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Mit Vergil durchwandert Dante die Hölle und das Fegefeuer. Mit Beatrice durchfliegt er die Himmel des Paradieses. Dieser Weg durch die Trichter der Hölle bis zum Höchsten des Himmels – unüberbotene Horrorvision und unendlicher Traum vom Glück – ist eines der lustvollsten Leseabenteuer der abendländischen Dichtkunst. Dante schuf mit der »Divina Commedia« »eines der paar großen Jahrtausendbücher der Menschheit« (Hermann Hesse).
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Um 1320 entstand die Divina Commedia, die Dantes Namen unsterblich machte. Das Versepos erzählt die Läuterung eines empfindsamen Ich-Erzählers durch die drei Reiche der jenseitigen Welt – die Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatorio) und das Paradies (Paradiso).
Die drei Reiche werden jeweils in 33 Gesängen beschrieben; diesen 99 Gesängen wird noch ein Prolog vorangestellt – die Zahl 100 gilt als vollkommene Zahl. Diese strenge mathematische Ordnung findet sich auch inhaltlich im Gedicht wieder: Das Inferno umfaßt neun Höllenkreise, das Purgatorium und der Himmel sind ebenfalls in neun Räumen untergebracht. In Dantes Kosmos herrscht Ordnung – genau wie in Gottes Schöpfung. Dantes Weg durch die Trichter der Hölle bis zum Höchsten des Himmels – unüberbotene Horrorvision und unendlicher Traum vom Glück – ist eines der lustvollsten Leseabenteuer der abendländischen Dichtkunst.
Dante schuf mit der Divina Commedia »eines der paar großen Jahrtausendbücher der Menschheit«.
Hermann Hesse
»… kraft seines großen Gedichts kann Dante Alighieri als der Vater der italienischen Schriftsprache gelten. Es überragt noch heute schlechthin, was vorher und nachher aus derselben italienischen Sprache ans Licht gebracht wurde.«
Karl Vossler
Dante Alighieri, geboren zwischen dem 18. Mai und dem 17. Juni 1265 in Florenz, ist am 14. September 1321 in Ravenna gestorben. Mit der Göttlichen Komödie überwand der Dichter und Philosoph das bis dahin dominierende Latein und führte das Italienische zu einer Literatursprache. Dante gilt als einer der bedeutendsten Dichter der Weltliteratur.
Dante Alighieri
DIE GÖTTLICHEKOMÖDIE
Aus dem Italienischen von
Friedrich Freiherrn von Falkenhausen
Mit einem Nachwort von
Manfred Hardt
eBook Insel Verlag Berlin 2014
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4504.
© Insel-Verlag Leipzig 1942
© für das Nachwort von Manfred Hardt:
Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2002
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Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes
Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Umschlagabbildung: Buchmalerei aus der »Divina Commedia«
Codex Urb. 365, um 1480
Umschlaggestaltung: bürosüd, München
eISBN 978-3-458-75290-5
www.insel-verlag.de
Mittwegs auf unsres Lebens Reise fand
In finstren Waldes Nacht ich mich verschlagen,
Weil mir die Spur vom graden Wege schwand.
Wie hart ists, ach, von diesem Walde sagen,
Wie wild und rauh und dicht sein Dickicht droht:
Dran denken nur macht noch aufs neu mich zagen!
So bitter ists, daß bittrer kaum der Tod.
Doch heißts vom Heil, das dort ich fand, beginnen,
Ist noch von andrem Fund zu reden not.
Kann, wie ich einging, kaum mich mehr entsinnen,
So war ich voller Schlafes da zur Stunde,
Als ich vom wahren Wege wich von hinnen;
Doch weil am Fuß von einem Hügelrunde
Ich anlangt', als zu Ende jenes Tal,
Von dessen Grauen mir das Herz so wunde,
Blickt' ich empor und sahe schon im Strahl
Des Wandelsternes seine Scheitel prangen,
Der rechten Weg uns weiset allzumal.
Da legte sich ein wenig, was mit Bangen
Des Herzens See geschwellt die Nacht entlang,
Die so in Angst und Nöten mir vergangen.
Wie, wer der Meeresbrandung sich entrang,
Am Strande, keuchend noch, sich rückwärts wendet
Und starrt in des Gewoges wilden Drang,
So hat mein Sinn den Blick zurückgesendet,
Ein Flüchtling noch, zu jenem Engpaß wieder,
Dem Weg, den kein Lebendiger vollendet.
Als ich dann ausgeruht die matten Glieder,
Gings ob der öden Halde fort den Pfad,
Fest stets den Fuß am Boden, der darnieder.
Da sieh: wo grad der Steig der Steile naht,
Ein Panther! Höchst behend und leicht von Lenden
Prunkt' er in bunt gefleckten Felles Staat.
Nicht aus den Augen wich er, allerenden
Den Weg mir sperrend, daß hinab zum Grunde
Ich mehr als einmal mußt' am Ende wenden.
Es war die Zeit der ersten Morgenstunde,
Die Sonne stieg herauf, mit ihr der Stern,
Der sie geleitet, da zur ersten Runde
So hehre Zier entsandt die Huld des Herrn;
Und guter Hoffnung, wie im bunten Felle
Das wilde Tier auch prahlte, traut' ich gern
Dem holden jungen Jahr, der Morgenhelle –
Doch so nicht, daß die Furcht mich losgegeben,
Da jetzt ich einen Löwen sah zur Stelle.
Ich sah ihn kommen, hoch das Haupt erheben,
Grad auf mich los, in seines Hungers Wut
So grimmig, daß die Luft mir schien zu beben.
Auch eine Wölfin, trächtig von der Glut
Jedweder Gier, so schiens, die hagren Weichen –
Manch einen plagt' ihr Lechzen bis aufs Blut –,
Sie machte starrend mich vor Furcht erbleichen,
Daß ich, von ihres Blickes Dräun entsetzt,
Schon gar verzagt, den Gipfel zu erreichen.
Wie dem geschiehet, den Gewinn ergetzt,
Kommt einst der Tag, da zum Verlust sichs neiget,
Daß all sein Sinn sich härmt und grämt zuletzt,
So ich, da sich so friedelos bezeiget
Das Tier, das, nahend, Schritt für Schritt, das schlimme,
Hinab mich drängte, wo die Sonne schweiget.
Da ich zur Tiefe floh vor seinem Grimme,
Stand mir vor Augen einer, stumm, als sei
Versiegt ihm, die so lange schwieg, die Stimme.
Erblickend ihn in dieser Wüstenei,
Rief ich ihn an: »Wer du auch seist, ob Schatten,
Ob Mensch, erbarme dich und steh mir bei!«
»Nicht Mensch; ich wars«, entgegnet' er; »es hatten,
Lombarden von Geblüte, Mantua
Zur Heimat, die mich zeugten, beide Gatten.
Der unter Julius, spät, das Licht ich sah,
Ich lebt', als Rom August gehorcht, dem Guten,
Da falschen Göttern Ehre noch geschah.
Ein Dichter war ich, sang vom hochgemuten
Anchisessohne, der von Troja kam,
Als Ilions Größe sank in Feuersgluten.
Doch du? Was schaffst du hier in Nacht und Gram?
Was steigst du nicht hinan, wo aller Wonnen
Ursprung und Quell, zum Berge wundersam?«
»O, bist du denn Virgil, bist du der Bronnen«,
Rief ich, in Ehrfurcht neigend mein Gesicht,
»Draus so voll Macht der Rede Strom geronnen?
Du, aller Sänger Ehre, Preis und Licht,
Vergilt die Liebe nun, mit der ich wachte
So manche Nacht, versenkt in dein Gedicht!
Mein Meister bist du, der, nach dem ich trachte;
Dir dank ich all mein Dichten, einzig dir
Die edle Kunst, die mich zu Ehren brachte.
Sieh, das hinab mich drängt, das wilde Tier:
Hilf mir von ihm, gepriesner Weiser! Wehe,
Erbeben jede Fiber machts in mir.«
»Ein andrer Weg ist, den ich dir ersehe«,
Versetzt' er, der mein Zagen sah und Weinen,
»Daß dieser Wildnis deine Seel entgehe.
Sie, wider die du Hilfe rufst, läßt keinen,
Die Unholdin, des Wegs vorüber hier
Und scheucht und hetzt zu Tode, die's vermeinen.
So schlimm ist ihre Art, daß nichts die Gier
Ihr stillen mag, und konnte Blut sie lecken,
Lechzt ärger denn zuvor das Ungetier.
Viel andre gatten sich mit ihr und hecken
Noch immer mehr – bis daß der Rüde naht,
Der ihr ein Ende machen wird mit Schrecken.
Der rafft nicht Land und Schätze: weisen Rat
Und Minne wird und Tugend er begehren;
Wo Vlies bei Vliese, keimt die edle Saat.
Der hebt dein Land aus tiefer Schmach zu Ehren,
Für das Camilla starb und Turnus fiel
Und Nisus und Euryalus, die hehren;
Der hetzt von Ort zu Ort und wird am Ziel
Das Ungetüm zur Hölle wieder senden,
Allwo der erste Neid begann sein Spiel. –
Nun will und mein' ich, deine Not zu wenden,
Daß du mir folgst, und will dein Lenker sein
Und führ dich an des ewigen Reiches Enden.
Da hörst du die Verzweiflung, siehst die Pein,
Die weiland abgeschiedne Geister leiden,
Darinnen um den andren Tod sie schrein.
