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Mit seinem bekanntesten Werk, der Moralsatire Das Narrenschiff (erstmals 1494 in Basel erschienen), brachte Sebastian Brant das Krisenbewusstsein der vorreformatorischen Zeit mit einprägsamen deutschen Versen zum Ausdruck und schuf auf der Grundlage spätmittelalterlicher Traditionen einen "Bestseller" und einen Klassiker der Narrenliteratur. In über hundert satirischen Verskapiteln beschreibt er ebenso viele Narrentypen wie Verkörperungen sozialer und moralischer Normabweichungen.
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Seitenzahl: 238
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SEBASTIAN BRANT
wurde 1457 in Straßburg geboren und studierte klassische Sprachen und Rechtswissenschaft an der Universität Basel und lehrte kanonisches und ziviles Recht, seit 1484 auch Poesie. 1492 wurde er Dekan der Juristischen Fakultät und 1496 Professor des römischen und kanonischen Rechts.
1500 kehrte Brant als Rechtskonsulent nach Straßburg zurück und wirkte von 1503 bis zu seinem Tod als Stadtschreiber für seine Vaterstadt. Kaiser Maximilian ernannte ihn zum kaiserlichen Rat und zum Beisitzer des Hofgerichts in Speyer.
Brant starb 1521 in Straßburg.
it seinem bekanntesten Werk, der Moralsatire Das Narrenschiff (erstmals 1494 in Basel erschienen), brachte Sebastian Brant das Krisenbewusstsein der vorreformatorischen Zeit mit einprägsamen deutschen Versen zum Ausdruck und schuf auf der Grundlage spätmittelalterlicher Traditionen einen »Bestseller« und einen Klassiker der Narrenliteratur. In über hundert satirischen Verskapiteln beschreibt er ebenso viele Narrentypen wie Verkörperungen sozialer und moralischer Normabweichungen.
eute ist der Narr eine klassische literarische Figur: Erasmus von Rotterdam lies die personifizierte Dummheit selbst auftreten, Shakespeares (meistens) weise Narren durften dem König die Wahrheit geigen, Till Eulenspiegels Streiche sind jedermann bekannt und auch der Simplicissimus von Grimmelshausen gehört zum festen Bestand der Literaturgeschichte.
Fragt man sich allerdings, wo der Ausgangspunkt der literarischen Narretei liegt, so stößt man unweigerlich auf die Schrift eines deutschen Professors der Rechtswissenschaften aus dem 15. Jahrhundert. Sebastian Brants Das Narrenschiff war zu seiner Zeit ein absoluter Bestseller, und er selbst wohl der meistgelesene deutsche Autor.
Sein Buch beschreibt die Reise der Narren zur Insel Narragonien: Hier tritt jede menschliche Verfehlung und Dummheit als ein besonderer Narrentypus auf, der mit satirischem und gelehrtem Spott abgekanzelt wird.
»Nur wer sich für ein´n Narrn eracht´t, der ist zum Weisen bald gemacht…« Sebastian Brant
Sebastian Brant
Das Narrenschiff
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014
Der Text wurde behutsam revidiert
nach den Ausgaben Basel, 1494 und Leipzig, 1872
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: Von der Verachtung des Unglücks
(Holzschnitt von Albrecht Dürer, Das Narrenschiff,
Ausgabe Basel, 1494).
