Das Narrenschiff - Sebastian Brant - E-Book

Das Narrenschiff E-Book

Sebastian Brant

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Beschreibung

Sebastian Brants im Jahr 1494 veröffentlichte Moralsatire "Das Narrenschiff" war das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation und begründete seinen Ruhm als Autor des deutschen Humanismus. In der spätmittelalterlichen Moralsatire werden mehr als 100 Narren vorgestellt, die sich auf einer Schiffsreise befinden mit Kurs auf das fiktive Land Narragonien.

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Seitenzahl: 309

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Inhaltsverzeichnis

Eine Vorrede zu dem Narrenschiff

Von unnützen Büchern

Von guten Räten

Von Habsucht

Von neuen Moden

Von alten Narren

Von rechter Kinderlehre

Von Zwietrachtstiftern

Gutem Rat nicht folgen

Von schlechten Sitten

Von wahrer Freundschaft

Verachtung der Heiligen Schrift

Von unbesonnenen Narren

Von Buhlschaft

Von Vermessenheit gegen Gott

Von törichtem Planen

Von Völlerei und Prassen

Von unnützem Reichtum

Vom Dienst zweier Herren

Von vielem Schwatzen

Vom Schätze finden

Vom Tadeln und Selbertun

Die Lehre der Weisheit

Von Überschätzung des Glücks

Von zu viel Sorge

Vom Borgen

Von unnützem Wünschen

Von unnützem Studieren

Von Wider=Gott=Reden

Von selbstgerechten Narren

Von vielen Pfründen

Vom Aufschubsuchen

Vom Frauenhüten

Vom Ehebruch

Narr heute wie gestern

Von leichtem Zürnen

Vom Eigensinn

Von Glückes Zufall

Von unfolgsamen Kranken

Von offenkundigen Anschlägen

An Narren Anstoß nehmen

Nicht auf alle Rede achten

Von Spottvögeln

Verachtung ewiger Freude

Lärm in der Kirche

Von mutwilligem Mißgeschick

Von der Narren Macht

Vom Weg der Seligkeit

Ein Gesellenschiff

Schlechtes Beispiel der Eltern

Von Wollust

Geheimnisse wahren

Freien des Geldes wegen

Von Neid und Haß

Tadel nicht dulden wollen

Von närrischer Arzneikunst

Vom Ende der Gewalt

Von Gottes Vorsehung

Seiner selbst vergessen

Von Undankbarkeit

Von Selbstgefälligkeit

Vom Tanzen

Von nächtlichem Hofieren

Von Bettlern

Von bösen Weibern

Von Beobachtung des Gestirns

Alle Länder erforschen wollen

Kein Narr sein wollen

Keinen Spaß verstehen

Ungestraft Böses tun wollen

Nicht beizeiten vorsorgen

Zanken und vor Gericht gehen

Von groben Narren

Vom Geistlichwerden

Von unnützem Jagen

Von schlechten Schützen

Von großem Rühmen

Von Spielern

Von niedergedrückten Narren

Reuter und Schreiber

Närrische Botschaft

Von Köchen und Kellermeistern

Von bäurischem Aufwand

Von Verachtung der Armut

Vom Beharren im Guten

Sich des Todes nicht versehen

Von Verachtung Gottes

Von Gotteslästerung

Von Plage und Strafe Gottes

Von törichtem Tausche

Ehre Vater und Mutter

Vom Schwätzen im Chor

Überhebung der Hoffart

Wucher und Aufkauf

Von Hoffnung auf Erbschaft

Von Verführung am Feiertage

Schenken und Bereuen

Von Trägheit und Faulheit

Von ausländischen Narren

Vom Verfall des Glaubens

Den falben Hengst streicheln

Vom Ohrenblasen

Von Fälscherei und Beschiß

Vom Antichrist

Wahrheit verschweigen

Verhinderung des Guten

Versäumnis guter Werke

Vom Lohn der Weisheit

Das Schlaraffenschiff

Mißachtung des Unheils

Verleumdung des Guten

110 a. Von schlechten Sitten bei Tische

110 b. Von Faßnachtnarren

Entschuldigung des Dichters

Der weise Mann

Verwahrung

Ende des Narrenschiffs

Eine Vorrede zu dem Narrenschiff

Zů nutz vnd heylsamer ler / vermanung

vnd ervolgung der wyßheit /

vernunfft vnd gůter sytten: Ouch zů

verachtung vnd straff der narheyt /

blintheyt yrrsal vnd dorheit / aller

ståt / vnd geschlecht der menschen: mit

besunderem flyß ernst vnd arbeyt / gesamlet

zů Basell: durch Sebastianum

Brant. in beyden rechten doctor.

Alle Lande sind jetzt voll heiliger Schrift

Und was der Seelen Heil betrifft:

Voll Bibeln, heiliger Väter Lehr

Und andrer ähnlicher Bücher mehr,

So viel, daß es mich wundert schon,

Weil niemand bessert sich davon.

Ja, Schrift und Lehre sind veracht't,

Es lebt die Welt in finstrer Nacht

Und tut in Sünden blind verharren;

Alle Gassen und Straßen sind voll Narren,

Die treiben Torheit an jedem Ort

Und wollen es doch nicht haben Wort.

Drum hab ich gedacht zu dieser Frist,

Wie ich der Narren Schiff' ausrüst:

Galeeren, Füst1, Krack2, Naue3, Bark,

Kiel, Weidling4, Hornach5, Rennschiff stark,

Auch Schlitten, Karre, Schiebkarr, Wagen:

Denn ein Schiff könnt nicht alle tragen,

So groß ist jetzt der Narren Zahl;

Ein Teil sucht Fuhrwerk überall,

Der stiebt herbei gleichwie die Immen,

Versucht es, zu dem Schiff zu schwimmen:

Ein jeder will der erste sein;

Viel Narren und Toren kommen drein,

Deren Bildnis ich hier hab gemacht.

