Das perfekte Leben - Katja Schmitz-Dräger - E-Book

Das perfekte Leben E-Book

Katja Schmitz-Dräger

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Beschreibung

Katja Schmitz-Dräger hat vier Freundinnen aus verschiedenen Städten zum freimütigen Austausch in trauter Runde eingeladen. Mit dabei: ein Aufnahmegerät, das die Gespräche über Liebe, Sex, Beziehungen, Geld, Beruf, Erfolg, Zukunftspläne, Kinder, Heiraten, Attraktivität, weiblichen Zusammenhalt, Sicherheit und die alternden Eltern aufzeichnen soll. Die Lebensumstände und Ansichten der Freundinnen sind sehr unterschiedlich. Julia (31) ist als Quereinsteigerin im Job erfolgreich, familienorientiert und in einer glücklichen Beziehung. Barbara (32) hingegen ist immer noch auf der Suche nach der beruflichen Erfüllung und dem Mann fürs Leben. Als Ehefrau und Mutter scheint Maren (31) die Bodenständigste in der Runde zu sein. Anne (31) hat sich einen guten Ruf in der Filmbranche erarbeitet, momentan ist sie vor allem frisch verliebt. Der Girltalk fünf junger Frauen in Juleska Vonhagens Herzmist wurde zum SPIEGEL-Bestseller. Jetzt folgen die ebenso offenen und aufregenden Gespräche einer Frauenrunde Anfang 30. Nun geht es um die großen Entscheidungen im Leben, denn die Zeit des unbeschwerten Ausprobierens ist vorbei: Privat und beruflich werden die Weichen gestellt, spätestens jetzt muss jeder die Verantwortung für sein Leben übernehmen. Die freie Auswahl unter zahllosen Lebensentwürfen lässt essenzielle Fragen aufkommen: Was habe ich bisher erreicht und wo will ich noch hin? Sollte ich jetzt mit der Familienplanung beginnen? Ist eine vernünftige Altersvorsorge wichtiger als berufliche Selbstverwirklichung? Die Antworten suchen Frauen um die 30 immer noch am liebsten gemeinsam mit ihren Freundinnen, denn das Beruhigende ist: Es geht ja allen so. Nach den Twentysomethings in Herzmist kommen nun fünf Frauen Anfang 30 zu Wort. Ob Single, frisch verliebt oder verheiratet, ob mit oder ohne Kind und Kinderwunsch, ob freiberuflich, festangestellt oder in Elternzeit - jede der Freundinnen steckt in einer anderen Lebenssituation. Umso lebhafter sind die Diskussionen um die 33 spannenden Fragen wie: Waren wir an unserem 30. Geburtstag zufrieden mit uns? Ist Sex mit der Zeit immer besser geworden? Wie wichtig ist ein toller Beruf? Die authentischen Gespräche lassen Frauen amüsiert mit dem Kopf nicken und Männer neugierig aufhorchen! 'Wir sind die Generation mit den vielen Möglichkeiten, mit dem Selbstverwirklichungsimperativ, den Magisterstudiengängen und der latent drohenden Arbeitslosigkeit. Die erste, bei der Aids Bestandteil der Sexualaufklärung war; die letzte, die den Ausbildungsplatz nicht per Internetrecherche suchte. Längst haben wir ein ehemannunabhängiges Einkommen, längst brauchen wir keinen Trauschein mehr, um eine Familie zu gründen. Mit Anfang 30 sind etliche Vorstellungen, die noch zehn Jahre vorher solide zementiert schienen, ordentlich ins Wanken geraten. Von einigen hat man sich verabschiedet und jongliert mehr oder weniger entspannt mit den Unwägbarkeiten - niemand glaubt mehr an die unbefristete Festanstellung, immer weniger an die liebessichernde Wirkung eines Eherings. Andere Dinge rufen sich mit zunehmender Dringlichkeit in Erinnerung: Ist nicht jetzt die Zeit zum Kinderkriegen? Oder verschiebt man die Sache doch noch bis auf den letzten biologischen Drücker? Ist man beruflich schon da, wo man mit 30 sein wollte - und kann man sich eine Babypause überhaupt erlauben?'Katja Schmitz-Dräger

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Katja Schmitz-Dräger

Das perfekte Leben

Fünf Frauen Anfang 30 – Gespräche über Liebe, Sex, Familie, Job und Zukunft

Schwarzkopf & Schwarzkopf

Vorwort

Start

Es ist viel los bei den Frauen Anfang dreißig, egal wo man hinguckt: Privat und beruflich werden die Weichen gestellt; alles passiert gleichzeitig und in kurzer Zeit, und dabei haben wir die freie Auswahl unter einem Haufen von Beschäftigungsmodellen oder Familienkonstrukten. Wir sind die Generation mit den vielen Möglichkeiten, mit dem Selbstverwirklichungsimperativ, den ­Magisterstudiengängen und der latent drohenden Arbeitslosigkeit. Die Ersten, bei denen Aids Bestandteil der pubertären Sexual­aufklärung war; die Letzten, die den Ausbildungsplatz nicht per Inter­netrecherche suchten. Längst haben wir ein ehemannunabhängiges Einkommen, längst brauchen wir keinen Trauschein mehr, um eine Familie zu gründen.

Mit Anfang dreißig sind etliche Vorstellungen, die noch zehn Jahre vorher solide zementiert schienen, ordentlich ins Wanken geraten. Von einigen hat man sich verabschiedet und jongliert mehr oder weniger entspannt mit den Unwägbarkeiten – niemand glaubt mehr an die unbefristete Festanstellung oder die liebessichernde Wirkung eines Eherings. Andere Dinge rufen sich mit zunehmender Dringlichkeit in Erinnerung: Ist nicht jetzt die Zeit zum Kinderkriegen? Oder verschiebt man die Sache doch noch bis auf den letzten biologischen Drücker? Ist man beruflich schon da, wo man mit dreißig sein wollte – kann man sich eine Babypause überhaupt erlauben? Gibt es den richtigen Mann für die Vätermonate, und woher wissen wir das?

Wir haben alle Möglichkeiten – dafür kommen uns die Ausreden abhanden. Wir sind für sämtliche Bereiche unseres Lebens selbst verantwortlich, auch für den öden Beruf und die schwierige Liebesgeschichte. Wenn mit den Freiheiten der Druck wächst, sie bitte schön sämtlich optimal zu nutzen, gehen die Probleme los. Ansprüche kollidieren mit der Realität, Selbst- mit Fremdwahrnehmung. Alte Vorstellungen passen nicht mehr in neue Rahmenbedingungen, berufliche Ziele wollen gegen private abgewogen werden. Wir wollen uns nicht zu schnell festlegen, aber auch nicht mit tränennassen Taschentüchern abgefahrenen Zügen hinterherwinken. Ständig entscheiden wir uns für oder gegen irgendetwas – diesen Job, jenen Mann, die gemeinsame Wohnung, das Kind, die Elternzeit, die Selbstständigkeit. Und können darüber von Zeit zu Zeit auch mal ganz schön ins Grübeln geraten.

Und so kommt es, dass, wo immer sich zwei unserer Art begegnen, sie sich in kürzester Zeit über die akuten Fragen austauschen: Ist es beunruhigend, wenn auf Geburtstagsfeiern im Freundeskreis immer mehr Kinder aufkreuzen? Sind wir so erwachsen, wie unsere Eltern es von uns erwarten, oder ist dreißig das neue zwanzig? Spielt Heiraten noch eine Rolle in unserer Lebensplanung? Was macht finanzielle Abhängigkeit mit der Liebe? Kriegen wir in Gehaltsverhandlungen die Zähne auseinander? Wie gelingt es uns, den Sex in einer langjährigen Beziehung am Leben zu erhalten? Und kann Altersvorsorge wichtiger sein als Selbstverwirklichung? Auf einen Nenner gebracht: Wie machst du das, und funktioniert es?

Mit den Freundinnen tauschen wir uns aus, vergewissern uns unserer Überlegungen und unterziehen die eigenen Pläne einem ersten Test. Und wenn die Probleme nicht gelöst werden, ist es doch beruhigend zu sehen, dass es anderen ähnlich geht. Dass jede an den eigenen vermeintlichen Unzulänglichkeiten knabbert, gelegentlich ratlos ist, wider besseres Wissen handelt, und die Sache am Ende doch irgendwie wuppt. Und dass der Schlüssel zum perfekten Leben gar nicht zwingend in einer makellosen Kette richtiger Entscheidungen liegt, sondern vielmehr in der Fähigkeit, sich einfach mal ein bisschen zu entspannen.

Fünf Frauen

Katja, Julia, Barbara, Maren, Anne

Fünf Frauen, 33 Fragen. Für dieses Buch habe ich vier meiner Freundinnen eingeladen, sich zusammenzufinden und in trauter Runde zu diskutieren: über Liebe, Sex, Geld, Beruf, Erfolg, Zukunft, Heiraten, Attraktivität, weiblichen Zusammenhalt, Sicher­heit, Eltern und so weiter. Dass wir auf eine Bandbreite von Ansichten zugreifen können, ist unseren fünf unterschiedlichen Persönlichkeiten und Lebenssituationen geschuldet: Ob Single, frisch verliebt oder längst verheiratet, ob mit oder ohne Kind und Kinderwunsch, ob freiberuflich, festangestellt oder in Elternzeit – alles ist dabei. Hier sind die diskussionsfreudigen Personen:

Katja, 31, Berlin

Das bin ich – freiberufliche Historikerin und Autorin, hoch qualifiziert und niedrig entlohnt. In der immer noch andauernden Anfangsphase meiner Berufstätigkeit gehören neben dem Schreiben und den Aufträgen im Dokumentarfilmbereich noch allerlei abstruse Gelegenheitsjobs zu meinen Verdienstquellen und Selbstzweifel zum Alltag. Allmählich ist aber Land in Sicht, und abgesehen von seltenen Verzweiflungsanfällen bin ich voller Zuversicht, demnächst auch meine Krankenversicherung selbst bezahlen zu können. Auf anderem Terrain laufen die Dinge müheloser: Meine Beziehung kann man nach gut sechs Jahren schon fast als eheähnliche Gemeinschaft betrachten; nach stürmischen Jahren haben Sebastian und ich uns zu unserem eigenen Erstaunen ziemlich gut zusammengerauft. Trotzdem hat es meinem Ego kurzzeitig erstaunlich zu schaffen gemacht, dass er als Komponist neuerdings mehr verdient als ich. Ebenso die ersten grauen Haare, die ich in der Zeitleiste meiner Lebensplanung eigentlich nach der ersten Schwangerschaft angesetzt hatte.

