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"Søren nennt mich seine Sirene. Er sagt, was ich mit meinem Mund mache, kann jeden Mann vom Kurs abbringen. Sind sie nicht neugierig, was er damit meint?" Erotikautorin Nora Sutherlin muss nicht lange recherchieren, um Stoff für ihren neuen Roman zu finden. Denn sinnliche Erfüllung ist ihr Leben. Das weiß nicht nur ihr gefährlicher Ex, von dem Nora einfach nicht die Finger lassen kann. Auch ihr verführerisch jungfräulicher Mitbewohner soll die Freuden der Lust mit ihr erfahren. Ob die berühmte Domina aber ihren Lektor fesseln kann? Vielleicht nicht nur mit Worten...
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Seitenzahl: 634
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Tiffany Reisz
Das Locken der Sirene
Erotischer Roman
Aus dem Amerikanischen von Jule Winter
MIRA® TASCHENBUCH
Band 35044
1. Auflage: Januar 2013
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
The Siren
Copyright © 2012 by Tiffany Reisz
erschienen bei: MIRA Books, Toronto
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B. V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Bettina Lahrs
Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Satz: GGP Media GmbH, Pößneck
EPUB-ISBN 978-3-86278-592-6
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Für Jason Isaacs – auch bekannt als der schönste Mann, den es gibt. Danke, dass du mein Zachary bist und meine Muse. Für Alyssa Palmer – mon Canard. Wenn du die Einzige wärst, die meine Bücher liest,
1. KAPITEL
Es gab nichts, das sich mit dem Londoner Nebel vergleichen ließ – hatte es nie gegeben. Und dennoch gehörte der berühmte Londoner Nebel in das Reich der Legenden. In der Realität bestand er nämlich vor allem aus Smog, und auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution hatte er Tausende getötet. Er hatte die Stadt mit seinen giftigen Händen erstickt. Zach Easton wusste, dass man ihn in den Büros von Royal House Publishing den Nebel von London nannte. Der abfällige Spitzname stammte von einem Lektorenkollegen, dem Zachs mürrische Art missfiel. Zach hatte nicht viel übrig für diesen Spitznamen und schon gar nicht für den Kollegen, der ihn geprägt hatte. Aber heute war er durchaus bereit, sich diesen Beinamen zu verdienen.
Es war schon nach Feierabend, aber er wusste, er würde John Paul Bonner, den Cheflektor von Royal House Publishing, noch hart arbeitend in seinem Büro antreffen. Und tatsächlich saß J. P. auf dem Fußboden, um ihn herum lauter Manuskriptstapel aufgetürmt wie ein Miniatur-Stonehenge aus Papier.
Zach blieb in der Tür zum Büro stehen und lehnte sich in den Rahmen. Er starrte seinen Cheflektor an und sagte kein Wort. Das brauchte er auch nicht, denn J. P. wusste, warum er hier war. Das wussten sie beide.
„Der Tod reitet zu mir auf dem Easton-Nebel“, sagte J. P. vom Boden, während er sich durch den nächsten Stapel Manuskripte wühlte. „Eine sehr poetische Art zu sterben. Du bist hier, um mich umzubringen, nehme ich an.“
Mit vierundsechzig Jahren, grauem Bart und Nickelbrille war J. P. die fleischgewordene Literatur. Gewöhnlich genoss Zach es, sich mit ihm auf Geplänkel und Wortspiele einzulassen. Heute war er aber nicht in der Stimmung, sich eine Retourkutsche auszudenken. Deswegen war seine Antwort auch nicht lyrisch, sondern beschränkte sich auf ein lakonisches „Ja.“
„Ja?“, wiederholte J. P. „Nur ‚ja‘? Nun, in der Kürze liegt die Würze. Sei so gut und hilf einem alten Mann vom Boden auf, ja, Easton? Wenn ich sterben soll, möchte ich dem Tod aufrecht ins Gesicht blicken.“
Seufzend betrat Zach das Büro, streckte die Hand aus und half J. P. aufzustehen. J. P. tätschelte ihm dankbar die Schulter und sank erschöpft in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch.
„Ich bin ohnehin ein toter Mann. Kann ums Verrecken nicht diese verfluchte Druckfahne von Hamlet für John Warren finden. Die hätte ich ihm schon gestern per Post zuschicken müssen. Aber wie sagt man so schön? Glücklich ist, wer eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis hat. So gesehen bin ich ein sehr, sehr glücklicher Mann.“
Zach betrachtete J. P. einen Augenblick und verfluchte ihn im Stillen, weil er so ein netter Kerl war. Seine Bewunderung für seinen Chef würde dieses Gespräch sicher noch viel unangenehmer machen. Er trat an eines der Bücherregale, die die Wände säumten, und fuhr mit der Hand über das oberste Regalbrett. Er kannte J. P.s Angewohnheit, wichtige Papiere immer dort zu lagern, wo er sie nicht finden konnte. Zachs Finger stießen gegen ein Manuskript. Er holte es herunter und warf es auf J. P.s Schreibtisch, wo sich eine kleine Staubwolke daraus erhob.
„Ich danke dir.“ J. P. hustete und legte eine Hand aufs Herz. „Du hast mein Leben gerettet.“
„Und jetzt werde ich derjenige sein, der dich umbringt.“
J. P. betrachtete Zach nachdenklich. Dann zeigte er einladend auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Nur widerstrebend setzte Zach sich und zog seinen grauen Mantel enger um die Schultern, als handle es sich um seine Rüstung.
„Easton, schau“, begann J. P., aber weiter ließ Zach ihn nicht kommen.
