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Eine Bruchbude als neues Zuhause nebst unausstehlichem Vermieter machen Hannah das Leben schwer. Julia gibt eine Kontaktanzeige auf und erhält nur Zuschriften für einen Mann. Tessa erlebt eine Überraschung, als sie den Fußballtrainer ihres kleinen Sohnes trifft. Drei herzerwärmende Liebesromane mit pfiffigen Fellnasen, die es sich zur Aufgabe machen, ihren Menschen das Weihnachtsfest – und die Liebe – zu retten: Ein Weihnachtsengel auf vier Pfoten Suche Weihnachtsmann - Biete Hund Vier Pfoten unterm Weihnachtsbaum Drei romantische Liebesgeschichten mit cleveren Fellnasen und ganz viel Weihnachtsflair.
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Seitenzahl: 481
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Vier Pfoten, die Liebe und das Weihnachtsglück
Impressum
Ein Weihnachtsengel auf vier Pfoten
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
Suche Weihnachtsmann – Biete Hund
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Vier Pfoten unterm Weihnachtsbaum
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Nachspiel
Über Petra Schier: Newsletter, Website und mehr
Petra Schier
Drei romantische Weihnachtsromane
Impressum
eBook Edition, 1. Auflage November 2024
Copyright © 2008-2010 by Petra Schier
Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach
www.petra-schier.de
Cover-Abbildung unter Verwendung von Adobe Stock:
© Dirk / © oxie99
ISBN 978-3-96711-054-8
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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Petra Schier
Ein Weihnachtsengel auf vier Pfoten
Prolog
Ein sanfter Windhauch wehte durch den kleinen verwilderten Garten. Billa zwängte sich durch den Busch am Rande des Grundstücks, blieb mitten in einem überwucherten Blumenbeet stehen und schüttelte sich. Die Sonne, die gerade durch die Wolken stieß, ließ ihr schwarz-beige geschecktes Fell aufleuchten.
Sie blickte sich in dem Gärtchen um und dann an der Fassade des alten Hauses hoch. Ein guter Ort, schon immer.
Von der Straßenseite des Hauses her ertönte Kinderlachen. Billa spitzte die Ohren und ging langsam zum Rand des Grundstücks. Der niedrige Zaun, von dem es umgeben war, war nicht immer morsch gewesen, jetzt aber war er es, und sie konnte sich ohne Probleme durch eine Lücke hindurchzwängen. Neugierig schaute sie um die Hausecke und erblickte zwei Frauen und ein kleines Mädchen im Vorgarten.
Das Mädchen gefiel ihr, und sie prägte sich sogleich die Gesichtszüge der Kleinen ein. Dann schnüffelte sie kurz in die Luft; der Wind trug ihr den Geruch des Mädchens zu. Billa blickte nach oben zu den Wolken, die schnell vorbeizogen und sich dabei immer wieder teilten. Das Sonnenlicht blitzte hindurch und kitzelte Billas Nasenspitze. Sie schnaubte und schüttelte sich erneut, dann schaute sie wieder zu dem Mädchen hin.
Die Kleine tobte durch den Vorgarten, doch als erneut ein paar Sonnenstrahlen die Erde berührten, blieb sie stehen und sah zu Billa hinüber. Die Hündin erwiderte für einen Herzschlag lang den Blick des Mädchens, dann verschwand sie rasch. Zu früh. Es war noch zu früh.
1. Kapitel
»Verflixt und zugenäht!« Vergeblich versuchte Hannah, die Hintertür ihres neuen Domizils zu schließen. Doch jedes Mal sprang sie wieder auf. »Was ist denn das bloß?« Verärgert warf Hannah sich gegen die Tür und drückte gleichzeitig die Klinke. »Na endlich!« Stirnrunzelnd betrachtete sie den Zugang zu dem verwilderten kleinen Garten. Warum war ihr nicht schon bei der Hausbesichtigung aufgefallen, dass die Tür defekt war?
»Mama, in welcher Kiste sind meine Schlafanzüge?«, schallte die Stimme ihrer fünfjährigen Tochter aus dem Obergeschoss. Seufzend drehte Hannah sich um. »In dem Karton mit dem roten Punkt!«, rief sie zurück. »Warte, Paula, ich komme gleich.« Sie machte einen Schritt in Richtung Treppe, doch im nächsten Moment hörte sie hinter sich ein Klacken. Die Tür war wieder aufgesprungen, und durch den Spalt wehte ein feucht-kalter Luftzug herein.
»Das kann ja wohl nicht wahr sein!« Wütend lief Hannah in die Küche, schnappte sich einen noch fast vollen Umzugskarton und knallte ihn vor die Tür. Auf diese Weise blieb sie zumindest geschlossen, doch der Schlüssel ließ sich nicht drehen. »Eine Einladung für Einbrecher, was?«, brummte sie aufgebracht.
»Mama, hier sind zwei Kartons mit einem roten Punkt!«, rief Paula von oben.
Hannah warf der Tür noch einen bösen Blick zu, dann stieg sie ins Obergeschoss. »Mach doch beide Kisten auf!«, sagte sie zu Paula, die ratlos vor den beiden gekennzeichneten Kartons stand. Hannah riss selbst das Klebeband von einer der Kisten und griff hinein. »Siehst du!« Lächelnd drückte sie ihrer Tochter einen Schlafanzug in die Arme. »Und nun geh ins Bad und putz dir die Zähne. Ich mache inzwischen schon mal dein Bett fertig.«
Nachdem Paula eingeschlafen war, setzte sich Hannah in ihr neues Wohnzimmer und kramte den Mietvertrag aus ihrer Aktentasche hervor. Dass das alte Haus, das sie so günstig gemietet hatte, etwas renovierungsbedürftig war, hatte sie auf den ersten Blick gesehen. Und es machte ihr nichts aus, denn man konnte ja nach und nach ein paar Verschönerungsarbeiten vornehmen. Die nette Frau Bogner, die sie beim Besichtigungstermin herumgeführt hatte, hatte ihr versichert, dass sie dabei weitgehend freie Hand habe. Doch eine Hintertür, die sich nicht verschließen ließ, war ganz eindeutig Sache des Vermieters. Den hatte sie allerdings bisher noch gar nicht kennengelernt.
Hannah fand auf dem Dokument die Telefonnummer des Hausbesitzers, eines M. Marbach, und tippte sie in ihr Handy. Wenige Sekunden später runzelte sie erneut die Stirn, als eine Computerstimme ihr mitteilte: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.«
Sie schaltete ihr Handy ab und schloss für einen Moment die Augen. »Das ist jetzt wohl ein schlechter Scherz«, murmelte sie. »Und ein Telefonbuch habe ich natürlich auch noch nicht.« Sie schüttelte den Kopf und legte den Mietvertrag beiseite. Dabei fiel ihr Blick auf ihren Laptop. Zwar hatte sie ihr Büro noch nicht fertig eingerichtet, aber die Telefon- und Internetverbindungen waren bereits installiert. Entschlossen nahm sie den Laptop und trug ihn nach oben. Es dauerte einen Moment, bis sie das Gerät für die neue Verbindung eingerichtet hatte, doch dann ließ sich problemlos das Online-Telefonbuch aufrufen.
»O nein!« Entnervt starrte sie auf die siebenundzwanzig Treffer, die der Name Marbach für die hiesige Postleitzahl und die mit M beginnenden Vornamen brachte. »Manfred, Marco, Marcus, Martin, Matthias, Michael ... Die kann ich doch jetzt nicht alle anrufen! Wenn ich doch bloß nicht nur den Anfangsbuchstaben des Vornamens hätte.« Da ihr Vermieter auch nur eine Postfachadresse angegeben hatte, die sie nicht weiterbrachte, gab sie verärgert auf.
»Irgendwo hatte ich doch einen Zettel mit der Handynummer!«, erinnerte sie sich und durchforstete noch einmal die Mappe mit den Unterlagen zum Haus. Auf der Rückseite des Mietvertrags wurde sie schließlich fündig. Mit fliegenden Fingern tippte sie die Nummer ein und wartete. Es klingelte einmal, zweimal ... Nach dem dritten Klingeln ertönte ein Knacken und Rauschen, dazwischen eine dunkle Männerstimme: »...bach?«
»Äh, ja, entschuldigen Sie die Störung.« Hannah strich sich ihr halblanges honigblondes Haar hinters Ohr und spähte auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor neun. »Mein Name ist Mayer, ich bin Ihre neue Mieterin und ...«
»... Bitte? ... Ganz schlechter Empfang hier ...«, unterbrach die Stimme sie.
Hannah verdrehte die Augen. »Ich habe ein Problem mit der Hintertür, Herr Marbach. Sie lässt sich nicht abschließen.«
»Was?« Das kam diesmal ganz deutlich.