Wär jemand, der die Schrift veracht't,

Oder einer, der sie nicht könnt lesen,

Der sieht im Bilde6 wohl sein Wesen

Und schaut in diesem, wer er ist,

Wem gleich er sei, was ihm gebrist.

Den Narrenspiegel ich dies nenne,

In dem ein jeder Narr sich kenne;

Wer jeder sei, wird dem vertraut,

Der in den Narrenspiegel schaut.

Wer sich recht spiegelt, der lernt wohl,

Daß er nicht weise sich achten soll,

Nicht von sich halten, was nicht ist,

Denn niemand lebt, dem nichts gebrist,

Noch der behaupten darf fürwahr,

Daß er sei weise und kein Narr.

Denn wer sich selbst als Narr eracht't,

Der ist zum Weisen bald gemacht,

Wer aber stets will weise sein,

Ist fatuus,7 der Gevatter mein,

Der sich zu mir recht übel stellt,

Wenn er dies Büchlein nicht behält.

Hier wird an Narren nicht gespart,

Ein jeder findet seine Art,

Und auch, wozu er sei geboren,

Warum so viele sind der Toren;

Welch hohes Ansehn Weisheit fand,

Wie sorgenvoll8 der Narren Stand.

Hier findet man der Welten Lauf,

Drum ist dies Büchlein gut zum Kauf.

Zu Scherz und Ernst und allem Spiel

Trifft man hier Narren, wie man will,

Ein Weiser sieht, was ihm behagt,

Ein Narr gern von den Brüdern sagt.

Hier hat man Toren, arm und reich,

Schlim schlem9, gleich findet gleich.

Ich schneidre Kappen manchem Mann,

Der meint, es gehe ihn nichts an10,

Hätt ich mit Namen ihn genannt,

Spräch er, ich hätt ihn nicht erkannt.

Doch hoff ich, daß die Weisen alle

Drin finden werden, was gefalle,

Und sagen dann mit Wissenheit11,

Daß ich gab recht und gut Bescheid.

Und da ich das von ihnen weiß,

Geb ich um Narren einen Schweiß12,

Sie müssen hören Wahrheit alle,

Ob ihnen es auch nicht gefalle.

Wiewohl Terentius13 saget, daß

Wer Wahrheit ausspricht, erntet Haß;

Und wer sich lange schneuzen tut,

Der wirft zuletzt von sich das Blut14;

Und wenn man coleram15 anregt,

So wird die Galle oft bewegt.

Darum beacht ich, was man spricht

Mit Worten hinterm Rücken, nicht,

Noch wenn man schmäht die gute Lehr:

Ich habe solcher Narren mehr,

Denen Weisheit nicht gefället wohl,

Von solchen ist dies Büchlein voll.

Doch bitt ich jeden, daß er mehr

Ansehn wolle Vernunft und Ehr

Als mich oder mein schwach Gedicht.

Ich hab fürwahr ohn Mühe nicht

So viele Narrn zu Hauf gebracht:

Gar oft hab ich gewacht die Nacht,

Die schliefen, deren ich gedacht,

Oder saßen vielleicht bei Spiel und Wein,

Wo sie wenig gedachten mein;

Ein Teil in Schlitten fuhr umher

Im Schnee, wo sie gefroren sehr;

Ein Teil trieb Kindereien16 just;

Die andern schätzten den Verlust,

Der sie desselben Tags betroffen,

Und welchen Gewinn sie könnten hoffen,

Oder wie sie morgen wollten lügen

Mit Geschwätz, verkaufen und manchen betrügen.

Um diesen nachzudenken allen,

Wie mir solch Art, Wort, Werk gefallen,

Hab ich, kein Wunder ists, gar oft

Gewacht, wann niemand es gehofft,

Damit man tadle nicht mein Werk17,

In diesen Spiegel sollen schauen

Die Menschen alle, Männer, Frauen;

Die einen mit den andern ich mein':

Die Männer sind nicht Narrn allein,

Man findet auch Närrinnen viel,

Denen ich Kopftuch, Schleier und Will18

Mit Narrenkappen hier bedecke.

Auch Mädchen19 haben Narrenröcke;

Sie wollen jetzt tragen offenbar,

Was sonst für Männer schändlich war:

Spitze Schuh' und ausgeschnittne Röcke,

Daß man den Milchmarkt nicht bedecke;

Sie wickeln viel Lappen in die Zöpfe

Und machen Hörner auf die Köpfe,

Als käm daher ein mächtger Stier;

Sie gehen umher wie die wilden Tier'.

Doch sollen ehrbare Frauen mir schenken

Verzeihung, denn ihrer will ich gedenken

Wie billig in keiner argen Art;

Den bösen aber sei nichts erspart,

Von denen man ein Teil hier find't,

Die auch im Narrenschiffe sind.

Darum mit Fleiß sich jeder suche,

Und findet er sich nicht im Buche,

So mag er sprechen, daß er sei

Der Kappe und des Kolbens20 frei.

Wer meint, daß ich ihn nicht berühre,

Geh zu den Weisen vor die Türe,

Gedulde sich, sei guter Dinge,

Bis ich 'ne Kappe von Frankfurt21 bringe!

1 Leichtes Rennschiff oder Kaperschiff, ital. fusta.

2 Lastschiff, franz. carrache.

3 Kleineres Lastschiff, lat. navis

4 Fischernachen

5 Wörtlich Schmutznachen: Baggerprahm

6 im molen: Gemeint sind die Holzschnitte, mit denen das Original ausgestattet ist.

7 Ein Narr (lat.): Wortspiel mit gfatter.

8 sörglich, d. h. sorgenerregend, bedenklich, gefährlich.

9 Aus lat. similis (quaerit) similem entstanden

10 Der sich des doch nit nymet an, d. h., der sich doch nicht darum bekümmert.

11 Aus Überzeugung und Erfahrung.

12 D. h. einen Dreck, gar nichts

13 Publius Terentius Afer, römischer Komödiendichter († 159 v. Chr.). Die Stelle: Andria I, 1, 41 ( veritas odium parit).

