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Mit dem System der Inneren Familie zu innerer Heilung
Das IFS-Grundlagenbuch in erweiterter Neuausgabe
Richard C. Schwartz, der Begründer des Systems der Inneren Familie (IFS), führt leicht verständlich in die grundlegenden Konzepte und Methoden seines therapeutischen Modells ein. Der Durchbruch von IFS besteht in der Erkenntnis, dass jeder Mensch aus unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen, einer »inneren Familie« besteht. Wenn wir diesen inneren Teilen mit Wertschätzung, Neugier, Respekt, Achtsamkeit und Einfühlungsvermögen begegnen, erweitert das unsere Fähigkeit zur Selbstheilung enorm und ermöglicht uns nachhaltige, positive Veränderungen. Fallbeispiele und praktische Tools zeigen, wie jeder einen Weg zu mehr Selbstführung finden kann.
Dieses Buch hilft Therapeut*innen, ihr professionelles Verständnis zu vertiefen, und Laien, ihren eigenen therapeutischen Prozess besser zu verstehen.
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Seitenzahl: 224
Mit dem System der Inneren Familie zu innerer Heilung finden
Uns allen sind Selbstgespräche, Selbstzweifel und Selbstverurteilung vertraut – doch die meisten Menschen sehen sich immer noch mit einem einheitlichen Geist. Der Durchbruch von Richard C. Schwartz und seiner Internal Family System-Methode (IFS) ist die Erkenntnis, dass die Psyche jedes Menschen aus unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen – einer »inneren Familie« – besteht.
Diese zugängliche Einführung in einen innovativen Therapieansatz ermöglicht es den inneren Teilen, in Harmonie zu leben, und dem Selbst, die Führung der inneren Familie zu übernehmen. Fallbeispiele und praktische Tools zeigen, wie jeder einen Weg zu mehr Selbstführung finden kann.
Richard C. Schwartz, Ph. D., ist internationaler Bestsellerautor, Familientherapeut und Begründer der IFS-Methode (Internal Family Systems). Er entwickelte dieses effektive, evidenzbasierte therapeutische Modell Ende der 1990er-Jahre als Antwort auf Erfahrungen mit seinen Klientinnen und Klienten, die von Persönlichkeitsanteilen in sich berichteten. Das von ihm gegründete IFS Institute und seine internationalen Dependancen bieten weltweit Ausbildungen und Workshops sowohl für die berufliche Fortbildung als auch zur Selbsterfahrung an. Richard C. Schwartz ist ein gefragter Experte und Redner, der an der Harvard Medical School lehrt und forscht.
Richard C. Schwartz
Das System der
InnerenFamilie
Einführung in die IFS-Therapie
Ein Weg zu mehr Selbstführung
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Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des Titels IFSSM – Das System der Inneren Familie. Ein Weg zu mehr Selbstführung, erstmals erschienen 2008 bei Books on Demand GmbH, Norderstedt.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von IFS-Europe e. V.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Introduction to Internal Family Systems bei Sounds True, Boulder, Colorado.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Copyright © 2023 Center for Self Leadership PC. This Translation published by exclusive license from Sounds True Inc. and by the agency of Agence Schweiger.
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Favoritbüro, München, nach einer Originalvorlage von Sounds True
Umschlagdesign: Charli Barnes
Umschlagmotiv Baum: S-BELOV / Shutterstock.com
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-31419-4V001
www.koesel.de
Dieses Buch ist der wachsenden IFS-Community gewidmet. Den Menschen, die diese Methode lehren, lernen, teilen und anwenden – inklusive der IFS-Trainerinnen und -Trainer, -Partner, -Mitarbeitenden und der IFS Foundation.
Inhalt
1. Das System der Inneren Familie
Übungen
Die Beziehung zu meinen Teilen
Wer bin ich wirklich?
Meine verschiedenen Persönlichkeitsanteile
2. Das Selbst
Die Reise zum Selbst
Das Geheimnis der Götter
Wer ist da, wenn Sie zurücktreten?
Die Person in Selbstführung
Die Qualitäten des Selbst
Übungen
Vom Selbst aus wahrnehmen
Die Pfadübung
3. Die Teile
Streitende Feinde im Inneren
Die normale Vielfalt der Persönlichkeit
Ein System voll ausgebildeter innerer Persönlichkeiten
Gute Teile – schlechte Rollen
Entlastete Klienten
Von Natur aus gut?
