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Egal, ob ich meiner Bestimmung folgen will oder nicht, der Tod ist mein Begleiter. Immer wieder muss ich mich entscheiden: Kämpfe ich und töte meine Feinde oder werde ich getötet, was auch das Todesurteil meiner Freunde wäre. Noch immer zerfrisst mich die Wut, dass mein Bruder unseren Vater und König hinterlistig ermordet und unserem Feind die Pforten geöffnet hat. Seit ich General Suvus getötet habe, trachtet der Gegner nach meinem Leben. Mit meiner Geliebten und einigen Gefährten befinde ich mich weiter auf der Flucht und verfolge verzweifelt unsere Bestimmung: Eine Allianz der vier Könige, mächtig genug, sich gemeinsam der Schwarzen Armee zu stellen. Doch wenn ein Land das Bündnis nicht eingeht, wird die feindliche Streitmacht alles auslöschen, was ihr in die Quere kommt. Nicht mehr lange, dann werden sich die Armeen am See der Toten gegenüberstehen. Bereit, um zu sehen, dass eine Bestimmung auch durch Vergebung und nicht nur durchs Töten erreicht werden kann?
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Seitenzahl: 470
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D. K. Widor
Die Chroniken von Targor 2
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96173-142-8
E-Book-ISBN: 978-3-96173-193-0
Copyright (2022) Eisermann Verlag
Lektorat: Bettina Dworatzek
Korrektorat: Daniela Höhne
Buchsatz: Grit Richter, Eisermann Verlag
Umschlaggestaltung: Grit Richter, Eisermann Verlag
unter Verwendung der Bilder:
Stockfoto-Nummer: 566566363, 241349773
von www.shutterstock.com
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
Eisermann Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Große Marmorsäulen ragen empor, stützen das mit Malereien versehene Gewölbe des Saales. Die Abendsonne strahlt durch die kalksteinernen Fensterrundbögen, hüllt den Raum in ein prächtiges Rot. Der Wind weht die gelblichen Seidenvorhänge weit in den Raum hinein, wie Finger strecken sie sich nach dem mittig gelegenen Kinderbett. Eine Blaumeise flattert auf den glänzenden Marmorboden, putzt ihr vom Wind zerzaustes Gefieder. Die Knopfaugen fixieren das Kinderbett, das mit einer schwarzen Kette an einem steinernen Dachbalken befestigt ist. Mit einigen Flügelschlägen fliegt die Meise empor, landet auf dem Balken und blickt an der Kette entlang hinunter. Das Kinderbettchen wiegt im Wind sanft hin und her, der Marmorboden reflektiert die Sonnenstrahlen und zeichnet seltsame Lichter an den sorgfältig verzierten Kalkwänden und Gemälden des Saales. Mit einem Satz springt das Vögelchen an die Kette hinunter, klammert sich an das geschmiedete Eisen. Ein letzter Flügelschlag und die flinke Meise steht direkt über dem Kinderbett, das mit einem weißen Seidentuch überhangen ist. Das Seidentuch ist so fein gewebt, dass der Vogel sieht, was sich in der Krippe befindet: Ein schlafender Knabe liegt weich gebettet darin, sein Kopf zeigt noch wenig schwarzes Haar. Erneut das neugierige Zucken des Kopfes der Meise, die nun mit einem Satz auf den hölzernen Bettrand fliegt und fröhlich zwitschert. Die Vogelstimme hallt durch den Saal, das Baby öffnet seine Augenlider, die Pupillen sind schwarz wie die Nacht und doch blicken sie das Vögelchen ruhig an. Das Kleinkind lacht quietschend auf, der kleine Vogel wechselt geschwind die Seite des Bettchens. Mit einigen Hüpfern bringt es sich in Position, um neugierig in die Wiege zu blicken. Langsam erhebt der Knabe seine rechte Hand, streckt seinen Arm in die Höhe und lacht fröhlich auf. Die Finger zeigen spitze Fingernägel, die wie kleine Krallen wirken.
Ein Rauschen, gefolgt von einem Pfeifen erklingt von draußen. Ein lauter Knall lässt das Gewölbe des Saales erzittern, einige Risse entstehen und Kalkstaub rieselt auf den Marmorboden. Durch die Erschütterung wackelt das Bettchen unsanft, das Kleindkind fängt an zu schreien und die blaue Meise fliegt zielgerade zum Fenster und steigt in den Himmel. Ihr Flug wird von hellleuchtenden Glutteilchen begleitet, die neben ihr knisternd in den Himmel gleiten, langsam verglühen und als schwarze Asche durch die Hitze weiter in die Höhe gedrückt werden.
Das Klirren von Schwertern und laute Kampfschreie erfüllen die Luft. Eine fauchende Feuerkugel schwirrt mit schwarzem Ruß über die Stadt, fliegt über das Dach des Saales. Einen Atemzug später erschüttert eine Explosion den Saal, größere Gesteinsbrocken lösen sich von der Decke, krachen neben dem Kinderbett zu Boden.
Hilflos blickt das Kleinkind auf die in der Decke entstandenen Lücken, durch die bedrohliche Feuerzungen in den Raum gieren. Kleine Glutteile brennen glühende Löcher in die seidenen Vorhänge, die mit einem Knistern in Feuer aufgehen. Weitere Glutteile lösen sich vom Vorhang, fliegen direkt auf das weiße Seidentuch, das die Krippe vor Ungeziefer schützt. Die Funken verheddern sich im Stoff, wirken so, als würden sie sich befreien wollen. Die ersten Brandlöcher dehnen sich in Glutkreisen immer weiter aus. Kleine Flammen entstehen und das schmerzliche Schreien des Kindes erfüllt den Raum, das vom Knistern des lodernden Feuers begleitet wird.
Laut wird eine Tür aufgestoßen, dem Kind vertraute weibliche und männliche Stimmen dringen an sein Ohr. Eine männliche Hand reißt den brennenden Schleier von der Kinderkrippe, es erklingt ein stampfendes Geräusch, während eine weibliche Person an die Krippe eilt. Das Kind sieht eine Frau, deren Gesicht es zum Lächeln bringt. Sie trägt eine weiße Seidenrobe, während ein rötliches Juwel ihre Stirn ziert. Eine männliche Gestalt erscheint nun ebenfalls im Blickfeld. Sie trägt einen goldenen Stirnreif, lange weiße Haare fallen ihr über die Schultern, die buschigen Augenbrauen zeigen in Richtung der Schläfen, lassen das Gesicht zu einer Fratze verkommen, dennoch strahlen die weisen Augen eine nicht greifbare Zuneigung und Wärme aus. Die Frau greift in die Krippe, hebt sachte das Kind zu sich an die Brust. Ein süßlicher Duft dringt in seine Nase und eine liebliche Stimme an sein Ohr. »Wir müssen los, mein Schatz. Sie trachten nach deinem Leben, mein kleiner Herrscher!« Die Mauern des Gebäudes erbeben, als ein Drache sich mit schlagenden Flügeln am Gemäuer festklammert. Tief zieht er die Luft in seine Lungen. Mit einem fauchenden Laut brennt eine Wand aus Feuer den zwei Gestalten die Haut und das Fleisch von den Knochen.
»Targor, wach auf.« Eine warme Hand legt sich auf mein Gesicht, sanft streicht sie mich wach. Ich erhebe mich schweißnass, die Haare kleben mir wirr im Gesicht. Rayne streicht mir diese zärtlich zur Seite. »Ein Alptraum. Hat dich die hässliche Fledermaus aus der Höhle verfolgt?«
Ich schüttle den Kopf, verberge mein Gesicht in den Händen und blicke dann Rayne an. »Ich habe vermutlich von meinen Eltern geträumt, als ich noch ein Kleinkind war.« Sie lächelt mich an und reicht mir dann die Hand. »Los, aufstehen, mein verschlafener Held.«
Ich greife nach ihrer Hand und ziehe sie kreischend auf mich, sie lacht fröhlich und wir küssen uns.