14 Sprüche Salomonis 30, 33

15 Zorn (lat.)

16uff kalbß füss gingen, d. h. kälberten wie die Kinder.

17 Do mit myn gdicht nit würd gestrofft (das Reimwort ist nicht übertragbar).

18 Besonders der Schleier (lat. velum) der Nonnen

19 Metzen, d. h. leichtfertige Mädchen (ohne den verächtlichen Nebensinn)

20 Insignien des Narren.

21 Von der Frankfurter Messe

1.

Von unnützen Büchern

Im Narrentanz voran ich gehe,

Da ich viel Bücher um mich sehe,

Die ich nicht lese und verstehe.

Daß ich im Schiffe vornan sitz,

Das hat fürwahr besondern Witz22;

Nicht ohne Ursache ist das:

Auf Bücher ich mich stets verlaß,

Von Büchern hab ich großen Hort,

Versteh ich selten auch ein Wort,

So halt ich sie doch hoch in Ehren:

Will ihnen gern die Fliegen wehren.

Wo man von Künsten23 reden tut,

Sprech ich: » Daheim hab ich sie gut!«

Denn es genügt schon meinem Sinn,

Wenn ich umringt von Büchern bin.

Von Ptolemäus24 wird erzählt,

Er hatte die Bücher der ganzen Welt

Und hielt das für den größten Schatz,

Doch manches füllte nur den Platz,

Er zog daraus sich keine Lehr.

Ich hab viel Bücher gleich wie er

Und lese doch nur wenig drin.

Zerbrechen sollt ich mir den Sinn,

Und mir mit Lernen machen Last?

Wer viel studiert, wird ein Phantast!

Ich gleiche sonst doch einem Herrn,

Kann zahlen einem, der für mich lern'!

Zwar hab ich einen groben Sinn,

Doch wenn ich bei Gelehrten bin,

So kann ich sprechen: »Ita! – So!«

Des deutschen Ordens bin ich froh,

Dieweil ich wenig kann Latein.

Ich weiß, daß vinum heißet »Wein«,

Gucklus ein Gauch25,

Und daß ich heiß': » domine doctor!«26

Die Ohren sind verborgen mir,

Sonst sah man bald des Müllers Tier.

22 Das hat worlich eyn sundren gryff, d. h., damit ist eine besondere Absicht verbunden. Eine ironische Anspielung Brants auf sich selbst, wie sie bereits von den Zeitgenossen (Murner, Dedekind) vermutet wurde, liegt hier schwerlich vor; gemeint ist offenbar die auch sonst mit Sorge betrachtete Ausbreitung der Buchdruckerkunst, die dem Büchernarren eine besonders aktuelle Rolle zuweist.

23 D. h. Wissenschaften.

24 König Ptolemäus II. Philadelphus († 246 v. Chr.) war Hauptgründer und Förderer der berühmten alexandrinischen Bibliothek.

25 Lat. cuculus, urspr. Kuckuck. – stultus ein Tor

26 Begrüßungsformel: mein Herr Doktor

2.

Wer sich auf Macht im Rate stützt

Und dem Wind folgt, der grade nützt,

Der stößt die Sau zum Kessel itzt27.

Von guten Räten

Viel sind, die trachten früh und spat,

Wie sie bald kommen in den Rat,

Die doch vom Rechte nichts verstehn

Und blindlings an den Wänden gehn.

Den guten Chusi28 man begrub,

Zum Rat man Achitophel hub.

Wer richten soll und raten schlecht29,

Der rat und stimm allein nach Recht,

Auf daß er nicht ein Zaunpfahl bleibe,

Der nur die Sau zum Kessel treibe.

Fürwahr, sag ich, es hat nicht Fug30:

Es ist mit Raten nicht genug,

Womit verkürzet wird das Rechte;

Das Bessere billig man bedächte

Und forschte nach, was man nicht weiß.

Denn wird verdreht des Rechts Geleis,

So stehst du wehrlos da vor Gott31,

Und glaube mir, das ist kein Spott!32

Wenn jeder wüßt, was folgt darnach,

War er im Urteil nicht so jach;33

Denn mit dem Maß wird jedermann

Gemessen, wie er hat getan.

Wie du mich richtest und ich dich,

So wird Gott richten dich und mich.34

Ein jeder wart' in seinem Grab

Des Urteils, das er selbst einst gab,

Und wer damit das Recht verletzt,

Dem ist auch schon die Frist gesetzt,

Wo er ein kräftig Urteil find't:

Es fällt der Stein ihm auf den Grind!

Wer hier nicht hält Gerechtigkeit,

Dem droht sie dort mit Härtigkeit:

Denn weder Weisheit, Einsicht, Rat,

Noch Macht vor Gott Bestehen hat.35

27 Die Bedeutung ist umstritten: der will sich durch seine Unredlichkeit einen fetten Braten verdienen, oder: der wird zum bloßen Werkzeug anderer, die den Vorteil haben (darauf deuten V. 9 u. 10). Nach Geilers Auslegung: der schindet die armen Leute

28 Samuel 15-17: Chusai ist der getreue Späher Davids gegen Absalom, Achitophel. Der abtrünnige Ratgeber, der ein schmähliches Ende findet.

29 Schlicht, aufrichtig.

30 Es ist nicht in Ordnung

31 So hast kein wörwort gegen got, d. h. keine Rechtfertigung, Entschuldigung

32 Kein Scherz.

33 Eilig, geschwind.

34 Matthäus 7, 2.

35 Sprüche Salomonis 21, 30

3.

Von Habsucht

Wer setzt die Lust in zeitlich Gut,

Sucht darin Freud und guten Mut,

Der ist ein Narr mit Fleisch und Blut.

