Das Neue Leben - Dante Alighieri - E-Book

Das Neue Leben E-Book

Dante Alighieri

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Beschreibung

Dante Alighieri kennen wir als Dichter der "Göttlichen Komödie"? und wir kennen ihn als Verehrer Beatrices. In seinem Jugendwerk "La vita nuova" – "Das Neue Leben" erzählt er in Prosa und in Versen die Geschichte seiner großen Liebe. Dante begegnet Beatrice zum ersten Mal, als er neun Jahre alt ist, und mit dieser Begegnung, so schreibt er, beginnt für ihn ein neues Leben: "Seither, sage ich, beherrschte Amor meine Seele". Die Liebe aber bleibt unerfüllt und wird zur vergeistigten Liebe; nach Beatrices Tod wird er ihr in seiner "Commedia" im Paradies wiederbegegnen. "Das Neue Leben" wird damit zur Grundlage für Dantes Hauptwerk. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 109

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Dante Alighieri

Das Neue Leben

Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Vormbaum

Reclam

Die Übersetzung folgt der Ausgabe:

Dante Alighieri: La vita nova. A cura di Tommaso Casini. Florenz: Sansoni, 1962.

 

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2016

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961167-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019216-0

www.reclam.de

Inhalt

Das neue LebenNachbemerkung

[5]Das Neue Leben

[7]Proömium

In jenem Abschnitt des Buchs meiner Erinnerungen, in dem es vorher nur wenig zu lesen gibt, findet sich eine Überschrift, die da lautet: Incipit vita nova.1 Und unter dieser Überschrift finde ich die Worte geschrieben, die ich in diesem Buche wiedergeben möchte – wenn auch nicht alle, so doch zumindest ihren wesentlichen Inhalt.

[8]I

Fast neunmal schon war seit meiner Geburt der Himmel des Lichts auf seiner Umlaufbahn an dieselbe Stelle zurückgekehrt, als meine Augen zum ersten Mal die glorreiche Frau meiner Seele erblickten, die von vielen, die nicht wussten, wie man sie nennen solle, Beatrice genannt wurde. Sie war in diesem Leben bereits so weit gelangt, dass der Sternenhimmel sich in ihrer Zeit um einen der zwölf Teile eines Grades nach Osten bewegt hatte, sodass sie mir ungefähr am Anfang ihres neunten Jahres erschien und ich sie ungefähr am Ende meines neunten Jahres erblickte.

Sie erschien vor mir in einem Kleid von vornehmer blutroter Farbe, bescheiden und ehrbar, gegürtet und geschmückt auf eine Weise, die sich für ihre frühe Jugend ziemte.

An dieser Stelle, sage ich aufrichtig, begann der Geist des Lebens, der in der geheimsten Kammer des Herzens wohnt, so heftig zu zittern, dass er schrecklich noch in den kleinsten Pulsen erschien; und zitternd sprach er diese Worte: Ecce deus fortior me, qui veniens dominabitur mihi.2 An dieser Stelle begann der animalische Geist, der in der hohen Kammer lebt, wohin alle Geister der Sinne ihre Wahrnehmungen bringen, sich sehr zu wundern, und besonders zu den Geistern des Sehens sprach er diese Worte: Apparuit iam beatitudo vestra.3 An dieser Stelle begann der natürliche Geist, der in jenem Teile wohnt, in welchem [9]unsere Ernährung sich vollzieht, zu weinen, und weinend sprach er diese Worte: Heu miser, quia frequenter impeditus ero deinceps!4

