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Im Gebirgsdorf Torwalden wirft der karge Boden trotz harter Arbeit nur das Nötigste zum Leben ab. Der junge Bürgermeister Markus Larasser liebt dennoch seine Heimat über alles. Da beschließt die Regierung, die Wasserkraft der Grill durch ein Stauwerk zu nutzen. Torwalden soll in das moorige "Tal der sieben Sünden" umgesiedelt werden. Markus glaubt ganz im Sinne der Bauern zu handeln, wenn er diesen Plan mit allen Mitteln bekämpft. Doch die Torwaldener stimmen dem Umzug freudig zu. Als ihn kurz darauf auch noch seine Braut betrügt, droht er völlig zu verbittern. Da tritt Elisabeth in sein Leben und gibt ihm nach und nach den Glauben an die Menschen zurück.
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LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2003
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelfoto: Michael Wolf, München
Bearbeitung, Lektorat und Satz: Pro libris Verlagsdienstleistungen, Villingen-Schwenningen
eISBN 978-3-475-54730-0 (epub)
Hans Ernst
Das Tal der sieben Sünden
Im Gebirgsdorf Torwalden wirft der karge Boden trotz harter Arbeit nur das Nötigste zum Leben ab. Der junge Bürgermeister Markus Larasser liebt dennoch seine Heimat über alles. Da beschließt die Regierung, die Wasserkraft der Grill durch ein Stauwerk zu nutzen. Torwalden soll in das moorige „Tal der sieben Sünden“ umgesiedelt werden. Markus glaubt ganz im Sinne der Bauern zu handeln, wenn er diesen Plan mit allen Mitteln bekämpft. Doch die Torwaldener stimmen dem Umzug freudig zu. Als ihn kurz darauf auch noch seine Braut betrügt, droht er völlig zu verbittern. Da tritt Elisabeth in sein Leben und gibt ihm nach und nach den Glauben an die Menschen zurück.
Der Tag ist gerade erwacht, und über die schattigen Berghänge dringen die ersten Sonnenstrahlen. Wastl Ploner, der Viehhirte von Torwalden, zieht mit seiner Flöte aus Weichselholz die Dorfstraße entlang und bläst die gleiche Melodie, die er vor zehn Jahren schon geblasen hat: »Im Zirkus Sarrasani – da ist es wunderschön ...«
Vielleicht kann er kein anderes Lied. Es mag aber auch sein, dass Wastl seine Welt als einen Zirkus betrachtet, in der er sich bewegt und auf seine Weise glücklich ist. Wenn die Melodie ertönt, dann öffnen sich die Stalltüren, Kühe und Ziegen trotten heraus und ziehen hinter ihrem fröhlichen Flötenspieler her wie einst die Kinder hinter dem Rattenfänger von Hameln. Vom Frühjahr bis zum Spätherbst ist es jeden Morgen und Abend das Gleiche. Zeitlebens war der Wastl mit einer Mischung aus Trotz, Behäbigkeit und Unvermögen jeder anderen Arbeit aus dem Wege gegangen, und so ist er zum Hirten der dörflichen Herde aufgestiegen. Doch dieses Amt, das sei zu seiner Ehre gesagt, versieht er mit Umsicht und Eifer. Immer findet er die besten Weiden hoch über dem Bergwald, und es ist in all den Jahren noch nicht vorgekommen, dass ihm ein Tier verunglückt oder abgestürzt wäre.
Pater Paulus, der dreimal in der Woche von dem weit entfernten Kloster St. Innozenz herüberkommt und dem die seelsorgerische Betreuung der Gemeinde obliegt, hat ihn einmal ein anderes Lied lehren wollen. »Mit Gott fang deinen Morgen an ...«, oder: »Wem Gott will rechte Gunst erweisen«. Jedoch hat sich Wastl so dumm angestellt, dass es Pater Paulus bald aufgegeben und lieber den »Zirkus Sarrasani« in Kauf genommen hat.
Wastls Mutter, die in aufopfernder Liebe an ihm hängt, hat ihm beigebracht, dass er Gott und den Menschen gehorchen müsse. Aber das geht nur wenig in seinen Kopf ein, weil er es nicht begreift oder nicht begreifen will. Das einzige Wesen, dem er mit einfältiger Ergebenheit begegnet, ist Therese Larasser, die Schwester des Bürgermeisters.
An diesem Morgen nun, der so strahlend schön über die Berge gestiegen ist, steht Markus Larasser auf den Steinfliesen vor seinem Hof und ruft den Hirten zu sich.
Wastl zieht sofort seinen breiten Schädel ein und blinzelt misstrauisch an der hohen Gestalt des Bürgermeisters empor.
»Hör einmal zu, Wastl! Du hast gestern die Tiere über die Gemeindegemarkung hinausgetrieben. Ich will das nicht!« Wastl erschrickt, und sein Gesicht bekommt einen weinerlichen Ausdruck. Das dauert eine ganze Weile, aber dann funkelt es plötzlich listig in seinen Augen.
»Bist du Gott, dem ich gehorchen muss?«, fragt er mit seiner kindlich hohen Stimme.
