Das wird ein Spaziergang - John d'Aubert - E-Book

Das wird ein Spaziergang E-Book

John d'Aubert

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Beschreibung

Es ist der erste Urlaubstag. Frank macht es sich nach den Vorbereitungen für das Abendessen mit einem Glas Rotwein gemütlich. Auf dem Sofa ausgestreckt gleitet er von einem Tagtraum in einen tiefen Schlaf, der Frank zurückbringt in sein größtes Abenteuer, das er zusammen mit Suzanne erlebt hat. Bilder und Situationen tauchen wieder in Traumwelten auf. "Du sagtest, das wird ein Spaziergang." "Sorry, Frankyboy, das war gelogen." Nach beinahe einem Jahr, verloren im Dschungel, finden Suzanne und Frank den Weg zurück in ihre alte Welt. Suzanne steht ohne Wohnung da. Ihre Habseligkeiten entdeckt sie in dem Container einer Spedition, achtlos hineingeworfen. Frank hatte im Dschungel oft Visionen von Monique, der Cellistin. Diese Frau muss er unbedingt wiederfinden! Inzwischen sind sie ein Paar. Moniques zarter Kuss weckt ihn schließlich sanft, bringt ihn zurück in die Wirklichkeit, mit dem Sofa und ihrem Cello.

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Inhaltsverzeichnis

Endlich Urlaub

Es begann mit dem neuen Job.

Caracas

Meldungen

Dschungel

Die Großmutter

Die Entlassung aus dem Paradies

Resturlaub in Canaima

Zurück in unserer alten Welt

Party in Hannover

Besuch von Monique

Wieder im Wohnzimmer

Anhang

Endlich Urlaub

Genau vor der Haustür gibt es natürlich keinen Parkplatz. Also drehe ich noch eine Ehrenrunde um den Block. Vor einer anderen Haustür fährt gerade jemand weg, das passt ja prima. Aus der Einkaufstasche ragt ein Bündel Kultur-Löwenzahn aus Frankreich heraus. Monique zaubert daraus sehr schmackhafte Salate, brät ihn auch manchmal mit anderen Gemüsen in der Pfanne an. Und da ist auch schon das Haus mit unserer Wohnung. Jetzt macht sich bei mir doch eine gewisse Erleichterung breit. Das Semester ist zu Ende, heute war der letzte Tag. Ich habe erst mal vier Wochen Urlaub, der Druck ist raus und ich freue mich auf mein Zuhause und auf eine entspannte Zeit. Wir wohnen ganz unten in einem dreistöckigen Altbau. Die Räume sind hoch, fast überall ist Holzfußboden verlegt, in den beiden größeren Räumen liegt sogar schönes, altes Parkett. Küche und Bad sind mit praktischem Terrazzoboden ausgestattet. Unsere neuen Ikea-Küchenmöbel fügen sich sehr gut ein und da liegt ein Zettel auf der Arbeitsplatte, auf den mit Lippenstift ein Herz gemalt ist und mit Bleistift ein Hinweis von Monique:

Bitte den Buchweizen kurz abspülen und in Butter anrösten, mit einem halben Liter Wasser ablöschen, und wenn es gekocht hat, einfach stehen lassen und dann aber alles ausschalten.

À bientôt.1

Chéri, tu me manques!2 Oh, vergessen! Einen Brühwürfel ins Wasser tun und schön umrühren. Schmatz!

Ach du meine Güte, ich bekomme schon Herzklopfen, wenn ich etwas von ihr lese. Monique ist wundervoll.

Die Einkäufe verteile ich auf den großen Gemüsekorb und den Kühlschrank. Der Topf steht schon bereit.

"So, Kirk an Scotty, Energie!" Auf höchster Stufe erhitze ich Butter, die zunächst verläuft, während der Buchweizen gewaschen wird. Noch einen Moment warten, bis die Butter goldbraun wird, und jetzt kommen unter viel Getöse die abgetropften Körner dazu. Ist Buchweizen eigentlich Getreide? Ja, was sonst! Oh halt, stopp, das hatte sie mir doch mal erklärt. Buchweizen gehört zu den Knöterich-Gewächsen. Ja, Monique kennt sich bestens aus. Ich rühre, bis das restliche Wasser verdampft ist und die Knöterich-Körner zu knistern beginnen. Jetzt noch mit dem Stahlschieber immer wieder den Boden frei kratzen, damit alle Körnchen ihre Röstung bekommen, aber trotzdem nicht anbrennen. Währenddessen fülle ich ein Bierglas mit Wasser, und bevor noch etwas schiefgeht, wird gelöscht.

In der Abstellkammer suche ich nach Rotwein. Die Flasche fülle ich um in den Dekanter, der dann mit zwei Gläsern auf den Esstisch kommt.

Im Topf blubbert es inzwischen kräftig. Sicherheitshalber bleibe ich am Herd stehen und rühre schön um und verteile den Brühwürfel. So, abstellen, Deckel drauf und ein bisschen schräg legen. Jetzt kann ich das hier wohl alleine lassen.

Mit einem Glas Rotwein schau ich mir die Fotos an, die unseren Flur verzieren. Unser Hochzeitsbild ist immer der erste Punkt, an dem ich verklärt innehalte. Monique hatte zuvor ihr Musikstudium hierher verlegt und auf dem Foto trägt sie ein lachsfarbenes, kurzes Kleid und sieht mit ihrer roten Blüte im Haar einfach hinreißend aus. Ich stehe stolz daneben in einem Nadelstreifenanzug von C & A. Auf der linken Seite sind Erinnerungen von Monique in einem großen, alten Bilderrahmen untergebracht. Da sind ihre Großeltern vor dem Hotel in Dakar, in dem später die Geschäfts- und Wohnräume der Familie waren.

Außerdem Bilder von ihr und ihrem Bruder neben dem afrikanischen Taxifahrer, der die beiden immer in einem klapperigen Peugot zur Schule und abends wieder sicher nach Hause brachte. Monique am Strand, Monique mit ihrer Mutter in Strasbourg, ihre Eltern, als sie ganz frisch verliebt am Atlantik zelten. Und da, das Bild mit Monique, als sie das alte Cello auspackt, das ich ihr über ihren Dozenten in Hannover wieder besorgt hatte. Sie war so traurig gewesen, weil sie es im Laufe des Studiums verkaufen musste, um sich das neue leisten zu können.

Weiter in der Ecke ist dann meine dunklere Dschungel-Vergangenheit. Ein Bild, von einem Zugbegleiter auf dem Bahnsteig geschossen, zeigt Suzanne und mich nach ungefähr einem Jahr im Regenwald. Die Kollegen, mit denen wir dort eigentlich hätten arbeiten sollen, sind mit dabei, und dann sind da ein paar Leute unseres Institutes und aus dem Sekretariat.

Danny, der Hüne aus Holland, steht seitlich hinter Suzanne und hat den Arm auf ihrer Schulter. Der hatte immer noch Tränen in den Augen. Es würde mich nicht wundern, wenn Suzanne irgendwann mit diesem Seebären von vorne anfängt. Ihren Ex kenne ich ja nicht wirklich, aber Danny ist ein Pfundskerl. Ich finde, die beiden würden zusammenpassen. Und da ist auch ein Foto von den Wasserfällen bei Canaima. Die hatte uns Lucas aus der Schweiz geschickt, zusammen mit Bildern aus der Pension, in der wir untergebracht waren, bis Suzanne und ich von Pedro nach Caracas mitgenommen wurden. Die Gegend dort, mit diesen Wasserfällen, ist wirklich ein Juwel. Und es ist nicht ganz zwei Jahre her, dass wir dort waren. Für mich ist dies alles allerdings schon sehr weit weg, besser gesagt, eher eine Parallelwelt.

Gedankenversunken mache ich es mir auf dem grünen Kanapee gemütlich. Der Wein ist prima. Ich nehme noch einen Schluck und schiebe mir die vielen bunten Kissen zurecht, strecke mich aus. Mein Leben ist gerade perfekt, ich bin total glücklich.

Gedanken ziehen vorbei, der völlig besoffene Abend in Caracas, Antonio taucht auf, Meister Paul, der erste Tag als frischgebackener wissenschaftlicher Assistent bei Suzanne, das Bild auf dem Uni-Ausweis, die Fete in Hannover, bei der ich endlich Monique wiedertraf, und dann die Cuba-Libre-Zeremonie bei ihr im Zimmer, der Moment, als ich sie drei Wochen später aus dem Zug steigen sah. Die Situation in dem Dorf, mitten im Dschungel, als uns jemand Rotwein besorgt hatte. Suzanne und ich hatten nicht schlecht gestaunt. Und jetzt sieht das Glas mit Rotwein auf dem Wohnzimmertisch genauso aus wie das Glas, mit dem ich zusammen mit Suzanne auf eine schnelle Rückkehr in die Zivilisation angestoßen hatte. Das grüne Kanapee ist allerdings deutlich gemütlicher als die Holzpritsche damals im Urwald. Ich werde müde. Die Realität wird zu einem Traum. Die Welten vermischen sich …

Es begann mit dem neuen Job.