Und seither, sage ich, beherrschte Amor meine Seele, die ihm so rasch vermählt worden war, und durch die Macht, die meine Einbildungskraft ihm verlieh, begann er eine solche Sicherheit und Herrschaft über mich zu gewinnen, dass ich alles, was ihm beliebte, vollständig ausführen musste. Er befahl mir oftmals, ich solle jenes junge Engelsgeschöpf suchen; weshalb ich in meiner Kindheit mich oftmals auf die Suche nach ihr begab; und ich sah an ihr ein so edles und löbliches Verhalten, dass man gewiss über sie die Worte des Dichters Homer sprechen könnte: »Sie erschien nicht als die Tochter eines sterblichen Menschen, sondern als die eines Gottes.«5 Und mag auch ihr Bild, das ständig vor meinen Augen stand, eine Keckheit Amors gewesen sein, um mich zu beherrschen, so war es doch von so edler Kraft, dass es niemals zuließ, dass Amor mich ohne den zuverlässigen Rat der Vernunft in jenen Dingen lenkte, in denen es nützlich ist, auf diesen Rat zu hören. Da es aber manchem als Fabulieren erscheinen mag, wenn ich bei den Leidenschaften und Handlungen einer solchen Jugendzeit verweile, will ich damit aufhören; ich übergehe also viele Dinge, die man dem Urbild, aus dem sie hervorgehen, entnehmen könnte, und will zu jenen Worten kommen, die unter höheren Kapitelnummern in mein Gedächtnis geschrieben sind.

[10]II

Als nun so viele Tage vergangen waren, dass genau neun Jahre seit der oben beschriebenen Erscheinung dieser Edlen vollendet waren, geschah es am letzten dieser Tage, dass diese wunderbare Frau, in ein Gewand von blendend weißer Farbe gekleidet, mir inmitten zweier edler Frauen, die älter waren als sie, erschien. Und während sie durch eine Straße ging, wandte sie ihren Blick zu jenem Teil der Straße, wo ich ganz verängstigt stand; und mit ihrem unaussprechlichen Liebreiz, der heute in der Ewigkeit seinen Lohn findet, grüßte sie mich so tugendsam, dass es mir so vorkam, als erschaute ich alle Gefilde der Seligkeit. Die Stunde, da ihr lieblicher Gruß mich erreichte, war mit Bestimmtheit die neunte jenes Tages; und weil dieses das erste Mal war, dass ihre Worte sich regten, um an mein Ohr zu dringen, erfasste mich eine solche Wonne, dass ich mich wie im Rausch von den Menschen absonderte, mich in die Einsamkeit meines Zimmers zurückzog und mich den Gedanken an diese Liebreizende hingab.

[11]III

Und wie ich so an sie dachte, überkam mich ein süßer Traum, in welchem eine wunderbare Erscheinung vor meine Augen trat: Es schien mir nämlich, als sähe ich in meinem Zimmer einen feuerfarbenen Nebel, in welchem ich die Gestalt eines Gebieters erkannte, der für den, der ihn anschaute, einen furchterregenden Anblick bot; er selbst schien so große Freude zu empfinden, dass es wunderbar war; und in seinen Worten sprach er viele Dinge, die ich bis auf wenige Worte nicht verstand; aber zu denen, die ich verstand, gehörten diese: »Ego dominus tuus.«6 In seinen Armen meinte ich eine schlafende nackte Person zu sehen; doch schien sie leicht in ein blutrotes Tuch gehüllt; ich betrachtete sie sehr aufmerksam und erkannte, dass es die Frau des Heils war, die mich tags zuvor ihres Grußes gewürdigt hatte.

Und in der einen seiner Hände schien er etwas zu halten, das rundum glühte, und es schien mir, als ob er mir diese Worte sage: »Vide cor tuum.«7 Und nachdem er einige Zeit verharrt hatte, schien er die Schlafende zu wecken; und er bemühte sich sehr durch die Kraft seines Geistes, sie zu veranlassen, das, was in seiner Hand glühte, zu verspeisen, und sie verspeiste es zögernd. Danach verging nur kurze Zeit, bis sich seine Freude in bittersten Schmerz verwandelte; und so unter Tränen nahm er erneut diese Frau in die Arme, und es schien mir, als fahre er mit ihr gen Himmel; darob empfand ich so starke Beklemmung, dass [12]mein sanfter Schlaf nicht anhielt, er vielmehr unterbrochen ward und ich aufwachte. Und sogleich begann ich nachzudenken, und ich stellte fest, dass die Stunde, in der mir diese Erscheinung begegnet war, die vierte Stunde der Nacht gewesen war; sodass sich eindeutig ergibt, dass sie die erste der letzten neun Stunden der Nacht war. Indem ich an das dachte, was mir erschienen war, beschloss ich, es vielen, die in jener Zeit berühmte Traumdeuter waren, zur Kenntnis zu bringen: Und da ich mir überdies schon die Kunst, Worte in Reime zu setzen, angeeignet hatte, beschloss ich, ein Sonett zu dichten, in welchem ich alle Gefolgsleute Amors grüßen würde. Und mit der Bitte, mein Traumgesicht zu deuten, schrieb ich ihnen, was ich in meinem Traum geschaut hatte. Und so begann ich das folgende Sonett, welches beginnt: Zum edlen Herz.

