Das rote Licht von Buchenau - Anny von Panhuys - E-Book

Das rote Licht von Buchenau E-Book

Anny von Panhuys

0,0

Beschreibung

Um Schloss Buchenau ist es schlecht bestellt. Die Herren von Buchenau hatten von jeher generöse Verschwenderhände, und nun würden Gut und Schloss Buchenau, seit Erbauerzeiten im Besitz derselben Familie, bald in fremde Hände übergehen müssen. Und eben in dieser schweren Zeit wird, übereinstimmend vom Mädchen Minna und vom Kutscher bezeugt, auch wieder das geisterhafte rote Licht gesehen, um das es eine ganz besondere Bewandtnis hat: "Und so sich auf Buchenau ein Geschehnis ankünden will, zeyget sich in dem zweyten Turm, so in der Mitten ist, ein feuerfarbig Licht. Wann das Licht erblicket ward, ist immer einer aus dem Hause des Todes verblichen, oder dem Hause sonsten ein Unheyl geschehen, wie glaubwürdige Zeugen berichtet haben." In der Tat trifft am nächsten Tag ein Telegramm ein, durch das die Familie erfährt, dass Klotilde von Mergental, die Schwester von Dora von Buchenau, verstorben ist. Für den jungen Hektor von Buchenau allerdings eher ein Anlass zur Freude: Wider Erwarten hat die mit der Familie seit langem im Streit liegende, wenig sympathische Frau ausgerechnet ihn zum Alleinerben ihrer Reichtümer gemacht – Schloss Buchenau ist gerettet! Als die ebenfalls in Finanznöten steckende Witwe Jadwiga Ruppen auf dem nahe gelegenen Gut Birrendorf von den neuen Reichtümern Hektors hört, beschließt sie, alles zu tun, um ihre Tochter, die überaus hübsche Wera, mit Hektor zu verheiraten. Gemeinsam mit ihrem Geliebten und Komplizen Alfred Missalek heckt sie in diesem Sinne einen "abscheulichen Streich" aus, bei dem auch das geheimnisvolle rote Licht seine Rolle zu spielen hat. Aber sie hat nicht mit der jungen Marianne Roßner gerechnet ... Ein spannender, mysteriöser, leidenschaftlicher Roman von der Meisterin, der die Herzen bewegt und die Gemüter mitreißt!-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 190

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anny von Panhuys

Das rote Licht von Buchenau

Roman

Saga

Das rote Licht von Buchenau

© 1925 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570364

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Mit sommerlicher Glut lag die Sonne über der Mark Brandenburg, riss alles Vergehen und Sterbenwollen in der Natur noch einmal zurück in Glanz und Pracht. Färbte welkes gelbes Laub mit goldenen Tinten und trieb ein neckisches Flimmerspiel um die drei Türme des Schlosses Buchenau. Die roten verblichenen Ziegel leuchteten fast purpurn und die pausbäckigen Amoretten, die in übermütigen Stellungen heute noch, wie vor Jahrhunderten, die breite Freitreppe bewachten, schien warmes Leben zu erfüllen an diesem, von Sonnenschein durchjubelten Herbsttag.

Hektor von Buchenau, der auf dem väterlichen Gut den Posten eines Inspektors innehatte, kam aus dem Park.

Der Diener trat ihm entgegen.

„Herr Baron, eben ist diese Depesche gekommen.“

Hektor von Buchenau dankte und stieg, ohne das Telegramm zu erbrechen, langsam die leicht gewundene Treppe zum ersten Stock hinauf. Er war gar nicht neugierig auf die telegraphische Mitteilung. Wahrscheinlich zog es einer der zahlreichen Gläubiger vor, anstatt brieflich, einmal durch ein Telegramm zu mahnen. Zwei Hypotheken sollten bezahlt werden und ein Wechsel eingelöst. Trotz allem guten Willen und allem Fleiss kam man auf Buchenau nicht mehr aus den Sorgen heraus. Die Herren von Buchenau hatten von je zu generöse Verschwenderhände mit auf die Welt gebracht.