Übung
Einen Teil kennenlernen
4. Verbannte, Manager und Feuerbekämpfer
Verbannte
Manager
Feuerbekämpfer
Die Verwandlung
5. Das IFS-Modell in der Therapie
Mitfühlendes Bezeugen
Veränderung ist ein Arbeitsprozess
Anhang
Übersicht über das IFS-Modell
IFS-Glossar
Ausgewählte IFS-Lektüre
Literatur
Anmerkungen
Über den Autor
Das System der Inneren Familie
»Bevor ich jemanden lieben kann, muss ich erst lernen, mich selbst zu lieben.«
»Mein Problem ist, dass ich keine Selbstachtung habe.«
»Ich wollte das nicht tun, aber ich konnte mich nicht bremsen.«
Wer hat nicht schon solche oder ähnliche Gedanken gehabt? Aber wer ist dieses Selbst, das zu lieben und zu achten wir lernen müssen? Und warum ist das so schwer? Wer ist das, der uns Dinge tun lässt, die wir nicht tun wollen? Werden wir ewig von der kritischen Stimme in unserem Kopf verfolgt werden, die uns ständig beschimpft? Gibt es eine bessere Art, mit dem Gefühl der Wertlosigkeit umzugehen, das tief in unserem Bauch sitzt? Wie können wir den beängstigenden und ablenkenden Lärm in uns leiser werden lassen?
Das Modell des »Systems der Inneren Familie« (IFSSM) hat eine Reihe Antworten darauf. Ebenso wie auf die Frage, was Menschen hilft, anders mit sich umzugehen – sich zu lieben. Es bietet definierte Schritte für mehr Kontrolle über impulsive oder automatische Reaktionen. IFS kann Ihre kritische innere Stimme in eine unterstützende verwandeln, und kann Ihnen helfen, das Gefühl von Wertlosigkeit zu transformieren. Es hilft nicht nur dabei, den Lärm in Ihrem Kopf leiser werden zu lassen, sondern auch, eine Atmosphäre von Licht und Frieden in Ihrem Inneren zu schaffen sowie mehr Zuversicht, Klarheit und Kreativität in Ihre Beziehungen zu bringen.
IFS tut das, indem es Sie zunächst dazu bringt, Ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten, auf Ihre innere Wahrnehmung. Damit meine ich, die Aufmerksamkeit auf Ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Vorstellungen, Bilder und Empfindungen zu lenken. Das ist für die meisten Menschen ein großer Schritt, weil uns in unserer Kultur beigebracht wurde, unsere Augen auf der Suche nach Gefahren und Befriedigungsmöglichkeiten auf die äußere Welt zu richten. Diese Orientierung nach außen ist sinnvoll, weil es in unserer Umgebung vieles gibt, worüber wir uns Gedanken machen und wonach wir streben sollten. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum viele Menschen die inneren Welten nicht betreten wollen: Wir haben Angst vor dem, was wir dort vorfinden. Wir wissen oder vermuten, dass tief in uns Erinnerungen und Gefühle lauern, die uns überwältigen könnten, und wir uns dann schrecklich fühlen würden; Gefühle, die unser »Funktionieren« behindern, sodass wir aus einem Impuls heraus handeln, unser Verhalten anderen gegenüber verändern und uns verletzlich machen. Zum Teil ist das richtig, zum Beispiel wenn Sie in der Vergangenheit gedemütigt wurden und Ihnen das Gefühl vermittelt wurde, wertlos zu sein; oder wenn Sie in Ihrem Leben Verluste oder Traumata erlitten haben. Um nicht daran zu rühren, sehen Sie zu, dass Sie immer beschäftigt oder abgelenkt sind. So haben diese Gefühle keine Chance, an die Oberfläche zu gelangen. Sie organisieren Ihr Leben so, dass Sie sicher sein können, dass nichts an diesen gefürchteten Erinnerungen oder Gefühlen rührt. Sie bemühen sich,
akzeptabel auszusehen oder sich akzeptabel zu verhalten;zu beweisen, dass Sie ein wertvoller Mensch sind;zu kontrollieren, wie nah Sie anderen in Beziehungen kommen;sich um alle zu kümmern, damit man Sie mag usw.Michael findet, er ist ein kompetenter Angestellter. Daher kann er es nicht fassen, dass er einen Blackout bekommt, sobald die Chefin sein Büro betritt. Er kann es nicht ertragen, dass ihre schlichte Anwesenheit ihm das Gefühl gibt, blutjung und dumm zu sein. Er hat sich selbst Motivationsreden gehalten, bevor er sie erwartet, Atemübungen ausprobiert und sich dafür beschimpft, dass er so ein Angsthase ist – aber nichts hilft.