»Die Hintertür«, wiederholte Hannah. »Ich kann sie nicht ab...«
»... kann Sie kaum verstehen. Lassen Sie die Tür doch ...«
»Wie bitte?« Hannah fluchte innerlich. »Ich möchte, dass Sie sich sofort darum kümmern, dass meine Tür repariert wird!«
»... jetzt keine Zeit. Morgen ...«
»Aber...«
»... schicke ich Ihnen ...«
»Was? Was?« Hannah verstand kein Wort mehr, und im nächsten Moment brach die Verbindung ganz ab. Sofort wählte sie noch einmal, doch diesmal ohne Erfolg. Offenbar hielt Herr Marbach sich in einem Funkloch auf. »Na toll, und eine Mailbox hat er wohl auch nicht«, grollte sie. Da sich die Tür auch nach weiteren Versuchen nicht schließen ließ, stapelte sie kurzerhand mehrere volle Umzugskisten davor. Das würde etwaige Eindringlinge hoffentlich abhalten, auch wenn sie nicht glaubte, dass sich hier am Rand einer Kleinstadt irgendwelche finsteren Gestalten herumtrieben. Trotzdem war das natürlich keine Lösung.
***
Achselzuckend schob er das Handy wieder in seine Jackentasche. Das fing ja gut an. Kaum war diese Frau – wie hieß sie doch gleich? Er hatte den Namen nicht verstanden – in seinem Haus eingezogen, schon hatte sie etwas zu meckern. Andererseits – die Hintertür des alten Hauses hatte schon länger eine Macke. Er würde einfach Onkel Richard zu ihr schicken. So schwer konnte es ja wohl nicht sein, die Tür zu reparieren. Wenn er nach Hause kam, würde er gleich bei ihm anrufen, dann brauchte er sich nicht selbst damit zu befassen.
2. Kapitel
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich geärgert habe«, erzählte Hannah drei Tage später, während sie ihre Freundin Silke durch das Haus führte. »Aber zum Glück kam am nächsten Nachmittag dieser Herr Bogner und hat die Tür repariert. Er muss wohl ein Onkel oder so was von meinem Vermieter sein. Frau Bogner hat mir ja damals auch das Haus gezeigt. Ein nettes älteres Ehepaar. Dieser Herr Marbach hingegen ...«
»Ach, er konnte doch bestimmt nichts dafür, dass er gerade in einem Funkloch war«, beschwichtigte Silke und schüttelte ihren schwarzen Lockenkopf. »Und er hat ja jemanden geschickt, der sich um die Tür gekümmert hat. Ist doch alles in Ordnung, oder nicht?«
»Ja, schon. Trotzdem habe ich mich eben ziemlich darüber aufgeregt.«
»Kein Wunder nach einem anstrengenden Umzug mit Kind und Kegel.« Silke lächelte. »Wo steckt Paula eigentlich?«
»Sie ist in ihrem Zimmer und schläft. Heute war der erste Tag im neuen Kindergarten, und danach war sie ziemlich erschöpft. Aber sie brachte gleich eine Einladung zur Halloween-Feier mit nach Hause. Jetzt muss ich mich wohl noch schnell um ein passendes Kostüm kümmern.«
»Ist doch toll, dann lernst du gleich ein paar der Eltern kennen!« Silke blinzelte ihr zu. »Und wer weiß, vielleicht ist ja ein netter alleinerziehender Vater dabei.«
»Nun hör schon auf.« Hannah stieß ihre Freundin kichernd in die Seite. »Du schaust dir zu viele von diesen Hollywood-Schnulzen an. Glaub mir, eine Kindergartenfeier ist der letzte Ort, an dem man den Mann fürs Leben findet.«
»Das dachte ich von Supermärkten bisher auch.« Silke hielt Hannah lächelnd zum wiederholten Male ihren Verlobungsring unter die Nase.
»Das ist etwas anderes. Du hast dir gleich den Filialleiter geangelt.«
»Ein guter Fang, nicht wahr?«
Die beiden Frauen lachten herzlich, dann wurde Hannah wieder ernst. »Aber mal etwas anderes. Meinst du, ich sollte für Paula langsam ein Haustier anschaffen? Eine Katze vielleicht? Sie wünscht sich schon lange ein Tier. In der alten Wohnung war ja kein Platz, aber hier ... Das wäre doch ein schönes Geschenk zu Weihnachten.«
»Warum nicht?« Silke goss sich noch einen Kaffee ein und lehnte sich auf der Couch zurück. Ihr Blick wanderte zum Fenster, das auf den Garten hinausging. »Eine Katze würde sich hier bestimmt wohlfühlen. Kommt doch einfach mal bei uns im Tierheim vorbei.«
»Vielleicht machen wir das. Ach, Paula, da bist du ja!« Hannah winkte ihre Tochter zu sich, die mit geröteten Wangen und verstrubbelten Haaren in der Wohnzimmertür aufgetaucht war. »Schau, ich habe dir einen warmen Kakao gemacht.«
Paula lächelte. »Danke, Mama. Hallo, Silke, hast du wieder neue Tiere im Tierheim?«
»Aber klar doch. Gestern bekamen wir ein Chamäleon herein. Aber das konnten wir gleich weiter vermitteln. Und zwei Papageien, die machen vielleicht einen Krach!«
»Was ist ein Camelon?«
»Chamäleon«, verbesserte Silke, doch bevor sie zu einer Erklärung ansetzen konnte, sprang Paula plötzlich auf und rannte zum Fenster. »Da ist er wieder!«
»Was? Wer ist dort?« Alarmiert stand auch Hannah auf und trat ans Fenster heran.
»Na, der Weihnachtsengel!«
Verblüfft schaute Hannah auf ihre Tochter hinunter. »Was für ein Weihnachtsengel? Ich sehe nichts.«
»Jetzt ist er wieder weg. Aber er war im Garten, ich hab’s genau gesehen!« Paula starrte noch einen Moment in die Wildnis vor dem Fenster, dann ging sie zurück zur Couch und setzte sich.
»Wovon spricht sie denn?«, wunderte sich Silke.
Hannah zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das wüsste! Sie behauptet schon, seit wir das Haus besichtigt haben, das Haus würde von einem Engel beschützt, deshalb wollte sie auch unbedingt hier einziehen.«
»Von einem Engel?« Silke schmunzelte. »Nun, ich kann mir Schlimmeres vorstellen. Wie sieht dieser Engel denn aus, Paula?«
»Na, wie Engel eben aussehen«, antwortete das Mädchen mit ernstem Gesicht. »Mit Flügeln und Licht und so. Aber dieser Engel ist auch ein Hund.«
»Ein was bitte?« Hannah und Silke blickten sie überrascht an.
Paula nickte. »Ja, der Weihnachtsengel ist ein Hund. Und er passt auf uns auf.«
»Also, ich habe noch nie von einem Hundeengel gehört. Und Weihnachten ist doch erst in knapp zwei Monaten«, meinte Silke skeptisch.
»Na und? Er ist aber hier«, beharrte Paula. »Und zu Weihnachten muss er bestimmt wieder in den Himmel, deshalb ist er schon früher gekommen.« Sie trank ihren Kakao in einem Zug aus und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Paula, bitte! Geh und wasch dir die Hände«, tadelte Hannah.
Ihre Tochter stand gehorsam auf und verschwand in der Küche. Als sie zurückkam, hielt sie die Einladung zu dem Halloween-Fest in der Hand. »Mama, da gehen wir doch hin, oder? Mario hat gesagt, er kommt auch, und das wird ganz lustig mit Spielen und Gespenstern und so.«
»Wer ist Mario?«, fragte Hannah und nahm Paula das Schreiben aus der Hand.
»Mario ist mein Freund.«
»Ach?«
»Er ist in meiner Gruppe und ganz ganz nett. Till und Mareike mag ich auch, aber Mario hat viel länger mit mir gespielt.«
»Aha«, sagte Silke. »Ich sehe schon, deine Tochter macht wesentlich schneller männliche Bekanntschaften als du. Vielleicht sollte sie dir mal zeigen, wie das geht.«
»Nun hör endlich auf«, wehrte Hannah empört ab. »Ich werde schon nicht als Einsiedlerin enden, aber mit einer kleinen Tochter hat man es eben nicht so leicht, einen Mann zu finden. Die meisten nehmen da schnell wieder Reißaus.«
»Alles Quatsch«, befand Silke. »Alleinerziehende Väter, so lautet das Zauberwort. Denk darüber nach und geh zu dieser Feier.«
»Also erstens waren das zwei Wörter, und zweitens habe ich doch schon gesagt, dass wir hingehen werden.«
»Au ja, toll, Mama. Das erzähle ich morgen gleich Mario! Als was gehen wir denn?«
»Das weiß ich noch nicht. Darüber sollten wir uns heute Abend unterhalten, ja?«, schlug Hannah vor.