Der Urlaub nach dem geglückten Examen fiel eher sparsam aus. Ein paar Tage Wacken-Open-Air sowie der Besuch einiger Freunde, ebenfalls in Norddeutschland, sollten eigentlich eine Rucksack-Tour nach Norwegen einleiten. Aber noch bevor ich die Fähre über das Skagerrak buchen konnte, bekam ich die E-Mail. Es ging um die Stelle als Assistent, verbunden mit der Bereitschaft, an einer Exkursion nach Venezuela teilzunehmen. Ein erst 2002 entdecktes Höhlensystem im Südosten des Landes sollte mein erstes Forschungsziel sein. Der allererste Gedanke: Wie kommen die auf mich?, wurde schnell von der Vorstellung weggewischt, in einem winzigen Propellerflugzeug über endlose Urwälder zu fliegen. In Anbetracht der immer sehr dynamischen See zwischen Nord- und Ostsee hatte ich mir ein gutes Sortiment an Medikamenten gegen Reisekrankheit zugelegt. Das könnte auch jetzt für eine Reise ans andere Ende der Welt hilfreich sein. Natürlich hatte ich mich auf dem Markt umgesehen, einige Bewerbungen und Interessensbekundungen verschickt, aber ausgerechnet eine Exkursion nach Südamerika sollte mein Einstieg in die Arbeitswelt werden? Noch wusste ich nicht, ob ich das gut oder erschreckend finden sollte.

Jedenfalls war das die einzige positive Reaktion auf meine Bemühungen, irgendwo unterzukommen. Wenige Tage später bekam ich jedenfalls eine Checkliste in die Hand gedrückt und folgende Frage gestellt: "Hast du so was schon mal gemacht?"

Nachdem ich schon ewig lange den Raum gesucht und das Gefühl bekommen hatte, der Letzte zu sein und außerdem der Jüngste, war mein Selbstbewusstsein den Blicken der neuen Kollegin kaum gewachsen. Und dann auch noch nach Südamerika. Warum habe ich eigentlich nicht postwendend abgesagt?, war in meiner Aufgeregtheit durch meinen Kopf zirkuliert. So wie ein blöder Schlager, den man vom Frühstück mitnimmt und nicht mehr loswird.

Und jetzt stehe ich unsicher meiner neuen Kollegin gegenüber.

"Suzanne Rush, Geologie und Biologie. Suzanne reicht. Die zwei von Tübingen kommen erst in Caracas dazu. Den Mailverkehr leit ich dir weiter. Gib mir bitte dein Mail-Adresse.

Ach so, das is Sven und Jochen, die wollen nur lästern."

"Ich bin Frank Junker."

Wir geben uns die Hände, Suzanne hat sich wieder zum Tisch gedreht und ist mit Unterlagen beschäftigt. Sven und Jochen sagen brav hallo, verschwinden dann durch die Tür, die ich vor lauter Aufregung offen gelassen hatte.

Ihr Slang ist echt so cool, würde ich in lockerer Runde sagen, und so, wie sie Fräänk sagt, lässt mich das vor meinem inneren Auge wie einen sehr tollen Typ erscheinen. Allerdings suggeriert sie mir damit auch, eine amerikanische Superfrau zu sein, die alles kann.

"Ich habe so einen Uni-E-Mail-Account aus Hannover, da bekam ich auch die Bestätigung vom Institut. Ich meine, da warst du mit im Verteiler. Ich schreib dich dann nachher mal an. Ansonsten habe ich Europa bis jetzt nicht verlassen."

"Mach dir keine Sorgen, die Tübinger sind die Supergranaten. Wir sind mehr für Dekoration dabei. Hast du den Impf-List gesehen? Und du solltest dir so ein paar Sachen aus ein Globetrotter-Shop besorgen. Ein anständiges Taschenmesser und Regenklamotten zum Beispiel. Heavy duty3. Weißt du, wo du Outdoor-Sachen bekommst? Komm, weißt was, wir gehen nachher ein Pizza essen und besprechen das. Außerdem ist noch Zeit. Ich bin nur hektisch grade."

"Pizza ist eine prima Idee. Ich komme mir gerade wie ein Volldepp vor, um ehrlich zu sein."

"Ich pass auf dich auf. Das wird ein Spaziergang!"

Und das sagt Suzanne mit so einem derartigen Grinsen, dass ich wirklich das Gefühl bekomme, ich darf in der Kinderwippe sitzen und den Großen zuschauen.

"Wie spät is denn? Hast du Hunger?"

"Halb zwei so was. Ja, nee, eigentlich nicht so wichtig, ich hatte Äpfel und zwei Croissants für die Fahrt dabei. Was kann ich denn jetzt mal machen?"

"Als was bis du hier jetzt angestellt? Du hast woanders studiert?"

Ich versuche mich dieser Unterhaltung im Telegrammstil anzupassen und sage kurz und deutlich:

"Ja, Hannover. Hier als wissenschaftlicher Assistent."

Meine neue Kollegin stutzt, dreht sich um und schaut mich an.

"Sorry!", schwäche ich gleich wieder ab.

"Also wir sind hier nich bei die Army, Frank. Alles wird gut. Suzanne is gestresst von diese Büro-Mist. Geh schon mal in Sekretariat und melde dich an. Du brauchst ein Ausweis für die Mensa und Parkplatz und um in die Räume reinzukommen, und garantiert musst du 10 Formulare beschreiben. Hältst du noch durch bis vier Uhr? Ich denk, ich brauch Minimum bis drei. Komm einfach halb vier her, dann gehen wir was essen, okay?"

"Ja, klingt gut. Kann ich den Rucksack stehen lassen?"

"Ja, ich bin hier, wenn ich rausgeh, schließ ich ab. Willst du damit in die Dschungel?"

"Ich habe nur den, also in den etwas mehr reinpasst."

"Ich will dir lieber ein Gestell-Rucksack empfehlen, obwohl der da is schon klasse. Aber liegt sehr eng an. Meine Erfahrung nach is besser, wenn die Luft hinter dir is, also, wie sagt man, Platz an den Rücken hat. Is auch sehr groß. Sprechen wir nachher drüber. Ach Moment, hast du ein Reisepass?"

"Ja, den habe ich, ist auch noch über ein Jahr gültig. Dann bin ich um halb vier wieder hier. Alles klar."

Der Rucksack landet neben einem Sideboard mit Akten und ist hoffentlich nicht im Weg. Beim Rausgehen höre ich nur: "Mhmm."

Hier scheint gerade Stress in der Luft zu liegen. Egal jetzt. Bei der Suche nach dem Raum war ich vorhin an der Caféteria vorbeigekommen. Da muss ich erst mal eine Pause einlegen und nachdenken. Es ist nicht viel los. Ein Käsebrötchen und eine Cola nehme ich, suche nach einem netten Platz. Ich beiße ab, trinke, aber mit den Gedanken bin ich meilenweit weg. Wie labberich dieses Brötchen eigentlich ist, bemerke ich erst gegen Ende. Der letzte Rest aus der Cola-Flasche befördert, mit ein paarmal Nachschlucken, einen unangenehmen Klumpen in Richtung Verdauungssystem.

Ich schaue ins Leere. So, und jetzt? Vielleicht sollte ich einfach abhauen, in Hannover erst mal nachschauen, was diese Monique mit dem Cello macht. Meine Güte, mir schlägt schon wieder das Herz bis zum Hals. Die Frau hat mich beeindruckt. Blöderweise konnte ich sie erst nach zwei weiteren Gläsern Ouzo ansprechen, obwohl wir uns schon immer angeschaut hatten und dann doch auf Abstand geblieben waren. In der Küche unterhielten wir uns dann endlich über indische Philosophie. Da konnte ich dann lallend ein kleines Stück auf Sanskrit vortragen, was ihr wohl sehr gefallen hat. Und sie konnte den Text weiterrezitieren, als ich am Ende war mit meinen Kenntnissen. Jetzt beschleicht mich allerdings das Gefühl, dass sie irgendwie höhergestellt ist, einer ganz anderen Schicht angehört. Ob ich solch einer Frau genug bieten könnte?

Und wenn ich hierbleibe, weil ich den Job bekomme, und sie nie wiedersehe?!

FATAL ERROR! CONTACT YOUR PERSONAL GURU!!, lese ich vor meinem inneren Auge.