Siehst jene, die in Gluten sich bescheiden,
Getrost in Hoffnung, sich zu ihrer Zeit
Am Lichte mit den Seligen zu weiden.
Und willst du noch zu deren Höhn Geleit,
Ist eine Seele dort, wo ich muß weichen,
Des würdiger denn meine, dir bereit.
Denn der da droben herrscht in jenen Reichen,
Läßt keinen, weil mein Sinn Ihm nicht gefront,
Eingehn in Seine Stadt durch meinesgleichen.
Dem All gebeut Er; dort ists, wo Er thront;
Wo seine Stadt, Sein Stuhl, der hehre, stehen –
Wohl dem, der dort in Seiner Gnade wohnt!«
»Mein Sänger«, rief ich da, »o hör mein Flehen!
Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt:
Hilf dieser Not und ärgrer mir entgehen,
Führ mich zu denen, die du mir genannt,
Daß ich Sankt Peters Pforte und die Buße
Der Sünder schau, die so in Qual gebannt!«
Da ging er, und ich folgt' ihm auf dem Fuße.
Der Tag ging nieder, und im Abendscheine
Fand alles, was sich plagt auf Erden, Rast
Von Tages Sorg und Müh. Nur ich, der eine,
Ich ging ans Werk und nahm auf mich die Last
Des Weges wie des Leids: Das soll nun zeigen
Mein Geist, der alles ohne Fehl gefaßt.
Helft, Musen! Genius, wolle dich mir neigen;
Und du, mein Geist, der, was ich sah, bewahrt,
Tu jetzt den Adel kund, der dir zu eigen!
»Der du mich führst«, begann ich, »meine Art
Schau an, o Sänger, ob sie's kann bestehen,
Bevor du mir vertraust zu solcher Fahrt.
Silvius' Erzeuger, sagst du, ward ersehen,
Verweslich noch, ins Reich der Ewigkeit
Leibhaftig, wachen Sinnes einzugehen.
War Er ihm hold, dem alles Übel leid,
Gedenkend, wer und was zum Heil der Welten
Von ihm noch ausgehn sollt' an Herrlichkeit:
Nicht unwert darf ihn drum der Weise schelten,
Ihn, der dem ewigen Rom erwählt zum Ahn
Und seinem Reich in höchsten Himmels Zelten!
War beides doch – das ist gewiß kein Wahn! –
Als heiliger Sitz gegründet, den zum Throne
Des großen Petrus Folger sollt' empfahn.
Die Fahrt, die du besangst, bracht ihm zum Lohne
Erleuchtung, und so ward ihm Sieg zuteil,
Und dann dem Papste Mantel, Stab und Krone.
Desselben Weges ging nach langer Weil
Das auserwählte Rüstzeug, sich im Glauben
Zu stärken, der den Weg erschließt zum Heil.
Doch ich? Wie komm ich hin? Wer solls erlauben?
Ich, der Äneas nicht noch Paulus bin?
Nicht ich und keiner kann mich würdig glauben.
Der Schritt, so schwant mir, wagt' ich ihn dahin,
Wär tollkühn – besser, als ichs weiß zu sagen,
Du Weiser, weißt du ja, wie mir zu Sinn!«
Wie wer verwünscht, was er gewünscht, sein Wagen
Und Wollen wandelnd, da ers wieder wägt,
Bis er des Wagens gänzlich sich entschlagen,
So ich, im Dunkel dort; der Sinn, der frägt
Nach Wie und Wenn, ließ den Entschluß verblassen,
Der zu Beginn so rasch sich eingeprägt.
»Konnt' ich, was du mir sagtest, recht erfassen«,
Des Hochgemuten Schatte sprachs zu mir,
»Hat sich dein Mut von Angst betören lassen;
Scheut mancher doch, im Schritt gehemmt von ihr,
Zurück vom Werk, das rühmlich unternommen,
Wie wohl, geblendet, nächtens scheut sein Tier.
Daß du den Banden magst der Furcht entkommen,
So hör, um was ich kam und was ich eben,
Da Sorge in mir keimt' um dich, vernommen.
Bei denen weilt' ich, so im Zwielicht schweben,
Als eine selige Frau mich rief, so reich
An Huld, daß ich sie bat, Befehl zu geben.
Ihr Auge leuchtete dem Sterne gleich,
Mit ihrer Stimme, wie aus Engelsmunde,
Begann zu reden sie, gelind und weich:
›Vieledle Seele Mantuas, die zur Stunde
Noch rühmt die Welt und rühmen wird so lang,
Wie dieses All mag schwingen seine Runde!
Mein, nicht des Schicksals Freund, auf seinem Gang
Durch öde Halden fand er Weg und Stege
Verlegt, daß Schreck ihn umzukehren zwang;
So weit schon, fürcht ich, irrt' er ab vom Wege –
Solch eine Kunde ward im Himmel mir –,
Daß ich zu spät mich ihm zur Hilfe rege.
So geh! Mit deinem Worte, so voll Zier,
Und allem, was da not zu seinem Frommen,
Hilf ihm, daß ich getröstet geh von hier.
Bin Beatrice, die dich schickt, bin kommen
Daher, wohin zurück sich sehnt mein Sinn,
Und Liebe gab mir ein, was du vernommen.
Tret ich vor meinen Herrn und Schöpfer hin,
Ich sag ihm, was ich weiß, zu deinem Preise.‹
Sie schwieg, da sprach ich, der ihr Bote bin:
›Herrin der Tugend, die aus irdschem Gleise
Die Menschheit über alles hebt allein,
Was rings umfaßt vom engsten Himmelskreise!
So hoch beglückts, dir zu Befehl zu sein,
Daß, wär er schon erfüllt, die Frist mich reute:
Kein Wort mehr brauchts, mich deinem Dienst zu weihn.
Doch sag, wie kam es, daß dein Fuß nicht scheute
Den Weg herab in dieser Tiefe Grund
Aus Höhn, dahin dich heimzukehren freute?‹
›Verlangt dich, daß all dies so klar dir kund‹,
Versetzte sie, ›so will ichs bündig sagen,
Warum ich furchtlos komm in diesen Schlund:
Vor solchem Feind nur muß die Seele zagen,
Der ihr zu schaden Waffen hat und Macht;
Wo's daran fehlt, da hat sie nichts zu wagen.
Mich hat der Herr in Gnaden so bedacht,
Daß euer Elend nimmer mich berühret
Noch diese Glut mich sengt, die hier entfacht.
Ein' hohe Frau im Himmel ist, die spüret
Mit jener Not Erbarmen, und so bricht
Des Urteils Strenge, das der droben küret;
Sie rief Lucien vor ihr Angesicht
Und mahnte: ›Dein bedarf in schwerer Stunde
Dein Vielgetreuer, sieh, vergiß sein nicht!‹
Die aller Härte feind im Herzensgrunde,
Lucia, eilt' und kam zu mir, wo ich
Bei Rahel weilte, der vom Alten Bunde:
›Du wahres Lob des Herrn‹, so rief sie mich,
›Du hilfst ihm nicht, der so sich dir ergeben,
Daß er den Schwarm des Pöbels mied um dich?
Hörst du sein Weinen nicht und siehst sein Leben
Von Tod bedroht in jener Wogen Drang,
Die wild gleich Meereswogen sich erheben?‹
So flink war keiner, seit die Welt im Gang,
Sein Glück zu machen, Nöten zu entrinnen,
Wie ich, da solche Rede mir erklang:
Ich stieg von meines seligen Sitzes Zinnen,
Vertrauend deinem Wort, das, so voll Zier,
Dir wie den Hörern Ehre muß gewinnen.‹
Sie sprachs, und da sie wiederum von mir,
In Tränen nun, ihr strahlend Auge kehrte,
Zu eilen noch beflißner ward ich ihr.
Ich kam zu dir, wie sie's von mir begehrte,
Entriß dich jenem Untier, dessen Wut
Zur seligen Höh den kurzen Weg dir wehrte:
Wie nun? Was zauderst du? Was zagt dein Mut?
Wo blieb dein Wagemut und dein Vertrauen?
Was jagte dir so bange Furcht ins Blut,
Da solche drei, so hochgelobte Frauen
Um dich besorgt im Himmelreiche sind
Und so viel Heil mein Wort dich lässet schauen?«
Wie Blümlein, die zur Nacht im eisigen Wind
Verwelkt sich schlossen, nun im Sonnenlichte
Aufrichtend öffnen ihre Kelche lind,
So meine Kraft, die eben ganz zunichte:
Voll guten Mutes ward mein Herz hinfort,
Und ich begann, getrost von Angesichte:
»O du Erbarmerin! Mir Hilf und Hort!
Und du, der voller Huld, noch kaum empfangen,
Befolgtest ihr Gebot, ihr wahrhaft Wort:
Du wecktest mir im Herzen solch Verlangen,
Den Gang zu gehn, mit deinem Trostbescheide:
Nun folg ich meinem Vorsatz ohne Bangen!
Auf denn! Nun gilt ein Wille für uns beide,
O du mein Führer, Herr und Meister mein!«
Ich sprachs, und da er ging, zu Qual und Leide
Den steilen Weg der Dornen schlug ich ein.
»Durch mich gehts hin zur Heimstatt aller Plagen.
Durch mich gehts hin zur ewig langen Pein,
Durch mich zum Volke, das von Gott geschlagen.
Mich schuf mein Schöpfer, um gerecht zu sein;
Göttliche Allmacht, höchste Weisheit waren
Am Werk, mit erster Liebe eins in drein.
Vor mir war nichts Erschaffnes, was an Jahren
Nicht ewig: selber währ ich ewiglich.
Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!«
Die Worte, dunkler Farbe, sahe ich
Ans Haupt geschrieben einer Pforte stehen:
»Hart, Meister«, sprach ich, »ist ihr Sinn für mich.«
Drauf er, wie wer ins Innre weiß zu sehen:
»Hier heißt es alles Argwohns dich entschlagen,
Und alle Bangigkeit laß dir vergehen!
Wir sind am Orte, wo in seinen Plagen
Das Volk du sehen sollst – ich sagt' es dir –,
Dem nimmer will das Heil des Schauens tagen.«
Drauf seine Hand auf meine legt' er mir,
Und hellen Blicks, daran ich mich erbaute,
Führt' er mich ins verwunschene Revier.
Dort hallten Seufzer, Weh- und Schreckenslaute
Schrill durch die Lüfte, die kein Stern erhellt,
Und weinen mußt' ich gleich, weil so mir graute.
Schreckliche Stimmen, Sprachen aller Welt,
Wutschreie, Wehgeheul, bald dumpf, bald gellend,
Dazu das Dröhnen, wenn ein Faustschlag fällt,
Ein Tosen gabs, das rings ohn Ende schwellend
In dieser Lüfte Urnacht umgeschwungen,
Als raste Windsbraut, Sand im Wirbel schnellend.
Und ich, dem Graun die Schläfe noch umschlungen:
»Meister, was ists, davon mein Ohr erbebt?
Und wer sind sie, die so von Pein bezwungen?«
Drauf er: »Was solche Klageweis erhebt,
Die Jammerseelen sinds in ihren Wehen,
Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt;
Mit jener Engel Chor gesellt sie gehen.
Dem Schalksgesinde, die, Empörer nicht
Noch Gott getreu, für sich nur wollten stehen.
Die Himmel spein sie aus, sonst trübts ihr Licht;
Noch mag die tiefe Hölle sie ertragen,
Daß nicht den Argen Ehre gar geschicht!«
»Ach«, frug ich, »daß sie so erbärmlich klagen,
Was haben Schweres, Meister, sie zu leiden?«
Drauf er: »Ich will dirs kurz und bündig sagen:
Sie haben keine Hoffnung, abzuscheiden.
So schmählich ist ihr Leben, daß in trüber
Umnachtung jedes andre Los sie neiden.
Kein Ruf von ihnen dringt zur Welt hinüber,
Gerechtigkeit mißachtet sie und Gnade.
Sprich nicht von ihnen! Schau und geh vorüber!«
Und um mich blickend, sah gleich einem Rade
Ich eine Fahne kreisen, wie im Flug,
Als gäb es nimmer Rast auf ihrem Pfade;
Und hinterdrein, da kam in langem Zug
Viel Volks daher – mein Treu, mir ahnte nicht,
Daß je so viel des Todes Hippe schlug.
Der Schatten manchen kannt' ich am Gesicht
Und sah auch ihn und kannt' ihn, dessen Zagen
Feigherzig auf das Höchste tat Verzicht.
Da konnt ich gleich und für gewiß mir sagen,
Daß dies der Niederträchtigen Sippe war,
Die Gott wie seinen Feinden mißbehagen.
Dies elend Volk, von je des Lebens bar,
War nackt und bloß, und grausam stachelnd hetzte
Von Bremsen sie und Wespen eine Schar.
In Striemen floß davon ihr Blut; das netzte,
Getränkt mit Tränen, ihr Gesicht und rann
Hinab zum Fuß, wo's ekle Würmer letzte. –
Und weiter schaut' ich aus und sahe dann
Viel Volks an eines breiten Stromes Rande
Und bat: »Nun lehr mich, Meister, sag mir an,
Wer diese sind, welch Muß sie da zum Strande,
Zur Überfahrt so hastig scheint zu jagen,
Wenn ichs im Dämmer recht zu sehn imstande?«
Und er zu mir: »Bescheid wird deinem Fragen,
Wenn uns zur Rast ans Ufer voller Gram,
An Acherons Gestad, der Fuß getragen.«
Mein Auge schlug ich nieder da voll Scham,
Und sorgend, daß es ihm zuleid geschehe,
Sprach ich kein Wort, bis ich zum Flusse kam.
Da sieh: ein Schiff! Und wie ichs kommen sehe,
So lenkts ein Alter, weiß von Haar und greis,
Der rief: »Weh euch, verworfne Seelen, wehe!
Nicht hoffet je zu sehn das Paradeis;
Hinüber bring ich euch zum andern Strande,
In ewige Finsternis, in Glut und Eis!
Und du, lebendige Seele dort am Lande,
Heb dich hinweg von denen, die da tot!«
Und da er mich nicht weichen sah vom Rande:
»Such andern Weg und Port, ein ander Boot,
Nicht dieses hier, zur Lände dich zu tragen:
Für dich zur Fahrt tut leichtre Fähre not!«
Mein Führer drauf: »Laß ab, dein Herz zu plagen,
O Charon! Droben will mans, wo das Wollen
Vollbringen ist. Da gibts nicht mehr zu fragen!«
Die zottigen Wangen ruhten, und sein Grollen
Bezwang des trüben Pfuhles Ferge jetzt,
Dem um die Augen Flammenräder rollen.
Allein die Seelen, bloß und mattgehetzt,
Sah ich verfärbt und hört' ihr Zähneschlagen,
So hat sein grimmes Dräuen sie entsetzt;
Sie fluchten Gott, dem Schoß, der sie getragen,
Der ganzen Menschheit, Samen, Zeit und Ort,
Da sie gezeugt und sahn die Sonne tagen;
Und dicht zusammen drängt sich alles dort,
Laut jammernd an des schlimmen Ufers Rande,
Das jedes harrt, der weicht von Gottes Wort.
Charon, der Dämon, mit dem Feuerbrande
Des Auges winkend, schart sie an der Lände;
Wer säumt, den treibt ein Ruderschlag zum Strande.
Wie, eins ums andre, um die Sommerwende
Die Blätter fallen, bis der Erde dann
Der Waldbaum wiedergab all ihre Spende:
So Adams schlechter Same: Mann für Mann
Warf auf den Wink sich von des Bordes Schwelle,
Gleich Vögeln, lockt des Voglers Pfiff sie an.
So schifft der Nachen durch die dunkle Welle,
Und eh die ersten ihm entsteigen dort,
Drängt hier bereits ein neuer Schwarm zur Stelle.
»Mein Sohn«, klang gütig nun des Meisters Wort,
»Was je in Gottes Zorn dahingegangen,
Aus allen Landen strömts an diesen Ort.
Und was so jach hinüberzugelangen
Sie spornt, ist göttliche Gerechtigkeit,
Die also in Begehren kehrt ihr Bangen.
Nie setzt hier über, wem Gott Gnade leiht;
Und greint' um dich der Fährmann so, der wilde,
So weißt du, wes dir zeuge solcher Neid.«
Er sprachs; da hub das nächtige Gefilde
Zu beben an, daß heut mich, dems geschehen,
Noch Angstschweiß badet, schauts der Geist im Bilde;
Das Land der Tränen sandt ein Sturmeswehen,
Durchblitzt von roten Strahles Feuerbrand,
Daß ich, dem Hören gleich verging und Sehen,
Hinsank, wie wen der Schlummer übermannt.
Den tiefen Schlaf im Haupt mir brach mit Krachen
Ein Donnerschlag, daß ich zusammenfuhr,
Wie wen man mit Gewalt erweckt zum Wachen.
Auf rafft' ich mich und sandte auf die Spur
Mein Auge, das erholte, rings im Runde
Zu forschen, wo ich sei auf nächtiger Flur.
Am Rand fürwahr mich fand ich ob dem Schlunde
Des Jammertals, das donnernd widerhallt
Von Schreien ohne Zahl in seinem Grunde.
Tief, dunkel wars, voll Nebel, der sich ballt;
Zur Tiefe tauchend, konnt in all den Weiten
Nicht Raum mein Aug erkennen noch Gestalt.
»Hier laß zur blinden Welt hinab dich leiten«,
Sprach der Poet, und seine Wang erblich;
»Ich will der erste sein, du machst den zweiten.«
Gewahrend sein Erblassen, zaudert' ich:
»Wie kann ich, wenn dich selber graut, den einen,
Der stets mein Hort war, wenn mein Glaube wich?«
Doch er zu mir: »Die Not, die drunten weinen
Die Seelen macht, die malt auf mein Gesicht
Dies Mitleid, das wie Zagheit dir mag scheinen.
Gehn wir! Der Weg ist lang. Versäum uns nicht!«
So ging, so führt' er mich zum ersten Kreise,
Zu dem die Wand des Abgrunds niederbricht.
Da tönt nicht Weinen: Seufzer nur, die leise
Die ewige Luft durchzittern, wehn im Wind;
So, als ich lauschte, hört' ich ihre Weise.
Die Trauer ohne Qual tut so gelind,
Die alle dulden, die dort gehn und stehen
In großen Scharen, Mann und Weib und Kind.
Der gute Meister sprach: »Was hier zu sehen,
Wer diese Geister sind, das fragst du nicht?
So sollst du wissen, eh wir weitergehen:
Nicht Sünder sinds; doch ob getreu der Pflicht,
Nicht konnte ihr Verdienst zum Heile dienen,
Wo Taufe, deines Glaubens Tor, gebricht.
Und lebten sie, noch eh der Christ erschienen,
Sie dienten Gott nicht so, wie er gebot –
Ich selber, sieh, bin einer ja von ihnen.
