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Ein kleines Dorf. Eine epochale Entdeckung. Eine große Liebe.
Borgo San Michele, ein Alpendorf umgeben vom Panorama majestätischer Berge. Dort verbinden sich die Schicksale von Daniele, einem jungen Mann, der mit einer besonderen Gabe zur Welt kam, und Susanna, die unter dramatischen Umständen geboren wurde. Es ist das Jahr 1633, und die Inquisition verfolgt gnadenlos jeden, der ihre Lehre anzweifelt. So auch den Universalgelehrten Galileo Galilei, der das Weltbild der Kirche mit einem spektakulären Beweis ins Wanken gebracht hatte: Nicht die Erde ist Mittelpunkt des Universums, sondern die Sonne. Eine atemraubende Mission bringt auch Susanna und Daniele in tödliche Gefahr. Doch sind die Menschen um sie herum überhaupt bereit für eine neue Zeit? Und ist die Zeit bereit für eine Liebe über Grenzen hinweg?
Ein bildgewaltiges Epos, in dem Tradition und Aberglaube mit Fortschritt und Visionen von einer besseren Welt ringen, eine mitreißende Geschichte um mutige Entscheidungen, die Macht der Liebe und den unerschütterlichen Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit
»Luca Di Fulvio erzählt eine atmosphärisch dichte Schicksalsgeschichte, die von der ersten bis zur letzten Seite fesselt!« Taschenbuch-Magazin
»Di Fulvio versteht es meisterhaft, die Angst der Menschen vor allem Neuen, ihren Aberglauben und den Würgegriff der Inquisition darzustellen. Sehr gut!« Mainhattan Kurier
»In zwei parallelen Erzählsträngen bewegt sich dieser fesselnde, atmosphärisch dichte Roman auf sein dramatisches Ende zu und hält bis zur letzten Seite seine Leser:innen in Atem« BUCHJOURNAL
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Seitenzahl: 732
1633. In dem Alpendorf San Michele herrscht die Inquisition. Alles, was nicht ihren Normen entspricht, wird gnadenlos verfolgt. Und an diesem Ort verbinden sich die Schicksale von Daniele, der mit einer ganz besonderen Gabe zur Welt gekommen ist, und Susanna, die unter dramatischen Umständen geboren wird. Die Welt steht vor dem Umbruch, als der Wissenschaftler Galileo Galilei den Beweis erbringt, dass nicht die Erde der Mittelpunkt des Universums ist, sondern die Sonne. Vor diesem Hintergrund müssen Susanna und Daniele eine ungewöhnliche Mission erfüllen. Doch sind die Menschen um sie herum bereit für eine neue Zeit? Und ist die Zeit bereit für eine Liebe über Grenzen hinweg?
Luca Di Fulvio, geb. 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Bevor er sich dem Schreiben widmete, studierte er Dramaturgie bei Andrea Camilleri an der Accademia Nazionale d’Arte Drammatica Silvio D’Amico. Seine Romane Der Junge, der Träume schenkte und Das Mädchen, das den Himmel berührte standen monatelang auf den ersten Plätzen der Spiegel-Bestsellerliste.
Luca Di Fulvio
Das verborgene Paradies
R o m a n
Aus dem Italienischen vonElisa Harnischmacher
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Marion Labonte, Wachtberg
Titelillustration: © Marti Bug Catcher/shutterstock; Alexdgvision/shutterstock; Macronatura.es/shutterstock; maphke/shutterstock; © Richard Jenkins Photography
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-2082-3
luebbe.de
lesejury.de
Für meine Frau Elisa,die Sonne, die ich in alle Ewigkeit umkreisen werde
Amore mio, nimm meine HandWie jemand, der fortgeht und nicht weiß, für wie langTage voller Trübsinn kannst du besiegen,Bittere Tränen und Schwermut werden dir unterliegenDu bist mein Himmel,Mein Himmel
Ich werde dich holen, ich komme zu dirUnd werde nicht sein, was du erwartest von mirIch bin der Wind, der in dir wehtIch bin das Schicksal, das niemand wählt,Und dann, dann ist die Liebe ganz einfachUnd jetzt beweise ich es dir, jetzt beweise ich es dir
»Liebe ist ganz einfach« Tiziano Ferro
Anno Domini 1610Dritter Tag im Monat November
Borgo San Michele, Ostalpen
Die Frau lag verborgen in einer Einbuchtung der Klostermauer, ohnmächtig und halb erfroren.
Der Mönch, der jeden Morgen die Exkremente der Bruderschaft an diesem widerwärtigen Ort entsorgte, bemerkte sie zunächst nicht. Er hatte andere Sorgen, in der Nacht war reichlich Schnee gefallen, und seine Füße froren erbärmlich, außerdem musste er achtgeben, nicht in die dort allerorts herumliegenden Ausscheidungen zu treten. In der Ferne hörte er bereits die Ketten der Zuchthäusler klirren, die auf städtisches Geheiß einmal in der Woche kamen, um den fauligen Unrat fortzuschaffen. Die trostlosesten unter ihnen suchten selbst darin verzweifelt nach etwas Essbarem. Der Mönch entleerte die beiden Eimer und beeilte sich, den restlichen Abfall aus dem Kloster zu holen.
Als er wieder heraustrat, sah er die acht an den Füßen zusammengeketteten Zuchthäusler und ihre zwei Wachen mit einem stinkenden Karren um die Mauerecke biegen. Hastig schüttete der Mönch zwei weitere Eimer auf einen Lumpenhaufen aus und wandte sich wieder dem Kloster zu. Auf die derben Zuchthäusler wollte er keinesfalls treffen.
Doch mit einem Mal regte sich der unförmige Lumpenhaufen unter dem Mist und stöhnte leise.
»Das ist die Hure Berna von der Bärenbrücke oben«, unkte einer der Wächter und griff sich, begleitet von einem dreckigen Lachen, mit der Hand an den Hosenlatz.
Auch der Mönch hatte die Frau entdeckt. Er beugte sich zu ihr hinunter, befreite ihr Gesicht von einem Fetzen dreckigem Stoff und trat dann einen Schritt zurück, als fürchte er, sich durch die Berührung die Seuche zu holen. Auf den ersten Blick sah die Frau aus wie eine junge Mumie. Wegen der einsetzenden Erfrierungen war ihre Haut bläulich und zerknittert. Der Mund mit den aufgesprungenen Lippen war leicht geöffnet und offenbarte einige verfaulte Zähne. Ihr hoffnungsloser Blick verriet, dass ihre Augen weit mehr gesehen hatten, als ein altes Weib an ihrem Lebensende hätte erzählen können.
»Versuch gar nich erst, ihn ihr ins Maul zu stecken, Frater«, rief einer der Zuchthäusler, »sonst friert er dir noch ab.«
Die Dirne reagierte nicht auf das obszöne Gelächter des Gefolges, sie legte lediglich mühevoll ihre rissigen, mit verschlissenen Lumpen verbundenen Hände in den Schoß, als wollte sie andeuten, was ihr nicht über die Lippen kam.
»Mach, dass du hier wegkommst, du Stück Dreck!« Der Frater nahm einen Stock auf und fuchtelte damit vor der jungen Frau herum. »Bringt sie weg! Worauf wartet ihr noch?«, wandte er sich an die beiden Wachen.
Die Zuchthäusler und die Soldaten lachten nur. Durch den Lärm aufmerksam geworden, kam der Prior herbei, Fra’ Thevet, die Ärmel der Kutte aufgekrempelt, in den erdverkrusteten Händen einen soeben im Gemüsegarten geernteten Kohl.
Als hätte sie ihn mehr gespürt als gesehen, fand die Dirne von irgendwoher die Kraft, den Kopf in seine Richtung zu drehen. Sie sah in sein eingefallenes Gesicht, aus dem ein klarer Blick leuchtete, die Augen noch strahlender durch den frühzeitigen grauen Star, der wie wächserne Tropfen auf seinen Linsen hing. Ihre Blicke trafen sich. Das Gesicht der Frau verzog sich zu einer schmerzvollen Grimasse, die auch ein Lächeln hätte sein können, das glaubte zumindest der Prior.
Und in diesem Elend, diesem Schmerz und gequälten Fleisch vernahm Fra’ Thevet ein verzweifeltes Flehen, das ihn mitten ins Herz traf.
Die Zuchthäusler und Wachen waren verstummt.
In diese neue, unheimliche Stille hinein hob die Dirne ebenso langsam, wie sie zuvor den Kopf gewandt hatte, einen vor Kälte starren Finger und richtete ihn auf Fra’ Thevet. »Das … Kind kommt«, murmelte sie und deutete noch einmal in den Schoß. Dann schwanden ihr die Sinne.
Fra’ Thevet ließ den fetten Kohl in den Schnee fallen.
In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Schließlich bekreuzigte er sich und rief entschieden: »Bringen wir sie rasch hinein!«
Niemand rührte sich. Der Frater, der sich um den Unrat kümmern sollte, den Stock noch immer auf die Dirne gerichtet, schüttelte immer wieder den Kopf.
Fra’ Thevet riss ihm den Stock aus der Hand. »Hilf mir, wir bringen sie hinein«, drängte er noch einmal und schob ihn in Richtung des Lumpenhaufens. Er hob die Frau an den Armen hoch und wartete, dass sein Mitbruder die Füße nahm. »Ihr ruft die Hebamme«, wandte er sich entschlossen an die beiden Wachen.