Mit einer gesunden Neigung zum Drama kann ich mich an solchen Dingen mühelos aufhängen und sie zu kleineren oder größeren Krisen veredeln. Mit denen halte ich dann nicht hinterm Berg und bin dabei konfliktfreudig, aber gelegentlich etwas verkopft: Ich kann zwar schnell und spitzfindig Texte auseinandernehmen, aber für die simpelsten Lebenseinsichten braucht mein Gehirn Jahre. Dann stochere ich auf der Suche nach meinen Emotionen extensiv im Nebel, bevor eine meiner Freundinnen Problem samt Lösung in drei Sätzen auf den Punkt bringt und mich damit in ehrfürchtiges Staunen versetzt.

Über mein Handeln muss ich weniger nachdenken – egal in welchem Bereich. Bevor ich gar nichts tue, steuere ich mit Volldampf in eine Richtung: nach Hamburg, nach Berlin, in diesen Beruf und jenen Beziehungsstreit. Je nachdem wundere ich mich anschließend über die Konsequenzen und rudere gegebenenfalls wieder zurück oder bin vollauf zufrieden und prahle kaum verhohlen damit, ich hätte es halt von Anfang an gewusst.

Julia, 31, Hamburg

Julia und ich sind ein Herz und eine Seele, seit ich mit 14 in ihre Klasse kam und wir im Physikunterricht gemeinsam mehrere Ausgaben einer Seniorinnenzeitschrift anfertigten. Zahllose gemeinsam überstandene Jugendsünden und Erwachsenwerdungs-Sorgen später haben wir ein fast schwesterliches Verhältnis: Manchmal geraten wir aneinander, aber nie wird die Basis erschüttert.

Julia ist gelernte Mediengestalterin, hat sich in den letzten Jahren als Requisiteurin etabliert und schult aktuell auf Szenenbild um. Obwohl sie nie großen Wert auf Karriere gelegt hat, sporadisch sogar vom Hausfrauendasein träumt, ist sie in ihrem Metier ziemlich erfolgreich, denn sie arbeitet gut und zuverlässig, und wenn nötig auch viel. Auch in Gelddingen ist sie pragmatisch: Wenn ihr Partner wenig verdient, finanziert sie ihn kurzerhand mit. Großzügig ist Julia zu anderen wie zu sich selbst: Durchaus genussfreudig kann sie ganze Tage in Cafés verbringen oder shoppen gehen. Sie macht es sich gerne schön und das mit hervorragendem Geschmack, wovon ihre mit ausgesuchten Fundstücken eingerichtete Wohnung zeugt.

Während sie sich in ihrem urbanen Hamburger Umfeld ausgesprochen wohlfühlt, verbindet sie eine innige Liebe mit ihrer Familie in unserer rheinischen Provinzheimat. Zu deren Erbe zählt liebevollste Gastfreundschaft: Julia ist diejenige, die einem zwölf Sorten Tee anbieten kann und umstandslos zwei Gänge kocht, wenn man zufällig vorbeikommt. In Liebe und Freundschaft ist Julia absolut treu, loyal und anhänglich. Nach einer fünfjährigen turbulenten Beziehung mit ausgeprägten Höhen und Tiefen hat sie mit Jan den neuen Mann ihres Vertrauens gefunden und erfreut sich seit fast zwei Jahren an ihm. Bei einem Schwangerschafts-Fehlalarm hat sie kürzlich überrascht festgestellt, wie schnell sie sich an den Gedanken gewöhnt hat, Mutter zu werden.

In Diskussionen kann Julia schon mal etwas weitschweifig werden. Dann legt sie ihren eigenen und eine Reihe weiterer Standpunkte im Brustton der Überzeugung und völlig stringent dar. Beachtlich außerdem die Geschwindigkeit: Punkte und Kommata stammen von mir.

Barbara, 32, Hamburg

In der Schule war es so: Montags erzählten alle abwechselnd von ihrem Wochenende, protzten gelegentlich ein bisschen und such­­ten sich mehr oder weniger subtil zu übertrumpfen. Barbara stand dabei, lachte mit, freute sich über die Berichte der anderen und sagte nichts weiter.

Und wenn man sie am Ende direkt fragte, guckte sie mit großen Rehaugen verlegen zur Seite und erzählte dann die wildeste Geschichte von allen. Selbstdarstellerei liegt ihr fern; Barbara kann selbstgenügsam Tage in ihrer mit Milliarden schönen Kleinigkeiten aufs Liebevollste vollgestellten Wohnung verbringen, die Wand bemalen, zauberhafte Dinge nähen oder herumtrödeln und sich kein bisschen einsam fühlen. Barbaras Beobachtungsgabe und ein unglaublicher Sinn fürs Komische führen dazu, dass man schon mit ihrem Bericht über den letzten Supermarktbesuch bestens unterhalten ist. Ihr scharfer Blick macht auch vor den eigenen Schwächen nicht halt: Mit entwaffnender Ehrlichkeit legt sie den Finger in die Wunden und ist dabei manchmal strenger mit sich als mit allen anderen Menschen, denen sie prinzipiell erst mal mit wohlwollender Offenheit begegnet. Glücklicherweise siegt aber auch hier meist der Humor: Es gibt kaum einen Menschen, der hemmungsloser über sich selbst lachen kann.

Mit dem Sinnsuchpotenzial des Friseurberufs, den sie nach dem Abi halb aus Ratlosigkeit, halb aus Spaß am Werkeln erlernt hatte, war sie nie so recht zufrieden, und so fing sie im Anschluss an, Philosophie zu studieren. Dann Soziologie und Pädagogik. Und weil auch hier das große Ziel auf sich warten ließ, packte sie nach der Zwischenprüfung ihre Sachen und zog weg von Exfreund und gemeinsamer Wohnung in Köln nach Hamburg, wo sie mittlerweile zwei Jobs nachgeht und derweil weiter nach ihrer beruflichen Erfüllung Ausschau hält.

Männertechnisch war der Hauptgewinn bisher auch nicht dabei, wovon Barbara sich aber nicht weiter stören lässt. Inzwischen ist sie seit rund zwei Jahren Single, und wenn sie auch für alles offen ist – eilig hat sie es nicht.

Maren, 31, Düsseldorf

Von außen betrachtet wirkt Marens Werdegang geradezu einschüchternd straight: Nicht nur hat sie ihre Ausbildung zur Reise­verkehrskauffrau durchgezogen und ein passendes Lateinamerikastudium mit Tourismusschwerpunkt draufgesetzt, sondern sie ist auch seit drei Jahren verheiratet und hat soeben ihren ersten Sohn zur Welt gebracht.

Sie selbst sieht die Sache etwas anders: Im Grunde habe sie immer nur das gemacht, was sich gerade als Nächstes ergeben habe, und die Dinge genommen, wie sie eben kamen. Meist hat das ganz gut geklappt: Aus dem Nebenjob im Klamottenladen wurde in kürzester Zeit eine stellvertretende Filialleitung. Und so hadert sie auch kaum mit ihrer Diplomarbeit, die vor der unerwartet frühen Geburt dann doch nicht mehr fertig geworden ist. Das ist vielleicht die beste Beschreibung von Marens Wesen: wirkliche und bewundernswerte Gelassenheit.

So kümmerte sie sich auch während unserer Gespräche so liebevoll wie geduldig um ihr Kind, wann immer es sie per Geschrei aus der Diskussion holte, und gesellte sich im Anschluss kaum gestresst wieder dazu, um den Faden wieder aufzunehmen. Dabei sieht sie keinen Grund, aller Welt Babythemen aufzudrängen – das große Interesse unsererseits weiß sie allerdings mit enormem Humor und allerhand skurrilen Geschichten zu befriedigen. Angereist kam Maren mit komplettem im Auto verstauten Hausstand, wie ihr Mann beteuerte, der übers Wochenende in der leeren Wohnung zurückblieb; des Weiteren versorgte sie uns mit einer Fünfliterpackung Apfelsaft vom Bauernhof und kiloweise Schokolade, zu der sie über die Stillzeit eine noch größere Affinität entwickelt hat.

Maren und ich sind gemeinsam durch den Lateinkurs gegangen, in dem uns der greise Lehrer auf -i endende Spitznamen verpasste. Inzwischen lebt sie unter per Heirat erworbenem neuen Namen mit Mann, Kind und zeitweise der kleinen Tochter ihres Mannes in Düsseldorf, unweit unserer alten Heimat. Sorgen macht sich Maren manchmal um ihren rapide alternden Vater. In ihren Mann und ihre Ehe hat sie ein unerschütterliches Vertrauen.

Anne, 31, Berlin

Als ich Anne vor gut zwei Jahren das erste Mal begegnete, war ich ein Nervenbündel: Mein erstes Vorstellungsgespräch in Berlin bei einer kleinen Produktionsfirma, wo sie schon arbeitete und auf mich unendlich kompetent wirkte. Das hat sich bis heute nicht geändert, aber ihre entspannte und herzliche Art hatte damals eine enorm beruhigende Wirkung, und von ihrem höchst ansteckenden Strahlen war ich auf der Stelle hingerissen. Die Belustigung war auf beiden Seiten groß, als sich bei einem ersten Feierabendbier einige Wochen später herausstellte, dass sie von meinem Lebenslauf ähnlich beeindruckt war wie ich von ihr.