So ein Mist! War das jetzt ein Fehler, das Jobangebot anzunehmen?

Das war ein Fehler, Frank!

Weiter weg, irgendwie entfernt von mir ist eine dunkle Wolke, auf die ich gerade mit Volldampf zusteuere.

Ideen wie: Ich sollte besser eine Lehre als Zimmermann anfangen oder als Surflehrer nach Malle verschwinden, schleichen sich ein.

Alles Blödsinn, rede ich mir energisch ein. Sobald dieses Projekt erledigt ist, muss ich wieder nach Hannover! Sobald wir zurück sind, rufe ich Nils an und melde mich für die nächste Studi-Fete an!

Meine Güte, habe ich plötzlich Fracksausen! Und ich habe anscheinend einen Job, aber vielleicht am falschen Ort! Oder etwas anderes stimmt nicht.

Eigentlich wollte ich doch nur einen ruhigen Job finden, nichts mit großer Karriere und alle Räder wieder neu erfinden. Vor ein paar Tagen fand ich die Idee noch total stark, in einer Höhle rumzubuddeln, aber mir scheint, die Realität ist etwas stärker gewürzt.

Vermutlich mit einem etwas irren Gesichtsausdruck starre ich noch einen Moment lang auf den blauen Plastikstuhl gegenüber und beschließe dann, ohne weiteres Grübeln den nächsten Checkpoint anzulaufen und die schützende Atmosphäre der Caféteria wieder zu verlassen.

Diese Monique muss da oben in Hanover einfach noch eine Weile weiterstudieren. Außerdem hört man mit so was auch nicht einfach auf. Ich bin für Studienzwang!

So, weiter geht's. Flasche und Teller stelle ich zum Geschirr in einem Rollwagen mit Tabletts. Jemand räumt hinter dem Tresen herum. Ein Student fragt nach Kaffee, ich frage nach dem Sekretariat.

Wenig später muss ich meinen Personalausweis vorlegen, da ich das wichtige Schreiben vom Dekan nicht in Papierform vorlegen kann.

Das kleine Smartphone-Display mit der E-Mail wird nicht akzeptiert.

"Im Zug war kein Drucker." Entspricht zwar den Tatsachen, aber das hätte ich mir wohl besser verkniffen. Frau Bauer schaut mich streng an.

"Nebenverdienste sind übrigens meldepflichtig, falls Sie noch an anderer Stelle als Clown auftreten."

Autsch, ja gut, der Ponyhof liegt wohl hinter mir.

"Entschuldigung, ich bin etwas durchgeschüttelt von der Anreise und so."

Der Drucker im Regal unter dem Fenster springt an, nach ein paar Gedenksekunden zieht er sich ein Blatt Papier ein und legt es dann beschrieben auf der Oberseite ab. Dieser Vorgang wiederholt sich ein paarmal. Dann liegt die E-Mail schön gedruckt vor mir. Andere Blätter hält Frau Bauer noch in der Hand.

"So was meinte ich!" Frau Bauer breitet das Schreiben zusammen mit einem mehrseitigen Formular zum Datenschutz aus. Der Kugelschreiber aus ihrer Hand ist angewärmt, aber schreibt nur mit Aussetzern. Meine Unterschrift sieht durch die mehrfachen Anläufe dementsprechend kindisch aus.

Mir doch egal. Habe das Zeug ja ohnehin nicht gelesen, denke ich so bei mir und spüre Protest aufflackern.

"Kennen sie Frau Rush? Und bitte kurz in diese Kamera dort lächeln, oder haben Sie sie schon kennengelernt?"

Erst jetzt fällt mir dieses kleine Kästchen auf dem Aktenschrank rechts an der Wand auf.

Oder haben Sie sie schon kennengelernt? Das klang jetzt, als würde mir das Lächeln spätestens dann vergehen. Auch egal. Also grinse ich einer kleinen Box zu, ohne eine Idee davon zu haben, wann sie sich für das Abspeichern meines Gesichts entscheidet.

"Fein", schmunzelt Frau Bauer, als sie auf den Monitor schaut. Sie tippt kurz etwas ein. Die Schublade einer größeren Box auf ihrem Schreibtisch fährt aus. Frau Bauer nimmt eine Karte mit Magnetstreifen aus einer Pappschachtel im Aktenschrank und gibt sie der Schublade. Das Gerät holt sich die Karte, macht Geräusche, blinkt rot, dann grün und gibt die Karte wieder her.

"Bitte damit hier auf der Rückseite unterschreiben."

Der dokumentenechte, fälschungssichere Filzstift schreibt jedenfalls ordentlich, riecht nach Lösungsmittel.

Meine Blicke verfolgen dann skeptisch das Bild auf der anderen Seite der Karte bis in eine Klarsichthülle mit Halsband.

"Ohne diese Karte existieren Sie hier nicht, also immer dabeihaben.

Und als Nächstes müssen Sie damit zum Kollegen Schwenk, eine Tür weiter rechts. Der autorisiert diese Karte dann Ihrem Profil entsprechend. Die übrigen Unterlagen und Kopien erhalten Sie über den offiziellen Weg via Hauspost in den nächsten Tagen. Beim Studentenwerk melden Sie sich dann bitte auch noch. Wir haben ein Zimmer für Sie organisiert. Das Studentenwerk ist in dem großen Gebäude am Adenauer Ring untergebracht. Auf Wiedersehen."

"Prima, vielen Dank. Ja dann, vielen Dank."

Ich verlasse das Büro mit der nun endlich ausgedruckten E-Mail und dem Ausweis und einer gewissen Erleichterung.

"Ach, du …" Als ich das Bild auf der Vorderseite aus der Nähe sehe bin ich schon, sagen wir mal, beeindruckt. Ein Auge halb zu, ein insgesamt schiefes Gesicht. Ich sehe aus, als hätte ich einen Vollrausch. Auf dem Schild an der nächsten Tür steht: Paul Schwenk.

"Sie müssen mit ihr zuerst über Katzen reden, wenn Sie so etwas wie Protest ausstrahlen, kommen zum Beispiel solche Fotos dabei heraus!" Das erklärt mir Herr Schwenk schmunzelnd, als er den Ausweis entgegennimmt.

"Das wusste ich in dem Moment noch nicht."

"So lernt man, Herr Junker."

Herr Schwenk steckt die Karte in ein Lesegerät und tippt an seinem Computer etwas ein.

"Da gibt es die Frau Rush, haben Sie die schon getroffen? Jedenfalls bekommen Sie das gleiche Berechtigungs- und Zutrittsprofil. In der Bibliothek stehen Computer, die Sie mit dieser Karte benutzen können. Das sollten Sie bei Gelegenheit ausprobieren. Da finden Sie alle aktuellen Informationen, den Campus betreffend. Außerdem können Sie sich einen Account erstellen, mit Mailbox und etwas Speicherplatz. Sehr praktisch, unsere EDV hat das schon recht nett gemacht."

"Gut ja, das probiere ich dann mal. Die Frau Rush hatte ich schon gesehen, ich werde wohl erst mal eine Weile hinter ihr herdackeln."

Herr Schwenk entnimmt die Karte wieder und steckt sie in die Hülle zurück.

"So, erledigt. Dann wünsche ich Ihnen einen guten Start. Und die Frau Bauer hat übrigens zwei Maine-Coon-Katzen, die ihr gelegentlich das Mobiliar zerlegen. Die Frage nach der Herkunft ist besonders hilfreich, weil sie die Katzen tatsächlich bei einem USA-Aufenthalt im Staat Maine von einer Hippie-Familie geschenkt bekam. Die Tiere dann nach Deutschland zu bekommen, war natürlich fast nicht möglich und bedurfte einiger außergewöhnlicher Anstrengungen. Also danach eher nicht fragen!"

"Ach, klingt ja richtig ausgeflippt, das hätte ich jetzt nicht gedacht.

Prima, guter Tipp! Und vielen Dank! Ja, ich bin sehr gespannt, als Erstes geht es nach Südamerika in eine Höhle. Vor ein paar Minuten dachte ich noch an Flucht, aber das kann man ja auch nicht machen."

"Ach ja, die Exkursion in das Cave-Muchimuk-Höhlensystem?

Glückwunsch, da beneide ich Sie aber mächtig."

"Ich bin eher erschrocken, um ehrlich zu sein."

"Das ist aber durchaus positiv für Ihr Fortkommen als Wissenschaftler, falls Sie diesen Weg einschlagen wollen. Kommen Sie doch mal vorbei, wenn Sie wieder zurück sind. Ich krabble in meiner Freizeit auch in Höhlen herum, natürlich in einer anderen Liga, reines Hobby."

