Das Lob der Narrheit - Desiderius Erasmus - E-Book

Das Lob der Narrheit E-Book

Desiderius Erasmus

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Beschreibung

Das Lob der Narrheit - Desiderius Erasmus - Als ein Kind launiger Muse will Erasmus von Rotterdam seine weltberühmte Schrift Das Lob der Narrheit beurteilt wissen. In dem Widmungsbriefe an den jüngeren, damals (1498) zwanzigjährigen Thomas Morus, späteren Kanzler Heinrichs VIII. von England, dem ihn gemeinsame humanistische Studien verbanden, erzählt der Verfasser, wie ihm die Idee zu dem Buche auf dem Heimritt von Welschland gekommen sei. Es ist kein Grund daran zu zweifeln, daß dieses populärste Werk des deutschen Humanismus mehr oder minder zufällig koncipiert und mit einer Art spielerischen Vergnügens ausgeführt wurde. Erasmus selber hat wohl nie geahnt, daß die geistreiche aber leicht gezimmerte Arbeit, die ihm nichts als ein Ausruhen von ernsten, gelehrten Forschungen bedeutete, seinen internationalen Ruhm für alle Zeiten begründen würde.Das in eleganter Latinität geschriebene und in alle Kultursprachen übersetzte Werk verdankt seine äußere Anregung dem deutschen Narrenschiff des Sebastian Brant, kommt aber geistig aus viel früherer Zeit her, nämlich aus der freieren Sphäre des attischen Spötters Lukian, von dem es den feineren Witz, die überlegene Ironie und die aller Didaktik fremde, jeglicher Moralisation abholde weltmännische Art hat. Hinter dem tollen Wirrwarr menschlichen Treibens, hinter den Mängeln, Schwächen, Fehlern und Untugenden sieht Erasmus die Thorheit als etwas nur Allzumenschliches an. Sie ist ihm dasjenige geistige Element, das dem Erdendasein überhaupt erst Reiz und Wert verleiht. Das Horazische Dulce est desipere in loco ist hier zu einem Prinzip der Weltanschauung erhoben und wird halb im Ernst, halb im Scherz von einer lächelnden Lebensphilosophie als Vademecum für jeden Erdenpilger gepriesen. Daß der geistreiche und seine Thesen mit unzähligen gelehrten Zitaten erhärtende Autor sich dabei nicht immer konsequent bleibt und mitunter wie z. B. in seiner Polemik gegen Kirche und Theologie aus dem Ton und der Rolle eines Lobredners der Thorheit fällt, darf weiter nicht verwunderlich erscheinen.

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Desiderius Erasmus
Das Lob der Narrheit

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Vorwort

Als ein Kind launiger Muse will Erasmus von Rotterdam seine weltberühmte Schrift Das Lob der Narrheit beurteilt wissen. In dem Widmungsbriefe an den jüngeren, damals (1498) zwanzigjährigen Thomas Morus, späteren Kanzler Heinrichs VIII. von England, dem ihn gemeinsame humanistische Studien verbanden, erzählt der Verfasser, wie ihm die Idee zu dem Buche auf dem Heimritt von Welschland gekommen sei. Es ist kein Grund daran zu zweifeln, daß dieses populärste Werk des deutschen Humanismus mehr oder minder zufällig koncipiert und mit einer Art spielerischen Vergnügens ausgeführt wurde. Erasmus selber hat wohl nie geahnt, daß die geistreiche aber leicht gezimmerte Arbeit, die ihm nichts als ein Ausruhen von ernsten, gelehrten Forschungen bedeutete, seinen internationalen Ruhm für alle Zeiten begründen würde.