Jonas liegt viel daran, dass seine Kinder sich selbst mögen. Daher hasst er es, wenn er sich seinem Sohn gegenüber manchmal vergisst. Sobald dieser eine Kleinigkeit verkehrt macht – seine Kleidung auf dem Boden liegen lässt oder zu spät nach Hause kommt –, schreit er ihn an. Oft merkt er, wie es in ihm hochkocht, aber er kann sich nicht bremsen. Hinterher ist er am Boden zerstört, hat Schuldgefühle und hasst sich selbst wegen dieses Verhaltens. Aber es passiert ihm immer wieder.
Kyle (im Original identifiziert als nonbinär, Anm. d. Übers.) hat viel erreicht; trotz allem wird Kyle zerfressen von einem Gefühl der Wertlosigkeit, das ständig da ist. Kyle wird oft gelobt. Menschen sagen Kyle, was für ein toller Mensch Kyle ist, aber Kyle kann das nicht annehmen. Kyle zeigt anderen eine freundliche Maske, aber tief im Inneren ist Kyle überzeugt, dass sie, wenn sie Kyle wirklich kennen würden, entsetzt wären. Rein intellektuell ist Kyle bewusst, beliebt zu sein. Kyle versucht sich selbst davon zu überzeugen, aber der machtvolle Glaube an die eigene Wertlosigkeit bleibt bestehen.
Kim kann ihr Essverhalten nicht kontrollieren. Sie hat verschiedene Diäten ausprobiert, mit Ernährungsberatern gearbeitet, Sport getrieben wie verrückt. Aber wenn der Hunger auf Süßes kommt, ist sie machtlos. Sie verachtet die innere Stimme, die sie dazu verführt, an den Kühlschrank zu gehen und eine ganze Schachtel Eis zu essen, aber sie kann dem Sirenengesang nicht widerstehen.
Isabella klagt darüber, dass sie sich nur von Männern angezogen fühlt, die schlecht zu ihr sind. Es gibt genügend nette Männer, die sich für sie interessieren. Doch es knistert für sie nur bei Männern mit einer starken Ausstrahlung, die sie schließlich schlecht behandeln und zurückweisen. Sie fühlt sich »von meinem Herzen zu einem Leben voller Schmerz verdammt«.
Was haben alle diese Menschen gemeinsam? Jeder von ihnen war Klientin oder Klient bei mir. Sie kamen zu mir wegen eines Gefühls oder eines Handlungsimpulses, die sie nicht kontrollieren konnten. Nicht nur das, sie kämpften ständig damit und waren wütend auf sich selbst wegen ihrer Unfähigkeit, das Gefühl oder Verhalten in den Griff zu bekommen. Der unkontrollierbare Impuls war schlimm genug, aber die Beziehung, die sie zu ihm entwickelten – die Belastung durch den Impuls und ihre Enttäuschung über sich selbst, weil sie ihn hatten –, ist das, was ihr Selbstkonzept durchzog und ihnen ein Gefühl von Wertlosigkeit gab. Ich habe herausgefunden, dass das oft passiert. Die Art, wie wir uns auf einen beunruhigenden Gedanken oder ein solches Gefühl beziehen, erschwert unsere Probleme. Wie der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh es ausdrückt: »Wenn wir ärgerlich auf unseren Ärger werden, haben wir am Ende doppelten Ärger.«
Um diese Idee besser zu illustrieren, verwende ich eine Analogie zu zwischenmenschlichen Beziehungen: Nehmen wir an, Ihr Ärger sei eines Ihrer Kinder. Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Kind, das Sie nicht in den Griff bekommen. Sagen wir, es dreht jeden Abend durch. Das wäre schon schlimm genug. Aber weil sein Koller Sie verrückt macht, beschimpfen Sie es ständig und versuchen, es in seinem Zimmer einzusperren, um sich in der Öffentlichkeit nicht für es schämen zu müssen. Sie bleiben an den Wochenenden zu Hause, um sicherzustellen, dass es nicht wegläuft und Sie sich seinetwegen als schreckliche Mutter oder schrecklicher Vater fühlen. Stellen Sie sich weiterhin vor, dass Ihre Reaktionen all seine Ausraster nur schlimmer machen, weil es das Gefühl bekommt, dass Sie es am liebsten loswerden würden. Aufgrund der Art, wie Sie mit Ihrem Kind umgehen, frisst das Problem Ihr Leben auf. Genau so ist es mit unseren extremen Gefühlen und Überzeugungen – sie sind an sich schon schwer genug, aber die Art, wie wir sie handhaben, macht sie oft schlimmer und unser Leben unglücklich.