"Cool! Ja, das mach ich gerne."

"Dann viel Spaß, Herr Junker!"

"Danke, ich werde berichten."

Die Tür klappert beim Zumachen, ich hänge mir den Ausweis um den Hals. Diese Begegnung war jedenfalls angenehmer. Es ist noch Zeit, ich spaziere ohne Ziel durch Gänge, lasse mich vom Tageslicht nach draußen locken. Um auch wieder zurückzufinden, schau ich mir die Gebäude genauer an, gehe gedanklich noch einmal zurück bis zu meinem Rucksack. Eine gute Stunde schlendere ich durch das Gelände, sitze entspannt auf Bänken und den Steinstufen an einem kleinen Teich mit Blick auf das Schloss. Auf dieser Seite schließt sich ein ausgedehnter Park an, auf der anderen Seite verläuft eine viel befahrene Straße in Richtung Innenstadt und zur Fußgängerzone. An der stadtabgewandten Seite ist das Hochhaus mit der Studentenvertretung. Ich folge den Schildchen und erreiche im Erdgeschoss ein Büro. Die Tür ist offen, es riecht nach Kaffee, geraucht wurde hier wohl auch, die Stimmung ist ausgelassen.

"Und wie seid ihr wieder nach Hause gekommen?", fragt im Aufstehen ein Mädel, das auf einem alten Sofa in der Ecke saß.

"Getrampt, natürlich!", erwidert eine andere ganz selbstverständlich.

Und der Junge in der Strickjacke fragt weiter: "Nachts um zwei?"

Und fragt dann mich: "Ja, bitte?"

"Ich habe den Zug genommen, und hier ist wohl eine Bude für mich reserviert."

Dabei halte ich meinen Ausweis hin. Klar, beim Anblick des Fotos versagt erst mal jede Körperbeherrschung, aber der Typ bleibt verhältnismäßig gefasst. Zwei Sekunden später findet er nach etwas Räuspern seine normale Stimme wieder.

"Hmm, ja. Frau Bauer mag dich nicht, dann hast du bis jetzt schon mal alles richtig gemacht. Es gibt hier Profs, die haben solche Ausweisfotos aus Polaroid-Zeiten eingerahmt in ihrem Büro hängen.

Wirklich! Den musst du gut aufbewahren.

Also, mal seh'n, hier war ein Zettel wegen eines Gastzimmers. Ich bin übrigens Felix."

Die anderen machen lange Hälse, um auch einen Blick zu erhaschen, während sich Felix einem Aktenschrank zuwendet. Er geht einen Ordner durch, legt die Stirn in Falten, kratzt sich am Kopf und untersucht dann die Ablagekörbe. Dann fällt sein Blick auf den Flachbildschirm, auf dem gerade eine stummgeschaltete Rock-Band ihr Bestes gibt. Ein gelber Klebezettel ist es.

"Hier, warte mal, ach so ja, du bist gar nich' Student, ach so. Ja, da ist in der fünften Etage ein Zimmer für dich."

Felix wühlt in einer Schublade, fischt schließlich zwei Schlüssel an einem Ring mit rotem Anhänger heraus.

"Ist nichts Besonderes, aber nach dem ersten Gehalt kannst du dir garantiert was Besseres leisten. Die Bude kostet übrigens 144 im Monat. Rechnung kommt dann mit der Post."

Er hantiert am Computer, die Band verschwindet, ein paar Klicks bis zu einem Formular, und dann springt der Drucker an. Die Dame, die heute Nacht noch mühselig hierhergetrampt war, stellt den Kaffeebecher ab, streckt sich zur Seite und reicht den Zettel über den Schreibtisch weiter an Felix.

"Und noch eine Unterschrift." Felix legt den Ausdruck auf den langen Tisch, der wie ein Tresen den wichtigen Teil des Raumes vom Besucherbereich trennt. Dann sucht er nach einem Schreiber und wird in der Hosentasche fündig. Mit warmer Tusche unterschreibe ich, auch wieder ohne den Text zu lesen.

"Alles klar, da liegt auch ein Plan oben, wann die Mensa aufhat, wo die Bücherei ist und so Sachen."

"Alles klar, besten Dank, bis später."

Auf dem Weg in den Flur hänge ich die neuen Schlüssel an meinen Schlüsselbund. Im Büro gehen die Gespräche weiter.

"Der neue Assi von der Rush. Geologie?"

"Weiß nich, die wollen irgendwo Bakterien suchen, Südamerika oder so."

Assi von der Rush klingt nicht gerade nach einem Traumjob.

Manchmal hat man Pech, manchmal zieht man die Niete, oder so ähnlich. Immerhin ist der Fahrstuhl in Betrieb. Das rote Schildchen am Schlüssel trägt die Nummer 528. Nach wenigen Schritten stehe ich vor der Tür. Um das Schlüsselloch herum und am Türrahmen sind die Spuren häufiger Benutzung zu sehen. Zweimal rumgedreht, mich begrüßt ein abgestandener Geruch, undefinierbar. Die Tür schlägt an einen Schrank. Das Zimmer ist schmal. Gegenüber der Tür ist ein Fenster, es scheint hell durch eine schiefe Gardine herein. Links davor steht ein Schreibtisch mit einem Stuhl auf Rollen, rechts an der Wand steht das Bett mit Matratze. Eine rote Schreibtischlampe mit so einem Gelenkarm ist an das Fensterbrett geschraubt und deckt so den Schreibtisch als auch das Kopfende des Bettes ab. Ich klappe das Fenster auf. Kühle, frische Luft und entfernte Stadtgeräusche kommen herein. Wald ist zu sehen, in der näheren Umgebung sind Straßen, Gebäude, Parkplätze. Die fünfte Etage ist schön, man hat Abstand zu dem Trubel da unten. Ich würde sagen, das lässt sich eine Weile aushalten. Schlafsack und einen weichen Pullover als Kopfkissenersatz habe ich dabei. Das reicht fürs Erste. Die Lampe funktioniert auch. Gut, dann gehe ich wieder. Die Tür ist noch offen.

Gegenüber dem Kleiderschrank ist eine kleine Kommode mit einem dünnen Hefter, Zettel liegen daneben, sogar ein Telefon gibt es. Der Hörer gibt allerdings keinen Ton von sich, ist wohl abgeschaltet. Ich schließe das Fenster wieder, dann die Tür und schaue mich im Flur um. Jeweils ein Feuerlöscher ist neben dem Fahrstuhl und am Ende der Ganges an der Wand angebracht. Mein Schlüsselbund fühlt sich jetzt größer an. Die Fahrt zum Erdgeschoss beginnt und endet wie vorhin schon mit Gewackel. Im Büro des Studentenwerks ist immer noch gute Stimmung.

"Kennst du das Bild mit dem alten Paul Schwenk, aus dieser uralten Fachschafts-Zeitung? Wo er bei seiner Erstsemester-Fete mit einem dicken Joint im Gesicht da vorne an die Laterne pinkelt? Mit langer Matte und so 'ner Jimi-Hendrix-Blumen-Weste?! Hahaaa, total abgefahr'n, ey. Eigentlich wollte jemand nur den schönen Neubau fotografieren."

Lustiger Verein hier, mal sehen, wie es mit meiner neuen Kollegin so läuft. Nach dem ersten Eindruck würde ich sagen, ihre Religion lässt sich vermutlich kurz in Geht nicht, gibt's nicht! zusammenfassen.

Kerniger Händedruck, wilde Haare und ihr durchdringender Blick, also mein Selbstbewusstsein strebt im Moment asymptotisch der Null-Linie entgegen. So ist das wohl, man fängt immer wieder von vorne an. Andererseits habe ich noch gar nicht so viel angefangen.

Egal, irgendwie wird es schon weitergehen.

Circa vier Wochen später bin ich gegen alles Mögliche geimpft, habe eine Schnellausbildung zum Open-Water-Diver und einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Ein Arzt, der dem Institut nahesteht, hat uns außerdem ein Wochenende lang mit medizinischen Grundlagen für Notsituationen gequält. Ich durfte, oder sagen wir besser, musste Suzanne sogar unter den strengen Blicken des Arztes einen Venenzugang legen. Der Vortrag darüber hat geraume Zeit in Anspruch genommen. Es ist ein heikles Thema und erfordert präzises Vorgehen und Entschlossenheit. Es fing zur Einstimmung damit an, eine saumäßig brennende Salzlösung in eine fremde Vene zu spritzen. Wie unangenehm das ist, erfuhr ich allerdings erst ein paar Minuten später, als Suzanne mit der Spritze dran war und ich das Versuchskaninchen. Also in den Venen fremder Leute herumzustochern, war schon eine Überwindung. Aber die Krönung des Samstagabends war dann, sich selber so einen Butterfly zu setzen. Also, um das noch mal klarzustellen: Frank sticht sich selbst in die eigene Vene! Die Bezeichnung Butterfly finde ich übrigens irreführend, aber egal, man nennt die Dinger so. Mein anderer, nur wenig verpiekster Arm verfügte allerdings nicht über eine passende Vene. Meine Vermutung war, dass sich alle meine Gefäße aus Angst vor zittrigen Nadelstichen zurückgezogen hatten.