Die Einsicht, dass man auch anders leben konnte, war den letzten Besitzern zu spät gekommen, sie vermochten dem rollenden Rad des Verhängnisses nicht mehr in die Speichen zu fassen, um es aufzuhalten. Gut und Schloss Buchenau, seit Erbauerzeiten im Besitz derselben Familie, würde bald in fremde Hände übergehen müssen.

Keine Arbeit, keine Sparsamkeit und keine guten Vorsätze würden es verhindern können.

Auf der obersten Stufe verharrte Hektor Buchenau. Sein Blick streifte die Wände des Flures, die wunderhübsche, lebensfrohe Malereien schmückten.

Er seufzte. Er liebte Buchenau von ganzer Seele. Jeder Winkel des alten Baues war ihm ans Herz gewachsen, und der Gedanke, dass vielleicht binnen kurzem hier fremde Menschen hausen würden, für die es hier keine Erinnerungen gab, die kalt und nüchtern empfanden, wo sein Innerstes lachte oder weinte, war ihm unerträglich.

Und doch musste es so kommen, wenn nicht ein Wunder geschah.

Wer aber glaubte noch an Wunder in dieser Zeit, in der sich die Selbstsucht die Krone aufs Haupt gesetzt.

Fast mechanisch öffnete Hektor Buchenau jetzt das Telegramm und las. Seine Brauen zogen sich eng zusammen und das kleine, längliche Papier begann zu beben, weil auch die Hände bebten, die es hielten.

Das war ja gar keine schlechte Nachricht, die das Telegramm brachte, sondern für ihn die beste, die er sich denken konnte.

Ueber die kühngeschnittenen Züge des schlanken Mannes flog dunkles Rot. Die Nachricht, die er erhalten, bedeutete wahrscheinlich Rettung und Glück für die Seinen und ihn.

Wahrscheinlich!

Und wenn, dann durfte er auch an die Erfüllung eines Traumes denken, von dem Vater und Mutter bisher nicht das geringste ahnten.

Die Depesche schwenkend, stürmte er, ohne anzuklopfen, in das Zimmer des Vaters, der mit sorgenvoller Miene über ein Päckchen Rechnungen gebeugt sass. Mit einem förmlichen Sprunge stand Hektor an dem Schreibtisch, drückte dem Aelteren die Drahtnachricht, in die Hand.

Felix von Buchenau las halblaut:

„Klotilde von Mergental soeben entschlafen. Universalerbe Baron Hektor von Buchenau wird um baldiges Hierherkommen gebeten. Beerdigung Montag drei Uhr.

Justizrat Dr. Berner.“

Felix von Buchenau strich wie glättend über das etwas zerknitterte Papier.

„Tante Tilde hat sich schon seit Jahren um keinen von uns mehr gekümmert und unsere Besuche sehr energisch abgelehnt. Sie war ja im Grunde ’ne eklige Person, wenn sie auch Mamas Schwester war. Ich gönne ihr, die sich ihr eigenes Leben unsagbar verbitterte, die gallig und menschenfeindlich gewesen, die ewige Ruhe, und es versöhnt mich mit ihrem spitzstacheligen Charakter, dass sie für dich gesorgt hat, mein Junge.“ Er reichte dem Sohne die Hand. „Tante Tilde war sehr reich, ich gratuliere dir von Herzen.“

Der Jüngere hielt die Hand des Vaters mit festem Druck.

„Danke, Vater, im übrigen darfst du wohl ruhig sagen, du gratulierst uns, denn wenn Tante Tildes Mammon nur halbwegs nennenswert ist, dürfen wir uns alle über den völlig unverhofften Glücksfall freuen “

Der Aeltere schüttelte den Kopf

„Kannst mit dem Geld ein neues Leben anfangen, Hektor, hier sitzt, die Karre zu tief im Dreck!“

Er seufzte.

Hektor lächelte.