»Ich wusste, dass du das tun wirst.«
Ich rolle Rayne zur Seite und wir bleiben auf Leashes liegen, der röchelnd nach Luft ringt, gefolgt von Gor, der sich lachend auf mich setzt. »Runter von mir, ihr Gesindel … seid ihr von allen guten Göttern verlassen? Wollt ihr, dass man uns hört?«
Gor erhebt sich, hilft uns auf die Beine und staubt gespielt seine Hände sauber: »Genug der Albernheiten, lasst uns erst gegen Abend zur Stellung der Schattenwesen vordringen. Morgendstund hat Hunger im Bauch, also macht euch nützlich.«
Rones fühlt sich in seiner Haut nicht wohl. Schon seit Stunden schiebt er Wache auf der Burgmauer. Was tut er hier eigentlich? Was passiert bloß in Arisland? Vor gar nicht allzulanger Zeit war er noch stolzer Soldat der Ehrengarde von König Sczar, doch seit dem Verrat und dem Einmarsch dieser verdammten Generäle und ihrem Fußvolk stimmt hier gar nichts mehr. Er fühlt sich unterdrückt und gefangen in seinem eigenen Land. Seine Finger streichen über das aufgeklappte Medaillon, das die Gesichter einer Frau und eines Jungen zeigt. Mit dem Fingernagel des Daumens kratzt er an der silbernen Seite, Tränen rinnen an seiner Wange hinab. »Meine Liebsten, auch meine Zeit wird kommen, doch jetzt noch nicht. Ich werde euch Ruhe verschaffen, sobald ich Genugtuung verspüre. Astor wird für seinen Verrat bezahlen! Mein Sohn, ich kann nicht vergessen, wie du mutig und doch törricht die Gefolgschaft zu Astor abgelehnt hast. Stolz müsste ich auf dich sein, doch mein Herz zerbrach, als deine Entscheidung auch das Leben deiner Mutter genommen hat.« Andächtig klappt er das Medaillon zusammen, verstaut es im Lederbeutel an seinem Gürtel und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen.
Selbst die kühle Morgenluft und die tolle Aussicht auf den in weiter Ferne glitzernden See vermag seine Wut nicht zu mindern. Er knirscht mit den Zähnen. Könnte er es diesen Bastarden nur irgendwie heimzahlen. Noch immer sieht er die abgetrennten Köpfe nebeneinanderliegen. Das schöne Haar seiner Frau blutverschmiert und das Gesicht zu einer leblosen Fratze entstellt, die Augen seines Sohnes leer.
Das Quietschen der Türscharniere reißt ihn aus der Träumerei. »Hey, du da, wir benötigen noch zwei Wachen. Melde dich unten im Kriegssaal, danach kannst du deinen Wachdienst abgeben.«
»Sire? Warum ausgerechnet der Kriegssaal? Habe ich mit dem Verlust meiner Familie nicht genug Schmerz erlitten?« Dieser rümpft lediglich die Nase. »Stell dich nicht so an. Was ist an dieser Aufgabe so schlimm?«
Rones ballt seine Fäuste. »Das wisst ihr genau. Ihr sagt, ich soll den Saal vor neugierigen Blicken und Ohren schützen, das Eindringen von Störenfrieden verhindern. Doch die Stimmen durchdringen die hölzernen Türen, wir können alles verstehen. Seit einigen Tagen wird Sacher vermisst.«
Der Wachobermeister winkt gelangweilt ab. »Verschone mich mit deinem Misstrauen. Als wir die Waffen niedergelegt haben, haben diese Bastarde geschworen, uns und den Familien nichts anzutun. Geh voran, ich bin der Gespräche leid!« Gesenkten Blickes eilt Rones zum Eckturm, der in die unteren Ebenen führt. Er steigt die Schiefertreppen hinab; laut hallen seine Metallschritte durch das Gemäuer. Er hasst diesen Abstieg, die Treppen wurden viel zu schmal gebaut. Mit Plattenschuhen droht rasch ein Ausrutscher, nicht selten hat dies bereits zu einem gebrochenen Genick geführt.
Er schwitzt unter dem Brustharnisch, als er den dunklen Gang zum Kriegssaal erreicht. Der Gang ist mit Pechfackeln bestückt, dennoch ist das Licht fahl und das Flackern schmerzt in den Augen. Vor der Tür steht bereits der zweite Soldat bereit. Rones grüßt den anderen Soldaten, der ihm freundlich zunickt. Rones dreht sich zum Eingang, beugt sich leicht vor. Im Kriegssaal befindet sich bis jetzt nur Toratus. Gelangweilt sitzt er auf einem großen Holzstuhl, die Hände vor dem Gesicht gefaltet, seine Stirn stützt er mit den Zeigefingern. Das lange weiße Haar fällt ihm ins Gesicht. Langsam neigt sich der Kopf zum Eingang des Saales, eine Haarsträhne verrutscht und bedrohlich funkelt das Auge auf. Rones dreht sich schnell um, ihn überkommt eine Gänsehaut bei dem Anblick dieser Gestalt. Gemäß dem wortkargen Benehmen seines Wachkollegen, teilt der wohl diese Ansicht. Niemand will negativ auffallen, solange ihnen diese schwarzen Augen in den Rücken starren. Rones kennt den anderen. In der Gaststätte ist der sonst nicht so still. Es gehen Gerüchte um, dass sich heute zum ersten Mal alle noch lebenden Generäle an einem Tisch versammeln werden. Dass Targor bei der Flucht einen General getötet hat, hat in dem Dorf längst die Runde gemacht. Auch wenn Targor von der Erscheinung her nicht weniger bedrohlich ist, so feiert man ihn als Helden. Die Hoffnung ruht auf seinen Schultern. Ja, selbst in Geschichten hat er seinen Einzug gefunden, sodass die Bevölkerung nicht gänzlich den Mut an eine Rettung verliert.
Rones horcht auf; Schritte im Gang. »Du, ich glaube, die kommen jetzt. Sollen wir strammstehen?«, flüstert er leise seinem Wachpartner zu.
Dieser nickt. Sie richten sich auf, die erste Gestalt verlässt den Schatten. Es dauert, bis das flackernde Fackelfeuer den Umriss, und dann die gesamte Person abzeichnet. Zuerst sieht man nur sanft leuchtende Augen, dann den gewaltigen Körper von Bragdol. Rones hat diesen noch nie gesehen. Mit Drachen sind sie angeflogen gekommen. Leider direkt auf den Trainingsplatz, wo der normale Pöbel keinen Zutritt hat. Bragdol trägt einen Mundschutz. Kein Haar ziert seinen Kopf, leuchtend weiße Augen glitzern aus der Dunkelheit. Seine Oberarmmuskeln sind so groß wie der Kopf eines Erwachsenen. Die Bauchmuskeln sind hervorgehoben, als seien sie aus Stein gemeißelt. Geschützt durch einen Pelzkilt und Pelzstiefel, stapft er an den zwei Wachen vorbei. Der Pelzkilt wird durch einen geschmiedeten Gürtel gehalten, der mit einem menschlichen Kopf geschmückt ist, dessen Verwesung noch nicht abgeschlossen ist. Stinkendes Fleisch hängt von den Knochen. Die Augen starren trüb in die Welt, den Mund weit geöffnet und die Zunge ein ledriger Fetzen. Auf seiner Schulter trägt Bragdol einen gewaltigen Hammer. Keines Blickes würdigt er die Soldaten, nur der Türrahmen erhält einen kritischen Blick, weil der Hüne sich leicht bücken muss. Als Bragdol im Raum hinter den Wachen verschwindet, atmet Rones erleichtert auf. Was für ein Monster. Er blickt nur kurz zu seinem Leidensgenossen, dieser steht kreidebleich da und lehnt sich an die Mauer. Schweißtropfen auf dem Gesicht zeigen klar Furcht. Für Erholung bleibt keine Zeit, erneut hallen Schritte und Stimmen durch den Gang. Rones vermutet Frau und Mann.
Arathiel und Solaine tauchen auf. Arathiel sieht mit seiner Rüstung gefährlich aus, aber seine Ausstrahlung vom Gesicht her wirkt sympathisch. Als dieser aufblickt und Rones die lila Augen sieht, ist es mit der Sympathie vorbei. Solaine starrt er regelrecht an. Noch selten hat er solch ein wunderschönes Gesicht gesehen. Ihre Hautfarbe ist nicht so bleich, wie die der anderen Generäle, diese wirken teilweise wie blutleere Leichen. Der Edelstein auf ihrer Stirn schmückt ihr Erscheinungsbild. Im Gegensatz zu Arathiel hat sie sinnliche braune Augen, die nun auch Rones wahrnehmen. Sie lächelt Rones zu, als sie an ihm vorbeigeht. Dies war garantiert kein einladendes Lächeln, sondern ein arroganter Blick, als würde sie bereits wissen, was mit ihm passieren würde. So schnell geht Rones das Gesicht nicht wieder aus dem Kopf. Er kämpft gegen die Neugierde an. Er würde Solaine so gerne nachschauen, nur um einen Blick zu erhaschen, ob sie von hinten auch so makellos ist – doch er traut sich nicht.