Das in eleganter Latinität geschriebene und in alle Kultursprachen übersetzte Werk verdankt seine äußere Anregung dem deutschen „Narrenschiff“ des Sebastian Brant, kommt aber geistig aus viel früherer Zeit her, nämlich aus der freieren Sphäre des attischen Spötters Lukian, von dem es den feineren Witz, die überlegene Ironie und die aller Didaktik fremde, jeglicher Moralisation abholde weltmännische Art hat. Hinter dem tollen Wirrwarr menschlichen Treibens, hinter den Mängeln, Schwächen, Fehlern und Untugenden sieht Erasmus die Thorheit als etwas nur Allzumenschliches an. Sie ist ihm dasjenige geistige Element, das dem Erdendasein überhaupt erst Reiz und Wert verleiht. Das Horazische Dulce est desipere in loco ist hier zu einem Prinzip der Weltanschauung erhoben und wird halb im Ernst, halb im Scherz von einer lächelnden Lebensphilosophie als Vademecum für jeden Erdenpilger gepriesen. Daß der geistreiche und seine Thesen mit unzähligen gelehrten Zitaten erhärtende Autor sich dabei nicht immer konsequent bleibt und mitunter wie z. B. in seiner Polemik gegen Kirche und Theologie aus dem Ton und der Rolle eines Lobredners der Thorheit fällt, darf weiter nicht verwunderlich erscheinen.

Die vorliegende Übersetzung ist mit ausgewählten Holzschnitten nach den Randzeichnungen von Erasmus Freunde Holbein geziert, die der Meister in ein Exemplar der Frobenschen zu Basel aufbewahrten Ausgabe eingetragen hat.

Der Herausgeber

Lobrede

Lobrede, welche die Narrheit sich selbst hält.

Was die Sterblichen auch immer von mir schwatzen mögen (ich weiß es, meine Herren, ich weiß es, in welchem bösen Rufe die Narrheit auch bey den gröbsten Narren steht) so bin doch ich es, ich, wie Sie mich hier vor sich stehen sehen, durch deren übermenschliche Kraft den Herzen der Götter und der Menschen die muntersten Freuden eingeflößt werden. Wollen Sie hierüber einen Beweis? Hier ist ein überzeugender:

Kaum war ich aufgetreten, um in dieser zahlreichen Versammlung eine Rede zu halten, so ward plötzlich jedes Antlitz mit einem neuen und ungewöhnlichen Schimmer der Fröhlichkeit übergoldet; plötzlich entfaltete sich jede Stirn; im hellsten liebenswürdigsten Lächeln wird mir von allen Orten der holdeste Beyfall zugewinkt. Wo ich meinen Blick hinrichte, sehe ich Gesichter, die mich nicht anderst denken lassen, als jedermann habe sich bey dem Nektar, dem es die Homerischen Götter bey ihrem Gelache gewiß an dem Safte des die Traurigkeit verbannten Ochsenzungenkrautes nicht fehlen lassen, in die beste Laune getrunken: und vorhin sah jeder so finster und grämlich aus, als ob er geradesweges aus einer Eremitenzelle zurückkomme. Wie wenn die Sonne am frühen Morgen ihr goldschönes Antlitz der Erde zuwendet; wie wenn nach dem rauhen Winter der neue Frühling mit seinem belebenden Hauche kommt: jugendlich glänzt das Antlitz der ganzen Natur; Farbe, Anzug, alles hat sich verjüngt: also, meine Herren, hat sich auch auf ihren Angesichtern, sobald sie einen Blick auf mich gerichtet hatten, alles geändert. Große Redner! schwarze Sorgen wollt ihr aus den Herzen der Zuhörer verbannen; und wie betreibt ihr’s? in einer viele Nächte hindurch abgezirkelten langweiligen Rede arbeitet ihr oft vergeblich daran. Schämet euch! Sehet, mit einem einzelnen Blicke hab ichs zu Stande gebracht!

Warum ich heute in einem so ungewöhnlichen Aufputze erscheine? Sie werden es sogleich vernehmen, meine Herren, wenn es ihnen nicht zu beschwerlich ist, mir ein geneigtes Ohr zu gönnen; aber bey Leibe ja nicht ein solches, das Sie den ehrwürdigen Kanzelrednern zuwenden, sondern ein solches, das Marktschreyern, Possenspielern und Lustigmachern immer offen steht; ein solches, wie ehedem unser Midas dem Pan ein stattliches Paar zuwendete.