 

Zum edlen Herz, zur Seele, die gefangen,

Vor deren Augen diese Worte kommen,

Wozu ich ihre Meinung gern vernommen,

Soll Amors, unsres Herren, Gruß gelangen.

Schon war die vierte Stund’ herangekommen

Der Zeit, in welcher alle Sterne prangen,

Als Amor plötzlich auf mich zugegangen.

Denk ich daran, bin ich noch jetzt beklommen.

Er schien mir fröhlich; mit der Hand umfangen

Hielt er mein Herz; in seinen Armen lag

Schlafend die Frau, die Schleier sanft umschlangen.

Dann weckt’ er sie; mein heißes Herz voll Bangen

Aß sie bescheiden. Als der Tag anbrach,

Floh er, und Tränen ihm ins Auge drangen.

 

[13]Dieses Sonett besteht aus zwei Teilen, in deren erstem ich grüße und Antwort erbitte und in deren zweitem ich erkläre, worauf geantwortet werden soll. Der zweite Teil beginnt mit den Worten: Schon war die vierte Stund’ herangekommen. Dieses Sonett fand Antwort von vielen mit unterschiedlichen Inhalten; zu den Antwortgebern gehörte auch er, den ich den ersten meiner Freunde nenne, und er dichtete damals ein Sonett, welches beginnt: Du hast, so dünkt mich, jeden Wert gesehen. Und dies war zugleich der Anfang der Freundschaft zwischen ihm und mir, als er vernahm, dass ich es war, der ihm dies gesandt hatte. Die wahre Deutung des erwähnten Traumes wurde damals von niemandem erkannt, jetzt aber ist sie auch den schlichtesten Gemütern offenbar.

[14]IV

Seit jener Erscheinung begann mein natürlicher Geist in seiner Tätigkeit behindert zu sein, weil die Seele ganz dem Gedenken an jene Liebreizende hingegeben war; deshalb geriet ich in kurzer Zeit in einen so gebrechlichen und schwachen Zustand, dass mein Anblick viele Freunde betrübte; und viele Neider haschten schon danach, über mich das zu erfahren, was ich um jeden Preis vor anderen verheimlichen wollte. Und ich, der ich die Böswilligkeit der Fragen wahrnahm, die sie mir stellten, antwortete ihnen nach dem Willen Amors, der mich nach den Regeln der Vernunft lenkte, dass Amor es sei, der mich so beherrsche. Ich sprach von Amor, da ich so viele seiner Merkmale in meinem Antlitz trug, dass man es ohnehin nicht verbergen konnte. Und wenn sie mich fragten: »Durch wen hat denn dieser Amor dich so zugerichtet?« schaute ich sie lächelnd an und sagte ihnen nichts.