Der ist ein Narr, wer sammelt Gut

Und hat nicht Freud noch frohen Mut

Und weiß nicht, wem er solches spart,

Wenn er zum finstern Keller36 fahrt.

Ein größrer Narr ist, wer vertut

Mit Üppigkeit und leichtem Mut

Das, was ihm Gott gab als das Seine,

Darin er Schaffner37 ist alleine,

Wovon er Rechnung geben muß,

Die mehr einst gilt als Hand und Fuß38.

Ein Narr läßt seinen Freunden viel,

Die Seele er nicht versorgen will;

Er fürchtet Mangel in der Zeit

Und sorgt nicht für die Ewigkeit.

O armer Narr, wie bist du blind:

Die Räude scheust du – findst den Grind!

Ein andrer sündigem Gut nachrennt,

Wofür er in der Hölle brennt:

Das achten seine Erben klein,

Sie helfen nicht mit einem Stein,

Sie spendeten kaum ein einzig Pfund39,

Und läg er tief im Höllengrund.

Gib, da du lebst, zu Gottes Ehr,

Nach deinem Tod wird ein andrer Herr.

Ein Weiser hat noch nie begehrt

Nach Reichtum hier auf dieser Erd,

Wohl aber, daß er selbst sich kenne:

Den Weisen mehr als reich du nenne!

Zuletzt geschah's, daß Crassus40 trank

Das Gold, wonach ihn dürstet' lang;

Doch Crates41 warf sein Geld ins Meer,

Das hindert' ihn beim Lernen sehr.

Wer sammelt, was vergänglich ist,

Begräbt seine Seele in Kot und Mist.

36 D. h. ins Grab.

37 Verwalter.

38 Anspielung auf die Strafe des Abhauens von Hand und Fuß.

40 Die Parther sollen dem nach Gold unersättlichen Crassus, der bei Karrhä 53 v. Chr. besiegt wurde, geschmolzenes Gold in den Mund gegossen haben.

41 Ein thebanischer Philosoph, Schüler des Diogenes, der sich auf dem Wege nach Athen seines Reichtums entledigte. Beide Exempla entnahm Brant dem Corpus iuris canonici

4.

Von neuen Moden

Wer neue Moden42 bringt durchs Land,

Der gibt viel Ärgernis und Schand

Und hält den Narren bei der Hand.

Was vormals war ein schändlich Ding43,

Das schätzt man schlicht jetzt und gering:

Sonst trug mit Ehren man den Bart,

Jetzt lernen Männer Weiberart

Und schmieren sich mit Affenschmalz44

Und lassen am entblößten Hals

Viel Ring' und goldne Ketten sehn,

Als sollten sie vor Lienhart45 stehn.

Mit Schwefel und Harz pufft man das Haar

Und schlägt darein dann Eierklar46,

Daß es im Schüsselkorb47 werd' kraus.

Der hängt den Kopf zum Fenster 'raus,

Der bleicht das Haar mit Sonn' und Feuer,

Darunter sind die Läus nicht teuer.

Die können es jetzt wohl aushalten,

Denn alle Kleider sind voll Falten:

Rock, Mantel, Hemd und Tuch dazu,

Pantoffeln, Stiefel, Hosen, Schuh',

Pelzkragen48, Mäntel, Besatz daran:

Der Juden Brauch fängt wieder an49.

Vor einer Mode die andre weicht,

Das zeigt, wie unser Sinn ist leicht

Und wandelbar zu aller Schande,

Und wieviel Neuerung ist im Lande,

Mit schändlich kurz geschnittnen Röcken,

Die kaum den Nabel mehr bedecken!

Pfui Schande deutscher Nation,

Daß man entblößt, der Zucht zum Hohn,

Und zeigt, was die Natur verhehlt!

Drum ist es leider schlecht bestellt

Und hat wohl bald noch schlimmern Stand.

Weh dem, der Ursach gibt zur Schand!

Weh dem, der solcher Schand nicht wehrt50:

Ihm wird ein böser Lohn beschert!

42 nüw fünd, d. h. neue Funde, Neuerungen, Moden.

43 Anspielung auf 2. Samuel 10, 4

44 D. h. schminken und pflegen sich wie die Affen. Vgl. Kap. 14.

45 Dem heiligen Leonhard, als Schutzpatron der Gefangenen, wurden die Ketten der Befreiten dargebracht.

46 Eiweiß

47 Ein flacher Korb, den man auf das Haar drückte, um es wellig zu machen.

48 wild kappen: es ist nicht ganz klar, ob Pelzwerk gemeint ist oder wilde, d. h. sonderbare, fremdartige, nach Arncke spanische Mäntel. Die nd. Übersetzung bringt kappen an den antel, es ist also an eine Art Mantelhaube gedacht. Der Besatz umblouff) war meist aus Fellen gearbeitet.

49 Die Juden trugen lange, faltige Kaftane.

50nit strofft: offenbar ist an ein Einschreiten der Obrigkeit gedacht.

5.

Schon steh ich an der Grube dicht,

Im Arsch das Schindermesser sticht51,

Doch – meine Narrheit laß ich nicht!

Von alten Narren

»Die Narrheit läßt mich nicht sein greis;

Ich bin sehr alt, doch ganz unweis,

Ein böses Kind von hundert Jahren,

Zeig dem die Schellen, der unerfahren,

Den Kindern geb ich Regiment52

Und mach mir selbst ein Testament,

Das wird nach meinem Tod mir leid.

Mit schlechtem Beispiel und Bescheid

Treib ich, was meine Jugend lernte;

Daß meine Schlechtigkeit Ehre ernte,

Wünsch ich und rühm mich dreist der Schande,

Wie ich beschissen53 alle Lande

Und hab gemacht viel Wasser trübe54;

Im Schlechten ich mich allzeit übe,

Es tut mir leid, daß ichs nicht mehr

Vollbringen kann so wie vorher.