Mich hat die Laune angewandelt, mich Ihnen für eine Weile als Sophistin zu weisen; nicht von der Art jener, die in unsern Zeiten der Schuljugend einige Armselichkeiten ängstlich einbläuen und dabey lärmend ein mehr als weibisches Gekeif ergellen lassen. Ich werde jenen Alten nachahmen, die sich, um dem mir so verhaßten Namen der Weisen klüglich auszuweichen, Sophisten nannten. Sie übernahmen es, das Lob der Götter und der Helden herauszustreichen. Man halte sich also in Bereitschaft, eine Lobrede anzuhören; nicht auf einen Herkules, einen Solon, sondern auf mich, d. i. auf die Narrheit.

Ich mache mir nicht das geringste daraus, wenn jene Weisen jeden, der sich selbst lobt, für einen Narren und Unverschämten ausschreyen. Närrisch so viel sie wollen, wenn sie nur eingestehen, daß es dem Charakter angemessen sey. Und was könnte sich für die Narrheit besser schicken, als ihr Lob selbst auszuposaunen, und nach ihrer eigenen Pfeife zu tanzen? Wer wird mich natürlicher schildern, als ich es selbst thun kann? Wer steht in genauerer Bekanntschaft mit mir, als ich?

O ja, man wird mir eingestehen, daß ich mich noch bescheidener betrage, als der Haufe der Großen und Weisen, welche bey einer verkehrten Schamhaftigkeit, einen fuchsschwänzerischen Schwätzer, oder einen windichten Dichter mit baarem Gelde dingen, um aus seinem Munde ihr eigenes Lob anhören zu können; das ist eitele Lügen: und dann steht der Schamprahler da wie der Pfau, der mit dem ausgebreiteten Schweife stolziert, den Kamm hochtragend. Der unverschämte Schmeichler vergleicht den Taugenichts mit den Göttern; er streicht ihn als das vollkommenste Tugendmuster heraus und weiß doch, daß derselbe himmelweit davon entfernt sey; er verziert eine kleine Krähe mit fremden Federn; wascht einen Moren; macht aus einer Mücke einen Elephanten. O ich, ich folge dem gemeinen Sprüchworte; wenn niemand mich loben will, so lob ich mich selbst.

Sophistin

Verwundern muß ich mich über das Betragen der Sterblichen. Ists Undankbarkeit? ists Trägheit? Sie machen mir alle den Hof; meine Wohlthätigkeit gegen sie erwecket in ihnen vieles Vergnügen: doch ist seit so vielen Jahrhunderten noch niemand aufgetreten, der aus Erkenntlichkeit das Lob der Narrheit feyerlich angestimmt hätte; und doch schonte man in Herausstreichung eines Bustiris, eines Phalaris, des viertägigen Fiebers, eines Kahlkopfs, oder was dergleichen tolles Zeug mehr seyn mag, weder der Nachtlampe, noch dem Schlafe.

Eine unausgearbeitete und im Stegreife gehaltene, deßwegen aber um so viel natürlichere und der Wahrheit angemessenere Rede werden Sie von mir hören. Bilden Sie sich ja nicht ein, ich sage dieses nach der Weise gemeiner Redner, um dadurch meinen Geistesfähigkeiten Bewunderung zu erkünsteln. Diese haben sich etwa bey Verfertigung einer Rede dreyßig Jahre hindurch erschwitzt, wenn es ja nicht gar eine zusammengeborgte Waare ist: und doch behaupten sie mit einem tapfern Eidschwure, sie haben sie inner drey Tagen spielend zu Papier gebracht. Meine Sache aber ist es, alles gerade heraus zu sagen, wie es mir auf die Zunge springt.

Man erwarte nicht, daß ich mich, nach der Weise der Alletagsredner, bey einer kunstmäßigen Beschreibung meiner selbst oder wohl gar bey einer kopfbrechenden Eintheilung meines Gegenstandes, verweilen werde. Beydes würde für mich sehr unschicklich seyn. Wie! ich sollte mir selbst Schranken setzen, mir, deren Herrschaft sich über die ganze weite Welt erstreckt? Ich sollte da pedantisch trennen und theilen, wo alle Völker in ihrer Berechnung übereinstimmen? Wozu würde es dienen, ein würkliches Schattenbild von mir hier aufzustellen, da man mich selbst mit Augen sehen kann? Ich mache Sie, meine Herren, zu Augenzeugen: bin ich nicht die ächte Austheilerinn alles Guten, die man in der ganzen Welt die Narrheit zu nennen gewohnt ist?

