Das Tagebuch des Verführers - Sören Kierkegaard - E-Book

Das Tagebuch des Verführers E-Book

Sóren Kierkegaard

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Beschreibung

Ich bin ein Ästhetiker, ein Erotiker, der das Wesen der Liebe und ihren wesentlichen Punkt erfasst hat, der an die Liebe glaubt und sie von Grund auf kennt, und ich behalte mir lediglich die private Meinung vor, dass jede Liebesgeschichte höchstens ein halbes Jahr dauert und dass jedes Verhältnis vorbei ist, sobald man das Letzte genossen hat. All das weiß ich, und gleichzeitig weiß ich, dass sich kein höherer Genuss denken lässt, als geliebt zu werden, heißer geliebt als alles in der Welt. Sich in ein Mädchen hineinzudichten ist eine Kunst, sich aus einem Mädchen herauszudichten ist ein Meisterstück.

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Das Tagebuch des Verführers

Sua passion' predominante

e la giovin principiante.

Don Giovanni No. 4 Aria.

Kaum kann ich Herr der Angst werden, die mich in diesem Augenblick ergreift, denn in meinem eignen Interesse habe ich mich entschlossen, die flüchtige Abschrift, die ich mir seiner Zeit in größter Eile und mit vieler Unruhe im Herzen verschaffen konnte, sorgfältig ins Reine zu schreiben.

Die Situation ist heute ebenso beängstigend wie damals, und ich fühle dieselben Vorwürfe, wie an jenem Tage. Er hatte seinen Sekretär nicht verschlossen, der ganze Inhalt desselben stand daher zu meiner Disposition. Eine Schublade war aufgezogen. In derselben lagen verschiedene lose Papiere und auf denselben ein geschmackvoll eingebundenes Buch in großem Quart. Auf der aufgeschlagenen Seite war eine Vignette von weißem Papier, worauf er eigenhändig geschrieben hatte: Commentarius perpetuus No. 4. Vergebens suche ich mir selber einzubilden, daß, wenn das Buch nicht aufgeschlagen vor mir gelegen und der Titel mich nicht so sehr gereizt hätte, ich mich nicht so rasch dem Versucher in die Arme geworfen hätte. Der Titel selbst war eigentümlich, und doch weniger an und für sich, als durch seine Umgebung. Aus einem flüchtigen Blick auf die losen Papiere ersah ich, daß dieselben Auffassungen erotischer Situationen, einzelne Andeutungen über dieses und jenes Verhältnis, sowie Skizzen ganz seltsamer Briefe enthielten.

Wenn ich mir nun, nachdem ich das ränkevolle Herz dieses schrecklichen Menschen durchschaut habe, die Situation wieder vergegenwärtige und mit meinem für alle Arglist offenen Auge im Geiste vor jene offene Schublade trete, so ist's mir zu Mut, wie einem Polizei-Beamten, der in das Zimmer eines Falschmünzers tritt und bei demselben die verschiedensten losen Papiere findet, die mit Arabesken und Namenszügen beschrieben sind.

Er merkt bald, daß er auf der rechten Spur ist, und während er sich über die Entdeckung freut, verwundert er sich zugleich des Fleißes, mit dem diese Studien offenbar gemacht sind. Mir würde es vielleicht etwas anders ergangen sein, da ich kein Polizeischild aufweisen konnte. Ich ging ja selbst auf ungesetzlichen Wegen, und im ersten Augenblick war ich so erschrocken, daß ich ganz blaß wurde und fast in Ohnmacht gefallen wäre. Wenn er nach Hause gekommen wäre und mich ohnmächtig vor dem geöffneten Sekretär gefunden hätte! Ein böses Gewissen kann das Leben doch interessant machen.

Der Titel des Buches frappierte mich nicht gerade. Ich hielt es für eine Sammlung von Exzerpten, denn ich wußte, daß er sehr fleißig studierte. Aber es war etwas ganz andres, ein sorgfältig geführtes Tagebuch; und ich kann nicht leugnen, daß der Titel mit wahrer ästhetischer, objektiver Überlegenheit über sich selber und über die Situation gewählt war.

Poetisch zu leben – das war die Aufgabe, die er zu realisieren versuchte. Er hatte ein sehr entwickeltes Organ, das Interessante im Leben zu entdecken; und wenn er es gefunden, wußte er das, was er erlebt, stets dichterisch zu reproduzieren. Sein Tagebuch ist daher nicht historisch genau oder einfach erzählend, nicht indikativisch, sondern konjunktivisch, und obgleich er manches erst später niedergeschrieben hat, ist doch alles so dramatisch lebendig, als sähen wir es vor unsern Augen.