„Aber, Vater, den Seufzer nehme ich dir direkt übel, denn dergleichen ist doch jetzt nicht mehr nötig, jetzt, da wir die Karre wahrscheinlich bald aus dem Dreck rausziehen und flott machen können.“

„Du denkst doch nicht etwa, ich werde von dir Geld annehmen!“ brauste Felix von Buchenau auf.

„Jawohl, mein hochverehrter Herr Vater, das denke ich, und mit Recht. Denn hinter mir liegen verschiedene Jahre, die allzu sehr unter einem leichtsinnigen Stern standen. Ich trage jedenfalls auch die Mitschuld daran, dass unsere Werte sich immer mehr verminderten, anstatt sich zu verbessern. Aber wir reden noch über alles, sobald wir wissen, wie viel mir Tante Tilde hinterlassen hat. Dann wird Buchenau, unser liebes, geliebtes Buchenau, wieder fest auf die Beine gestellt.“

Ueber das Gesicht des Aelteren flog ein blitzartiges Aufleuchten.

„Junge, du bist ein famoser Kerl!“ Er strich sich über die Stirn. „Herrgott, müsste das schön sein, endlich wieder einmal des Morgens sorgenfrei erwachen zu dürfen, ohne die Angst vor Rechnungen, Mahnbriefen oder gar persönlichen Besuchen der Herren Gläubiger!“

Er lachte ein wenig.

„Leichtsinnige Hühner sind wir gewesen, Junge, du und ich und unsere Väter!“ Er wurde sehr ernst. „Beinahe hätte ich das Wichtigste vergessen. Wir müssen ja nun Mama beibringen, dass ihre Schwester gestorben ist.“

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und über die Schwelle trat eine schmale, feingliedrige Dame. Leicht ergrautes Haar spann flockiges Gelock um ein blasses Gesicht mit dunklen Träumeraugen.

Frau Dora war einmal sehr reich gewesen, doch Felix von Buchenaus Hände hatten die Mitgift, der Lebensgefährtin so wenig festzuhalten vermocht, wie anderes Geld.

Die schmale Frau war sichtlich erregt. Sie liess sich in einem Ledersessel nieder, stiess aufgeregt hervor: „Ich wollte dich ja eigentlich gar nicht damit behelligen, Felix, aber die Sache ist doch wirklich zu unheimlich. Die Minna kann es beschwören, dass sich das rote Licht wieder gezeigt hat.“

„Dumme Gans!“ sagte Felix von Buchenau ärgerlich.

Frau Doras dunkle, noch immer schöne Augen, öffneten sich ganz weit.

„Aber Felix!!“

„Ach so!“ Er lachte. „Natürlich meine ich mit, der schmeichelhaften Bezeichnung: ‚Dumme Gans!‘ die blöde Person, die Minna, nicht etwa dich.“

Ein schwaches Lächeln huschte um die blassen Frauenlippen.

„Ach, Felix, ich weiss ja, wie skeptisch du der Erscheinung des roten Lichtes gegenüberstehst. Aber es wird doch immer wieder beobachtet und löst immer wieder Furcht und Schrecken aus. Minna bleibt, trotzdem ich es ihr mit allen möglichen Vernunftsgründen auszureden versuchte, bei ihrer Behauptung. Sie erzählt, sie sei heute nacht aufgestanden, um sich, ihres starken Kopfwehs wegen ein nasses Tuch um die Stirn zu binden. Und als sie zufällig flüchtig am Fenster ihres Stübchens vorbeiging, hätte sie drüben im mittleren Turm ein grosses rotes Leuchten gesehen. Zu Tode erschrocken wäre sie in ihr Bett gekrochen und hätte vor Angst den Kopf tief unter die Decke gesteckt. Der Anblick des roten Lichtes hätte sie förmlich verfolgt.“

Frau Dora holte tief Atem.