»Red nicht so dumm, und tu, was ich sage!«
Als Antwort schwingt Wastl seine Peitsche, dass es einen scharfen Knall gibt. Es ist nicht seine Absicht, nach dem Bürgermeister zu schlagen; er will nur zeigen, wie gleichgültig es ihm ist, was Larasser ihm zu sagen hat. Im selben Augenblick kommt Therese aus dem Haus, groß und schlank wie ihr Bruder. Sofort gibt Wastl seine feindselige Haltung auf, und sein Gesicht wird ganz verzückt.
»Was ist los?«, fragt sie.
»Er will mich wieder einmal nicht verstehen«, antwortet Markus.
»Doch, doch. Der Wastl versteht dich ganz gut, nicht wahr, Wastl?«
»Ja, ja«, sagt dieser gehorsam, »und ich werd’ schon Obacht geben.«
»Na also, ich habe es doch gewusst, der Wastl ist ein ganz vernünftiger Bursche«, lächelt Therese und fährt ihm dabei mit der Hand über das unordentliche, borstige Haar.
Als er sie aber plötzlich festhält und seinen Mund darauf drückt, reißt sie sich energisch los.
»Mach keine Dummheiten, Wastl, und zieh los jetzt!«, schilt Therese ihn.
Sofort dreht er sich um, setzt seine Flöte an den Mund und wirft den Kopf zurück. Diesmal aber geht sein Lied unter in dem lauten Gebimmel der Kuhglocken, und nach einer Weile verschwindet er mit der Herde bereits hinter den letzten Häusern.
Still ist es dann wieder im Dorf. Nur aus der Schmiede tönt klingender Hammerschlag.
Die beiden Geschwister stehen noch eine Weile auf dem Vorplatz des Hofes, der einer der schönsten im Dorfe Torwalden ist. Noch ist der Frühling nicht ganz angebrochen, die Birken schlagen gerade aus, und an den Kirschbäumen zeigen sich die ersten Blüten. Und doch hat das Dorf sich schon wieder aufgerichtet von dem schweren Unglück, das es Ende Februar getroffen hat, als eine Lawine niedergegangen ist. Beim Kreithaler setzen sie gerade den Dachstuhl neu, der von den Schneemassen eingedrückt worden war. Die Steinmauer um den Kirchenhügel ist bereits wieder aufgebaut und die Grabsteine aufgerichtet, und am Neurieder Anwesen legen die Maurer gerade letzte Hand an. Diesmal ist es etwas gnädiger abgegangen, aber man hat in Torwalden schon Jahre erlebt, in denen das halbe Dorf von den Schneemassen begraben war und es Tote gegeben hat.
»Willst du bei der Kirchhofmauer die Ligusterhecke und die umgebrochenen Ahornbäume wieder anpflanzen lassen?«, fragt Therese ihren Bruder.
Markus Larasser lächelt.
»Ich möchte es schon, aber beim Landratsamt will man davon nichts wissen. Es sei zu kostspielig.«
»So wie ich dich kenne, wirst du sie aber trotzdem pflanzen.«
»Auf meine Kosten dann. Der Kreis knausert mit den Zuschüssen. Ich weiß nicht, was da los ist in letzter Zeit.«
Therese schaut ihren Bruder etwas aufmerksamer an. Es fällt ihr schon seit einiger Zeit auf, dass er nicht mehr so fröhlich lachen will und dass sein Gesicht fast immer Unwillen auszudrücken scheint.
»Du bist in letzter Zeit so unduldsam, Markus«, sagt sie. »Ich kann nicht glauben, dass dies nur damit zusammenhängt, weil du Ärger hast mit dem Landratsamt. Hängt es vielleicht mit Gina zusammen?«
»Mit Gina? Wie kommst du darauf?« Er schüttelt en Kopf. »Mit Gina steht es besser denn je. Im Herbst werden wir heiraten. Du darfst auch nicht glauben, dass ich mich über das Landratsamt ärgere. Nein, nein, das kommt von weiter her.« Nach einer Weile fügt er hinzu: »Weißt du, Therese, manchmal habe ich den Wunsch, nicht mehr Bürgermeister zu sein.«
»Du warst aber so stolz, als man dich vor zwei Jahren mit großer Mehrheit gewählt hat.«
»Warst du es vielleicht nicht?«, fragt er lächelnd zurück.
»Doch, das leugne ich nicht. Ich bin auch heute noch stolz auf dich, Markus. Du bist der jüngste Bürgermeister des Kreises mit deinen achtundzwanzig Jahren, und ich habe es mir schon so oft gewünscht, dass es unsere Eltern noch erlebt hätten, dich als Bürgermeister zu sehen.«
Markus Larasser nickt vor sich hin.
»Du hast Recht, Therese. Aber ich war früher ein viel freierer Mensch als heute. Was ich als junger Bursche tun konnte, das nähme man mir heute als Bürgermeister übel. Es wundert mich überhaupt, dass sie noch nicht über mich und Gina reden. Aber das wird vermutlich nicht mehr lange dauern. Bloß – dass ich mir hier überhaupt nichts einreden lasse, weil es eine Sache ist, die nur mich allein angeht.«
»Bist halt ein bissl vernarrt in sie?«, fragt die Schwester nicht ohne Spott.