»Welche Hebamme?«, fragte einer.
»Wir haben keine Zeit!« Der Prior funkelte den Mann
an. »Du weißt nur zu gut, wer hier im Dorf den Kindern auf die Welt hilft! Vor Jahren ist sie auch bei deiner Frau gewesen, glaub bloß nicht, dass ich das nicht wüsste.«
Der Wächter erblasste angesichts dieser Drohung.
»Beeil dich«, stieß Fra’ Thevet hervor. »Oder ich zeige dich beim Großinquisitor an, so wahr mir Gott helfe.« Damit gab er dem Tor auf der Klosterrückseite einen Tritt und ging hinein.
»Eine Hebamme, Fra’ Thevet?«, fragte auf dem Weg durch den schneebedeckten Gemüsegarten nun auch der Frater.
»Bringen wir sie in das Krankenzimmer«, gab der Prior lediglich zur Antwort.
»Aber … Das ist doch eine Dirne … Da wollt Ihr die Hebamme rufen?«
»Ach, bist du vielleicht derjenige unter uns, der sich darauf versteht, einem Kind auf die Welt zu helfen? Oder meinst du, die Frau hier braucht keine Hilfe, und es gelingt ihr noch allein?« Fra’ Thevets Ton war bestimmt. »Der Herr wird Verständnis haben, dass wir uns dieses eine Mal nicht an die Regeln der Heiligen Mutter Kirche halten. Und jetzt geh weiter! Zum Krankenzimmer.«
Sie legten die Frau auf einen abgenutzten Tisch in der Mitte des niedrigen Raumes, in dem es nach Salben und getrockneten Kräutern roch.
»Hol Fra’ Stanislao«, sagte der Prior, dann schürte er das Feuer im Kamin, schob den Tisch so nah es ging daran und legte ein wenig Stroh unter den Kopf der Frau. Schließlich kniete er sich mit einem Kruzifix in den Händen der Dirne zu Füßen und betete.
Auf ihrem improvisierten Lager schien die Frau, die Hände schützend über den gewölbten Leib gebreitet, die Stoßgebete des Gottesmannes nachzusprechen.
Anno Domini 1610Dritter Tag im Monat November
Borgo San Michele, Ostalpen
Als es klopfte, verharrte der kleine Junge reglos hinter der angelehnten Küchentür, das Herz schlug ihm vor Angst bis zum Hals.
Vorsichtig linste er durch einen Spalt. Er sah seinen Vater Martinengo hastig die Haustür öffnen und eine Frau hineinlassen. Es war Jehanne, die Hebamme, der Junge kannte sie. Wenn er sie im Dorf sah, versuchte er, ihr aus dem Weg zu gehen, denn er fürchtete sich vor dieser unschönen Frau. Außerdem mochte er den Namen nicht, den sie ihm gegeben hatte und mit dem sie stets von ihm sprach: Der Heilige.
Jetzt kam Jehanne mit einem rauen Stoffsäckchen in der Hand näher.
Der Junge ahnte, dass sie Bescheid wusste über die Tragödie, die sich hier abspielte. In der letzten Woche hatte sie einige Male versucht, den Vater zur Vernunft zu bringen. Martinengo jedoch hatte sie nicht anhören wollen und sie barsch fortgeschickt. Der Junge hatte sogar beobachtet, wie er ihr drohte, sie beim Inquisitor anzuzeigen, und das, obwohl er sie vor fünf Jahren bei der Geburt seines Sohnes um Hilfe gebeten hatte.
Aber am Morgen war er es gewesen, der leise an die Tür der Frau geklopft hatte. Sein Blick war verstört und voller Schmerz, die voller Verzweiflung aufgerissenen Augen vom Weinen gerötet. Also war Jehanne heimlich zu ihnen gekommen, ohne jeden Vorwurf. Denn sie hielt Martinengo di Barco für einen guten Menschen, auch wenn er im Borgo für alle nur der »einstige Priester« war.
»Wo ist der Heilige?«, wollte Jehanne sogleich von ihm wissen.
»Nenn ihn nicht so, Frau«, erwiderte der einstige Priester mit seiner heiseren, vom Schmerz gebrochenen Stimme.
»Ist er den anderen Kindern in seinem Alter voraus?«, wollte Jehanne wissen.
»Das ist doch jetzt nicht von Belang. Wir haben keine Zeit zu verlieren!«, rief Martinengo.
Doch die Hebamme fragte stur noch einmal: »Ist er den anderen voraus oder nich?«
»Ja, aber …«
»Dein Sohn ist vom Schicksal begünstigt, Martinengo. Ein Benandante ist er, in der Glückshaube geboren. Das hab ich dir schon damals gesagt, als er in der unversehrten Fruchtblase auf die Welt kam«, fuhr Jehanne fort und hob ihren strubbeligen Kopf in Richtung des oberen Stockwerks, in dem – das wusste sie – die Frau im Sterben lag. »Wenn es für deine Frau noch Hoffnung gibt, dann liegt sie in den Händen deines Sohnes. Nur deshalb bin ich hier. Deshalb hast du mich gerufen, das weißt du selbst gut genug.«
Martinengo di Barco ließ den Kopf hängen. »Nein, weiß ich nicht«, murmelte er resigniert. »Aber so verzweifelt wie ich bin, würd ich alles tun.«
Jehanne drückte das steife Stoffsäckchen an sich. »Hol ihn«, forderte sie.
Ängstlich kauerte sich der Junge in der Küchenecke zusammen.
Aus dem oberen Stockwerk drang ein schwaches Stöhnen zu ihnen. Martinengo hob den Blick zum Zimmer seiner sterbenden Frau, dann öffnete er die Küchentür und bedeutete dem Jungen ihm zu folgen.
»Geh mit der Frau zu deiner Mutter«, befahl er.
»Kommst du nicht mit?«, wollte Jehanne wissen.
»Nein. Meine Liebe und mein Schmerz sind so groß, dass ich wage zu hoffen, obwohl mein Glaube es mir verbietet. Hexerei aber ist wider mein Gewissen. Ich kann nicht dabei sein«, erwiderte Martinengo finster.
Der Junge war starr vor Angst, als Jehanne seine Hand nahm und gemeinsam mit ihm die Treppe hinaufstieg.
Sie betraten das dunkle, stickige Zimmer, in dem die Mutter röchelnd und schweißüberströmt im Bett lag. Man hatte sie gesalbt und zur Ader gelassen, wovon ihre Arme mit entzündeten Wunden übersäht waren. Jehanne hielt dem Jungen das vierkantige Stoffsäckchen vors Gesicht, öffnete es und zeigte ihm ein kleines Stück verschrumpelte dunkle Haut.
»Das ist deine Glückshaube, darin bist du zur Welt gekommen. Ich hab sie aufbewahrt«, teilte sie ihm feierlich mit. »Nur wenige werden mit so einer Glückshaube geboren. Und diese wenigen können die Ernten groß werden lassen und Frauen und Tieren Fruchtbarkeit geben. Sie können beim Teufelstanz gegen Hexen kämpfen und Lebewesen vor dem Tod retten.« Sie verschloss das Jutebeutelchen und hängte es ihm an einem Faden so um den Hals, dass es die Haut am Brustkorb berührte. Dann führte sie ihn zur Bettstatt seiner Mutter, nahm die Hand der Frau und legte sie in die des Sohnes. Sie murmelte ein Gebet und wandte sich dann wieder an den Jungen. »Schau sie an!«, zischte sie ihm zu und drehte den Kopf der Frau grob zu ihm. »Sieh dem Tod ins Gesicht und besiege ihn! Schau deine Mutter an, Daniele di Barco, und rette sie!«
Die Augen der Sterbenden waren weit aufgerissen. Ihre Hand zuckte gequält, die schwarzen Fingernägel gruben sich tief in das bleiche weiche Fleisch des Sohnes.
»Nur du kannst sie retten, du, der Heilige!«, schrie Jehanne. »Rette sie! Rette sie mit deiner Macht!«
Daniele stand wie versteinert da. Zutiefst bestürzt sah er seine Mutter an, die sich im Bett hin und her wand und ihre Nägel immer tiefer in sein Fleisch grub. Dann stieß die Sterbende ein furchtbares Röcheln aus, mit dem alle Luft ihre Lunge verließ. Der kleine Daniele verfolgte diesen letzten Atemzug, sah den auf ihn gerichteten Blick der Mutter trüb werden. Die Hand, die sich so fest in die seine gekrallt hatte, lockerte unwiderruflich ihren Griff.
In diesem Moment war von unten ein Hämmern an der Tür zu hören.
»Zweifle nich an deiner Macht«, flüsterte Jehanne Daniele zu. »Du bist ein Heiliger. Ein Benandante. Geboren mit der Gabe, Menschenleben zu retten. Dass deine Mutter heute gestorben ist, hat irgendwelche höheren Gründe, vielleicht stand es in ihrem Schicksal geschrieben, oder im Schicksal von jemand anderem.« Sie stand auf, ging zum Fenster, öffnete es, um der Seele der Verstorbenen den Weg zum Himmel zu weisen. Dann verließ sie das Zimmer.
»Komm runter, Jehanne«, rief jemand von unten. »Die Mönche von Santa Ulpizia brauchen deine Hilfe bei einer Geburt.«
»Die Mönche?« Misstrauisch beugte sich die Hebamme über das obere Geländer. »Dafür schicken sie eine Wache?«
»Genau. Aber wir müssen uns vorsehen, der Inquisitor ist in der Gegend«, gab der von Fra’ Thevet beauftragte Wächter zurück.