„Vorgestern und gestern Nacht will der Kutscher genau dasselbe gesehen haben wie Minna in dieser letzten Nacht.“ Sie strich mit zarten, nervösen Händen über das einfache, dunkle Hauskleid. „Du weisst, Felix, das rote Licht bedeutet, laut unserer Buchenauer Chronik, immer ein Unglück oder einen Todesfall in der Familie.“

Ihr Mann wechselte mit dem Sohn einen unruhigen Blick. Beide dachten an das während ein paar Minuten vergessene Telegramm.

Dieser Todesfall in der Familie konnte abergläubische Gemüter wirklich stutzig machen.

Hektor zog sich einen Stuhl neben den Sessel der Mutter

„Liebe Mama, du bist doch im allgemeinen eine kluge Frau, und weisst wohl, dass der Zufall die festeste Stütze des Aberglaubens ist. Wenn nun zufällig wirklich jemand in unserer Familie gestorben wäre, so läge trotzdem für niemand von uns der geringste Grund vor, das sogenannte rote Licht von Buchenau als Unglücks- oder Todesboten anzuerkennen.“ Hektor strich zärtlich über die im Schoss ruhenden Hände der Mutter. „Kluge Frauen unseres Jahrhunderts dürfen über solchen Unsinn gar nicht nachdenken, selbst wenn, wie gesagt, der Zufall den Aberglauben zu stützen scheint.“

„Zufall?“ Ueberhastig erhob sich die Baronin. „Weshalb lachst du nicht so laut du kannst, weshalb lachst du mir nicht die Angst vom Herzen? Zufall! Das Wort soll mich vorbereiten auf irgend etwas, worüber ihr beide mir nicht so geradeheraus zu sprechen wagt.“ Ihre eben noch leicht zitternde Stimme zwang sich zur Ruhe. „Ich sehe euch beide, die ihr mir die liebsten Menschen auf der Erde seid, gesund vor mir. Euch beiden ist also nichts geschehen. Jede andere traurige Nachricht werde ich ertragen können. Gute Komödianten seid ihr beide nicht, man sieht es euch beiden an, es hat sich etwas ereignet, etwas Besonderes.“

Da nahm der alte Baron das Wort.

„Ja, liebste Dora, du irrst dich nicht, deine Schwester Tilde ist —

„Tot?“ riss ihm die Frau das letzte Wort gleich einer Frage von den Lippen.

„Tot!“ bestätigte Felix von Buchenau.

Die kleine, schmale Frau fiel in den Sessel zurück und begann leise vor sich hin zu weinen. Die Tränen galten der Schwester, die ihr in der Kinderzeit die treueste Gefährtin gewesen, die ihre Jungmädchentage fast mütterlich betreute, bis Felix Buchenaus Liebe sie beide trennte. Als er um sie, die fast fünf Jahre jüngere Schwester freite, ward in Klotilde ein Hass geboren, den sie gehegt bis an ihres Lebens Ende.

Und nun war sie tot, die schroffe Schwester, nie mehr würde eine Versöhnung möglich sein.

Der Gedanke brannte wie eine böse Wunde.

Ihr Mann trat neben die Weinende, strich ihr über das silberdurchsponnene Haar, erzählte ihr von dem Inhalt der Depesche.

Da hob die zierliche Frau das verweinte Gesicht und atmete tief auf.

Also war die Schwester doch nicht unversöhnten Herzens in die ferne Ewigkeit hinübergegangen.

Dicht vor ihrem Sterben musste etwas den alten Hass in ihr vernichtet haben, sonst hätte sie nie und nimmer ein solches Testament gemacht.

Die schmalen Frauenhände fanden sich zusammen wie zum Gebet.

Die Schwester hatte edel gehandelt, nun würde man Buchenau wohl behalten dürfen, ohne Tildes Vermächtnis wäre es in absehbarer. Zeit verloren gewesen.

O, sie wusste, welches Glück damit ihrem Hause widerfuhr, weil sie ganz genau wusste, wie die Dinge lagen, obwohl ihr Mann sie immer Träumerin und Phantastin nannte.

Ein heisser, inniger Segenswunsch für die Tote flog aus dem Schwesterherzen auf zu Gottes Thron, und dann musste sie wieder an das rote Licht im mittleren Turm denken.