Grinsend sprühte mir Dr. Schuhmann Desinfektionsmittel auf den Handrücken und meinte: "Da geht's auch!"

Anschließend saß ich mit Suzanne wieder in der Pizzeria. Wir bestaunten noch mal unsere Pflaster und die Hämatome da drunter und ich bestellte zum Bier gleich einen Sambuca. Rum hatte man nicht. Von da an hatten wir endgültig ein wirklich gutes Verhältnis.

Kleine Quälereien vertiefen anscheinend die Freundschaft. Am nächsten Tag war weiteres medizinisches Grobhandwerk an der Reihe. Zum Beispiel das Einrenken ausgekugelter Gelenke, die Versorgung offener Brüche und solche Sachen. Diesmal allerdings etwas theoretischer, wir brauchten uns nichts zu brechen oder auszukugeln.

Abends in der Bude im fünften Stock fällt mir die WG in Hannover ein. Da war es um Einiges familiärer. Das hier mag zwar die richtige Welt sein, aber zum Wohlfühlen reicht es noch lange nicht. Mal hören, ob Nils da ist.

"Störungsstelle!", kommt nach ein paar Freizeichen aus dem Handy.

"Moin Nils, hier spricht Frank, der Weltreisende."

"Moin Alter, ist ja witzig. Wir haben uns gerade vorhin in der Küche gefragt, wo du denn abgeblieben bist. Lange nix gehört von dir."

"Ja, stimmt. Ich bin hier im prallen Forschungsleben angekommen.

Hier ist ganz schön Zug drin, mein lieber Schwan. Aber eins ist Fakt, bei der nächsten Fete bei euch da oben muss ich wieder mit dabei sein."

"Na klar! Ich schick dir eine Emaille auf deinen Account hier. Den hast du doch noch bestimmt."

"Ja, der lebt noch. Das mach mal. Ist diese Monique mal wieder aufgetaucht? Die schnackt doch manchmal mit Jasmin."

"Haa, die Südseeperle! Nee, weiß ich nicht genau, aber ich meine, dass sie die Architektur an den Nagel gehängt hat und jetzt Musik studiert. Ich glaube, die sucht eine Bude. Mal sehen, ob sich bei uns was drehen lässt. Die ist ganz schön nett! Was meinst du dazu, Frank?"

Nils amüsiert sich, der erinnert sich wohl auch an meinen Flirt-Versuch in der Küche.

"Ja klar, ich hab' noch nie so eine schöne Frau gesehen. Also für mich ist die der Wahnsinn. Und die kennt sich mit allen möglichen Sachen aus. Würde gerne noch mal mit ihr plaudern, am besten nüchtern."

"Du hattest ordentlich einen in der Krone beim letzten Versuch. Aber die läuft nicht weg. Ist auch komischerweise ganz solide. Ja stimmt, cooles Frauchen!"

"Ich bin erst mal mindestens fünf, sechs Wochen weg. Also da drüben in den Höhlen von Venezuela. Aber danach muss ich mal wieder meine alte Familie besuchen."

"Klingt nach mächtig viel Abenteuer. Da wünsch' ich dir mal Mast- und Schotbruch, Alter. Ja, melde dich, wenn du wieder im Land bist."

"Auf jeden Fall, Nils. Dann grüß mal die ganze Bande und bis neulich erst mal."

"Jo, Frank, bis denne! Tschüs!"

Also das Studentenleben war schon klasse. Mir fehlen sie gerade alle!

Und ich bin wirklich gespannt, was bei unseren Forschungen herauskommt und wie das alles abläuft.

Irgendwann finde ich mich mit meinem neuen Expeditions-Rucksack und einem kleinen Koffer in der Flughafenhalle wieder und fühle mich so verloren wie einmal als Kind im Karstadt, als meine Eltern verschwunden waren. Einzige Hoffnung: die Beruhigungspillen im Bauch und in der Hemdtasche.

Nachdem ich den Start einigermaßen überstanden habe, keimt die Idee auf, dass doch nicht alles so schlimm wird, wie ich Provinzler mir das ausgemalt hatte. Aber dieses Gefühl zu fliegen ist wirklich seltsam.

Ich nehme erst mal Mineralwasser. Suzanne bestellt einen Whiskey und eine Flasche Fosters.

"Schmeckt zwar wie Pferdepisse, aber als Australier muss man das Zeug eben trinken. Nimm doch auch ein bisschen von der Kaltschale aus Melbourne! Is schön kalt, denn geht das."

Ich nippe an meinem Wässerchen und versuche mich krampfhaft zu entspannen.

Suzanne amüsiert sich. Dann sagt sie: "Weißt du, ich denk, wenn man geborn wird, kriegt man mit den Geburtsurkunde gleich ein Totenschein dazu. Verstehst du? Irgendwann gehen wir alle drauf.

Kommt nur drauf an, dass man dazwischen Spaß hatte. So what! Let's go for it! Weißt was? Ich nehm dich mal mit zu mein Bruder nach Montana, zum Rodeo, dann bist du geimpft gegen alles in diesen Welt hier!"

Sie hat schon irgendwie recht, aber es gefällt mir nicht. Leben muss doch mehr sein? Aber großartig darüber nachdenken wird im Moment nichts, die Beruhigungspillen scheinen zu funktionieren.

Caracas

Als ich wach werde, ist mir schlecht.

"Du schnarchst, Frankyboy."

Ich bin wirklich in einem Flugzeug. Oh, und mir ist wirklich nicht gut. Erst mal bewege ich mich nur vorsichtig, die Luft riecht irgendwie künstlich und abgestanden, es wackelt, komische Geräusche, Stimmen, fremde Sprachen. Lautsprecher verkünden: "Please fasten your seatbelts, we reach Caracas Airport in a view minutes.4" Und dann das Ganze auf Spanisch, von dem ich kein Wort verstehe.

"Hast gleich geschafft, Großer!"

Jetzt riecht es nach rauchigem Whiskey. Suzanne ist offensichtlich bei guter Stimmung. Die Maschine fliegt wieder eine Kurve, außerdem muss ich dauernd schlucken und es knackst in den Ohren.

Rechts sehe ich Berge von der Sonne angestrahlt, jetzt taucht eine Stadt auf. Wir drehen zurück, ich sitze wieder senkrecht, der Gurt ist unangenehm eng. Meine Güte, entweder muss ich öfter fliegen oder damit aufhören! Links ist das Meer zu sehen, dann wieder Himmel, wir schwenken wohl so allmählich auf die Landebahn ein. Rechts sind Wolken und steil ansteigende Berge. Das Gewackel wird stärker.

Die Maschine dreht ein paar Grad um die senkrechte Achse, quer zur Flugrichtung. Das fühlt sich ganz seltsam an! Vermutlich kommt ein starker Wind vom Meer. Vor lauter Tiefatmung ist mir schon ganz komisch im Kopf, ich habe kalte Hände, die sich irgendwie verkrampfen wollen. Das Gerappel wird immer stärker, es quietscht.

Jetzt haben wir wohl aufgesetzt. Ja, wir sind unten, es bremst wie verrückt, die Turbinen fahren mit Schubumkehr hoch. Die ganze Kiste schüttelt sich. Aus den Augenwinkeln heraus erkenne ich, dass draußen alles langsamer wird. Es wird ruhiger und man klatscht dem Piloten zu.

"So, Großer, das war jetzt den angenehmen Teil der Reise."

"Sehr beruhigend."

Auf was habe ich mich hier eingelassen? Scheiße! Ich warte stocksteif einfach nur noch auf den Moment, in dem alles zum Stillstand kommt und sich nichts mehr bewegt oder Krach macht.

Dann wird es ruhiger, die Leute sammeln ihren Kram zusammen. Ich sehne mich nach einem Hotelbett, aber davor liegt wohl noch eine Tour durch Caracas. Fünf, sechs Millionen Einwohner, das Zentrum für alles in der Karibik. Klasse!

Es geht die Gangway entlang, eine Halle öffnet sich, das Fließband mit dem Gepäck kommt in Reichweite. Meinen Rucksack und den kleinen Rollkoffer hat Suzanne auch schon vom Band gegriffen, ich nicke ihr dankend zu. Nach einer Pseudo-Kontrolle erreichen wir eine andere Halle. Der geflieste Fußboden ist sehr unruhig. Gezackte Streifenmuster in krassen Farben, nichts für Epileptiker.