»Herrje, ich muss ja wieder los!«, rief Silke nach einem Blick auf die Uhr. »Ich habe doch versprochen, heute Abend auf die trächtigen Katzen aufzupassen.«
Sie standen auf und gingen zur Tür. Silke drückte Hannah kurz an sich und trat dann auf die Straße. »Ich rufe dich an, okay? Und sag Bescheid, wenn du noch mal Hilfe mit den Schränken brauchst. Georg wird dir bestimmt gerne helfen.«
»Ja, ich werde daran denken. Bis bald!« Hannah winkte ihrer Freundin kurz nach, dann ging sie wieder ins Haus. »Paula? Hilfst du mir dabei, die restlichen Küchenutensilien auszupacken und in die Schränke zu räumen?«
***
»Mama, Mama, komm schnell und guck mal!«
Hannah warf erschrocken das Küchenhandtuch neben die Spüle und rannte in den Flur. »Was ist passiert, Paula?«
Das Mädchen hatte die Haustür geöffnet, weil sie den Müll zu den Tonnen hatte hinausbringen wollen. Doch der Eimer stand vergessen auf der obersten Treppenstufe, und das Mädchen hockte vor einem schwarz-beige gescheckten Hund, der direkt vor der Haustür saß und sich streicheln ließ.
Verblüfft schaute Hannah auf das Tier, dann zog sie ihre Tochter schnell am Arm zu sich. »Paula, pass auf! Du sollst doch nicht einfach einen fremden Hund anfassen. Er könnte beißen ...«
»Das ist der Weihnachtsengel, Mama! Ich hab doch gesagt, dass er hier ist. Kann ich ihn mit reinnehmen?«
»Auf gar keinen Fall!« Hannah schüttelte entschieden den Kopf. »Paula, das ist ein Hund, und der gehört bestimmt irgendjemandem. Vielleicht einem unserer Nachbarn.« Sie beugte sich nun ebenfalls über den Hund und betrachtete ihn aufmerksam. »Wo wohnst du, mein Hübscher? Geh schnell wieder nach Hause!«
Doch der Hund hechelte nur leicht, dass es aussah, als lächle er, und wedelte mit dem Schwanz.
»Siehst du, er will hierbleiben«, rief Paula und streichelte dem Tier doch wieder über den Kopf. Da es nicht bösartig zu sein schien, ließ Hannah sie gewähren, behielt den Hund jedoch argwöhnisch im Auge. »Paula, wir müssen ihn seinem Besitzer zurückbringen.« Sie blickte prüfend zur Straße, doch weit und breit war niemand zu sehen.
»Er trägt ein Halsband«, sagte Paula. »Guck, da steht was drauf. B... Bi... Mama, was steht hier?«
Hannah betrachtete das Halsband näher. Auf einer kleinen, schon leicht angelaufenen und am Rand abgebrochenen silbernen Marke war ein Name eingraviert.
»Da steht Billa. Dann scheint er wohl eine Hündin zu sein. Leider keine Adresse.«
»Billa ist aber ein schöner Name«, befand Paula. »Hast du Hunger, Billa?«
»Nun warte mal«, sagte Hannah. »Ich gehe jetzt zu den Nachbarn und frage, wem der Hund gehört.«
»Ich will aber nicht, dass Billa weggeht!«
»Paula!« Hannah sah ihrer Tochter streng in die Augen. »Du bleibst hier! Ich bringe den Hund zu den Nachbarn. Bestimmt sucht ihn sein Besitzer schon.«
Paula nickte unglücklich und blieb an der Haustür stehen, während Hannah die Hündin am Halsband nahm. Billa ließ sich gehorsam zur Straße führen.
Doch nachdem Hannah bei drei Nachbarn erfolglos nachgefragt hatte, blieb sie ratlos vor ihrer Gartenpforte stehen.
»Was mache ich denn jetzt mit dir?« Sie blickte nachdenklich auf die Hündin hinab, die sie erneut anzulächeln schien. »Offenbar kennt dich hier niemand. Wem bist du denn bloß weggelaufen?«
Billa blinzelte und legte den Kopf auf die Seite. Dann blickte sie nach oben zum Himmel. Unwillkürlich folgte Hannah ihrem Blick und beobachtete für einen Moment die vorbeiziehenden Wolken.
»Mama, was ist denn jetzt mit Billa? Darf sie doch hierbleiben?«, rief Paula von der Tür.
Hannah brachte den Hund wieder zur Haustür. »Tja, ich weiß nicht so recht. Am besten rufe ich Silke an und frage sie, was da zu tun ist. Vielleicht ist der Hund von seinem Besitzer ausgesetzt worden.«
»Kann ich Billa dann behalten?«
»Ich frage jetzt erst mal, ob ich sie ins Tierheim bringen soll. Und dann kümmern wir uns darum, den Besitzer zu finden. Wahrscheinlich ist sie irgendwo ausgerissen.«
»Ich bringe Billa in die Küche. Bestimmt hat sie Hunger. Was frisst sie denn? Wir haben ja gar kein Hundefutter.«
»Wir geben ihr nur Wasser. Im Tierheim gibt es genug Hundefutter«, entschied Hannah und sah zu, wie ihre Tochter mit der Hündin in die Küche ging. Dann griff sie nach dem Telefon.
3. Kapitel
»Billa scheint sich ja bei euch ganz wohlzufühlen«, stellte Silke am übernächsten Vormittag bei einem kurzen Besuch fest. »Und sie sieht ja auch ganz gesund aus.«
»Frau Dr. Bensen meinte, sie sei sehr gepflegt und habe laut Marke an ihrem Halsband alle Impfungen. Ich habe gestern eine Anzeige in die Tageszeitung setzen lassen, aber bisher hat sich noch niemand gemeldet; auch nicht auf die Plakate hin, die ich mit Paula zusammen in der Gegend aufgehängt habe.« Hannah zuckte mit den Schultern. »Paula gefällt es natürlich, dass wir die Hündin solange in Pflege nehmen dürfen. Aber mir graut schon vor dem Tag, an dem der Besitzer Billa holen kommt.«
»Eine Weile werdet ihr noch warten müssen. Wir haben sie jedenfalls auf der Internetseite des Tierheims mit Bild aufgenommen. Wenn sich wirklich niemand melden sollte, könnt ihr Billa bestimmt in Dauerpflege nehmen und nach einer Weile ganz behalten. Das heißt, wenn du damit einverstanden bist.«
»Warum nicht? Ich habe ja schon gesagt, dass ich darüber nachdenke, ein Haustier anzuschaffen. Ich dachte zwar eher an eine Katze, aber warum nicht auch einen Hund?« Hannah lächelte. »Auf diese Weise komme ich auch jeden Tag an die frische Luft.«
»Ja, so ein Hund braucht viel Bewegung. Dem Aussehen nach steckt da ein Labrador drin, vielleicht auch ein Hütehund. Das sind sehr intelligente Rassen.« Silke blickte auf ihre Uhr. »Ich muss wieder los. Bestell Paula einen schönen Gruß von mir. Ich melde mich wieder, ja?« Sie winkte noch einmal und ging zu ihrem Auto.
Hannah griff nach ihrer Jacke und der neuen Lederhundeleine, die sie am Vortag zusammen mit ein paar Dosen Hundefutter gekauft hatte. »Na komm, Billa, dann lass uns mal spazieren gehen. Und auf dem Rückweg holen wir Paula vom Kindergarten ab.«
Bei dem Namen »Paula« wedelte Billa freundlich mit dem Schwanz. Sie ließ sich anleinen und ging dann folgsam neben Hannah her die Straße entlang.
Hannah hatte ihr halblanges Haar unter einer Mütze verborgen und schlug nun auch noch den Kragen ihrer Jacke hoch. Doch trotz der Kälte genoss sie den Anblick der weiß bereiften Sträucher und Bäume im nahegelegenen Park, die im Licht der goldenen Spätoktobersonne glitzerten. Wer weiß, wie lange sich das Wetter noch halten würde. Der November war nicht mehr fern, und mit ihm würden vermutlich viele triste und regnerische Tage gekommen. Hannah würde sich diese Zeit mit Kerzen und bunten Fensterbildern erhellen. Außerdem wollte sie dieses Jahr versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe so früh wie möglich zu erledigen.
Die Parkwege lagen verlassen da; um diese Uhrzeit, kurz vor Mittag, hatte wohl kaum jemand Zeit, spazieren zu gehen. Auch Hannah schweifte mit ihren Gedanken zu ihrer Arbeit. Bisher hatte sie erst einen Auftrag für ihr neu gegründetes Architekturbüro an Land ziehen können. Zu wenig, doch wenn alles gut klappte, würde der Kunde sie sicherlich weiterempfehlen, und dann hätte sie auch genügend Geld für die Geschenke, die sie gerne kaufen wollte. Gedankenverloren blickte sie über den kleinen Ententeich, in dem sich die Sonne glitzernd spiegelte.
Plötzlich bellte Billa laut und freudig, und Hannah erschrak, als die Hündin lospreschte und ihr die Leine mit einem Ruck aus der Hand riss.
»Halt, Billa! Wo willst du denn hin?« Sie lief hinter ihr her, blieb aber gleich wieder stehen und beobachtete verblüfft, wie das Tier auf ein an der Straße geparktes Auto zurannte und den Mann, der gerade ausgestiegen war, freudig umtänzelte.