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0408-0
www.marixverlag.de
Vorrede – Eine Welt voller Toren
1. Von unnützen Büchern – Wer viel studiert, wird ein Phantast
2. Von guten Räten – Auf dem Weg des Rechts
3. Von Habsucht – Die Seele in Kot und Mist
4. Von neuen Moden – Schande deutscher Nation
5. Von alten Narren – Wie die Jugend tanzen
6. Von rechter Kinderlehre – In guter Zucht
7. Von Zwietrachtstiftern – Lügen und Hassen
8. Gutem Rat nicht folgen – Nicht nur mit Worten weise
9. Von schlechten Sitten – Zucht und Scham sind die beste Zierde
10. Von wahrer Freundschaft – Eigennutz vertreibt das Recht
11. Verachtung der Hl. Schrift – Wer hier gesündigt, hat dort Pein
12. Von unbesonnenen Narren – Vorher nachdenken
13. Von Buhlschaft – Sex mit Reue
14. Von Vermessenheit gegen Gott – Sünden werden bestraft
15. Von törichtem Planen – Man muss es auch bezahlen können
16. Von Völlerei und Prassen – Maßvoll trinken ist weise und gesund
17. Von unnützem Reichtum – Geld vor Weisheit
18. Vom Dienst zweier Herren – Wer zu viel will, wird nie satt
19. Von vielem Schwatzen – Schweigen ist einfach besser
20. Vom Schätze finden –Ehrlich sein
21. Vom Tadeln und Selbertun – Zuerst sich selbst bessern
22. Die Lehre der Weisheit – Sucht nicht das Geld!
23. Von Überschätzung des Glücks – Vergänglich sind Glück und Reichtum
24. Von zuviel Sorge – Was man ohnehin nicht ändern kann
25. Vom Borgen – Man muss es schwer bezahlen
26. Von unnützem Wünschen – Begierde macht blind
27. Von unnützem Studieren – Jugend ohne Ziel
28. Von Wider-Gott-Reden – Dein Wissen ist vor ihm ein Spott
29. Vom selbstgerechten Narren – Der nicht sein will, was er ist
30. Von vielen Pfründen – Sich bescheiden
31. Vom Aufschubsuchen – Morgen, morgen, nur nicht heute
32. Vom Frauenhüten – Hübsch, doch närrisch
33. Von Ehebruch – Hält man für nicht schlimm
34. Immer ein Narr bleiben – Was neu ist, das ist ihr Begehr
35. Von leichtem Zürnen – Geduld besänftigt Widrigkeit
36. Von Rechthaberei – Einbildung kommt vor dem Fall
37. Von Glückes Zufall – Warnung an die Mächtigen
38. Von unfolgsamen Kranken – Gutem Rat folgen
39. Von offenkundigen Anschlägen – Den Plan für sich behalten
40. An Narren Anstoß nehmen – Die Fehler anderer vermeiden
41. Nicht auf alle Rede achten – Die Welt nehmen, wie sie ist
42. Von Spottvögeln – Der Ungerechte lästert viel
43. Verachtung ewiger Freude – Ein Tröpflein Honig auf Erden
44. Lärm in der Kirche – Sünde und Pfarrer austreiben
45. Von Unglück durch Mutwillen – Selbst schuld am Schaden
46. Wo Narren die Macht haben – Bei Fürsten und Reichen
47. Vom Weg der Seligkeit – Eng, schmal, steil und hart
48. Vom Handwerk – Schlecht bestellt in dieser Welt
49. Schlechtes Beispiel der Eltern – Nicht Zucht, noch Ehr’ ist mehr auf Erden
50. Vom Vergnügen – Irdische Lust mit Schmerzen und Schaden
51. Geheimnisse wahren – Nur durch Schweigen ohne Schaden
52. Freien um Gutes willen – Sonst in der Ehe Zank, Leid, Hader, Weh
53. Von Neid und Haß – Gift zu Todeswunden
54. Tadel nicht dulden wollen – Adel, Jugend, Geld, Gestalt, alles unnütz
55. Von törichter Heilkunde – Ein Gaukelmann, wer sich der Arztkunst anmaßt