Seitdem haben wir unzählige Mittagspausen und Feierabende damit verbracht, berufliche Ziele und Pläne, Schwärmereien oder Beziehungsfragen durchzuquatschen. Anne ist im tiefsten Herzen eine hoffnungslose Romantikerin mit einem riesigen Vorrat großer Gefühle. Die sind nach einer Reihe von Fehlgriffen in den Männerpool zwar in ein paar Lagen Skepsis sicher eingewickelt, aber in letzter Zeit wühlen sie sich unaufhaltsam wieder heraus: Mit ihrem Freund Nick ist sie seit einigen Monaten glücklich. Daran ändern auch die ersten unvermeidlichen Kontroversen nichts, in denen Anne sich im Mut zur offenen Auseinandersetzung übt.

Als begehrte und gut vernetzte Produktionsassistentin hat sie mir bei ihrer letzten Jobsuche nebenher eine Lektion in Gehaltsverhandlungen erteilt. Natürlich hat sie sowohl die Festanstellung als auch das geforderte Gehalt bekommen. So straight und sachlich Anne im Beruf ist, so lebhaft und emotional ist sie in anderen Bereichen. In Gesprächen dauert es vielleicht einen Moment, bis sie aus ihrem Schneckenhaus herauskommt, aber dann trifft ihr Witz punktgenau, ist sie offen, ehrlich und gefühlvoll. Was sie nicht hindert, ihre Worte stets wohlüberlegt zu setzen: Von ihren spontan druckreif formulierten Statements bin ich jedes Mal aufs Neue beeindruckt.

33 Fragen

Ein Wochenende im Juli: Wir haben uns an der Nordsee eingefunden, um Arbeit mit Angenehmem zu verbinden, in der Sonne zu sitzen, gut zu essen und zu trinken und lange Gesprächsrunden hinter uns zu bringen. Unsere Einkäufe sollten uns theoretisch in die Lage versetzen, über Wochen hier auszuharren. Für Maren, die mit Säugling anreist, ist auch alkoholfreier Sekt dabei – wir hatten eine Erdbeerbowle ins Auge gefasst.

Ich bin ein bisschen aufgeregt, als wir nach und nach aus den unterschiedlichen Richtungen eintrudeln – meine Freundin Anne, die ich erst aus meiner bis dato zweijährigen Berliner Zeit kenne, begegnet meinen Uralt-Freundinnen gerade zum ersten Mal, und dann sollen gleich in offenen Gesprächen die Karten auf den Tisch … Alle Sorgen verfliegen – spätestens als Maren anrollt, in einem bis unters Dach vollgestopften Auto und mit dem drei Monate alten und wunderbarerweise friedlich schlafenden Peter im Körbchen. Die Stimmung lässt ahnen, dass alles gut klappen wird.

Die perfekte Frau

Waren wir an unserem dreißigsten Geburtstag zufrieden mit uns?

Einmal ins Meer gehüpft, eine Runde Milchkaffee gemacht; jetzt haben wir uns vor der Hitze für den Moment ins Wohnzimmer zurückgezogen. Hier stehen äußerst weiche Sofas und Sessel, auf denen wir von Minute zu Minute weiter in die Horizontale rutschen. Vor uns auf dem Tisch stehen halb volle Kaffeetassen und ein paar Gläser Apfelschorle, in der Mitte liegt zwischen zwei Tafeln Schokolade unauffällig das Aufnahmegerät. Peter ist frisch gestillt, und weil Maren sagt, irgendwas sei immer und wir sollten uns daher nicht aufhalten lassen, legen wir schon einmal los, während wir noch auf sein Bäuerchen warten.

»Wenn wir zurückdenken …«, versuche ich eine schwungvolle Anmoderation, nachdem ich die Frage in den Raum geworfen habe und vorläufig Schweigen herrscht. »Was haben wir mal von uns erwartet, von welchen Sachen dachten wir, dass sie bis dreißig doch bestimmt erledigt sein müssten? Und wenn es nicht geklappt hat …«

Die vier gucken konzentriert, ab und zu fällt ein »Hmm …« und der eine oder andere argwöhnische Blick auf das Diktiergerät. Maren reicht Peter, der soeben fertig gerülpst hat, an Julia weiter, die ihn freudig in Empfang nimmt, und lässt sich wieder im Sessel nieder. »Früher hab ich immer gesagt, mit dreißig bist du mit dem Studium fertig«, kommt es von ihr. »Das war immer so das magische Dreißig-Jahre-Ziel. – Na ja, jetzt hat es ja nicht geklappt.«

»Und findest du das schlimm?«, will ich wissen.

Maren zuckt mit den Schultern. »Nö.« Sie wirkt glaubwürdig gelassen. »Ach, wisst ihr, Ausreden gibt es ja immer: der Job, das Kind … Ich habe auch mal gesagt, dass ich meiner Oma zum achtzigsten Geburtstag ein Urenkelchen schenken wollte, na ja … aber damals war ich sehr jung und konnte wohl auch nicht sehr gut rechnen, denn da wäre ich gerade mal zwanzig gewesen.«

Barbara lacht. »Ich dachte auch früher, dass man mit zwanzig Kinder kriegt.« Maren nickt. »Von früher aus betrachtet sah so etwa 25 ja auch schon relativ alt aus. Und dann war man 25 und dachte«, sie macht ein entsetztes Gesicht, »was – jetzt?!«

»Na ja, gut, mit 25 …« Anne hebt die Hand und lässt sie wieder fallen. »Aber ich habe noch Erinnerungen an meine Eltern, als sie so 33 waren. Insofern war das auch schon mein Bild, dass man in dem Alter, so mit dreißig, Mitte dreißig, irgendwo wirklich gestanden ist …«

Peter fällt Anne mit lautem Gebrüll ins Wort und sichert sich vorübergehend die ungeteilte Aufmerksamkeit aller fünf Frauen. So wie wir sämtlich mit demselben Gesichtsausdruck, halb mitfühlend, halb entzückt, das wirklich noch sehr kleine Baby anstarren, das mit hochrotem Kopf auf Julias Brust mit den Armen rudert: Da ist offensichtlich Biologie am Werk. Julia schaukelt ihn etwas besorgt. »Magst du das nicht bei Tante Juli?« Gelächter, und Peter beruhigt sich allmählich wieder.

Ich starte das Gespräch neu: »An meinem dreißigsten Geburtstag selbst war eigentlich alles super. Natürlich auch, weil er nicht total überraschend kam und ich schon in den Wochen und Monaten vorher meine Felle davonschwimmen sah. Man kann ja ungefähr erahnen, mit welchen von all den Vorsätzen es bis dahin jetzt wohl nichts mehr wird. Insofern hatte ich dann an dem Tag selber …« – »… keinen Zusammenbruch«, vervollständigt Anne.

»Nö«, bestätige ich. »Da war es eigentlich fast schon beruhigend. Ich dachte dann eher: Ach, jetzt ist es auch egal. Jetzt muss ich mich nicht mehr so beeilen … und versuche, die Sachen halt hinzukriegen, wie es eben geht.«

Maren nickt. »Kenne ich – was sollst du auch sonst machen?« Sie greift sich eine Tafel Schokolade und bricht einen Riegel ab, während sie überlegt. »Komisch ist auch, dass ich mir jetzt überhaupt keine Altersziele mehr setze. Dreißig war irgendwie eine magische Grenze – da wollte ich dieses und jenes … aber ich habe kein einziges Ziel, das ich bis vierzig erreicht haben will.«

»Ich hatte, ehrlich gesagt, auch keine Ziele, die ich bis dreißig erreicht haben wollte«, bezieht Julia Position. »So eine Grenze hatte ich einfach nicht.«

Ich registriere Potenzial für eine Kontroverse; da sind wir unterschiedlich gestrickt, und Julia vertritt ihre Haltung gelegentlich recht kategorisch. »Ich schon, muss ich sagen«, entgegne ich also. – »Ja?« Julia klingt sogleich, als hätte ich dargelegt, dass ich die Endlagerung von Atommüll in meinem Kohlenkeller für eine vernünftige Option halte. Schon fühle ich mich leicht in der Defensive. »Na ja, diese Vorstellung, dass ich auf beruflicher Ebene irgendwas auf die Beine gestellt haben wollte, das einigermaßen läuft, damit dann irgendwann die Kindersache losgehen kann. Diese Reihenfolge ist irgendwie in meinem Gehirn relativ festgelegt.« Ich frage mich, ob ich klinge wie das Paar, das die Familienplanung unter keinen Umständen beginnen wollte, bevor Klobürsten aus Edelstahl im Haus sind.

Peter in Julias Arm mault wieder ein bisschen. »Guck mal, hier!«, versucht Julia in hellem Babytonfall, ihm den Schnuller schmackhaft zu machen.

Ich bemühe mich um Anschaulichkeit: »Ich glaube, ich hatte mir beispielsweise vorgestellt, dass ich bis dreißig meine eigene Krankenversicherung bezahlen könnte.«

»Echt? So was dachtest du?« Julia ist jetzt vollends befremdet.

»Ihr wohl nicht?«, stelle ich fest und fühle mich etwas einsam, als alle den Kopf schütteln.