Woher hat das Tagebuch nun diesen dichterischen Charakter? Die Antwort ist nicht schwer, Der Grund liegt in der dichterischen Natur seines Verfassers; dieselbe war – ich möchte sagen – weder reich noch arm genug, um Wahrheit und Dichtung von einander zu scheiden. Das poetische war das plus, das er selber herzutrug. Dieses plus war das Poetische, das er in der poetischen Situation des wirklichen Lebens genoß; und zog er dasselbe in der Form dichterischer Reflexion wieder zurück, so war dies der zweite Genuß, den er hatte, und auf den Genuß war ja sein ganzes Leben berechnet. Im ersten Fall genoß er das Ästhetische persönlich, im andern Fall seine Persönlichkeit ästhetisch.

Im ersten Fall war die Pointe die, daß er egoistich persönlich genoß, was ihm teils das wirkliche Leben gab, und was er teils selbst mit der Wirklichkeit erfüllte; im andern Fall trat seine Persönlichkeit zurück, und er genoß die Situation und sich selber in der Situation. Im ersten Fall gebrauchte er die Wirklichkeit als ein Moment, im andern Fall war die Wirklichkeit im Poetischen verschlungen. Die Frucht des ersten Stadiums ist also die Stimmung, aus welcher das Tagebuch als eine Frucht des andern Stadiums hervorgegangen ist; doch darf ich die Bemerkung nicht unterlassen, daß das Wort im letzten Fall etwas anders genommen ist als im ersten.

Hinter der Welt, in der wir leben, fern im Hintergrund liegt eine andre Welt, die zu jener ungefähr in demselben Verhältnis steht wie die Szene, die man im Theater zuweilen hinter der wirklichen Szene sieht, zu dieser steht. Durch einen dünnen Flor sieht man gewissermaßen eine Welt von Flor, leichter, ästhetischer, besser als die wirkliche Welt. Viele Menschen, die in dieser wirklichen Welt leben, fühlen sich doch nicht in ihr, sondern in jener andern heimisch.

Die Jungfrau, deren Geschichte den Hauptinhalt des Tagebuches ausmacht, habe ich wohl gekannt. Ob er noch andre verführt hat, weiß ich nicht; doch scheint es aus seinen Papieren hervorzugehen. Er war allerdings kein Verführer, wie es so viele sind. Oft wollte er nur etwas ganz Willkürliches erreichen, z.B. einen Gruß, und um keinen Preis mehr! Mit Hilfe seiner großen Geistesgaben hat er ein Mädchen an sich zu ziehen gewußt, ohne daß er sie in strengerm Sinn besitzen wollte. Ich kann mir's denken, daß er ein Mädchen dahin bringen konnte, daß er dessen sicher war, sie werde ihm alles opfern, aber dann – brach er ab, ohne daß er sich ihr genähert hätte, ohne daß ein Wort der Liebe oder gar eine Erklärung, ein Versprechen über seine Lippen gekommen wäre. Und doch war es geschehen, und der Unglücklichen war das Bewußtsein dieser Thatsache doppelt bitter, weil sie sich auf nichts berufen konnte, weil sie von den verschiedensten Stimmungen wie in einem schrecklichen Hexentanz hin und her gejagt wurde; denn bald machte sie sich Vorwürfe und vergab ihm, bald machte sie ihm Vorwürfe und mußte, da das Verhältnis nur in uneigentlichem Sinn ein reales gewesen war, stets mit dem Zweifel kämpfen, ob das Ganze nicht eine Illusion gewesen war. Niemandem konnte sie sich anvertrauen; denn sie hatte ihnen ja nichts anzuvertrauen. Hat man geträumt, so kann man andern seinen Traum erzählen; aber was sie zu erzählen hatte, war ja kein Traum, es war bittere Wirklichkeit, und doch war es wieder nichts, sobald sie sich vor einem andern aussprechen und dadurch ihr bekümmertes Herz erleichtern wollte. Das fühlte sie selbst sehr wohl. Kein Mensch, kaum sie selber, konnte es fassen, und doch lag es wie ein schwerer Druck auf ihrer Seele. Solche Opfer waren daher ganz besonderer Natur. Es war mit diesen unglücklichen Mädchen ja keine äußere, sichtbare Veränderung vor sich gegangen; sie lebten unter den alten Verhältnissen, waren in den Kreisen ihrer Freunde und Freundinnen geachtet wie vorher, und doch, wie war es alles so anders geworden, ihnen selber fast unerklärlich, den andern unbegreiflich. Ihr Leben war nicht gebrochen oder zerknickt, sie waren nur innerlich gebeugt und zerschlagen; für andre verloren, suchten sie vergebens sich selber zu finden.