Daniele hörte, wie die Haustür geschlossen wurde. Dann waren ein dumpfer Schlag und schließlich, wie von weit weg, das tiefe, verzweifelte Schluchzen seines Vaters zu hören.
Er zog seine Hand aus der seiner Mutter, riss sich das Jutebeutelchen mit der Plazenta vom Hals und warf es aus dem Fenster. Dann trat er dicht an das Gesicht der Toten, starrte in die aufgerissenen, trüben Augen.
Als der Vater sich schließlich überwand, das Zimmer zu betreten, fand er Daniele im Bett unter den Decken, die Mutter fest im Arm.
Martinengo di Barco zerrte ihn heraus, wobei ihm eine Verbrennung auf der Brust des Kindes auffiel, feuerrot und mit Pusteln versehen, von gleicher quadratischer Form und Größe wie das Jutebeutelchen, das die Plazenta enthielt.
»Ich kann dich nicht bei mir behalten«, sagte er zu seinem Sohn.
Anno Domini 1610Dritter Tag im Monat November
Borgo San Michele, Ostalpen
Es bringt Unglück, vor einem Kranken zu knien. Das zieht den Tod an. Und den hab ich heute schon mal gesehen«, bemerkte Jehanne.
»Verrichte deine Arbeit«, erwiderte Fra’ Thevet lediglich. »Und du, Fra’ Stanislao, bring ein paar Kräuter, damit die Frau wieder zu Sinnen kommt.«
»Das ist ja Berna, die Hure von der Bärenbrücke«, stellte die Hebamme fest, als sie an die Frau auf dem Tisch herantrat.
»Wie lange wird es dauern?«, wollte der Prior wissen, während der kräuterkundige Frater, ein ungeschlachter Mann, der Gebärenden ein Fläschchen unter die Nase hielt.
»Immer die gleiche Frage.« Jehanne seufzte. »Bei allem Respekt, und auch wenn euch Priestern dieses Gewerbe nicht geheuer ist – ich bin eine gute Hebamme, aber auch für mich heißt es warten, bis die Mütter ihre Kinder ausspucken, je nach Laune der Natur.« Damit wandte sie sich dem Tisch zu, auf dem die nun schweißnasse Dirne sich wand, die Hände schützend um ihren Leib gelegt, der von einem grünen, mit Löchern, Flicken und Fettflecken übersäten Rock bedeckt war. »Dann wollen wir mal sehen«, murmelte Jehanne, entblößte die Beine der Frau, hob den Rock an und sah darunter. Ungeachtet der Blicke der Mönche fasste sie zwischen die Beine der Gebärenden, zog ihre raue große Hand, deren Nägel von Zichorie und Fischinnereien dunkel gefärbt waren, triefendnass wieder hervor und merkte an: »Himmelherrgott noch mal, es geht schon los, Mädchen. Also, Honigschnute, jetzt mal an die Arbeit, mit aller Kraft, die du noch hast. Dauert nich mehr lang, dann ist das Balg da, darauf kannst du Gift nehmen.« Sie wischte sich die große von Fruchtwasser tropfende Hand an der Seite ab und setzte sich auf einen Hocker.
Die Mönche schwiegen verdutzt. Fra’ Thevet fasste sich als Erster: »Du hast doch gerade gesagt, dass es gleich kommt, wieso setzt du dich dann?«
»Prior«, gab die Hebamme zurück, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, »hast du schon mal einem Kind auf die Welt geholfen? Ich schon. Und zwar so vielen, dass ich es gar nicht mehr genau sagen kann. Wenn die Hure hier beichten will, dann kommt sie zu dir, aber wenn sie ihren Bastard zur Welt bringen will, dann vertraut sie besser auf mich, so wahr mir Gott helfe. Also lass mich in Ruhe. Und da es hier gleich ein bisschen ungemütlich wird, wenigstens für so zarte Seelen wie euch, wäre es besser, wenn ihr alle rausgeht. Bei allem Respekt, ich kann dann besser arbeiten, und eure reinen Seelen nehmen keinen Schaden.«
Ein lautes Stöhnen durchbrach die darauffolgende Stille, die Gebärende bäumte sich auf, krallte die Hände in die Tischkanten und sank jäh wieder auf das nunmehr feuchte Holz zurück.
»Ja, es geht los, Honigschnute.« Jehanne stand auf und ließ die Mönche noch wissen: »Ich kümmere mich jetzt um den Teil, dem ihr abgeschworen habt. Was ihr jetzt tut, sei euch überlassen.«
Schweigend verließen die Mönche den Raum und schlossen die Tür hinter sich. In der Zwischenzeit hatte die Nachricht vom Geschehen andere Ordensbrüder angelockt, und als Fra’ Thevet ihnen aufgeregt zurief: »Es geht schon los!«, scharten sie sich lauschend und leise tuschelnd vor der dicken Tür des Krankenzimmers zusammen.
Bei jedem Schrei von drinnen wichen sie erschrocken zurück.
»In dieser Dreckswelt …«, fluchte die Hebamme, die nun, nach dem Abgang der Mönche, redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, während sie sich am Leib der Gebärenden zu schaffen machte, »… atmen, Honigschnute, tief atmen, dann ist es leichter … atmen, atmen … wie gesagt, diese Dreckswelt ist so voller Dreck, Dreck auf der Straße, im Wasser, in den Höfen, überall Dreck … und deshalb hör mir gut zu: Wenn eine Hure ein Kind kriegt, dann wird das nichmals getauft oder wenn, nur mit Dreckswasser … atmen, tief atmen, so, genau, dann brauchst du gar nicht zu schreien …« Jetzt untersuchte Jehanne den Leib der Dirne, deren Gesicht von Schmerzen gezeichnet war. »Atmen, atmen und pressen, na los … Also, hör mir zu: Wenn du willst, dann gebe ich ihm einen ordentlichen Tritt an den Kopf, diesem Bastard, den du da gerade gebärst, aber um Himmels willen stirb du mir hier nicht, das isses nicht wert. Glaubst du vielleicht, du tust ihm einen Gefallen, wenn du ihn auf die Welt bringst? Denk erst mal an dich, Mädchen, danach erst an den kleinen Bastard von einem Hurensohn. Weiter atmen, so, sehr gut … Und wenn du das überlebst und das Kind zur Welt bringst, dann hoffentlich einen Jungen … Und jetzt pressen … pressen! Pressen, hab ich gesagt. Frater, Frater! Schnell, komm!« Jehanne lief zur Tür. »Frater, das Salz, du musst ihr noch mal Salz geben, die ist mir schon wieder ohnmächtig geworden … Ewiges Licht, das schafft sie nich, das schafft sie nich …« Und gleich darauf war sie wieder bei der Frau, deren Bewegungen jetzt träge waren, als hätte sie ihren Schmerzen schlicht nichts mehr entgegenzusetzen.
Fra’ Stanislao öffnete das Fläschchen und hielt es der Dirne unter die Nase, während die Hebamme in ihrem Bemühen, das Kind hinauszuschieben, mehrfach mit aller Kraft den Oberbauch der Frau bearbeitete.
Fra’ Thevet kam ins Zimmer und trat an den Tisch. Die Dirne wandte suchend den Kopf, als hätte sie seine Anwesenheit einmal mehr eher gespürt, als ihn wirklich zu sehen, und trotz der Geburtsqualen suchten ihre trüben Augen in einem letzten Aufbäumen nach den seinen. Und wieder trafen sich ihre Blicke, verkeilten sich ineinander.
»Ich habs ja gewusst, gewusst hab ichs …«, jammerte die Hebamme, während sie der Frau Backpfeifen verpasste, den Bauch immer heftiger bald in die eine, bald in die andere Richtung drückte, mit ihren schmutzigen Händen zwischen den schlaffen Beinen herumfuhr und sie voller Blut wieder hervorholte. »Pressen, na los, hierbleiben! Was denn, was denn? Schnell, das Salz, schnell … die stirbt uns hier … Wie viele wie dich hab ich gesehen, Huren wie dich, wie viele hab ich gesehen, mager wie sonst was, mit so schmalen Hüften …« Dann wurden die Bewegungen der Hebamme langsamer, wie ein Wagen, der nach und nach an Fahrt verliert, und schließlich zog sie Fra’ Stanislaos Hand mit den Salzen unter der Nase der Frau weg.
»Das braucht sie jetzt nicht mehr, Frater. Lass gut sein.«
Eisige Stille senkte sich über den Raum. Mit angehaltenem Atem drängten die Mönche nun von draußen herein, als hätten sie nicht schon genug vom Tod gesehen.
Fra’ Thevet schloss der Frau die Lider und machte ein letztes Kreuzzeichen auf ihrer Stirn.
Die bläulichen Hände der Toten waren noch in den Tisch gekrallt, auf ihrer Wange mischte sich ein Speichelfaden mit salzigem Schweiß, ihr strähniges Haar lag ausgebreitet über dem Stroh unter ihrem Kopf und ihre Halsadern waren unnatürlich angeschwollen.
Kein Laut war zu hören.