„Nora Sutherlin?“ Zach sprach den Namen so verächtlich aus, wie er nur konnte. Und im Moment empfand er eine Menge Verachtung. „Das soll wohl ein Scherz sein.“
„Ja, Nora Sutherlin. Ich habe lange darüber nachgedacht. Habe mir ausgiebig ihre Verkaufszahlen angeschaut. Ich finde, wir sollten sie abwerben. Und ich will, dass du mit ihr arbeitest.“
„Das werde ich auf keinen Fall tun. Sie schreibt Pornografie.“
„Es ist keine Pornografie.“ J. P. blickte Zach streng über das Halbrund seiner Brillengläser an. „Es ist Erotik. Sehr gute Erotik.“
„Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so etwas gibt.“
„Ich sage dazu nur zwei Worte: Anaïs Nin“, konterte J. P.
„Dann sage ich zwei weitere Worte: Booker Prize.“
J. P. atmete hörbar aus und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Easton, ich kenne deine Erfolgsgeschichte. Du bist eines der größten Talente, die es derzeit in der Verlagsbranche gibt. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich nicht so viel Geld bezahlt, um dich nach New York zu holen. Und ja, es stimmt. Deine Autoren haben den Booker Prize gewonnen.“
„Und Whitbreads, Silver Daggers …“
„Aber der Erfolg von Sutherlins letztem Buch hat den von deinem Whitbread-Autor und deinem Silver-Dagger-Autor zusammen übertroffen. Wir stecken gerade in einer Rezession, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Bücher sind ein Luxusgut. Was man nicht essen kann, kauft im Moment kaum jemand.“
„Und Nora Sutherlin soll die Antwort sein?“, wollte Zach wissen.
J. P. grinste. „Janie Burke von der Times hat ihr letztes Buch als ‚höchsten Genuss‘ bezeichnet.“
Zach schüttelte den Kopf und blickte verärgert zur Decke. „Sie ist allenfalls eine Gossenschreiberin“, sagte er. „Ihr Verstand kommt aus der Gosse, ihre Bücher gehören in die Gosse. Ich wäre nicht überrascht, wenn ihr letztes Verlagshaus seine Büros in der Gosse hätte.“
„Sie ist vielleicht ein Gossenkind. Aber jetzt ist sie unser Gossenkind. Nun ja, dein Gossenkind.“
„Wir sind hier nicht bei My Fair Lady. Ich bin nicht Professor Henry Higgins, und sie ist keine verfluchte Eliza Doolittle.“
„Wer sie auch ist, eines steht fest: Sie ist eine verflixt gute Autorin. Das würdest du wissen, wenn du dir die Mühe gemacht hättest, eines ihrer Bücher zu lesen.“
„Ich habe für diesen Job England verlassen“, erinnerte Zach ihn. „Ich habe einen der angesehensten Verlage Europas hinter mir gelassen, weil ich hier mit den besten jungen Autoren Amerikas arbeiten wollte.“
„Sie ist jung. Und Amerikanerin.“
„Ich habe doch nicht England und mein Leben …“ Zach hielt inne, ehe er sagen konnte: und meine Frau zurückgelassen. Schließlich hatte seine Frau ihn zuerst verlassen.
„Dieses Buch hat echtes Potenzial. Sie hat es uns vorgelegt, weil sie bereit für einen Wechsel ist.“
„Gib ihr zwei Zehner für ’nen Zwanziger, wenn sie was wechseln will. Ich gehe in sechs Wochen nach L. A. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich alles stehen und liegen lassen soll, um meine letzten sechs Wochen an Nora Sutherlin zu verschenken. Keine Chance!“
„Ich habe deinen Posteingang gesehen, Easton. Der ist nicht so voll, als dass du nicht mit Sutherlin arbeiten kannst, während du deine anderen Sachen hier abwickelst. Also erzähl mir nicht, du hättest keine Zeit dafür. Wir wissen beide, dass es nicht an Zeit fehlt, sondern an der Lust.“
„Also gut. Ich habe weder Zeit noch Lust, Erotik zu lektorieren. Nicht einmal gute Erotik, wenn es so etwas überhaupt gibt. Ich bin nicht der einzige Lektor hier. Gib das Manuskript doch Thomas Finley“, sagte Zach. Thomas Finley war der Kollege, den er am wenigsten mochte und dem er seinen Spitznamen zu verdanken hatte. „Oder meinetwegen Angie Clark.“
„Finley? Diesem Weichei? Er wird versuchen, sich an Sutherlin ranzumachen, und sie wird ihn bei lebendigem Leib verspeisen. Wenn man ihm ins Gesicht schlagen würde, wüsste er nicht einmal, wie man anständig blutet.“
Zach hätte fast zustimmend gelacht, ehe ihm wieder einfiel, dass er sich gerade mit J. P. stritt. „Und was ist mit Angie Clark?“
„Sie ist im Moment zu beschäftigt. Außerdem …“
„Was außerdem?“, wollte Zach wissen.
„Clark fürchtet sich vor ihr.“
„Kann ich ihr kaum verdenken“, erklärte Zach. „Ich habe gehört, sogar erwachsene Männer flüstern ihren Namen auf gewissen Partys nur, statt ihn laut auszusprechen. Es gibt das Gerücht, sie habe sich ihren ersten Buchvertrag durch Sex erkauft.“
„Das Gerücht habe ich auch gehört. Aber für diesen Buchvertrag hat sie sich nicht hochgeschlafen. Leider“, fügte J. P. verschmitzt grinsend hinzu.
„In Rachel Bells Blog habe ich gelesen, sie trägt außerhalb ihres Hauses immer nur Rot. Sie sagt, Sutherlin hat einen sechzehnjährigen Jungen bei sich wohnen, der als ihr persönlicher Assistent arbeitet.“
J. P. lächelte ihn an. „Ich glaube, sie nennt ihn lieber ihren ‚Praktikanten‘ als ihren ‚persönlichen Assistenten‘.“
Zach wäre beinahe an seiner eigenen Enttäuschung erstickt. Er war eigentlich schon auf dem Weg nach Hause gewesen und hatte bereits den Mantel angezogen, als ihm ein Teufelchen einflüsterte, er solle lieber noch mal seine E-Mails checken. Darin hatte sich eine Nachricht von J. P. befunden, in der er schrieb, er denke darüber nach, die Erotikautorin Nora Sutherlin und ihr letztes Buch als Spitzentitel für den Herbst unter Vertrag zu nehmen. Und da Zach in den paar Wochen, bevor er nach L. A. ginge, nicht mehr allzu viel zu tun habe …
„Ich brauche dich für diese Aufgabe. Dich und keinen anderen“, erklärte J. P.