Am nächsten Morgen, in aller Frühe, reisten Vater und Sohn nach Berlin zur Bestattung des alten Fräuleins Klotilde von Mergental, Frau Dora fühlte sich zu angegriffen, um mitzufahren.

Nach dem Frühstück zog es sie in die Bibliothek. Man behauptete, das rote Licht gesehen zu haben, der Tod der Schwester verlieh der alten Schlosssage Glaubwürdigkeit, sie wollte wieder einmal die alte Chronik von Buchenau aufschlagen.

Die Bibliothek war mit dunklen, altertümlichen Möbeln ausgestattet, den vielen Büchern, die in Reih und Glied auf hohen Regalen standen, entströmte ein leichter Staub- und Modergeruch. Die kleinen Frauenhände schleppten einen mächtigen, in Schweinsleder gebundenen Folianten zu dem breiten Tisch inmitten des Raumes.

Sie schlug vergilbte Seiten um, blätterte, und fand dann was sie suchte.

Mit leiser Stimme, es sich dabei gleichsam einprägend, las sie:

„Und so sich auf Buchenau ein Geschehnis ankünden will, zeyget sich in dem zweyten Turm, so in der Mitten ist, ein feuerfarbig Licht. Wann das Licht erblicket ward, ist immer einer aus dem Hause des Todes verblichen, oder dem Hause sonsten ein Unheyl geschehen, wie glaubwürdige Zeugen berichtet haben.“

„Glaubwürdige Zeugen!“ murmelte die Baronin vor sich hin und verlor sich in Sinnen.

Ihre träumerische Natur neigte leicht dazu, die Grenzen der Wirklichkeit zu überschreiten und einen Ausflug zu machen in das weite Reich des Uebersinnlichen, das tausendmal unerforschter ist, als die dunkelsten Gebiete ferner, fremder Erdteile und jedem kühnen Vorstoss neue Rätsel entgegenstellt, an denen Menschengeist und Wissen zersplittert wie leichtes Glas unter hartem Hammerschlag.

Zwei Tage nach der Abreise von Vater und Sohn fand ein Brief von den beiden den Weg nach Buchenau. Die Baronin erfuhr, dass ihr einziger Sohn tatsächlich in den Besitz eines reichen Erbes gelangt war.

Sie blickte nachdenklich auf die hohe Zahl, die ihr Hektor nannte.

Viel weniger hatte ihre Mitgift dereinst auch nicht betragen, hoffentlich wurde der Sohn ein besserer Rechner als der Vater.

Etwas solider schien er ja einzuschlagen. Jedenfalls wollte sie eifrig wachen. Noch einmal durfte ihr geliebtes Buchenau nicht heruntergewirtschaftet werden.

Das würde sie nicht dulden.

Seit sie, nach dem Tode ihres Schwiegervaters, hier ihre Heimat gefunden, liebte sie Buchenau schwärmerisch. Liebte das alte Schloss mit der schmucklosen Fassade und den runden, drohend emporgereckten Türmen, liebte das in Wiesengelände hineingebettete Gut und den schattigen dichten Buchenwald, von dem das Besitztum seinen Namen herleitete. Und sie liebte die dunklen Gänge im Schloss und die weiten Säle mit den uralten ererbten Möbeln, in denen Holzwürmer bohrten, dass es sich oft anhörte, als ob da kleine Uehrlein tickten.

Zwei gute Fahrstunden von Buchenau entfernt lag das Gut Birrendorf, das der verwitweten Frau Oberamtmann Ruppen gehörte.

Der Oberamtmann war ein tüchtiger Landwirt gewesen, sein Name ward in der Umgebung mit Achtung genannt, aber seine Frau, die „Polin“, hatte es in den paar Jahren seit seinem Tod verstanden, das Gut beinahe zu ruinieren. Kostspielige teure Reisen, die sie von Zeit zu Zeit unternahm mit ihrer Tochter, elegante Toiletten und allerlei persönlicher Luxus, den Frau Jadwiga nicht entbehren zu können glaubte, leerten die Kasse von Birrendorf. Die immer mehr anwachsende Flut der Schulden hätte die Witwe in Angst und Schrecken versetzen müssen, doch sie wand sich stets mit schlangenhafter Gewandtheit aus drohender Gefahr.