Und plötzlich ertönte ein schlüpfriges, furzähnliches Geräusch, wiederholte sich, anfangs leise, dann immer lauter. Zuerst blickte nur die Hebamme zwischen die Beine der Toten, doch dann folgten die Blicke der anderen. Wieder ertönte das furzende Geräusch, Blut spritzte ins Gesicht der Hebamme, die sich diesen explodierenden Furz nicht erklären konnte. Entschieden griff sie nach ihrem stumpfen Messer, machte einen resoluten Schnitt und zog zwischen den Beinen der Toten kurzerhand ein Baby hervor, ein winziges Mädchen, ebenso bläulich wie seine Mutter, aber im Gegensatz zu ihr höchst lebendig.
»Du bist ja noch schlimmer als eine Hure«, raunte Jehanne. »Dass mich der Schlag trifft, so was ist mir noch nie passiert. Du bist ja wirklich noch schlimmer als eine Hure, du bist eine Hexe, eine Hexe bist du!« Und ohne die Nabelschnur zu durchtrennen, ließ sie der toten Mutter das Neugeborene in die Arme fallen, als wäre es brühendheiß.
Das Kind schrie und wand sich, und Fra’ Thevet ergriff tiefes Bedauern für dieses hilflose Geschöpf.
Dann erhob Jehanne wieder die Stimme. »Werft sie noch heute in den Fluss«, stieß sie hervor. »Dieses Mädchen ist in Blut getauft, sie ist das Kind vom Teufel. Ihr seid mir nichts schuldig, nein, nein, ich nehm kein Geld vom Teufel. Macht mit ihr, was ihr wollt, von mir erfährt niemand was. Werft sie in den Fluss, hört auf mich, in den Fluss.«
»Raus mit dir!«, stieß Fra’ Thevet so hart und unbarmherzig hervor, dass die Hebamme schon im nächsten Moment das der Heiligen Ulpizia geweihte Kloster verließ und in den stinkenden Gassen des Dorfes verschwand.
Die Mönche – allen voran Stanislao – wiegten die Köpfe, zunächst zögerlich, doch schon bald wurde ein Nicken daraus, was jedoch ihr Glaubensbekenntnis entehrte, als wollten sie sagen: »In den Fluss, ja, in den Fluss …«
Der Blick, den der Prior ihnen zuwarf, war vernichtend. »Schämt euch!«, rief er laut.
Die wenig barmherzigen Brüder knieten erschrocken nieder und bekreuzigten sich einmal, zweimal, so oft, wie sie zuvor nickend ihr Einverständnis zu diesem vorschnellen Todesurteil gegeben hatten.
Nur Fra’ Stanislao blieb kopfschüttelnd stehen. »Das war gegen die Natur«, sagte er finster. »Nicht Gott hat das gewollt, sondern der Teufel. Die Hebamme hat recht.«
Fra’ Thevet trat einen Schritt auf ihn zu, packte ihn an seinem um den Hals baumelnden Kruzifix und raunte: »Knie nieder, Frater, und bitte Gott um Vergebung für deine Gedanken, oder ich werde den Allmächtigen bitten, mir die Kraft zu geben, dir dieses Kruzifix vom Hals zu reißen, denn du bist seiner nicht würdig.«
Fra’ Stanislao stand für einen Moment reglos da, dann fiel er schluchzend auf die Knie.
Fra’ Thevet nahm das immer noch schreiende Neugeborene auf den Arm, durchtrennte die Nabelschnur, wischte dem Kind das krustige Blut ab und wickelte es in eine Decke, woraufhin die Kleine sich beruhigte und augenblicklich einschlief.
»Wie warm sie ist. Und wie weich«, stellte der Prior fest. »Nein, meine Kleine, niemand wirft dich in den Fluss. Du wärst ja schon einmal in deinem kurzen Leben beinahe ertrunken, noch dazu im Blut deiner Mutter.« Mit einem erneuten Blick zu seinen Mitbrüdern erklärte er: »Und wenn du tatsächlich eine Hexe bist, dann wird, so Gott will, in einigen Jahren der Gestank von verbranntem Fleisch durch die Dorfgassen ziehen. Aber jetzt hast du das Recht zu leben. Fürs Erste bekommst du Ziegenmilch. Auch deine Mutter hätte dich nicht stillen können, mager wie sie war.«
Draußen hatte es wieder angefangen zu schneien. Zwei Mönche deckten die Leiche der Dirne mit einem weißen Laken zu und dachten bei sich, dass der Prior eine Anzeige als Ketzer riskierte, hatte er doch im Kloster eine Dirne mithilfe einer Hebamme gebären lassen, und ihr dann auch noch die letzte Ölung gegeben. Und das alles ausgerechnet heute, wo doch der Inquisitor im Borgo unterwegs war.
Friedlich schlief die Kleine auf dem Arm des Priors. Die Brüder verließen das Krankenzimmer, in dem es nunmehr süßlich nach Blut roch und stechend nach Mist, den man ja zuvor eimerweise über der Dirne ausgeleert hatte, und gingen zum Frühstück ins große Refektorium.
»Gott ist die Liebe«, hob ein junger Mönch laut vor dem Pult an. »Und die Liebe ist Gott. Diese Liebe ist so süß, köstlich und sanft, wie man nur sagen kann.«
»Amen«, echoten die Zuhörer.
»Erat navis in medio maris, et ipse solus in terra.«
»Amen.«
»Mittwoch, dritter Tag im Monat November des Jahres 1610«, sagte der junge Frater und bekreuzigte sich, und seine Zuhörerschaft tat es ihm gleich.
Mit der Neugeborenen auf dem Arm sagte Fra’ Thevet: »Die heilige Susanna von Eleuteropoli wurde als Waise von einem Priester getauft, konvertiert und aufgezogen. Als sie erwachsen war, wollte Susanna in einem Kloster leben. Doch da es das Mönchstum für Frauen damals noch nicht gab, verkleidete sich die Heilige als Mann und führte fortan im Kloster ein asketisches Leben.« Er blickte lächelnd zu seinen Mitbrüdern, die bereits ungeduldig nach ihren Löffeln gegriffen hatten. »Dieses kleine Mädchen hier wird auch im Kloster aufwachsen, deshalb soll sie Susanna heißen. Und da wir von der Mutter nur den Vornamen kennen, Berna, wird das ihr Nachname sein. Also, Susanna Berna, herzlich willkommen in unserem Kloster«, schloss er feierlich und sah das Kind liebevoll an. Dann verkündete er, an die Mönche gewandt: »Nun könnt ihr essen.«
Anno Domini 1610Vierter Tag im Monat November
Borgo San Michele, Ostalpen
An diesem Tag war der Himmel so dunkel wie in einer hellen Nacht. Ein scharfer Wind pfiff über den Friedhof und trieb den Schnee vor sich her, der seine winzigen vereisten Spitzen in die weiche Haut des kleinen Daniele trieb.
Doch nichts konnte dem Kind größere Schmerzen bereiten als der Anblick seiner toten Mutter, die, lediglich in ein einfaches verschlissenes Tuch gehüllt, auf der Erde vor einem gähnenden Massengrab lag. Pechschwarz inmitten der gleißend weißen Schneefläche wirkte es wie ein Schlund, der sich gierig über die darin wild durcheinanderliegenden Leichen hermachen wollte. Und nun auch über seine Mutter.
Daniele verharrte schweigend neben seinem Vater, aber in seinem Inneren wütete ein Sturm aus Gefühlen. So sehr sehnte er sich nach einer Berührung von ihm. Nach einem Wort.
Aber nichts davon geschah. Martinengo di Barco stand stocksteif da, den verschwommenen Blick auf die sterblichen Überreste gerichtet. Verschlossen. Verschlossen in sich und seinem Schmerz, seinem zornigen Schmerz.
»Und? Habt Ihr euch entschieden?«, fragte einer der beiden Totengräber.
Daniele sah zu seinem Vater, der den Mund öffnete, jedoch nur seinen Atem hinausließ. Sonst nichts.
»Nun, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit«, bemerkte der Totengräber und gab dem anderen ein Zeichen. Sie packten das verschlissene Tuch, in dem Danieles Mutter lag, und hoben es an den Enden hoch. Dann holten sie über dem Abgrund des Massengrabs Schwung, um es hineinzuwerfen.
»Vater!«, stieß Daniele mit vor Angst fast erstickter Stimme hervor.
Und als hätte der Sohn ihn damit geweckt, brachte Martinengo endlich ein »Wartet …« hervor.
»Was denn, jetzt beeilt Euch aber«, brummte der Totengräber und setzte das Bündel ab.
Martinengo nahm seinen Ehering vom Finger und hielt ihn dem Totengräber hin. »Hier, nehmt das.«
Der Mann griff nach dem Ring und biss einmal darauf. »Das ist kein gutes Gold«, murmelte er enttäuscht.
»Ich weiß …«
»Es ist nicht genug«, stellte der Totengräber fest. »Den könnt Ihr wiederhaben.«
Daniele sah tiefe Verzweiflung in den Augen seines Vaters aufsteigen. »Vater …«, raunte er noch einmal. Und auch wenn er ein fünfjähriges Kind war, wirkte er doch stärker als Martinengo.
»Nein, Moment noch, Moment«, stammelte Martinengo. Er kniete sich neben das Bündel, das dem Abgrund schon so nahe gewesen war, und öffnete es mit zitternden Händen.
Daniele betrachtete das wächserne Gesicht seiner Mutter. Ihre Augen waren weit geöffnet, man hatte sie nicht schließen können. Und Daniele war, als starrten sie ihn an. Ihn, der sie nicht vor dem Tod hatte bewahren können.