Es scheint auf den ersten Blick seltsam, sich eine Beziehung zu einem Gedanken oder Gefühl vorzustellen, aber man kann es gar nicht vermeiden. Sie leben mit uns, und wir müssen uns in der einen oder anderen Weise auf sie beziehen. So wie schwierige Personen in Ihrer Familie oder Ihrem Arbeitsumfeld Einfluss auf Sie haben und es etwas ausmacht, wie Sie mit ihnen umgehen. Überprüfen Sie einmal Ihre verschiedenen Gedanken und Gefühle und wie Sie ihnen gegenüber empfinden. Möglicherweise mögen Sie die innere Stimme, die Sie an alle Dinge erinnert, die Sie zu tun haben; die plant, wie Sie sie am besten erledigen können. Sie hören ihr zu und lassen sich von ihr motivieren. Sie sehen sie als einen wertvollen Assistenten. Und was ist, wenn Sie sich ausruhen wollen und dieselbe Stimme kritisch wird und Sie als faul bezeichnet? Wenn sie Ihnen sagt, der Himmel werde einstürzen, wenn Sie nicht sofort wieder zurück an die Arbeit gehen? Wie finden Sie diese Stimme dann? Was antworten Sie? Wenn Sie wie die meisten Menschen reagieren, streiten Sie innerlich mit ihr, als wäre sie ein Chef, der Sie unterdrückt. »Lass mich in Ruhe! Kannst du mich nicht mal eine Minute still sitzen lassen? Verzieh dich!« Oder Sie versuchen, sie durch Fernsehen zu übertönen oder durch ein paar Drinks auszuschalten. Der Teil von Ihnen, der Sie erfolgreich sehen möchte, ist ein wunderbarer Diener, aber ein schrecklicher Herr, und so haben Sie eine Hassliebe zu ihm.
Wir haben lang dauernde komplexe Beziehungen zu vielen verschiedenen inneren Stimmen, Gedankenmustern und Gefühlen. Diese ähneln den Beziehungen, die wir zu Personen haben. Was wir »denken« nennen, sind oft unsere inneren Dialoge mit unseren Teilen. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Denken Sie an jemanden, den Sie lieben und der gestorben ist. Wie geht es Ihnen mit der Trauer, die Sie für die Person empfinden? Vielleicht haben Sie Angst, von Trauer überwältigt zu werden, und finden es furchtbar, wie sie Sie depressiv macht. Sie versuchen, sie irgendwo in Ihrer Psyche zu verschließen, und vermeiden alles, was Sie an die geliebte Person erinnern könnte. Sie werden auch ungeduldig mit Ihrer Trauer: »Warum fühle ich mich immer noch so nach der langen Zeit? Ich habe gedacht, ich hätte das alles verarbeitet.« Sie versuchen, die Trauer zu einem innerpsychischen Verbannten zu machen. Aber wie ein Verbannter kommt sie immer wieder zurück und überwältigt Sie, wenn Sie gerade nicht aufpassen – wie bei einem inneren Staatsstreich.