O ja, ich Närrinn hätte dieses zu sagen nicht nöthig gehabt. Aus meinem Antlitze läßt sichs sehen, auf meiner Stirn lesen, was ich im Schilde führe. Wenn mich jemand für die Minerva ausgeben wollte, für die Göttinn der Weisheit, so würde er widerlegt seyn, so bald man mir ins Angesicht sähe. In diesem, wenn ich auch den Mund nicht aufthue, ist meine Gemüthsart nach dem wahren Leben geschildert. Ich bediene mich keiner Schminke; wie ich von innen bin, zeig ich mich von aussen; ich bin mir immer so gleich, daß man mich auch an denen nicht verkennen kann, die sich unter der Larve der Weisheit für hochweise Männer ausgeben; Affen, die im Purpurröckchen einher strotzen; Esel, die in einer Löwenhaut umher traben: wenn sie sich auch noch so listig verstellen, so verrathen doch die hervorragenden Oerchen ihren Midas.

In Wahrheit, das sind undankbare Geschöpfe: sie sind unstreitig unsre Zunftgenossen, und schämen sich doch öffentlich unsern Nahmen anzunehmen; ja sie schimpfen auf die, welche von sich ein ehrlicheres Bekenntniß ablegen. Da sie wirklich Erznarren sind; und doch für weiser als ein Thales wollen angesehen werden: können wir sie nicht mit allem Rechte Närrisch-Weise nennen? Es scheint, daß sie diesorts unsern heutigen Rednern nacheifern, die sich bald gar für Götter halten, wenn sie die Leute bereden können, daß sie, gleich den Blutsaugern, zweyzüngig seyen; sie sehen sich für Helden an, wenn sie eine lateinische Rede mit einigen griechischen Wörtern durchspicken, und also eine unschickliche Mosaikarbeit zu Markte bringen können. Und wenn es ihnen an ausländischen Wörtern fehlt, so scharren sie aus verschimmelten Schriften etliche veraltete Wörter hervor, mit denen sie dem Leser einen Dunst vor die Augen zaubern: dadurch setzen sie sich in die Gunst derer, die sich darauf verstehen; die übrigen werden um so viel tiefer in Verwunderung gesetzt, je unwissender sie sind. Auch dieses macht einen schönen Theil unsrer Wonne aus, daß wir uns durch das, so von weitem kömmt, am meisten rühren lassen. Die, welchen es an Ehrfurcht nicht fehlt, lächeln ihren Beyfall zu, und bewegen geheimnißvoll, gleich den Esel, die Ohren, damit man denke, sie seyen mit der Sache tief bekannt; ja, sprachen sie scharfsinnig: die Sache verhält sich wirklich so, wie sie sich verhält. Ich lenke wieder ein.

Sie wissen also meinen Namen, Sie, meine Herren! Welchen Ehrentittel soll ich Ihnen beylegen? Das Wort Erznarren wird Ihnen wohl nicht zuwider seyn; mit einem schicklichern weiß die Göttin der Narrheit ihre Verehrer, die mit ihren Geheimnissen vertraulich bekannt sind, nicht zu bezeichnen. Weil aber meine Abkunft eben nicht vielen bewust seyn wird, so will ich solches unter dem guten Beystande der Musen zu eröfnen trachten.

Nicht Chaos, Orkus, Saturn, Jupiter, war mein Vater, noch irgend einer der veralteten und ausgedienten hausgrunzerischen Göttergreisen: Plutus hieß er; dieser, und dieser allein (trotz dem Hesiodus, dem Homerus, und dem Jupiter selbst) war der Vater der Menschen und Götter; Plutus, auf dessen Wink auch jetzt noch, wie vor Zeiten, alles, was heilig und unheilig ist, unter einander gemengt wird. Krieg, Friede, Reiche, Rathsversammlungen, Gerichtsplätze, Landtäge, Ehen, Bündnisse, Verträge, Gesetze, Künste, das Scherzhafte; das Ernsthafte (o an Athem gebrichts mir!) kurz alle öffentlichen und besonderen Angelegenheiten der Sterblichen, richten sich nach seiner Willkühr. Ohne sein Zuthun würde das ganze poetische Göttervolk, (ich will freyer von der Brust weg reden) würden selbst die Götter der ersten Classe entweder gar nicht seyn, oder doch gewiß am häuslichen Tisch ihr Leben sehr sparsam durchbringen müssen. Dem, über den er zörnt, wird selbst Pallas kümmerlich zu helfen wissen. Der, den er begünstigt, wird er mit dem obersten Jupiter, und seinem Tonnerkeile, sicher aufnehmen können.