Der Fehl allein ward unsrer Seele Tod,
Und dieses nur, daß wir in Sehnsucht leben
Und sonder Hoffen, das ist unsre Not.«
Das hat ins Herz mir scharfen Stich gegeben,
Denn manchen wußt ich hoher Ehren wert
Bei ihnen, die in diesem Vorhof schweben.
»Sprich, Herr, sag, Meister«, hab ich da begehrt,
Auf daß Gewißheit mir des Glaubens tage,
Der allen Irrtum überwinden lehrt,
»Kam keiner denn durch sein Verdienst, o sage,
Noch fremdes je von hier zur Seligkeit?«
Und er durchschaute die verhüllte Frage
Und sprach: »Hier weilt' ich eine kleine Zeit,
Da sah ich einen Allgewaltigen kommen,
Gekrönt vom Siegesglanz der Herrlichkeit.
Urvaters Schatten hat er mitgenommen,
Abels und Noahs; Moses nahm er an,
Der die Gebote gab und hielt, den frommen;
Erzvater Abram, König David dann,
Israel samt dem Vater, seinen Samen
Und Rahel, die er sich so schwer gewann.
Sie und noch viele rief er, und sie kamen
Zum Heile; keine Seele sah sein Licht,
Das wisse, ehe sie den Ruf vernahmen.«
Wir säumten, da er sprach, im Wandeln nicht
Und querten all den Wald: den Wald, will sagen,
Der Geister, deren Schwarm ringsum so dicht.
Noch gings nicht weit, seit mir mein Traum verschlagen,
Da sah ich vor mir einen Feuerbrand
Im halben Rund die Nacht besiegend tagen.
Ein wenig weiter war es hin, doch fand
Ichs nah genug, schon so viel zu erkennen,
Daß, wer da weilte, hoch in Ehren stand.
»O du, den Kunst und Weisheit Meister nennen,
Wer sind sie, denen Ansehn so gegeben,
Sie von der Andren Weis und Art zu trennen?«
Und er zu mir: »Ihr Ruhm in jenem Leben
Macht auch im Himmel sie der Gnade wert,
Der ihnen gönnt, sich also zu erheben.«
Derweil erscholl ein Ruf mir: »Kommt und ehrt
Den hohen Sänger! Der von uns gegangen,
Sein Schatten wiederum zurück uns kehrt.«
Dann sah ich, als die Worte mir verklangen,
Vier hohe Schatten uns entgegengehen,
Die Mienen heiter nicht noch grambefangen.
Der gute Meister sagte: »Kannst ihn sehen,
Der dort, das Schwert in Händen, kommt einher,
Vor jenen drei'n als Oberherr zu stehen?
Der höchste aller Dichter ists: Homer!
Ihm folgt Horaz, der Meister der Satire,
Als dritter Ovid, Lucanus hinterher.
Weil mir der Name ziemt, der auch der ihre,
Der eben wie aus einem Munde klang,
Tun Ehre mir, und tuns mit Fug, die viere.«
Mitsammen sah ich so vom hehren Sang
Die edle Schule jenes Meisters gehen,
Der über alle als ein Aar sich schwang.
Erst hört' ich den noch jenem Rede stehen,
Dann grüßten sie mich hold mit Hand und Munde,
Und lächelnd hats mein Meister angesehen.
Noch größre Ehre tat mir ihre Runde,
Da ich, in ihrem Schoße aufgenommen,
Der sechste ward in so erlauchtem Bunde.
So gingen wir zum Licht, das dort entglommen,
Mit manchem Wort, davon zu schweigen gut,
Wie dazumal das Reden mochte frommen.
Wir kamen an ein stolzes Schloß: in Hut
Von sieben hochgetürmten Mauerringen
Umwehrts ein Wässerlein mit klarer Flut.
Wie festes Land durchschritten wirs und gingen,
Ich und die Weisen, ein durch sieben Pforten,
Wo Auen uns mit frischem Grün empfingen.
Mit ruhig ernsten Blicken sah ich dorten
Sie gehn, voll Würde Mien' und Angesicht,
Die Stimmen sanften Klangs, von wenig Worten.
So gings zu einer Höhe frei und licht
Den Hang hinan, und alle sahn wir droben
Sie miteinander, uns vor Augen dicht.
Da wies man mir die Geister, hoch zu loben,
Auf schwellend frischem Grün: daß mirs geschah,
Des fühl ich selbst im Innern mich erhoben.
Ich sah Elektren mit den Ihren, sah
Darunter Hektor und Äneas stehen;
In Wehr, mit Adlerblick stand Cäsar da;
Ich sah genüber mit Penthesileen
Camilla, hab Latinus unter ihnen,
Den König, mit Lavinia sitzen sehen;
Ich sah den Brutus, der vertrieb Tarquinen,
Lucretia mit viel edlen Römerfrauen
Und sah allein und abseits Saladinen.
Dann, als ich um ein kleines hob die Brauen,
Sah ich den Meister aller Weisen da
Im Kreis der Denker sitzen: Alle schauen
Sie auf zu ihm, ihn ehren alle; nah
Vor andren ihm erkannt' ich Sokrates
Und Plato; Thales, Heraklit ich sah
Samt Anaxagoras, Diogenes
Und Demokrit, dem Zufall schien der Schlichter
Des Alls, sah Zeno und Empedokles;
Auch Dioskorides, den wackren Sichter
Der Arten, Orpheus konnt ich, Tullius sehn.
Linus und Seneca, den Sittenrichter;
Sah Ptolemäus und Euklid, Galen,
Hippokrates und Avicenna dort
Und Averroës, der Glosse Meister, stehn …
Wie soll ich alles künden? Fort und fort
Bedrängt mir Sinn und Denken solch Erleben,
Daß immer wieder mir versagt das Wort!
Vom Bund der sechse blieb ein Paar, wie eben:
Auf andrem Weg aus jener Stille führt
Mein kundiger Lenker mich in Sturmesbeben,
So komm ich hin, wo man kein Licht mehr spürt.
So stieg vom ersten ich zum zweiten nieder
Der Kreise; faßt da mindren Raum der Ort,
Hallt um so lauter Weh und Jammern wider.
Schreckbar steht Minos, zähnefletschend, dort.
Jedwedes Schuld, der kommt, erforscht er, richtet
Und weist ihn, je wie er sich gürtet, fort.
Wenn ihre Beichte, sag ich, ihm verrichtet
Die mißgeborne Seele und die Wahl
Er traf, der alle Sünde kennt und sichtet,
Welch Höllenort ihr taugt, schlingt sovielmal
Den Schweif er um die Lenden, wie zum Schlunde,
Wohin er sie verbannt, der Stufen Zahl.
Zuhauf umringt der Schwarm ihn Stund um Stunde:
Vor seinen Richterstuhl tritt Mann für Mann
Und spricht und hört und muß hinab zum Grunde.
»Der du zur Herberg kommst der Qual«, begann
Minos zu mir, da er mich wahrgenommen,
Und hielt im Tun des furchtbarn Amtes an,
»Schau, wem du traust; bedenke wohl dein Kommen!
Weit ist die Pforte. Willst du's darauf wagen?«
Mein Führer drauf: »Was soll das Schrein dir frommen?
Nicht kannst du ihm den Schicksalsgang versagen:
Da droben will mans, droben, wo das Wollen
Vollbringen ist; da gibts nicht mehr zu fragen!«
Nun ward die Weise laut der Jammervollen,
Nun langt' ich an, wo rings, daß mirs gegrauset,
Endlosen Weinens Wehelaut erschollen.
Verstummt ist hier das Licht; der Raum erbrauset,
Laut brüllend, wie das Meer im Sturme tut,
Wenn Widerwind, die Wogen peitschend, sauset.
Die höllische Windsbraut treibt, die nimmer ruht,
Die Geister um, es quält sie ohn Erlahmen
Mit Stoß und Schleudern ihres Wirbels Wut;
Und wenn dem Felsgeklüft sie nahe kamen,
Da tönt das Heulen, Jammern, Weheschrein,
Da lästern sie der Gottheit hohen Namen.
Kund ward mir, daß verdammt zu solcher Pein
Die Fleischessünder, die da blind willfahren,
Vernunft mißachtend, dem Gelüst allein.
Wie um die Zeit des Frosts ein Flug von Staren
In breitem, dichtem Schwarme schwirrt einher,
So weht der Wind hier die verdammten Scharen:
Hinauf, hinunter gehts, die Kreuz und Quer,
Ohn aller Hoffnung Trost in solchem Ringen
Auf Ruh, auf Pein auch nur, die minder schwer.
Und wie die Kraniche ihr Klaglied singen,
Wenn sie in langen Reihn am Himmel ziehn,
So sah getragen ich von Sturmesschwingen
Die Schatten kommen, die so kläglich schrieen,
Und fragte: »Meister, wer ist dieser Hauf,
Der so gepeitscht von nächtigem Hauch muß fliehen?«
»Die erst' im Zuge dort«, versetzt' er drauf,
»Von dem du Kunde willst, war vieler Zungen
Gebieterin voreinst im Weltenlauf;
Die so von sündiger Sinnenbrunst bezwungen,
Macht' ein Gesetz, das ihr Gelüst erlaubt,
Die Schmach zu tilgen, die ihr Fehl bedungen.
Es ist Semiramis, von der man glaubt,
Daß Ninus sie Gemahl und Folgerin.
Ihr Reich heißt heut den Sultan Oberhaupt.