Und er, der sie verführte? Er lebte zu sehr in den Sphären des Geistes, als daß wir ihn einen Verführer im gewöhnlichen Sinne des Wortes nennen dürften. Nur zuweilen nahm er einen parastatischen Leib an, und war dann ganz Sinnlichkeit. Selbst seine Geschichte mit Kordelia ist so eigentümlich, daß er sogar als der Verführte auftreten konnte. Die Individuen waren für ihn nur ein Inzitamento; er warf sie von sich ab, wie die Bäume im Herbst ihre Blätter – er verjüngte sich, das Laub verwelkte.

Aber wie sieht es in seinem eignen Kopf aus? Wie er andre irregeführt hat, so denke ich, verirrt er sich schließlich selber. Es ist empörend, wenn ein Mensch einem Wanderer, der sich verirrt hat, falsche Wege zeigt und ihn dann allein läßt; aber wieviel schrecklicher, wenn man einen Menschen an sich selber irre werden läßt. Der verirrte Wanderer hat doch den Trost, daß sich die Gegend um ihn her stets verändert, und bei jeder Veränderung die Hoffnung erwacht, er möchte den rechten Weg finden; wer aber an sich selber irre wird, hat kein so großes Territorium, auf welchem er sich bewegen könnte; er kommt immer wieder da an, von wo er ausging. So – denke ich – wird's ihm selber ergehen, aber in viel schrecklicherem Maße. Nichts Qualvolleres kann ich mir vorstellen als einen intriganten Kopf, der den Faden verliert, und nun, während das Gewissen erwacht und er sich aus dem Labyrinth herausfinden will, seinen ganzen Scharfsinn gegen sich selber wendet. Was helfen ihm all die Ausgänge seiner Fuchshöhle? In demselben Augenblick, in welchem seine geängstete Seele es schon zu sehen glaubt, wie das Licht des Tages in die dunkle Höhle fällt, zeigt sich's, daß es ein neuer Eingang ist. Wie ein aufgeschrecktes Wild, von der Verzweiflung verfolgt, sucht er einen Ausgang und findet immer mir einen Eingang, durch den er zu sich selber zurückkehrt. Ein solcher Mensch ist nicht gerade ein Verbrecher, er wird häufig selbst von seinen Intriguen getäuscht, und doch trifft ihn eine schrecklichere Strafe, als den Verbrecher; denn was ist selbst der Schmerz der Buße gegen diesen bewußten Wahnsinn? Seine Strafe hat einen rein ästhetischen Charakter; denn selbst der Ausdruck, daß das Gewissen erwacht, ist für ihn zu ethisch; das Gewissen ist ihm nur wie ein höheres Bewußtsein, das sich als Unruhe äußert, die ihn auch im tieferen Sinn nicht verklagt, sondern ihn wach hält, ihm in seiner unfruchtbaren Friedelosigkeit keine Ruhe noch Rast gönnt. Auch ist er nicht wahnsinnig; denn die Mannigfaltigkeit der endlichen Gedanken ist nicht versteinert in der Ewigkeit des Wahnsinns.