Anne überlegt. »Nein, ich glaube, solche Ziele habe ich mir so konkret nie gesetzt. Und ich hatte bisher auch immer Glück, dass die Dinge sich auch so ganz gut gefügt haben. Das würde ich schon sagen, selbst wenn ich generell schon ganz schön streng mit mir bin.«

Julia findet meinen Planungsmodus immer noch seltsam. »Also, ich hatte diesen Mit-dreißig-Gedanken überhaupt nicht. Wenn, dann eher zu Schulzeiten, dass ich gedacht habe, mit dreißig hätte man bestimmt längst geheiratet, vielleicht studiert, Kinder … Aber so ab 23 oder so hatte ich das schon gar nicht mehr, sondern alles hat sich eben so ergeben.«

Anne stimmt zu. »Ja, ich habe auch eher in der Gegenwart gelebt und nicht so sehr diesen Druck gehabt, dass bis dann und dann bestimmte Dinge erledigt sein müssten. – Allerdings«, betont sie, »auch immer mit dem beruhigenden Gefühl von meinen Eltern im Hintergrund: Wenn alle Stricke reißen, dann helfen sie mir.«

»Ich auch!« Flugs versuche ich, den Bogen zu schlagen. »Und es ist ja auch unglaublich nett und toll, dass sie mir zum Beispiel bei der Krankenversicherung immer noch aushelfen.« Meine Eltern sind Ärzte, und eine nicht krankenversicherte Tochter wäre für sie wohl zu viel der Ironie. »Aber es wurmt mich trotzdem schrecklich.«

»Okay, das kann ich verstehen«, meint Anne. Weil Peter das Gespräch wieder unterbricht, steht Julia, das schreiende Bündel auf dem Arm, auf und macht sich mit Rücksicht auf den Lärmpegel auf, mit ihm im Wiegeschritt eine Runde durch die Wohnung zu drehen.

Barbara, die sich bisher zurückgehalten hat, rückt heraus: »Also ich kann mich erinnern, dass ich tatsächlich ganz schön frustriert war, als ich dreißig geworden bin. Ich hatte genau das, wovon man immer hört und dabei denkt: Wie albern! Nämlich, dass man sich fragt: Jetzt bin ich also dreißig – und wo stehe ich jetzt?« Sie lacht ein bisschen und schüttelt den Kopf.

»Hm«, ich finde den Gedanken nachvollziehbar. »Ich verstehe schon, dass es automatisch so eine Zeit zum Bilanzziehen ist …« Auch Anne nickt.

»Ja.« Barbara guckt ratlos. »Obwohl es ja wirklich völlig bescheuert ist, das ist schließlich auch nur eine Zahl …« Sie denkt nach. »Es hat eh überhaupt nichts damit zu tun, wie ich mir früher mein Leben vorgestellt habe … Wobei ich nie eine ganz konkrete Vorstellung hatte, aber zumindest habe ich nicht gedacht, dass es so sein würde.« Mit etwas fassungslosem Kopfschütteln scheint sie den einstigen Vorstellungen nachzugucken. »Ich dachte schon ein bisschen: Scheiße, jetzt bin ich dreißig … Studium nicht zu Ende gemacht … und auch sonst keinen wirklichen Plan.«

»Beim Studium ist das unglaublich verbreitet«, wirft Maren mit Kennermiene ein, »dass man – wenn man denn studiert – dieses Ziel hat.«

»Ja, das hatte ich auch, dass ich dachte: Bis dreißig wäre ich schon ganz gerne fertig«, stimmt Barbara zu. »Gut, ich hab mit dreißig aufgehört.« Sie lacht.

»Bei mir ist es eher umgekehrt«, entgegnet Anne. »Rückblickend, in schlechten Momenten …«, sie überprüft sich selbst kurz, »ja, dann bereue ich ein Stück weit, dass ich mein Studium – Südostasienstudien – nicht einfach früher geschmissen habe.« – »Südostasien? Hm, das ist wirklich speziell«, sagt Maren, bevor ihr einfällt: »Na ja, Lateinamerikastudien vielleicht auch.« Sie lacht. Anne fährt selbstkritisch fort: »Dass ich den Mut da nicht aufgebracht habe, zu sagen: Das ist zwar ganz interessant und ganz schön, was ich hier mache – aber … Ich habe mich da ein Stück weit selber beschissen, indem ich mir gesagt habe, dass ich das zumindest als Bachelor zu Ende bringen muss, damit ich meinen Eltern sagen kann: Ihr habt jahrelang in mich investiert, und jetzt habe ich hier diesen akademischen Abschluss. Der mir jetzt de facto gar nicht viel bringt.« Barbara guckt, als käme ihr das alles bekannt vor. Maren setzt sich auf. »Man schätzt diesen Studienalltag ja auch oft völlig falsch ein – bis man sich da mal halbwegs durchgewurstelt hat … Ich weiß auch, ehrlich gesagt, nicht, ob ich meinen Kindern später ein Studium nahelegen würde. Mittlerweile.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe das Gefühl, man lernt da – im Grunde – nichts.«

Barbara ist skeptisch. »Man lernt halt andere Sachen – Selbstständigkeit, strukturiertes Denken …«

»Ja, aber«, Maren lacht, »kann man das dann nicht gleich mit Geldverdienen verbinden?«

»Ich find diese Sachen ja ganz nützlich …«, verteidige ich meine 17 Semester.

Anne wiegelt ab. »Klar, es waren ja nicht gänzlich vertane Jahre. Natürlich habe ich in Ansätzen gelernt, wissenschaftlich zu arbeiten, und es war auch wirklich eine gute Zeit. Ich habe auch neben dem Studium immer viel gejobbt, und zum Teil ja auch Jobs bei kleinen Filmprojekten gemacht, die mich letztlich auf den richtigen Weg gebracht haben.« Sie gießt sich Wasser in ihr leeres Glas. »Und bin dadurch überhaupt erst in die Filmbranche gekommen. – Aber«, findet sie den Übergang zum nächsten Zufriedenheitspunkt, »das hört halt irgendwann auch auf, dass es beruflich so ungezwungen läuft. Als Quereinsteiger hat man es aus meiner Sicht – das haben wir ja auch schon so oft besprochen«, schiebt sie mit einer Geste zu mir ein, »schwer, wenn man kein Studium an irgendeiner Filmhochschule gemacht hat.« Sie lehnt sich zurück, überlegt einen Moment und findet auch schnell den Silberstreif: »Aber selbst da ist ja nicht alles verloren. Man kann auch jetzt immer noch weiter lernen. Eine Freundin von mir hat gerade eine Förderung bekommen und lässt sich jetzt ein Jahr lang zur Producerin ausbilden.«

»Ich find’s toll, so was zu sehen!«, sage ich, die ich mit meiner allzu breit gefächerten Qualifikation ständig im Clinch liege, aus vollstem Herzen. Und Anne findet auch für mich noch Perspek­tiven. »Ja, oder auch Drehbuch – das ist ja etwas, was ich mir bei dir super vorstellen kann. Und da werden, im Gegensatz zu Regie oder Produktion, auch Leute angenommen, die schon ein bisschen älter sind.« Hochgezogene Augenbrauen und amüsiertes Kichern in unserer Seniorinnenrunde. »Beruhigend«, sage ich aber und meine es ernst. Anne nickt nachdrücklich. »Ja! Da gibt es immer noch Möglichkeiten der Spezialisierung und des Weiterkommens – und da sehe ich das vielleicht ein bisschen zu schwarz.«

Pessimistisch kann ich sie nicht finden. »So, wie du das sagst, finde ich das gerade ziemlich ermutigend. Dass die Tür nicht zu ist, um mal metaphorisch zu werden; dass die Weiterbildung ja nicht an irgendeinem Punkt vorbei sein muss. Auch wenn die Zeit einen vielleicht manchmal ein bisschen zappelig macht.«

Vage Zustimmung bei den anderen. Ich werde wieder ernst: »Zu meinem Willen, das Studium unbedingt abzuschließen, hat viel der Umstand beigetragen, dass ich davor noch gar nichts zu Ende gemacht hatte und das Gefühl hatte, seit ich sechs Jahre alt bin, irgendwelchen Abschlüssen hinterherzurennen …«

»Ach, ich weiß«, Barbara ist etwas genervt, »wir kriegen dauernd gesagt: Du hast doch schon eine Ausbildung gemacht. Und ich denke dann immer: Das ist mir aber scheißegal, weil ich in diesem Beruf nun mal nicht arbeiten will!«

»Partout nicht, oder?« Ich bin immer noch fast ein bisschen überrascht.

»Nee. Partout nicht«, bekräftigt sie entschlossen. »Also habe ich gar nichts von der Ausbildung – außer natürlich, dass ich mich dadurch ganz gut finanzieren konnte. Und ich bin grundsätzlich auch froh, das zu Ende gemacht zu haben, schon als Erfahrung. Trotzdem hilft es mir gerade praktisch einfach nicht weiter.« Sie kommt zur Ausgangsfrage zurück: »Und das ist auch so eine Sache, in der ich mich bis dreißig noch enorm unter Druck gesetzt habe und wo ich jetzt merke, dass es ganz langsam etwas weniger wird: diese Vorstellung, dass man erst etwas ist, wenn man einen Beruf hat. Ich dachte einfach, ich muss irgendwas werden, und vorher … bin ich eben nichts.«

Maren sieht nachdenklich aus. »Stimmt, ohne Beruf hat man einfach keinen richtigen Stand …«

Barbara fährt fort: »Und das saß auch immer noch tief drin in meinem Kopf.« Sie fällt kurz ins Rheinische, was sie meist dann tut, wenn sie sich selbst ein bisschen provinziell vorkommt: »Da musst du wat Ordentlischet lernen, musst nen Abschluss haben … Das fängt jetzt erst an, dass ich das im Ansatz ein bisschen loswerde.«

Maren nickt. »Mein Studium hat ja auch nichts mehr mit meinem Leben zu tun. Und da sage ich mir eher: Okay, dann geh ich jetzt eben einen anderen Weg als den, den ich mir mal zurechtgelegt habe.« Ich muss unwillkürlich lächeln, weil sie sich vom Geschrei ihres Sohnes, den Julia im Hintergrund immer noch geduldig herumträgt, nicht aus der Ruhe bringen lässt. Stattdessen wird sie Dezibel für Dezibel lauter, um ihn zu übertönen. »Alle sagen mir: ›Du musst doch unbedingt noch deine Diplomarbeit zu Ende schreiben!‹ Und ich denke selber ja auch: Natürlich wäre ich doof, wenn ich den Abschluss jetzt nicht mehr machen würde. Aber ich würde mich auch fragen wofür! Ich werde nicht Lateinamerikareferentin werden«, sie macht eine kapriziöse Handbewegung, »in Bogotá. Sondern in Deutschland bleiben, sogar ganz bestimmt, weil hier meine Familie ist. Und dann kann ich doch auch irgendwas arbeiten, was mir einfach Spaß macht! Ein Café aufmachen und Kuchen backen und meine dreißig Kinder in die Spielecke setzen.« Barbara und ich gucken uns an und lachen: Der alte und erstaunlich universelle Café-Plan wird schon seit 15 Jahren immer wieder aus der Schublade geholt. Ich erinnere mich an die große Zuversicht, mit der wir vor langer Zeit einen Lotterieschein zur Projektfinanzierung ausgefüllt haben.