Der Tübinger Kollege hat uns entdeckt und begrüßt uns einen Moment später. Mario heißt er und sieht schmal aus, wie ein veganer Marathonläufer. Der freut sich total, scheint aufgeregt zu sein und spricht die ganze Zeit mit Suzanne. Die Luft ist schwer, es ist warm.

Wir sind eben in der Karibik. Ich stolpere hinter den beiden her.

WC, steht da. "Sekunde kurz."

Suzanne stellt ihren Koffer zu meinem Gepäck. Die Tür zu den Toiletten öffnet automatisch. Es sieht alles sehr edel aus.

Gut, Erleichterung! Ich werfe mir ein paar Händevoll Wasser ins Gesicht, schon besser. Und wieder raus. Die Halle ist riesig, massenhaft Leute, es geht weiter und immer weiter, auf diesem irren Fußboden.

"Come on Frank, this way!5"

Jo, Mann, ich komm ja schon on, denke ich so bei mir, was ist das überhaupt für ein Typ? Aber jetzt steck ich bis zum Hals drin in diesem Mist! Kein Weg zurück! Frank, du Idiot!

Es ist ein Van, riesengroß. Ich werfe den Rucksack durch die hintere Luke, den Koffer hinterher, und setze mich auf die Rückbank.

Suzanne ist vorne, der Super-Forscher aus Tübingen am Steuer. Er redet und redet und wir kurven durch eine Großstadt, zusammen mit ein paar Millionen Wahnsinnigen mitten in der Rush-Hour.

Ich nehme mir vor, einfach auszusteigen, sobald wir das nächste Mal Schritt-Tempo erreichen, ab durch die Mitte, raus hier! Einfach weg!

"Hey Frankyboy, just there, da vorne ist es!6 Wir sind gleich zu Hause."

Zu Hause ist anders, finde ich, aber egal, steige ich eben da aus.

Tiefgarage mit Wachpersonal, Schranken, dann unser Stellplatz.

"Du siehst voll Scheiße aus. Wir sind jetzt da, alles wird gut, Großer!"

Was habe ich denn in diesem Rucksack drin, das Ding ist sauschwer, und dann noch dieser Koffer!

An der Rezeption bereiten die beiden Super-Forscher alles vor.

Suzanne legt die Kreditkarte vom Institut vor und ich meinen Reisepass, jemand notiert etwas und ich unterschreibe, bekomme eine Zutrittskarte.

"Wir haben ein Doppelzimmer, Frank! Na, bringt dich das wieder nach vorne? Frau Bauer hat an alles gedacht! Hihi, hey, Frank, what's up?"7

"Super, Baby, einfach traumhaft. Ich bin so im Arsch, du kannst es dir nicht vorstellen."

Im Aufzug muss ich mir noch anhören: "Man gewöhnt sich mit der Zeit daran, Herr Junker. Wir haben alle mal so angefangen."

Der Fahrstuhl hält, ein Schnell-Schwätzer weniger an Bord. Wir fahren weiter bis zur nächsten Etage.

"Der Typ is geschieden, und so, wie das aussieht, hat er die Balz. So, Frank, raus jetzt!"

Dieser Scheißrucksack, meine Güte!

Nach einigen Metern zieht Suzanne die Zimmer-Zutrittskarte durch ein Lesegerät seitlich an der Tür.

Schnack, wir können rein. Suzanne macht Licht. Ich sehe zwei Betten, die getrennt stehen, der Koffer landet an der Wand neben dem Fenster, der Rucksack rutscht am Tischbein ab, kippt um, aber da liege ich auch schon. Mann, tut das gut! Suzanne inspiziert alles, packt etwas aus und räumt im Bad herum.

"Ich dusch mir die Muschi, in zwei Stunden essen wir zusammen, okay?"

"Mit dem röhrenden Hirsch?"

"Right!8 Und dann sauf ich eins an und spuck ihn nachher alles über die Hose. Gute Idee, findest du nicht?"

"Das hat was!"

Unsere Dialoge werden absurder. Und nur noch schlappe fünf Wochen, dann ist der Trip vorbei. Ich weiß immer noch nicht, wie die auf mich gekommen sind. Und die nächsten Zusagen werden wochenlang durchdacht, bis alle Termine verstrichen sind, ich schwör's! Und wenn ich anschließend nur noch mit dem Rasenmäher an den Hörsälen vorbeifahre, scheißegal!

Es duscht.

Und aus der Frau werde ich auch nicht schlau. Manchmal hatte ich schon gedacht: Ist doch cool, wenn dein bester Kumpel eine Frau ist!

Und dann wieder … ja, ist ja gut, einfach vergessen! Ich kann sie einfach nicht einschätzen. Und für eine Frau zum Verlieben ist sie irgendwie zu wenig Frau und zu viel Kumpel. Andererseits kann man mit ihr garantiert durch dick und dünn gehen, wobei ich vermutlich irgendwann die Memme wäre. Sie zeigte mir Fotos von einem Rodeo, bei dem sie im hohen Bogen von einem Pferd flog. Ich glaube, ich brauche es eine Stufe sanfter.

Monique zum Beispiel!

Jedenfalls bin ich mal gespannt auf das niveauvolle Gespräch nachher, unter Fachleuten. Am besten, ich bring sofort den Idiotenspruch, alle halten mich dann für den Volldeppen und ich habe es dann hinter mir. Keine Fragen mehr, die Ruhe des Schwachsinnigen, der ab und zu vielleicht noch den Narren gibt.

Objektiv gesehen habe ich natürlich wirklich keine Erfahrungen und keine Ahnung von der Praxis. Vielleicht sollte ich es dabei belassen.

Es duscht immer noch.

Dann rauscht es nicht mehr, ich bin so müde.

"Hey Frank, halbe Stunde noch! Du sabberst!"

Oh Gott, ich war eingeschlafen, ach du meine Güte, Schwindel, mir ist schlecht.

"Moment mal." Ich wisch mir um den Mund rum. "Stimmt ja gar nicht.

Was ist los?"

"Kleinen Test, Mensch. Also, essen, trinken und ein von Pferd erzählen. Wie geht es dir? Kriegst du das hin?"

Ihr Akzent ist einfach klasse, würde ich jederzeit wiedererkennen.

Aber jetzt muss ich wohl irgendwie versuchen, die Senkrechte zu erreichen.

"Komm, weißt was? Du bleibst jetzt hier, Suzanne bringt dir ein Glas Wasser, ein Aspirin und dann lass die Zeit. Unten gibt das ein Kräuterschnaps, und bis das Essen kommt, bist du wieder okay."

Vollständig überzeugt bin ich nicht, aber sie bedient mich, das gab es ja noch nie.

"So, is schön kalt, is nich aus den Hahn, alles gut! Hier, schluck das runter."

Die Pille ist durch. Das Wasser ist wirklich angenehm. Pinkeln könnte ich auch mal wieder. So, alles der Reihe nach.

"Siehst du, tut gut!"

"Stimmt, danke."

Nach zehnminütiger Andacht stehe ich auf, immer noch seekrank und durchgeschüttelt. Ich peile das Bad an.

"Und einma fühfüh machen unter den Arm, okay?"

Mein Spiegelbild sieht mitgenommen aus, aber ansonsten keine Anzeichen, dass wir am anderen Ende des Erdballs sind. Mann, ist das verrückt!

Da steht 8×4-Fühfüh von ihr. Zisch hier, zisch da, jetzt kann's losgehen. Sie erwartet mich schon und ich stutze. Zum ersten Mal sehe ich sie mit offenen Haaren, eine wilde Mähne und die Augen sind anders. Und so was wie Maiglöckchen-Duft erfüllt den Raum.

Suzanne sieht richtig weiblich aus, ich bin verblüfft!

"Na? Komm, wir machen ganz langsam. Du bist gleich wieder in Schwung."

Suzanne bringt uns ins Restaurant und da ist er wieder, Mario der Forscher, und auch er ist offensichtlich erstaunt, wie Suzanne aussehen kann. Sein Kollege ist cool, verzieht kaum eine Miene, kommt mir wie ein Seemann vor. Eher der rustikale Typ und ein Riese. Wir stellen uns vor und nach ein paar Runden Smalltalk kommt tatsächlich raus, dass Danny van Steevens auf Bohrinseln und Frachtern sein Geld verdient hat, um zu studieren. Mit dem Typen an Bord kann uns nichts passieren. Er erinnert wirklich an den Seewolf, damals von Harmstorf gespielt. Ich habe allerdings immer noch Probleme, mein Englisch ist auch nicht so besonders, aber vor allem ist mir schlecht.