Auch die arme Kordelia wird nicht so leicht Frieden finden. Sie vergibt ihm von ganzem Herzen, aber sie kommt nicht zur Ruhe, denn immer wieder erwacht der Zweifel: sie war's ja, die die Verlobung aufhob, sie war's, die das Unglück veranlaßte, ihr Stolz, der das Ungewöhnliche begehrte. Dann kommt die Reue, aber sie findet auch in ihr die Ruhe nicht; denn nun sprechen die sich entschuldigenden und verklagenden Gedanken sie frei: er war's, der in seiner Arglist jenen Plan in ihre Seele legte. Nun haßt sie ihn, und ihre Seele fühlt sich erleichtert, wenn sie ihm flucht, aber sie findet keine Ruhe; wieder macht sie sich Vorwürfe, Vorwürfe, weil sie ihn haßt, da sie ja selber eine Sünderin ist; Vorwürfe, weil sie ja doch immer die Schuldige bleibt, wenn er auch noch so ränkevoll war. Zwar ist's ihr ein schwerer Gedanke, daß er sie betrogen hat, aber noch schwerer wird's ihr, so könnte man zu sagen versucht sein, daß er die Reflexion in ihr erweckte, er habe sie ästhetisch so sehr entwickelt, daß sie nun nicht mehr demütig einer Stimme lausche, sondern die vielen Reden zu gleicher Zeit hören könne. Da erwacht in ihrer Seele die Erinnerung, sie vergißt ihre Sünde und die Schuld, die sie auf sich geladen, sie erinnert sich nur der schönen Augenblicke, sie lebt im Rausch einer unnatürlichen Exaltation.

In solchen Momenten erinnert sie sich seiner nicht nur, sie schaut ihn mit einer Clairvoyance, die es beweist, welch mächtigen Einfluß er auf sie ausgeübt hat. Sie sieht in ihm nicht den Verbrecher, aber auch nicht den edlen Menschen, sie fühlt ihn nur ästhetisch. In einem Briefe an mich spricht sie sich folgendermaßen über ihn aus: »Zuweilen war er so durch und durch Geist, daß ich mich vernichtet fühlte; zu andern Zeiten so wild und leidenschaftlich, daß ich fast vor ihm zitterte. Bald war ich ihm eine Fremde, bald gab er sich mir ganz hin; wenn ich dann meinen Arm um ihn schlang, war zuweilen alles plötzlich verändert, und ich umarmte die Luft. Diesen Ausdruck kannte ich, ehe ich ihn kannte, aber er lehrte mich ihn verstehen; wenn ich ihn gebrauche, denke ich immer an ihn, wie ich überhaupt nur durch ihn denken kann. Ich habe von meiner Kindheit an die Musik geliebt; er war ein herrliches Instrument, immer in Bewegung, er hatte Höhen und Tiefen wie, kein andres Instrument, er war reich an Gefühlen und Stimmungen, kein Gedanke war ihm zu groß, keiner zu verzweifelt, er konnte wie ein Herbststurm brausen und unhörbar flüstern. Keins meiner Worte blieb ohne Wirkung, und doch darf ich nicht sagen, daß meine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten; denn ich konnte nie wissen, welche Wirkung sie auf ihn ausübten. Mit einer unbeschreiblichen, aber geheimnisvollen, seligen, unnennbaren Angst lauschte ich dieser Musik, die ich hervorrief, und doch nicht hervorrief; immer war sie voller Harmonie, immer riß er mich hin.«

Schrecklich ist es für sie, schrecklicher noch wird es für ihn werden; das schließe ich daraus, daß ich selbst kaum Herr der Angst werden kann, die mich ergreift, so oft ich daran denke. Auch ich bin mit ihnen in das Nebelreich hineingerissen, in jene Traumwelt, in der man jeden Augenblick über seinen eignen Schatten erschrickt. Vergebens suche ich oft zu entfliehen, ich folge ihm wie ein drohender, aber stummer Verkläger. Wie seltsam! Er wußte das tiefste Geheimnis über alles zu verbreiten, und doch gibt's ein noch tieferes Geheimnis: daß ich in dasselbe eingeweiht bin, und zwar in ungesetzlicher Weise. Alles vergessen ist nicht möglich. Zuweilen habe ich mit ihm sprechen wollen. Doch was würd's helfen? Entweder würde er alles leugnen, behaupten, das Tagebuch sei ein poetischer Versuch, oder er würde mir Schweigen auferlegen, und ich könnt' es ihm nicht wehren.

Von Kordelia habe ich eine Sammlung von Briefen erhalten. Ob es alle sind, weiß ich nicht, doch meine ich einmal von ihr gehört zu haben, daß sie selbst einige konfisziert habe. Ich habe sie kopiert und will sie hier einflechten.