Die nächste ging in Liebesgram dahin,
Treulos Sichäus' Asche; in der dritten
Sieh dort Kleopatra, die Buhlerin;
Sieh Helena, um die so viele litten,
Sieh Held Achill, der, wie sein Herz entbrannte,
Mit Amor seinen letzten Kampf gestritten;
Sieh Paris, Tristan …« Mehr als tausend nannte
Und wies sie mir mein Lehrer mit der Hand,
Die Liebe her ins Reich der Schatten sandte.
Als ich die Namen, altersher bekannt,
Von all den Fraun und Rittern hörte sagen,
Erbarmt' es mich, daß fast der Sinn mir schwand.
»Ach, Meister«, bat ich, »gerne möcht ich fragen
Die zwei, die da selbander wehn im Wind
Und die so federleicht er scheint zu jagen.«
Und er: »Hab acht, wenn sie uns näher sind.
Dann, bei der Minne, die sie treibt mit Flehen
Beschwöre sie, so kommen sie geschwind.«
Kaum fegte sie heran des Sturmes Wehen:
»Ihr armen Seelen, wenn euch keiner wehrt,
O kommet«, rief ich, »Rede uns zu stehen!«
Wie wunschbeflügelt, wenns ein Ruf begehrt,
Aus luftigen Höhn, weit ausgespannt die Schwingen,
Ein Taubenpaar zum süßen Neste kehrt,
So lösten sie, zu uns sich herzuringen
Durchs Graun der Lüfte, sich aus Didos Hut –
So wußte sie der Liebe Ruf zu zwingen.
»Du huldreich Wesen, das so mild von Mut
Heimsuchend naht in unsrer Nacht uns Armen,
Die wir den Grund getränkt mit unserm Blut:
War gnädig uns der Herr der Welt, mit warmen
Fürbitten wollten wir dein Heil erflehn,
Weil du mit unserm Elend fühlst Erbarmen.
Was du uns fragst, wir werden Rede stehn,
Und was ihr sprecht, wir öffnen euch die Ohren,
Wenn nur, wie jetzo, schweigt des Windes Wehn.
Am Seestrand liegt die Stadt, die mich geboren,
Wo samt dem Heergeleit, des er sich freut,
Der Po sich seines Friedens Port erkoren.
Liebe, die edlem Herzen rasch gebeut,
Lockt' ihn mit meiner Reize Blütentrieben,
Die mir entrissen, so, daß noch michs reut!
Liebe, die keinem, der geliebt, zu lieben
Erlässet, hat ihm so mein Herz entfacht,
Daß ihr, du siehst, noch hier Gewalt geblieben.
Liebe hat einen Tod uns zwein gebracht –
Den Mörder läßt Kaïna nicht entrinnen!«
Das war es, was ihr Wort uns kund gemacht.
Vernehmend dieser Seelen kläglich Minnen,
Neigt' ich das Haupt und hielt den Blick gesenkt,
Bis mich der Dichter frug: »Was mußt du sinnen?«
Und ich drauf: »Wehe, wie's mein Herze kränkt!
So süßes Sinnen, solch allmächtig Sehnen,
Zum Pfad des Jammers hats den Schritt gelenkt!«
Dann hub ich an und wandte mich zu denen
Und sprach: »Dein Weh, Francesca, läßt vor Bangen
Mich weinen, mitleidvoll, um dich und jenen.
Doch sag mir, wes sich Minne unterfangen,
Wie fügte sie's in süßer Seufzer Zeit,
Daß kund euch ward ihr schüchternes Verlangen?«
Und sie nun: »Keinem, ach, wird herbres Leid,
Als wem beglückter Tage Bild erscheinet
Im Elend. Der dich lehrt, der weiß Bescheid!
Doch wenns so liebreich deine Frage meinet,
Wie unsrer Liebe erster Keim erwacht,
So will ich tun, wie wer da spricht und weinet.
Wir lasen einst, auf Kurzweil nur bedacht,
Wie Lanzelot sich wand in Liebesbanden:
Allein war ich mit ihm, ohn Arg und Acht.
Beim Lesen kams, daß sich die Blicke fanden,
Und mehr als einmal blich die Wang uns beiden,
Doch eines machte Will und Wehr zuschanden:
Vom Lächeln lasen wir, wie dran sich weiden
Die Blicke, wie ers küßt, der Buhle hehr, –
Da küßt' auch mich, den nichts von mir kann scheiden,
Erzitternd küßte meinen Mund auch er …
Galeotto war das Buch und ders erdachte!
An jenem Tage lasen wir nicht mehr …«
Die arme Seele sprachs, die andre brachte
Kein Wort hervor und schluchzte, daß mein Sinn
Vor Mitleid schmolz und ich zu sterben dachte;
Und wie ein Toter fällt, so fiel ich hin.
Kaum daß mir das Bewußtsein wiederkam,
Das vor der Pein, die jenes Paar geschlagen,
Mir schwand, da Mitleid ganz den Sinn benahm:
Rings um mich her nun sah ich neue Plagen
Und neu Geplagte, wo ich ging und stand,
So weit nur allerseits mein Blick getragen.
Im dritten Kreise steh ich, wo ins Land
Kalt, schwer und heillos, ewig kommt geflossen
Ein Regen, unablässig, unverwandt:
Schnee, trübe Wasser, grobe Hagelschloßen,
Aus nächtigen Lüften strömt es aufs Gefild,
Das Pest haucht, wo die Schlammflut sich ergossen.
Der Zerberus, das Untier grausam wild,
Bellt jeden an, der kommt, aus dreien Kehlen,
Daraus nach Hundeart sein Kläffen schrillt.
Schwarz trieft sein Bart, glutrot die Lichter schwelen,
Mit Tatzen krallenscharf, den Bauch geschwollen,
Packt, schindet, vierteilt er die armen Seelen.
Wie Hunde heulen die im Regen, rollen
Sich hin und her, bald jenes Glied, bald dies
Als Schirm emporgekehrt, die Jammervollen.
Uns witternd riß die Mäuler auf und wies
Die Hauer Zerberus, der Höllendrachen,
Und blieb kein Haar in Ruh an seinem Vlies.
Mein Führer aber reckt', ihn stumm zu machen,
Die Hand, rafft' Erde auf, und Fäuste voll
Ihm schleudert' er in die gefräßigen Rachen;
Und wie ein Hund, der kläfft, vor Hunger toll,
Wenns ihm gelang, ein Maul voll Fraß zu stehlen,
Ruh gibt, dieweil sein Schlund nur schlingen soll,
So schwiegen Zerberus' unflätige Kehlen,
Des Dämons, der da quält mit seinem Kläffen,
Bis taub sichs wünscht, das Ohr der armen Seelen.
Hin über sie, die schwer die Tropfen treffen,
Die Schatten, gings: mit Füßen trat ich da
Ihr Nichts, das Menschenleib weiß nachzuäffen.
Lang lagen allesamt am Boden ja:
Nur eines raffte rasch der Schattenwesen
Sich auf zum Sitzen, da's uns kommen sah.
»Der du zur Fahrt durchs Höllenrund erlesen,
So du's vermagst«, begann er, »kenne mich!
Bist droben doch, eh ich verwest, gewesen.«
»Die Plage, die du leidst«, erwidert' ich,
»Entrückt dich meinem Sinne wohl; ich meine,
Niemals von Angesichte sah ich dich.
Doch sprich, wer bist du, der zu solcher Peine
Gesandt an diesen Ort, der so voll Leid?
Mags härtre geben, schnöder dünkt mich keine!«
Und er drauf: »Deine Stadt, so voller Neid,
Daß wahrlich schon ihr Maß am Überlaufen,
War Herberg mir in heitren Lebens Zeit;
Ciacco gefiels euch Nachbarn mich zu taufen;
Um schnöde Gaumensünde muß ich dir,
Du siehsts, in dieses Regens Flut ersaufen.
Und bin die einzig arme Seele hier
Mitnichten! Alle sind in gleicher Plage
Um gleiche Schuld!« Er sprachs und schwieg zu mir.
Und ich zu ihm: »O Ciacco, deine Klage
Drückt schwer mein Herz, daß michs zu weinen zwingt;
Doch in der Stadt des Haders – weißt du's, sage,
Wohin es ihrer Bürger Zwist noch bringt,
Ob wer noch redlich dort. Und sag: Was nährte
Die Zwietracht, deren Wut uns niederringt?«
»Blut fließt, wenn lang genug der Hader währte!«
Versetzt' er. »Grausam treiben die vom Wald
Die Gegner aus; doch eh sichs dreimal jährte,
So kommen sie zu Falle, und gar bald
Bringt dessen Macht, der heute noch verschlagen
Euch hinhält, jene andren zur Gewalt.
Hoch werden sie und lang die Stirne tragen,
Und schwer liegt auf den Gegnern ihre Hand,
So heiß ihr Grimm, so bitter ihre Klagen.
Gerecht sind zwei, doch keiner will im Land
Sie hören: Stolz, Neid, Habgier sind die Brände,
Davon die Herzen allesamt entbrannt!«
So ging sein kläglicher Bericht zu Ende.
Und ich zu ihm: »Eins hätt ich noch begehrt;
So gönne mir noch eines Wortes Spende:
Tegghiaio, Farinata, uns so wert,
Arrigo, Jakob Rusticucci, sage,
Und Mosca und die sonst, was recht, geehrt:
Wo sind sie? Laß michs wissen, denn die Frage
Bedrängt das Herz mir, ob des Himmels Süßen
Sie kosten, ob der Höllen bittre Plage.«
Und er: »Die sind, wo schwärzre Seelen büßen.