„Warum bin ich der Einzige, der mit ihr auskommt?“
„Mit ihr auskommt?“ J. P. gluckste, ehe er plötzlich sehr ernst wurde. „Hör mir zu. Niemand kommt mit Nora Sutherlin aus. Nein, du bist einfach der Einzige, den ich zur Hand habe und der ihr wenigstens auf Augenhöhe begegnet. Easton … Zach. Bitte, hör mich an.“
Zach schluckte und zwang sich, wenigstens einen Augenblick zu entspannen. Es passierte wirklich sehr selten, dass John Paul Bonner jemanden mit dem Vornamen ansprach.
„Sie schreibt Liebesromane, J. P.“, erklärte Zach ruhig. „Ich hasse Liebesromane.“
Mitfühlend erwiderte J. P. seinen Blick.
„Ich weiß, du hast im letzten Jahr die Hölle durchgemacht. Ich habe deine Grace mal kennenlernen dürfen, weißt du noch? Ich weiß also, was du verloren hast. Aber Sutherlin … Sie ist gut. Wir brauchen sie.“
Zach atmete ganz langsam tief durch.
„Hat sie den Vertrag bereits unterzeichnet?“, fragte er.
„Nein. Wir verhandeln noch.“
„Gibt es wenigstens schon eine mündliche Vereinbarung?“
J. P. musterte ihn misstrauisch. „Noch nicht. Ich habe ihr erklärt, wir müssten erst die Zahlen sehen und würden uns dann bei ihr melden. Aber wir tendieren zu einem Ja. Warum?“
„Ich muss erst mit ihr reden.“
„Das ist doch schon mal ein Anfang.“
„Und ich werde das Manuskript lesen. Wenn ich denke, es gibt irgendeine Möglichkeit, dass sie – wir – etwas Anständiges aus ihrem Buch machen können, schenke ich ihr meine letzten sechs Wochen in New York. Aber das Buch geht erst dann in Druck, wenn ich es abgesegnet habe.“
J. P.s Blick bohrte sich in Zachs, aber er weigerte sich, zu blinzeln oder den Blick abzuwenden. Er war es gewohnt, bei all seinen Büchern das letzte Wort zu haben. Er würde diese Macht nicht aufgeben. Nicht für J. P., nicht für Nora Sutherlin. Für niemanden.
„Easton, hör mal. Ein Buch von Dan Brown wird sich in einem Monat häufiger verkaufen als alle Bücher in der Lyrikabteilung einer Buchhandlung in fünf Jahren. Sutherlins ‚Pornografie‘, wie du es nennst, könnte diesem Verlag eine Menge Lyrik finanzieren.“
„Ich will den Vertrag in den Händen haben, J. P. Sonst werde ich mich nicht einmal mit ihr treffen.“
J. P. lehnte sich im Bürostuhl zurück und seufzte schwer.
„Also gut. Sie gehört dir. Sie hat ein hübsches Haus drüben in Connecticut. Nimm den Zug. Nimm meinetwegen mein Auto, es ist mir egal. Sie ist am Montag wieder zu Hause, hat sie gesagt.“
„Also gut, dann ist es beschlossen.“ Zach wusste, dass er damit höchstwahrscheinlich gerettet war. Wenn er es darauf anlegte, konnte Zach zu seinen Autoren gnadenlos sein und ihnen ohne Rücksicht auf Verluste alle Schwächen ihres Buches aufzählen. Die großen Autoren nahmen diese Kritik an und machten etwas daraus. Die Schreiberlinge konnten nicht mit ihr umgehen. Wenn er nur hart genug mit ihr ins Gericht ging, würde sie schon bald um einen anderen Lektor betteln.
Da ihr Streit jetzt vorerst beigelegt war, erhob Zach sich müde vom Stuhl und marschierte mit hängenden und schmerzenden Schultern Richtung Tür.
Ein leises Hüsteln sorgte dafür, dass Zach an der Tür innehielt und sich noch einmal umdrehte. J. P. wich seinem Blick aus. Seine Hand fuhr über die erste Seite des Hamlet-Manuskripts, das als Druckfahne vor ihm lag. „Du solltest das Buch wirklich lesen, wenn es herauskommt“, sagte er und tippte mit einem Finger auf die Seite. „Es enthält wahrlich faszinierende neue Erkenntnisse über den vorgetäuschten Wahnsinn Hamlets … ‚Ich bin nur toll bei Nordnordwest …‘“
„Aber wenn der Wind südlich ist, kann ich einen Falken von einem Reiher unterscheiden“, vollendete Zach das berühmte Zitat.
„Sutherlin ist genauso verrückt, wie Hamlet es einst gewesen sein soll. Glaub nicht alles, was du über sie gehört hast. Diese Lady kann ihre Falken von den Reihern unterscheiden.“
„Lady?“
J. P. schloss das Buch und gab auf diese implizierte Beleidigung keine Antwort. Zach wandte sich wieder zum Gehen.
„Weißt du, irgendwann solltest du das mal ausprobieren, Easton.“
„Was? Den Wahnsinn?“, fragte Zach.
„Nein. Glücklich sein.“
„Glücklich sein?“ Zach erlaubte sich ein verbittertes Grinsen. „Ich fürchte, dafür ist mein Gedächtnis einfach zu gut.“
Zach ließ J. P. zurück und kehrte in sein eigenes Büro zurück. Seine Assistentin Mary hatte ihm ein Paket auf den Schreibtisch gelegt. Er öffnete den großen Umschlag, und Nora Sutherlins Manuskript fiel zusammen mit einem dünnen Schnellhefter heraus. Auf die Vorderseite des Hefters hatte Mary eine Notiz geklebt: Chef, hier ist das Buch nebst Bio von N. S.