Bald nachdem er Kordelia verlassen hatte, schrieb sie ihm einige Briefe, die er ihr unerbrochen zurücksandte. Auch diese sandte sie mir. Sie hatte selber die Siegel gebrochen, und ich darf mir wohl auch erlauben, eine Abschrift derselben zu nehmen. Über den Inhalt derselben hat sie niemals mit mir gesprochen, dagegen pflegte sie, wenn sie ihr Verhältnis zu Johannes nannte, einen kleinen Vers, soviel ich weiß von Goethe, herzusagen, der je nach der Verschiedenheit ihrer Stimmung und der dadurch bedingten verschiedenen Diktion etwas Verschiedenes zu bedeuten schien:

»Gehe,

Verschmähe

Die Treue.

Die Reue

Kommt nach.«

Die Briefe lauten folgendermaßen:

Johannes!

Ich nenne Dich nicht: mein; das – ich sehe es ein – – bist Du niemals gewesen, und hart genug bin ich gestraft, daß dieser Gedanke einmal meiner Seele Freude und Wonne war; und doch nenne ich Dich: mein; mein Verführer, mein Betrüger, mein Feind, mein Mörder, meines Unglücks Duell, meiner Freude Grab, meiner Unseligkeit Abgrund. Ich nenne Dich: mein, und nenne mich: Dein, und wie es einst Deinen Sinnen schmeichelte, die sich stolz vor mir beugten, um mich anzubeten, so klinge es nun wie ein Fluch über Dich, ein Fluch in alle Ewigkeiten. Freue Dich dessen nicht, und meine nicht, daß ich Dich verfolgen, oder mich mit einem Dolche wappnen wolle, um Dich zum Spott zu reizen! Fliehe, wohin Du willst, ich bin doch die Deine; zieh bis an die äußerste Grenze der Welt, ich bin doch die Deine; lieb hundert andre, ich bin doch die Deine, ja die Deine in der Stunde des Todes. Selbst die Sprache, die ich wider Dich führe, muß es Dir bezeugen, daß ich die Deine bin. Du hast Dich vermessen, einen Menschen so zu verführen, daß Du mir alles wurdest, und ich es als meine höchste Freude ansah, Deine Sklavin zu werden. Ja, Dein bin ich, Dein, Dein, Dein Fluch.

Deine Kordelia.

* * *

Johannes!

Es war ein reicher Mann, der hatte sehr viele Schafe und Rinder; und es war ein armes kleines Mädchen, die hatte nichts denn ein einiges kleines Schäflein; es aß von ihrem Bissen und trank von ihrem Becher. Du warst der reiche Mann, reich an allen Schätzen und Ehren der Welt; ich war die Arme und hatte nichts als meine Liebe. Du nahmst sie, Du freutest Dich ihrer; da winkte Dir die Luft, und Du opfertest das Wenige, das ich hatte; von Deinem Eignen konntest Du nichts opfern. Es war ein reicher Mann, der hatte sehr viele; Schafe und Rinder; es war ein armes kleines Mädchen, die hatte nichts als ihre Liebe.

Deine Kordelia.

* * *

Johannes!

Ist die Hoffnung denn so gar aus? Wird Deine Liebe niemals wiedererwachen? Denn daß Du mich geliebt hast, das weiß ich, wenn ich auch nicht weiß, woher ich diese Gewißheit habe. Ich will warten, ob mir die Zeit auch lang wird, ich will warten, warten, bis Du andre nicht mehr lieben magst. Dann wird Deine Liebe zu mir wieder aus dem Grabe erstehen, dann will ich Dich lieben wie immer, Dir danken wie immer, wie einst, o Johannes, wie einst! Johannes! Diese herzlose Kälte gegen mich – ist sie Dein wahres Wesen? war Deine Liebe, Dein reiches Herz – eine innere Lüge? Bist Du nun wieder Du selber? Hab Geduld mit meiner Liebe, vergib mir, daß ich nicht aufhören kann, Dich zu lieben; ich weiß es, meine Liebe ist Dir eine Last; aber es kommt doch die Zeit, da Du zu Deiner Kordelia zurückkehrst. Deine Kordelia! hörst Du es – das flehentliche Wort –: Deine Kordelia, Deine Kordelia?

Deine Kordelia.

* * *

Man sieht es, Kordelia war nicht ohne Modulation, wenn ihre Stimme auch nicht den Umfang hatte, den Johannes so bewunderte. Sie kann nicht alles so klar und deutlich darstellen, aber ihre Stimmung spricht sich in jedem ihrer Briefe aus. Das ist besonders bei dem zweiten Brief der Fall; man ahnt in demselben freilich mehr, was sie eigentlich will, aber diese Unvollkommenheit macht ihn für mich so rührend.