»Na, wenn das nicht der Besitzer ist«, schmunzelte Hannah und ging langsam auf den Fremden zu. Als sie sein Gesicht erkennen konnte, merkte sie jedoch, dass der Mann offenbar zutiefst erschrocken war.
Eilig rannte sie die letzten Schritte. »Entschuldigen Sie, Billa ist mir einfach ausgerissen, als sie Sie sah«, begann sie und musterte den Mann neugierig. Er war mehr als einen halben Kopf größer als sie, schlank und wirkte sehr sportlich. Die schwarzen Jeans, Wanderschuhe und das am Kragen schon etwas abgeschabte Holzfällerhemd unter seiner Cordjacke ließen darauf schließen, dass er nicht gerade Pause von einem Bürojob machte.
Etwas verwirrt blickte er sie an. »Billa?«
»Mein ... der Hund ... Entschuldigen Sie bitte«, wiederholte Hannah. »Ich dachte, Sie seien vielleicht der Besitzer, weil Billa so freudig zu Ihnen gelaufen ist.« Als sie merkte, dass er ihr nicht folgen konnte, fügte sie hinzu: »Billa ist uns vor ein paar Tagen zugelaufen, und wir suchen jetzt nach dem Besitzer.«
»Ach.« Er fuhr sich, anscheinend noch immer verwirrt, durch sein kurzes blondes Haar.
»Sie sind also ganz offensichtlich nicht Billas Herrchen.«
»Ich? Nein.« Nun sah der Mann sie zum ersten Mal richtig an und lächelte. »Nein, das bin ich nicht. Ich war nur etwas überrascht, weil... Der Hund sieht aus, wie ... Na ja, es klingt verrückt, aber meine Großeltern hatten eine Hündin, die haargenau so aussah. Ist schon sehr lange her. Und sie hieß Sybilla.«
»Das ist wirklich ein Zufall«, stimmte Hannah zu und lächelte zurück. »Ich frage mich nur, warum sie zu Ihnen gerannt ist, wenn sie Sie nicht kennt.«
Er hob die Schultern. »Tiere tun manchmal die merkwürdigsten Dinge. Gehen Sie oft hier spazieren?«
»Ich bin mit meiner Tochter gerade erst in die Stadt gezogen«, antwortete sie und biss sich sofort verärgert auf die Lippen.
Der Mann hatte ihren Gesichtsausdruck wohl bemerkt, denn er musterte sie aufmerksam. »Stimmt etwas nicht?«
Hannah schüttelte den Kopf und lachte dann über sich selbst. »Nein, es ist nichts. Aber meine Freundin Silke hätte mir jetzt vermutlich einen Tritt gegen das Schienbein verpasst. Erzähle nicht gleich im ersten Atemzug, dass du eine Tochter hast und alleinerziehend bist! Das predigt sie mir ständig.«
»Ist das denn ein Verbrechen?« Der Mann schmunzelte. »Aber wenn es die Angelegenheit entschärfen sollte, gebe ich am besten gleich zu, dass ich ebenfalls einen Sohn habe.«
»So?«
»Und dass ich alleinerziehender Vater bin.« Er zwinkerte ihr zu. »Von solchen Bemerkungen lasse ich mich also nicht so leicht in die Flucht schlagen.« Er streckte die Hand aus. »Leon Marbach.«
Nun doch etwas verlegen ergriff sie seine Hand. »Hannah Mayer.« Sie hielt kurz inne. »Verrückt, bisher dachte ich immer, Mayer sei ein Allerweltsname. Aber ...«
Er grinste. »Vermutlich haben Sie das Telefonbuch aufgeschlagen und die anderthalb Seiten füllenden Einträge unter Marbach entdeckt. Ungeheuerlich, ich weiß. Und dabei sind wir noch nicht einmal alle miteinander verwandt. Aber Mayers gibt es bei uns auch einige – in allen Schreibweisen.«
Billa, die sich inzwischen wieder brav neben Hannah gesetzt hatte, stand auf und begann, die beiden zu umtänzeln.
Hannah hob die Leine vom Boden auf. »Ich muss jetzt weiter, meine Tochter vom Kindergarten abholen.«
»Der städtische Kindergarten?«
»Ja, warum?«
»Dann sehen wir uns ja bald wieder.« Er blinzelte ihr erneut zu. »Ich gehe doch davon aus, dass Sie sich die große Halloween-Feier nicht entgehen lassen werden?«
»Nun sagen Sie bloß, Ihr Sohn ...«
»... ist in der Eulengruppe, ja. Er ist fünf.« Sein Grinsen wurde zu einem intensiven Lächeln. »Dann sehen wir uns also dort?«
4. Kapitel
»Ach herrje, was ist das denn?« Hannah versuchte, den Wasserhahn in dem kleinen Gästebad zuzudrehen, doch das Tropfen hörte nicht auf. »Das fehlte jetzt aber gerade noch. Da ist wohl die Armatur kaputt. Die Dichtung habe ich doch gestern erst ausgetauscht!« Sie seufzte. »Paula, bring mir doch bitte mal das Telefon, ja!«
Paula, die im Flur mit Billa gespielt hatte, stand vom Boden auf und rannte in die Küche. Augenblicke später kam sie mit dem Telefon zurück. »Wen rufst du denn an, Mama?«
»Unseren Vermieter, Herrn Marbach. Ich hoffe, heute hat er besseren Empfang mit seinem Handy. Obwohl ich glaube, es wäre besser, wenn ich gleich selbst den Klempner hole.« Sie runzelte die Stirn. »Nein, wir sind gerade erst eingezogen, da sollte er schon wissen, wenn etwas kaputt ist.«
»Mama, der Mario heißt auch Marbach.«
»Ich weiß, hier in der Stadt heißen ganz viele Leute so.« Hannah wählte und legte dann den Finger an die Lippen.
Paula grinste und ging wieder zu Billa, die abwartend mitten im Flur saß.
»Marbach?«
»Ja, guten Tag, Herr Marbach. Hier ist noch mal... huch!« Erschrocken hielt Hannah den Hörer ein Stück von ihrem Ohr weg, da es am anderen Ende rauschte und knackte. Dann schien der Motor einer großen Maschine anzuspringen. Sie runzelte die Stirn. »Entschuldigung, hier ist noch einmal Ihre neue Mieterin. Tut mir leid, wenn ich Sie schon wieder stören muss, aber die Armatur in unserem Gästebad ist undicht.«
Wieder rauschte es in der Leitung, dazwischen hörte sie ein paar Sprachfetzen.
»Wie bitte?«
»... Dichtung auswechseln.«
»Das habe ich schon gemacht, aber es hat nichts geholfen«, antwortete sie. »Wahrscheinlich muss die ganze Armatur ausgewechselt werden. Soll ich ... Was?«
»... schon wieder! ...kel schicken. Ich habe wirklich gerade keine ...«
»Hören Sie, Herr Marbach? Ich kann Sie nur sehr schlecht verstehen. Ich könnte selbst einen Klempner ...«
»Nein ... Verdammt! Ich schicke Ihnen ... Dann ... in Ruhe arbeiten ...« Wieder rauschte es und im Hintergrund heulte ein zweiter Motor auf.
»Du liebe Zeit! Ich wollte Sie wirklich nicht belästigen.« Hannah zog verärgert die Stirn in Falten. »Wo stecken Sie denn? Es ist so laut bei Ihnen.«
»... Arbeit, wo sonst? Ich werde nachher ... schicken.«
»Also gut, aber ich kann heute nicht...« Doch die Verbindung war bereits unterbrochen.
Verblüfft starrte Hannah den Hörer an. »Ich muss doch später noch zu meinem Kunden wegen der Bauzeichnung.« Sie schüttelte den Kopf. »Den Termin kann ich nicht einfach absagen, weil ich auf den Klempner warten muss.« Wieder seufzte sie und schaute genervt auf die Uhr.
***
»So ein Mist!«, fluchte er und schob sein Handy in die Brusttasche seiner Jacke. Dann wandte er sich wieder dem Tieflader zu, den er auf der schmalen Straße einzuweisen hatte. Der Ladekran auf dem LKW daneben machte einen ziemlichen Lärm. Er winkte dem Fahrer, der daraufhin zu ihm gelaufen kam. »Kann es sein, dass mit dem Kran etwas nicht stimmt? Der macht doch sonst nicht so einen Höllenlärm!«, rief er ihm zu.
Der Fahrer zuckte mit den Schultern. »Ja, mit dem Getriebe ist was nicht in Ordnung oder mit der Hydraulikpumpe«, rief er zurück. »Ich lasse das nachher durchchecken.«
Er nickte und winkte dem Fahrer, wieder zu seinem LKW zurückzukehren. Ausgerechnet heute musste diese Frau ihm schon wieder auf den Geist gehen. Als ob er den Nerv für eine kaputte Armatur hätte. Wenn das so weiterging, konnte er gleich eine Telefonzentrale für sie einrichten.