Doch was ich jetzt nicht mehr kann treiben,

Soll meinem Heinz empfohlen bleiben;

Mein Sohn wird tun, was ich gespart,

Er schlägt mir nach wohl in der Art;

Es stehet ihm recht stattlich an,

Und lebt er, wird aus ihm ein Mann.

Er sei mein Sohn, muß man einst sagen;

Dem Schelme wird er Rechnung tragen

Und wird in keinem Ding sich sparen

Und in dem Narrenschiff auch fahren!

Es soll mich noch im Grab ergötzen,

Daß er mich wird so ganz ersetzen!« –

Nach solchem jetzt das Alter trachtet,

Die Weisheit es gar nicht mehr achtet.

Susannens Richter55 zeigten wohl,

Was man dem Alter zutraun soll:

Ein alter Narr der Seel nicht schont;

Der tut schwer recht, wers nicht gewohnt.

51 das schyntmesser jm ars han, sprichwörtlich für: mit einem Fuß im Grabe stehen.

52 Lehre, Anleitung.

53 Der übliche Ausdruck für betrügen, anführen.

54 D. h. Verwirrung, Unheil gestiftet.

55 Daniel Kap. 13: Um die schöne und tugendhafte Susanna buhlten zwei alte Richter; von ihr abgewiesen, verurteilten sie die Frau auf Grund falscher Anschuldigungen zum Tode.

6.

Wer seinen Kindern übersieht

Mutwillen und sie nicht erzieht,

Dem selbst zuletzt viel Leid geschieht.

Von rechter Kinderlehre

Der ist vor Narrheit wohl ganz blind,

Wer nicht drauf achtet, daß sein Kind

In guter Zucht man unterweist,

Und sich insonderheit befleißt,

Daß er sie irrgehn läßt ohn Strafe,

Wie ohne Hirten gehn die Schafe;

Der ihrem Übermut nicht wehrt

Und sie zu strafen nicht begehrt,

Dieweil er meint, sie sei'n zu jung,

Es hafte nicht Erinnerung

In ihrem Ohr, nicht Straf noch Lehre. –

O großer Tor, merk auf und höre:

Der Jugend ist nichts zu geringe56,

Sie merket wohl auf alle Dinge.

Der neue Topf hält vom Gericht

Geschmack und Duft und läßt ihn nicht.

Ein junger Zweig sich dreht und schmiegt,

Doch wenn man einen alten biegt,

So kracht und bricht er bald entzwei.

Gerechte Straf bringt kein Geschrei,

Der Rute Zucht vertreibt ohn Schmerzen

Die Narrheit aus des Kindes Herzen57.

Ohn Strafe selten man belehrt,

Das Übel wächst, dem man nicht wehrt.

Heli war brav und lebte rein,

Doch straft' er nicht die Kinder sein,

Drum straft' ihn Gott, daß er mit Klage

Samt ihnen starb an einem Tage58.

Weil man der Kinder Zucht nicht will,

Drum trifft man Catilinen59 viel.

Es stände besser um manches Kind,

Gäb man ihm Lehrer wohlgesinnt,

Wie Phönix60, den einst aufgesucht

Peleus zu des Achilles Zucht.

Philipp durchsuchte Griechenland,

Bis er dem Sohn den Meister fand:

Dem größten König61 in der Welt

Ward Aristoteles zugesellt,

Der hörte Plato manches Jahr,

Dem Sokrates einst Lehrer war.

Jedoch die Väter unsrer Zeit,

Die gehen blind vor Geiz so weit

Und nehmen solchen Lehrer schon,

Der ihnen zum Narren macht den Sohn

Und schickt ihn wieder heim nach Haus

Halb närrischer, als er kam daraus.

Drum ist zu wundern nichts daran,

Wenn närrische Kinder ein Narr gewann.

Der alte Crates62 sprach, wenn ihm

Es zuständ, wollt mit lauter Stimm'

Er schreien: Narren unbedacht!

Aufs Gütersammeln habt ihr acht

Und achtet nicht auf euer Kind,

Für das ihr doch auf Reichtum sinnt.

Aber euch wird zuletzt der Lohn,

Wenn in den Rat soll gehn der Sohn

Und dort auf Zucht und Ehren achten,

Dann wird nach solchem Ding er trachten,

Wie man's von Kind an ihn gelehrt;

Dann wird des Vaters Leid gemehrt,

Der sich verzehrt, weil er ohn Nutzen

Erzogen einen Winterbutzen63.

Die einen gehn zu der Buben Rott'

Und lästern dort und schmähen Gott;

Die andern hängen sich an Säcke64,

Die dritten verspielen Roß und Röcke;

Die vierten prassen Tag und Nacht.

Das wird aus solchen Kindern gemacht,

Die man nicht in der Jugend zieht,

Mit einem Lehrmeister wohl versieht.

Denn Anfang, Mittel, Schluß der Ehre

Entspringt allein aus guter Lehre.

Ein löblich Ding ist adlig sein,

Doch ist es fremd65 und ist nicht dein:

Es kommt von deinem Elternpaar;

Ein köstlich Ding ist Reichtum gar,

Aber er ist des Glücks Zufall, Das auf und ab tanzt wie ein Ball;

Der Ruhm der Welt sich schön anläßt:

Doch schwankt er und ist voll Gebrest;

Ein schöner Leib steht hoch in Acht

Und währt doch kaum bis über Nacht;

So ist Gesundheit uns sehr lieb

Und stiehlt sich weg doch wie ein Dieb;

Der Stärke Größe, die man schätzt,

Schwindet vor Krankheit und Alter zuletzt:

Darum ist nichts unsterblich mehr

Und unvergänglich, als gute Lehr.

Gorgias66 fragte, ob glücklich wär

Zu preisen Persiens mächtiger Herr?

Sprach Sokrates: »Ich weiß noch nicht,

Ob er gelernt der Tugend Pflicht!«

Als wollt er sagen, daß Macht und Gold

Ohne Tugendlehre nichts gelten sollt.