Während sich im Kriegssaal die Stimmen vermischen, ist es im Gang ruhiger geworden. Rones schaut nochmals zu seinem Kollegen, dieser hat sich mittlerweile wieder gefangen. Beide erschrecken sie, als der Hüne neben ihnen steht und auf sie herabsieht. Eine leicht dumpfe, düstere Stimme spricht. »Hey du.«
Sein Nachbar reagiert nur zögerlich. Seine Stimme zittert. »Ja, Sire?«
»Weißt du, wo meine restlichen Gefährten bleiben? Mach dich auf und hol sie herbei.« Dann kehrt sich Bragdol wieder um und tritt zu seinen Mitstreitern. Die Wache steht nur schockiert da, kein Wortlaut entrinnt seiner Kehle, bis Rones ihn anschubst. »Du hast einen Befehl, oder planst du, dich zu weigern?«
Hastig schüttelt dieser den Kopf, rennt den Flur entlang und verschwindet. Rones vernimmt ein Scheppern. Deftiges Fluchen, ein lautes: »Entschuldigung, Gebieter!«, danach Schritte und eine metallene Tür, die zugeschlagen wird. Aus der Dunkelheit erklingen zwei junge Männerstimmen. »Was war denn mit dem los? Ich sag es dir. Die Soldaten hätten wir alle umbringen sollen, die sind zu nichts zu gebrauchen. Unnützes Pack!« Aus dem Schatten treten zwei fast gleich große Männer. Der linke nennt sich Vendir. Von der Rüstung her lässt sich vermuten, dass dieser aus der gleichen Armee stammt wie der bereits eingetroffene Arathiel. Wenn er ihn genauer betrachtet, dann könnte dieser sogar sein Sohn sein. Eine imposante Erscheinung ist ihm zu Eigen geworden. Die blonden Haare kurz geschnitten, den Helm trägt er unter dem Arm. Einen Bogen hat er sich umgeschnallt, den Köcher trägt er an der linken Seite der Hüfte. In einem Brustgurt stecken diverse Wurfmesser, seine Augen sind lila. Kein Zweifel, dies muss der Sohn von Arathiel sein. Doch wer ist der andere neben ihm? Ein wunderschönes Antlitz ziert ihn, lange schwarze Haare fallen ihm ins Gesicht, die Augen, eines braun, das andere gelb, wie die eines Raubtieres. Eine x-förmige Narbe zieht sich über seine Wange. Rones sieht keine Waffen an ihm. Wenn er welche trägt, dann werden diese durch den langen Mantel in Königsblau verdeckt. Auf seiner Stirn ist ein roter Edelstein befestigt. Einen solchen Stein trug doch auch vorhin die wunderschöne Frau. Ob sie miteinander verwandt sind? Dennoch ist vor allem der Gesichtszug anders. Er wirkt weniger bleich als die Frau, ja hat sogar Gesichtszüge, wie er sie sonst nur von Handelsreisenden aus dem weiten Osten kennt. Als die Generäle an Rones vorbeigehen, vernimmt er den Namen des Generals mit dem wunderschönen Gesicht: Vandar. Welch seltsame Namen dieses Volk hat. Aus der Ferne vernimmt er hastige Schritte, sein Wachkollege kommt angestolpert. Wie man in einer solchen Rüstung so schnell rennen kann, ist Rones ein Rätsel.
Keuchend bleibt er stehen, stellt sich an seiner alten Position hin. Ein paar Sekunden später ruft er laut: »Eure Gefährten sind auf dem Weg und werden in wenigen Momenten eintreffen.« Keine Antwort im Inneren des Raumes.
Schweißgebadet lehnt sich der Mann an die Mauer. Rones reicht ihm ein Tuch, um den Schweiß wegzuwischen. Er nickt dankend, setzt den Helm ab und fährt sich damit über die Stirn. Als er das Tuch zurückgeben will, winkt Rones dankend ab. »Behalt es, Freund, je nachdem was die noch wollen, wirst du es vielleicht erneut brauchen.« Er versucht, ihn aufmunternd anzulachen, dieser quittiert das mit einem freundlichen Blick und spricht zum ersten Mal Rones direkt an. »Danke, die Rüstung bringt mich noch um. Wie heißt du?« Rones reicht ihm die Hand. Er nimmt den Griff dankend an und Rones hilft ihm, sich wieder aufrecht hinzustellen. »Mein Name ist Rones. Im Gasthaus haben wir uns bestimmt einmal gesehen, aber der Gerstensaft vernebelte wohl unsere Sinne. Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Mich auch, ich bin Demond.«
»Demond? Von der Demond Handelsfamilie?«
Der andere nickt nur.
»Aber warum …«
»Wir haben alles verloren. Nach dem Einfall der schwarzen Generäle waren unsere Güter nichts mehr wert. Niemand wollte Vasen oder andere Luxusgüter kaufen. Nun bin ich als Wache eingeteilt, mein Vater arbeitet in der Küche des Gasthauses. Du musst dir das mal vorstellen, wir reden hier von meinem Vater. Der war letzten Sommer noch nicht mal fähig, ein Lagerfeuer zu entfachen. Meine Mutter ist überall da, wo man sie braucht. Teller waschen, den vollgerotzten Boden im Gasthaus reinigen, im kleinen Tempel die eitrigen Verletzungen der Soldaten reinigen. Es ist so furchtbar.«
Rones legt ihm eine Hand auf die Schulter, schüttelt seinen Kopf. »So leid es mir tut, ihr habt euch wenigstens noch. Viele haben ihre Angehörigen verloren. Sei dankbar, dein Leid trägt keinen Verlust in sich.« Im Gang erklingen hastige Schritte. Aus der Dunkelheit schälen sich zwei äußerst reizende Frauen heraus. Jriane lässt die Augen von Rones sich deutlich weiten. Was für ein Prachtweib, die wippende Oberweite ist trotz des Brustpanzers und Ausschnitts gut zu sehen. Die metallglänzende Peitsche schreckt nicht wesentlich ab, nur die Narben lassen erahnen, dass es sich hier um eine kampferprobte Frau handelt. Ihre strahlend blauen Augen wirken wie Nadelstiche, faszinierend und doch flackert in ihnen Dämonisches und Bedrohliches. Die Haut ist sichtlich bleicher als die eines normalen Menschen. Neben ihr läuft Loraine. Gerüchte sagen, dass Loraine von einem Kontinent stammt, bei dem sportliche Wettkämpfe Tradition haben und Gladiatorenkämpfe bis zum Tode durchgeführt werden. Sie hat lange blonde Haare, die im Laufwind hin und her wehen. Ihre Augen sind schwarz mit weißen Schlitzen und so bedrohlich wie die einer Giftschlange. Sie trägt einen Brustpanzer aus dem seltenen Dunkeleisenerz. Ein weißblauer kurzer Rock ziert ihren Unterleib. Auf den Rücken ist ein Rundschild geschnallt und es ist der Knauf von einem Langschwert unter diesem zu erkennen. Die Wachen lassen sich nichts anmerken und atmen erleichtert auf, als die beiden Frauen im Kriegssaal verschwinden. Mit einem lauten Knall schließen die Tore, die metallenen Scharniere klingen nach. Rones blickt seinen neu gewonnenen Freund an. »Denkst du, dass unser Leitspruch auf dem steinernen Tisch Beachtung finden wird?«
Demond lacht auf. »Du gedenkst zu scherzen. Es sind uralte Schriftzeichen der Menschen, von den Teilnehmern da drin kann diese bis auf Astor niemand entziffern.«
Rones nickt ihm zu. Mit andächtiger Stimme spricht er: »Wer an der steinernen Tafel seinen Platz beansprucht, setzt sich ein für Wohl, Friede, Gerechtigkeit und zum Schutze des Volkes.« Seine Stimme verändert sich zu Hohn. »Ein Credo, das in dieser Runde sicherlich keine Beachtung finden wird.« Er spuckt auf den Boden und spitzt seine Ohren.