So sass Frau Jadwiga auch heute und schmiedete Pläne, musste aber einen nach dem anderen als nicht ausführbar wieder verwerfen.

In einer kleinen Holzlaube, um die sich vom Herbste kupfern poliertes Laub des wilden Weins spann, sass Frau Jadwiga.

Die Stille des Birrendorfer Parks hüllte sie kosig ein und sie konnte ungestört ihren scharf arbeitenden Gedanken nachhängen.

Frau Jadwiga Ruppen war eine noch immer sehr schöne Frau. Kastanienbraunes Haar umrahmte breitwellig ein etwas grosszügiges, energisches Gesicht, darin grünlich schimmernde Augen wie seltene Juwelen leuchteten.

Die sinnende Frau überhörte einen leichten Schritt, schrak heftig zusammen, als im Türausschnitt des kleinen Lattenbaues ihr verjüngtes Ebenbild erschien.

„Du guckst mich ja wie einen Geist an, Mama!“ scholl es lachend von den jungen, künstlich etwas zu rot gefärbten Lippen der Tochter, „aber ich bin es leibhaftig. Ich habe mich in Storkow nicht länger als unbedingt nötig aufgehalten, weil ich dir die Neuigkeit, die ich dort hörte, möglichst bald bringen wollte. Ob es wirklich wahr ist, was ich erfuhr?“ Sie zuckte die Achseln. „Man darf ja nicht alles glauben, was man sich in unserm guten Amtsstädtchen erzählt, wo der Klatsch des ganzen Kreises zusammenfliesst.“

„Mache mich doch nicht so neugierig und rede endlich,“ unterbrach sie die Mutter.

Wera lachte übermütig.

„Neugier ist eine deiner hervorragendsten Eigenschaften, Mama, und am liebsten liesse ich dich jetzt ein bisschen zappeln. Aber die Neuigkeit brennt mir auf der Zunge!“

Wera Ruppen setzte sich der Mutter gegenüber.

„Also denke dir nur, Mama, Hektor Buchenau soll eine Millionenerbschaft gemacht haben von seiner Tante, die gestorben.“

In ihren Augen glimmte etwas, das wie verhaltener Neid war.

Frau Jadwiga rümpfte die Nase.

„Wer weiss, ob es wahr ist, Millionenerbschaften sind dünn gesät!“

„Ob es wahr ist, dürfte man wohl bald erfahren,“ meinte Wera und die Mutter wiederholte gleich einem Echo: „Dürfte man wohl bald erfahren!“

Ein Weilchen herrschte Schweigen.

Plötzlich blitzte es in Frau Jadwigas Augen auf und leise sprach sie vor sich hin:

„Wenn es wirklich wahr wäre, dann —“

Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht, als streichle sie ein sehr angenehmer Gedanke.

Wera schüttelte den Kopf.

„Mama, die Neuigkeit, die uns eigentlich persönlich garnicht berührt, hat dich anscheinend etwas verwirrt!“

„Woran ich eben dachte, mein Kind, das ging dich an,“ sagte die Frau weich.

„Werde nur nicht rührselig, Mama, das kleidet dich nämlich gar nicht,“ wehrte sich Wera gegen den Tonfall, der ihr nicht behagte. „Uebrigens weiss ich jetzt Bescheid. Du überlegtest wahrscheinlich, ob es, falls die Millionenerbschaft Hektor von Buchenaus Wahrheit ist, nicht sehr vorteilhaft wäre, wenn aus ihm und mir ein Paar würde!“ Sie erhob sich und schob ihr breit frisiertes Haar zurück, das ihr wie eine braunrote Welle über der geraden, weissen Stirn lag. „Lass doch das Pläneschmieden, Mama, es kommt ja doch meist anders, als du es wünschest, deine Berechnungen stimmen selten!“

„Wera, du hast in letzter Zeit so einen merkwürdig despektierlichen Ton gegen mich!“ fuhr Frau Jadwiga auf.