Zach öffnete den Schnellhefter und überflog Sutherlins Biografie. Sie war dreiunddreißig Jahre alt, also ungefähr zehn Jahre jünger als er. Ihr erstes Buch hatte sie mit neunundzwanzig veröffentlicht. Seither waren fünf weitere Bücher gefolgt. Ihr zweites Buch, das den schlichten Titel Rot trug, hatte für eine kleine Sensation gesorgt – großartige Verkaufszahlen, ein ordentlicher Medienrummel. Zach schaute sich die Zahlen an, die dem Hefter beigefügt waren. Jetzt verstand er, warum J. P. so sehr darauf drängte, sie unter Vertrag zu nehmen. Mit jeder folgenden Veröffentlichung hatten sich ihre Verkaufszahlen beinahe verdoppelt. Zach dachte an das wenige, was er über Erotikautorinnen wusste. Aktuell war Erotik so ziemlich der einzige Wachstumsmarkt in der Buchbranche. Aber beim Verlegen sollte es nicht ums Geld gehen. Sondern um die Kunst.
Zach warf Sutherlins Biografie und ihre Verkaufszahlen in den Papierkorb. Seine Philosophie, was das Lektorieren anging, hatte er sich von der alten New-Criticism-Bewegung abgeschaut. Es ging allein ums Buch. Nicht um den Autor, nicht um den Markt, nicht um den Leser – ein Buch wurde allein anhand des Buches beurteilt. Er sollte ihm also egal sein, dass Gerüchte besagten, Nora Sutherlins Privatleben wäre genauso heiß und sinnlich wie ihre Prosa. Einzig ihr Buch zählte. Und dafür hegte er keine allzu großen Hoffnungen.
Skeptisch musterte er das Manuskript. Mary wusste, er bevorzugte es, Bücher gedruckt zu lesen. Aber dieses Mal spürte er förmlich den Spaß, den es ihr bereitet hatte, die Seiten inklusive Deckblatt für ihn auszudrucken. Quer über das scharlachrot gehaltene Cover erstreckte sich in greller Gothikschrift der Titel Der Trostpreis. Fast ausnahmslos alle Lektoren änderten den Titel eines Buchs vor seinem Erscheinen noch. Aber er musste zugeben, dass es eine interessante Wahl für einen Erotikroman war. Er schlug das Manuskript auf und las den ersten Satz: Ich will diese Geschichte ebenso wenig aufschreiben, wie du sie lesen willst.
Zach hielt inne, als er den Schatten von etwas Altem und Vertrautem spürte, das sich flüsternd über seine Schulter schob. Er verdrängte das Gefühl und las den Satz ein zweites Mal. Dann den nächsten und den nächsten …
2. KAPITEL
An manchen Tagen hasste Zach seinen Job. Er liebte es, zu redigieren, einen Roman mit dem Anspruch der Großartigkeit zu etwas wirklich Großem zu machen. Aber er hasste das Politisieren, die Budgetkrisen, hasste es, einen guten, aber nur mittelmäßig verkaufenden Autor gehen zu lassen, um Platz für einen besser verkaufenden Schreiberling zu schaffen. Und doch war er jetzt hier, irgendwo in Connecticut, um sich mit einer verrückten Autorin von Schweinkram-Romanen zu treffen, der es irgendwie gelungen war, einen der am meisten respektierten Verleger des Landes davon zu überzeugen, dass sie den besten Lektor verdient hatte. Ja, an manchen Tagen hasste Zach seinen Job. Und heute hatte er das Gefühl, sein Job erwidere diesen Hass.
Zach parkte J. P.s Wagen in einer ruhigen Seitenstraße vor einem idyllischen zweigeschossigen Häuschen im Tudorstil. Er warf noch einmal einen Blick auf die Adresse, die er sich notiert hatte, und schaute dann wieder zum Haus. Hier lebte Nora Sutherlin, die berüchtigte Autorin erotischer Romane, deren Bücher genauso oft auf die schwarze Liste kamen, wie sie übersetzt wurden? Zach konnte sich in dem Haus eher seine Großmutter vorstellen, wie sie die Kinder der Nachbarschaft mit Keksen und Tee zwangsbeglückte.
Mit einem schweren Seufzer ging er zur Haustür und drückte auf die Klingel. Kurz darauf hörte er Schritte – feste männliche Schritte. Für einen Augenblick gab er sich der köstlichen Vorstellung hin, dass Nora Sutherlin das Pseudonym für einen übergewichtigen Mann in den Fünfzigern war.
Und tatsächlich öffnete ihm ein Mann die Tür. Nein, kein Mann – ein Junge. Ein Junge in einer Pyjamahose mit einem Haufen Hanfketten um den Hals, an denen ein silbernes Kreuz hing. Er betrachtete Zach mit einem schläfrigen Grinsen.
„Neunzehn“, sagte er mit einem Akzent, in dem Zach sofort den Südstaatler erkannte. „Nicht sechzehn. Das erzählt sie nur jedem, um ihrem Ruf gerecht zu werden.“
„Ihrem Ruf?“, fragte Zach, überrascht, dass das Gerücht mit dem Praktikanten im Teenageralter stimmte.
Der Junge zuckte mit den Schultern. „Ihre Worte. Wesley Railey. Aber alle nennen mich einfach nur Wes.“
„Zachary Easton. Ich bin mit deiner … Arbeitgeberin verabredet.“
Der Junge lachte und schob sich mit der eleganten Trägheit der Jugend eine dunkelblonde Strähne aus den Augen.