Sie zieht die Wucht noch andrer Schuld zum Grunde.
Dringst du so tief, so magst du dort sie grüßen.
Doch kehrst du einst zum holden Erdenrunde,
Sorg, bitt dich, daß man mein gedenken kann.
Mehr sag ich nicht, noch geb ich sonst dir Kunde.«
Sein grader Blick ward scheel, sah noch mich an,
Doch neigte gleich sein Haupt sich, und hernieder,
Wie all den Blinden, sanks zu Boden dann.
Sprach da mein Führer: »Der ersteht nicht wieder,
Bis die Posaune einst des Engels schallt.
Erst wenn ihr Richter zürnend steigt hernieder,
Sein traurig Grab sucht jeder sich, Gestalt
Und Fleisch und Bein von neuem anzulegen,
Und hört den Spruch, der ewig widerhallt.«
So, langsam durch den schnöden Wust, da Regen
Und Schatten sich vermengen, schritten wir,
Vom künftigen Leben redend unterwegen.
»Meister«, so fragt' ich, »schärft die Marter hier
Sich wohl am großen Richttag, oder sehret
Sie minder, oder bleibts wie eh mit ihr?«
Und er zu mir: »Bedenk, was dir gelehret:
Daß, je vollkommner eines, um so mehr
Sein Wesen spürt, was wohltut und beschweret;
Und mag Vollkommenheit auch nimmermehr,
Die wahre, dies verdammte Volk erringen,
Hernach solls mehr doch gelten denn vorher.«
Im Bogen weiter unsres Wegs wir gingen,
Mehr redend, als dem Liede kündbar scheint,
Bis wo's hinabgeht zu den untern Ringen:
Da sahn wir Plutus stehn, den grimmen Feind.
»Pape Satan aleph, Pape Satan!«
Ließ Plutus seine rauhe Stimme hören;
Doch Mut mir machend, hub der Weise an,
Dem alles kund, der edle: »Nicht betören
Laß dich die Furcht! So schrecklich seine Macht,
Nicht kann er dir den Gang zur Tiefe stören.«
Zum Antlitz drauf, das wilder Grimm entfacht,
Sich wendend, rief er: »Höllenwolf, gib Frieden!
Friß in dich selbst, was solche Wut dir macht!
Nicht ohne Fug ist unsre Fahrt hienieden:
Da droben, wo schon Michael gerochen
Den frevlen Übermut, da wards beschieden.«
Wie jäh zum Knäuel, wenn der Mast gebrochen,
Ein Segel sinkt, das erst der Sturm geschwellt,
Fiel hin das Ungetüm, da er gesprochen.
Zum vierten Ringe, drauf er niederfällt,
Gings weiter so den Hang hinab der Plagen,
Der alle Schuld umschließt der ganzen Welt.
Gerechter Gott! Wer häuft nur, laß mich fragen,
Was da von neuer Müh und Pein zu sehn?
Wie muß so hart uns unsre Sünde schlagen!
Wie ob Charybdis stets im Wirbelwehn
Sich Well an Welle bricht im Widerpralle,
So muß sich dort das Volk im Reigen drehn.
Weit mehr sah ich denn anderwärts, und alle
Sie wälzten Lasten mit der Brust heran
Von hier und dort und schrien mit lautem Schalle
Und stießen aufeinander, Mann an Mann,
Und wandten sich und riefen wechselweise
»Was raffst du!«, »Was verschleuderst du!« sich an.
Dann wieder rückwärts gings im finstren Kreise
Und beiderseit zum abgewandten Eck,
Und riefen aber scheltend ihre Weise.
Dort angelangt, kehrt jeder auf dem Fleck
In seinem Halbkreis um zu neuem Streite;
Und ich, dem fast das Herz zermalmt der Schreck,
Frug: »Meister, wer sind diese? Sinds Geweihte,
Die dort ich sehe, bitte, sag mirs an,
All die Geschornen, uns zur linken Seite?«
Und er zu mir: »Sie alle, Mann für Mann,
Sie waren scheelen Geistes dort im Leben,
Der nie sein Maß im Aufwand halten kann.
Klar zeigt sichs, wenn sie ihr Gekläff erheben,
Wenn, angelangt an eins von beiden Malen,
Sie scheidet ihrer Laster Widerstreben.
Die waren Pfaffen, mit dem Haupt, dem kahlen,
Darunter Päpste, deren Habsucht gar
So außer Maße giert, samt Kardinalen.«
»Ach, Meister«, sagt ich, »unter ihrer Schar
Wohl sollt ich welche kennen, mehr denn einen,
Der da befleckt mit diesen Lastern war.«
Doch er zu mir: »Nein, das ist eitles Meinen!
Vom schmutzigen Fehl, der wahres Gut verkannt,
Besudelt, sind sie kenntlich hier für keinen.
Von Prall zu Prall gehts ewig hierzuland;
Vom Grab erstehen diese da, geschoren
Am Haupte, jene mit geschloßner Hand.
Schlimm geben, schlimm behalten schied die Toren
Vom Heil und stürzte sie in diesen Zwist.
Wie der mag tun, kein Wort sei drum verloren!
Sieh, Sohn, wie kurz die Lust an Gütern ist,
Die von Fortunas Huld verwaltet werden,
Drum so die Menschheit rauft zu jeder Frist!
So viel an Gold es gibt und gab auf Erden,
Nicht einer der geplagten Seelen hier
Schaffts Ruh von ihren Mühen und Beschwerden.«
»Meister«, bat ich, »noch eines sage mir!
Fortunen nennst du, die in ihren Klauen
Die Güter hält der Welt: was ists mit ihr?«
Und er drauf: »O der Blindheit, die zu schauen
Euch wehrt, ihr Toren, die von nichts ihr wißt!
Sieh nun, was ich dich lehre, zu verdauen.
Er, dessen Weisheit ohnegleichen ist,
Schuf mit den Himmeln Lenker, sie zu leiten,
Daß Kraft und Licht, so wie ers gleich bemißt,
Von dem zu jenem strahle allerseiten.
Ingleichen setzt' er Wach und Oberhut
Für alles, was da glänzt auf irdschen Breiten,
Auf daß von Stamm zu Stamm, von Blut zu Blut,
Weit über Menschenwill und -witz im Gange,
In stetem Umlauf bleibt das eitle Gut.
So kommts, daß ein Geschlecht in Hoheit prange,
Das andre darben muß, wie's ihr gefällt,
Die heimlich lauert wie im Gras die Schlange.
Kein Wissen ist, das Widerpart ihr hält.
Sie plant und richtet, lenkt, wie sie's entschieden,
Ihr Reich, wie jene Götter ihre Welt.
Ihr Auf und Ab gibt nimmer Ruh noch Frieden;
Notwendigkeit beflügelt sie: gar bald,
Gar oft folgt wechselnd Los auf Los hienieden.
Sie ists, die allzeit, grade, wo es galt,
Sie hoch zu preisen, ward ans Kreuz geschlagen,
Die man von je zu Unrecht schmäht' und schalt.
Sie aber lacht und hört nicht, was sie sagen;
Froh, wie die Erstgeschaffnen insgemein,
Dreht sie ihr Rad in seligem Behagen. –
Doch komm! Nun gehts hinab zu größrer Pein.
Schon sank der letzte Stern, der aufgezogen,
Dieweil ich kam; nicht taugts hier säumig sein!«
So querten wir zum andren Rand den Bogen,
Ob einem Quell, der siedet und zu Tal
In steiler Klamm ergießet seine Wogen.
Dunkler denn Purpur war des Wassers Strahl,
Und im Geleit der trüben Welle klommen
Wir einen Steig hinab, gar rauh und schmal.
Von sumpfigem Pfuhl, dem Styx, wird aufgenommen
Das traurige Gewässer, wie's den grauen,
Unholden Felsenhang herabgekommen.
Und ich, der stille stand, mich umzuschauen,
Sah im Morast dort welche, nackt und bloß,
Mit Schlamm bedeckt und grimmverzerrt die Brauen;
Die gaben sich mit Fäusten Stoß auf Stoß,
Mit Füßen auch, mit Kopf und Brust und rissen
Sich Fetzen Fleisches mit den Zähnen los.
Der gute Meister sprach: »Nun magst du wissen,
Mein Sohn: die Seelen solcher siehst du hier,
Die Zorn bezwang; und in den Finsternissen
Der Tiefe stöhnen andre, glaube mir,
Davon hier oben rings die Sprudel quellen.
Wohin du blickest, sagts dein Auge dir.
In Schlamme steckts und stöhnt: ›Uns war im Hellen,
In hold durchsonnten Lüften trüb zu Sinn,
So ließ die Brust der Qualm des Mißmuts schwellen;
Nun trauern wir in Nacht und Moder hin …‹
So gurgelt dumpf das Lied in ihrem Schlunde,
Denn kein vernehmlich Wort gedeiht darin.«
So zwischen Moor und Fels, in weiter Runde
Umgingen wir des trüben Pfuhles Rand,
Vor uns die Brut, der Schlammflut troff vom Munde,
Bis ich an eines Turmes Fuß uns fand.
Lang – fahr ich fort im Liede –, lang bevor
Zum Fuße wir des hohen Turms gekommen,
Zogs unsren Blick zum Zinnenkranz empor.
Zwei Flammenblitze sahn wir dort entglommen,
Und fernher ward der Wink zurückgesandt,
Weit, daß es kaum mein Auge wahrgenommen.