Er winkte den Tieflader langsam um eine Ecke. Schon lange war er nicht mehr in dem alten Haus gewesen. Hoffentlich gab es dort nicht noch mehr marode Ecken. Er wollte am liebsten mit diesem ganzen Haus nichts mehr zu tun haben – und mit dieser lästigen Mieterin, deren Namen er schon wieder nicht mitbekommen hatte, schon gleich gar nicht.
Nachdem der Tieflader an seinem Bestimmungsort angekommen war und das Motorengeräusch verklang, zog er erneut sein Handy hervor und tippte eine Nummer ein.
»Onkel Richard? Ich bin’s. Wie? Ja, ich weiß, dass ich hier schlechten Empfang habe. Könntest du mir wohl noch einmal einen Gefallen tun?«
5. Kapitel
»Mama, guck mal, da ist Mario!«, rief Paula und zupfte Hannah am Ärmel ihres Hexenkostüms. »Da, der Pirat!«
Hannah ließ ihre Blicke über die versammelten Kinder und Eltern gleiten und entdeckte schließlich einen kleinen blonden Jungen mit Stirnbinde und Augenklappe.
»Na, dann geh mal zu ihm, kleine Hexe!« Sie lachte und sah ihrer Tochter zu, wie sie quer durch den Raum auf Mario zurannte. Dabei zupfte sie gedankenverloren an ihrem eigenen Kostüm herum. Dass sich die Eltern zu dieser Feier ebenfalls verkleiden sollten, fand sie ein wenig übertrieben, andererseits auch lustig, wenn sie sich so ansah, welchen Aufwand einige Mütter oder Väter dabei betrieben hatten.
»Man könnte meinen, wir wären auf einer Karnevalsveranstaltung, nicht wahr?«, sagte eine männliche Stimme hinter ihr.
Erschrocken drehte sie sich um und sah sich Leon Marbach, ebenfalls mit Stirnbinde und Augenklappe, gegenüber. Sie musterte ihn überrascht, denn sein Kostüm glich exakt dem seines Sohnes, und an seiner Hüfte baumelte ein Spielzeugsäbel.
»Das Werk meiner Tante.« Er lächelte. »Sie ist Schneiderin.« Er warf einen Blick auf seinen Sohn, der inzwischen mit Paula und einem weiteren Jungen lachend und kreischend durch den Raum rannte. »Die freche Hexe da muss Ihre Tochter sein. Sie sieht Ihnen sehr ähnlich.«
»Ja, vor allem in diesem Kostüm.« Hannah lächelte.
»Nein. Oder, ja, natürlich. Aber sie hat auch die gleichen Haare und das gleiche Gesicht wie Sie.« Er hielt kurz inne. »Ein hübsches Gesicht.«
Verlegen wich sie seinem Blick aus und sah ebenfalls den Kindern zu. »Ich wette, das sagen Sie zu allen alleinerziehenden Müttern.«
»Nur, wenn es der Wahrheit entspricht.« Wieder lächelte er. »Abgesehen davon leben in dieser Stadt nicht allzu viele alleinerziehende Mütter mit hübschen Gesichtern.«
»Nicht?«
»Nein. Möchten Sie etwas trinken? Da drüben gibt es Teufelspunsch.«
»Was?«
»Teufelspunsch. Den müssen Sie unbedingt probieren. Bin gleich wieder hier.« Schon war er auf dem Weg zu dem kleinen Buffet, auf dem die Erzieherinnen und einige der Mütter Berge von Leckereien und Getränken aufgebaut hatten.
»Ein äußerst attraktiver Pirat, was?«, sagte eine junge Frau neben Hannah und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Ich sage Ihnen, wenn ich nicht glücklich verheiratet wäre ...« Sie verdrehte übertrieben die Augen und lachte dann herzlich. »Sie müssen Paulas Mutter sein, nicht wahr? Ich bin Renate Marbach, Vorsitzende des Elternbeirats. Meine Zwillinge sind in der gleichen Gruppe wie Ihre Tochter.«
»Noch eine Marbach!«, entfuhr es Hannah, und sie schlug erschrocken eine Hand vor den Mund, doch Renate schien das nicht zu kümmern. »Und nicht die Einzige in diesem Raum. Leon dort drüben und Anita heißen ebenfalls so.« Sie deutete auf eine der Erzieherinnen. »Aber wir sind nicht verwandt oder verschwägert. Dieser Nachname ist hier so was wie eine Seuche.« Sie grinste. »Oha, der Pirat kommt zurück. Kennen Sie ihn näher? Nicht? Na, ich wünsche Ihnen noch ein schönes Fest. Vielleicht möchten Sie ja, wenn Sie sich eingelebt haben, auch im Beirat mitmachen?«
»Vielleicht«, meinte Hannah unbestimmt, doch da war Renate bereits weitergezogen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Frau auf eine der anderen Mütter einredete und dabei in ihre Richtung blickte.
»In der Gerüchteküche köchelt es bereits«, sagte Leon, als er ihr eines der Punschgläser reichte. »Ich hoffe, Sie nehmen es Renate nicht übel, aber vermutlich wird innerhalb der nächsten zwanzig Minuten der gesamte Raum wissen, dass Sie sich mich geangelt haben.«
»Dass ich was?« Erschrocken sah sie ihn an.
»Na, vielleicht war es auch andersherum, wer weiß?« Leon lachte leise. »Der Elternbeirat – oder sollte ich in diesem Fall besser Mütterbeirat sagen – fungiert hier auch als eine Art Nachrichtenübermittlungsstelle. Aber keine Angst – sie sind harmlos.«
»Es lag nicht in meiner Absicht, mir irgendjemanden zu angeln. Sie eingeschlossen«, sagte Hannah spröde.
Leon nickte. »Sie wissen das, und ich weiß das. Aber eine erfundene Romanze ist für Renate und die anderen immer noch interessanter als gar keine. Wie finden Sie den Punsch?«
Hannah nippte an ihrem Glas und hob überrascht die Brauen.
Leon schmunzelte. »Mein Werk. Tomatensaft und Orange und ein bisschen schwarzweiße Magie.«
Als am anderen Ende des Raumes ein Glöckchen klingelte, zwinkerte er ihr zu. »Die Spiele fangen an. Geben wir dem Gerüchtesüppchen noch ein wenig Würze und schauen gemeinsam zu, oder haben Sie Angst, in Verruf zu geraten?«
***
Hannah war wirklich weit davon entfernt, sich einen Mann angeln zu wollen, dennoch genoss sie die Halloween-Feier und Leons Gegenwart. Obwohl es sonst nicht ihre Art war, nahm sie sogar seine Einladung an, nach dem Fest mit den Kindern noch eine Kleinigkeit essen zu gehen.
Nun saßen sie zu viert an einem ovalen Nischentisch bei McDonald’s; Paula und Mario teilten sich ein Tablett, auf dem in kürzester Zeit ein wirres Durcheinander von Pommes frites, Servietten und Cheeseburgern herrschte.
»Wie geht es denn Ihrem vierbeinigen Schützling?«, fragte Leon, während er für Mario ein Tütchen Mayonnaise aufriss.
Hannah zuckte mit den Schultern. »Gut, denke ich. Billa ist ein sehr pflegeleichter Hund. Obwohl...«
»Obwohl?«
»Sie kommt mir manchmal irgendwie seltsam vor. Fast so, als verstehe sie alles, was wir zu ihr sagen.«
»Tiere verstehen mehr, als wir glauben«, warf er ein, doch Hannah schüttelte den Kopf.
»Billa ist mir manchmal richtig unheimlich, sie ...«
»Billa ist ein Weihnachtsengel!«, rief Paula dazwischen und biss in ihren Burger. »Und sie passt auf uns auf«, setzte sie mit vollem Mund hinzu.
»Bitte, Paula, erst kauen und schlucken«, wies Hannah sie zurecht.
»Ein Weihnachtsengel? Im Oktober?«, fragte Leon.
Paula nickte so heftig, dass ihr Pferdeschwanz wild auf und ab wippte. Sie kaute und schluckte aber gehorsam, bevor sie weitersprach: »Sie ist bis Weihnachten der Engel von unserem Haus und passt auf, dass uns nichts passiert. Und sie bringt uns Glück.«
»Ich habe noch nie etwas von einem Engel in Hundegestalt gehört«, meinte Leon.
»Ist aber so«, beharrte Paula und schob sich zwei Pommes frites in den Mund.
»Nun, Glück kann man ja immer brauchen, nicht wahr?«, sagte er zu Hannah gewandt. »Aber muss denn auch jemand auf Sie aufpassen?«
»Bisher sind wir ganz gut allein zurechtgekommen«, antwortete sie und spielte mit einer Serviette herum.
Was tat sie hier eigentlich? Ließ sich und ihre Tochter von einem wildfremden Mann zum Essen einladen und ... flirtete?
»Stimmt etwas nicht?«
Silke wäre vermutlich stolz auf sie.