Martinengo zog nun auch seiner Frau den Ring vom Finger und reichte dem Mann auch diesen. »Reicht das?«, wollte er wissen.
»Nein«, erwiderte nun der andere Totengräber. »Ich will das Kleid für meine Tochter.«
Martinengo schüttelte den Kopf und sah ihn flehend an.
Der Totengräber verschränkte die Arme vor der Brust. Ein deutliches Nein.
»Dreht Euch um, bitte«, raunte Martinengo schließlich.
Die Totengräber wandten sich ab.
Das Kleid war aus braunem Leinen. Die Schultern der Toten waren von einem türkisfarbenen Samtschal umhüllt, auf dessen einer Seite drei goldene Sterne prangten, wie bei einem Madonnenumhang. Daniele hatte diesen Schal beständig mit sich herumgetragen, alles von seiner Mutter war in diesem Schal.
Martinengo sah seinen Sohn an und bedeutete nun auch ihm, sich umzudrehen.
Daniele gehorchte.
Schließlich zog Martinengo seine tote Frau aus, mühevoll, denn die Leichenstarre erschwerte sein Tun. Er verschloss das Tuch wieder und verknotete die Enden. »Hier«, raunte er und hielt dem Totengräber Kleid und Schal hin.
»Feiner Zwirn«, freute der sich. »Damit habt Ihr einen Sarg und ein eigenes Grab für Eure Frau erworben, einstiger Priester.«
Die beiden Totengräber trugen das Bündel einige Schritte weiter und legten es in einen mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Sarg aus Tannenholz. Sie schlossen ihn mit einem Deckel und ließen ihn in eine ausgehobene Grube hinunter. Dann stießen sie ihre Schaufeln in einen Haufen lockerer Erde.
Daniele warf eine Handvoll davon auf den Sarg.
Martinengo fehlte dazu die Kraft, er starrte nur in die Grube.
»Amen.« Die beiden Totengräber beendeten ihr Werk und gingen davon.
Daniele sah ihnen nach.
Der Schal seiner Mutter bewegte sich im Wind wie dickflüssige Farbe auf Wasser.
Daniele rannte hinter den Totengräbern her und griff nach dem Kleidungsstück. Es war alles, was ihm von seiner Mutter blieb. »Bitte, Signore, bitte, gebt mir den Schal!«, flehte er mit Tränen in den Augen.
»Hau ab, du Tölpel«, versetzte gereizt der, der die beiden Ringe genommen hatte.
»Bitte«, flehte Daniele noch einmal.
Der Mann mit dem Schal in der Hand sah ihn an und bemerkte die riesige Verzweiflung des Kindes. Er ließ seinen Blick zu dem Schal wandern und lockerte mit einem Mal den Griff.
Daniele nahm den weichen Stoff und drückte ihn an sich. Er trug noch den Geruch seiner Mutter, eine Mischung aus Mehl, Honig und rauchigem Kaminholz. Eilig lief der Junge zu seinem Vater, der noch immer auf den Erdhaufen starrte. Und wieder sehnte sich Daniele nach seiner Umarmung, oder wenigstens seiner Hand auf der Schulter. Dann hätte er gewusst, dass er diesen Schmerz nicht allein würde tragen müssen.
Martinengo aber drehte sich nur um und ging mit hängendem Kopf davon, verloren in seiner Verzweiflung. Als wäre Daniele gar nicht da.
Schweigend liefen sie nebeneinander durch die Dorfgassen, der Schnee knirschte unter ihren hölzernen Schuhen. Seitdem die Mutter am Tag zuvor gestorben war, hatte Martingeno kein einziges Wort an seinen Sohn gerichtet. Nur vor der Beerdigung am Morgen hatte er gesagt: »Komm.« Sonst nichts.
Daniele drückte den Schal an sich und betrachtete die ihm so vertrauten Häuser aus Stein und Holz, die steilen Schieferdächer, die roten und grünen Fensterläden, und schien das alles doch nicht wiederzuerkennen. Er fühlte sich plötzlich fremd in dieser Welt, die an jeder Ecke eine Erinnerung an ihn und seine Mutter bereithielt. Der Brunnen, an dem sie die Wäsche gewaschen hatte und wo sie sich gegenseitig mit Wasser bespritzten. Der Stall, wo sie jeden Tag ein Eimerchen Milch holten. Und die steilen Gassen, in denen die Mutter auf dem Rückweg einen Finger in die frischgemolkene Milch tunkte und ihn sich dann mit ihrem Mädchenlachen in den Mund steckte, oder Daniele einen weißen Milchschnurrbart ins Gesicht malte. Die Wäscheleinen, auf die sie die Laken zum Trocknen aufhängten und sich dann gegenseitig zwischen den großen weißen Tüchern jagten und voreinander versteckten. Ihre Spiele, bei denen sie alle Sprachen aus dem Dorf miteinander mischten: Italienisch, Deutsch und Slowenisch. Überall in diesem kleinen Borgo hallte das fröhliche Lachen seiner Mutter wider.
Jetzt lief er hinter Martinengo her, und von seiner Mutter war nichts geblieben als dieser Schal, den er mit seinen vor Kälte starren Händen an sich drückte. Auch sein Herz fror. Bitterlich. Und er war allein mit diesem Schmerz und der Leere. Sein Vater sah ihn nicht einmal an.
Jetzt schwieg alles, der Brunnen, der Stall, die Wäscheleinen, die Gassen. Nicht einmal ein Echo ihres Lachens hatte überlebt. Alles war verschwunden, nichts war mehr da. Daniele hatte das Gefühl, ein Loch in der Brust zu haben, wie eine offene Wunde, als hätte der Tod der Mutter ihm gierig ein Stück Fleisch herausgerissen.
Immer wieder sah er ihre großen Augen im Todeskampf, verzerrt und entstellt von Schmerz und Angst.
Noch einmal wandte er sich zum Vater, hoffte darauf, seinem Blick zu begegnen. Hoffte, sich an seinen starken Körper schmiegen zu können in seinem Schmerz. Aber Martinengo war weit weg. Und so drückte Daniele verzweifelt den weichen Schal an sich, allein gelassen mit diesem Verlust, der viel zu groß war für ihn, der er erst fünf Jahre alt war.
Sie liefen eine steile Gasse mit langen Stufen hinauf, deren Platten unter der Eisschicht glitzerten wie hinter feinem Glas. Oben angekommen, sahen sie die plumpen Umrisse des Klosters Santa Ulpizia, das sich mit seinen kantigen Steinen an die Bergfelsen schmiegte. Es glich viel eher einer kleinen Festung als einem Kloster. Gebaut, um abzuwehren, nicht, um zu empfangen. Krieg passte besser zu ihm als Gebete.
Sie gingen durch das mit polierten Eisenstangen verstärkte Tor und gelangten schließlich zum Klostergarten, wo Fra’ Stanislao dabei war, getrocknete Kräuter zu zerstampfen.
Daniele verstand nicht, aus welchem Grund sie hier waren.
»Das Kind hier hat ein Problem«, erklärte Martinengo plump und schubste Daniele in Richtung des Fraters. Dann schob er Danieles Wollmantel zur Seite und öffnete das Hemd.
»Um Himmels willen!«, rief Fra’ Stanislao beim Anblick des kantigen Mals auf Danieles Brust, feuerrot und mit Pusteln übersäht. »Wie ist das geschehen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Martinengo grob. »Gib mir das«, forderte er dann seinen Sohn auf und streckte die Hand nach dem Schal aus, den Daniele von dem Totengräber bekommen hatte.
Daniele wich einen Schritt zurück und drückte das Kleidungsstück noch fester an sich. Er schüttelte den Kopf und sagte dann für seine fünf Jahre außergewöhnlich entschieden: »Nein.«
Martinengo ließ seinen Blick für einen Moment auf ihm ruhen, dann drehte er sich um und ging.
»Junge, wie hast du das gemacht?«, wollte Fra’ Stanislao wissen und zeigte auf die entzündete Stelle.
Doch Daniele hörte ihn kaum. Seitdem die Mutter gestorben war, hallte immer wieder ein einziger Satz des Vaters in seinen Ohren, immer wieder dieser eine Satz. Seit er die Mutter nicht hatte retten können. Seit er versagt hatte. »Ich kann dich nicht bei mir behalten«, hatte der Vater am Tag zuvor gesagt, und seitdem schwirrten die Worte durch seinen Kopf, wie ein Vogel, der sich in einen geschlossenen Raum verirrt, gegen jede Wand fliegt und sich schließlich die Flügel bricht.
»Junge, ich rede mit dir«, drängte Fra’ Stanislao.
Doch Daniele starrte nur auf das Tor, durch das sein Vater verschwunden war.
»Bist du taub?«, erkundigte sich Fra’ Stanislao und drehte Danieles Kopf zu sich. »Was hast du da gemacht?«
Daniele zuckte die Schultern.
»Folg mir«, beschied Fra’ Stanislao und führte ihn in das Krankenzimmer. »Olivenölsalbe, Schmalz und Arnika«, murmelte er und öffnete einen Schrank voller Fläschchen. Er nahm eine heraus und rieb die Salbe über die seltsame quadratische Wunde. »Tut das weh?«
Daniele schüttelte den Kopf.
»Bist du taub und stumm?«, wollte Fra’ Stanislao wissen.
Daniele fasste den Schal seiner Mutter fester.