»Ich habe sie für mein Leben gern, das ist alles, Therese«, antwortet er und legt den Arm um ihre Schulter. »Ich weiß schon, es ist so eine kleine Eifersucht in dir. Aber schließlich kannst du mich doch nicht in alle Ewigkeit an deinem Schürzenband haben. Eines Tages wird einer kommen und sich in dich verlieben, was ist dann?«
»Wer sollte sich in mich schon verlieben?«, erwidert Therese patzig, wendet sich um und will wieder ins Haus zurück.
»Sag das nicht, Therese. Du bist jung und schön, und der Gustav wird auch nicht bloß unserem guten Zwetschkenwasser zuliebe so oft bei uns zukehren.«
»Der?«, antwortet Therese spitz. »Da ist mir die tollpatschige Verliebtheit des Wastl noch lieber als das hochtrabende Getue des Jägers, der immer meint, ihm könnte keine widerstehen.«
Das muss Markus ihr wohl glauben. Die Sache mit dem Jäger Gustav hat schon ihre Richtigkeit; er macht ihr den Hof mit allen galanten Einfällen, deren ein Mann fähig ist, wenn er ein Mädchen gewinnen will. Er bringt ihr zur Sommerszeit schöne Almrauschblüten, er sucht für sie den blausten Enzian und die zartesten Steinröslein. Aber es bleiben immer nur Blüten der Berge, und sie werden nie das Liebesgeschenk eines werbenden Mannes. Theresa stellt sie ins Wasser und erfreut sich an den taufrischen Farben, aber sie bleibt dem Schenkenden immer unnahbar, weil sie seine Absicht erkennt. Der Jäger will ihre Liebe, um damit am Wirtshaustisch nach dem fünften Krügl prahlen zu können: »Ich hab’ die Therese Larasser im Arm gehalten und gebusselt!«
Therese fühlt das, und darum ist ihr ein Feldblumenstrauß vom Wastl lieber, weil sie weiß, dass er aus einer wirklichen, wenn auch einfältigen Liebe gegeben wird. Von ihr bekommt dieser arme Kerl das, was sie dem Jäger niemals schenken würde: Sie streicht ihm über das Haar und sagt ihm, dass er ein guter Mensch ist. Wenn er dann aus seinen treuen Augen zu ihr aufblickt, sieht sie einen Funken Freude aufleuchten.
Wirklich lieb aber hat Therese Larasser nur ihren Bruder Markus. Es tut ihr zum Beispiel weh, dass er diese schöne Gina so in sein Herz geschlossen hat. Es ist eine eifersüchtige Geschwisterliebe, die aus der Tiefe des Herzens kommt und die ihn behüten will vor allem Unguten, das ihm widerfahren könnte.
Diese Gina Waldherr ist in das Dorf gefallen wie eine kleine Flamme. Sie hat es verstanden, am ersten Tag schon den Markus Larasser, der sich vorher nie viel aus Mädchen gemacht hatte, zu verzaubern. Zuweilen ist es wirklich so, als ob der junge Mann die Welt um sich vergessen hätte und wie unter einem Bann durch seine Tage ginge, bis ihn der Abend aus den Fesseln dieses Zaubers erlöst. Vorher hat er sich manches sagen lassen, jetzt aber hebt er sofort witternd den Kopf, hört wohl zu, aber erklärt dann: »Ich glaube nicht, dass Gina dieser Meinung ist.«
Die Sonne ist nun vollends über die Berge hochgestiegen und zeigt das Dorf in herrlicher Schönheit. Das Kreuz auf dem Turm der Matthäuskirche schimmert wie Gold, und die »wilde« Grill rauscht so sanft, als hätten ihre Wasser noch nie ein Unheil angerichtet.
In diese feierliche Stimmung hinein sagt Markus plötzlich:
»Du solltest dich mit Wastl nicht so viel abgeben, Therese. Diese Schwachsinnigen fassen das oft ganz anders auf, und wie willst du ihn zähmen, wenn er einmal übermütig wird?«
»Mach dir keine Sorgen. Bei mir ist er brav wie ein Lamm. Im Übrigen, Markus, hat er zuweilen lichte Momente, in denen er alles klar und vernünftig beurteilt.«
»Wirklich? Das ist mir neu.«
»Ja, kürzlich erzählte er mir, wie er damals vor seinem toten Vater gesessen und ihm die Fliegen vom Gesicht gescheucht hat. Die Grill hat ihm seinen Vater genommen, und darum hasst er den Wildbach. Seit der Zeit ist er auch nicht mehr ganz richtig im Kopf.«
»Das mag wohl sein. Ah schau, da kommt der Weigl mit der Post. Ich will schnell nachsehen, was er Neues bringt.«
Markus Larasser geht mit dem Gemeindeangestellten ins Haus, wo er das Stübchen rechts vom Flur als Gemeindekanzlei eingerichtet hat. Außer dem Tresor, einer großen Stellage mit alten Folianten und einem wurmstichigen Schreibtisch ist dort nicht viel zu sehen. Die einzigen freundlichen Dinge in diesem Raum sind der Kanarienvogel in seinem Bauer und der mannshohe Gummibaum in der Ecke beim Fenster.