Zu ihm, der aller Weisheit Meer, gewandt,
Sprach ich: »Was sagt dies Licht? Was gibt das zweite
Zur Antwort? Und wer schürt den Feuerbrand?«
Und er: »Was kommen soll von jener Seite,
Bärg's nicht der Wrasen jenes Pfuhls derweil,
Schon sähst du's auf der trüben Wogen Breite.«
Kein Bogenstrang beschwingte je den Pfeil,
Daß so geschwind er durch die Lüfte schnelle,
Als ich ein Schifflein kommen sah in Eil,
Ein kleines, auf uns zu durch Flut und Welle,
Gelenkt von einem Fergen ganz allein,
Der rief: »Bist, sündige Seele, du zur Stelle?«
»Phlegyas, Phlegyas, was soll das Schrein?«
Rief mein Gebieter. »Hier vergeudst die Stimme.
Nur für die Fahrt hinüber sind wir dein!«
Wie wer in Zorn entbrennt, gewahr, daß schlimme
Enttäuschung trügerisch ihm angetan,
So Phlegyas in stumm verbißnem Grimme;
Mein Führer aber stieg hinab zum Kahn
Und hieß mich folgen, und als ich darinnen,
Da schien es erst, als ob er Last empfahn.
Kaum waren wir, ich und mein Führer, drinnen,
Schoß, das mit keinem so, den's je getragen,
Die Flut gefurcht, das alte Boot von hinnen.
Wie so den toten Pfuhl entlang wir jagen,
Rief einer, voller Schlamm, und kam mir nah:
»Wer bist du, der du kommst vor deinen Tagen?«
Und ich drauf: »Komm ich, bleib ich doch nicht da!
Doch wer bist du, so greulich anzuschauen?«
»Ein Heulender«, sprach der, »du siehst es ja.«
Und ich zu ihm: »Im Heulen magst und Grauen,
Verfluchter Geist, hier liegen ewiglich!
Dich kenn ich, trieft dirs gleich von Stirn und Brauen.«
Ans Boot mit beiden Händen krallt' er sich,
Und dräuend mußt' ihn fort der Meister jagen:
»Fort! Zu den andren Hunden packe dich!«
Doch mir, den Arm um meinen Hals geschlagen,
Küßt' er das Antlitz: »Heil ihr, deren Schoß,
Empörte Seele, dein Gebild getragen!
Der war im Leben dort an Hoffart groß,
Kein Gran von Güte ziert sein Erdenwallen,
So läßt die Wut den Schatten noch nicht los.
Wie mancher heißt dort König, groß vor allen,
Der Säuen gleich hier stecken soll im Kot,
Da grause Flüche ihm als Nachruf schallen!«
Und ich: »O könnt ich, Meister – dem wärs not! –,
Könnt ich im Dreck ihn untertauchen sehen,
Eh noch am Land uns ausschifft unser Boot!«
Und er zu mir: »Dir soll genug geschehen,
Noch eh du drüben siehst das Ufer ragen;
Solch Wunsch muß wahrlich in Erfüllung gehen!«
Alsbald so sah ich einen Schwarm ihn plagen
Von denen aus dem Schlamme, bis aufs Blut,
Daß Gott ich heut noch Lob und Dank muß sagen.
»Philipp Argenti!«, »Auf ihn!« schrie die Brut,
Daß sich die Zähn ins eigne Fleisch gebissen
Des tollen Florentiners Geist vor Wut.
Dort ließ ich ihn, will nichts mehr von ihm wissen.
Doch drang ins Ohr mir jetzt ein Wehgeschrei,
Daß spähend ich die Augen aufgerissen.
»Sohn«, sprach der gute Meister, »nahebei
Liegt hier die Stadt nun, Dis genannt, mit Scharen
Von argen Bürgern, schlimmer Kumpanei!«
»Ach, Meister, deutlich kann ich schon gewahren
Im Tale drinnen«, sagt' ich, »die Moscheen.
Brandrot, als wenn sie grad im Feuer waren.«
Drauf er zu mir: »Vom ewigen Feuer stehen,
Das dort sie anglüht, all in rotem Schein:
So kannst in Höllentiefen hier du's sehen.«
Nun liefen wir die tiefen Gräben ein,
Die rings den gottverlaßnen Ort umfangen;
Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
In weitem Bogen sie umkreisend, langen
Wir an, wo uns der Ferge schreit ins Ohr:
»Hier ist der Eingang! Fort, an Land gegangen!«
Da sah ich mehr denn tausend nun am Tor,
Vom Himmel abgestürzt, die schrien wie Tolle:
»Wer ist es, der dem Tode kommt zuvor
Durchs Reich des Totenvolks, das grauenvolle?«
Mein kundiger Meister aber macht' ein Zeichen,
Daß er geheim mit ihnen reden wolle.
Da, um ein kleines, schien die Wut zu weichen:
»Komm«, riefs, »allein! Daß jener fort sich macht,
Ders wagt, in unser Reich sich einzuschleichen!
Find' er allein zurück, wo unbedacht
Des Wegs er kam: laß sehn, obs ihm gelinge.
Du bleibst, der her ihn wies ins Reich der Nacht!«
Denk, Leser, ob getrost und guter Dinge
Ich dieser höllischen Worte Klang vernahm!
Nie dacht' ich zu entrinnen dieser Schlinge.
»Mein teurer Führer, der mich wundersam
Wohl siebenmal mit frischem Mut versehen,
In Not mir und Gefahr zu Hilfe kam,
Laß«, rief ich, »nicht so hilflos hier mich stehen!
Laß flugs, wird uns das Weitergehn verdacht,
Selbander unsre Spur zurück uns gehen!«
»Mut«, sprach der Herre, der mich hergebracht,
»Nichts hemmt den Schritt, den jetzt wir mit Verlaube
Des Höchsten tun: zu groß ist Seine Macht.
Hier harre mein; dir speis und stärke Glaube
Und gute Hoffnung den verzagten Sinn:
Nicht laß ich dich der Unterwelt zum Raube.«
So läßt er mich, der Vater, gehet hin,
Der teure, und ich steh, das Haupt voll Fragen,
Denn Ja und Nein, sie stritten sich darin.
Nicht hört' ich, was er ihnen mochte sagen,
Doch währt's nicht lang, da sah ich, Mann für Mann,
Ins Tor die Feinde um die Wette jagen:
Sie sperrtens hart vor meinem Herrn sodann;
So stand er draußen vor den Burgverhauen,
Kam schweren Schrittes nun zu mir heran.
Den Blick gesenkt, bar allen Muts die Brauen,
Kam er, und stöhnend sagt' er vor sich hin:
»Wer wehret mir, die Burg des Wehs zu schauen?«
Zu mir dann: »Weil so unwirsch mir zu Sinn,
Erschrick drum nicht; ich muß den Sieg erstreiten,
Was immer sich zur Abwehr regt darin!
Nicht neu ist ihr Erdreisten; schon vor Zeiten
Geschahs an minder tief verborgner Pforte,
Die noch, entriegelt, muß die Flügel breiten;
Du sahst zu Häupten ihr die Todes-Worte;
Schon diesseit stürmt herab die steile Bahn
Er, dem kein Führer not von Ort zu Orte
Und dem der feste Platz wird aufgetan.«
Das Weiß, das Furcht mir malt' auf meine Wangen,
Als ich den Führer wiederkehren sah,
Drängt' ihm ins Innre gleich sein flüchtig Bangen;
Gespannt, wie wer da lauschet, stand er da,
Trug doch das Auge nimmer in die Weite
Durch Nacht und dichten Dunst, der fern und nah.
»Und dennoch, siegen müssen wir im Streite«,
Sprach er, »wenn nicht … doch solchen Helfers Macht …
Oh, wie verlangts mich, daß er uns zur Seite!«
Wohl merkt' ich: was er zu Beginn gedacht,
Verhehlt' er; anders, als er angefangen,
Hatt' er zu Ende seinen Spruch gebracht.
Allein nicht minder macht' es drum mich bangen:
Mehr, als er meinen mocht', in seinem Mund
Bedrohlich die zerstückten Worte klangen.
»Steigt je zu dieses grausen Trichters Grund
Vom ersten Range einer, wo statt Plagen
Euch einzig sehret eures Hoffens Schwund?«
Ich frugs, und Antwort gab er meinen Fragen:
»Gar wenigen der Unsern das geschieht,
Den Weg zu gehen, den ich jetzt muß wagen.
Zwar einmal war ich hier, vom Hexenlied
Erichthos, der Entsetzlichen, beschworen,
Das heim zum Leibe noch den Schatten zieht:
Nicht lang des Fleisches bloß, drin ich geboren,
Nach einer Seele aus Judeccas Schlund
Hieß sie mich eingehn hier zu diesen Toren.
Das ist der tiefste, rabenfinstre Schrund,
Zufernst dem Himmel, der das All läßt schwingen;
Sei denn getrost, des Weges bin ich kund!
Der Pfuhl hier, draus so arge Dünste dringen,
Umgürtet rings im Rund die Stadt der Pein,
Da ohne Streit kein Einlaß zu erzwingen …«
Er sprach noch mehr, doch fällts mir nicht mehr ein,
So zog mich nach des Turmes Zinne droben
Mein Auge, die da glüht' im Feuerschein.
Bluttriefend beieinander, hoch erhoben,
An Wuchs und Haltung Weibern gleich, so standen
Die höllischen drei Furien stracks dort oben.