Kurz darauf erschien ein junger Frater. »Komm«, forderte er Daniele lächelnd auf. Während sie durch den Kreuzgang liefen, erkundigte er sich: »Du heißt Daniele, richtig?«
Daniele antwortete nicht.
»Richtig?«, hakte der Mönch nach.
Daniele nickte.
Sie liefen weiter bis an eine kleine Tür, die zu einem langen Flur führte, von dem an beiden Seiten viele Türen abgingen. Alle zwei Schritte erhellte eine Talgkerze notdürftig das Halbdunkel. Die Flammen zitterten, als sie vorbeigingen.
Plötzlich war das Weinen eines Babys zu hören.
»Das ist … Michelino«, brachte der Frater lächelnd hervor, doch trotz seiner eigenen Verzweiflung entging Daniele der seltsame Ton in der Stimme des Fraters nicht, als er den Namen aussprach.
Vor einer der Türen blieb er stehen, öffnete sie und bedeutete Daniele einzutreten. »Setz dich«, bat er und wies auf eine lange harte Bank, die mit einem Tuch bedeckt und mit einer Kette an der Mauer befestigt war. »Warte hier«, fügte der Frater hinzu, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Daniele setzte sich und kreuzte die Hände zwischen den Beinen. Unter ihm knirschte Heu auf der Bank. Er bemerkte ein Kleidungsstück neben sich, aus rauem Stoff, es sah ziemlich kratzig aus. Daneben lag noch eines von undefinierbarer Farbe, aus gewalkter Wolle. Und ein Stückchen weiter eine Decke.
Daniele saß reglos da, wie lange, wusste er nicht. Der Raum war spartanisch, bemerkte er, weiß gekalkte Wände, mit getrockneten Binsen bedeckter Lehmboden, ein dunkles Kruzifix an der Wand. Mehr nicht.
Wieder war das Schreien eines Babys zu hören.
Schließlich wurde die Tür geöffnet, und Fra’ Thevet trat ein. Er war ein Freund seines Vaters – oder zumindest der einzige Glaubensbruder, der Martinengo nach seinem Austritt ab und zu besucht hatte. Fra’ Thevet trug ein weinendes Baby auf dem Arm, in der Hand hielt er eine Tasse.
»Hallo, Daniele«, begrüßte er ihn.
Daniele sah ihn schweigend an.
Das Baby weinte.
Fra’ Thevet stellte die Tasse ab und tunkte seinen kleinen Finger hinein. Als er ihn wieder herauszog, war er weiß von Milch. Dann führte er den Finger an den Mund des Babys. Augenblicklich hörte es auf zu weinen und begann begierig zu saugen.
»Sie … also er …«, verbesserte sich der Prior hastig, »das ist Michelino.«
Und auch dieses Mal nahm Daniele einen seltsamen Klang wahr in der Art, wie der Prior den Namen aussprach, aber er hätte nicht sagen können, was genau es war, das ihn befremdete.
Fra’ Thevet deutete mit dem Kopf auf die Kleidungsstücke neben Daniele. »Zieh das einmal an.«
Daniele rührte sich nicht.
»Natürlich nicht jetzt«, lenkte Fra’ Thevet mit seinem warmen Lächeln ein. »Wir sehen uns morgen beim Frühstück.« Damit wandte er sich zur Tür.
»Wo ist mein Vater?«, überwand Daniele sich nun doch zu sprechen.
Mit einem Ruck drehte Fra’ Thevet sich um, auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck zwischen Scham, Zorn und Mitleid. Er stieß einen Seufzer aus. »Hat er dir denn gar nichts gesagt?«
In der darauffolgenden Stille war nur das Schmatzen des Babys zu hören, das am wiederholt mit Milch benetzten Finger des Priors saugte.
Fra’ Thevet setzte sich neben Daniele. »Tunk mal einen Finger in die Milch«, forderte er ihn auf. »Gib ihm etwas zu essen, na los.«
Daniele zögerte.
»Na, komm schon«, ermutigte der Prior ihn.
Daniele tunkte einen Finger in die Milch. Sie war lauwarm.
Fra’ Thevet nahm seinen Finger aus dem Mund des Babys, das sogleich wieder zu weinen begann. »Na komm, versuch es auch mal«, sagte er zu Daniele.
Daniele führte den von Milch tropfenden Finger an den Mund des Babys, das augenblicklich aufhörte zu weinen. Es sah Daniele an, und ein glückliches Lächeln erschien auf seinem Gesichtchen. Dann lachte es.
Fra’ Thevet legte Daniele das Baby in den Arm.
Daniele spürte seine Wärme, es war wunderbar weich, und duftete wunderbar.
Das Baby gluckste fröhlich.
»Seine Mutter ist auch tot«, erklärte Fra’ Thevet. »Da schau mal, wie es an deinem Finger saugt.«
Danieles Augen füllten sich mit Tränen, und ein völlig neues Gefühl durchströmte ihn wie ein überlaufender Wildbach, verdrängte all den Schmerz in seinem Inneren.
»Spürst du das?«, fragte der Prior mit seiner warmen Stimme. »Das ist das Leben.«
Daniele hüllte das Baby zärtlich in den Schal seiner Mutter.
»Das ist das Leben, Daniele«, flüsterte Fra’ Thevet. »Das Leben, das weitergeht.«
Anno Domini 163321. Januar, erster Tag
Borgo San Michele, Ostalpen
Zu Tode erschreckt stürzte der kleine Junge in die Bäckerei der Eltern im Dorf. Wie jeden Morgen hatte er am Waldrand gespielt, hatte die Spuren der Kaninchen und Rehe im Schnee verfolgt. Und dann, berichtete er der Mutter stockend, dann hatte er Hunger bekommen und sich aufgemacht zum Haus vom Astrologen Weser, wo Susanna doch immer einen Keks und heiße Milch für ihn dahatte und ihm außerdem noch eine Geschichte vorlas.
Und da, stammelte das Kind weiter, ja, da hatte er sie auf dem Boden liegen sehen.
»Wen?«, wollte die über und über mit Mehl bestäubte Mutter wissen.
Das Kind senkte den Blick und begann zu weinen. Dicke Tränen rannen über seine vor Kälte und Aufregung geröteten Wangen und tropften auf den Lehmboden.
Auch die Mutter senkte den Blick, und da sah sie, dass die Holzschuhe ihres Sohnes voller Blut waren. Auch an seinen Beinen klebte Blut. Sie kniete sich vor ihn, zog ihm Schuhe und Strümpfe aus und suchte die Beine nach einer Wunde ab. Aber da war keine, keine einzige. Das Kind war unversehrt. Laut rief sie nach ihrem Mann, der verschwitzt und hemdsärmelig aus der hinteren Stube kam, einen Brotschieber in der Hand.
»Was ist passiert, Teo?« Die Mutter schüttelte ihren Sohn an den Schultern. »Wen hast du gesehen?« Sie drückte ihn an sich. »Susanna? Lag da etwa Susanna?«, fragte sie, während sie ihn an den Schultern ein kleines Stück zurückschob.
Doch der Junge schwieg, starrte sie aus schreckgeweiteten Augen an.
Jetzt kniete sich auch der Vater vor ihn hin, strich ihm mit den großen bemehlten Händen übers Haar, das sich daraufhin weißlich färbte. »Nun sag schon, mein Sohn.«
»Da war … so viel Blut …«, stammelte das Kind mühevoll. »Von hier … von hier.« Und damit brach der Junge in verzweifeltes Schluchzen aus.
»Keine Angst, keine Angst«, sagte die Mutter beruhigend und drückte den Sohn wieder liebevoll an sich, hielt seinen Kopf in der gewölbten Hand an ihrer Schulter. Tränen und Rotz durchnässten ihr Kleid.
»Von hier …« Der kleine Junge hob eine Hand zum Hals der Mutter. »Von hier kam das …«
»Aus dem Hals?«, wollte der Vater wissen.
Den Kopf an die Schulter seiner Mutter geschmiegt, nickte der Sohn. »So viel Blut!« Die Hand fuhr durch die Luft, wie um Blutspritzer zu beschreiben. »So viel Blut, und dann bin ich zu ihr gegangen, und sie …«
»Wer denn, mein Sohn?«, unterbrach ihn der Vater.
»Sie hat mich angeguckt und hatte eine Hand an der Kehle, und alles war voller Blut. Und dann … dann hat sie die Hand weggenommen, und das ganze Blut ist zu mir gespritzt … und sie wollte mich anfassen, und da bin ich … bin ich weggelaufen, weil ich Angst hatte … Sie hat mich angeguckt, und das ganze Blut …« Wieder fing der Kleine an zu weinen. Er schmiegte sich fest an seine Mutter, und die Schluchzer schüttelten ihn so heftig, dass er den Leinenkragen ihres Unterhemdes einriss.
»Ruf die Wache!«, drängte die Frau ihren Mann. »Sie soll beim Haus vom Astrologen nachsehen. Schnell!«
Mit ihrem Sohn auf dem Arm erhob sich die Frau, brachte ihn ins obere Stockwerk und legte ihn in ihr Bett. Aus dem Fenster sah sie ihren Mann die Straße zum Bürgermeister hinauflaufen. »Mach, dass es nicht Susanna ist, lieber Gott«, murmelte sie und strich ihrem Sohn beruhigend über das Haar.