[15]V

Eines Tages geschah es, dass diese liebreizende Frau sich an einem Ort befand, wo Worte der Königin der Herrlichkeit zu hören waren, und ich an einem Ort saß, von dem aus ich meine Seligkeit sah; und auf halber Strecke in gerader Linie zwischen ihr und mir saß eine vornehme Frau von sehr schönem Aussehen, die mich oft betrachtete und sich über meinen Blick wunderte, der sie zum Ziel zu haben schien. Deshalb bemerkten viele ihre Blicke; und so sehr wurde dies beachtet, dass, während ich mich von jenem Ort entfernte, ich in meiner Nähe sagen hörte: »Sieh doch, wie diese Frau ihm zusetzt.« Und da er sie beim Namen nannte, verstand ich, dass er von jener sprach, die auf halber Strecke der geraden Linie gesessen hatte, die von der liebreizenden Beatrice ausging und in meinen Augen endete. Darüber freute ich mich sehr, und ich war mir sicher, dass mein Geheimnis an jenem Tag nicht aufgrund meiner Blicke an andere gelangt war. Sogleich dachte ich daran, jene edle Frau zum Schutzschild der Wahrheit zu machen; und in kurzer Zeit zeigte ich darin so viel Erfolg, dass die meisten Leute, die sich Gedanken über mich machten, mein Geheimnis zu kennen glaubten. Mit Hilfe dieser Frau schirmte ich mich mehrere Jahre und Monate lang ab; und um es anderen gegenüber noch glaubwürdiger zu machen, schrieb ich für sie einige gereimte Sachen, von denen ich hier nur jene niederzuschreiben beabsichtige, die mit jener liebreizenden Beatrice zu tun haben; weshalb ich alle fortlassen will, in denen ich nicht etwas schreibe, das als ihr Lobgesang erscheinen kann.

[16]VI

Ich sage, dass in dieser Zeit, in der diese Frau Schutzschild einer so großen Liebe war, wie ich sie von meiner Seite empfand, mich eines Tages der Wunsch überkam, den Namen jener Liebreizenden zu erwähnen und ihn mit vielen Namen von Frauen, vor allem mit dem Namen jener edlen Frau, zusammenzubringen. Und ich wählte die Namen von sechzig besonders schönen Frauen jener Stadt aus, in die meine Herrin nach dem Willen des Allerhöchsten Herrn hineingeboren worden war, und verfasste einen Brief in der Form von Serventesen8, den ich nicht wiedergeben werde; ich habe ihn hier überhaupt nur erwähnt, um zu berichten, dass, als ich ihn aufsetzte, es sich wunderbarerweise ergab, dass der Name meiner Herrin sich an keiner anderen Stelle zwischen die Namen dieser Frauen fügen wollte als gerade an der neunten.

[17]VII

Die Frau, die ich so lange für das Verbergen meiner Neigung zu Hilfe genommen hatte, musste die oben genannte Stadt verlassen und in eine weit entfernte Gegend ziehen, darob ich, geradezu bestürzt, dass mir meine schöne Schutzwehr abhanden gekommen war, viel untröstlicher war, als ich selbst vorher je gedacht hätte. Und in der Erwägung, dass wenn ich nicht in schmerzvollem Ton etwas über ihren Weggang sagen würde, die Leute zu schnell mein Versteckspiel durchschauen würden, nahm ich mir vor, darüber einen Trauergesang in Form eines Sonetts zu dichten. Da meine Herrin der unmittelbare Anlass gewisser Worte ist, die in dem Sonett vorkommen, wie jeder, der es versteht, sogleich bemerken wird, will ich es hier einfügen. Und so dichtete ich damals folgendes Sonett, welches mit den Worten beginnt: Oh ihr, die ihr auf Amors Wegen geht.

 

Oh ihr, die ihr auf Amors Wegen geht,

Merkt auf und seht,

Ob’s Schmerzen gibt, die meinen Schmerzen gleichen,

Nur zuzuhören sei von euch erfleht,

Und ihr versteht,

Dass Tor und Schloss ich allen Schmerzensstreichen.

Amor, dess’ edles Sinnen mich erspäht,

Nicht weil verdient ich’s hätt’,

Schien sanft ein süßes Leben mir zu reichen,

Dass hinter mir die Rede oftmals geht:

»Durch welch’ Verdienst gerät

Ihm denn sein Herz so sehr zum Freudenzeichen?«

[18]Jetzt sind versiegt der Keckheit frohe Quellen,

Die mir aus meinem Liebesschatz gedrungen;

Drum bin ich leidumschlungen

So sehr, dass mir die Worte dafür fehlen,

Und fühle mich zu jenen hingezwungen,

Die schamhaft ihren Mangel woll’n verhehlen,

Sich tief im Herzen quälen,