»Nein, nein, alles okay.« Sie versuchte zu lächeln. »Ich dachte nur gerade daran, dass wir der Gerüchteküche vielleicht ein bisschen zu viel Nahrung geben.«
»Indem wir mit zwei kleinen Kindern an einem Ort essen, an dem es kein Besteck gibt?« Leon lächelte. »Ich glaube, darin besteht keine besonders große Gefahr. Denn schließlich wollen Sie sich ja niemanden angeln, oder?«
»Nicht im Geringsten.«
»Sehen Sie, und wenn ich das wollte, würde mein Köder bestimmt nicht aus fettigen Burgern bestehen, die in Papier eingewickelt serviert werden.« Er klappte die Pappschachtel auf, die seinen Burger enthielt. »Was machen Sie denn beruflich?«
»Ich bin Architektin.« Hannah trank einen Schluck von ihrer Cola. »Erst vor zwei Monaten habe ich mich selbstständig gemacht. So kann ich von meinem eigenen Büro aus arbeiten und brauche für Paula keinen Betreuungsplatz zu suchen. Und Sie?«
»Förster«, sagte er knapp und prostete ihr mit seinem Pappbecher zu. »Ich bin für die Wälder rund um die Stadt zuständig.«
Hannah sah ihn überrascht an. »Ein interessanter Beruf. Ich habe noch nie einen Förster kennengelernt.«
»Sehen Sie, dann wurde es doch Zeit. Mögen Sie den Wald?«
»Sehr.« Hannah nickte. »Als Kind bin ich mit meiner Freundin Silke viel im Wald herumgestreift. Doch die letzten Jahre habe ich ... haben wir nur in der Großstadt gelebt, seit meinem Studium. Ich bin ganz froh, jetzt wieder in einer Kleinstadt gelandet zu sein.«
Er nickte. »Vielleicht machen wir ja alle zusammen einmal einen Waldspaziergang.« Er stieß Mario an. »Was meinst du – zeigen wir Paula und ihrer Mama mal unser Baumhaus?«
»Au ja!« Mario klatschte mit beiden Händen auf die Tischplatte. »Unser Baumhaus ist toll. Papa hat es ganz allein gebaut, und ich habe geholfen. Können wir gleich hin?«
»Nein.« Leon lachte. »Es ist doch schon fast dunkel. Aber vielleicht am Samstag?« Erwartungsvoll sah er Hannah an.
Paula fasste sie am Arm und hüpfte aufgeregt auf ihrem Stuhl auf und ab. »Au ja, Mama. Bitte, bitte!«
Hannah seufzte ergeben. »Also gut, Paula.«
Ihre Tochter stieß ein begeistertes Geheul aus, während sich Hannah an Leon wandte. »Aber nur, wenn es Ihnen keine Umstände macht.«
»Keineswegs. Wir freuen uns immer über Besuch, nicht wahr, Mario?«
Doch Mario hörte nicht mehr zu. Er redete bereits auf Paula ein und beschrieb ihr in allen Einzelheiten, wie sein Baumhaus aussah.
Leon trank seinen Rest Cola aus und räumte dann die verstreuten Burgerverpackungen zusammen. »So gegen zwei? Wenn Sie möchten, hole ich Sie gerne ab.«
Hannah dachte an ihr Haus, das bisher noch alles andere als einladend wirkte, und wehrte entschieden ab. »Das ist nicht nötig. Wenn Sie mir sagen, wo Sie wohnen, werden wir schon hinkommen.«
Leon nickte, zog ein Stück Papier und einen Stift aus seiner Jackentasche und schrieb ihr die Adresse auf. »Das Forsthaus ist leicht zu finden. Es liegt gleich am Waldrand. Wenn Sie aus der Stadt hinausfahren, gibt es nur eine Straße, die direkt darauf zuführt.«
Sie standen auf und brachten ihre Tabletts weg. Dann hielt Leon Hannah und Paula die Tür auf. »Es war ein sehr netter Nachmittag.«
Hannah nickte und zog den Reißverschluss an Paulas Anorak zu. »Das war es wirklich. Danke noch mal für die Einladung zum Essen.«
»Keine Ursache. Und denken Sie daran: Das war kein Köder.« Er zwinkerte, nickte ihr noch einmal zu und ging, Mario an der Hand, davon.
»Paulas Mama ist nett«, hörte sie Mario sagen.
»Das ist sie«, antwortete Leon.
»Paula ist meine Freundin«, zwitscherte der Junge weiter. »Ist ihre Mama deine Freundin?«
»Bisher nicht«, antwortete Leon ihm.
Was er weiter sagte, konnte Hannah nicht mehr verstehen. Sie sah ihm einen Augenblick nach, doch Paula zupfte bereits an ihrem Ärmel.
»Mama, Billa, wartet bestimmt schon auf uns. Darf ich sie zu Mario mitnehmen?«
6. Kapitel
»Warum?«, fragte Mario.
»Was warum?« Leon bemühte sich nach Kräften, sich nicht noch einmal zu Hannah und Paula umzudrehen. Es war besser, nicht gleich zu viel Interesse zu zeigen. Schon gar nicht bei einer so attraktiven Frau wie Hannah, die anscheinend genau wusste, was sie wollte. Eine Männerbekanntschaft schien nicht dazuzugehören. Möglicherweise war sie ja auch bereits liiert, auch wenn sie nichts dergleichen angedeutet hatte.
»Warum ist Paulas Mama nicht deine Freundin?«
Leon riss sich von seinen Gedanken los und blickte seinem Sohn ins Gesicht. »Weil ... Erwachsene sich nicht so schnell anfreunden wie Kinder.«
»Warum nicht?« Mario ließ seine Hand los und rannte ein paar Schritte voraus, kehrte jedoch gleich wieder um und hüpfte neben seinem Vater her.
Leon seufzte. »Das ist schwer zu erklären, Mario. Erwachsene sind viel vorsichtiger als Kinder und brauchen länger, um herauszufinden, ob sie jemanden mögen oder nicht.«
»Weißt du denn nicht, ob du sie magst?« Mario blickte neugierig zu ihm auf.
Leon ließ sich Zeit mit seiner Antwort, denn ihm war tatsächlich noch nicht ganz klar, was er von Hannah halten sollte. Vielleicht war er auch einfach schon viel zu lange alleine, um seine Reaktion auf sie richtig einschätzen zu können. Und möglicherweise gefiel ihm das Ergebnis seiner Überlegungen auch gar nicht.
»Was denn jetzt?«, drängelte Mario ungeduldig.
»Ich finde sie sehr nett und ... ja, ich denke, ich mag sie auch«, rang er sich zu einer Antwort durch, weil er wusste, dass sein Sohn sonst keine Ruhe geben würde. »Das muss aber noch lange nicht heißen, dass sie meine Freundin ist. Und im Übrigen wissen wir ja auch gar nicht, ob sie das sein möchte, nicht wahr?«
»Ich kann sie ja am Samstag fragen«, schlug Mario eifrig vor.
Leon lachte. »Nein, das lässt du schön bleiben. Komm, lass uns noch auf einen Sprung bei Tante Agnes reinschauen und ihr erzählen, wie toll unsere Kostüme heute angekommen sind.«
***
»Mama, Billa ist weg!« Paula rannte aufgeregt durch das Haus, nachdem Hannah die Tür aufgeschlossen hatte.
»Vielleicht hat sie sich irgendwo versteckt«, meinte Hannah und zog ihre Jacke aus. »Sie kann doch gar nicht aus dem Haus heraus. Hast du unter deinem Bett nachgesehen?«
Paula kam die Treppe herabgesprungen und schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht da, Mama. Bestimmt ist sie kurz in den Himmel hochgeflogen. Engel können das, und sie können auch durch Wände gehen, wenn sie wollen.«
»Das ist doch Unsinn, Paula«, erwiderte Hannah und machte sich selbst auf die Suche. Doch Paula hatte recht, die Hündin war nirgends zu finden. Die Näpfe mit Futter und Wasser standen unberührt neben dem Heizkörper in der Küche.
Hatten sie vor ihrem Fortgehen versehentlich kurz die Tür offen stehenlassen? Und war Billa dabei heimlich entwischt? Es musste wohl so sein.
Mit gerunzelter Stirn überlegte sie, ob sie Silke oder das Tierheim verständigen sollte, doch dann entschied sie sich dagegen. Vielleicht tauchte Billa ja wieder auf. Falls nicht, war morgen früh noch Zeit, dort Bescheid zu geben.
Sicherheitshalber öffnete sie die Hintertür und trat in den Garten hinaus, doch das wenige Licht, das aus dem Flur auf die kleine Wildnis fiel, reichte nicht, um etwas zu erkennen. Im Stillen nahm sich Hannah vor, eine Außenlampe anbringen zu lassen.
»Billa?«, rief sie leise. »Bist du hier draußen irgendwo?«
Sie lauschte, hörte jedoch nur das Fiepen und Rascheln einer Maus. Die Äste des alten Ahornbaumes an der Ecke ihres Grundstücks knarrten, und der auffrischende Wind wirbelte gelbe und braune Blätter auf.