Ich versuche eine erste Quintessenz: »Ja, ich glaube, dass man sich irgendwann – ungefähr in unserem Alter – mit den Unwägbarkeiten allmählich vertraut gemacht hat. Dass man sieht: Es ist alles nicht so, wie man dachte, und dann langsam anfängt, sich zu entspannen und sich damit abzufinden, dass es nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat.«

Barbara stimmt zu: »Dass es nicht so dieses geradlinige …«

»… Klischeebild ist«, ergänzt Maren.

»Ja!« Barbara schüttelt den Kopf. »Das ist ja im Grunde auch ein totales Hirngespinst, dass man genau einen Weg einschlägt und dann nie wieder eine Entscheidung trifft, die dem zuwiderläuft.« Mit einer Ladung Selbstironie schiebt sie nach: »Wobei in meinem Kopf lustigerweise alle anderen genau das immer hatten.«

Anne stimmt entschieden zu: »Absolut!« Ihre flache Hand fällt untermalend aufs Bein. »Das Maß, mit dem man misst – das ist dabei so entscheidend. Und das merke ich bei mir selbst: An schlechten Tagen messe ich mich gerne an Leuten, die von vornherein den geradlinigeren Weg gewählt haben …«

Ich gucke resigniert an die Decke. »Oh ja. Ich auch.«

Anne ist in Fahrt. »Aber das sind dann auch Maßstäbe, die unserer Persönlichkeit gar nicht entsprechen und die auch gar nicht zur Debatte zu stehen brauchen! Diesen jeweiligen Leuten fehlt es dann wiederum an ganz anderen Enden. Die waren vielleicht nie im Ausland und haben da Erfahrungen gesammelt, oder …« Sie verstummt ein bisschen abrupt nach dieser flammenden Verteidigung des Mäanderns.

»Oder rumprobiert …«, füge ich hinzu, »jobtechnisch oder sonstwie. Stimmt.«

Anne beendet den Gedankengang: »Und man findet ja immer Leute, die irgendwie besser, schneller, höher sind.«

»Stimmt«, bin ich ihrer Meinung. »Man muss unbedingt aufhören mit diesen Vergleichen! Es macht einen nur unglücklich, aber mir fällt es auch sehr schwer …« Während ich darüber nachdenke, fange ich unwillkürlich schon wieder damit an, meine Bilanz zu begutachten, und rede lieber schnell weiter: »Und nicht bitter zu sein, wenn man die Ergebnisse der eigenen Bemühungen betrachtet. Ich zum Beispiel habe ja dieses Studium abgeschlossen, echt gut sogar, wenn auch nicht sehr geradlinig. Und – ich weiß nicht, was ich dieses Jahr verdient habe …« Ich überschlage kurz im Kopf. Die Summe, die ich nenne, löst mitfühlendes Gelächter aus. »Ich würde mal sagen: Da hätte ich auch kellnern gehen können. – Wer weiß, was noch kommt; ich bin ja im Grunde optimistisch. Aber würde ich den aktuellen Zustand jetzt als ›das, wo ich stehe‹ betrachten, dann sollte ich wohl besser in Tränen ausbrechen und verzweifeln.« Ich horche kurz in mich hinein, spüre aber keinen akuten Drang, loszuheulen. »Na ja, wahrscheinlich wird man wirklich eher entspannter.«

Maren, die es schließlich wissen muss, nickt. »Ja, man versucht, sich von Mustern und Schemata ein bisschen zu befreien.«

Barbara verzieht ein bisschen das Gesicht. »Wobei ich nicht gedacht hätte, dass es so lange dauert …«

Julia kommt mit dem nunmehr beruhigten Peter wieder rein. »Worum geht’s? Ich bin ja völlig draußen!« Sie wird gemeinschaftlich aufgeklärt, mit dem vorläufigen Fazit, dass man zwar für eine Weile ein ungefähres Bild von sich haben kann, sich dann aber doch immer wieder mit der von den ursprünglichen Plänen leider abweichenden Realität konfrontiert sieht. Und im besten Fall gut damit umgehen kann.

Julia muss nicht lange überlegen, um an der Basis anzusetzen. »Ja, ich hatte ja, wie gesagt, nicht so diese Pläne …« Sie steht immer noch mit Peter auf dem Arm im Raum und wippt ein bisschen auf den Zehenspitzen. »Es ist sogar eher umgekehrt – rückblickend denke ich: Wahnsinn, vor zwei Jahren war ich noch in dieser und jener Situation, und was sich in der Zeit schon wieder alles getan hat!« Sie hält kurz inne und räumt ein: »Na ja, klar, so ein paar Vorstellungen habe ich immer noch: Ich sehe mich ganz gerne in der Zukunft in einem schönen Umfeld, mit einer grünen Wiese und vielleicht einer Wohn- und Ateliergemeinschaft mit vielen Tieren … Ich bin mal gespannt, ob ich das irgendwann mal habe!« Peter mault wieder leise und wird sachte ermahnt: »Na! Scht! – Aber das ist so eine Vorstellung, von der ich denke: Lasse ich mich mal überraschen.«

»Ja, wahrscheinlich sind es eher so Vorstellungen, die man sich noch aufbewahrt, für ›irgendwann‹.« Marens Blick geht in die Ferne, während sie spricht. »Irgendwann ein Café haben, oder ein Haus im Grünen.«

Julia ist zum Hüftendrehen übergegangen, um Peter ruhig zu halten. »Manchmal ist es ja auch eher die Vorstellung, die einen inspiriert – mehr als diese Dinge dann tatsächlich zu haben. Ich weiß nicht, ob es so wunderschön ist, ein Café zu haben«, sagt sie vernünftig, um großmütig nachzuschieben: »Aber die romantische Vorstellung davon ist natürlich fantastisch!«

Die folgenden Einwürfe zeugen von der geballten gastronomischen Joberfahrung, die hier versammelt ist: Steuer machen, Maschi­nen putzen, jeden Tag die Abrechnung und nicht zuletzt immer im selben Laden stehen, ohne je Urlaub zu haben … Möglicherweise sind das die Gründe, warum das lange geplante Caféprojekt bis heute nicht existiert. Neben dem unerwarteten Nichteintreten eines großen Geldgewinns im Lotto.

»Aber um noch mal auf das Kinderthema zurückzukommen …« Ich bin erpicht darauf, die Frage erschöpfend zu beantworten. »Mal abgesehen von diesen Grundschulfantasien: Ich dachte auch später schon noch, dass man mit dreißig allmählich mal loslegt mit der ganzen Familiengründung, und das habe ich ja nicht getan. – Wobei es bei mir jetzt auch nicht mehr ganz weit weg ist.« Ich überlege, wie lange ich den potenziellen Startpunkt wohl schon mit genau diesen Worten beziffere, kann mich aber nicht erinnern.

Maren betrachtet zufrieden ihren Sohn auf Julias Arm. »Das immerhin habe ich ja dann doch noch geschafft, zumindest bevor ich 31 wurde.«

»Dachte ich früher auch«, sagt Anne. »Und jetzt besteht meine Beziehung seit einigen Monaten … aber eben auch erst seit einigen Monaten. Und ich fände es einfach schön, wenn wir noch viel Zeit miteinander verbringen könnten – alleine. Auch aus egoistischen Gründen – dass man lernt, miteinander richtig zu funktionieren …«

»Stimmt!«, fällt mir ein, »du hast ja überhaupt an deinem dreißigsten Geburtstag Nick kennengelernt!«

»Ja.« Anne ist nachdenklich. »Das war rückblickend eine ziemlich große Veränderung. Denn ich war vorher natürlich schon etwas desillusioniert von den letzten Begegnungen oder Affären, die ich so hatte, und«, sie guckt mich an, die ich als Einzige aus der Runde Teile der gemeinten Geschichten mitbekommen habe, »natürlich nagt das dann an einem.«

Ich nicke. »Aber dann …«, sage ich mit Cliffhanger-Pathos.

Anne lächelt kurz, wird aber gleich wieder ernst. »Und es ist ein Prozess, der mich bestimmt noch lange begleiten wird: zu lernen, in so was vertrauen zu können. Dass dieser Mensch mit mir auf längere Frist zusammenbleiben möchte. Klar, die Ewigkeit kann man sich schwer versprechen, aber …«

»Moment«, unterbreche ich, erfreut über den reibungslosen Übergang. »Das ist tatsächlich schon die nächste Frage.«

Happily Ever After

Muss es früher oder später die eine große Liebe sein?

Wenn man davon ausgeht, dass wir alle mittlerweile seit rund 15 Jahren mit Männern herumexperimentieren, ist es eigentlich keine Überraschung, dass fast jede inzwischen ihre Liebesgeschichte hinter sich hat. Die, von der man dachte, dass sie es sein könnte, die eine und große, bei der es lange, lange bleibt und vielleicht sogar ein paar Kinder herausspringen. Und von der man sich trotzdem irgendwann getrennt hat. Selbst einen Trauring begreift, vermute ich, keine von uns mehr als Garantie für lebenslange rosawolkige Glückseligkeit. Aber bei allem Realismus: Hoffen wir nicht insgeheim und tief im Herzen – oder natürlich offen und frei heraus – doch auf die große Liebe bis zum Ende unserer Tage? Oder zumindest bis die Kinder aus dem Haus sind? Und wie soll das funktionieren?