Weigl legt die Post auf den Tisch.
»Was gibt es Neues?«, fragt Markus Larasser freundlich.
Er öffnet mit seinem feststehenden Messer einen Umschlag, überfliegt die ersten Zeilen und legt den Brief beiseite. »Na? Gar nichts Neues? Du bist doch das lebendige Tagblatt von Torwalden!«
Nikodemus Weigl, von Beruf Schuster und nebenbei Gemeindeangestellter, reibt sich die Nase und nimmt dann die blaue Schirmmütze ab.
»Wenn es dir eine Neuigkeit sein sollte, Bürgermeister, der Anderlpeter hat gestern sein Weib wieder einmal windelweich geschlagen.«
»So? Warum denn?«
Weigl zuckt die Schultern. »Vermutlich hat er gestern über den Durst getrunken.«
»Ach ja, gestern war ja Richtfest beim Kreithaler. Wenn die Kerle zu viel saufen, wissen sie nicht mehr, was sie tun. Du bist auch so einer, Weigl. Sonst der beste Mensch, aber im Suff redest du lauter dummes Zeug und machst Sprüche, als ob du der Bürgermeister wärst.«
»Ich?«, fragt der Weigl, bass erstaunt. »Inwiefern, wenn ich fragen darf?«
Larasser öffnet einen weiteren Brief, liest ihn und legt ihn beiseite. »Der Vierlinger hat vorgestern im Gemeindewald sechs Fichten umgeschnitten. Du hättest es ihm erlaubt, sagt er.«
»Der Vierlinger? So, so, der Vierlinger, ja, wie war jetzt das gleich?«
Der Weigl kann sich an nichts mehr erinnern und muss plötzlich furchtbar husten. Da aber Markus dem Vierlinger sofort eine Rechnung zugeschickt hat, die der Vierlinger auch umgehend bezahlte, will er in der Sache nicht weiterbohren und sieht nach, was der Gemeindeangestellte an diesem Vormittag noch zu erledigen hat.
Aber eigentlich hat Weigl doch eine hohe Meinung von seinem jungen Dienstherrn. Auf dem Landratsamt ist Markus Larasser gut angeschrieben. Das ist Weigls unumstößliche Meinung, die jeder von ihm hören kann. Nie vorher ist man den dörflichen Bedürfnissen so weitgehend entgegengekommen, und wenn Markus etwas auf schriftlichem Wege nicht gleich erreichen kann, bei einer persönlichen Vorsprache setzt er einfach alles durch.
Es ist gewiss ein Vorteil für Torwalden, dass Larasser bereits einige Semester in der Stadt studiert hatte, bevor das Unglück mit seinem Bruder geschah und der alte Larasser ihn zurückgerufen hat, damit er den Hof übernehmen sollte. Dem früheren Bürgermeister Kotter hat meistens der Lehrer Schildhauer die Gesuche an die Behörden aufsetzen müssen. Larasser braucht niemanden dazu.
In dieser Woche schlägt das Wetter noch einmal um. Kalte Tage kommen mit Regen und Schnee. Die Grill steigt beängstigend an. Die Leute von Torwalden sehen voller Sorge zum Damm hinauf, ob er wohl halten wird. Vorsichtshalber lässt Larasser Sandsäcke vor der Mauer aufschichten und stellt eine Nachtwache auf.
Er beteiligt sich selber bis Mitternacht daran und geht erst dann, als wirklich keine Gefahr mehr zu befürchten ist. Denn am anderen Morgen, als das Wasser schon in kleinen Wellen über den Rand hinschlägt, zerreißt im Westen das dunkle Gewölk, und dahinter wird ein breiter Streifen gelblich brennenden Himmels sichtbar.
Von diesem Tag ab wird es jedoch wirklich Frühling in Torwalden. Alle Bäume blühen nun. Nur der Hügel mit dem Kirchhof ragt noch aus dem weißen Meer von Blüten.
Auf den Äckern werden die Kartoffeln gelegt, und die Luft ist erfüllt vom Geruch der frisch gepflügten Erde.
Auch Markus Larasser ist mit seinen Leuten dabei, Kartoffeln zu säen. Recht viel mehr gedeiht in dieser Gegend nicht, höchstens noch Dinkel und Hafer. Torwalden kann nicht prahlen mit goldgelben Weizen- und silberschimmernden Kornfeldern. Dazu ist der Boden viel zu steinig. Selbst der Frühling ist nur rasch und wild, ein kurzer Traum in Weiß.
Wenn Markus ein wenig rastend in die Runde schaut, dann sieht er fast alle Leute des Dorfes auf den Feldern, Männer, Frauen und Kinder. Er erinnert sich daran, wie manche von ihnen einmal etwas von ihm erwartet haben. Wenn das Dorf doch schon so arm und klein war, dass es nicht einmal auf allen Landkarten verzeichnet war, dann sollte wenigstens einmal einer aus ihren Reihen aufsteigen und eine Leuchte werden, die den Namen Torwalden über die Grenzen des Landes hinausträgt. Große Freude hat damals alle erfüllt, als feststand, dass Markus Larasser, des Bauern Tobias Larasser jüngerer Sohn, dazu ausersehen war, hinauszugehen in die Welt.