Auf die Frage, welchen Rum er empfehlen kann, verkündet der Kellner hocherfreut:

"Me gustaría sugerir Capique Gran Reserva, muy bien, señor! Good for jetleg, Sir!9"

"I guess, I need a double.10" Der Kellner nickt mir zu.

"I need a double, too.11", meint Danny. "And some water for us.12"

"What about beer?13" Suzanne richtet die Frage an Mario.

"Das Polar ist einheimisch und das beste Bier hier. Aber ich trinke höchstens eins zum Essen. Morgen fliegen wir schließlich zum Stützpunkt. Danny, du auch?!"

"Blöde Frage, natürlich."

"Und du, Frank?", fragt mich Suzanne.

Mein Magen ist nicht überzeugt, aber ich sage mal: "Ja, Bier ist klasse."

"Cuatro Polar, por favor.14"

"Muy bien15", sagt der Kellner.

Danny hat anscheinend Hunger, legt seine Zimmer-Zutrittskarte auf den Tisch und bestellt, ohne die Speisekarte angesehen zu haben:

"And forme such a Orinoco grill plate, you know, with steak and chicken, please.16"

"Qué más puedo señalar?17" Der Kellner schaut höflich fragend in die Runde.

"Möchtest du schon was essen?" Suzanne übersetzt. Leider kann ich mit der Karte nicht so viel anfangen. Aber die Zimmerkarte lege ich auch schon auf den Tisch, ich bin der Letzte.

"Weiß noch nicht, siehst du hier so was wie Kinderteller für Magenkranke?"

Suzanne lehnt sich zu mir rüber, als wären wir sehr vertraut miteinander. Ich wundere mich etwas, dann zeigt sie auf die Rubrik Arrancadores18.

"Hier schau mal." Sie spricht mit mir, als hätten wir gerade das erste Mal geknutscht.

"Das hier ist mit süße Kochbananen, Frischkäse und so ein Avocado-Soße. Ist bestimmt lecker und nicht so viel."

"Gut", sage ich nur und bin dabei von ihrem Blick gefesselt. Unter anderen Umständen wäre ich jetzt der Meinung, dass ich diese Frau rumgekriegt hätte. Das hier ist allerdings, jenseits aller Zweifel, eine Finte.

Das kann ja noch was werden, ich ahne Böses.

"Okay, forme that Grill Plate, too, and for my colleague this here called Jardinera.19"

Mario sitzt Suzanne gegenüber und er staunt offensichtlich nicht schlecht. Nach einer Schrecksekunde bestellt er: "Lomito Guayanes, por favor.20"

Der Kellner notiert, besser gesagt tippt auf einer Art Taschenrechner herum, scannt die Barcodes unserer modernen Zimmerschlüssel und nimmt uns die Speisekarten ab.

"Muchas gracias, las bebidas vienen enseguida.21" "Qué bueno, gracias.22" Suzanne plaudert los, als wäre das hier ihre Stammkneipe. Selbst Mario hält jetzt den Mund. Wir schweigen eine Runde. Suzanne streckt sich aus, und zwar so lange, bis Mario endlich ihre Bluse auf durchscheinende Strukturen untersucht, dann lächelt sie mich zufrieden an.

"Nett hier", sagt sie und kämpft mit dem Impuls loszulachen.

"Das hat Frau Bauer ausgesucht. Die meint das aber gut, Frankyboy!"

"Ganz feiner Kram." Was Besseres fällt mir nicht ein. Aber ich spüre die Blicke von unserem schmalen Forscherkollegen.

"Suck me!", poltert Danny raus. "Mario, I'm starving. Oh, by the way, sollen wir in Deutsch sprechen?23 Auch kein Problem."

"Ja, das können wir natürlich machen. Was meint ihr, Kollegen?"

Der gute Mario hat plötzlich etwas Formelles in der Stimme, als wollte er uns gleich nach den gültigen Fahrscheinen fragen.

"Gar nich schlecht, ich glaub unsern Frankyboy is dann auch entspannter."

Ich halte nur die Hand hoch und tatsächlich, Suzanne schlägt ein.

"Five!24", rutscht ihr ziemlich laut heraus und sie lacht los.

"Gut, dann ist das schon mal geklärt", beginne ich einfach mal.

"Was vermutet ihr denn in diesem Höhlensystem zu finden? Habt ihr eine Idee, was dort verborgen sein könnte?"

"Auf dem Papier steht natürlich etwas, um die Gelder möglichst einfach und umfassend zu bekommen. Es ist so", erklärt Danny: "Erst mal ist das eine normale Höhle. Wo Kontakt zur Außenwelt besteht, ist das normale Getier beteiligt, das man hier in der Gegend findet.

Aber weil das System so riesige Ausmaße hat, besteht die Chance, eine Ecke zu finden, in der sich hochspezialisierte Lebensformen entwickeln konnten. Und auf so was hoffen wir. Im Idealfall wäre das eine mehr oder weniger hermetisch abgeschlossene Brühe in einer verborgenen Ecke. Ansonsten besteht der Auftrag darin, taxonomisch alles zu erfassen, was wir finden. Wir haben teilweise relativ gute Lagepläne, einige Teile sind genau vermessen, aber eben auch platt getrampelt. Da laufen schon jahrelang Leute rum. Aber egal, indem wir jetzt die Besiedelung, womit auch immer, mit genauen Koordinaten und den lokalen Bedingungen erfassen, lassen sich später statistisch Entwicklungsstränge ableiten. Auch über die Auswirkungen der Beforschung natürlich."

"Besteht denn die Hoffnung auf völlig unerforschte Bereiche überhaupt?", frage ich Danny.

"Ich denke schon, außerdem hat sich die Regierung seit einiger Zeit stärker eingemischt und vergibt Berechtigungen für bestimmte Bereiche. Das begrenzt schon mal die Anzahl der Leute, die da herumkriechen, und lässt darauf schließen, dass man da noch Überraschungen vermutet. Seitdem taucht dort Militär auf. Wir haben schon seit einiger Zeit Kontakt mit den entsprechenden Regierungsvertretern und hoffen auf grünes Licht für ein paar Ecken, die interessant erscheinen. Außerdem ist das System so riesig, dass es da bestimmt noch unentdeckte Winkel gibt."

"Ja, das wär's natürlich." Mir fällt mein Vater ein. "Idealerweise also ein Goldfischteich mit unbekannten Kokken und Saprophyten!"

Danny grinst: "Das wäre der Jackpot! Theoretisch reicht ein einfacher Kohlenstoffkreislauf in irgendeiner Form. Die Welt benötigt dringend neue Basisstoffe für Antibiotika."

"Ein anständiges Werkzeug gegen diese blöden Superbugs. Das wäre ein Meilenstein."

"Genau, da gäbe es zwar noch eine lange Strecke bis zum einsatzfähigen Mittel, aber man hat an der Stelle ziemlich gepennt."

"Mein Vater war Dialyse-Patient und hatte zum Schluss auch Ärger mit resistenten Enterokokken. Das war sehr mies."

"Oh sorry, Frank! Ja, diese VRE sind gefährlich. Und um Krankenhäuser sollte man meiner Meinung nach generell einen riesigen Bogen machen. Nirgends gibt es mehr resistenten Keime als dort."

"Así pues. Estas son las bebidas.25"

Der Kellner stellt uns einige Gläser hin, Mineralwasser und Flaschenbier. Außerdem verteilt er noch zwei anständige Humpen mit Rum, der mich an den Geruch auf diesen alten Butterdampfern erinnert, als es in Europa noch Grenzen gab und zollfreien Schnaps hinter der Dreimeilenzone.

"Salud!26"

Ich greife zuerst zum Rum. "Na dann, prost!"

Danny und ich stoßen an. "Cheers!27"

Suzanne füllt ihr Bierglas, die Hälfte ist Schaum, sie kommt dazu.

"Cheerio, friends!28"

Mario hängt hinterher mit seinem Mineralwasser.

"Auf gute Zusammenarbeit!" Dabei versucht er, Suzanne ganz besonders – ja, ich weiß gar nicht wie –, einfach ganz besonders in die Augen zu schauen. Die trinkt aber schon und füllt bereits nach, als Danny und ich uns angrinsen.

"Borr, super!"

Und Danny: "Godverdomme, helemaal te gek!29 Also, saugut oder so!"

"Und was ist denn dein Lieblingsgebiet, Suzanne?", fragt Mario, um der Situation wieder einen akademischen Anstrich zu verleihen.

"Rodeo!", sagt sie knapp.

"… ähm bitte?" Man sieht an seiner Stirn, dass es dahinter denkt.