Die Generäle sitzen an einer großen runden Tischplatte aus dunklem Marmor. Es herrscht Disziplin, niemand spricht. Vier Sitze sind leer. Die von Suvus und Gysal, beide gefallen im Kampfe gegen Targor. Der Sessel von Migrimm, der sich auf Mission in den Schattenländern von Arothar befindet und schlussendlich der Sessel von Astor. Verstoßen durch die eigenen Reihen. Toratus erhebt sich, geht ein paar Schritte in den Raum, dann hallt seine Stimme durch das Gemäuer: »Nach langem Warten sind wir hier versammelt. Das Land, welches uns einst entrissen wurde, wird wieder uns gehören: Wir töten die vier Könige der zusammenhängenden Reiche.«
Arathiel meldet sich zu Wort. »Mein Gebieter, warum ausgerechnet diese vier Reiche?«
Toratus schreitet zum Steintisch, auf dem eine Karte ausgerollt ist. »Dies ist die Karte, die ich euch gezeigt habe. Hier am weiten Meer von Basaltar befindet sich Arisland. König Sczar ist bereits nicht mehr. Ashgoroth liegt hier, dort regiert König Amuraviel.« Sein Finger streift weiter über die Karte. »König Vargor - im Dorf der Diebe haben die Schattenwesen zwar versagt, doch das Volk hatte lange mit Drachen zu kämpfen. Von hier müssen wir keine starke Streitmacht befürchten.« Sein Finger gleitet über eine Gebirgskette. »Hier liegt Arothar, dort haben wir Migrimm stationiert. Wenn Targor die Königreiche wieder vereinen will, dann muss er diese Ländereien noch erreichen.« Mit der Faust schlägt er auf zwei Gebiete der Karte. »Aoldanar wird bevölkert von Barbaren, unser Ziel ist ein gewisser Arachon und Goroth’Bel! Und hier, neben Aoldanar, wartet ein hartes Stück auf uns. Der König der Zwerge, Glemdor, er wird ein würdiger Gegner sein. Insbesondere die Zwergengemäuer werden uns fordern. Je schneller wir jetzt angreifen, desto einfacher wird die Eroberung sein. Wenn Targor all diese Könige vereint, dann steht uns eine Streitmacht gegenüber, die unser Volk von langer Hand damals von diesem Kontinent vertrieben hat. Wir holen uns zurück, was uns einst gehörte. Durch das Töten der Könige wird der Widerstand brechen. Wenn diese Königreiche gefallen sind, dann werden wir weitere Ländereien ins Chaos stürzen. Wir töten, wir erobern, bis dieser und all die anderen Kontinente uns gehören. Unser Volk wird wieder zu Göttern, als die man uns angebetet und gefürchtet hat!«
Bragdols tiefe Stimme erklingt. »Was ist unser nächster Schritt?«
Ein hämisches Grinsen umgibt das bleiche Gesicht von Toratus. »Solaine und Arathiel, macht euch auf den Weg nach Ashgoroth und stattet König Amuraviel einen Botenbesuch ab. Lasst ihn wissen, dass der Tod auf ihn wartet, wir werden ihn mit unserem Heer überrollen. Du, Loraine, nimmst dir einen Flugdrachen und unterstützt Migrimm in Arothar, der Rest mobilisiert sein Heer und rückt allmählich an die Grenzen von Ashgoroth auf. Bevor wir die Stadt verlassen, werden wir diese dem Erdboden gleichmachen. Bringt alle um, soll Astor über ein Reich der Toten herrschen.«
Gelächter erklingt aus den Räumlichkeiten.
Draußen vor der Tür schluckt Rones schwer. Entschlossen zum Handeln ballt er die Faust. Die Schänke im Dorf von Arisland. Ben wird ihm sicherlich helfen. Er hat bereits dem Magier zur Flucht verholfen, seitdem gilt das Gasthaus von Ben als geheimer Unterschlupf für Intrigen und Fluchtversuche aus dieser Sklaverei. Rones rennt los, lässt den verdutzten Demond stehen. »Hey, wo rennst du hin? Verlassen des Postens wird streng bestraft.«
»Komm mit oder lass es.«
Demond rennt Rones hinterher.
Niemandem fällt es auf, als sich drei Drachen in die Lüfte erheben. Während Loraine nach Arothar steuert, fliegen Solaine und Arathiel in Richtung Ashgoroth.
Hoch sitzt ein alternder Mann auf dem Hügel, sein Blick ist zufrieden in die Ferne gerichtet. Ein großer, reich verzierter Holzstab, steckt neben ihm im Boden. Seine Robe flattert im Wind. Sanft streicht die wirbelnde Luft über sein Gesicht, zerzaust die langen Haare und den weißen Bart, die unter der Magierkapuze hervorschauen. Im Laufe der Jahre sind die Augenbrauen in die Länge gewachsen. Trotz seiner schneeweißen Haare und der Tatsache, dass er ungelenk wirkt, so ist der Anführer des Magierordens ein Gegner, den man nicht unterschätzen darf. Viele Schlachten hat er in den verschiedenen Ländereien erlebt, unzählige Gegner sind seinen magischen Fähigkeiten bereits erlegen. Nun ist es wieder soweit: Erneut muss er in den Krieg ziehen. Seine Lippen bewegen sich lautlos, rezitieren immer wieder seine stärksten Zaubersprüche.
»Gromswell?« Der alte Mann wird aus seiner Träumerei geweckt. Ein Anhänger des Magierordens steht neben ihm. Gromswell sieht zu ihm hoch, hält dabei mit einer Hand seine Kapuze fest, da der Wind ihm diese ansonsten vom Kopf weht.
»Mein lernwilliger Adept. Ich hoffe, ihr habt euch alle ausgeruht.« Er nickt seinem Mentor zu. »Die Pferde hatten genug Rast, wir können weiterziehen. Die Türme von Ashgoroth sind bereits zu erkennen. Wenn ich den Hurensohn erwische, der die Brücke gesprengt hat …!«
Gromswell verlangt nach dem Arm von Maltos und lässt sich auf die Beine ziehen. Er schaut Maltos lächelnd in das braun gebrannte Gesicht. »Den Zeitverlust werden wir wieder reinholen, wir mussten nicht zum ersten Mal die Schlucht umreiten. Sag mir, Maltos, welche Verbindung verspürst du zu meiner Heimat?«
Der braungebrannte Spross erhebt seinen Arm, um seine Augen von der bissigen Böe zu schützen. »Was fragt ihr mich so wirres Zeug? Fragt ihr mich das nur, weil ich nicht aus der Gegend stamme und weit angereist bin aus dem fünften Königreich?«
Gromswell leckt sich den Staub von den Lippen. »Ist es denn nicht befremdlich für dich? Geboren hinter dem Lande der Zwerge, aufgezogen von Geisterbeschwörern, Schatten- und Blutmagiern. Dein Stamm hat viel Blut vergossen, doch nicht für andere, sondern nur für sich selbst. Nach so vielen Jahren bist du kurz davor, die Schattenmagie zu meistern.« Er blickt nochmals in die Ferne und seufzt auf: »Ach, vergiss meinen gedanklichen Schwermut, los weiter mein Junge, wir werden sicherlich innig erwartet!« Gromswell greift nach seinem Holzstab. Die Magierkarawane ist bereit. Er setzt sich auf den vordersten Wagen und gibt das Zeichen für die Weiterfahrt. Der Angriff von Toratus und Migrimm hat ihm viele Freunde genommen, dafür werden sie büßen. So viele gute und liebe Menschen sind gestorben. Maltos reitet seitlich des Wagens. »Sag, mein Junge, stört es dich nicht, dass der Krieg scheinbar keinen Sinn ergibt?«
Maltos schüttelt den Kopf. »Ich glaube, ich verstehe Eure Frage nun. Kriege wurden für weitaus weniger geführt, ja sogar nur wegen einer törrichten Liebschaft. Mein Ziel ist es zu verhindern, dass dieser Krieg meine Eltern erreicht. Oftmals werden wir zu einer Tat gezwungen, obwohl wir nicht verstehen, warum es so ist. Ein Krieg kümmert sich nicht um Abstammung, Blutlinie oder Gesinnung.«
Gromswell nickt, versinkt tief in seinen Erinnerungen aus früheren Zeiten.
»Ihr treibt mich noch zur Weißglut, was für ein Dämon hat euch geritten, als ihr die Treppe mit Öl eingestrichen habt? Findet ihr es lustig, wie zerschunden die Mitglieder des Priesterordens zur Versammlung erschienen sind? Euch war sehr wohl bewusst, wie schlecht es um die politische Beziehung zwischen uns Magiern und den Priestern steht, diese Tat ist unverzeihlich.« Vor ihm knien zwei Jungen, ihre Arme haben sie seitlich ausgestreckt, die Handflächen zeigen nach oben: Auf ihnen liegen dicke, staubige Magiebücher mit heraushängenden, losen und vergilbten Seiten. Ihre Arme zittern, der Schweiß rinnt ihnen über das Gesicht. Beide Jungen zeigen rote Wangen und blutige Lippen, ihre Blicke halten sie gesenkt. »Lyllith, Belgamor: Ihr seid die Schande des Magierordens, auch wenn euer Talent herausragend ist, so habt ihr keine Narrenfreiheit!« Gromswell stellt sich vor die beiden. »Schaut mich gefälligst an, die Schelte gilt euch beiden, nicht den Wänden.«
Lylliths Blick erhebt sich zuerst. »Die Priesterinnen schauen auf uns Magier herab, als seien wir ein Nebenprodukt der Magie unseres Landes. Insbesondere die jungen Adepten verspotteten uns.«
Belgamor mault Lyllith an. »Halt deinen Mund, wir wollten nichts verraten.«
Gromswell klatscht in die Hände. »Ich bin erstaunt, ich dachte ich muss euch grün und blau schlagen, bis ihr endgültig redet. Also entstand dieser üble Streich aus Rache?«
Den Blick wieder tief gesenkt, umfasst die Hand des Meisters den Kiefer Lylliths. Hart pressen die Finger seine Wangen zusammen. Als er mit der rechten Hand zu einer Ohrfeige ausholen will, erhebt sich der Blick von Belgamor. »Lass ihn in Ruhe!«
Gromswell ist sichtlich irritiert über das Verhalten seines Schülers. »Für euch scheint das Leben nur ein Spiel zu sein. Ihr gebt euch immer so erwachsen, dann übernehmt auch die Verantwortung für euer Handeln.« Erneut holt die Hand von Gromswell aus, die Augen von Belgamor verändern sich, ein tiefes Knurren verlässt die Kehle des Jungen, spitze Zähne ragen aus seinen Kiefern, das Gesicht zu einer Fratze entstellt.