„Zu meiner Arbeitgeberin geht es gleich hier entlang“, erwiderte er und übertrieb seinen Südstaatenakzent ins Komische. Zach betrat das Haus und fand es erstaunlich heimelig und gemütlich mit seinen Polstermöbeln und den aus allen Nähten platzenden Bücherregalen. „Ich mag Ihren Akzent. Sind Sie Brite?“
Ich habe die letzten zehn Jahre in London gelebt. Du klingst aber auch nicht so, als kämst du von hier.“
„Ich komme aus Kentucky. Aber Mom ist eine echte Südstaatenlady, daher mein Akzent. Ich versuche ihn loszuwerden, aber Nora lässt mich nicht. Sie hat eine Schwäche für Akzente.“
„Das ist kein gutes Zeichen“, merkte Zach an.
Wesley schnappte sich von einem Stapel Wäsche ein weißes T-Shirt und zog es über. Zach fiel der schmale, aber muskulöse Körper des Jungen auf, und er fragte sich, wieso Nora Sutherlin diese Scharade mit dem Praktikanten aufrechterhielt. Es mochte vielleicht erbärmlich sein, wenn eine Frau von dreiunddreißig Jahren sich einen neunzehnjährigen Liebhaber hielt, aber vom Gesetz her war es erlaubt.
Wesley führte ihn einen Flur entlang. Ohne zu klopfen, öffnete er eine Tür.
„Nor, Mr Easton ist da.“
Er trat beiseite, und Zach blinzelte überrascht, als er einen ersten Blick auf die berüchtigte Nora Sutherlin erhaschte.
Nach all den Gerüchten, die ihm zu Ohren gekommen waren, hatte er eine Amazone in rotem Leder erwartet, die eine Reitgerte schwang. Stattdessen stand er einer blassen, zierlichen Schönheit gegenüber, die ihre welligen schwarzen Haare in einem lockeren Knoten im Nacken zusammengebunden hatte. Nirgendwo war auch nur ein Anflug von rotem Leder zu sehen. Sie trug einen im Herrenstil geschnittenen Pyjama, der offensichtlich mit kleinen gelben Enten bedruckt war.
Ihre Beine ruhten lässig auf dem Schreibtisch, die Tastatur ihres Computers blancierte sie auf ihrem Schoß. Sie hatte den beiden Männern ihr Profil zugewandt und tippte mit schnellen Fingern weiter, ohne den Blick zu heben oder ein Wort der Begrüßung zu sagen.
„Nor?“, wiederholte Wesley.
„Ich hab hier eine frische Hundertdollarnote für den Ersten, der mir ein passendes Synonym für das Wort Stoß gibt, und zwar als Substantiv. Los geht’s.“ Ihre Stimme klang gleichzeitig honigsüß und teuflisch.
Obwohl ihre ungezwungene Art und auch ihre unbestreitbare Attraktivität ihn irritierten, konnte Zach nicht anders, als sofort seinen umfangreichen mentalen Thesaurus durchzugehen.
„Stubs, Anstoß, Vorstoß, Schubs, Schlag, Hieb, Stich, Ausfall, kurze Gerade …“, ratterte er herunter.
„Seine langsame, stetige kurze Gerade verwirrte ihr die Sinne …“, überlegte sie laut. „Klingt wie der Kommentator bei einem Boxkampf. Verdammt, wieso gibt es keine anständigen Synonyme für Stoß? Das ist der Fluch meines Lebens. Obwohl …“ Sie legte ihre Tastatur beiseite und wandte sich zum ersten Mal Zach zu. „Ich mag Männer mit einem großen Vokabular.“
Zach spannte sich an, als diese ungewöhnlich schöne Frau ihn anlächelte. Sie erhob sich und kam barfuß auf ihn zu.
„Ms Sutherlin“, sagte Zach und nahm die ihm dargebotene Hand. „Wie geht es Ihnen?“
Aufgrund ihrer geringen Körpergröße hatte er einen eher schwachen Händedruck erwartet. Aber sie packte seine Hand mit erstaunlich kräftigen Fingern.
„Herrlicher Akzent“, bemerkte sie. „Ist gar nichts mehr von dem alten Liverpooler übrig, kann das sein?“
„Wie ich sehe, haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht“, antwortete Zach. Ihm war unbehaglich zumute, weil sie mehr über ihn zu wissen schien als umgekehrt. Jetzt bereute er doch, ihre Vita so achtlos in den Papierkorb geworfen zu haben. „Aber nicht jeder, der in Liverpool geboren wurde, spricht wie ein kleiner Paul McCartney.“
„Was für eine Schande.“ Sie musterte ihn eindringlich und senkte ihre Stimme beinahe zu einem Flüstern. „Wirklich eine Schande.“
Zach zwang sich, ihr offen in die Augen zu schauen, und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan. Auf den ersten Blick schienen ihre Augen von einem tiefen Grün zu sein, aber dann blinzelte sie, und sie verwandelten sich in ein so tiefes Schwarz, dass jede Erinnerung an das Grün sofort ausgelöscht wurde. Er wusste, dass sie lediglich sein Gesicht anschaute, trotzdem fühlte er sich unter ihrem prüfenden Blick nackt, bloßgestellt. Sie kannte ihn. Er wusste es, und er spürte, dass auch sie es wusste.
Entschlossen, die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen, zog Zach seine Hand zurück.
„Ms Sutherlin …“
„Richtig. Die Arbeit.“ Sie kehrte an den Schreibtisch zurück. Zach blickte sich verstohlen in ihrem Büro um. Auch hier gab es Bücher, sogar noch mehr als im Wohnzimmer: Bücher und Notizbücher, stapelweise Papier und Aktenschränke aus dunklem Holz.
„Nur eine kurze Frage, Mr Easton“, sagte sie und ließ sich auf den Bürostuhl fallen. „Schämen Sie sich zufällig, Jude zu sein?“
„Entschuldigen Sie bitte?“, fragte Zach. Er war nicht ganz sicher, ob er die Frage richtig verstanden hatte.
„Nora, hör auf damit“, schalt Wesley sie sanft.
