frauenschrift (it 4426); Die vierzig Tage des
FRANZWERFEL
Erstausgabe: Stockholm 1941
Der bibliografische Nachweis und die Anmerkungen von Knut Beck wurden zitiert nach: Franz Werfel, Das Lied der Bernadette. Hg. von Knut Beck.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1989
eBook Insel Verlag Berlin 2016
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4428.
© Insel Verlag Berlin 2016
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr.
Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.
Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Ein persönliches Vorwort
Erste Reihe Wiedererweckung des 11. Februar 1858
1 Im Cachot
2 Massabielle, ein verrufener Ort
3 Bernadette weiß nichts von der Heiligen Dreifaltigkeit
4 Café Progrès
5 Kein Reisig mehr
6 Das Wut- und Wehgeheul des Gave
7 Die Dame
8 Die Fremdheit der Welt
9 Frau Soubirous gerät außer sich
10 Bernadette darf nicht träumen
Zweite Reihe Wollen Sie mir die Güte erweisen
11 Ein Stein saust nieder
12 Die ersten Worte
13 Boten der Wissenschaft
14 Eine geheime Beratung, die unterbrochen wird
15 Die Kriegserklärung
16 Die Dame und die Gendarmerie
17 J. B. Estrade kommt von der Grotte
18 Dechant Peyramale fordert ein Rosenwunder
19 Anstatt des Wunders ein Ärgernis
20 Wetterleuchten
Dritte Reihe Die Quelle
21 Der Tag nach dem Ärgernis
22 Der Tausch der Rosenkränze oder: Sie liebt mich
23 Ein Louisdor und eine Ohrfeige
24 Das Kind Bouhouhorts
25 Du spielst mit dem Feuer, o Bernadette
26 Nachbeben oder Affen des Mirakels
27 Das Feuer spielt mir dir, o Bernadette
28 A. Lacadé wagt einen Staatsstreich
29 Ein Bischof ermisst die Folgen
30 Der Abschied aller Abschiede
Vierte Reihe Die Schatten der Gnade
31 Sœur Marie Thérèse verlässt die Stadt
32 Der Psychiater greift in den Kampf ein
33 Digitus dei oder Der Bischof gibt der Dame eine Chance
34 Eine Analyse und zwei Majestätsbeleidigungen
35 Die Dame besiegt den Kaiser
36 Bernadette unter den Weisen
37 Eine letzte Versuchung
38 Die weiße Rose
39 Die Novizenmeisterin
40 Das ist meine Stunde noch nicht
Fünfte Reihe Das Verdienst des Leidens
41 Feenhände
42 Viel Besuch auf einmal
43 Das Zeichen
44 Nicht für mich fließt diese Quelle
45 Der Teufel bedrängt Bernadette
46 Die Hölle des Fleisches
47 Der Blitz von Lourdes
48 Ich habe nicht geliebt
Dem Andenken
In den letzten Junitagen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, kamen wir auf der Flucht von unserem damaligen Wohnort im Süden des Landes nach Lourdes. Wir, meine Frau und ich, hatten gehofft, noch rechtzeitig über die spanische Grenze nach Portugal entweichen zu können. Da jedoch sämtliche Konsuln einmütig die notwendigen Visa verweigerten, blieb uns nichts anderes übrig, als in derselben Nacht, da die Grenzstadt Hendaye von den deutschen Truppen besetzt wurde, unter großen Schwierigkeiten ins Innere Frankreichs zu flüchten. Die Départements der Pyrenäen waren zu einem fantastischen Heerlager des Chaos geworden. Die Millionen dieser seltsamen Völkerwanderung irrten auf den Landstraßen umher und verstopften die Städte und Dörfer: Franzosen, Belgier, Holländer, Polen, Tschechen, Österreicher, exilierte Deutsche und dazwischen die Soldaten der geschlagenen Armeen. Nur höchst notdürftig konnte man seinen Hunger stillen. Obdach aber gab es überhaupt keines mehr. Wer irgendeinen gepolsterten Stuhl eroberte, um die Nacht darauf zu verbringen, wurde viel beneidet. In endlosen Reihen standen die mit Hausrat, Matratzen, Betten hochbeladenen Autos der Flüchtlinge unbeweglich, denn Treibstoff war nicht mehr vorhanden. In Pau hörten wir von einer dort ansässigen Familie, Lourdes sei der einzige Ort, wo ein vom Glück Begünstigter vielleicht noch Unterkunft finden könne. Da die berühmte Stadt nur dreißig Kilometer entfernt lag, so riet man uns, den Versuch zu wagen und an ihre Pforten zu pochen. Wir gehorchten diesem Rat und fanden endlich Herberge.
Auf diese Weise führte mich die Vorsehung nach Lourdes, von dessen Wundergeschichte ich bis dahin nur die oberflächlichste Kenntnis besaß. Wir verbargen uns mehrere Wochen in der Pyrenäenstadt.