Erst bei dieser Frage fällt mir auf, dass wir alle aus Familien stammen, die man als intakt bezeichnen würde: allesamt mit miteinander verheirateten Eltern, keine einzige Scheidungstochter weit und breit. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Versammlung muss vergleichbar sein mit der, vom Blitz getroffen zu werden. Eigentlich haben wir also zumindest schon mal eine lange Beziehung beobachten können – was das auch immer für uns selbst bedeuten mag.

Julia setzt sich wieder auf das Sofa, legt die Beine auf den Tisch und platziert Peter auf ihrer Brust wie ein kleines warmes Kaninchen. Ich lese die Frage vor. Barbara schnaubt, sagt aber nichts. Der Rest denkt erst mal darüber nach.

Ich helfe nach: »Glaubt ihr an so etwas wie die ›große Liebe‹? Oder seid ihr eher desillusioniert? Denkt ihr, dass ihr irgendwann in einen Hafen einlaufen werdet, ob jetzt Ehe oder nicht? Und wieso?«

Maren erklärt im Sendung-mit-der-Maus-Tonfall: »Na ja: Da ich nun mal verheiratet bin, glaube ich ja wohl schon an die große Liebe. Nämlich die, die ich geheiratet habe. Und entsprechend glaube ich auch, dass sie für immer hält.«

Ich komme mir vor wie eine begriffsstutzige Dreijährige. »So ist es gedacht, hm? Nicht so lebensabschnittsmäßig.«

»Nö«, meint Maren, »ich hatte nicht vor, damit in zehn Jahren wieder aufzuhören.«

»Okay, das war vielleicht offensichtlich«, räume ich ein. »Aber zum Beispiel Anne hat ja eben schon kurz was anderes gesagt – dass man sich die Ewigkeit nicht versprechen kann …«

»Hm …« Anne legt den Kopf schief. »Es sind ja zwei Herzen, die da in einem schlagen. Auf der einen Seite bin ich ein sehr nüchterner Mensch und versuche, die Dinge immer in einem realistischen Licht zu sehen. Eben aufgrund dieser schlechten Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe und mehr oder weniger bewusst da mit einbeziehe – mit Typen, die einfach nicht zurückrufen oder die einen mit Einkaufstüten voll Prosecco und Käse in der Haustür stehen lassen und sagen: ›Es war nett mit dir, aber – du bist es einfach nicht …‹« Sie lacht leise und schüttelt den Kopf über die Erinnerung. »Auf der anderen Seite glaube ich aber schon, dass es selbst mit sechzig oder siebzig noch Begegnungen geben kann, die ganz Großartiges in sich bergen – also: Ich habe den Glauben an so was überhaupt nicht verloren, merke aber auch, dass das von so vielen äußeren Einflüssen bedingt ist, dass ich die Frage, ob ich an die ›große Liebe‹ glaube, nicht so ohne Weiteres bejahen würde.« Sie zieht sarkastisch die Augenbrauen hoch. »Super Antwort, weder Ja noch Nein …«

»Ich glaube«, fängt Julia langsam an, »es gibt so die Neigung, die man mitbekommen hat, was man sich wünscht – ich habe zum Beispiel immer sofort den Gedanken, dass man zusammen alt wird, und dann stelle ich mir vor, was wir im Alter machen …«

Maren lacht. »Ich auch.« – Julia wird schneller. »So: Dann wohnen wir hier mit Freunden und schieben Rollatoren durch die Gegend …« Lachen in der Runde, Julia macht eine ausschweifende Armbewegung und kommt zum rationalen Teil. »Die Vorstellung finde ich super, aber welches Los ich gezogen habe, werde ich erst auf dem Weg erfahren.«

Kurzes Schweigen. Bombenfest installierte Sicherheitsnetze aus Vernunft und Realismus in den Köpfen. Wer je von einer Trennung überrascht wurde, wappnet sich in Zukunft offenbar lieber doppelt. Ich versuche trotzdem, zum gefährlichen romantischen Teil vorzustoßen, falls es ihn gibt. »Das stimmt natürlich alles. Ich habe aber, gerade im Zusammenhang mit dieser ganzen Familien­planungssache – also«, unterbreche ich mich und kann es mir nun selbst nicht verkneifen, die rationale Form zu wahren, »ich glaube nicht, dass die ewige Liebe unbedingt sein muss; ich glaube, wenn man sich trennt, dann kann man das auch anders hinkriegen und sich bestimmt auch ganz gut arrangieren …« Ich hole Luft für mein Geständnis: »Aber ich habe schon sehr stark diese Zusammen-alt-werden-Hoffnung.«

Julia braust auf: »Ja, die Hoffnung hab ich auch, ich fände das super! Aber nur, weil ich das will, muss es noch nicht so eintreffen!«

Ich knicke ein. »Nee, genau …«

»Es gibt viele Sachen, die man besser planen kann als Beziehungen. Selbst die, die ewig und fest erscheinen, müssen es nicht sein und umgekehrt.« Julia hat ihre Lektion gelernt, und ich muss ihr unwillkürlich recht geben: Gut, wenn man ein Gespür dafür hat, wann Dinge aus dem Ruder laufen, und rechtzeitig dagegen anarbeiten kann. Noch besser allerdings, wenn man zusätzlich jederzeit in der Lage ist, auch alleine klarzukommen.

Ich versuche es mit einem neuen Ansatz. »Immerhin sind wir ja alle aus intakten Familien. Da kommt bestimmt doch einiges an Urvertrauen mit …«

»Ja …« Anne stimmt zögerlich zu. »Vielleicht sind wir da eine glückliche Gruppe.«

Ich hole aus: »Aber Basti andererseits kommt zum Beispiel aus einer Trennungsfamilie und hat das natürlich entsprechend mitgekriegt. Und prinzipiell ist er schon extrem vorsichtig, so eine Hoffnung auch nur zu formulieren. Und ich …«, ich suche nach einem Ausdruck von passender Intensität und lande lahm bei: »… nicht so. Das heißt«, versuche ich, Romantik und Realität gleicher­maßen gerecht zu werden, »ich glaube zwar an große Lieben und daran, dass eine Beziehung sehr lange, vielleicht ein Leben lang, bestehen kann, aber ich glaube nicht zwingend daran, dass man das an einem Punkt bestimmen und es dann einfach durchziehen kann. Sondern eher, dass es irgendwann passiert, wenn man … wach bleibt. Sofern man eine gute Grundbasis hat.« Meine Freundinnen sind still, sehen aber aus, als gingen sie grundsätzlich d’accord. Ermutigt platziere ich den eigentlichen Punkt meiner von langer Hand vorbereiteten Argumentation: »Aber wir versuchen es ja gerade schon, oder? Mit unseren jeweiligen Männern. Wir sind ja nicht völlig unverbindlich und halten sie permanent auf Armlänge entfernt. Was lässt uns daran glauben, dass das klappen kann – da ist ja schon ein ordentlicher Schuss Romantik mit drin! Jeder weiß doch, dass es schiefgehen kann!«

»Jeder weiß, dass es schiefgehen kann«, wiederholt Anne, das Aber schon in der Stimme. »Aber auf der anderen Seite gibt es ja auch immer Beispiele, wo es funktioniert! Jetzt gerade habe ich auf der Hochzeit einer Freundin ihre Eltern gesehen – die eine ganz unglaubliche Kennenlerngeschichte hinter sich haben: Er war Priester in einem Orden und ist dann aus der Kirche ausgetreten, als er ihre Mutter kennengelernt und sich in sie verliebt hat … Die beiden haben da eine ganz kurze, sehr rührende Rede gehalten, und er hat dabei so liebevoll von seiner Frau gesprochen, dass ich wirklich weinen musste.« – Mir kommen schon bei Annes Secondhand-Beschreibung fast die Tränen. – »Und bei solchen Dingen sieht man ja: Liebe kann auch ewig währen, es kann funktionieren.« Ich freue mich: Da ist das Gefühlspaket Anne, das unter einigen Lagen Skepsis dann doch immer zum Vorschein kommt. Das Gefühlspaket hebt die Schultern. »Dass es nicht nur diesen einen Menschen auf der ganzen Welt gibt, das kann man sich mit Menschenverstand auch so erklären. Aber ich glaube schon, und da bin ich vielleicht auch hoffnungslos romantisch, dass es funktionieren kann. Ich habe das von meinen Eltern auch so vorgelebt bekommen. Nicht dass die so vollkommen problemlos durch die … ich glaube, mittlerweile 38 Jahre geschlittert sind, aber da ist so eine große Einigkeit zwischen ihnen.«

Maren nickt langsam. »Ja – vielleicht gibt es nicht die«, sie setzt imaginäre Anführungszeichen, »›eine große Liebe‹, aber einen Menschen, der dich optimal ergänzt?«

»Ja, einmal das«, fängt Julia an und bleibt mit dem zur Aufzählung erhobenen Unterarm vor Punkt zwei in der Luft hängen. Die seltene Gelegenheit nutzend – meist bin ich zu langsam für Julias High-Speed-Breitbandverbindung zwischen Gehirn und Sprechorgan –, hake ich ein: »Ja, du und Jan zum Beispiel: Glaubst du im Moment, dass es hält? Und warum? Beziehungsweise wenn es jetzt auseinanderginge, denkst du, dass das deinen Glauben an die ganze Sache nachhaltig beeinträchtigen würde? Es sieht ja im Moment wirklich ziemlich gut aus, oder?«

Julia antwortet offiziös: »Wir sind beide im familienfähigen Alter …« Lachen. »Wir sind beide willig. Wir verstehen uns gut. – Also: Klar, es ist schon alles gut.« Sie setzt neu an. »Bevor das damals mit Nils auseinanderging, war ich ja auch total überzeugt, das wäre der Mann meines Lebens, mit dem ich zusammen alt werde. So habe ich das damals wahrgenommen. Nach der Trennung war ich deshalb ja schon jahrelang ziemlich desillusioniert. Aber jetzt im Moment geht es wieder …«

»In eine ganz gute Richtung«, Maren nickt wohlwollend.