Aber dann ist Anton Larasser, der ältere Bruder, im Bergwald tödlich verunglückt, und Markus musste wieder heimkehren, ohne das erreicht zu haben, wozu er seinen glänzenden Zeugnissen nach befähigt gewesen wäre.
Mit schmalen Augen sieht Markus über das Land und wartet, bis weit drüben am andern Ackerrain ein Mädchen sich aufrichtet und ihm zuwinkt.
Es ist Gina, eine Nichte des Bauern Rotanner, die dieser sich im Winter auf den Hof geholt hat. Und jedermann könnte es nun sehen, dass auch er, der Bürgermeister, die Hand hebt und dem Mädchen fröhlich zuwinkt.
Markus Larasser beginnt wieder zu arbeiten. Und mit ihm alle, die noch auf seinem Acker sind: die Loni, die schon lange auf seinem Hof ist, und ein paar Hilfskräfte, darunter die Witwe Ploner, die Mutter vom Wastl. Es wirft den Pflug hin und her, so viele Steine und Wurzeln birgt der Boden. Aber Furche um Furche wird gezogen, bis die Wolken über dem Wattengebirge rötlichen Glanz bekommen.
Larasser wartet, bis er die ersten Bauern von den Feldern dem Dorf zuziehen sieht, dann erst beendet auch er mit seinen Leuten die Arbeit. Damit ist aber für ihn noch nicht Feierabend, denn jetzt erst haben die Menschen Zeit, ihre Anliegen, ihre Nöte oder Sorgen in die Gemeindekanzlei zu tragen. Oder auch ihre Streitigkeiten, die er nach bestem Wissen und Gewissen zu schlichten sucht, weil er den Leuten das Geld sparen helfen will, das bei einem Gerichtsverfahren verloren ginge.
Endlich verlässt der letzte Bittsteller sein Haus, und Markus Larasser darf an sich selber denken.
Klar und hell leuchten die Sterne über dem Dorf, und der Wind riecht nach den Bergen, von denen er kommt. Markus geht an den hell erleuchteten Fenstern des Wirtshauses vorbei und sieht im flüchtigen Hinschauen ein halbes Dutzend Bauern um den großen Ofentisch sitzen, darunter auch den Rößler, der ihm gerade vor einer halben Stunde in der Gemeindekanzlei versichert hat, dass er nicht wisse, womit er seine Kinder kleiden soll, wenn er, der Bürgermeister, darauf bestünde, dass er die rückständige Grundsteuer bezahlen muss.
Bei der Kirchhofmauer wartet Gina auf ihn. Ihr helles Kleid leuchtet neben dem Stamm einer Linde, und als er ihr seine Hände entgegenstreckt, lässt eine große Seligkeit, wie immer, wenn er ihre Nähe fühlt, sein Herz aufjubeln. Alle Last des Alltags fällt von ihm ab; er ist nicht mehr der Bürgermeister von Torwalden, sondern ein junger Mensch, den die Liebe ruft und der die Küsse des Mädchens nimmt, als seien sie das köstlichste Geschenk auf dieser Erde. Oft genug kann er nicht begreifen, wieso das Leben einen Sinn für ihn hat haben können, bevor ihm Gina begegnet ist. Sie ist schön, das sagt nicht nur er in seiner Verliebtheit, sondern das sagen alle im Dorf, die Mädchen mit einigem Neid, die Burschen mit heimlichem Sehnen. Gina Waldherr ist schlank wie eine Birke, nicht gerade groß, aber von einem unwiderstehlichen Temperament, das Markus, der noch nie vorher einer Frau so nahe gewesen ist, manchmal mit leiser Sorge erfüllt. Ihr Haar schimmert ein wenig ins Tizianrote, ihre Augen dagegen sind ganz dunkel, mit fein geschwungenen Brauen darüber.
Markus hat den Arm um ihre Hüften gelegt, und so gehen sie langsam über die Wiesen hin. Ihre Stimme ist leise und voll Zärtlichkeit, und ebenso leise gibt er die Antworten in die große, schweigende Nacht hinein, die vom Mond gerade so viel erhellt wird, dass sie ihre Gesichter sehen können.
»Ach ja«, seufzt Gina. »So eine Nacht müsste hundert Stunden haben. Du bist viel zu wenig bei mir, Markus.«
»Es wird nicht mehr lange dauern, Gina, dann werden wir heiraten«, antwortet er. »Im Herbst ganz sicher.«
»Im Herbst«, spricht sie langsam nach. »Wie wird es dann sein, Markus?«
»Es lebt sich gut auf dem Larasserhof, Gina.«
»Ach du«, lacht sie ihn aus. »Glaubst du denn, dass es mir um den Hof geht? Mir geht es nur um dich, Markus.«
»Ja, aber der Hof und ich, wir gehören nun einmal zusammen, Gina.«
»Und das Dorf? Du hast das Dorf vergessen, das dir so sehr am Herzen liegt, dass ich es manchmal hassen möchte.«
Erschrocken bleibt er stehen und schaut ihr ins Gesicht.