Oder was ist mit dem Teil von Ihnen, der sofort in Verteidigung geht, wenn Sie mit Ihrem Partner oder einer guten Freundin streiten? Mitten in der Auseinandersetzung werden Sie plötzlich zu diesem Teil – Sie sehen Ihr Gegenüber durch die Augen dieses Teils. Sie übernehmen seine verzerrte, schwarz-weiße Anklage-Schuld-Perspektive. Sie weigern sich, auch nur einen Zentimeter nachzugeben, und sagen Gemeinheiten. Später merken Sie, dass Sie übertrieben haben, und fragen sich: »Wer war das, der da die Führung übernommen hat und so ekelhaft war? Das war nicht ich!« Welche Gefühle haben Sie für diesen inneren Verteidiger? Wenn Sie wie die meisten Leute empfinden, mögen Sie einige seiner Aspekte nicht, aber während des Streits fühlen Sie sich so verwundbar, dass Sie sich auf seinen Schutz verlassen. Sie lassen ihn die Führung übernehmen, weil Sie glauben, dass Ihr Gegenüber Sie ohne ihn wegfegen und demütigen würde. Ihr Ärger wird zu einem starken Leibwächter, den Sie gern bei sich haben, den Sie aber nicht zum Essen einladen würden.
Alle Personen, die ich in diesem Kapitel beschrieben habe, lagen im Kampf mit sich selbst, als sie zu mir kamen. Sie waren verstrickt in problematische innere Beziehungen, und, was nicht überrascht, auch ihre äußeren Beziehungen ähnelten den inneren. Sie stellten fest, dass die Betrachtung ihrer Gedanken und Gefühle sowie die Interaktion mit ihnen zu verändern, nicht nur das Problem, weswegen sie gekommen waren, dramatisch verbesserte; ganz allgemein fühlten sie weniger inneren Aufruhr, mochten sich selbst lieber und kamen mit anderen Menschen in ihrem Leben besser zu recht.
In welche Richtung hatten sie sich verändert? Sie hatten sich wegbewegt von Hass, Angst und Streit. Weg von dem Versuch, diese Gefühle zu ignorieren, zu verschließen, sie loszuwerden, oder von der Alternative, ihnen gegenüber nachzugeben und von ihnen überwältigt zu werden. Stattdessen waren sie neugierig auf die Gefühle geworden und bereit, ihnen zuzuhören. Diese anfängliche Neugier führte oft zu Mitgefühl mit den Gefühlen und Gedanken und zu Versuchen, ihnen zu helfen.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem eigenen Leben. Bevor ich diese neue Art, mit sich selbst in Beziehung zu treten, kannte, hatte ich jedes Mal, wenn ich einen Vortrag hielt, eine extreme Angst davor, wie die Zuhörer ihn wohl aufnehmen würden. Als Kind wurde ich in der Schule gedemütigt. Es gibt daher einen Teil von mir, der in der Vergangenheit feststeckt und jedes Mal sicher ist, dass ich wieder gedemütigt werde. Die Ironie bei solchen Emotionen ist, dass sie oft genau die Situationen hervorrufen, die sie befürchten. Wenn die Angst überhandnahm, konnte ich mich nicht gut vorbereiten. Dadurch wirkte ich unsicher und unklar und bekam genau das Feedback, das mein ängstlicher Teil befürchtete. Dass sie so einen negativen Einfluss auf meine Leistung hatte, gab mir einen Grund, die Angst als meinen Feind anzusehen. Ich versuchte mich zu beruhigen, sobald ich sie spürte: »Keine Sorge. Du weißt, wovon du redest, und niemand hat die Absicht, dich schlecht dastehen zu lassen. Und selbst wenn du versagst, bedeutet das nicht das Ende deiner Karriere.« Diese Art vernünftigen Selbstgesprächs wirkte jeweils nur kurz, und dann kam die Angst zurück. Ich war frustriert und verstärkte meine Selbstkritik: »Warum bist du so ein Angsthase! Warum bist du nicht so wie all die anderen Menschen, die das locker machen?!«
Bis zum Moment des Vortrags erlebte ich laufend solche inneren Konflikte. Der Vortrag selbst mochte zwar gut laufen, doch danach zerpflückte ich ihn eine Woche lang auf jedes dumme Wort hin, das ich gesagt, oder jedes kluge, das zu erwähnen ich vergessen hatte. Das Ganze wurde zu einer schrecklichen Plage, vor der mir graute.