56 Die jugent ist zuo bhalten gering, d. h. eigentlich: mit dem Lernen schnell bei der Hand, nimmt schnell auf.

57 Sprüche Salomonis 22,15.

58 Samuel 2, 12 – 4, 18: Der Priester Eli starb bei der Nachricht, daß seine mißratenen Söhne mit der Bundeslade in die Hände der Philister gefallen und getötet worden seien.

59 Catilina war Urheber der Verschwörung in Rom 63 v. Chr., gegen die Cicero auftrat. Hier wie Kap. 49 als Beispiel der Auflehnung gegen Ordnung und Gesetz genannt.

60 Phönix war nach Homer der Lehrer und Ratgeber des Achilles; hier nach Plutarch, De educatione 7, 3. Aus dem gleichen Werk stammen auch die folgenden Exempla.

61 Alexander dem Großen

62 Wieder nach Plutarch 7, 13.

63 Unhold, Kobold, Schreckscheuche (noch heute spricht man vom Butzemann). wintterbutz meint wohl ein Popanz, wie er beim Winteraustreiben eine Rolle spielte

64 Liederliche Personen, Huren.

65frömbd in der Bedeutung von: nicht eigen, einem andern gehörend.

66 Ein griechischer Sophist, in Platons gleichnamigem Dialog Gesprächspartner des Sokrates. Hier wieder nach Plutarch, Kap. 8, ebenso die vorangehenden Verse.

7.

Von Zwietrachtstiftern

Wer zwischen Stein und Stein sich legt

Und viel Leut auf der Zunge trägt,

Den Trübsal bald und Schaden schlägt.

Gar mancher hat viel Freude dran,

Daß er verwirren jedermann

Und bürsten kann dies Haar auf das,

Daraus dann Feindschaft wächst und Haß.

Mit Afterrede und Lügen groß

Gibt er gar manchem einen Stoß,

Den der erst lang nachher empfindet,

Wenn aus der Freundschaft Haß sich zündet;

Und daß ers wohl besiegeln möge,

Lugt er, wieviel er noch zulege,

Und will es nur beichtweise67 sagen,

Um nicht Verweis davonzutragen;

Ja, unter der Rose68 – beteuert er –

Es dir ans Herz geleget wär,

Und meint, damit gefall er wohl.

Die Welt ist solcher Zwietracht voll,

Daß man einen auf der Zunge tragen

Kann weiter als im Hängewagen69.

Wie Chore70 tat und Absalon71,

Die wünschten Anhang sich und Kron'

Und holten sich nur Schimpf und Schande.

Ein Alchymus72 in jedem Lande

Die Freunde entzweit, mit Lügen umringt

Und die Finger zwischen die Angeln bringt;

Die werden oft geklemmt davon,

Wie dem, der wollt empfangen Lohn,

Dieweil er Saul erschlagen hätt73,

Und denen, so schlugen Isboseth74.

Wie der auch zwischen Mühlsteinen liegt,

Der stets an Zwietracht sich vergnügt.

Man sieht ihm an den Gebärden an,

Welch Worte das sind und welch ein Mann:

Verbirgt man den Narren hinter der Tür,

Er streckt die Ohren doch herfür.

67 D. h. unter dem Siegel der Verschwiegenheit.

68 Lat. sub rosa. Man pflegte im Altertum bei Gastmählern eine Rose als Zeichen der Verschwiegenheit über den Gästen aufzuhängen.

69 In der Kutsche, die in Federn hängt.

70 4. Mose 16: Korahs Aufruhr gegen Moses (die Schreibweise der Namen folgt dem lat. Text der Vulgata, die Brant benutzte

71 2. Samuel 15: Absaloms Aufruhr gegen David.

72 1. Makkabäer 7, 5ff.: Der abtrünnige Alcimus verriet Israel, starb dann aber unter großen Schmerzen am Schlag

73 2. Samuel, 1, 1-16: David ließ den Amalekiterjüngling töten, der in der Hoffnung auf Belohnung vorgab, daß er Saul auf dessen Bitte hin erschlagen hätte.

74 2. Samuel 4: Die Mörder Isboseths ließ David ebenfalls töten, unter Hinweis auf die Strafe des Amalekiters, der die Nachricht von Sauls Tod überbracht hatte.

8.

Gutem Rat nicht folgen

Wer nicht kann sprechen ja und nein

Und pflegen Rat um groß und klein,

Der trag den Schaden ganz allein.

Der ist ein Narr, der weis will sein

Und hält nicht Glimpf75 noch Maße ein,

Und wenn er Weisheit pflegen will,

So ist ein Gauch sein Federspiel76,

Viel sind mit Worten weis und klug

Und ziehen doch den Narrenpflug.

Das macht, weil sie zu jeder Zeit

Für klug sich halten und gescheit,

Und achten nicht auf fremden Rat,

Bis ihnen sich das Unglück naht.

Tobias77 stets den Sohn belehrt,

Daß er an weisen Rat sich kehrt;

Man riet der Hausfrau Lots78 wohl gut,

Doch voll Verachtung war ihr Mut,

Drum ward von Gott sie heimgesucht

Und ward zur Säule auf der Flucht.

Rehabeam79 nicht folgen wollte

Den alten Weisen, wie er sollte;

Den Narren folgt' er, da verlor

Er Stämme zehn und blieb ein Tor.

Hätt Nebukadnezar80 auf Daniel gehört,

Er wäre nicht in ein Tier verkehrt;

Und Makkabäus, der stärkste Mann,

Der großer Taten Ruhm gewann,

Hätt Jorams Rat81 er zu Herzen genommen,

Er wäre nicht ums Leben gekommen.

Wer allzeit folgt seinem eignen Haupt

Und gutem Rat nicht folgt und glaubt,

Der lässet Glück und Heil beiseit

Und will verderben vor der Zeit!