56. Vom Ende der Gewalt – Macht vergeht wie der Schnee
57. Von Gottes Vorsehung – Seine letzten Gründe weiß man nicht
58. Seiner selbst vergessen – In der eigenen Sache fleißig sein und wachen
59. Von Undankbarkeit – Gerechten Lohn für gute Dienste
60. Von Selbstgefälligkeit – Im Spiegel ohne Witz und Sinn
61. Vom Tanzen – Süße Sünde
62. Von nächtlichem Hofieren – Und jeder schreit, jauchzt, brüllt und plärrt
63. Von Bettlern – Nur dass sie sich nicht gerne bücken
64. Von bösen Weibern – Nichts gegen die guten
65. Von Beobachtung des Gestirns – Die Welt, die will betrogen sein
66. Alle Länder erforschen wollen – Und sich selbst erkennen
67. Kein Narr sein wollen – Aus Reichtum Übermut entspringt
68. Keinen Spaß verstehn – Nicht Böses für gut ausgeben
69. Ungestraft Böses tun wollen – Treu ist jetzt oft Trug
70. Nicht beizeiten vorsorgen – Im Sommer an den Winter denken
71. Streiten und vor Gericht gehn – Mit Geschwätz trügen
72. Von groben Narren – Der Pöbel hat die Weisen verdrängt
73. Vom Geistlichwerden – Die Bischöfe sind schuld daran
74. Von unnützem Jagen – Kostet viel
75. Von schlechten Schützen – Nicht viele treffen ihr Ziel
76. Von großem Rühmen – Die wollen sein, was sie nicht sind
77. Von Spielern – Wenig Gewinn und viel Verlust
78. Ein Narr sein in vielen Stücken – Wer mehr verzehrt, als er gewinnt
79. Reuter und Schreiber – Räuber unterwegs, Anwälte vor Gericht
80. Närrische Botschaft – Vom Laufen und Lügen
81. Von Köchen und Kellnern – Die des Hauses Sorg’ verwalten
82. Von bäurischem Aufwand – Wo Geld ist, ist auch Übermut
83. Von Verachtung der Armut – Nackt kann man leichter schwimmen
84. Vom Beharren im Guten – In Weisheit und mit guten Werken
85. Sich des Todes nicht versehen – Ein sehr gerechter Richter der Gleichheit
86. Von Verachtung Gottes – Der oft zögert lange Zeit
87. Von Gotteslästerung – Weil Unrecht so öffentlich geschieht
88. Voll Plage und Strafe Gottes – Es wird noch schlimmer morgen
89. Von törichtem Tausche – Wer Ewiges gibt um zeitlich Gut
90. Ehre Vater und Mutter – Und gib Kindern nicht, was dir not ist
91. Vom Schwätzen im Chor – Störungen in der Kirche
92. Überhebung und Hoffart – Lüsterner Blick mit Macht
93. Wucher und Aufkauf – Juden und Christenjuden
94. Von Hoffnung auf Erbschaft – Wer eines anderen Tod begehrt
95. Den Feiertag nicht heiligen – Habsucht aller Laster Anfang ist
96. Schenken und Bereuen – Mit frohem Mut und Dank
97. Von Trägheit und Faulheit – Die Müßiggänger straft der Herr
98. Von ausländischen Narren – Mohren, Türken, Heiden und andere
99. Vom Verfall des Glaubens – »Mohmeds böser Sinn« schwächt das Reich
100. Den falben Hengst streicheln384 – Wenn jeder wäre, wie er sich stellt
101. Von Ohrenblasen – Verleumdung und Leichtgläubigkeit
102. Von Fälschen und Betrug – Der Untreu voll ist jetzt die Welt
103. Sankt Peters Schiff – Es schwankt wegen Büchern und Ablass
104. Wahrheit verschweigen – Gegen Schmeicheln und Drohen
105. Verhinderung des Guten – Dass wir Mönche werden und Pfaffen?
106. Von Versäumnis guter Werke – Ein Baum muss gute Früchte tragen