Inzwischen habe ich gelernt, wie ich mit meinen Sorgen in Beziehung treten kann, und das macht solche Ereignisse eher zu interessanten Herausforderungen als zu gefürchteten Prüfungen. Anstatt meine Angst zu attackieren oder zu ignorieren, versuche ich, mich in einen neugierigen Zustand zu versetzen. Ich richte meine Aufmerksamkeit nach innen und stelle einige Fragen. Wenn ich mich auf mein Gefühl konzentriere, bemerke ich, dass es von einem Knoten in meinem Bauch ausgeht. Also richte ich meine Aufmerksamkeit auf diesen Knoten, während ich innerlich frage: »Wovor hast du solche Angst?« und dann still auf eine Antwort warte. Innerhalb von Sekunden höre ich spontan eine schwache »Stimme« (es ist nicht wirklich eine Stimme, eher eine Gedankenspur) aus den dunklen Tiefen meines Geistes aufsteigen, die sagt: »Ich weiß, ich werde versagen und wieder beschämt werden.« Als Nächstes kommen Bilder aus meiner Vergangenheit auf – Szenen aus meiner lange zurückliegenden Schulzeit. Plötzlich bin ich erfüllt von Mitgefühl und Zuneigung für diesen schüchternen Jungen, der öffentlich dafür gedemütigt wurde, nicht vorbereitet zu sein. In Gedanken halte ich diesen Jungen im Arm und erinnere ihn daran, dass ich ja da bin und er den Vortrag nicht halten muss. Ich lasse ihn wissen, dass ich ihn liebe, egal was passiert. Er beruhigt sich sofort, und ich spüre, wie sich der Knoten in meinem Magen entspannt. Diese ganze Interaktion dauert kaum eine Minute, und ich kann wieder weitermachen. Das geht so schnell, weil ich vor einigen Jahren mehrere Stunden darauf verwendet habe, diesen ängstlichen Teil kennenzulernen und meine Beziehung zu ihm zu verändern. Jetzt braucht er nur noch eine kurze Erinnerung, um sich sicher und geborgen zu fühlen.
Es mag sich seltsam anhören, dass man einem Gefühl Fragen stellt; aber ist es Ihnen nicht auch schon passiert, dass Sie sich ärgerlich oder traurig fühlten, ohne zu wissen warum, und einen Tag später tauchte die Antwort aus Ihrem Inneren auf? IFS bietet einen Weg, diesen Prozess zu beschleunigen. Einen Weg, der Ihnen hilft zu erkennen, worüber Ihre Emotionen aufgebracht sind – sowie sie zu besänftigen und herauszufinden, was sie von Ihnen brauchen. Es ist eine Art der Selbst-Beruhigung, die den meisten Menschen leichtfällt, sobald sie sie verstanden haben. Das Schwierige daran ist, den Gefühlen oder Gedanken gegenüber neugierig, offen und mitfühlend zu sein, die man bisher gehasst hat und loswerden wollte. Auf den ersten Blick scheint das widersinnig. Warum sollten Sie sich auf die kritische innere Stimme konzentrieren und versuchen, ihr mit Mitgefühl zu begegnen? Die Stimme, die Sie kleinmacht; die lähmende Angst, die Sie in Stresssituationen blockiert; der Zorn, der imstande ist, Ihren Verstand plötzlich zu kapern und andere zu verletzen; der empfindliche Teil, der so schnell verletzt ist und Sie dazu bringt, sich wertlos zu fühlen? Es entspräche dem gesunden Menschenverstand, sich nicht damit zu konfrontieren und stattdessen all das aus Ihrem Bewusstsein auszuschließen, damit Sie sich nicht schlecht fühlen und gut funktionieren. So wurde uns der Umgang mit schwierigen Gefühlen und Vorstellungen beigebracht. Würde das funktionieren, bräuchten Sie dieses Buch nicht zu lesen.
Dieses Vorgehen basiert auf dem Missverständnis, unsere extremen Gefühle und Überzeugungen seien, was sie vorgeben zu sein. Wenn Angst, Ärger, Selbsthass und das Gefühl von Wertlosigkeit nur verstörte emotionale Zustände oder erlernte irrationale Vorstellungen wären, ergäbe es Sinn, Ihre Willenskraft zu nutzen, um sie auszuschließen, mit ihnen zu argumentieren oder ihnen positive Gedanken entgegenzustellen. Es wäre sinnvoll, ihnen abweisend, autoritär oder einschüchternd gegenüberzutreten, weil sie wie innere Feinde erscheinen. Ein unglücklicher Nebeneffekt dieses Vorgehens ist jedoch, dass Sie zu Menschen, die Eigenschaften Ihrer inneren Feinde verkörpern, ähnlich geartete Beziehungen entwickeln werden. Sie werden jedem kritisch oder ungeduldig begegnen, der ängstlich, verschämt, aggressiv zu sein scheint oder der sich selbst entwertet.