Drum Freundes Rat niemand veracht',

Wo Räte viel – dort Glück und Macht82.

Achitophel sich selbst getötet hat,

Weil Saul nicht folgte seinem Rat83.

75 Angemessenes Betragen.

76 D. h., er schickt statt eines Falken einen Kuckuck auf die Jagd. Vgl. Kap. 1.

77 Tobias 4, 19.

78 1. Mose 19, 26.

79 1. Könige 12, 8 ff.

80 Daniel 4, 24-30.

81 1. Makkabäer 9, 1-18. Da Joram hier nicht als Urheber des Rates genannt wird, muß Brant noch eine andere Vorlage gehabt haben.

82 Sprüche Salomonis 11, 14.

83 2. Samuel 17, 1–23: statt Saul muß es Absalom heißen, wohl ein Gedächtnisfehler

9.

Wer schlecht an Sitte und Gebärde

Und guckt, wo er zum Narren werde,

Der schleift die Kappe an der Erde.

Von schlechten Sitten

Viel gehn in Schauben84 stolz daher

Und werfen den Kopf bald hin, bald her,

Dann hin zu Tal, dann auf zu Berg,

Dann hinter sich, dann überzwerch85,

Bald gehn sie rasch, dann sehr gemach;

Das zeigt als Zeichen und Ursach,

Daß sie leichtfertig von Gemüte,

Wovor man sich gar billig hüte.

Wer klug nach guter Sitte späht,

Dem auch sein Wesen wohl ansteht,

Und was er auch beginnt und tut,

Das dünket jeden Weisen gut.

Die echte Weisheit fängt an mit Scham,

Ist züchtig, still und friedesam,

Es ist bei ihr dem Guten wohl,

Drum füllt sie Gott der Gnaden voll86.

Viel besser hat man gute Gebärde87,

Denn allen Reichtum auf der Erde,

Weil aus den Sitten man bald entnimmt,

Wie einer im Herzen ist gestimmt.

Gar mancher der Sitten wenig schont,

Das macht, sie sind ihm ungewohnt,

Er ist erzogen nicht dazu,

Drum hat er Sitten wie eine Kuh.

Die beste Zierde, der höchste Nam',

Sind gute Sitten, Zucht und Scham.

Noah wohl guter Sitten pflag,

Doch schlug ihm Ham, sein Sohn, nicht nach88.

Wer einen weisen Sohn gebärt,

Den man Vernunft, Sitt', Weisheit lehrt,

Der danke Gott doch früh und spat,

Der ihn mit Gnade versehen hat.

In des Vaters Nase biß Albin89,

Weil der ihn nicht besser ließ erziehn.

84 Lange, vorn offene Mäntel, wie auf dem Holzschnitt dargestellt.

85 In die Quere, seitwärts.

86 Jakobus 3, 17

87 D.h. gutes Betragen, das bei Brant als Zeichen der inneren Gesinnung gilt

88 1. Mose 9, 22

89 Nach einer alten Erzählung, die als Variante einer Fabel des Äsop auch in den Schwänken des 16. Jh. überliefert ist, biß ein Sohn, als er unter dem Galgen stand, dem Vater, der ihn schlecht erzogen, die Nase ab. Bei Brant drastischer: Syns vatters nase Albinus aß, das er jn nit hatt gzogen baß.

10.

Von wahrer Freundschaft

Wer Gewalt und Unrecht einem Mann

Antut, der Leid ihm nie getan,

Da stoßen sich zehn andre dran90.

Der ist ein Narr mit töricht Blut,

Der einem Menschen Unrecht tut,

Weil er dadurch gar manchem dräut,

Der sich dann seines Unglücks freut.

Wer seinem Freunde Böses tut,

Der all sein Hoffen, Vertrauen und Mut91

Allein gesetzet hat auf ihn,

Der ist ein Narr und ohne Sinn. –

Es gibt nicht mehr ein Freundespaar,

Wie Jonathan und David92 war,

Patroklus und Achill93 dabei,

Orest und Pylades94, die zwei,

Wie Demades und Pythias95 gar

Oder der Schildknecht Saulis96 war,

Wie Scipio, Laelius97, die beiden.

Wo Geld gebricht, muß Freundschaft scheiden;

Die Nächstenliebe so weit nicht geht,

Wie im Gesetz98 geschrieben steht:

Der Eigennutz vertreibt das Recht,

Die Freundschaft, Liebe, Sippschaft, Geschlecht;

Es lebt jetzt keiner Moses gleich,

An Nächstenliebe wie dieser reich99,

Oder wie Nehemias

Und mit ihm der fromme Tobias100.

Wem nicht Gemeinnutz so viel wert

Wie Eigennutz, den er begehrt,

Den halt ich für einen närrischen Gauch:

Denn was gemeinsam, ist eigen auch.

Doch Kain lebt jetzt in jedem Stand,

Dem leid ist, wenn Glück Abel fand101.

Es gehen Freunde in der Not

Wohl vierundzwanzig auf ein Lot,

Und die am besten wollen sein,

Gehn sieben auf ein Quentelein.

90 Sprichwörtlich: Das lassen sich noch zehn andere zur Warnung dienen.

91 D.h. Zuversicht.

92 1. Samuel 18 u. 20.

93 Patroklus, der treue Freund und Waffengefährte Achills, wurde vor Troja von Hektor getötet; Achilles rächte seinen Tod.

94 Orest und Pylades befreiten gemeinsam Iphigenie, die Schwester des Orest.

95 Damon und Phintias aus Syrakus: die Geschichte ihrer Freundestreue ist aus Schillers »Bürgschaft« bekannt

96 1. Samuel 31, 5: Dieser weigerte sich, Hand an Saul zu legen, folgte ihm dann aber freiwillig in den Tod.

97 Cornelius Scipio Africanus, römischer Feldherr und Politiker († 183 v.Chr.), und sein Landsmann Laelius: beide wurden als Freundespaar sprichwörtlich.