Julia hebt den Zeigefinger. »Aber ob es hinterher dann dieses Modell wird, das mir mal vorschwebte, mit Familie und Kindern – oder ob man auch mit einer anderen Lösung total glücklich ist …« Sie guckt in die Runde. »Kann ja auch sein, man kriegt ein Kind und trennt sich … findet einen neuen Partner und alles ist wunderbar, man versteht sich gut – das ist ja alles möglich! Ich glaube, ich möchte einfach versuchen, ob mit oder ohne Beziehung, mich ­selber glücklich zu machen. – Oder zufrieden zu machen«, schwächt sie vorsichtshalber ab.

Ich haue zustimmend aufs Sofakissen, um den Punkt zu markieren: »Ja! Das ist auch optimal, glaube ich.«

Julia ist noch in vollem Lauf. »Und dann hat Liebe ja auch viele Gesichter – Maren wird es ja am besten wissen, die hat ja gerade ein Baby. Aber es gibt ja auch noch Freunde, meine Familie, mein Umfeld, die Sonne …«

»Die Sonne«, wiederhole ich, etwas überrascht von der leicht esoterischen Wendung. Aber den Grundgedanken kann ich nachvollziehen. »Ja, wie gut es einem im eigenen Leben geht, hat wohl nicht nur mit einer Person zu tun …«

»Genau – das an einen Menschen zu knüpfen, was ist das denn auch für ein riesiger Druck, den man da ausübt? Jemandem zu suggerieren: ›Du bist meine eine große Liebe, und wenn das nicht mehr ist, dann …‹« – Julia gestikuliert auf der Suche nach angemessen starken Worten, dabei darauf bedacht, Peter auf ihrem Oberkörper nicht zu stören – »›bin ich nichts!‹«

»Das finde ich interessant!« Ich fühle mich wieder in der Talkmasterrolle. »Ich glaube auch, dass es genau dann am besten funktioniert, wenn man sein Leben eben nicht quasi in die Hände einer Person legt.«

»Genau.« Julia legt die Arme wieder um Peter. »Beziehung ist natürlich wunderbar, aber es darf nicht der Indikator sein für mein Glück. Dann ist man immer abhängig von anderen Leuten, anstatt das Glück bei sich selbst zu suchen.«

»Ich glaube ehrlich gesagt«, sage ich, »dass das einer der wichtigsten Punkte ist – und zwar nicht nur, um für sich selbst glücklich zu sein, sondern auch, um eine gute Beziehung führen zu können: Versuchen, sich selbst glücklich zu machen. Ein anderer kann einen nicht glücklich machen, und man selbst jemand anderen auch nicht, wenn er es nicht grundsätzlich schon ist.«

»Ich merke häufig, dass ich das unheimlich gerne möchte«, gesteht Julia mit leicht verlegenem Lachen. Nicken in der Runde: Der Impuls ist den meisten zumindest vage bekannt. »Und zwar lustigerweise oft auch gar nicht so sehr für den anderen, sondern um mir selbst zu beweisen, dass ich so eine tolle Frau bin, die einen Mann total glücklich machen kann …« Sie gluckst ein bisschen. »Bescheuert eigentlich.«

Ich nicke. »Ich finde das normal, ehrlich gesagt. – Nicht unbedingt richtig. Aber normal. Dass man der Sechser im Lotto sein möchte. Und dann nicht immer ist.« – »Ja!« Julia und ich kichern über unsere fehlgeleiteten Ambitionen.

»Und insofern«, will ich den Punkt zu Ende bringen, »finde ich auch Unabhängigkeit ganz schön wichtig in diesem Zusammenhang. Um die Beziehung nicht zu überlasten, und damit das eigene Leben nicht vollständig mit ihr den Bach runtergeht, falls sie es doch tut.«

»Wobei man sagen muss«, wendet Julia noch ein, »selbst wenn man diese Einstellung hat – wenn es dann auseinandergeht, weiß man vorher nie, wie sehr es einen aus den Latschen haut. Auch wenn man denkt: Ach, ich würde damit ganz gut klarkommen – so ist es hinterher vielleicht nicht. Entweder geht es einem gut …«, sie zwirbelt ihren Zopf, »aber ich habe schon solche und solche Trennungen gehabt.«

Das führt sie an dieser Stelle nicht weiter aus, hat aber, denke ich, natürlich recht: Mit der Hoffnung auf ein gemeinsames Leben macht man sich nun mal verletzlich, egal wie sehr man rationalisiert, für Unabhängigkeit und ein eigenes Standbein sorgt. Sicherheit gibt es keine, und wenn man andererseits die Hoffnung aber auch nicht aufgeben mag, kann man nur versuchen, die Kiste so gut wie möglich gemeinsam zu schaukeln. Aber wenn es schon keine Bedienungsanleitung gibt, dann vielleicht zumindest ein paar Einsichten aus den letzten Jahren und Fehltritten?

Maren, unsere Ehepionierin, fängt an. »Klar, selbst wenn es eine gute Basis gibt – von alleine bleibt die jedenfalls nicht. Das ist schon auch Arbeit. Sonst kann man auch eine große Liebe einfach verspielen, glaube ich. Man muss schon was dafür tun.«

»Aber was heißt das: etwas dafür tun?«, fragt Barbara neugierig und löst sich damit aus ihrer Tapeten-Mimikry, jetzt wo wir an einem ihrer ungelösten Rätsel ankommen. »Das frage ich mich immer.«

»Ich finde, man muss … hm.« Maren denkt nach. »Das ist wirklich schwer zu sagen. – Also, ich glaube, man muss …«, dann zählt sie aber doch bemerkenswert punktgenau auf: »… man selbst sein und bleiben. Man muss den Partner so lassen, wie er ist. Und man muss natürlich auch zusammenpassen – und das ist in manchen Situationen ganz schön schwierig.«

Barbaras schweres »Ja!« klingt sehr nach Sisyphos.

»Weil«, erklärt Maren weiter, »man sich zwar vielleicht hier und da ein bisschen verändert, aber im Grunde bleibt man schon immer derselbe Mensch. Das heißt, man muss einfach akzeptieren, dass man den anderen nicht ändern kann, auch wenn es Sachen gibt, die einen stören oder die man selbst nie so machen würde.« Sie guckt uns nacheinander an und resümiert schlicht: »Am besten muss man es einfach gut finden, und das auch immer.«

Ich ahne, dass sie nicht unrecht hat, muss aber zugeben: »Das finde ich beschissen schwer, ehrlich gesagt. Manchmal.«

Maren hebt die Schultern. »Ja, man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Fehler nicht irgendwann besser werden oder aufhören. Oder auch nur, dass man sie weniger sieht.«

Julia stimmt zu: »Man darf zumindest nicht davon ausgehen. Das ist wirklich eine schlechte Grundlage.«

»Ja, oder?«, muss ich einräumen. »Jemanden kennenzulernen und zu denken: Wenn ich ihn erst davon befreit habe, dann wird alles toll.« Ich verziehe das Gesicht. »Endlich eine Aufgabe …«

Maren hat noch einen Punkt. »Ich glaube, was auch oft passiert, ist, dass durch Fremdgehen – durch die Suche nach etwas Neuem und Aufregendem – eine Beziehung zerstört wird. Weil natürlich in langen Beziehungen auch manchmal Routine einzieht. Und das ist selbstverständlich etwas, woran man arbeiten kann.«

»Na, man muss das schon auch mögen!«, hält Julia dagegen. »So ist es nun mal. Und es mag ja auch Beziehungen geben, in denen man sich immer treu ist und zusammenbleibt, bis man stirbt, und sich bis zum Schluss attraktiv und anziehend findet – das sind aber auch einfach mal die allerwenigsten! Ich denke, dass man es im Normalfall einfach nicht schafft, permanent und immer aufeinander zu stehen.« Das Tempo hat sich längst wieder erhöht. »Und dann gibt es halt Paare, die sich in dem Fall trennen, und andere, die zusammenbleiben – aus welchen Gründen auch immer. Und da muss man halt sehen, was man dann will.«

»Okay«, sammle ich mich, »um noch mal zu den Erkenntnissen zu kommen, wie so eine Sache funktionieren kann – einmal, dass man auf sich selber achtet …«

»Ich glaube, man muss extrem tolerant sein«, nennt Julia als Punkt zwei.

»Ja!« Maren stimmt sofort und bestimmt zu.

»Und natürlich nicht sofort gehen«, fällt mir noch ein. »Nicht, wenn es anstrengend wird, gleich auf das Überangebot an Männern schielen und gegebenenfalls zum Nächsten wechseln. Das kann man ja theoretisch auch alle paar Jahre machen, aber …«

»Ja gut«, sagt Julia, »ich persönlich schätze ja auch viel mehr als den Small Talk die Dinge, die zwischen den Zeilen stehen. Ich mag das, wenn man sich anguckt und ohne Worte verständigen kann, und das geht eigentlich nicht mit Leuten, die man eben erst kennengelernt hat. Dementsprechend bin ich eh so gepolt, dass ich eher auf Altbewährtes setze.«

Sie muss nicht lange überlegen, um noch einen Aspekt zu finden. »Und Humor ist, glaube ich, auch wichtig. Wenn ich Jan sehe, der zwei Minuten durch die Wohnung geht, und danach stehen original alle Türen und Schubladen offen, und wenn ich mich dann frage, wie er das bitte schön in dieser Zeit geschafft hat …« Sie lacht. »Und dann steht er da im Riesenchaos und ist ein bisschen verzweifelt, weil er Sachen nicht findet – dann denke ich: Mann, das ist wirklich auch ganz schön lustig! Und dann gehe ich halt hinter ihm her und mache alle Türen zu. – Ja …«, sie zuckt mit den Schultern, »das muss man dann auch irgendwie mögen.«

»Das ist überall so!« Maren lacht. »Ich frage auch jeden Tag: Wer ist denn da hinten noch auf dem Klo? Unser geheimer Mitbewohner? Oder warum ist da das Licht noch an? – Und wer steht wieder auf? Ich.«

Die Seltsamkeiten des anderen mögen zu können, ist offenbar eine nützliche Fähigkeit. Mir fällt ein, dass sie sich bei mir ebenfalls gleich am Anfang meiner Beziehung bewährt hat, als ich nach der ersten Nacht bei Sebastian mit einem entsetzten Aufschrei in einem vollständig und einschließlich der Decke hellgelb gestrichenen Raum aufwachte. Woraufhin er, halb wach geworden, murmelte: »Ach ja, das wollte ich eh schon seit Ewigkeiten streichen«, und ich erleichtert nach den genaueren Plänen fragte. Das darauf folgende schläfrige Wort »Dunkelgelb« hat, glaube ich, einiges zu meinem Bleiben beigetragen.