Als die Wachen beim Haus des Astrologen Weser ankamen, fanden sie im blutrot gefärbten Schnee hinter dem Gebäude die Leiche einer Frau. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Die Kehle lag offen, ein tiefer Schnitt hatte die Schlagader und die weißlich zwischen dem Blut hervorstechende Luftröhre durchtrennt. Die Ränder der Wunde waren glatt, was auf eine sehr scharfe Waffe hindeutete.
Ein junger Wächter musste sich übergeben, die gelbliche, zähe Flüssigkeit spritzte auf den Rock der Toten.
Der Hauptmann schickte ihn weg.
Ein kräftiger Mann von etwa fünfzig Jahren mit ungekämmtem Haar, vorstehenden Wangenknochen und einem Dreitagebart in dem eingefallenen Gesicht trat zu ihnen. Er stützte sich auf einen Stock und ließ seinen Blick über die niedergemetzelte Frau gleiten.
»Wisst Ihr, wer das ist?«, fragte der Hauptmann.
»Das ist Astrid, die Dienstmagd von Weser«, erwiderte der Mann, ohne den Blick von der durchtrennten Kehle zu wenden. Er wirkte gefasst, als wäre er den Anblick von Toten gewohnt.
»Ihr seid Niccolò Buccaltieri, oder?«, fragte der Hauptmann.
»Ja«, antwortete der Mann. »Was ist mit Weser …?«
Der Hauptmann schwieg. Er sah zur geöffneten Hintertür, dann betrat er, in Begleitung von zwei Wachen, das Haus.
Niccolò Buccaltieri folgte ihnen. An der Schwelle fiel sein Blick auf das Blut und die Spuren im Schnee, welche die Dienstmagd hinterlassen hatte, als sie sich hinausschleppte. Irgendetwas daran ließ ihn stutzen, auch wenn er nicht sagen konnte, was genau es war. Darüber würde er später nachdenken, nun wollte er erst einmal ins Haus.
Die Küche war groß. Ein Fleck an der Wand deutete darauf hin, dass die Frau an deren Eingang mit dem Messer angegriffen worden war. Auf dem Boden war eine Lache, und von dort zog sich die blutige Spur, die die Frau auf ihrem Weg hinaus hinterlassen hatte.
Über einen dunklen engen Flur gelangten sie in ein großes Zimmer, dessen Wände mit Büchern vollgestellt waren.
An einem mit Schriftstücken übersäten Schreibtisch stand ein Stuhl aus Nussbaum und Leder. Daran war die Leiche eines alten Mannes gefesselt. Seine helle Tunika war voll von Blut, der Stoff an mehreren Stellen eingerissen. Unter dem mit Intarsien verzierten Stuhl breitete sich auf den Tannenholzdielen eine zähe Blutlache aus.
Man hatte dem Alten brutal das Augenlicht genommen. Blut färbte seine langen weißen Haare rot, auf der Stirn war in einer barbarischen Wunde ein Zeichen eingebrannt, der Geruch von versengtem Fleisch hing noch im Raum.
Auf dem Boden um die Leiche herum war ein blutiger Kreis gezogen, darin ein Drudenfuß, der fünfzackige Stern zur magischen Beschwörung.
Und erst da bemerkte einer der Männer, der sich abwandte, abgestoßen von dieser grausamen Szene, eine auf dem Boden kniende Frau.
Auch alle anderen sahen die Frau, nicht aber ihr Gesicht, denn sie wandte ihnen den Rücken zu. Ihnen und der Leiche.
Das Kleid der Frau war blutverschmiert. Ebenso ihre Hände. Und das Haar. Blut rann von ihren Schuhen. Rhythmisch wiegte sie ihren Oberkörper vor und zurück, ohne Unterlass. Lautlos, nicht einmal ihr Atem war zu hören.
Neben ihr auf dem Boden lag ein scharfes Rasiermesser.
»Susanna …«, raunte Niccolò Buccaltieri.
Anno Domini 163322. Januar, zweiter Tag
Borgo San Michele, Ostalpen
Paolo Tahler, Sekretär des Inquisitors, war ein Mann von neunundzwanzig Jahren mit schneeweißer, nahezu durchscheinender Haut, einem großen Silberkruzifix um den Hals und schwarzer Kleidung am Leib. Einer eigenen Dramatik folgend, löste er nun feierlich und mit annähernd weibischer Grazie die Bänder eines Säckchens aus kostbarer schwarzer Seide. Darin lagen zwei schmutzig weiße, schlecht riechende Gazesäckchen, die beide mit einem roten Stoffband zu der Form eines Kreuzes verschlossen waren.
Unter dem aufmerksamen Blick des Inquisitors Constantin Tron öffnete Paolo Tahler vorsichtig das erste Säckchen. Es enthielt Glassplitter. An den ungleichmäßigen spitzen Teilen klebte bräunliche Kruste, die Flecken auf dem Stoff waren von derselben Farbe.
Das Gesicht des Inquisitors verriet keinerlei Regung. Ein Gesicht, das mager, schlaff und spitz zugleich war. Es wirkte kalt. Grausam, wenn man genauer hinsah. Die Augen darin bewegten sich hastig, glitzernd und zitternd.
Paolo Tahler öffnete auch das zweite Säckchen, das die gleichen bräunlichen Flecken aufwies wie das erste. Darin lagen kleine rostige Nägel mit verbogenen Spitzen.
Constantin Trons Schlangenlippen – hart und ausgezehrt, die Natur hatte sie eindeutig nicht zum Küssen vorgesehen – öffneten sich leicht, als der Sekretär die rostigen Nägel auf der Kniebank verstreute. Und als er die Glassplitter unter die rostigen Nägel mischte, verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen – als bereite ihm dies geradezu Freude. Er seufzte tief und nickte dann unmerklich.
Paolo Tahler stellte sich so dicht hinter ihn, dass er den gespannten Körper des Inquisitors nahezu berührte, und zog ihm dann äußerst langsam – wie ein Kuppler es tun würde, um seine Dirne anzupreisen – das schmucklose Gewand bis zu den Oberschenkeln hoch.
Schwer ließ sich der Inquisitor auf die eben für ihn vorbereitete Kniebank fallen. Er kniff Augen und Lippen zusammen, faltete die Hände zum Gebet und senkte den Kopf, in dem Versuch, den ersten Schmerz lautlos zu ertragen. Langsam ließ er den Atem wieder fließen und kniete endlich mit seinem ganzen Gewicht auf den von Splittern und Nägeln gemarterten Knien. Schließlich öffnete er die Augen, berührte Stirn, Brust und Schultern mit dem Mittelfinger im Kreuzzeichen und murmelte ein kurzes Gebet auf Latein. Schließlich schloss er die Hand um das rotlackierte Goldmedaillon, das an einer schweren Gliederkette um seinen Hals und bis zur Brust reichte. Seine Finger fuhren über das Christusmonogramm XP, die griechischen Buchstaben »chi« und »rho«, Initialen von Khristòs, Christus, wie x und p übereinandergeschrieben.
Paolo Tahler ließ sanft das Gewand herunter. Er öffnete das auf dem Pult neben seinem Signore liegende Buch und las laut: »Dann wandte sich der Teufel an mich und sagte: ›Nun werdet ihr sehen, wie sich eure noble Sippe in der niederen Welt verteilt.‹ In seinem grünen Hut hatte er Hagelkörner so groß wie Eier gesammelt, die der Himmel bei seiner Erscheinung vor mir hatte hinabregnen lassen. Und jetzt hielt er in der rechten Faust ein Hagelkorn, welches bald darauf schmolz und darinnen – Gott helfe mir! – wand sich eine furchtbare Kreatur. Sie sah aus wie eine kleine Schlange, mit bösen gelben Augen und acht Klauen. Und die Kreatur sprach mit schriller Stimme zum Teufel: ›Vater und Herr, heute haben wir die gleiche Bestimmung. Wir werden uns überall in dieser Stadt verteilen. Vor allem in den Gärten, den Brunnen und den edlen Zimmern deines Gegners.‹ Und schon schmolzen die anderen Hagelkörner im Hut und auch alle, die um mich herum lagen.«
Der Sekretär schloss das Buch. Er faltete die Hände zum Gebet und hob den tränenverschleiderten Blick zur einfachen Natursteindecke der Privatkappelle empor, wo der Erlöser die Menschen mit emporgerecktem Arm ermahnte, ein unschuldiges Lamm im anderen.
»Ecce diabolus«, sagte der Inquisitor, »mein Seelenquäler.«
»Amen«, echote der Sekretär.
»Hast du sie gesehen?«, wollte Constantin Tron wissen.
»Ich habe sie gesehen«, erwiderte Paolo Tahler.
Der Inquisitor seufzte schwer. »Hat ihre Schönheit dich in Versuchung geführt?«, fragte er.
»Nein, Monsignore.« Der Sekretär schüttelte entschieden den Kopf, wobei seine blonden Locken sanft hin und her wogten. Und in seinen Augen, die so hell waren wie ein blasser Aquamarin, glomm ein niederträchtiges Licht auf.
»Und du hast dir ihre blühenden Alabasterbrüste vorgestellt? Ihre knospenden Brustwarzen? Und wurdest nicht in Versuchung geführt?«, vergewisserte sich Constantin Tron aggressiv.
»Nein, Monsignore«, antwortete Paolo Tahler nur noch entschiedener, mit einer Spur Zorn in der Stimme. Er krallte sich regelrecht an das handtellergroße Kruzifix um seinen Hals. Dessen vier Arme waren aus Silber, dort, wo sie sich überkreuzten, ein Quadrat aus Gold.