Eines solchen Vaters hab ich mich zu rühmen. Er erzeugte mich, nicht aus seinem Gehirne, wie Jupiter jene saure und scheußliche Minerva, sondern mit der jugendlichen Neotes, der schönsten und muntersten Nymphe. Er war mit ihr nicht im traurigen Bande des Ehestandes verstricket; ich ward nicht wie jener Vulkan, der hinkende Schmidt, gebohren; ich bin eine Tochter der freyen und freudigen Liebe.

Mein Vater war nicht (irren Sie sich nicht, meine Herren!) jener aristophanische Plutus, der abgelebte, halbblinde; nein munter war er noch, in der Blüthe der jugendlichen Hitze; ja, nicht nur der jugendlichen, sondern auch der durch den Nektar entzündeten, den er damals an einem Freudenfeste der Götter reichlich geschlürft hatte.

Wollen Sie auch meinen Geburtsort wissen? O ja, heut zu Tage kömmt es in Absicht auf den Adel vieles darauf an, wo man in der Wiege zuerst geschrien habe. Ich ward nicht in der schwimmenden Insel Delos geboren; nicht in dem wogenreichen Meere; nicht in einer verborgenen Höle; sondern in jenen beglückten schlarafischen Inseln, wo alles ungesäet und unbepflügt hervor sprudelt; da weiß man nichts von Arbeiten, vom Altern, von Krankheiten. Goldwurzeln, Pappeln, Zwiebeln, Feigbohnen, Erbsen, oder andre dergleichen Aermlichkeiten verstellen da die Felder nicht; dem Auge und Geruche schimmern, und duften von allen Seiten her Amaranten, Rosen, Majoran, Violen, Hyacinthen, entgegen; man glaubt, in dem Garten des Adonis zu seyn.

In einer solchen wonnevollen Gegend gebohren, fieng ich das Leben nicht mit Weynen an; schmeichelnd lächelte ich, kleine Närrinn, meiner Mutter sogleich ins Angesicht. Den saturnischen Jupiter beneide ich nicht, daß er eine Ziege zur Amme hatte. Zwo drollichte Nümphen reichten mir ihre Brüste dar: die taumelnde Methe, Tochter des Bachus; und die sorglose Apädia, Tochter des Pans. Beyde befinden sich hier in der Gesellschaft meiner Gefehrten und Aufwärterinnen. Ich soll sie bey ihren Namen nennen? Gut, hier sind sie! Diese, die ihre Stirn hoch trägt, ist die sich selbst liebende Philautia. Diese mit ihren zulächelnden Augen, beyfallklatschenden Händen ist die schmeichelnde Kolakia. Diese halbschlafende, die man bereits träumend glauben sollte, ist die vergeßliche Lethe. Diese, die sich auf ihre Elenbogen steuert, und die Hände gefaltet hält, ist die arbeitscheuende Misoponia. Diese mit Rosenkränzen umschlungen, Wolgerüche duftend, ist die wollüstige Edone. Diese mit ihren unstet umherschweifenden Augen, ist die wahnsinnige Anoia. Diese mit der glatten Haut, deren ganzer Körper sich sowohl genährt zeigt, ist die verzärtelte Tryphe. Unter diesen Mädchen sind auch zween Götter zu sehen. Der Eine ist der sich bey jugendlichen Trinkgelagen munter hervorthuende Komus; der Andere der sich dann in den tiefsten Schlaf versterbende Nagretos-Hypnos. Mit dem Beystande dieser meiner getreuen Bedienten unterwerf ich alles meiner Herrschaft, und Monarchen selbst ertheil ich meine Befehle.