Gromswell lässt erschrocken von Lyllith ab.
Gromswell zuckt erschrocken zusammen, die Bodenwelle hat den Karren ungemütlich durchgerüttelt. Knarzend und quietschend stoppen die Karren vor den großen Toren von Ashgoroth; nichts tut sich. Langsam packt er seinen Stab, eine leuchtende Kugel erhebt sich, gleitet wie ein Strahl zum Himmel und verschwindet. Soldatenhelme lassen sich hoch auf den Mauern erblicken. Laut ruft Gromswell empor: »Unsere Reise war unbequem und es eilt. Man möge dem Magierorden von Arisland die Pforten öffnen, wir bitten um Audienz bei König Amuraviel.« Keine Reaktion. Ehe der Magier erneut seine Stimme erheben muss, beginnt sich das große Tor knirschend in Bewegung zu setzen.
Die Magier trauen ihren Augen kaum: Auf dem Vorplatz herrscht ein immenses Durcheinander. Soldaten und Knappen laufen mit Waffen herum, beladen Kriegskarren mit Proviant, Zelten, Werkzeugen und Ausrüstung. Kräftige Stiere werden an Katapulte gespannt, Schmiede verrichten ihre Tätigkeit direkt auf dem öffentlichen Platz, um Schwertern, Pfeilen und Lanzen den letzten Schliff zu verpassen. Männer und Frauen in Rüstungen stehen in Reihen, ein Schmied biegt hin, wo es just drückt. Die Magierkarawane findet am Rande einen Platz, muss möglichst nahe aufeinander aufrücken. Der alte Magier lässt seinen Blick schweifen. Es riecht beißend nach Kohle in der Luft, der Rauch brennt in den Augen. Bei dem Lärm sind die Worte schwerlich zu verstehen. Endlich sieht Gromswell die Person, nach der er gesucht hat. Hoch zu Rosse trabt er durch die Menschenmasse, immer gefolgt von drei weiteren Soldaten zu seinem Schutz: König Amuraviel. Gromswell steigt von seinem Wagen. Alles was er jetzt noch tun muss, ist die Aufmerksamkeit des Königs zu erhalten. Er schließt seine Augen. Vor seinem geistigen Auge sieht er den König. Der Magier spricht leise Worte, woraufhin Amuraviel zusammenzuckt. Hastig dreht dieser sich um, hat er doch soeben eine Stimme in seinem Kopf vernommen. Sofort lenkt der König sein Pferd mit der Bewegung des Zügels zu dem Magier und seiner Gefolgschaft, hebt sich beschwerlich aus dem Sattel. »Gromswell, seid gegrüßt. Immer wieder eindrucksvoll.« Der alte Mann nickt ihm zu. König Amuraviel lacht laut und voller Freude, als er ihm die Hand reicht. »Wie beruhigend, den Anführer des Magierordens und seinen Orden hinter sich zu wissen. Ich habe vermutet, dass weitere Verbündete von Targor ankommen müssen. Doch die Person, auf die ich dringend warte, ist noch nicht eingetroffen. Dies bereitet mir Sorge.«
»Ihr meint Lyllith?«
Der König nickt ihm zu. »Wie Ihr seht, bereite ich mein gesamtes Heer darauf vor aufzubrechen. Wir werden gen Osten marschieren und am See der Toten Stellung beziehen. Egal, wer sich uns anschließt, wird an dem See vorbeikommen müssen oder diesen Standpunkt direkt auswählen. Dort können wir die schwarzen Generäle und ihre Streitmacht am besten abfangen. Wir brechen in der Nacht auf.«
Gromswell nickt ihm zu. »Nun, ich habe nichts anderes erwartet. Auch ich habe viele Schlachten erlebt und mir gefällt der taktische Gedanke, am Gewässer zu kämpfen. Ich habe für jedes Element die richtigen Magier dabei, von den Erd- und Feuermagiern sind beim Überfall die meisten gefallen. Ich werde veranlassen, dass sich meine Magier auf die Posten verteilen und diese nach bestem Gewissen unterstützen.«
»Habt Dank!«
Aus den hinteren Reihen erklingen Jubelrufe und Gelächter. Gromswell dreht sich um. »Was ist denn da hinten los?« Als er die Reiter sieht, erhellt sich sein mürrischer Gesichtsausdruck. Lyllith mit einer Frau auf dem Pferd und Jailles. König Amuraviel geht, gefolgt von Gromswell, den Reisenden entgegen.
Als Lyllith den König in Begleitung Gromswells sieht, hebt er Arine vom Schoß und lässt sie an einer Hand vom Pferde gleiten. Lyllith und Jailles verbeugen sich vor dem König hoch zu Ross, während Arine einen eleganten Knicks macht. Jailles schluckt nervös. »Gelobet dem König, wir sind hier, um uns Euch anzuschließen.«
Ehe der König den Gruß erwidern kann, tritt Gromswell hervor. »Warum seid ihr so spät? Ihr solltet mindestens einen Tagesritt Vorsprung haben.«
Jailles schaut lächelnd auf Arine, als er sich vom Sattel erhebt und vom Pferde steigt. »Bitte verzeiht, aber wir haben einen Umweg nach Remsglok gemacht und mit einer Frau reitet es sich weniger schnell.«
Empört schaut Arine zu Jailles. »Hey, das ist jetzt –« Arine will sich weiter beschweren, als Lyllith sie unterbricht. »Wir haben auf dem Weg ein paar Handelsreisende getroffen, die brauchten unsere Hilfe. Wir mussten die Schlucht umreiten und sind in einen Hinterhalt der Orks geraten. So haben wir einen Tagesritt verloren.« Auch er steigt nun vom Pferd, stellt sich hinter Arine, legt ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter.
Gromswell blickt Lyllith fragend an. »War bei euch die Brücke auch zerstört?«
Dieser hustet. »Brücke? Ach so. Ja, die Brücke. Böse Orks, ich wusste gar nicht, wie mächtig ihre Elementarmagie ist. Wir sind nur knapp mit dem Leben davongekommen.« Er kratzt sich verlegen am Kopf, als er die bösen Blicke von Arine und Jailles sieht.
Gromswell nickt schwach. »Um die sollten wir uns bald kümmern. Die Schamanen sind bereits eine enorme Bedrohung. Das Wissen über eine solche Zerstörungskraft macht sie zu einer ernstzunehmenden Gefahr.« König Amuraviel räuspert sich. »Alles zu seiner Zeit. Nun gut, euch habe ich dringend erwartet. Die Ankunft wurde mir von Targor bereits angedeutet. Targor ist mit seinen Begleitern weitergezogen und sollte sicherlich das Dorf der Diebe erreicht haben.«
Der alte Magier stutzt: »Das Dorf der Diebe? Aber warum?«
Amuraviel bringt Gromswell mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Bitte folgt mir in meine Gemächer, hier ist es zu unruhig. Es wird Zeit, sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. Heute Nacht brechen wir auf.«
Jailles schaut den König fragend an. »Wohin brechen wir auf?« Der König vernimmt seine Frage nicht mehr und schreitet voran. Arine stupst Lyllith mit dem Ellbogen in die Hüfte. »Da hast du aber geschickt abgelenkt. Woher wusstest du, dass der alte Mann auf die Orks so reagieren wird?« Sein Gesicht strahlt vor Triumph: »Die Schamanen der Orks sind die wahren Finder und Behüter der Elementarmagie. Wir als Magier können sie zwar erlernen, aber wir benötigen Hilfsmittel, um deren Wirkung zu verstärken. Für den Großmeister ist dieses Wissen wie Gift, der Neid frisst ihn förmlich auf.« Kaum ein paar Schritte gegangen, schubst sie ihn erneut an. »Doch woher haben wir die Elementarmagie dann erlernt?« Der ermahnende Blick des Königs lässt die Antwort nicht zu.