4. April.

Vorsicht, meine schöne Unbekannte! Vorsicht; aus einem Wagen heraustreten ist nicht so leicht, ja es kann ein entscheidender Schritt sein. Die Wagentritte sind ja so verkehrt eingerichtet, daß man alle seine Grazie fahren lassen muß, wenn man glücklich herauskommen will; die einzige Rettung ist oft ein verzweifelter Sprung in die Arme des Kutschers und des Dieners. Ja, der Kutscher und der Diener – die haben es gut. Ich glaube wirklich, ich will in einem Hause, in dem junge Mädchen sind, einen Platz als Diener suchen. Ein Diener wird leicht in die Geheimnisse eines kleinen Fräuleins eingeweiht. – Aber springen Sie doch um Gotteswillen nicht heraus, ich bitte Sie; es ist ja dunkel; ich will Sie nicht stören, ich bleibe dort unter der Straßenlaterne stehen, dann können Sie mich unmöglich sehen, und man wird doch nur dann verlegen, wenn man weiß, daß man gesehen wird – also steigen Sie aus! Lassen Sie den reizenden kleinen Fuß, den ich bereits bewundert habe, sich in der Welt versuchen! Nur Mut! Verlassen Sie sich auf ihn, er wird schon festen Grund finden, und erfaßt Sie für einen Augenblick ein Grauen, weil es Ihnen ist, als suchten Sie ihn vergebens, ja, ist Ihnen noch bange, nachdem Sie ihn gefunden? o, ziehen Sie nur rasch den andern Fuß nach – wer könnte so grausam sein, Sie in dieser gefährlichen Situation schweben zu lassen, wer wäre so alles Schönheitssinnes dar, daß er für die Offenbarung des Schönen kein Auge hätte? Oder fürchten Sie sich noch vor einem Unberufenen – doch nicht vor Ihrem Diener, auch nicht vor mir –, ich habe Ihren kleinen Fuß ja schon gesehen und habe, da ich Naturforscher bin, von Cuvier gelernt, daraus sichere Schlüsse zu ziehen. Also schnell! Wie diese Angst Ihre Schönheit hebt. Aber nein, die Angst an und für sich selber ist nicht schön, sie ist's nur, wenn man im selben Augenblick die Energie bemerkt, die sie überwindet. Ah, nun endlich! Sieh, wie fest steht der kleine Fuß! – – Kein Mensch hat es gesehen. Nur eine dunkle Gestalt geht in dem Augenblick an Ihnen vorüber, da Sie in die Thür des Hauses treten. Sie erröten? Erbittert, mit stolzer Verachtung sehen Sie sich um? ein flehentlicher Blick, eine Thräne in Ihren Augen? beides ist gleich schön, und beides nehme ich mit gleichem Recht an. Aber wie boshaft bin ich – welche Nummer hat das Haus? und was sehe ich? es ist ein Galanteriewaren-Geschäft. Meine schöne Unbekannte, vielleicht ist's empörend, aber ich folge Ihnen... Sie hat es vergessen, ach ja; wenn man siebenzehn Sommer zählt, in dem Alter Einkäufe macht und alles, was man in die Hand nimmt, mit unbeschreiblicher Freude ansieht, ja dann vergißt man leicht.

Noch hat sie mich nicht gesehen; ich stehe an der andern Seite des Ladentisches. An der entgegengesetzten Wand hängt ein Spiegel. Sie weiß es nicht, aber der Spiegel weiß es. O, der unglückliche Spiegel, er kann ihr Bild, aber nicht sie selber auffangen. Unglücklicher Spiegel, er kann ihr Bild nicht in sich aufnehmen und es vor der ganzen Welt verbergen, er muß es andern verraten, so jetzt mir. Welche Qual, wenn ein Mensch so gebildet wäre! Und doch wie viele Menschen gibt's, die nichts besitzen, es sei denn in dem Augenblick, da sie es andern zeigen...

Wie ist sie doch schön! Armer Spiegel, das muß eine Qual sein. Gut, daß du keine Eifersucht kennst. Ihre Haare sind dunkel, ihr Teint durchsichtig, wie Samt anzufassen, ich kann's mit meinen Augen fühlen. Ihre Augen – nein, die habe ich noch nicht gesehen, sie sind von den langen Wimpern ganz bedeckt. Und ihr Kopf – ein Madonnenkopf, so rein und unschuldig; er beugt