„Irrtum, Mamachen,“ lächelte Wera seelenruhig, „das bildest du dir nur ein, weil du durch die Geldkalamitäten der letzten Zeit leichter reizbar geworden bist!“

Am nächsten Morgen beim Frühstück erklärte Frau Jadwiga der Tochter, dass man heute, gleich nach Tisch, hinüber nach Buchenau fahren würde.

Wera strich sich ein Brötchen.

„Du, Mama, ich weiss genau, wie angenehm man sich das Leben einrichten kann, wenn man reich ist, aber offen gestanden, mir liegt an Hektor Buchenau nicht soviel.“

Sie machte eine bezeichnende Bewegung mit der Spitze des kleinen Fingers.

Die Aeltere zuckte mit den Achseln.

„Wir sind den Buchenaus schon lange einen Besuch schuldig. Also mach dich so schön als möglich, mein Kind. Ich freue mich immer, wenn man dich bewundert.“

„Namentlich, wenn dieser „man“, der mich vielleicht bewundert, eine Million geerbt hat und noch unbeweibt durchs Leben läuft.“

Wera schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein.

Beide sahen sich an und lächelten.

Die Posttasche wurde gebracht.

Es befand sich nicht viel darin. Ausser einigen Zeitungen nur ein paar graue Kuverts mit Firmenstempel und ein langer schmaler Brief, nach dem die Herrin von Birrendorf sofort griff.

„Von deinem, mir allerdings unbekannten Jugendfreund Missalek, nicht wahr, Mamachen?“ fragte Wera.

Nur ein flüchtiges Kopfneigen gab ihr Antwort.

Wera langte nach dem „Storkower Kreisblatt“ vom gestrigen Abend. Sie überflog nachlässig die Spalten, doch plötzlich ward der Ausdruck ihrer Züge sehr angeregt und sie reichte das Blatt der Mutter, die eben ihren Brief in die Tasche ihres Morgenkleides versenkte

Frau Jadwiga las die Stelle, auf die sie die Tochter aufmerksam gemacht hatte.

Ueber dem betreffenden Artikel stand auffallend gross gedruckt das Wort: Aberglaube!

Dann hiess es: Man sollte es nicht für möglich halten, dass es in unserem aufgeklärten Zeitalter noch immer so abergläubische Menschen gibt. Da existiert auf dem bekannten Rittergut Buchenau eine alte Sage, nach der im mittleren Turm des Schlosses ein rotes Licht sichtbar wird, sobald dem Hause ein Todesfall oder ein anderes Unglück droht. Ein paar abergläubische Dienstboten behaupten nun, letzthin das gespenstische Licht gesehen zu haben, und da sich zur selben Zeit ein Todesfall in der Familie von Buchenau zutrug, ist das Schlosspersonal ganz durcheinander vor Grauen. Einige davon sollen sogar, aus Furcht vor dem roten Licht, ihre guten Stellungen aufgegeben haben. Wieder ein Beweis, wie tief der Aberglaube noch immer in vielen Menschen wurzelt.

Frau Jadwiga legte die Zeitung nachdenklich beiseite und meinte: „Von dem roten Licht auf Buchenau habe ich früher auch schon gehört, aber ich kann mich nicht mehr deutlich erinnern.

Wera lachte laut auf.

„Schade, jammerschade, dass wir hier auf Birrendorf kein rotes Licht haben, das uns den Verlust einer Millionenerbtante meldet!“

Nach Tisch machte Wera Ruppen so sorgfältig Toilette, wie kaum je zuvor. Denn wenn ihr auch an Hektor Buchenau gar nichts lag, so wusste sie Reichtum doch zu schätzen, und wenn der junge Gutsnachbar wirklich eine Millionenerbschaft gemacht hatte und er sie eines Tages fragen würde, ob sie seine Frau werden wollte, so würde sie bestimmt nicht nein sagen.