»Gina, das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich weiß, dass mir wenig Zeit bleibt für dich, aber ich bin nun einmal der Bürgermeister von Torwalden und kann diese Verantwortung nicht einfach von mir werfen.«
Gina stellt sich ihm plötzlich in den Weg. »Auch dann nicht, wenn ich es von dir verlangen würde?«
»Nein, auch dann nicht«, antwortet er ohne langes Überlegen. »Ich nehme dir das nicht übel, Gina, du bist noch zu kurz in Torwalden, als dass du begreifen könntest, wie einem so ein Dorf ans Herz wachsen kann.«
»Ich will es hoffen«, sagt sie versöhnlicher, »dass es mir ans Herz wächst. Es ist sowieso schon etwas leichter geworden. Am Anfang habe ich gemeint, die Berge müssten mich erdrücken. Alles war so schwer und düster. Dann kamst du. Es wurde lichter um mich. Als ich dich das erste Mal sah, Markus, bin ich beinahe erschrocken, weil du so groß und stark über mir standest und mich angesehen hast, als möchtest du mir bis auf den Grund der Seele schauen.«
»Ja, manchmal möchte ich das«, antwortet er schnell. »Ich weiß so wenig von deinem Leben, Gina; ich weiß nicht, ob darin schon ein Mann eine Rolle gespielt hat, ob es bewegt oder still war.«
Sie lacht auf und umarmt ihn stürmisch. »Eifersüchtig auf das unbekannte Vergangene?«
»Nein, so kindisch bin ich nicht«, verteidigt er sich und weiß nicht, dass er ihr damit den Spaß verdirbt, dass sie es gerne hätte, wenn er eifersüchtig wäre. Freilich erscheint es ihr ratsam, darauf nicht zu antworten, wie ihr Leben bisher gewesen ist. Es ist bewegt gewesen, ein Auf und Ab im Wirbel der Gefühle. Aber darüber wird sie mit diesem Mann nie reden können. Für ihn ist die Liebe nicht Spiel, für ihn ist sie schwer und ernst.
Am Anfang ist Gina ein wenig erstaunt gewesen über die merkwürdige Art seines Liebens. Sonst von ungeheurer Vitalität, zeigt er hier gar nichts von einem fordernden Draufgängertum, und kaum einmal überwältigt ihn rasches Zupacken, wenn ihr Atem nahe an seinem Munde ist. Nur hin und wieder verliert er sich zu einem schüchternen Geständnis, dass er sie lieb habe, lieb habe eben auf seine Art.
Markus genießt dieses Hinschlendern, so Arm in Arm durch die blühende Frühlingsnacht. Es hüllt sein Herzen in einen feierlichen Rhythmus, und er gesteht Gina mit fast kindlicher Einfalt, dass in ihm neben seiner Liebe zu ihr nichts anderes Platz habe. Gina antwortet nichts, sondern schmiegt sich nur noch fester in seinen Arm, um ihm damit zu bestätigen, wie sie ganz zu ihm gehöre. Sie weiß aber auch, dass die Nacht so im Hinschlendern ungenützt in den fahlen Morgen übergehen wird, wenn sie selbst nicht die Initiative ergreift. Darum bleibt sie gerade dort, wo es besonders dunkel ist, stehen und wirft die Arme um seinen Hals.
»Ach, Markus, du weißt ja gar nicht, wie ich dich liebe ...«
Die Mondsichel ist schon über die Berge geschwommen; nur das fahle Licht der Sterne steht über dem kleinen Tal. Markus spürt den halbgeöffneten Mund, sieht in die dunklen, großen Augen – und fest umschließen sie seine Arme ...
Die gleichen Sterne leuchten über dem Larasserhof und spiegeln sich im großen Brunnentrog vor dem Haus. Der Nachtwind lässt das Papier leise rascheln, mit dem Therese die Blumenkästen auf dem Balkon zugedeckt hat, damit ein immer noch zu befürchtender Morgenreif die jungen Setzlinge nicht vernichtet.
Therese liegt in ihrer Kammer, den Blick zur weißen Decke gerichtet. Ihr strenges Gesicht ist nachdenklich bewegt wie immer, wenn sie den Bruder um die Nachtzeit außer Haus und bei Gina weiß. Sie kann sich nicht helfen und weiß nicht, woher es kommt, dass sie Angst um ihn empfindet. Ehrlich und rechtschaffen hat sie sich bemüht, diesem Mädchen geneigt zu sein, um des Bruders willen. Aber es gelingt ihr nicht, Wärme für dessen Freundin zu empfinden. Gina bleibt ihr fremd, und immer mehr beschleicht sie die Angst, dass Markus sich an etwas Dunkles verlieren könnte, an dem sein Herz zerbrechen wird. Diese Liebe hat wie ein Sturmwind sein Herz erfasst und sein ganzes Wesen verändert. Wenn er auch darüber schweigt, so fühlt Therese doch, wie Markus ein anderer geworden ist. Zeit ihres Lebens hat sie in Stolz und Bewunderung zu diesem Bruder aufgesehen, und sie bewundert auch jetzt die Gelassenheit, mit der er durch die Tage geht, obwohl sein Inneres in Aufruhr ist.