Die Dunkelheit legt sich über das weite Land. Die ersten Umrisse der Monde stehen am Himmel. Im Wald ist die Dunkelheit erdrückend, doch ein Feuer würde unsere Position verraten. Ich reibe ungeduldig meine Hände, meine Fäuste presse ich aufeinander, so dass die Knochen der Finger laut knacken. Rayne legt ihre Hand auf die meine: »Was ist los? Du bist doch sonst nicht so nervös.«
Ich blicke zu ihr: »Als Gor und ich auf Nahrungssuche waren, ist uns ein Flugreitdrache aufgefallen, der eine Stellung angeflogen hat. Einen solchen Drachen kennen wir bereits von Gysals Angriff im Dorf der Diebe. Ich fragte mich, ob dieser Drache einem dieser verfluchten Generäle gehört.«
Sie nickt: »Genau dies wollen wir nun herausfinden.« Leashes spricht mit leiser Stimme: »Wenn wir weiter in das Landesinnere vordringen wollen, müssen wir an dieser Stellung vorbei. Los jetzt!«
Dicht gefolgt von meinen Gefährten, nähern wir uns der Wachanlage. Sie sollte nicht mehr weit entfernt sein. Auf einem hölzernen Turm erkennen wir einen Spähposten. Leashes hat sich von uns entfernt und erkundet die Gegend. Als er wiederkommt, halten wir die Köpfe nahe beisammen. Leise flüstert er: »Es sind Schattenwesen. Somit ist dies der Grenzübergang nach Arothar. Die sehen nicht sehr freundlich aus und es ist nicht nur ein Spähposten, der hat Pfeil und Bogen bei sich. Wir müssen aufpassen. Sollten sie in irgendeiner Form etwas Ungewöhnliches hören oder sehen, werden sie sich in die Schatten zurückziehen und für uns zu einem richtigen Problem werden.«
Ich nicke Leashes zu, doch Rayne ist unzufrieden. »Wenn es Schattenwesen sind, warum haben wir auf die Nacht gewartet? Jetzt ist alles voll von Schatten, wie sollen wir da noch wissen, was echt oder unecht ist? Ihr seid mir ja Strategen, sagt doch das nächste Mal gleich, dass ihr keinen Plan habt.« Genervt verschränkt sie ihre Arme.
»Jetzt spiel dich nicht auf. Wenn man keine Ahnung hat, dann Fresse halten. Die Schattenwesen können nicht beliebig lange in einer Schattenform bleiben. Die Dunkelheit hilft auch uns enorm!«
Leashes verschränkt ebenfalls seine Arme, ihre Köpfe drücken sie agressiv gegeneinander. Ich schiebe meinen Arm zwischen die beiden. »Steid still, habt ihr eure Tage oder wollt ihr uns gleich umbringen?« Die beiden Köpfe drehen sich mit todbringenden Blicken zu mir. Ich versuche flüsternd zu beschwichtigen: »Wir hatten schon das leidige Vergnüngen mit den Wesen. Mittels einer starken Lichtquelle kann man sie gut orten. Das Beste wird sein, wenn wir sie so leise und schnell ausschalten, wie es nur geht und uns durch die Stellung schleichen. Wer uns im Weg steht, wird getötet, den Rest umgehen wir.«
Rayne schüttelt den Kopf. »Warum umgehen wir die Stellung nicht? Ein halber Tag mehr oder weniger fällt uns nicht ins Gewicht.«
Ich schüttle meinen Kopf. »Und ob das ins Gewicht fällt. Je schneller wir die Könige überzeugen, desto schneller sind diese mit ihrer Armee kampfbereit. Außerdem muss ich wissen, ob sich hier ein weiterer General eingefunden hat. Keine Diskussion mehr.« Meine Gefährten sind mit dem Vorschlag leidlich einverstanden. Als Rayne an mir vorbeischreitet, halte ich sie am Gürtel fest. »Nicht so schnell, meine Teuerste. Wickelt eure Gegenstände mit diesen Blättern und Fasern ein. Die dämpfen ab. Schmiert euch Erde ins Gesicht, verdreckt eure Schwertklinge und Rüstung. Diese könnten das Feuer reflektieren und uns verraten.« Ich schmunzele vor mich hin, als ich Rayne die feuchte Erde ins Gesicht schmiere. Leider müssen auch ihre hellen Haare dran glauben.
Angewidert seufzt sie, stampft mit dem Fuß auf und ballt die Fäuste, als die matschige Erde feucht über ihre Haare gleitet. »Das ist eklig, wenn wir hier durch sind, brauche ich ein Bad.« Ihr Kommentar wird von einem leisen Kichern kommentiert. Nach einigen Atemzügen stehen wir alle bereit.
Bereit? Als ich Leashes und Gor betrachte, sind ihre Gesichter nahezu unverdreckt. Rayne atmet erbost auf. Noch ehe sie ihre Stimme erheben kann, streiche ich den beiden Herren eine handvoll Erde ins Gesicht. Wenigstens ist Rayne zufrieden, dafür schauen mich Gor und Leashes sauer an. Gor spuckt einige Erdreste aus, streicht sich verärgert durch den Bart.
Wir schleichen unbemerkt am ersten Wachposten vorbei, der sich auf dem Turm befindet. Knackende Äste der Gebüsche und Bäume könnten unser Verhängnis sein, daher ist gutes Vorantasten gefragt. Normalerweise werden Bäume in unmittelbarer Nähe gefällt, damit nimmt man Gegnern den Vorteil der Überraschung, doch hier hat man dies vernachlässigt – zu unserem Glück.
Wir verstecken uns hinter breiten Baumstämmen, als zwei Späher an uns vorbeipatrouillieren. Leise ziehe ich einen Dolch aus dem Gürtel von Rayne, blitzschnell verlasse ich meine Deckung. Die erste Wache steht nach hinten versetzt, beide drehen sie mir den Rücken zu. Meine linke Hand gleitet über die linke Schulter der echsenähnlichen Kreatur, blitzschnell ramme ich ihr die Klinge seitlich von rechts durch den Hals, mit der linken Hand greife ich hart nach dem Kiefer und breche ihr das Genick. Die scharfe Klinge stoße ich flach durch die ledrige Haut, durchtrenne die Speiseröhre. Sie kippt mit einem Ruck nach links, wo Gor bereitsteht und den leblosen Körper auffängt. Die zweite Wache dreht sich um; gefolgt von einigen Blutspritzern, schneidet sich der verschmutzte Stahl durch die schuppige Haut. Leashes legt von hinten seine Hand auf den Mund und drückt die Echse zu Boden, bis das Zucken aufhört. Danach schleifen wir die zwei Leichen in den Schutz der Bäume. Erst jetzt wird mir bewusst, wie hässlich diese Kreaturen sind. Spitze Zähne ragen aus ihrem Mund, die Zunge schlangenähnlich. Ihre Augen schwarz mit gelben Schlitzen und sie haben lange verfilzte Haare. Die Haut ist gelbschwarz, ihr Blut schwarz wie die Nacht. Ich stecke das blutbefleckte Messer zurück in die Halterung von Rayne. Sie schaut mich angeekelt an. Von Baum zu Baum huschen wir, stets auf der Lauer vor wachsamen Blicken. Die Nacht hält das ganze Land in seiner Dunkelheit gefangen. Ich blicke möglichst voraus und meine Gefährten versuchen leise zu folgen. Ich sehe keinen Gegner, winke Rayne an mir vorbei. Sie geht ein paar Schritte und bleibt geschockt stehen. Direkt vor ihr steigt ein Schattenwesen aus dem Bodenschatten: Es hat ihr den Rücken zugekehrt. Sie hält die Luft an, macht keinen Lärm. Ich mache mir Vorwürfe. Egal was sie jetzt tut, bei der kleinsten Bewegung wird es sich umdrehen. Ihre Waffe kann sie nicht ziehen, der Gegner würde das schleifende Geräusch des Metalls hören. Hinter mir vernehme ich ein leises Rascheln, das sich nach links bewegt. Gor zieht seinen Arm mit der Axt weit nach hinten, schleudert diese auf den Gegner. In der Luft erklingt ein wuchtiges Wirbeln. Ehe das Schattenwesen den Kopf auch nur in die Richtung von Rayne drehen kann, zieht die Klinge an Raynes Kopf vorbei, die Schneide trennt einige der hervorstehenden Haare ab und hackt mit einem stumpfen Klang quer in den Schulterbereich des Wesens. Rayne zuckt erschrocken zusammen und instinktiv springt sie dem Wesen auf die Schulter und presst ihm beide Hände auf den Mund. Leashes ist rasch zur Stelle, zieht dem Wesen das Messer über den Hals. Tot kippt das Wesen um, Rayne kann es soeben noch halten. Dankend nickt sie Gor und Leashes zu, dieser geht langsam voran, zieht mit einem schmatzenden Geräusch die Klinge aus dem Kadaver. Es geht mehr schlecht als recht voran. Immerhin hat noch niemand Alarm geschlagen. Da das Wetter angenehm ist, schlafen viele der Wachen gleich vor den Häusern. An einigen Orten um die Feuerstellen haben sich Ansammlungen von Wesen gebildet. Sie liegen auf dem Boden, Strohdecken halten sie warm. Einige schlafen auf der Seite, die anderen auf dem Rücken oder Bauch. Das Szenario erinnert mich an Bilder aus den Schlachten, in denen abgeschlachtete Bürger so hingelegt wurden, zugedeckt durch ein Tuch oder Laken. Leashes schubst mich an, ich gehe weiter. Wir versuchen, einen möglichst großen Bogen um die Lagerstädte zu machen und uns vor dem Schein des Feuers verdeckt zu halten. Seitlich von uns sehen wir ein Haus mit Gitterstäben. Der Bau gleicht einem Gefängnis. Ob sie aktuell Gefangene hier halten? Ich verwerfe den Gedanken wieder, dies kann im Moment nicht mein Problem sein. Wir schleichen uns hinter einigen Hütten durch, der schwierigste Moment folgt nun: Ein Soldat sitzt zwischen uns und der nächstbesten Deckung, um zur letzten Gebäudesiedlung zu gelangen. Erst danach können wir den Ort hinter uns lassen, um weiter ins Landesinnere zu ziehen. Die Person mit dem Flugdrachen befindet sich vermutlich in einem dieser Gebäude.