Fröstelnd rieb sie sich die Arme und ging eilig zurück ins Haus, als die ersten Regentropfen fielen. Ein Blick auf ihre Armbanduhr ließ sie einen verblüfften Laut ausstoßen. »Liebe Zeit, es ist ja schon nach acht!« Sie ging ins Wohnzimmer, wo Paula es sich im Schneidersitz vor dem Fernseher bequem gemacht hatte.
Hannah griff nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät wieder aus. »Um diese Uhrzeit wird nicht mehr ferngesehen, Paula. Das weißt du doch. Du gehst jetzt ins Bett. Zieh dir den Schafanzug an und putz dir die Zähne!«
»Och Mensch! Ich wollte doch warten, bis Billa zurückkommt.« Paula machte ein enttäuschtes Gesicht.
Hannah schüttelte entschieden den Kopf. »Wir wissen doch gar nicht, ob und wann sie zurückkommt. Und du musst morgen früh in den Kindergarten und ausgeschlafen sein.«
»Aber...«
»Kein Aber! Ich kann doch auch auf sie warten, oder?«
»Schon ...«
»Wenn sie kommt, mache ich ihr sofort die Tür auf.« Hannah gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. »Nun geh schon nach oben. Ich komme gleich und decke dich zu.«
Nach dem langen und aufregenden Tag dauerte es nicht lange, bis Paula eingeschlafen war. Hannah machte es sich im Wohnzimmer auf der Couch bequem und schaltete den Fernseher wieder ein. Doch nachdem sie sich durch mehrere Programme gezappt hatte, machte sie das Gerät entnervt wieder aus und griff stattdessen nach einem Buch, konnte sich aber nicht auf die Geschichte konzentrieren. Also klappte sie das Buch wieder zu und lauschte dem Wind, der sich mittlerweile zum Sturm gesteigert hatte und an den Fensterläden rüttelte. Regen prasselte gegen die Fensterscheiben.
Hannah mochte Unwetter. Sie kuschelte sich in ihre alte Wolldecke, schloss die Augen und genoss das hohle Pfeifen, das der Wind im Kamin verursachte.
Ihre Gedanken wanderten zurück zum Nachmittag und zu Leon. Gerade, als sie sich sein Gesicht vorstellte, brandete eine besonders heftige Sturmböe gegen das Haus. Fast gleichzeitig knirschte es, und dann krachte draußen etwas zu Boden.
Erschrocken sprang Hannah auf die Füße und rannte zum Fenster. Doch in der Dunkelheit sah sie nicht viel mehr als die Schatten der Büsche, die sich im Wind bogen. Ein erneutes Krachen ließ sie zusammenzucken. »O verdammt!« Plötzlich begriff sie, was geschehen war. Ihr erster Impuls war, nach draußen zu stürzen, doch das wiederholte Knirschen ließ sie innehalten. Es war zu gefährlich, jetzt hinauszugehen. Stattdessen eilte sie die Treppe hinauf und öffnete die Klappe, die zum Speicher hinaufführte.
»Was machst du da, Mama?« Paula stand mit verschlafenem Gesicht in ihrer Zimmertür.
»Leg dich wieder hin! Der Wind hat anscheinend ein paar Dachschindeln heruntergeweht. Ich will nur schauen, ob es durchregnet.«
»Ist Billa wieder da?«
Hannah schüttelte den Kopf. »Nein, Paula. Bestimmt hat sie sich ein sicheres Plätzchen gesucht und wartet das Unwetter ab. Schlaf jetzt!«
Paula wandte sich mit betrübtem Gesicht um und verschwand wieder in ihrem Bett. Hannah zog die ausziehbare Leiter zu sich herab und kletterte auf den Dachboden. Trotz des spärlichen Lichts, das die winzige Glühlampe warf, erkannte sie sofort die Bescherung. Der Sturm hatte bereits drei Dachschindeln fortgeweht, und die Dachplane, die sich darunter befand, war so alt und spröde, dass sie Risse aufwies, durch die sich nun in einem Rinnsal der Regen drückte. Glücklicherweise fand sie in einer Ecke einen alten Eimer, den sie so aufstellte, dass das Wasser hineintropfen konnte. Sie hoffte, das würde bis zum Morgen ausreichen. »Hoffentlich reißt es nicht noch mehr Schindeln herunter«, murmelte sie missmutig. »Schlimm genug, dass ich diesen Vermieter schon wieder anrufen muss.«
Als eine erneute Sturmböe das Haus erfasste, fuhr sie erschrocken zusammen. Eilig verließ sie den Dachboden und ging zurück ins Wohnzimmer.
Obwohl ihre wohlige Stimmung verflogen war, legte sie sich wieder auf die Couch, zog sich die Wolldecke bis zum Kinn und schloss die Augen. Dass ihr erster Gedanke, als sie sich zu entspannen versuchte, wieder Leon galt, ließ sie über sich selbst schmunzeln. Warum auch nicht? überlegte sie. Immerhin war er ein ansehnlicher Mann. Es wunderte sie, dass ausgerechnet jemand wie er noch Single war. Aber vermutlich gab es einen guten Grund dafür. Wahrscheinlich war er eher auf kurze Abenteuer aus. So war es doch oft bei den gut aussehenden Männern, nicht wahr? Denen war ihre Freiheit meistens lieber als eine feste Partnerin.
Träge bewegte Hannah ihre Füße unter der Decke. Silke würde vermutlich sagen, dass ein Abenteuer immer noch besser war als gar kein Mann. Hannah lächelte vor sich hin. Vielleicht erzählte sie ihrer Freundin vorerst lieber nichts von Leon. Und im Grunde gab es ja auch noch gar nichts zu berichten. Er war nur rein zufällig ein netter alleinerziehender Vater, dessen Sohn wie Paula in die Eulengruppe des örtlichen Kindergartens ging. Sie seufzte. Und der sie erst zum Essen bei McDonald’s und dann zur Besichtigung eines Baumhauses im Wald eingeladen hatte – in Anwesenheit beider Kinder. Nein, er hatte schon recht. Das war weder ein Köder noch besonders romantisch. Und deshalb würde sie auch hingehen.
Sie schrak zusammen, als sie neben sich ein leises Schnaufen hörte, und riss die Augen auf. »O mein Gott, Billa!« Verwirrt fuhr sie hoch und starrte auf die Hündin, die neben der Couch saß und treuherzig zu ihr aufblickte. Wasser tropfte aus ihrem Fell. »Wie bist du denn hereingekommen?«
Wie zur Antwort knarrte im Flur die Hintertür. Hannah war mit wenigen Schritten dort und betrachtete sprachlos die offene Tür, durch die der Regen ins Haus geweht wurde. Eilig schloss sie sie wieder und drehte sich zu Billa um, die ihr auf dem Fuß gefolgt war. »Kannst du etwa Türen öffnen?« Sie schüttelte den Kopf. »Das gibt es doch gar nicht. Ich dachte, ich hätte abgeschlossen!« Das holte sie nun schnell nach und hängte den Schlüssel an das Brett neben der Tür.
Billa schüttelte sich leicht, legte den Kopf auf die Seite, und Hannah strich ihr über das nasse Fell. »Das ist ja wirklich merkwürdig. Was bist du nur für ein Hund?«
Billa leckte ihr über den Handrücken und schien sie freundlich anzulächeln. Dann tapste sie in die Küche und machte sich über den Napf mit Hundefutter her.
7. Kapitel
»Hallo, Herr Marbach? Gut, dass ich Sie erreiche. Leider hat der Sturm gestern Nacht ein paar Schindeln von meinem Dach geweht. Ich denke, wir müssen umgehend einen Dachdecker ...«
»Wir?«, kam es mitsamt einem Knacken und Rauschen aus dem Hörer.
Hannah verdrehte die Augen. »Nun, Sie natürlich, denn es ist ja Ihr Haus. Es hat nämlich ziemlich stark hereingeregnet ...«
»... schon wieder? Dieses Haus ... auf die Nerven!«
»Also hören Sie mal!« Verärgert wechselte Hannah den Hörer vom linken ans rechte Ohr. »Es ist mir egal, ob ich Ihnen auf die Nerven gehe. Sie sind der Vermieter, also sollten Sie sich auch darum kümmern ...«
»... nicht selbst einen Dachdecker holen?« Die Stimme war immer schwerer zu verstehen.