„Ich bin bloß neugierig“, sagte sie und winkte ab. „Sie nennen sich Zachary, aber Ihr richtiger Name lautet Zechariah. Wie der hebräische Prophet. Warum haben Sie ihn geändert?“
Die Frage war höchst persönlicher Natur und ging sie absolut nichts an, und doch spürte Zach, dass er geneigt war, ihr eine Antwort zu geben.
„Ich wurde seit dem Tag meiner Geburt Zach oder Zachary gerufen. Nur wenn ich offizielle Dokumente ausfülle, fällt mir wieder ein, dass mein richtiger Name Zechariah ist.“ Zach klang kühl und gleichgültig. Er wusste, er konnte hier nur gewinnen, wenn er ruhig blieb und nicht die angegriffene Reaktion zeigte, auf die sie so eindeutig aus war. „Und das Einzige, wofür ich mich im Moment schäme, ist dieser plötzliche Abstieg auf meiner Karriereleiter.“
Er hätte erwartet, dass sie das Gesicht verziehen, zusammenzucken oder eine streitlustige Antwort geben würde. Stattdessen lachte sie bloß.
„Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Setzen Sie sich, und erzählen Sie mir mehr über Ihren Abstieg.“
Vorsichtig setzte Zach sich in einen ramponierten Sessel mit Paisleybezug, der auf der anderen Seite ihres Schreibtisches stand. Er wollte gerade wie gewohnt die Beine übereinanderschlagen, erstarrte aber mitten in der Bewegung, weil sein Fuß gegen eine ungewöhnlich lange schwarze Reisetasche stieß, die auf dem Fußboden stand. Als er dagegenstieß, hörte er das unverkennbare Geräusch von Metall, das gegen Metall klickte.
„Ich muss zum Unterricht.“ Wesley schien mit einem Mal erpicht darauf, den Raum verlassen zu können. „Ist das in Ordnung?“
„Oh, ich bezweifle, dass Mr Easton mich in der Sekunde, in der du uns den Rücken kehrst, auf den Schreibtisch werfen und vergewaltigen wird.“ Sie zwinkerte Zach zu. „Leider.“
Wesley schüttelte in gespieltem Abscheu den Kopf und wandte sich zu Zach um. „Viel Glück, Mr Easton. Wenn Sie sich weiter unbeeindruckt geben, wird sie mit der Zeit ein wenig ruhiger.“
„Mich unbeeindruckt geben?“, fragte Zach. „Das wird mir nicht schwerfallen.“
Zach wartete, bis seine Worte bei allen Anwesenden angekommen waren. Er bemerkte, dass Wesley die Augen zusammenkniff, aber Nora schaute ihn nur unter dem dichten Schleier ihrer dunklen Wimpern an.
„Oh …“ Das klang fast wie ein Schnurren. „Ich mag ihn jetzt schon.“
„Gott stehe uns bei“, murmelte Wesley. Er verließ das Zimmer. Zach blickte ihm nach. Er war sich nicht ganz sicher, ob er mit dieser Frau allein sein wollte.
„Ihr Sohn, nehme ich an?“, fragte Zach, nachdem Wesley verschwunden war.
„Mein Praktikant. Oder so ähnlich. Er kocht, also schätze ich, dass ihn das eher zu einem Haushälter macht. Praktikant? Haushälter?“
„Diener“, bot Zach an, eine weitere Perle aus seinem reichen Wortschatz. „Und noch dazu ein sehr gut ausgebildeter, wie ich sehe.“
„Gut ausgebildet? Wesley? Er ist ganz fürchterlich ausgebildet. Ich kann ihm nicht einmal beibringen, mich zu ficken. Aber ich denke, Sie sind nicht den weiten Weg aus New York hierhergekommen, um mit mir über meinen Praktikanten zu sprechen, so anbetungswürdig er auch ist.“
„Stimmt, das bin ich nicht.“ Zach verstummte. Er wartete und beobachtete Nora Sutherlin. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete ihn mit diesen zermürbenden Augen.
„Nun gut …“, fing sie an. „Ich sehe, dass Sie mich nicht mögen. Was Ihren guten Frauengeschmack beweist. Und es zeigt, dass Sie einiges über mich gehört haben. Bin ich so, wie Sie es erwartet haben?“
Zach schaute sie einen Augenblick an. Die letzten drei Autoren, mit denen er gearbeitet hatte, waren allesamt Männer Ende fünfzig oder Anfang sechzig gewesen. Noch nie hatte er einen seiner Autoren im Pyjama gesehen. Und noch nie war ihm eine Autorin begegnet, die auf so unbequeme Art verführerisch war wie Nora Sutherlin.
„Sie sind kleiner.“
„Ich danke Gott für die Erfindung der Pumps. Und wie lautet nun Ihr Urteil? J. P. hat gesagt, er gibt Ihnen die absolute Kontrolle über das Buch und mich. Es ist schon ziemlich lange her, seit ich mich von einem Mann habe herumkommandieren lassen. Irgendwie fehlt es mir.“
„Das Urteil ist noch nicht gefällt.“
„Die Jury ist sich also uneins. Mir wäre es lieber, wenn das Verfahren wieder aufgenommen würde.“
„Sie sind sehr schlau.“
„Sie sind sehr attraktiv.“
Zach rutschte auf seinem Sessel herum. Er war es auch nicht gewohnt, dass seine Autoren mit ihm flirteten. Andererseits war sie noch nicht seine Autorin. „Das war kein Kompliment. Schläue ist die letzte Zuflucht des Amateurs. Ich suche in meinen Büchern nach Tiefe. Leidenschaft. Substanz.“
„Oh, ich bin sehr leidenschaftlich.“
„Sie dürfen Leidenschaft nicht mit Sex gleichsetzen. Ich gebe zu, Ihr Buch war interessant und nicht völliger Schund. An einer Stelle habe ich sogar ein Herz inmitten all des nackten Fleisches entdeckt.“
„Ich hör da ein kleines Aber.“
„Aber der Herzschlag war nur sehr schwach. Der Patient liegt eventuell schon im Sterben.“
Sie schaute ihn an und wandte dann den Kopf ab. Zach hatte diesen Blick schon früher gesehen – die Ankündigung einer Niederlage. Er hatte sie, wie er es sich vorgenommen hatte, vergrault. Insgeheim fragte er sich, warum ihn das nicht glücklich machte.