Es war eine angstvolle Zeit. Es war aber zugleich auch eine hochbedeutsame Zeit für mich, denn ich lernte kennen die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette Soubirous und die wundersamen Tatsachen der Heilungen von Lourdes. Eines Tages in meiner großen Bedrängnis legte ich ein Gelübde ab. Werde ich herausgeführt aus dieser verzweifelten Lage und darf die rettende Küste Amerikas erreichen – so gelobte ich –, dann will ich als Erstes vor jeder andern Arbeit das Lied von Bernadette singen, so gut ich es kann.
Dieses Buch ist ein erfülltes Gelübde. Ein epischer Gesang kann in unserer Epoche nur die Form eines Romans annehmen. ›Das Lied von Bernadette‹ ist ein Roman, aber keine Fiktion. Der misstrauische Leser wird angesichts der hier dargestellten Ereignisse mit größerem Recht als sonst bei geschichtlichen Epen die Frage stellen: »Was ist wahr? Was ist erfunden?« Ich gebe zur Antwort: All jene denkwürdigen Begebenheiten, die den Inhalt dieses Buches bilden, haben sich in Wirklichkeit ereignet. Da ihr Anbeginn nicht mehr als achtzig Jahre zurückliegt, spielen sie im hellsten Licht der Geschichte, und ihre Wahrheit ist von Freund und Feind und von kühlen Beobachtern in getreuen Zeugnissen erhärtet. Meine Erzählung verändert nichts an dieser Wahrheit.
Nur dort wurde das Recht der dichterischen Freiheit in Anspruch genommen, wo das Kunstwerk gewisse chronologische Zusammendrängungen erforderte und wo es galt, den Lebensfunken aus dem Stoff zu schlagen.
François Soubirous erhebt sich in der Finsternis. Es ist Punkt sechs. Seine silberne Uhr, Hochzeitsgeschenk der klugen Schwägerin Bernarde Casterot, besitzt er längst nicht mehr. Die Quittung der städtischen Pfandleihanstalt über sie und über einige andere magere Schätze ist bereits seit vorigem Herbste verfallen. Soubirous weiß, es ist Punkt sechs, obwohl die Glocken der Pfarrkirche von Saint Pierre noch nicht zur Frühmesse geläutet haben. Arme Leute haben die Zeit im Gefühl. Sie wissen auch ohne Zifferblatt und Glockenton, was die Uhr geschlagen hat. Arme Leute haben immer Angst, zu spät zu kommen.
Der Mann tastet nach seinen Holzpantinen, behält sie aber in der Hand, um keinen Lärm zu machen. Bloßfüßig steht er auf dem eiskalten Steinboden und lauscht den vielfältigen Atemzügen seiner schlafenden Familie, einer sonderbaren Musik, die ihm das Herz bedrängt. Sechs Menschen teilen den Raum. Er und Louise haben immerhin ihr gutes Hochzeitsbett behalten, diesen Zeugen eines hoffnungsvollen Anbeginns. Die beiden halbwüchsigen Mädchen aber, Bernadette und Marie, müssen auf einem sehr harten Lager schlafen. Die zwei Jüngsten schließlich, Jean Marie und Justin, hat die Mutter auf einen Strohsack gebettet, der tagsüber eingerollt wird.
François Soubirous, der sich noch immer nicht von seinem Platz rührt, wirft einen Blick nach dem offenen Herd. Es ist eigentlich kein rechter Herd, sondern eine grobe Feuerstelle, die der Steinmetz André Sajou, der Eigentümer dieser prächtigen Wohnung, für seine Mieter improvisiert hat. Unter der Asche glimmen und knacken noch ein paar der frischen Äste, die zu feucht waren, um zu verbrennen. Manchmal zuckt ein blasser Schein auf. Der Mann aber hat nicht die Energie, den Rest des Feuers aufzuschüren. Er wendet das Aug zu den Fenstern, hinter denen die Nacht zu ergrauen beginnt. Da verwandelt sich sein tiefes Missbehagen in eine zornige Bitterkeit. Ein Fluch sitzt ihm auf den Lippen. Soubirous ist ein sonderbarer Mann. Mehr als die elende Stube ärgern ihn diese beiden vergitterten Fenster, eines größer, das andre kleiner, die zwei niederträchtig schielenden Augen, die auf den engen, dreckigen Hof des Cachots hinausschaun, wo der Misthaufen der ganzen Gegend duftet. Man war schließlich kein Landstreicher, kein Lumpensammler, sondern ein freier, regelrechter Müller, ein Mühlenbesitzer, auf seine Art nichts andres, als es Monsieur de Lafite ist mit seinem großen Sägewerk.