107. Vom Lohn der Weisheit – Freude und Lust oder Tugend
108. Das Schlaraffenschiff – Ohne Sorg und Vernunft
109. Verachtung der Gefahr – Wer Weisheit sowie Tugend fand
110. Verleumdung des Guten – Nicht persönlich nehmen
111. Entschuldigung des Dichters – Zu Gottes Ehr und Nutz der Welt
112. Der weise Mann – verwirft, was schlecht, und lobt, was gut
Ende des Narrenschiffs
Anmerkungen
lle Lande sind jetzt voll heiliger Schrift
und was der Seelen Heil betrifft:
Voll Bibeln, heiliger Väter Lehr’
und andrer solcher Bücher mehr;
so viel, daß man sich wundern mag,
weil niemand bessert sich danach.
Ja, Schrift und Lehre sind veracht’t,
es lebt die Welt in finstrer Nacht
und tut in Sünden blind verharren;
alle Gassen und Straßen sind voll Narren,
die treiben Torheit an jedem Ort
und wollen es doch nicht haben Wort.
Drum hab’ ich gedacht zu dieser Frist,
wie ich den Narren Schiff’ ausrüst’:
Galeere, Füst1, Krack2, Naue3, Bark,
Kiel, Weidling4, Bagger, Rennschiff stark,
auch Schlitten, Karre, Schiebkarr’, Wagen:
Es könnt’ ein Schiff nicht alle tragen,
die jetzt sind in der Narren Zahl;
ein Teil sucht Fuhrwerk überall,
der stiebt umher gleichwie die Immen,
versucht es, zu dem Schiff zu schwimmen:
Ein jeder will der erste sein.
Viel Narren und Toren kommen drein,
deren Bildnis ich hier hab’ gemacht.
Wär’ jemand, der die Schrift veracht’,
oder einer, der sie nicht könnt’ lesen,
der sieht im Bilde5 wohl sein Wesen
und schaut in diesem, wer er ist,
wem gleich er sei, was ihm gebrist.
Den Narrenspiegel ich dies nenne,
in dem ein jeder Narr sich kenne;
wer selbst er sei, wird dem vertraut,
der in den Narrenspiegel schaut.
Wer sich recht spiegelt, der lernt wohl,
daß er nicht weis’ sich achten soll,
nicht von sich halten, was nicht ist,
denn niemand lebt, dem nichts gebrist
oder der sagen darf fürwahr,
daß er sei weis’ und nicht ein Narr;
denn wer sich für einen Narren hält,
wird bald den Weisen zugesellt,
wer aber immer will weise sein,
ist fatuus6, der Gevatter mein,
der sich zu mir recht übel stellt,
wenn er dies Büchlein nicht behält.
Hier ist die wahre Narrenweide;
ein jeder findet, was ihn kleide,
und auch wozu er sei geboren,
warum so viele sind der Toren;
welch hohes Ansehen Weisheit fand,
wie trübselig der Narren Stand.
Hier findet man der Welten Lauf,
drum ist dies Büchlein gut zum Kauf.
Zu Scherz und Ernst und allem Spiel
trifft man hier Narren, wie man will;
ein Weiser sieht, was ihm behagt,
ein Narr gern von den Brüdern sagt.
Hier hat man Toren, arm und reich,
schlim schlem7, gleich findet gleich.
Die Kappe schneid’ ich manchem Mann,
er nimmt es sich trotzdem nicht an;
wenn ich beim Namen ihn genannt,
spräch’ er, ich hätt’ ihn nicht erkannt.
Doch hoff’ ich, daß die Weisen alle
drin finden werden, was gefalle,
und sagen dann mit Wissenheit8,
daß ich gab recht und gut Bescheid.
Und da ich das von ihnen weiß,
geb’ ich um Narren einen Schweiß;
sie müssen hören Wahrheit alle,
ob ihnen es auch nicht gefalle.
Wiewohl Terentius9 saget, daß
wer Wahrheit spricht, erlanget Haß;
und wer sich lange schneuzen tut,
der wirft zuletzt von sich das Blut;
und wenn man coleram10 anregt,
so wird die Galle oft bewegt.