Die Wache sitzt zu nahe am Feuer. Sie ungesehen zu überwältigen, ist nicht möglich. Rechts von uns steht eine Gruppe von Wesen, die mit Krügen anstoßen, hat uns jedoch den Rücken zugedreht.
Ich lege meine Stirn in Falten, Gor sieht mir meinen Gedanken an und schüttelt den Kopf. Er hat recht, es ist keine Hilfe eine ganze Wachstation dem Erdboden gleich zu machen. Leashes kriecht auf dem Boden unter ein Gebüsch, beobachtet die Wachen, wühlt im Erdboden und zieht ein paar Steine raus. Er winkt uns näher zu sich. »Hergehört, ich habe eine Idee. Ich werde die Wache vom Feuer weglocken. Ich werfe den Stein hinten in die Dunkelheit, das Schattenwesen wird der Geräuschquelle folgen. Wir kommen dann einfacher vorbei. Hoffen wir nur, dass sich die anderen dort drüben nicht umdrehen.«
Rayne schaut ihn misstrauisch an, tippt mit dem Finger auf die Steine. »Und du willst ihn mit den Steinchen weglocken? Hören diese Echsenwesen gut?«
Er schaut auf seine Hand und gräbt nochmals im Erdreich, zieht einen noch größeren Stein hervor.
Ihre Blicke treffen sich erneut. »Besser?«
Sie nickt ihm zu.
Leashes kriecht nach hinten, kniet sich hin, während er zum Wurf ausholt. Mit viel Schwung wirft er den Stein in einem hohen Bogen über das mannshohe Gestrüpp. Wir alle beobachten die Flugbahn des Steines. An der höchsten Stelle verzieht sich unsere Miene. Der Stein rast vom Himmel, knallt auf den Kopf der Wache. Diese kippt ohnmächtig um, ein lautes Scheppern erklingt von der Rüstung. Die feiernden Wachen drehen sich verdutzt zu ihrem Kameraden und rennen zum Gefallenen. Leashes steht fassungslos da und hebt die Schultern, als ich ihn böse angucke. Da hilft nichts, ich renne aus der Deckung, ziehe mein Schwert aus der Halterung und Gor folgt dicht hinter mir. Die Wachen sehen mich und schlagen Alarm. Mit großen Sätzen haste ich auf den vordersten Wachmann zu, hole zu einem Hieb aus. Die Wache reißt ihren Schild nach oben. Die Wucht des Hiebes fetzt durch den oberen Teil des Schildes und trennt ihr den Kopf von den Schultern. Die zweite Wache ist intelligenter und rennt rasch zu den anderen Wachen. Ich winke zu meinen Gefährten und schreie ihnen zu. »Los, schlagt keine Wurzeln, wir töten sie alle und ziehen uns ins Landesinnere zurück!« Instinktiv bremse ich meinen Lauf, vor mir rast ein Feuerball vorbei, zerbirst an einem Baum und steckt den Wald in Brand. Die Stimme erklingt von der Seite der Wachstellung.
»Nein, das werden wir zu verhindern wissen!« Ich drehe mich zur Stimme um. Ein Mensch, gekleidet in der feuerroten Robe eines Magiers. Seine Augen funkeln bedrohlich im Schein des Feuers, Rauchschwaden ziehen in den Himmel. Er hält seinen Magierstab in beiden Händen, als würde er sich damit schützen wollen. Im Hintergrund erklingt Waffenrasseln, die erste Verstärkung kommt angerannt. Aus den Schatten steigen die Gestalten, mit zischenden Lauten entsteigen sie ihren Schattengräbern. Unser Fluchtweg ist blockiert. Gor stellt sich neben mir auf, Leashes und Rayne verlassen ihr Versteck, rennen zu uns. Mit einem Finger zeigt der Magier auf uns und schreit: »LOS, FASST DAS GESINDEL!«
Zwei Schattenwesen mit Schwertern rennen auf mich zu. Ich ducke mich unter dem ersten Hieb weg, den anderen pariere ich mit dem Schwert, greife mit meiner Hand nach der seinen, drehe dem Feind die Klinge auf die Seite. Hastig stoße ich den Knauf in die Kehle des Schattenwesens. Von hinten greift das andere Wesen an, will mir die Klinge über den Rücken ziehen, doch ich tauche unter dem Hieb durch. Meine Schneide gleitet durch den Hüftbereich des Wesens, es sinkt gurgelnd zu Boden. Während der andere Gegner hustend auf dem Boden verweilt, ramme ich ihm von hinten die Spitze meines Schwertes durch den Rücken. Schmatzend gleitet die Klinge aus dem Körper des Feindes. Zwei Wurfdolche sirren an mir vorbei, hacken sich in den Kopf und in die Brust zweier weiterer Angreifer. Es werden immer mehr, aus allen Gebäuden erscheinen Wachen. Mit Knüppeln, Stangenwaffen und Schwertern umzingeln sie uns. Gor schwingt seine mächtige Axt, schafft hinter uns Platz. Gegner, die nicht zurücktreten, tragen tiefe Schnittwunden davon. Rayne hält ihren Schild zum Schutze hoch, ein Schrei entweicht ihr, als ein Schwert auf ihren Schild trifft. Ich kann nicht sagen, ob es gewollt ist oder nicht, zumindest findet ihre Spitze den Weg in das Gesicht des Echsenwesens und reißt ihr eine Schuppe weg. Erschrocken weichen Rayne und das Wesen zurück.
»Lumen Mithras aeterna!« Nur einen Atemzug konzentriere ich mich. Das Licht zwingt noch mehr Wesen, sich zu offenbaren. Die Schattenwesen weichen ein paar Schritte zurück, halten ihre Schilde oder Hände vor das Gesicht. Ihre Augen sind diese Art von Helligkeit nicht gewohnt.
Migrimm tritt hervor. »So, du beherrschst also die Lichtmagie! Nur schade, dass diese keinen Schaden anrichtet.« Ein lodernder Feuerkreis umgibt seinen Stab in der Luft, an dessen Spitze sich ein Feuerball bildet. Breitbeinig stellt sich der Magier hin, richtet den Stab auf mich und meine Verbündeten. Der Feuerball schießt in einem Höllentempo auf uns zu, auf dem Boden hinterlässt der Ball eine lodernde Schneise des Feuers.
Mein Schwert ruht gelassen auf meiner Schulter, mein rechter Arm zeigt ausgestreckt zum Magier, meine Haare wehen mir ins Gesicht. »Lumen scutu, fairy em sar!«
Entschlossen bleiben wir alle stehen, als die Luft vor uns bläulich aufflimmert. Der Feuerball zerbirst an meinem Schutzschild, löst sich in hunderte von Glutfetzen auf, die auf einige Schattenwesen regnen. Der Magier starrt uns an. »Woher kennst du diese Magie?«
»Migrimm, du bist ein Narr, ist das nicht offensichtlich?« Eine Frauenstimme, deren Gestalt sich aus dem Dunkeln der Häuser löst. Die Schattenwesen ziehen sich ängstlich zurück, sie überlassen dem Magier und seiner Verbündeten den Kampf. Selbst der Magier zeigt sich verwundert über das Erscheinen der Person. Die Frau tritt in das Licht des Feuers. Ihr blondes Haar weht in der Hitze der Flammen, ihr Brustpanzer wurde aus einem dunklen Metall geschmiedet. Der weiße, kurze Rock mit dem blauen Saum flattert in der Brise der Nacht. Schwarze Stiefel trägt sie, auf ihrem Rücken ist ein Rundschild mit einem Schwertknauf zu erkennen. Ein weißer Schlitz durchzieht ihre schwarzen Augen.