Hannah verdrehte die Augen. »Natürlich kann ich auch selbst einen Dachdecker holen, aber dann muss die Rechnung...«
»... habe jetzt wirklich keine Zeit dafür ... Sturmschäden ...«
»Was?« Hannah bemühte sich, aus den Sprachfetzen schlau zu werden, die an ihr Ohr drangen. Doch so langsam trieb sie das ständige Knistern und Rauschen in der Leitung zur Weißglut. »Hören Sie, Herr Marbach. Entweder Sie schicken mir einen Dachdecker, oder ich rufe selbst einen. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich ein besseres Handy zulegen würden. Ich verstehe kein Wort!«
»... nicht mein Handy ... schlechter Empfang ...«
»Lieber Himmel, dann gehen Sie irgendwohin, wo der Empfang besser ist!«
»... jetzt nicht... Ruhe geben ... schicke ich Ihnen ...«
»Damit ich Ruhe gebe? Was denken Sie sich eigentlich? Hallo?«
»... jetzt an die Arbeit.«
Es knackte in der Leitung, und die Verbindung war unterbrochen. Hannah starrte ihr Telefon fuchsteufelswild an. »Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! Mir regnet es ins Haus, und dieser Blödmann will, dass ich Ruhe gebe!« Erregt ging sie in der Küche auf und ab und wäre fast über Billa gestolpert, die sich ihr mit einem leisen Winseln in den Weg stellte.
Überrascht blickte sie auf die Hündin hinab. »Was ist denn los?«
Billa legte den Kopf auf die Seite und wedelte leicht mit dem Schwanz.
»Du meinst, ich soll mich nicht so aufregen, was?« Mit einem resignierten Seufzen ließ sich Hannah auf einen Stuhl sinken. Billa kam zu ihr und legte ihr den Kopf aufs Knie.
Hannah schmunzelte. »Du hast ja recht, Billa. Er hat es gar nicht verdient, dass man sich über ihn aufregt. Als ob ich ihn mit meinen Anrufen ärgern wolle!« Sie schüttelte den Kopf. »Hätte ich gewusst, wie er ist, hätte ich mir zweimal überlegt, ob ich das Haus miete.«
Billa gab ein zustimmendes Schnaufen von sich und stupste sie mit der Nase an. »Okay, ich lasse dich kurz in den Garten, aber dann muss ich wieder an die Arbeit.«
***
Missmutig steckte er sein Handy weg und trat mit einem leisen Fluch gegen den Reifen seines Wagens. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Diese Nervensäge von einer Mieterin hatte wohl beschlossen, ihm ständig auf den Keks zu gehen. Er hätte das Haus besser leerstehen lassen. Jetzt hatte er dauernd Beschwerden und Reparaturen am Hals.
Er atmete tief durch und lehnte sich gegen den Kotflügel. Onkel Richard hatte ihn schon gewarnt, dass das Dach des alten Gebäudes nicht mehr das beste war. Jetzt hatte er den Salat. Aber konnte diese blöde Ziege nicht selbst einen Dachdecker holen? Ihm reichte es schon, wenn er die Rechnung bekam. Andererseits würde sie ihm womöglich den Mieterbund auf den Hals hetzen, wenn er sich nicht um sein Haus kümmerte. Seufzend klappte er sein Handy auf und wählte die Nummer eines Onkels. Ausgerechnet heute hatte er aber auch wirklich keine Zeit. Der Sturm hatte einiges an Schaden angerichtet. Das Ausmaß an Zerstörung, das sich seinem Blick bot, wenn er den Kopf hob, überwog ein paar herabgewehte Dachpfannen bei weitem.
Erst als er das Gespräch mit seinem Onkel beendete, fiel ihm ein, dass er schon wieder vergessen hatte zu fragen, wie seine Mieterin überhaupt hieß. Den Mietvertrag hatte er seiner Tante mitgegeben und sich später nicht mehr darum gekümmert.
»Das sieht nicht gut aus.« Richard Bogner strich sich ein ums andere Mal durch seinen dichten, gepflegten Vollbart. »Da müssen wir mehr machen, als nur die Dachschindeln zu ersetzen.«
»Ich habe es befürchtet.« Hannah stand neben dem älteren Herrn und blickte ebenfalls zum Dach hinauf.
Er nickte vor sich hin. »Das wird teuer. Aber ich kann das erst mal provisorisch abdichten, bis ein Dachdecker verständigt ist.«
»Das wäre sehr nett. Leider war Herr Marbach wohl nicht sehr begeistert, als ich ihn schon wieder wegen einer Reparatur angerufen habe«, formulierte sie vorsichtig.
Bogner nickte lächelnd. »Ja, ja, der Junior ist da ein bisschen empfindlich, und auf Frauen reagiert er zuweilen etwas biestig. Nehmen Sie es ihm nicht übel, er hat schon genug hinter sich.«
»Kein Grund, unhöflich zu werden.« Hannah spürte noch immer einen Funken Arger in sich.
»Das ist natürlich richtig. Ich werde ihm nahelegen, sich an seine gute Erziehung zu erinnern.« Bogner zwinkerte ihr zu, und sie war für einen Moment irritiert. »Er ist ein guter Junge, aber das Haus hier ...«, fuhr er fort und hielt dann nachdenklich inne. »Vielleicht hätte er es doch verkaufen sollen. Ach was!« Er lachte. »Das soll Sie nicht interessieren. Ich werde mal sehen, ob ich die Dachplane abdichten kann, und dann sage ich dem Jungen Bescheid, dass er seinen Hintern in Bewegung setzen und einen Dachdecker verständigen soll.«
Hannah nickte und ging wieder in ihr Arbeitszimmer. Sie rückte den Ausdruck ihrer letzten Zeichnung ein wenig mehr ins Licht und lauschte, während sie über dem Problem einer bestimmten, vom Kunden gewünschten Dachneigung brütete, den Geräuschen, die Bogner auf dem Dachboden machte.
***
Pünktlich um Viertel vor zwölf kam Billa ins Zimmer getapst und setzte sich erwartungsvoll neben sie.
Hannah blickte erst auf die Hündin, dann auf die Uhr. »Nanu, willst du mich daran erinnern, Paula abzuholen? Du scheinst aber ein gutes Zeitgefühl zu haben.« Sie tätschelte Billa den Kopf und stand auf. »Na komm, dann lass uns mal losgehen.«
Als sie vor dem Kindergarten ankamen, ertappte sich Hannah dabei, dass sie nach Leon Ausschau hielt, und schalt sich selbst ein dummes Huhn. Sie winkte Paula, die gerade aus der Tür trat. »Hallo, mein Schatz! War es schön heute?«
Paula nickte heftig und umarmte erst Hannah, dann Billa. »Ganz schön. Sandra hatte Geburtstag, und wir haben Kuchen gegessen.« Sie stand auf und nahm Hannahs Hand. »Gehen wir noch spazieren?«
»Wenn du möchtest.« Hannah nickte. »Aber nicht zu lange, ich muss nämlich noch arbeiten. Wo ist denn Mario heute?«
»Bei seiner Tante. Mama, wann ist endlich Samstag?«
Schmunzelnd strich Hannah ihrer Tochter über den Kopf. Diese Frage hatte sie sich, wenn sie ehrlich war, auch schon gestellt. »Übermorgen ist Samstag. Das bedeutet, wir müssen noch zweimal schlafen.«
»Und dann gehen wir zu Mario!«, jubelte Paula und hüpfte aufgeregt neben Hannah auf und ab. »Mama, freust du dich auch, dass wir zu Mario und seinem Papa gehen?«
»Es wird bestimmt sehr nett«, antwortete Hannah ruhig und blickte sich um. So laut, wie Paula geredet hatte, war diese Information nun ganz sicher bereits in Umlauf geraten.
Tatsächlich sah sie Renate und zwei andere Mütter miteinander tuscheln und in ihre Richtung blicken.
Hannah lächelte ihnen kurz zu, wandte sich ab und kräuselte die Lippen. Noch mehr Futter für den Gerüchteeintopf, dachte sie. »Komm, Paula, lass uns ein bisschen schneller gehen.«
»Hannah? Warten Sie doch bitte kurz!«
Beim Klang von Renates Stimme blieb sie stehen und verdrehte die Augen. »Auch das noch!«
»Hannah? Ach, ich darf Sie doch so nennen, ja? Wir nennen uns hier alle beim Vornamen.« Renate blieb vor ihr stehen und lächelte breit. »Haben Sie sich schon überlegt, ob Sie dem Elternbeirat beitreten möchten? Nein? Na, macht ja nichts. Ist ja nicht so eilig. Aber vielleicht möchten Sie am Samstagnachmittag zu unserem Treffen kommen? Wir planen gerade die Adventsfeier und können jede Verstärkung brauchen.«
Renates unschuldiger Augenaufschlag reizte Hannah fast zum Lachen, doch sie riss sich zusammen. »Am Samstag haben wir leider schon etwas vor.«
»Wir fahren zu Mario und seinem Papa, und Mario zeigt mir sein Baumhaus!«, rief Paula dazwischen und hüpfte um Billa herum, die dies aus Aufforderung zum Spielen ansah und fröhlich bellte.
Hannah zuckte zusammen. Auf dem Silbertablett hatte sie Renate die Information eigentlich nicht liefern wollen, aber nun ließ es sich ja nicht mehr rückgängig machen.
»Ach, sagen Sie bloß, Sie sind mit Leon verabredet?« Renate tat überrascht. »Das ist aber schnell gegangen. Ich wusste ja gar nicht, dass Sie und er ...«
»Nein.« Hannah schüttelte entschieden den Kopf. »Wir sind nicht...«