Darum beacht’ ich, was man spricht
mit Worten hinterm Rücken, nicht,
noch wenn man schilt die gute Lehr’.
Ich habe solcher Narren mehr,
denen Weisheit nicht gefället wohl,
dies Büchlein ist derselben voll.
Doch bitt’ ich jeden, daß er mehr
ansehen woll’ Vernunft und Ehr’
als mich und dies mein schwach Gedicht.
Ich hab’ fürwahr ohn’ Mühe nicht
so viele Narrn zuhauf gebracht:
Gar oft hab’ ich gewacht die Nacht,
die schliefen, deren ich gedacht,
oder saßen vielleicht bei Spiel und Wein,
wo sie gedachten wenig mein;
ein Teil in Schlitten fuhr umher
im Schnee, wo sie gefroren sehr;
ein Teil trieb Kindereien just;
die andern schätzten den Verlust,
der sie desselben Tags betroffen,
und welchen Gewinn sie könnten hoffen,
und wie sie morgen wollten lügen
geschwätzig, verkaufen und manchen trügen.
Um solchen nachzudenken allen,
wie mir Weis’, Wort und Werk gefallen,
hab’ ich, kein Wunder ist’s, gar oft
gewacht, wann niemand es gehofft,
damit man tadle nicht mein Werk. –
In diesen Spiegel sollen schauen
die Menschen alle, Männer, Frauen;
die einen mit den andern ich mein’:
Die Männer sind nicht Narrn allein,
man findet auch Närrinnen viel,
denen ich Kopftuch, Schleier und Wil11
mit Narrenkappen hier bedecke.
Auch Mädchen haben Narrenröcke;
sie wollen jetzt tragen offenbar,
was sonst für Männer schändlich war:
Spitze Schuh’ und ausgeschnittne Röcke,
daß man den Milchmarkt nicht bedecke;
sie wickeln viel Lappen in die Zöpfe
und machen Hörner auf die Köpfe,
wie sie sonst trägt ein mächt’ger Stier;
sie gehn einher wie die wilden Tier’.
Doch sollen züchtige Frauen mir schenken
Verzeihung, denn an sie gedenken
in keiner argen Art ich will;
den bösen ist doch nichts zuviel,
von denen kann man hier gewahren
ein Teil im Narrenschiffe fahren. –
Darum mit Fleiß sich jeder suche,
und findet er sich nicht im Buche,
so kann er sprechen, daß er sei
der Kappe und des Kolbens frei.
Wer meint, daß ich ihn nicht berühre,
geh zu den Weisen vor die Türe,
gedulde sich, sei guter Dinge,
bis ich von Frankfurt12 ’ne Kapp’ ihm bringe!
Im Narrentanz voran ich gehe,
da ich viel Bücher um mich sehe,
die ich nicht lese und verstehe.
aß ich im Schiffe vornan sitz’,
das hat fürwahr besondern Witz;
ohn Ursach kam ich nicht dahin:
nach Büchern trachtete mein Sinn,
von Büchern hab’ ich großen Hort,
versteh’ ich gleich drin wenig Wort’,
so halt’ ich sie doch hoch in Ehren:
Es darf sie keine Flieg’ versehren.
Wo man von Künsten13 reden tut,
sprech’ ich: »Daheim hab’ ich sie gut!«
Denn es genügt schon meinem Sinn,
wenn ich umringt von Büchern bin.
Von Ptolemäus14 wird erzählt,
er hatte die Bücher der ganzen Welt
und hielt das für den größten Schatz,
doch manches füllte nur den Platz,
er zog daraus sich keine Lehr’.
Ich hab’ viel Bücher gleich wie er
und les’ doch herzlich wenig drin.
Zergrübeln sollt’ ich mir den Sinn,
und mir mit Lernen machen Last?