"Na ja, Geologie und Bio hab ich gelernt, um ein ordentlichen Beruf zu haben, aber richtig geil ist ein Ritt auf ein wilden Pferd."

"Really?!" Danny lacht aus vollem Hals. "Du bist schon mal Rodeo geritten?"

"Jep, dude!30 Aber weil ich mit fünfzig auch noch was von mein Leben haben will, hab ich das gelassen. So wie mein Bruder, der hat ein Ranch in Montana und züchtet Quarter Horses."

Dabei schüttet sie sich den letzten Schluck Bier rein, also trinkt aus, allerdings in Farmer-Manier.

"Trockene Luft hier, nich?" Dabei schaut sie sich nach dem Kellner um, aber Danny hat ihn schon in seiner Blickrichtung und winkt. Als der in Reichweite ist und fragend die Augenbrauen hochzieht, sagt Danny: "Eight Polar, please.31" Dabei zeigt er auf seine Zutrittskarte.

Mario stockt kurz der Atem: "Wir fliegen morgen da hin, Dan."

"Ach, so'n bisschen Bier." Danny hat ebenfalls ausgetrunken. "Ist doch früh am Tag! Ist ja auch alles organisiert."

"Ja schon, aber, also …!" Mario ahnt wohl auch Böses.

"Wir müssen schon fit sein morgen!"

Ich probiere das Bier, es ist kalt und schmeckt ziemlich gut. Suzanne schaut mich an, das merke ich aber nicht gleich und wundere mich dann etwas. Ihre Augen sind groß, verführerisch. Erst jetzt sehe ich bewusst, dass sie geschminkt ist, Donnerwetter! Diese unerwartete Intimität lässt mich allerdings zurückweichen. Und da ist auch so ein Funkeln in ihren Augen, als ob sie gerade etwas Ungeheuerliches plant. Der Kellner macht sich bemerkbar. Er trägt eine Art Auflaufform aus Edelstahl heran, über dem Arm ein Handtuch. Neben Danny und mir wäre noch Platz für zwei, drei Personen.

"Así, un poco de cerveza para tí.32" Dabei stellt er neben uns die Schale auf das Handtuch. Es sind acht Flaschen Bier auf Eis.

"Muchas gracias!33" Danny lacht und salutiert lässig.

"De nada!34", grinst der Kellner.

Suzanne streckt die Hand aus, bekommt eine neue Flasche Bier.

Danny fummelt einen Öffner aus dem Eis heraus, nimmt ihr die Flasche wieder ab, hebelt den Kronkorken zischend herunter.

"So, und das mit dem Wildpferd musst du mir jetzt mal ganz genau erklären." Dabei bekommt sie die Flasche wieder. "Kein Scherz mit dem Rodeo?" Danny hat wohl noch einen Zweifel.

"Ich zeig dir mal Bilder auf mein Mobil, also auf Handy, you know.

Nee, kein Scherz. Also wenn du mal wirklich Leben in dir und in ein anderes Geschöpf spüren willst, mach den Ritt auf ein ungezähmtes Pferd. Das verändert dein Leben, ich schwör's dir. Bei ein Turnier in Great Falls bin ich einmal 3,3 Sekunden drauf geblieben. Das ist mein Rekord. Nach 8 Sekunden is offiziell Schluss. Die guten Typen schaffen das sogar so lange. Und zwar auf den richtig heißen Geräten. Ich war auf ein paar Ackergäule unterwegs, for fun, bevor den richtigen Turnier losgeht. Aber die zwei, drei Sekunden sind der Hammer, absolutely."

Danny hält seine frische Flasche Bier hin, Suzanne hat ihr Glas inzwischen gefüllt und stößt an.

"Cool, dass du mit dabei bist, Suzanne. Du wirst uns den Arsch retten, wenn es hart kommt."

"Nenn mich Sue, das is mein Spitzname, wenn Alkohol im Spiel is. Ist einfacher, du merkst das noch."

Dann dreht sie sich zu mir: "Guten Tag, Frank, ich bin Sue."

"Sue, auf 'ne geile Zeit in der Höhle!", verkündet Danny.

"Mario, jetzt trink schon das Bier, Mensch."

Dabei schwenkt Suzanne ihr Glas vor seiner Nase. "Ein Bierchen is nich schlimm."

Also stoßen wir alle zusammen noch mal an, Suzanne lächelt zufrieden.

"Ich hab natürlich angegeben jetz, sorry. Also ich kann gut mit Pferde und mein Bruder hat mir gezeigt, wie das geht mit ein ungezähmten Pferd. Und bei diese Rodeos kann man mitmachen, so ohne Bewertung. Das habe ich dann gemacht. Ist aber nich vergleichbar mit den Turnier-Leuten, das is ein ganz andere Liga. Und is auch noch ein Teil Tierquälerei dabei, finde ich eigentlich nich so gut."

Zwei Kellner kommen mit dem Essen an unseren Tisch. Es riecht gut und sieht lecker aus. Komischerweise wird nicht gefragt, wer jetzt welchen Teller möchte. Das haben die sich irgendwie gemerkt.

Meiner ist zum Glück nicht so üppig wie die anderen. Diese Orinoco-Platte ist eine gewaltige Portion! Aber für Danny und Suzanne wohl genau richtig, die freuen sich und prosten sich zu.

"Good choice, that's what I need.35" Suzanne greift schon nach dem Besteck.

"Buen apetito36", wünschen uns die beiden Kellner und ziehen sich auch schon wieder zurück.

"Thanks a lot.37" Suzanne untersucht schon die verschiedenen Fleischstückchen und schnuppert am Gemüse. Danny hat schon den Mund voll und hält den Daumen und die Gabel hoch.

"Muchas gracias!", bedankt sich Mario ordentlich mit Blickkontakt und unbewaffnet. Ich probiere von jedem eine kleine Gabel und muss feststellen, dass ich so etwas wohl noch nie gegessen habe. Die Gewürze erinnern mich, alles ist sehr schmackhaft. Selbst die Bananen. Bei der Avocado-Creme weiß ich noch nicht, aber eigentlich ist auch die lecker. Vielleicht stört mich auch nur die fettige Konsistenz.

Gefräßige Stille tritt ein, nur das Besteck klappert, kratzt manchmal auf den Tellern. Danny liegt nach kurzer Zeit in Führung, macht jetzt allerdings eine kleine Pause, um das dritte Bier zu öffnen.

"Noch jemand?", fragt er in die Runde und meint eigentlich nur Suzanne.

"Gern!", sagt sie, nachdem der Mund wieder leer ist.

"Und was war das mit Sue und Suzanne?", fragt Danny. "Das hatte ich nicht richtig verstanden."

"Das is so: In Teanager-Zeit haben wir heimlich Alkohol probiert, und wenn die Sprache schlechter wurde, haben wir Abkürzung gemacht.

Mein Suffname is Sue!"

Sie lacht, hält sich die Hand vor den Mund. "Und ich war Susy, wenn ich ein Junge hinterhergeschielt hab, bei Sport, hihi!".

Mir scheint, so langsam wird es lockeres, pubertäres Gekicher am Tisch.

"Du bist die Härte, Sue." Danny scheint jemanden auf Augenhöhe gefunden zu haben. Mario dagegen mag es wohl lieber nicht ganz so rustikal.

Unterdessen muss ich feststellen, dass ich mit meinem Vorspeisenteller am längsten brauche. Wobei mein Magen noch vor einer Stunde eher auf Entleerung eingestellt war. Gemessen daran bin ich schon weit gekommen, finde ich. Vermutlich bin ich heute die Spaßbremse, wie der kleine Bruder, den man zu den Kumpels mitnehmen musste. Aber da ist noch ein ernster Mensch am Tisch.

Mario seziert chirurgisch seine Happen auf dem Teller und isst vornehm. Suzanne beobachtet ihn mitleidig, stützt dann den Ellenbogen hörbar auf und winkt mit der Gabel.

"Mario, du sitz da wie ein biologischen Firewall. Come on, die nächsten Wochen arbeiten wir ganz ernsthaft für die Wissenschaft und heute haben wir frei und lassen das gut gehen! Okay?"

"Es ist auch alles vorbereitet", wiederholt Danny. Der hätte um Haaresbreite laut losgelacht und versucht jetzt, Suzannes Spruch zu überspielen.

"Wir brauchen morgen nur die Rucksäcke. Die und die Kisten aus der Halle ins Flugzeug laden, und dann geht es ganz gemütlich los.

Antonio will uns Wasserfälle zeigen und alles, was hier sehenswert ist, die Landschaft ist einmalig. Also ich freu mich schon."

"Habt ihr den Piloten schon getroffen?", frage ich, um auch mal einen Betrag zu leisten.