Ich möchte Ihnen zu der Erkenntnis verhelfen, dass Ihre Gefühle und Gedanken viel mehr sind, als sie zu sein scheinen. Gedanken und Gefühle gehen von inneren Persönlichkeiten aus, die ich Ihre Teile nenne. Ich rege Sie dazu an, Ihre explosiven Impulse als mehr zu sehen, als es den Anschein macht, als mehr als ein Bündel Ärger. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Ärger richten und ihm Fragen stellen, könnten Sie erfahren, dass er ein Teil ist, der andere verletzliche Teile schützt und wiederum in Konflikt mit anderen Ihrer Teile steht, die jedem gefallen wollen. Er könnte Ihnen enthüllen, dass er so lange zornig bleiben muss, wie Sie zu verletzbar und aufopfernd sind. Sie könnten auch erfahren, dass er noch andere Gefühle wie Furcht und Trauer hat, aber in der Rolle des Zornigen bleiben muss, um Sie zu schützen. Wenn Sie ihn darum bitten, könnte er Ihnen Szenen des Zeitpunkts in Ihrem Leben zeigen, an dem er in diese beschützende Rolle gezwungen wurde. Er könnte Ihnen sogar ein Bild seiner selbst zeigen – Sie sehen ihn als Drachen, Vulkan, toughen Jugendlichen oder etwas anderes. Was am wichtigsten ist: Er kann Ihnen sagen, wie Sie ihm helfen können, sich zu verändern, um nicht weiter in dieser wütenden Rolle festzustecken. Mit Ihrer Hilfe kann er sich in eine wertvolle Qualität verwandeln, sodass Sie nicht mehr von Zorn geplagt werden, sondern stattdessen zum Beispiel eine größere Durchsetzungsfähigkeit haben.
Dieser letzte Abschnitt hat in Ihnen vielleicht einen Teil aktiviert, der sagt: »Das hört sich sehr seltsam an. Er sagt, ich habe all diese Stimmen in mir, die mir Antwort geben.« Ich kann es Ihnen nicht übelnehmen, wenn Sie skeptisch sind. Ich war anfangs selbst skeptisch, als meine Klientinnen anfingen, mir von ihren Teilen zu berichten. Das ist schwer zu akzeptieren, solange man es nicht selbst erfahren hat. Solange sie nicht mit Ihrer Aufmerksamkeit nach innen gegangen sind, gezielte Gespräche mit Ihren Gefühlen und Gedanken begonnen haben und dann von den erhaltenen Antworten überrascht worden sind, wird es schwer zu glauben bleiben. Ich verlange nicht, dass Sie sich von mir überzeugen lassen – ich lade Sie einfach ein, sich für diese Möglichkeit zu öffnen und es selbst auszuprobieren. Finden Sie selbst heraus, ob das, was ich sage, möglich ist: dass Sie Ihren inneren Gegenspielern helfen können, zu Ihren Verbündeten zu werden. Vielleicht ist es das, was Jesus meinte, als er sagte: »Liebet eure Feinde.« (Matthäus 5:44).
Verstörende Gedanken und Gefühle als Manifestationen innerer Persönlichkeiten zu verstehen, die durch Ereignisse in unserem Leben in extreme Rollen gezwungen wurden, führt uns dahin, anders mit ihnen umzugehen. Es ist einfach, Mitgefühl mit einem inneren Jugendlichen zu haben, der in der Vergangenheit tapfer versucht hat, Sie zu beschützen und als Folge davon in dieser zornigen Rolle erstarrt ist; oder mit einem kleinen Jungen, der Angst vor einer Wiederholung der Demütigung hat. Durch dieses Verständnis können wir anfangen, die dysfunktionalen inneren Beziehungen zu verändern. Die Beziehungen, die wir mit vielen unserer Teile haben, und die, die unsere Teile untereinander pflegen. Wenn unsere Teile sich besser akzeptiert und weniger bedroht oder angegriffen fühlen, verwandeln sie sich in ihren wertvollen natürlichen Zustand. Zusätzlich merken wir, dass wir Leute, die uns früher gestört haben, leichter akzeptieren können, und nicht mehr so heftig auf sie reagieren. Wir begegnen ihnen mit Mitgefühl, weil wir das auch mit unserem ihnen ähnelnden inneren Teil tun. Manchmal stellen wir fest, dass auch diese Menschen sich verändern, oder zumindest unsere Wahrnehmung dieser Menschen und unsere Beziehung zu ihnen.