Wer viel studiert, wird ein Phantast!
Ich gleiche sonst doch einem Herrn,
kann einen halten, der für mich lern’:
Wenn ich auch habe groben Sinn
und einmal bei Gelehrten bin,
kann ich doch sprechen:»Ita! – So!«
Des deutschen Ordens bin ich froh,
dieweil ich wenig kann Latein.
Ich weiß, daß vinum heißet »Wein«,
cuculus Gauch15, stultus, ein Tor,
und daß ich heiß’: »Dominus doctor!«
Die Ohren sind verborgen mir,
sonst säh’ man bald des Müllers Tier.
Wer auf Gewalt im Rat sich stützt
und dem Wind folgt, der grade nützt,
der stößt die Sau zum Kessel itzt.16
iel sind, die trachten früh und spat,
wie sie bald kommen in den Rat,
die doch vom Rechte nichts verstehn
und blindlings an den Wänden gehn.
Den guten Chusi man begrub,
zum Rat man Ahitophel17 hub.
Wer richten soll und raten schlecht18,
der rat und stimm allein nach Recht,
auf daß er nicht ein Zaunpfahl bleibe,
der nur die Sau zum Kessel treibe.
Fürwahr, sag’ ich, es hat nicht Fug:
Es ist mit Raten nicht genug,
womit verkürzet wird das Rechte;
das Bessere billig man bedächte
und forscht’ nach dem, was man nicht weiß.
Denn wird verkehrt des Rechts Geleis,
so stehst du wehrlos da vor Gott,
und glaube mir, das ist kein Spott19!
Wenn jeder wüßt’, was folgt darnach,
wär’ er zu urteilen nicht so jach;
denn mit dem Maß wird jedermann
gemessen, wie er hat getan.
Wie du mich richtest und ich dich,
so wird Gott richten dich und mich.
Ein jeder wart in seinem Grab
der Urteil’, die er selbst einst gab,
und wer damit verdorben viel,
dem ist gesetzet auch sein Ziel,
wo er ein kräftig Urteil find’:
Es fällt der Stein ihm auf den Grind!
Wer hier nicht hält Gerechtigkeit,
dem droht sie dort mit Härtigkeit:
Denn Vorsicht nicht, Gewalt noch Rat,
noch Witz vor Gott Bestehen hat.
Wer setzt die Lust in zeitlich Gut,
sucht darin Freud’ und guten Mut,
der ist ein Narr mit Leib und Blut.
er ist ein Narr, wer sammelt Gut,
hat dran nicht Freud noch frohen Mut
und weiß nicht, wem er solches spart,
wenn er zum finstern Keller fahrt.
Ein größrer Narr ist, wer vertut
mit Üppigkeit und leichtem Mut
das, was ihm Gott gab als das Seine,
darin er Schaffner20 ist alleine,
wovon er Rechnung geben muß,
die mehr einst gilt als Hand und Fuß.
Ein Narr läßt seinen Freunden viel,
die Seel’ er nicht versorgen will;
er bangt, ihm mangle zeitlich Gut,
fürs Ewige er nicht sorgen tut.
O armer Narr, wie bist du blind:
Die Räude scheust du – findst den Grind!
Ein andrer sündigem Gut nachrennt,
wofür er in der Hölle brennt:
Das achten seine Erben klein21,
sie helfen nicht mit einem Stein,
sie spendeten kaum ein einzig Pfund22,
und läg’ er tief im Höllengrund.
Gib, weil du lebst, zu Gottes Ehr,
stirbst du, so wird ein andrer Herr.
Ein Weiser hat noch nie begehrt
nach Reichtum hier auf dieser Erd’,
wohl aber, daß er selbst sich kenne:
Den Weisen mehr als reich du nenne!
Zuletzt geschah’s, daß Crassus23 trank
das Gold, wonach ihn dürstet lang;
doch Krates24 warf sein Geld ins Meer,
es hindert’ ihn beim Lernen sehr.