„Im Sterben …“ Sie schaute ihn wieder an. Ihre Augen schimmerten. „Bald ist Ostern – die Zeit der Wiederauferstehung.“
„Wiederauferstehung? Meinen Sie das ernst?“ Ihre Beharrlichkeit erstaunte Zach. „Ich verlasse die Ostküste in sechs Wochen und wechsle in das Büro in L. A. Sechs Wochen sind nicht annähernd genug Zeit, um mich mit einem Projekt zu befassen, das so viel Arbeit erfordert. Aber sechs Wochen sind alles, was wir haben.“
„Sie haben selbst gesagt, sechs Wochen sind nicht genug …“
„Aber diese sechs Wochen sind alles, was ich geben kann. Bringen Sie’s in diesen sechs Wochen in Ordnung, dann geht das Buch in Druck. Wenn nicht …“
„Wenn nicht, heißt es zurück in die Gosse für die Gossenschreiberin, richtig?“
Zach starrte sie verblüfft an.
„John Paul Bonner ist die größte Klatschtante, die es in der Verlagsbranche gibt, Mr Easton. Er hat mir erzählt, was Sie von mir halten. Er hat mir auch erzählt, Sie glauben, ich würde scheitern.“
„Dessen bin ich mir ziemlich sicher.“
„Wenn Sie mein Lektor werden, wird dieses Scheitern auch auf Sie zurückfallen.“
„Ich bin aber noch nicht Ihr Lektor. Ich habe noch nicht meine Zustimmung gegeben.“
„Aber das werden Sie. Also, wieso haben Sie aufgehört zu unterrichten?“
„Aufgehört zu unterrichten?“
„Sie waren doch Professor in Cambridge, oder nicht? Nicht schlecht, vor allem für jemanden, der noch so jung ist. Trotzdem haben Sie hingeschmissen.“
„Das ist zehn Jahre her.“ Er war erschrocken, wie viel sie über ihn wusste. Wie, zum Teufel, hatte sie von Cambridge erfahren?
„Aber warum …“
„Warum mein Leben auf Sie eine solche Faszination ausübt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“
„Ich bin eine Katze. Und Sie sind ein glänzendes Objekt.“
„Sie sind unerträglich.“
„Ja, nicht wahr? Man sollte mich mal ordentlich züchtigen.“ Sie seufzte. „Sie sind also ein ziemliches Arschloch. Nicht böse gemeint.“
„Und Sie sind etwas, das ich lieber nicht laut aussprechen möchte.“
„Ich würde Sie auffordern, es trotzdem zu sagen, aber ich habe Wesley versprochen, nicht mit Ihnen zu flirten. Ah, ich schweife ab. Erzählen Sie mir, was mit meinem Buch nicht stimmt. Und sprechen Sie langsam“, fügte sie grinsend hinzu.
„Sie haben eine sehr optimistische Einstellung in Bezug auf den bevorstehenden Lektoratsprozess. Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen erklärte, Sie müssten die zehn bis zwanzig Seiten aus dem Werk streichen, die Ihrer Meinung nach das lebendige, schlagende Herz Ihres Romans sind?“
Sie schwieg eine Minute lang. Ihre Augen wurden glasig, und sie schien sich an einem dunklen Ort zu verlieren. Er sah, wie sie langsam durch die Nase einatmete, den Atem anhielt und dann durch den Mund ausatmete. Sie richtete ihre unheimlichen grünen Augen auf ihn.
„Dann würde ich Ihnen sagen, dass ich schon einmal das lebendige, schlagende Herz aus meiner eigenen Brust geschnitten habe“, sagte sie. Ihre Stimme klang jetzt nicht mehr so flapsig wie bisher. „Ich habe diese Amputation überlebt. Dann werde ich das, was Sie von mir verlangen, wohl auch überstehen.“
„Darf ich fragen, warum Sie so wild darauf sind, mit mir zu arbeiten? Ich habe auch meine Arbeit gemacht, Ms Sutherlin. Sie haben eine fanatische Fangemeinde, die Ihre Telefonrechnung kaufen würde, wenn man sie als Hardcover herausbrächte, um sich darauf einen runterzuholen.“
„Ich bin auch in Französisch sehr gut.“
Zach biss die Zähne zusammen. Er spürte die ersten Anzeichen eines drohenden Kopfschmerzes. „Hat Ihr ‚Praktikant‘ nicht gesagt, Sie würden sich irgendwann beruhigen?“
„Mr Easton.“ Sie rollte mit dem Bürostuhl nach hinten und legte die Füße auf den Schreibtisch. „So bin ich, wenn ich ruhig bin.“
„Das habe ich befürchtet.“ Zach stand auf. Er wollte gehen.
„Dieses Buch“, fing sie wieder an und verstummte. Sie nahm die Füße vom Tisch und setzte sich mit gekreuzten Beinen auf ihren Stuhl. Plötzlich wirkte sie sehr ernst und zugleich schrecklich jung.