Plötzlich vernimmt Therese einen leisen klatschenden Laut auf dem Fußboden. Sie knipst das Licht an und sie sieht inmitten der Kammer einen großen Feldblumenstrauß auf dem Boden liegen. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas geschieht, und Therese empfindet nun gerade keine große Freude, aufstehen zu müssen und sich am Fenster zu zeigen, damit Wastl beruhigt nach Hause gehen kann. Einmal hat sie es nicht getan. Dann ist Wastl unter ihrem Fenster die ganze Nacht sitzen geblieben, bis die Morgenglocke geläutet hat. Darüber ist im Dorf ein boshaftes Geflüster entstanden.
Therese schlägt die Bettdecke zurück und geht ans Fenster.
»Ich danke dir für die Blumen, Wastl«, flüstert sie. »Aber nun geh schön nach Hause.«
Unbeweglich bleibt der Schatten unten stehen. Therese zischt etwas ärgerlich:
»Du sollst nach Hause gehen, Wastl!«
»Und du sollst herunterkommen«, fleht er leise und breitet die Arme ins Dunkel. »Komm schnell, Therese, bevor die Männer kommen und dich holen.«
»Welche Männer?«
»Sind es sieben oder zwölf, genau kann ich’s nicht sagen, Therese. Sie schleichen im Wald umher und bewegen sich wie Geister. Einen haben sie an einem Seil in die Schlucht hinabgelassen und wieder heraufgezogen.«
Rasch legt nun Therese ihre Kleider an und geht hinunter. Es ist nicht deswegen, weil sie neugierig gewesen wäre oder dem Unsinn von den »zwölf Männern im Wald« einen Wert beigemessen hätte. Noch unter der Haustür greift sie nach dem Lichtschalter, und der Hofraum ist durch die große Bogenlampe nun taghell erleuchtet. Wastl zuckt unwillkürlich zusammen und deckt schnell beide Arme über die Augen. Aber dann steht Therese vor ihm und sagt streng:
»Was redest du da für Unsinn, Wastl?«
Wie ein getretener Hund sieht er sie an.
»Niemandem hätte ich es sonst gesagt, Therese. Aber sie sind tatsächlich da.«
»Wer ist da?«
»Weiß ich es denn? Vielleicht sind es die aus der Unterwelt, die in unseren Wald einbrechen wie die Räuber.« Wastl streicht sich mit der Hand über die Augen. »Was hab ich jetzt erzählt?«, fragt er wie ein Erwachender, der einem Traum nachdenkt. »Ach ja, Therese, manches ist Dummheit, was ich sage. Aber es ist tatsächlich so, dass sie seit Tagen in den Bergen herumsteigen, als ob sie etwas ausmessen wollten. Das darfst du mir glauben, Therese, so sicher, wie es die Wahrheit ist, dass ich für dich einen Menschen umbringen könnte.«
Therese erkennt, dass er jetzt ganz klar spricht, dass er einen seiner lichten Augenblicke hat.
»Man darf keinen Menschen umbringen«, verweist sie ihn.
»Ja, aber ich liebe dich doch, und wenn du es verlangst, dann ...«
»Ich weiß schon, Wastl«, sagt sie jetzt begütigend, »du bist eine treue Seele.«
»Das weißt nur du, Therese. Alle anderen glauben es nicht.«
»Lass die anderen, Wastl! Und nun gehst du wieder schön nach Hause.« Sie legt ihm die Hand auf die Schulter und dreht ihn langsam herum.
»Aber was die Männer im Wald betrifft – ja – was wollte ich gleich sagen? Jawohl – bis in den Tod – und du wirst meine Blumen ins Wasser stellen, Therese?«
»Ja, Wastl, geh nur jetzt.«
Nun beginnt der Viehhirt, eilig davonzurennen. Wie ein Schatten huscht er durch die Bäume des Obstgartens, und da er barfuß ist, hört man keinen Schritt. Er springt über den Zaun zur Straße hinaus, kauert sich in den Graben und holt seine Weichselholzflöte hervor.
Therese ist schon wieder in ihrer Kammer und vernimmt verwundert die Töne, die so ganz anders sind als sonst die wohlbekannten vom »Zirkus Sarrasani«. Es ist ein schwermütiges Lied, das Wastl seiner Flöte entlockt, eine Folge von klagenden Tönen, wie ein Windhauch, der durch die Schilfränder eines Sees geht. Es sind die einzigen Laute in der großen, schweigenden Nacht, und man könnte meinen, dass es die Erde selber sei, die leise klagt.
Dann verstummen die Töne so schnell, wie sie aufgestanden sind, und nur das Rauschen der Grill ist zu hören.
Natürlich nimmt Therese das Gerede von den Männern im Wald nicht ernst. Wenn es so wäre, hätte Markus längst etwas davon gesagt. Im Übrigen hat sie das Vorkommnis am Morgen schon wieder vergessen.
Es trifft Markus Larasser wie ein Wettersturz, als er einige Tage später selbst droben im Hochwald deutliche Spuren entdeckt und ein kleines Messingstück findet, das wohl von einem Messgerät stammt.
Sofort sucht er den Jäger Gustav auf und erfährt von ihm, dass sich tatsächlich in der Vorwoche eine Gruppe von Geometern in der Hütte am Hohen Kran aufgehalten hat.