Auf Buchenau wurden die beiden Damen sehr liebenswürdig empfangen.

Felix von Buchenau schwärmte heimlich sogar ein ganz klein wenig für die schöne Polin. Dagegen hatte seine Frau die überelegante Jadwiga Ruppen niemals besonders leiden mögen

Frau Dora fand, Mutter und Tochter sahen wieder aus wie zwei lebendig gewordene Puppen aus dem Modejournal.

Ihr war der Besuch gar nicht angenehm, sie hätte in diesen Tagen lieber keine fremden Gesichter auf Buchenau gesehen. Durch den Tod der Schwester war so manches in ihr aufgewühlt worden, was jahrelang geschlafen in dem ruhigen Alltagsleben von Buchenau. Der enge Kreis der Pflichten hatte sich wie eine hohe Wand vor dem Rückblick in Vergangenes aufgerichtet, nun hatte der Tod diese Wand niedergerissen und Halbvergessenes ward wieder wach.

Das hartklingende Organ der „Polin“ berührte sie unangenehm und sie wünschte, der Besuch möge sich bald entfernen. Gleich nach der Begrüssung hatte Frau Jadwiga ja erklärt, dass sie nur gekommen sei, den lieben Nachbarn ihr Beileid auszudrücken, weil sie von dem Verluste gehört, den man erlitten.

Also würden die Nachbarinnen sich wohl bald verabschieden.

Doch die Zeit verging, die Birrendorfer Damen schienen gar nicht an den Aufbruch zu denken

Die in tiefe Trauer gehüllte zierliche Baronin Buchenau sass sehr schweigsam in ihrem Sessel.

Frau Jadwiga sah Felix von Buchenau schelmisch von der Seite an.

„Sagen Sie, bester Baron, ich las beim Frühstück eine sehr drollige Notiz im Kreisblatt über ein spukendes rotes Licht hier auf Ihrem Besitz. Wissen Sie etwas über dieses rote Licht? Ich höre nämlich Spukgeschichten fürs Leben gern.“

Die Baronin erwiderte, ehe ihr Mann noch antworten konnte: „O, wir haben die Notiz auch gelesen, sie ist so albern, dass es nicht lohnt, darüber ein einziges Wort zu verlieren. Dienstbotenklatsch! Nichts weiter.“

Felix von Buchenau sah seine Frau an, als wenn er sagen wollte: Lass um des Himmels willen nicht merken, dass du schon selbst mit beiden Füssen im Aberglauben steckst, sonst macht sich die ganze Nachbarschaft bald über uns lustig!

Er wandte sich zu der schönen Witwe.

„Meine Gnädigste, wenn es Sie interessiert, über das rote Licht zu hören, so liegt nicht der geringste Grund vor, Ihnen das Wenige, das wir selbst wissen, vorzuenthalten.“

Wera unterhielt sich angeregt mit dem jüngeren Herrn von Buchenau, doch jetzt schwieg sie erwartungsvoll.

Baron Felix bat seinen Sohn um Herbeischaffung der Chronik, doch seine Frau wehrte ab.

„Was in der Chronik steht, weiss ich auswendig, weil ich es schon öfter las und es leicht zu behalten ist. Ich will es gern mitteilen, weil es Frau Ruppen so sehr interessiert.“

Das Letzte klang fast ein wenig gereizt.

Aber die Polin war nicht empfindlich, wenn es ihr nicht passte, und harmlos lächelnd bat sie: „Ach ja, liebe Frau Baronin, teilen Sie mir mit, was in der Buchenauer Chronik über das rote Licht steht.“

Die zierliche Schlossherrin erwiderte nichts, ganz still sass sie einen Augenblick, als müsse sie nachdenken. Die zarten feingeäderten Hände lagen wie weisse welke Blumenblätter in ihrem Schoss.

Ihr Blick schweifte ins Leere