Die Boly-Mühle unterm Château Fort hatte sich sehen lassen können weit und breit. Auch die Escobé-Mühle in Arcizac-les-Angles war gar nicht übel. Mit der alten Bandeau-Mühle konnte zwar niemand Ehren einheimsen, aber eine Mühle war sie schließlich doch. Ist er, der gute Müller Soubirous, vielleicht schuld daran, dass der rädertreibende Lapaca-Bach seit Jahren ausgetrocknet ist, dass die Getreidepreise steigen, dass die Arbeitslosigkeit wächst? Daran ist der liebe Gott schuld, der Kaiser, der Präfekt oder der Teufel weiß wer, nicht aber der brave François Soubirous, wenn der Mensch auch gern einmal ein Glas trinkt und im Wirtshaus die Karten mischt. Mag er, Soubirous, aber schuld sein oder nicht, was hilft's, man wohnt nun im Cachot. Und der Cachot in der Rue des Petites Fossées ist gar kein Wohnhaus, sondern der ehemalige Stadtarrest. Die Wände schwitzen vor Feuchtigkeit. Der Schwamm sitzt zwischen den Ritzen. Alles Holz wirft sich. Das Brot verschimmelt schnell. Im Sommer brät man hier, im Winter erfriert man. Deshalb hat Monsieur Lacadé, Maire von Lourdes, vor einigen Jahren angeordnet, dass der Cachot aufgelassen werde und dass man die Vagabunden und Übeltäter im Torgebäude des Baous-Tores unterbringe, wegen der besseren Gesundheitsverhältnisse, ausdrücklich. Für die Familie Soubirous sind die Gesundheitsverhältnisse im Cachot gut genug. Man merkt's, denkt der ehemalige Müller, die Bernadette hat wieder die halbe Nacht gefaucht und gepfiffen. Da beginnt er sich selbst so jämmerlich leidzutun, dass er fest entschlossen ist, zurück ins Bett zu kriechen und weiterzuschlafen.
Es kommt nicht zu dieser feigen Waffenstreckung, denn inzwischen hat Mutter Soubirous sich erhoben. Sie ist eine Frau von fünf- oder sechsunddreißig, die aussieht wie fünfzig. Sofort macht sie sich übers Feuer, scheucht die Funken aus der Asche, häuft qualmendes Stroh, Späne und ein paar trockene Äste darauf und hängt schließlich den kupfernen Wasserkessel über die neue Flamme. Soubirous betrachtet großartig und düster diese wortlose Tätigkeit seines Weibes. Auch er sagt nichts. Ein Tag fängt wieder an, mit seinen Lasten und Enttäuschungen. Ein Tag, wie er gestern war und wie er morgen sein wird. Jetzt läuten die blechernen Glocken der Pfarrkirche. Man entgeht dem Tag nicht.
François Soubirous hat nur eine einzige Sehnsucht: einen brennenden Schnaps in seinen öden Magen zu bekommen. Die Flasche mit dem Kräuterteufel aber hält Mutter Soubirous unter Verschluss. Er bringt's nicht über sich, den leidenschaftlichen Wunsch auszusprechen, denn der Kräuterteufel ist ein Streitpunkt zwischen den Eheleuten. Eine Weile zögert er noch, dann tritt er in die Pantinen:
»Ich geh jetzt, Louise«, brummt er gedämpft.
»Hast du etwas Bestimmtes vor, Soubirous?«, fragt sie.
»Man hat mir Verschiedenes angetragen«, meint er dunkel. Es ist täglich dasselbe Zwiegespräch. Seine Würde erlaubt es Soubirous nicht, sich selbst und dem Weibe die ganze klägliche Wahrheit einzugestehn. Die Frau macht einen hoffnungsvollen Schritt vom Herde weg:
»Bei Lafite vielleicht? Im Sägewerk?«
»Ah, Lafite!«, spottet er. »Wer denkt an Lafite? Aber ich werde mit Maisongrosse sprechen und mit Cazenave, dem Postmeister, weißt du …«
»Maisongrosse, Cazenave …« Sie wiederholt enttäuscht diese Namen und arbeitet wieder. Er setzt die Baskenmütze auf. Seine Bewegungen sind langsam und unsicher. Plötzlich dreht sich die Frau um:
»Ich hab darüber nachgedacht, Soubirous. Wir sollten Bernadette weggeben von hier«, flüstert sie.
»Was heißt das, weggeben von hier?«
Soubirous hat gerade den schweren Riegel an der Tür zurückgeschoben. Es ist eine Gefängnistür. Jedes Mal, wenn er sie öffnet, fällt ihm die schlimmste Zeit seines Lebens ein, jene vier Wochen im Vorjahr, die er als ein Unschuldiger in Untersuchungshaft verbringen musste. Seine Hand fällt herab. Er hört das Gewisper der Frau:
»Zu ihrer Tante Bernarde, mein' ich. Oder noch besser aufs Dorf nach Bartrès. Die Laguès würde sie sicher wieder aufnehmen. Und sie hat draußen gute Luft und Ziegenmilch und Honig aufs Weizenbrot, und sie ist doch so gern auf dem Dorf, und das bisschen Arbeit schadet ihr nichts …«
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!