»Ne maleficus vivere patiantur«, verkündete der Inquisitor. »Du wirst den Hexenmeister nicht am Leben lassen.«
Der Sekretär nickte.
»Deshalb haben wir sie verhaftet, richtig?«, fragte der Inquisitor.
Der Sekretär bejahte wieder und verlor sich im Blick des Mannes, dem er seit seiner Kindheit diente. »Ne maleficus vivere patiantur«, wiederholte er.
»Und du wirst meine Kraft sein, Paolo?«, wollte der Inquisitor wissen.
»Mit allem, was ich habe, Exzellenz«, gab der Sekretär zurück und hielt sich an seinem Kruzifix fest.
Constantin Tron berührte noch einmal Stirn, Brust und Schultern im Zeichen des Kreuzes und stand dann auf, wobei der Sekretär ihm wieder das Gewand hochhielt. Blut rann träge aus den Wunden, neuen wie alten, die sich durch die Kasteiung geöffnet hatten. Der Inquisitor stand aufrecht da, mit geschlossenen Augen, während Paolo Tahler seine Knie von Nägeln und Glassplittern befreite.
Er sammelte die restlichen Nägel und Splitter von der Kniebank ein und legte sie zurück in die Gazesäckchen, die das neue Blut aufsogen, welches bald die gleiche bräunliche Färbung annehmen würde wie die bereits getrockneten Flecken. Unterdessen war aus dem Nichts ein Messdiener erschienen, der auf ein Zeichen hin ein Weihrauchfass schwenkte.
»Danke, Paolo«, sagte der Inquisitor, während der Sekretär die beiden Gazesäckchen zurück in das schwarze Seidensäckchen legte.
Als Constantin Tron die Kapelle verließ, flüsterte er so leise, dass niemand es hörte: »Ich bin noch nicht so weit, Susanna.«
Anno Domini 163323. Januar, dritter Tag
Gola del Vento, Ostalpen
Der Hüter der Wölfe lebte außerhalb des Borgo in der Schlucht des Windes, wohin keine Wege mehr führten. Über einen Pfad, der gerade eben einen kleinen Karren fasste, erreichte man nach etwa einer Stunde eine enge Lichtung, eher eine Klamm, umgeben von scharfkantigen grauen Felsen. Dahinter begann der Wald. Eisiger Nordwind fegte erbarmungslos über die Gola del Vento hinweg. Der untere Teil seines Hauses bestand aus wenigen Steinen, der Rest aus abgelagertem Holz, das zum Schutz vor Schnee und Regen mit einer Harzschicht bedeckt war. Im Gegensatz zu den schiefergedeckten Dächern im Dorf war seines aus vollkommen dichten Lärchenholzschindeln gefertigt. Neben der Hütte stand in einem kleinen Holzstall sein Pferd, ein rötlicher Wallach.
Man nannte den Mann den Hüter der Wölfe, denn seine Aufgabe war es, die Tiere von den Viehweiden fernzuhalten. Doch er weigerte sich, den Raubtieren Fallen zu stellen oder sie zu töten. Darüber hinaus schien er auch noch mit ihnen zu kommunizieren. Es hatte den Anschein, als verstehe er ihre Sprache, ja, akzeptierten und respektierten sie ihn. Niemand wusste, wie das möglich war. Manchmal fand man abgebrannte Fackeln, die nach unbekannten Kräutermischungen rochen. Oder es waren mitten in der Nacht unheimliche durch ein hohles Rinderhorn gestoßene Laute zu hören. Einige Dorfbewohner behaupteten, ihn mit dem Rudelführer reden gesehen zu haben. »Doch, doch, wenn ich es euch sage, er sprach zu ihm wie zu einem Christenmenschen! Und die anderen Wölfe standen um sie herum geschart, ohne ihn anzugreifen.« Wegen dieser Gerüchte gab es im Dorf auch einige, die ihm Hexerei unterstellten. Und andere, die ihn für einen Heiligen hielten. Aber weder die einen noch die anderen, kurz, niemand aus dem Dorf, kam gern in seine Nähe. Wer konnte, mied den Hüter der Wölfe, ob er ihn nun verurteilte oder ihm Anerkennung zollte, denn in jedem Fall war er ihnen nicht geheuer und wegen des ihn umgebenden Geheimnisses gefürchtet. Die Dorfbewohner entlohnten seine Arbeit mit einer Kollekte, an der sich alle beteiligten. Sie waren zufrieden, denn bereits seit mindestens fünf Jahren wurden ihre Rinder in den Gehegen nicht mehr gerissen, und das war nichts als die Wahrheit. Außerdem war bekannt, dass der Hüter der Wölfe bereits in einigen Fällen seine Armbrust zur Hand genommen und ein Tier, das die Grenzen überschritt, getötet hatte. Er war also ein Mann, der die ihm anvertraute Aufgabe gewissenhaft erledigte und wurde trotzdem gemieden.
Denn niemand hatte vergessen, wer der Hüter der Wölfe einst gewesen war. Niemand konnte vergessen, dass er der Spürhund eines anderen erbarmungslosen Jägers war, des Jägers der schwarzen Seelen. Er war der Instructor Domini, Ankläger im Namen Gottes gewesen. Mit dem Kruzifix auf der Brust hatte er Inquisitor Constantin Tron zur Seite gestanden und Ketzer, Hexen und Hexer entlarvt. Der ihm anhaftende Wolfsgeruch überdeckte nicht den Gestank der Scheiterhaufen nach verbranntem Fleisch. Und das bereitete den Bewohnern des Dorfes mehr Furcht als alles andere, denn auch, wenn er nun nicht mehr dem Inquisitor diente, verfolgte ihn seine Vergangenheit wie ein Fluch.
Deshalb wollte niemand aus dem Borgo mit Daniele di Barco, dem Hüter der Wölfe, etwas zu schaffen haben.
Und genau deshalb wunderte sich Daniele, als er das seltsame Paar auf dem Weg zu seiner Hütte bemerkte.
Wenige Minuten zuvor hatte er sie bereits unten in der Schlucht gesichtet. Der betagte Mönch und eine Frau, alt und von Arthritis gezeichnet, mühten sich auf zwei kahlen Maultieren durch den Schnee.
Zelt, eine Mischung aus Hund und Wolf, begleitete die beiden bis zum Haus und stellte sich dann regungslos neben seinen Herrn. Die bebende Oberlippe gab den Blick auf seine scharfen Zähne frei. Die gelblichen Augen hatte er von der Mutter, das lange weiße Fell mit den schwarzen Flecken vom Vater. Weder bellte er wie ein Hund noch heulte er wie ein Wolf. Er roch nach Wildnis, gehorchte aber wie ein Haustier.
Daniele verharrte neben dem Baumstumpf, auf dem er sein Brennholz hackte. Seine Augen waren dunkel, jedoch nicht finster, aber scharfsinnig und schlau, nichts entging ihnen. Es waren die Augen eines Menschen, der sich darauf versteht, schweigend zu beobachten. Das Gesicht vom Leben an der frischen Luft gegerbt, die Züge scharf gezeichnet, der Kiefer ausgeprägt. Der Wind fuhr ihm durch das volle braune Haar, das er mit seinem Messer stutzte. Keine Spur von Eitelkeit wohnte ihm inne. Er sah wild aus, als wäre diese Welt nicht die seine. Sein Körper war muskulös und stattlich. Er war achtundzwanzig Jahre alt und machte den Eindruck eines Mannes auf dem Höhepunkt seiner Kräfte.
Daniele erkannte die beiden Besucher.
Der Prior hatte ihn liebevoll im Kloster aufgezogen. Und die Alte hatte ihn das Fürchten gelehrt, als er ein kleiner Junge war.
»Sie haben Susanna verhaftet. Stadtvogt und Inquisitor«, platzte Fra’ Thevet heraus. »Susanna ist in den Händen des Inquisitors«, fuhr er fort, der nunmehr vom grauen Star vollkommen erblindet war und sein ausgezehrtes Gesicht, ohne vom Maultier abzusteigen, einfach in die Richtung wandte, in der er den Hüter der Wölfe vermutete.
Als Fra’ Thevet ihren Namen aussprach, erstarrte Daniele, sagte jedoch noch immer nichts.
Die Alte stieg mühsam von ihrem Reittier und stand dann erhobenen Hauptes in einer viel zu großen Männerjacke da, die sie vor der Kälte schützte. Ihr Haar war spärlich, aber Daniele erinnerte sich noch gut an ihre strubbelige dunkle Mähne von einst. Die Frau sah aus, als wollte sie etwas sagen, schwieg aber. Als wäre das, was sie zu sagen hatte, zu ungeheuerlich für sie. Oder für den, der es anhören musste.
»Du musst ihr helfen«, drängte Fra’ Thevet.
»Ich bin für die Wölfe zuständig«, gab Daniele hart zurück. Doch während er sprach, spürte er einen tiefen Stich, der ihm durch Mark und Bein fuhr, als würde seine Vergangenheit plötzlich Gestalt annehmen.
Fra’ Thevet drehte den Kopf der Stimme Danieles entgegen. Seine milchig weißen Augäpfel verengten sich, als versuche er, durch den dichten Schleier des grauen Stars zu spähen. »Sie wird des Mordes und der Hexerei angeklagt.«