Ihr Blick fixiert nur mich, die anderen scheinen für sie nicht zu existieren. »Targor, mein Name ist Loraine. Ich wurde gesandt, um Migrimm an der Front zu unterstützen, nie hätte ich gedacht, dich so schnell hier anzutreffen.«
Leashes flüstert hinter mir: »Und was machen wir jetzt? Kämpfen?«
Ich nicke ihm entschlossen zu. »Ich stelle mich den beiden allein, ihr schreitet erst ein, wenn ihr wisst, was sie können. Ich sterbe von uns am wenigsten schnell, tretet zur Seite, du auch, Gor.«
Meine Mitstreiter machen keine Anstalten zurückzutreten. »Ihr dürft eingreifen, aber gebt mir die Chance, die Gegner kennenzulernen. Ich will niemanden von euch hier verlieren. Nicht heute.«
Rayne steht angespannt vor mir, sie leckt sich nervös über die Lippen, der Schwertarm zittert, doch ihre Stimme ist bestimmt. »Egal was du sagst, ich verlasse deine Seite nicht.«
Gor und Leashes tun es ihr gleich. Ich blicke in entschlossene Gesichter, ein teuflisches Grinsen fährt mir über das Gesicht, der Wind weht meine Haare zur Seite. »Nun gut, dann überlasse ich euch dreien die Generalin, ich nehme mir den Magier zur Brust.«
Langsam treten wir auseinander, Loraine lacht uns böse an. »Narren! Denkt ihr wirklich, ihr könnt es mit uns beiden aufnehmen? Oh, wie erfreut wird Toratus sein, wenn wir ihm eure Köpfe bringen!«
Ich wische das Blut der Wache von meinem Schwert und schreite auf den Magier zu. Ich behalte Loraine im Auge, doch die Frau lässt mich ohne Anstalten an ihr vorbeigehen. Unsere Blicke treffen sich wie Blitze. Wie sie mich ansieht, gefällt mir gar nicht. Sie mustert mich, aber ihr Blick wirkt nicht bedrohlich. Migrimm hat seit dem Erscheinen von Loraine kein Wort mehr von sich gegeben, er steht mit geschlossenen Augen da. Leise flüstert er eine Formel, die Luft um ihn herum beginnt zu flimmern, glühende Glutteilchen umschwirren ihn. Leise flüstere ich und spucke auf den Boden: »Na toll, ein Feuermagier, das wird eine hitzige Nacht.« Ich drehe mich nochmals zu Loraine, sie hat sich bereits meinen Verbündeten genähert. Ob die Aufteilung eine gute Idee war? Andererseits, was sollten sie gegen einen Magier ausrichten können? Dann besser gegen eine Generalin, die mit Schild und Schwert bewaffnet ist. Gor hat bewiesen, dass er ein erfahrener Kämpfer ist. Dies wird heute Abend der Prüfstein für Rayne werden, ob sie sich dessen bewusst ist? Es wird Zeit, die Fackel des Magiers auszutreten.
Rayne umklammert verkrampft ihren Schwertknauf, weiß treten die Knöchel an der Faust hervor. »Das ist Frauensache. Ihr haltet euch vorerst raus.«
Leashes tippt ihr an den Kopf, seine Stimme klingt verärgert. »Heute ist jeder Satz von dir dumm. Dir muss es die Sinne verblendet haben! Es war wohl zu heiß hinter dem Schutzschild von Targor …«
Rayne schaut Leashes entschlossen an. »All die mühsamen Lehrstunden sollen nicht vergebens gewesen sein. Lasst es mich versuchen. Irgendwann werde ich ohnehin auf mich gestellt sein.« Als sie einen Schritt vorgeht, legt Gor die Hand auf ihre Schulter. »Mädchen, denk dran, das ist kein Spiel! Es gibt keine zweite Chance. Das ist ein Kampf auf Leben und Tod – bist du dir dessen bewusst?«
Sie nickt ihm zu, schüttelt seine Hand ab. »Ich habe gut trainiert, habe viel gesehen und heute Abend will ich sehen, was ich gelernt habe. Schreitet nur ein, wenn es sein muss.« Leashes geht ein paar Schritte hin und her, ein Wurfmesser wirbelt geschickt um seine Finger, während er Rayne hinterherschaut.
Diese mustert Loraine. Ohne diese bösen Augen, wäre ihre Gegnerin bildhübsch. Loraine steht gelassen einige Schritte entfernt vor ihr. Ihr prüfender Blick weicht Belustigung, sie zieht weder ihren Schild noch ihre Waffe. »Mädchen, du siehst nicht sonderlich kampferfahren aus. Du bist vermutlich die Dienstmagd, die Targor zur Flucht verholfen hat. Ich will dir eine Kostprobe eines Kampfes auf Leben und Tod bieten. Ich hoffe, du langweilst mich nicht.«
»Du …!« Rayne springt vor, greift mit einem Schwertstreich an. Loraine weicht gelassen zurück, die Klinge saust an ihrer Kehle vorbei. »Wie geistreich.« Ein Hieb von unten nach oben geführt, doch die Hand von Rayne wird von Loraines Fuß abgeblockt. »Wenn dein Gegner so nahesteht, darfst du keine langen Bewegungen machen. Hat man dir nichts beigebracht? Ich sehe deine Bewegungen, ehe du sie durchführst.« Mit dem Schild stößt Rayne ihre Gegnerin auf Distanz, sticht in Bauchhöhe zu. Loraine tritt auf die Seite, die Klinge gleitet ins Leere. Hart umfasst sie den Arm von Rayne. »Zu langsam! Wenn du zustichst, dann schaue nicht, ob du getroffen hast. Du und deine Angriffe müssen stetig in Bewegung bleiben. Deine Gedanken müssen dem Gegner einen Schritt voraus sein.« Mit einem kräftigen Satz zieht Loraine Rayne zu sich, dreht ihr den Rücken zu und schleudert sie über die Schulter. Rayne verliert den Boden unter den Füßen, fliegt einige Schritte, sieht den Boden unter sich vorbeirasen. Sie klatscht hart mit dem Schild zuerst auf den Boden, rollt sich darauf ab. Der Schmerz rast durch ihren Arm, das hätte ins Auge gehen können. Immerhin hat sie die Klinge nicht fallen lassen, und sich damit auch nicht selbst erstochen.
Leashes will eingreifen, aber Gor hält ihn mit dem Stiel der Axt zurück. Der Dieb schreit auf, beobachtet weiterhin den Kampf.
Rayne erhebt sich, ihre Lippen zu einem Strich zusammengepresst, in ihren Augen ist Wut zu erkennen. Sie stellt sich in Kampfhaltung hin, doch dann atmet sie tief aus und wirkt dadurch entspannter. Sie kreist ihre Arme und schüttelt ihr Bein aus. Loraine steht immer noch unbewaffnet da. Sie hat keinerlei Angst vor Rayne. Im Gegensatz zu Rayne. Unschlüssig was sie tun soll, umkreist sie die Generalin, deren Blick amüsiert wirkt. Ihre Stimme ist mit Hohn versehen. »Der Kampf müsste so leicht sein, doch dein Ziel zu meinem Tod erweist sich für dich als nicht machbar. Nur ein Stich oder Streich entfernen dich vom Sieg, aber auch deiner Niederlage, ja womöglich dem Tod. Ich sehe die Angst in dir, sie wirkt wie eine Aura, droht dich zu verschlingen. Na los, ich möchte mich gerne danach mit deinen Gefolgsmännern vergnügen, greif an.«
Rayne schreit in ihrer Ohnmacht laut auf. Gor sieht den Zweifel, dennoch nähert sie sich langsam ihrer Gegnerin. Sie hat begriffen: Schild als auch Kurzschwert sind eher defensiv, nicht offensiv. Eile hilft ihr nicht, letztlich wächst die Entschlossenheit zu einem Angriff. Sie geht Schritt um Schritt auf ihre Gegnerin zu. Noch befindet sie sich außerhalb des Schwungbereiches ihres Schwertes. Mit jedem Vorrutschen nähert sie sich und noch immer steht Loraine gelassen da. Raynes Lippen wirken wie ein Strich, hastig rasen ihre Augen nach oben und unten, ihre Schuhsohlen kratzen über die Steine. Ein weiterer Schritt … blitzschnell greift Loraine auf ihren Rücken, umklammert den Schwertknauf und führt einen Halbkreis mit ihrem Schwert aus. Rayne zieht panisch den Schild hoch. Laut sirrt die Klinge auf ihren Schild, hinterlässt eine Furche im Metall. Der Schildarm von Rayne hängt taub nach unten, diesen Hieb hat sie vermutlich bis in den Rücken gespürt. Sie schüttelt leicht den Kopf, das linke Ohr klingt vom Aufprallgeräusch nach. Verunsichert tritt sie einige Armlängen zurück. Die Lippen ihrer Gegnerin verziehen sich zu einem hämischen Grinsen. »Der erste Hieb auf deinen Schild? Haben dich deine Gefährten zu sehr geschont?«