Saturnischer Jupiter

Ich habe nun von meiner Abkunft, meiner Auferziehung, und meinem Gefolge, Nachricht gegeben. Damit niemand meyne, ich bediene mich ohne Grund des Tittels einer Göttinn, will ich zeigen, wie viel Gutes ich an Göttern und Menschen thue, und wie weit sich meine göttliche Macht erstrecke. Man öffne die Ohren!

Jemand hat die nicht unschickliche Anmerkung gemacht: um ein Gott zu seyn, müsse man den Menschen Wohlthaten erweisen. Man hat der Zunft der Götter mit Recht jene einverleibt, welche die Menschen über den Gebrauch des Weines, des Getreides, und andre Lebensbedürfnisse von dieser Art unterrichtet haben. Wo hätte man das Recht her, mich nicht für das Alpha aller Götter zu halten, mich, welcher einzig jedermann alles und jedes zu verdanken hat?

Zuerst, was kann angenehmer, was köstlicher seyn, als das Leben an sich selbst? Und von wem anders, als von mir, hat man den Anfang desselben erhalten? Nicht die Lanze der aus dem stärksten der Väter gebohrnen Pallas, nicht der Schild des wolkensammelnden Jupiters, hat einen Einfluß in die Zeugung und Fortpflanzung des Menschengeschlechtes. Noch mehr; selbst der Vater der Götter, der König der Menschen, dessen Wink den ganzen Olympus zittern macht, muß seinen dreygespitzten Donnerkeil weglegen samt seiner titanischen Mine, mit welcher er, nach seinem Belieben, allen Göttern einen Schrecken einjagt; nach der armseligen Weise des Schauspielers muß er einen andern Charakter annehmen, wenn er das thun will, das er zuweilen thut; das ist, wenn er zum Vater eines kleinen Jupiters werden will.

Auf die nächste Stelle nach den Göttern machen die Stoiker Anspruch. Gebt mir einen solchen! Und wenn er auch tausendmal ein Stoiker ist, so muß er mir, wo nicht den Bart, dieses Merkmahl der Weisheit, wenn er ihn auch gleich so groß als der Bock hat, doch gewiß seine Gravität, weglegen; seine Stirn muß sich entfalten; er muß sich seiner demantfesten Grundsätze entschlagen; er muß ein wenig faseln und den Narren spielen; kurz, mich, mich, sag ich, muß der weise Mann zu Hülfe rufen, wenn er zum Vater werden will.

Warum soll ich nicht nach meiner Weise, offenherzig schwatzen? Man sage mir: ists das Haupt, das Antlitz, die Brust, die Hand, das Ohr, irgend eines der für ehrhaft gehaltenen Kleider, die zur Zeugung der Götter und Menschen erfordert werden? Mich deucht es nicht; es ist etwas so närrisches und Lächerliches, daß Sie, meine Herren und Damen, wenn ich es nennen sollte, sich des Lachens nicht enthalten würden, dem man diese Ehre zuerkennen muß. Dieses ist weit richtiger, als jener pythagorische Quaternio, die heilige Quelle, aus welcher Alles das Leben schöpft.

Wo ist der Mann, der dem ehelichen Kapzaume sein Maul darreichen würde, wenn er vorher (wie jene weisen Leute zu thun gewohnt sind) allen Jammer des Ehestandes erwogen hätte? Welche Frau würde zur vertrauten Unterhaltung mit dem Manne sich entschließen, wenn ihr ein Gedanke an die gefährliche Geburtsarbeit und das verdrüßliche Ammengeschäft käme? Da Sie also, meine Herren, ihr Leben dem Ehestande, und diesen der Anoia, meinem hirnlosen Aufwartsmädchen, zu verdanken haben, so ist es Ihnen leicht auszurechnen, in welcher tiefen Schuld Sie bey mir stehen. Die, welche einmal in dieser Noth gewesen ist, würde sich nicht wieder darin wagen, wenn sie sich nur an meine Gefährtinn, die vergeßliche Lethe, gehalten hätte. Venus selbst (Lucrez mag sagen, was er will!) wirds nicht leugnen, daß es ohne meine Hinzukunft um ihre ganze Kraft etwas ohnmächtiges und unnützes seyn würde.