„Was ist damit?“
Sie senkte den Blick und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Es … bedeutet mir etwas. Es ist nicht noch so eine von meinen kleinen schmutzigen Geschichten. Ich bin zu Royal gekommen, weil ich bei diesem Buch alles richtig machen will.“ Sie hob den Kopf und schaute ihm genau in die Augen und sagte ohne jeden Anflug von Leichtfertigkeit oder Frohsinn: „Bitte. Ich brauche Ihre Hilfe.“
„Ich arbeite nur mit seriösen Autoren.“
„Ich bin keine seriöse Person. Das weiß ich. Aber ich bin eine ernsthafte Autorin. Schreiben ist eine von zwei Sachen auf dieser Welt, die ich sehr ernst nehme.“
„Und was ist die zweite?“
„Die katholische Kirche.“
„Ich denke, wir sind hier fertig.“
„Sie sind also gar kein richtiger Lektor“, neckte sie ihn, als er sich zum Gehen wandte. „Es ist noch viel zu früh für das Ende. Das weiß selbst ich, obwohl ich keine Lektorin bin.“
„Ms Sutherlin, Sie verbinden offenbar viele Emotionen mit diesem Buch. Das ist gut, um es zu schreiben, aber es schmerzt, ein Buch zu lektorieren, das man so sehr liebt.“
„Ich mag es, etwas zu machen, das wehtut.“ Sie schenkte ihm ein Schmunzeln, das ihn an die Grinsekatze denken ließ. „J. P. sagt, Sie sind der Beste. Ich glaube, er hat recht. Ich werde alles tun, was ich muss. Ich mache alles, was Sie verlangen. Ich werde Sie sogar anflehen, wenn es mich weiterbringt. Ich gehe vor Ihnen auf die Knie und bettle Sie an, wenn es Ihnen was bringt.“
„Ich gehe jetzt.“
„J. P. hat auch gesagt, man nennt Sie im Büro den Londoner Nebel“, sagte sie, als er ihr den Rücke zuwandte. „Liegt das an dem langen Mantel? An Ihrem Akzent oder an Ihrer Gabe, jedem Anflug von guter Laune einen Dämpfer zu verpassen?“
„Das zu entscheiden, überlasse ich ganz Ihnen.“
„Sagen Sie mir, was ich tun soll, und ich werde es tun“, rief sie.
Insgeheim bewunderte Zach ihre Beharrlichkeit. Allerdings konnte er nicht glauben, dass er wirklich in Erwägung zog, diese Sturheit zu belohnen.
„Ein Autor schreibt“, sagte er und drehte sich dann zu ihr um. „Schreiben Sie mir etwas. Irgendwas Gutes. Mir ist egal, wie lang es ist, und mir ist egal, worum es geht. Beeindrucken Sie mich einfach. Sie haben vierundzwanzig Stunden. Zeigen Sie mir, dass Sie unter Druck in der Lage sind, etwas zu erschaffen, und ich werde darüber nachdenken.“
„Sie wären überrascht, was ich alles unter Druck vermag“, erwiderte sie. Doch Zach hatte da so seine Zweifel. Der Hausboy, die Witze, das Flirten – nein, sie war keine seriöse Autorin. „Irgendwelche Vorschläge?“, fragte sie. Dieses Mal wirkte sie etwas ernster.
„Nicht in der ersten Person Singular, nicht im Präsenz. Keine Witze. Hören Sie auf, über das zu schreiben, was Sie kennen, und schreiben Sie über das, was Sie wissen wollen. Und“, er zeigte mit dem Finger auf sie, „ich will keinen Ihrer billigen Tricks lesen.“
Sie straffte die Schultern, als habe er endlich ihren wunden Punkt gefunden. „Ich versichere Ihnen, Mr Easton“, erwiderte sie in einem Tonfall, der ernst und tadelnd zugleich klang, „meine Tricks sind alles andere als billig.“
„Beweisen Sie es mir. Sie haben vierundzwanzig Stunden.“
Sie lehnte sich in dem Stuhl zurück und lächelte.
„Ich scheiß auf Ihre vierundzwanzig Stunden. Sie bekommen den Text schon heute Abend.“
3. KAPITEL
Betäubend.
Als Lektor zwang Zach seine Autoren oft, tief zu graben, das Offensichtliche beiseitezuschieben und das perfekte Wort für jeden Satz zu finden. Und das perfekte Wort für diese Buchpräsentation, die zu besuchen man ihn gezwungen hatte? Betäubend.
Zach durchquerte den Raum mit steifen Schritten und sagte kaum mehr als ein gelegentliches Hallo zu dem einen oder anderen bekannten Gesicht. Er war nur gekommen, weil J. P. ihm die Daumenschrauben angelegt hatte und Rose Evely – der Ehrengast – nun seit dreißig Jahren Autorin bei Royal House war. Was war das nur für eine lächerliche Feier. Jemand hatte die Lichter gedimmt, um eine Atmosphäre wie im Nachtclub zu schaffen, aber keine noch so geschickte Lichtspielerei würde aus dem banalen Bankettsaal des Hotels jemals etwas anderes machen als einen beigefarbenen Kasten. Er ging zu der Wendeltreppe in der Ecke des Raumes und schaute immer wieder auf die Uhr. Wenn er zwei Stunden auf dieser Feier überleben würde, reichte das vielleicht, um den sozialen Schmetterling, der sich sein Boss nannte, zu befriedigen.
Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen und sah seine achtundzwanzig Jahre alte Assistentin, die gerade versuchte, ihren frisch angetrauten Ehemann zu überreden, mit ihr zu tanzen. In seiner ersten Woche bei Royal hatte er mit freudiger Überraschung erfahren, dass seine temperamentvolle Assistentin genau wie er jüdisch war. Er hatte sie damit aufgezogen, noch nie zuvor eine Jüdin namens Mary kennengelernt zu haben, und nannte sie ab da seine Pseudoschickse. Mary nannte ihn trotz ihrer liebreizenden Schroffheit immer nur Boss.
J. P. stand mit Rose Evely zusammen. Beide waren seit Jahrzehnten glücklich mit ihren jeweiligen Ehepartnern verheiratet, aber das hielt J. P. nicht davon ab, mit jeder Frau zu flirten, die die Geduld hatte, seinen literarischen Ausschweifungen zuzuhören. Auf dieser miserablen Party schienen sich tatsächlich alle zu amüsieren. Warum konnte er das nicht?
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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