»Kannst du dir denken, was das zu bedeuten hat?«
»Wenn du es als Bürgermeister nicht weißt, wie soll ich es wissen?«, antwortet der Jäger und lädt Markus zu einer Hasenkeule ein, die er sich gerade zubereitet hat.
Aber der hat plötzlich keinen Hunger mehr. Ein heißer Zorn steigt in ihm auf, dass hier in seinem Bereich etwas geschieht, ohne dass man ihn davon verständigt hat. Mit langen Schritten eilt er nach Hause, er will sofort eine scharfe Anfrage an das Landratsamt richten, was dies zu bedeuten habe.
Als Therese sein Gesicht sieht, merkt sie sofort, dass ihn etwas außerordentlich erregt hat.
»Was ist, Markus? Hast du Ärger gehabt?«
»Ja, stelle dir vor, Therese, droben im Gebirge wird umeinander gemessen und abgesteckt, und der Bürgermeister braucht nichts davon zu wissen! Aber ich werde ihnen das schon beibringen!«
»Vermessen? Dann ist es also doch wahr!«
Markus fährt herum. »Du hast es gewusst?«
»Der Wastl hat mir so etwas gesagt.«
»Wann war das?«
»Das war am – heute ist Donnerstag – am Montag ist es gewesen. Ich habe dem Gerede natürlich keine Bedeutung beigemessen.«
»Mir will scheinen, als ob manchmal die Narren mehr wüssten als unsereiner. Aber denen schreibe ich jetzt einen gepfefferten Brief!«
»Nein, das wirst du nicht tun, Markus, sondern du wirst, wie ich dich kenne, erst einmal darüber schlafen und morgen alles noch einmal genau überdenken.«
Markus fragt sich unwillkürlich, was Gina in diesem Fall gesagt hätte. Ob sie jemals die ausgleichende Ruhe aufbringen wird, wie Therese sie besitzt, wenn es gilt, ihn zu besänftigen?
Markus Larasser braucht keinen Brief mehr zu schreiben, denn am folgenden Morgen bringt Weigl mit der Post eine Einladung des Landratsamtes zu einer wichtigen Besprechung, die am nächsten Tag stattfinden soll.
Nachdem Markus die Aufforderung gelesen hat, sieht er lange wie gedankenverloren zum Fenster hinaus. Währenddessen liest Weigl ungeniert über seine Schulter hinweg die Einladung und sagt dann:
»Um neun Uhr sollst du dort sein. Da darfst du aber zeitig fahren, damit du rechtzeitig hinkommst. Was werden sie denn so Wichtiges haben?«
Markus legt ärgerlich den Brief beiseite.
»Das geht dich gar nichts an! Du, Weigl, du hörst doch sonst das Gras wachsen. Hast du denn nicht gehört, dass sich die Geometer im Wald droben aufhalten?«
Den Weigl ärgert das nun selbst, dass er davon nichts weiß, denn er ist sozusagen das lebendige Tagblatt von Torwalden. Über alles ist er sonst informiert.
Er weiß genau, in welcher Familie es Streit gibt, wer am Sonntag den größten Rausch gehabt hat und wo ein Kind zu erwarten ist. Aber von Geometern hat er noch nichts vernommen.
»Also, selbst dir ist das entgangen«, sagt nun der Bürgermeister. »Und das will schon was heißen. Was gibt es sonst Neues, Weigl?«
Weigl schlägt dienstbeflissen sein Notizbüchlein auf. »Da wäre am nächsten Mittwoch die Trauung des Huber-Ferdinand mit der Rampold-Mariele.«
»Habe ich mir schon vorgemerkt. Was weiter?«
»Beim Lederer ist die Wasserleitung defekt.«
»Geht mich nichts an, muss er selber machen.«
»Es ist außerhalb seines Grundstückes, und der Lederer sagt, das muss die Gemeinde machen.«
»Dann veranlasse das. Außerdem habe ich hier noch ein paar Bekanntmachungen anzuschlagen. Der Wasserzins ist bis zum nächsten Ersten fällig. Übrigens sind die meisten auch noch mit der Hundesteuer im Rückstand. Schau nur zu, Weigl, dass du die Gelder hereinbringst!«
»Wenn es nur leichter wäre! Wenn es etwas gibt, halten sie beide Pratzen her. Aber wenn sie zahlen sollen, dann wird gejammert, als ob sie schon am Verderben wären!«
»Ja, ja, ich kenne meine Torwaldner schon«, lacht Markus. »Ich kenne aber auch dich, Weigl. Du wirst die Gelder schon hereinbringen, das weiß ich. Geh hinüber jetzt in die Küche zur Therese, und lass dir ein Stamperl Schnaps geben.«
Markus Larasser fährt am anderen Morgen nicht so zeitig weg, wie es ihm sein Gemeindeangestellter empfohlen hat. Der war schon lange nicht mehr in der Kreisstadt Murbach und weiß nicht, wie gut sie inzwischen die Straße dorthin hergerichtet haben. Und ganz pünktlich sind sie beim Landratsamt erfahrungsgemäß auch nicht.
Der Morgen erhebt sich strahlend.
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