Giftgrüne Hydern ihren Gürtel banden,
Als Haupthaar Nattern sich den Unholdinnen
Und Vipern um die Schläfen dräuend wanden.
Und er, dem wohlvertraut die Schaffnerinnen
Der Königin im Reich der ewigen Pein,
Sprach: »Siehe da die grimmigen Erinnen!
Die linke ist Megära von den drein;
Tisiphone inmitten, und am Ende
Rechts heult Alekto …« Damit hielt er ein.
Sie schlugen, sie zerkrallten Brust und Hände,
Schrien gellend alle drei, so daß ich hart
Vor Schreck mich drängt' an meines Sängers Lende.
»Medusa«, riefs, und nieder jede starrt,
»Komm, ihn zu Stein zu wandeln! Schmach und Schade,
Daß Theseus' Einbruch nicht gerochen ward!«
»Kehr um! Das Auge zu! Daß Gott dir gnade!
Zeigt Gorgo sich und hält dein Aug ihr stand,
Schauts nimmermehr der Oberwelt Gestade.«
Der Meister sprachs, hat selbst mich umgewandt,
Ließ sich an meinen Händen nicht genügen
Und schloß die Augen mir mit eigner Hand.
Ihr, deren Geist sich nicht vom Schein läßt trügen,
Schaut, welche Lehre unterm Schleier sich
Der Reime birgt, die sich so seltsam fügen!
Schon brach es los, ein Tosen fürchterlich,
Daß Bord um Bord erbebte, wie's mit Toben
Her über jene trüben Wogen strich,
Nicht anders, als wenn Sturmwind sich erhoben,
Der, ungestüm vom Widerstreit der Glut,
Im Walde rast, unwiderstehlich droben
Die Äste knickt und rafft mit Schleuderwut,
Und staubaufwirbelnd fährt dahin der jähe,
Daß Wild und Herden fliehn in sichre Hut.
Mein Auge gab er frei und sprach: »Nun spähe
Geschärften Blicks der Urflut Schaum entlang
Dort, wo der Qualm am dicksten braut, der zähe!«
Wie, vor der Natter wohl, der Feindin, bang,
Im Teich die Frösche fliehn nach allen Seiten,
Bis alles scheu sich duckt am Uferhang,
So sah ich tausend der Vermaledeiten
Vor einem flüchten, der die Furt hindann,
Die stygische, trocknen Fußes schien zu schreiten.
Den Dunst vor seinem Antlitz dann und wann
Zu scheuchen, schwenkt' er eine seiner Hände,
Als föcht' ihn nichts von andren Nöten an.
Ich merkte wohl, daß ihn der Himmel sende,
Und sah zum Meister auf; der hob die Hand,
Daß ich mich vor ihm neigt' und stille stände.
O mein, wie blickt' er streng, von Zorn entbrannt!
Zur Pforte schritt er, schlug mit leichter Gerte
Die Flügel auf, da war kein Widerstand.
»Verruchtes Volk! Vom Himmel Ausgesperrte!«
Klangs von der Schwelle dort des Grausens her.
»Woher der Trotz in euch, die Herzenshärte?
Was setzet ihr dem Willen euch zur Wehr,
Dem nie ein Gran des, was er will, entwunden?
Schon mehr als einmal büßtet ihrs so schwer!
Was frommts, der Schickung trotzen? Trägt die Wunden
Davon bis heute doch – denkt wohl daran! –
Eur Zerberus, an Kehl und Kinn geschunden.«
Zurück den Pfad des Schlammes kehrt' er dann,
Gönnt' uns kein Wort, wie wer auf seinen Wegen,
In andrer Sorgen Haft und strengem Bann,
Kein Acht hat, was vor Augen ihm gelegen;
Und wir, getrost nach solchem heiligen Worte,
Wir hoben nun den Fuß, der Stadt entgegen.
Hinein gings, sonder Fährde, durch die Pforte,
Und ich, begierig, was der Augenschein
Mir zeigen möcht an solchem festem Orte,
Send, als ich drinnen, rings ins Land hinein
Den Blick; und allerwegen muß ich schauen
Gefilde voller Marter, Schuld und Pein.
So wie bei Arles, wo sich die Wasser stauen
Der Rhone, wie bei Pola, wo den Strand
Quarnero spült, die Mark von Welschlands Gauen,
Wie dort von Gräbern rings gewellt das Land,
So hier, vom einen bis zum andren Ende,
Nur daß weit bittrer war, was jetzt ich fand;
Denn um die Särge lohten Feuerbrände,
Und alle glühten heiß in deren Flammen
Wie Eisen, schmiedens grad des Meisters Hände.
Die Deckel waren aufgetan mitsammen,
Und grimmes Jammern drang daraus hervor,
Das Schwergeplagter Qualen mußt' entstammen.
So fragt' ich: »Meister, wer ist dieser Chor?
Wer macht sich, eingesargt in jenen Schragen,
Kund durch so kläglich Stöhnen meinem Ohr?«
»Irrlehrer sind es«, hört' ich drauf ihn sagen,
»Und ihre Jünger, Ketzer aller Art;
Mehr als du glaubst, hat Grab für Grab zu tragen.
In jeder Gruft liegt gleich und gleich gepaart,
Und mehr und minder glühts in diesen Malen.«
So wandt' er sich zur Rechten, und die Fahrt
Ging fort: die Zinnen hier und dort die Qualen.
So, zwischen Mauerring und Martern mitten
Hindurch, den Richtsteig geht er mir voran,
Der Meister, und ich folge seinen Schritten.
»Du Hort der Tugend, der mich leiten kann,
Wie dirs gefällt, durchs Sündenrund zu gehen,
Still mein Verlangen«, bat ich, »sag mir an:
Die in den Särgen ruhn, kann man sie sehen?
Wohl seh ich all die Schragen ohne Zahl
Noch aufgedeckt und niemand Wache stehen.«
Und er zu mir: »Die werden allzumal
Verschlossen, wenn von Josaphat sie kehren
Mit ihrem Leib, der droben blieb im Tal.
Diesseit ward samt dem Meister, den sie ehren,
Den Jüngern Epikurs die Liegestatt,
Die Tod der Seele wie des Leibes lehren.
So wird hier innen dein Verlangen satt
Des, was du fragst, und auch, was du verstohlen
Begehrst und was dein Wort verschwiegen hat.«
»Mein guter Führer«, rief ich, »unverhohlen
Sei dir mein Herze! Kurz nur wollt' ich sein,
Wie du's, nicht eben nur, mir anbefohlen.«
»Der lebend kommst zur Stadt der Flammenpein
Und sprachst, o Tusker, so voll Ehrfurcht eben,
Halt an, so dirs gefällt, vor diesem Stein!
Es hat fürwahr das Leben dir gegeben
Mein' edle Stadt – man kennts an deinem Wort –,
Der überlästig wohl ich ward im Leben.«
Also aus einer jener Laden dort
Scholl plötzlich eine Stimme, daß in Zagen
Ich enger mich geschmiegt an meinen Hort.
Der rief: »Schau um! Was ist dir? Dort im Schragen
Sieh Farinata, draus er grad erstand.
Vom Gurt an siehst ihn frei der Glut entragen.«
Mein Auge schon den Blick des seinen fand:
Brust reckt' und Stirn er, hoch, in stolzer Steile,
Als spräch er Hohn der Höll und ihrem Brand.
Und vor ihn hin schob durch der Gräber Zeile
Des Führers Hand mich gar behendiglich:
»Kein Wort zuviel!« so mahnt' er mich in Eile.
Zu Füßen seines Sarges sah er mich
Ein Weilchen an, und schier verächtlich fragte
Er dann: »Wer waren deine Väter? Sprich!«
Ich, zu willfahren gar beflissen, sagte
Ohn alles Hehl ihm alles, Wort für Wort;
Da hob die Braun ein wenig der Geplagte:
»Die sannen, grimme Feinde, fort und fort,
Mir, meinen Ahnen, meinem Bund zu wehren!
Zweimal drum scheucht' ich sie von Ort zu Ort.«
»Wie weit versprengt, sie wußten heimzukehren«,
Gab ich zurück, »sooft sie's zwang zu fliehn!
Schwer fällts, die Euren solche Kunst zu lehren.«
Da, neben jenem, bis zum Kinn erschien
Ein Schatten überm aufgedeckten Rande, –
Mich dünkt, er hob sich eben bis zum Knien.
Der späht' umher, als wollt im Höllenbrande
Er sehn, ob nicht ein andrer neben mir;
Und als nun all sein Hoffen ward zuschande,
Da sprach er weinend: »Führt zum Kerker hier,
Dem blinden, deines Geistes hohes Streben:
Wo ist mein Sohn? Was kommt er nicht mit dir?«
Drauf ich: »Von selbst nicht komm ich; er, der eben
Dort harret, führt mich her, und seinem Werte
Wollt' Euer Guido wohl Gehör nicht geben.«
Sein Wort und, die er litt, die Strafe lehrte
Mich, wer er sei: so konnt' ins Angesicht
Ich gleich Bescheid ihm tun, wie ers begehrte.
Auf einmal stand und fragt' er: »Wollte nicht …?
Wie sagtest du? So lebt er nicht mehr? Sage:
Trifft nicht sein Auge mehr das süße Licht?«
Und als er merkte, daß ich auf die Frage
Ein wenig zögert', eh das Wort ich fand,
Sank er zurück und kam nicht mehr zutage.
Er, dem zulieb ich mich hieher gewandt,
Verzog nicht eine Miene: grad den Rücken,
Den Nacken steif, der Hochgemute stand.