Nach einer kurzen Pause sagt Julia: »Ich weiß nicht. Ich glaube, dass man im Grunde gar nicht so viel in der Hand hat, wie man vielleicht denkt. Ich denke, dass ganz viel auch einfach passiert.«

Ich ahne nur ungefähr, was sie meint. »Ja – wer einem begegnet und wie derjenige tickt, das sind natürlich schon mal mindestens zwei unsichere Faktoren«, taste ich mich vor.

Julia schüttelt den Kopf. »Aber man selbst ist ja genauso unsicher! Weil Liebe ja nun mal kein Zustand ist wie …«, sie sucht, »Stahl oder so.« Sie zieht die Nase kraus über den leicht klumpfüßigen Vergleich und erklärt weiter: »Sondern sie kommt – und geht. Das weiß man einfach nicht vorher. Ich finde, es ist ja schon wirklich viel erreicht, wenn man das Gefühl hat, dass man mit demjenigen Z…« Sie bremst ab. Das Wort »Zukunftspläne« liegt in der Luft, wird aber nicht ausgesprochen. »Dass einen mit demjenigen Zukunftsfantasien verbinden. Das ist ja schon viel wert – dass man ihn zu einem Zeitpunkt als richtig empfindet.« Sie schneidet ein anderes Thema an. »Was mir noch einfällt zu dieser Frage, ob man an so etwas wie die große Liebe glaubt, ist eine Erkenntnis, die mir irgendwann kam, als ich – es waren ja weiß Gott nicht viele – zwischen Nils und Jan ein paar Affären hatte. So ein, zwei. Da war ich irgendwann völlig durcheinander von wegen: Liebe ich noch meinen Exfreund? Liebe ich diesen oder den anderen?« Sie schüttelt den Kopf. »Selbst mit Jan war das am Anfang noch so. Jedenfalls habe ich irgendwann gemerkt: Es passiert ja einfach automatisch! Man hat in der Große-Liebe-Sache gar nicht unbedingt so viele Aktien drin. Ich habe es einfach vorher bei anderen nicht ausgehalten. Es geht dann ja auch nicht einfach, nur weil man es sich vornimmt. Und mit Jan war es am Anfang auch schwierig, weil ich extrem skeptisch geworden war über die Zeit.«

»Hm«, ich nicke; ich erinnere mich gut. »Da hast du nicht daran geglaubt, dass so was noch mal passieren kann.«

»Ich hab ewig nicht dran geglaubt!«, sagt Julia. »Ich neige natürlich auch zur Dramatik, aber ich dachte schon wirklich: Gut, du hattest jetzt deine große Liebe, und wenn das nicht geklappt hat …«, sie macht ein ratloses Gesicht, »ich hab mich da so ins Zeug gelegt! Und …«

»Mehr konntest du nicht tun«, ergänzt Maren, und ich nicke.

»Mehr kann ich nicht machen«, bestätigt Julia, die in ihrer letzten Beziehung eine derartige Ausdauer bewiesen hat, dass man ihr den Ich-habe-um-meine-Liebe-gekämpft-Orden am Bande verleihen müsste. »Und das Glück hat man ja nicht immer, jemanden zu treffen, wo das Gefühl stimmt. Dann das ganze Misstrauen, das ewige Prüfen … Und irgendwann habe ich plötzlich gemerkt: Es funktioniert! Es ist gerade gut, und es wächst. Und zum Beispiel Mark – der war ja super. Ich mochte ihn richtig supergerne, ich mag ihn immer noch, und wenn ich an ihn denke oder wenn ich ihn sehe, freue ich mich! Und ich dachte damals die ganze Zeit: Mensch, du bist völlig idiotisch; hier ist jemand, der zuverlässig und nett ist, intelligent und hübsch – er finanziert sich selbst, das ist ja auch mal angenehm …« Es gibt Gekicher in der Runde. Die finanziellen Verhältnisse in Julias Exbeziehung sind berüchtigt. Julia redet weiter: »Ich mag ihn so gerne, ich habe mit ihm ganz, ganz viel gemeinsam!« Sie macht eine Pause und fährt ruhiger fort: »Aber ich hab’s nicht ertragen! Und dann dachte ich: Okay, wenn’s denn so ist – dann geht halt das, was geht.«

Dass Liebe nicht nach objektiven oder einmal festgelegten Kriterien zu funktionieren scheint, ist ja eigentlich eine Banalität, und trotzdem wirkt es wie eine neue Erkenntnis inmitten all der Weisheiten und Tipps zur Beziehungsarbeit.

Anne sammelt sich ein paar Sekunden, bevor sie hinzufügt: »Ja – ich glaube, da hast du recht. Man hat einfach nur begrenzt Einfluss darauf, auch wenn man sich manchmal in allererster Linie selbst im Weg steht.« Sie stellt ihr Glas ab. »In meinem Freundeskreis kann ich die Singles wirklich an einer Hand abzählen.« – Ich erinnere mich an eine Geschichte, die sie einmal erzählt hat: »Diese Hochzeit …« – Anne verzieht den Mund zu einem etwas ironischen Lächeln. »Ja, es gab diese Hochzeit, auf die ich eingeladen war. Es waren über hundert Gäste da, darunter genau drei Singlefrauen und ein Singlemann. Und dieser Typ ist dann letztlich mit einer der anderen Frauen zusammengekommen; die beiden sind jetzt verheiratet und haben ein Kind. Und da fasst man sich dann schon mal ans Kinn und denkt: Was passiert hier eigentlich gerade?« Anne spielt beim Reden mit ihrer Zigarettenschachtel, zieht eine Zigarette raus und schiebt sie wieder rein; gleich steht bestimmt eine Pause an. »Es haben sich schon viele Menschen in meinem Freundes- oder auch Verwandtenkreis gewundert und gesagt: ›Mensch, das ist doch ein hübsches, intelligentes Mädchen …‹« – »Ja!«, werfe ich unwillkürlich ein; ich kann mich erinnern, dass mir der Gedanke auch mehr als einmal gekommen ist. – Anne nickt. »Und da kann man dann, glaube ich, schon von einer Vermeidungstaktik sprechen. Ich glaube, dass es da Mechanismen gab oder so große Ängste, dass ich mir auch gerne das ausgesucht habe, was schwer erreichbar war, oder Personen, mit denen man so eine Einheit nie erreichen kann. Und das irgendwann mit dreißig aufzubrechen – das ist ein Stück Arbeit.«

»Ja, bestimmt!« Ich schweige kurz beeindruckt, dann drehe ich mich zu Barbara. »Hast du von dir so einen ähnlichen Eindruck? Beziehungsweise haben diese teils ganz schön bescheuerten Trennungen bei dir Spuren hinterlassen, was den Glauben an das Langzeitding betrifft?«

Barbara guckt nachdenklich in die Luft. »Ich weiß nicht, ich glaube, es hat gar nicht unbedingt was damit zu tun. Eine ganze Zeit lang dachte ich, dass ich das auch gar nicht will – sodass ich dann gar nicht so«, sie betont den Satz dramatisch, »völlig enttäuscht war, wieder alleine zu sein. Ich dachte eh immer, dass es eben so lange gut geht, wie es gut geht, und dann kommt halt wieder ein Neuer. So habe ich mir das eine ganze Zeit lang vorgestellt.«

»Ach.« Diese Haltung ist mir in der Klarheit neu. Ich hatte mich nur immer über die Gelassenheit gewundert, mit der sie das Ende der jeweiligen Beziehung hingenommen hatte. »Und jetzt?«

»Jetzt weiß ich es nicht mehr so«, Barbara guckt mich an, »ich merke schon, dass irgendwas in mir das gerne hätte: jemanden, der nicht nur für zwei Jahre da ist.« Verständnisvolles Nicken in der Runde. »Dass ich mir das aber offen lassen will.« Sie setzt sich auf. »Das würde ich echt davon abhängig machen, wen ich so kennenlerne. Ich kann mir gerade alles vorstellen: entweder, dass es immer so weitergeht, man mal jemanden hat und mal nicht … Ich kann mir aber auch vorstellen, dass ich jemanden treffe und plötzlich denke: Jetzt will ich eine Familie haben.«

Julia nickt und macht große Augen. »Es ist auch unglaublich, wie schnell so was geht – dass man denkt …«

Barbara lacht ein bisschen in sich hinein. »Ja, ich habe nicht so in Stein gemeißelte Grundsätze: Dies will ich für mein Leben unbedingt, das auf keinen Fall …«

»Ah«, sage ich, »es hängt also davon ab, wer das Gegenüber ist?«

Julia und Barbara sind sofort einverstanden. »Auf jeden Fall.«

»Völlig, oder?« Anne sieht das ähnlich. »Klar, man wünscht sich vielleicht Sachen, aber wenn da nun mal niemand ist, mit dem das möglich ist? Ich habe ja jetzt mit Nick jemanden kennengelernt, der immer lange, stabile Beziehungen hatte und eben kein bindungsunfähiger, ängstlicher Typ ist.«