Wer sammelt, was vergänglich ist,
vergräbt die Seel’ in Kot und Mist.
Wer neue Moden bringt durchs Land,
der gibt viel Ärgernis und Schand’
und hält den Narren bei der Hand.
as sonst wohl war ein schändlich Ding,
das schätzt man schlecht jetzt und gering:
Sonst trug mit Ehren man den Bart,
jetzt lernen Männer Weiberart
und schmieren sich mit Affenschmalz
und lassen am entblößten Hals
viel Ring’ und goldne Ketten sehn,
als sollten sie vor Lienhart25 stehn.
Mit Schwefel und Harz pufft man die Haar’
und schlägt darein dann Eierklar,
daß es im Schüsselkorb’26 werd’ kraus.
Der hängt den Kopf zum Fenster ’raus,
der bleicht das Haar mit Sonn’ und Feuer,
darunter sind die Läus nicht teuer.
Die können es jetzt wohl aushalten,
denn alle Kleider sind voll Falten:
So Rock wie Mantel, Hemd wie Schuh,
Pantoffel, Stiefel, Hos’ dazu,
Wildschur und die Verbrämung dran:
Der Juden Sitt’ man sehen kann.27
Vor einer Mod’ die andre weicht,
das zeigt, wie unser Sinn ist leicht
und wandelbar zu aller Schande;
viel Neuerung ist im ganzen Lande.
Der Rock – wie kurz und wie beschnitten!
reicht kaum bis zu des Leibes Mitten!
Pfui Schande deutscher Nation,
daß man entblößt, der Zucht zum Hohn,
und zeigt, was die Natur verhehlt!
Drum ist es leider schlecht bestellt
und hat wohl bald noch schlimmern Stand:
Doch weh, wer Ursach’ gibt zur Schand’!
Dem wird, der solche Schande leidet,
ein unverhoffter Lohn bereitet!
Schon steh’ ich an der Grube dicht,
des Schinders Messer mich schon sticht,
doch – meine Narrheit lass’ ich nicht!
ie Narrheit läßt mich nicht sein greis;
ich bin sehr alt, doch ganz unweis,
ein arges Kind von hundert Lenzen
läut’ ich die Schell’ der Jugend Tänzen.
Den Kindern geb’ ich Regiment28
und mach’ mir selbst ein Testament,
das wird nach meinem Tod mir leid.
Mit schlechtem Beispiel und Bescheid
treib’ ich, was meine Jugend lernte;
daß meine Schlechtigkeit Ehre ernte,
wünsch’ ich und rühm’ mich meiner Schande,
wie ich betrog’n in jedem Lande
und hab’ gemacht viel Wasser trübe;
im Schlechten ich mich allzeit übe,
es ist mir leid, daß ich nicht mehr
mich so kann rühren wie vorher;
doch was ich jetzt nicht mehr kann treiben,
soll meinem Heinz empfohlen bleiben;
mein Sohn wird tun, was ich gespart,
er schlägt mir wohl nach in die Art;
es stehet ihm recht stattlich an,
und lebt er, wird aus ihm ein Mann.
Er sei mein Sohn, muß man einst sagen;
dem Schelme wird er Rechnung tragen
und wird in keinem Ding sich sparen
und in dem Narrenschiff auch fahren!
Es soll mich noch im Grab ergetzen,
daß er mich wird so ganz ersetzen!« –
Nach solchem jetzt das Alter trachtet,
die Weisheit es gar nicht mehr achtet.
Susannens Richter29 zeigten wohl,
was man dem Alter trauen soll:
Ein alter Narr der Seel’ nicht schont;
der tut schwer recht, wer’s nicht gewohnt.
Wer seinen Kindern übersieht
mutwillige Lust und sie nicht zieht,
dem selbst zuletzt viel Leid geschieht.
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