98 gsatz, bezieht sich auf Matthäus 22, 39.

99 Vgl. 3. Mose 19, 18.

100 2. Esra 1 ff.; Tobias 1, 15 ff.: Nehemia wird genannt wegen seiner Tätigkeit für die Wiederherstellung Jerusalems, Tobias wegen seiner aufopfernden Hilfe, die er den Verbannten leistete.

101 1. Mose 4, 3–5.

11.

Verachtung der Heiligen Schrift

Wer jedem Narren glauben will,

Da man doch hört von Schrift so viel,

Der schickt sich wohl ins Narrenspiel.

Der ist ein Narr, der nicht der Schrift

Will glauben, die das Heil betrifft,

Und meint, daß er zu Recht so lebe,

Als ob's nicht Gott noch Hölle gebe,

Verachtend Predigt sowie Lehre,

Als ob er gar nicht säh noch höre. –

Stünd einer von den Toten auf,

Man liefe hundert Meilen drauf,

Damit man hörte neue Märe,

Welch Wesen in der Hölle wäre;

Ob viele Leut dort führen ein,

Ob man auch zapfte neuen Wein

Und ander ähnlich Affenspiel.

Nun hat man doch der Schrift so viel

Vom Alten und vom Neuen Bund,

Kein ander Zeugnis zu der Stund

Braucht man, noch Kapell und Klausen

Des Sackpfeifers von Nickelshausen102.

Denn Gott spricht nach der Wahrheit sein:

»Wer hier gesündigt, hat dort Pein,

Und wer sich hier zur Weisheit kehrt,

Der wird in Ewigkeit geehrt.«

Gott gab, das leidet Zweifel nicht,

Gehör dem Ohr, dem Auge Licht;

Drum ist erblindet und ertaubt,

Der nicht hört Weisheit und ihr glaubt

Und lauscht auf neue Mär und Sage.

Ich fürcht, es kommen bald die Tage,

Daß man mehr neuer Mär werd inne,

Als uns gefall und sei nach Sinne.

Jeremias schrie und hat gelehrt

Und ward von niemand doch gehört,

Desgleichen andre Weise mehr,

Drum kam viel Plage hinterher103.

102 In dem Dorfe Niklashausen an der Tauber war 1476 ein Hirte namens Hans Böhme, der »Sackpfeifer« oder »Pauker« genannt, mit der Versicherung aufgetreten, die Jungfrau Maria sei ihm erschienen. Er hatte großen Zulauf unter der Landbevölkerung und predigte nicht nur vom Zorn Gottes und seiner besonderen Gnade für das kleine Taubertal, sondern prophezeite auch eine Umwälzung der sozialen Ordnung. Als er schließlich zu einer bewaffneten Versammlung aufrief, wurde er auf Anordnung des Bischofs von Würzburg festgenommen und mit einigen seiner Anhänger verbrannt.

103 Hinweis auf die Zerstörung Jerusalems und die babylonische Gefangenschaft

12.

Von unbesonnenen Narren

Wer nicht erst gürtet104 vor dem Reiten,

Nicht weise Vorsicht übt beizeiten,

Des spottet man, fällt er zur Seiten.

Der ist mit Narrheit wohl geeint,

Wer spricht: »Das hätt ich nicht gemeint!«

Denn wer bedenkt all Ding beizeiten,

Der sattelt wohl, eh er will reiten.

Wer sich bedenkt erst nach der Tat,

Des Überlegung kommt meist zu spat;

Wer in der Tat sich raten kann,

Muß sein ein wohlerfahrner Mann,

Oder es haben's ihn Frauen gelehrt,

Die solchen Rats sind hochgeehrt.

Hätt Adam zuvor bedacht sich baß105,

Bevor er von dem Apfel aß,

Er wär nicht um den kleinen Biß

Gestoßen aus dem Paradies.

Hätt Jonathas106 sich recht bedacht,

Er hätt die Gaben wohl veracht't,

Die Tryphon ihm in Falschheit bot

Und ihn darnach erschlug zu Tod.

Guten Anschlag wußte alle Zeit

Der Kaiser Julius107 in dem Streit,

Doch, als er hatte Fried und Glück,

Versäumte er ein kleines Stück,

Daß er den Brief nicht las zur Hand108,

Den man zur Warnung ihm gesandt.

Nikanor überschlug gering109,

Verkaufte das Wildbret, eh ers fing,

Drum ging sein Anschlag fehl genug:

Zung, Hand und Haupt man ab ihm schlug110.

Ein weiser Plan allzeit gut paßt,

Wohl dem, der ihn beizeiten faßt.

Gar mancher eilt und kommt zu spät,

Der stößt sich bald, der zu rasch geht.

Asahel, einst als schnell bekannt,

Sank hin, durchbohrt von Abners Hand111.

104 Den Sattelgurt befestigt

105 Besser.

106 1. Makkabäer 12, 43ff.: Tryphon fürchtete, daß der Hohepriester Jonathas sich gegen seinen geplanten Feldzug stellen könnte, er empfing ihn daher freundlich, überreichte ihm Geschenke und überredete ihn, ohne seine Streitmacht weiterzuziehen, woraufhin er ihn gefangennehmen und töten, ließ

107 Julius Cäsar.

108 zuo hant, sogleich.

109 2. Makkabäer 8, 10-14: Nikanor ließ Juden zum Kauf ausbieten, die er noch gar nicht gefangengenommen hatte und von denen er dann in die Flucht geschlagen wurde

110 2. Makkabäer 15, 30 ff

111 2. Samuel 2, 17-23: Asahels Schnelligkeit wurde ihm zum Verhängnis, da er Abner so lange verfolgte, bis dieser ihn schließlich tötete.

13.

Von Buhlschaft

An meinem Seile ich nach mir zieh112

Viel Affen, Esel und Narrenvieh:

Ich täusche, trüge, verführe sie.