Stellen Sie sich vor, wie sich ein Arbeitsumfeld verändern würde, wenn die Führungskräfte eine andere Beziehung zu sich selbst hätten. Wenn sie die Teile von sich hassen, die gemächlicher sind und sich am Leben freuen wollen, sind sie ungeduldig mit ihren Angestellten, die nicht so motiviert sind wie sie selbst. Wenn sie ihre eigene Unsicherheit und Angst loswerden wollen, schaffen sie eine Atmosphäre, in der Menschen, die Verletzlichkeit zeigen, Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Wenn sie sich für gemachte Fehler selbst attackieren, gibt jeder vor, perfekt zu sein. Wenn sie sich vor ihrem eigenen inneren Kritiker fürchten, fürchten sie auch die Bewertung anderer und lassen Ausbeutung zu. Andererseits, wenn sie eine liebevolle Beziehung zu ihren Teilen herstellen können, durchdringen dieses Mitgefühl und diese Akzeptanz das Unternehmen und machen es jedem Einzelnen einfacher, sich selbst und anderen gegenüber mitfühlender zu sein. Derselbe Prozess gilt für Familien.
Diese neue Art, mit sich selbst umzugehen, kann nicht erzwungen werden. Es funktioniert nicht, sich zu befehlen, neugierig auf diese Teile zu sein oder vorzugeben, Mitgefühl mit ihnen zu haben. Es muss echt sein. Also, wie erreichen Sie das? Das führt zu der Frage, wer das »Sie« ist, das in Beziehung zu den Teilen tritt. Wer sind Sie tief im Innersten?
Meine wundervollste Entdeckung ist, dass Sie durch diese Arbeit das freisetzen, was ich Ihr Selbst oder Ihr wahres Selbst nenne. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen spontan Eigenschaften zeigen, die für eine gute innere wie äußere Führung sprechen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf ihre extremen Gefühle und Gedanken richten und sich dabei von diesen lösen. Es scheint, dass wir alle in unserem Kern Eigenschaften wie Neugier, Mitgefühl, Ruhe, Zuversicht, Mut, Klarheit, Kreativität und Verbundenheit haben. Das Selbst ist die Seele, über die spirituelle Traditionen sprechen, aber die nur wenige psychotherapeutische Richtungen würdigen. Ihr Selbst wird verdeckt durch all die Angst, Wut und Scham – all die extremen Gefühle und Überzeugungen, die Sie im Laufe Ihres Lebens in sich aufgenommen haben. Möglicherweise wissen Sie gar nicht, dass es da ist.
Wenn Sie keine Ausnahme sind, haben Sie nur einen flüchtigen Eindruck Ihres Selbst. Vielleicht hat das ständige innere Gespräch mit und zwischen Ihren Teilen plötzlich aufgehört, während Sie sich in einer kreativen oder sportlichen Tätigkeit »verloren haben«; in der Schönheit eines Sonnenunterganges; der Unschuld spielender Kinder; oder in einer gefährlichen Aktivität wie Klettern, die völlige, auf die Gegenwart gerichtete Präsenz erfordert. Vielleicht erinnern Sie sich an diese kurzen Momente als Augenblicke voller Freude und tiefen Friedens. Vielleicht hatten Sie eine flüchtige Erfahrung der Verbundenheit mit etwas, das größer ist als Sie, und ein mit dieser Wahrnehmung einhergehendes Gefühl der Zufriedenheit. Möglicherweise haben Sie diese Episoden als Anomalien Ihres sonst lärmenden Bewusstseinsstroms abgetan, in der Annahme, Sie seien eher der zugrunde liegende Lärm als die darunter liegende Ruhe. Aber was, wenn dieser friedliche, freudige, mit allem verbundene Zustand das ist, was Sie wirklich sind? Wie würde das Ihr Selbstkonzept ändern?