Mein Spielwerke mag auch noch so taumelnd und lächerlich seyn, so entstanden doch aus ihm jene steifen Philosophen, an deren Stelle sich jetzt die befinden, die man Mönche zu nennen pflegt; in Purpur gekleidete Könige, fromme Priester, und dreymal allerheiligste Päbste; ja die ganze Zunft der poetischen Götter, so zahlreich, daß der Olymp (dessen Raum eben so klein nicht ist) sie kaum fassen kann. Ich würde mit mir selbst nicht zufrieden seyn, wenn man nur bloß die Quelle und Pflanzschule des Lebens mir zu verdanken hätte; ich will zeigen, daß auch alle Bequemlichkeiten des Lebens von mir herkommen.

Was ist dieses Leben, verdient es auch nur den Namen des Lebens, wenn man das Vergnügen davon wegnimmt? O ja! Sie, meine Herren, klatschen mir Ihren Beyfall zu! ich wußte es wohl, daß niemand unter Ihnen so weise ist, oder so närrisch, nein, so weise, daß er solche Gedanken hegen sollte. Selbst die Stoiker verachten die Wollust nicht, ob sie sich gleich aufs geflissenste verstellen, und sie öffentlich mit tausenderley Schimpfnamen belegen; die Tückmäusler, nur um andere davon wegzuscheuhen, und sich eines desto größern Theiles derselben zu versichern. Aber beym Jupiter fordere ich sie auf, diese Heuchler, mir zu sagen, welcher Theil des Lebens nicht traurig, unlustig, eckelhaft, abgeschmackt, lästig wäre, wenn ich nicht dabey für Salz und Gewürze sorgte? Den Sophokles (Und wer ist im Stande diesen Mann genug zu loben?) kann ich hierüber zum unverwerflichen Zeugen aufführen, indem er, um mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ausrief: Weg mit Weisheit, wenn man sich des Lebens recht erfreuen will!

Wir wollen eines nach dem andern beherzigen. Wer weiß nicht, daß die erste Scene der Kindheit die freudigste und angenehmste ist? Was befindet sich in den Kindern, das uns auffordert, sie zu küssen, zu umarmen, ihnen zu schmeicheln? das die Hand des rohsten Feindes nöthigt, sie aus jeder Noth zu retten? Anderes ist es nichts, als dieses. Die vorsichtige Natur hat sich Mühe gegeben, die Säuglinge mit der Gabe närrischer Schmeicheleyen zu versehen, damit sie mit einer angenehmen Art von Ersatze die Arbeit der sie Besorgenden erwiedern, und zugleich ihnen fernere Mühwaltungen scherzhaft abbetteln.

Wenn sie die kindlichen Jahren mit den jugendlichen vertauschet haben, so versichern sie sich der Huld jedermanns; man liebt sie; ereifert sich, ihnen nützlich zu seyn; springt ihnen bey allen Anlässen dienstfertig bey. Und wer hat sie mit einem solchen herzengewinnenden Wesen versehen? Niemand als ich. Weil ich ihnen meine Huld schenke, so sind sie noch fern von aller Weisheit, und folglich von allem Grame. Sobald sie zu mehrern Jahren gelangen, und beym Unterricht und dem Umgange mit der Welt, den verwünschen Weg der männlichen Weisheit betreten (ich will eine Erzlügnerinn seyn, wenn ich nicht die Wahrheit rede!) so ist es um die Blüte ihres aufgehellten Wesens geschehen; ihre Munterkeit fällt ins Träge; ihr artiges Betragen sinkt ins Frostige; die Lebhaftigkeit erstirbt.

Je weiter der Mensch sich von mir entfernt, desto minder erfreut er sich des Lebens; und endlich wird er zum mürrischen Greisen, der nicht nur andern, sondern auch sich selbst zur Last fällt. O ja, keinem Sterblichen würde dann sein Zustand erträglich seyn, wenn ich nicht mich seiner so vielen Mühseligkeiten erbarmend, ihm zum Beystand eilte. Wenn die poetischen Götter jemanden sehen, der zu Grunde gehen will, so kommen sie ihm mit einer Verwandlung zu Hülfe: ich, wenn ich jemanden erblike, der bald reif zur Baare geworden, ruf ihn, so viel möglich ist, wieder in die Kindheit zurück; wie man dann von der zweyten Kindheit derselben vieles zu reden pflegt.