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Es ist das Jahr 1348. In ein Landhaus zwischen Florenz und Fiesole an der Via Boccaccio flüchten sieben Frauen und drei junge Männer vor der Pest. Gegen die Langeweile küren die Geflohenen jeden Tag eine Königin oder einen König bestimmt. Unter der „Herrschaft“ wird ein Thema vorgegeben, zu dem alle eine eigene Geschichte vortragen sollen. Zehn Tage und hundert Novellen aus aller Welt - von Sultanen und Königen, Mönchen und Bauern, Handwerkern und Spitzbuben - später kehrt die Gruppe nach Florenz zurück.
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Seitenzahl: 383
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Giovanni Boccaccio
Neu bearbeitet von Klabund
(Übersetzung von Karl Witte)
Herr Chapelet täuscht einen frommen Pater durch eine falsche Beichte und stirbt. Trotz des schlechten Lebenswandels, den er geführt, kommt er nach seinem Tode in den Ruf der Heiligkeit und wird Sankt Chapelet genannt.
Es ziemt sich, ihr liebwerten Damen, ein jedes Ding, das der Mensch unternimmt, mit dem heiligen und wunderbaren Namen dessen zu beginnen, der alle Dinge geschaffen hat. Darum denke ich denn, der ich als erster bei unseren Erzählungen den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren Fügungen zu beginnen, deren Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren bestärken und uns lehren wird, seinen Namen immerdar zu preisen. Es ist offenbar, daß die weltlichen Dinge insgesamt vergänglich und sterblich sowie nach innen und nach außen reich an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren unterliegen, welchen wir, die wir mitten unter ihnen leben und selbst ein Teil von ihnen sind, weder widerstehen noch uns ihrer erwehren könnten, wenn uns Gottes besondere Gnade nicht die nötige Kraft und Fürsorge verliehe. Was diese Gnade anbetrifft, so haben wir uns keineswegs einzubilden, daß sie um irgendeines Verdienstes willen, das wir hätten, über uns komme, vielmehr geht sie nur von seiner eigenen Huld aus und wird den Bitten derer gewährt, die einst wie wir sterblich waren, jetzt aber, weil sie während ihres Erdenwallens seinem Willen folgten, mit ihm im Himmel der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. An sie, als an Fürsprecher, die unsere Schwäche und Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung kennen, richten wir vor allem jene Bitten, die wir vielleicht nicht wagten, unserem höchsten Richter gegenüber laut werden zu lassen. Um so überschwenglichere Gnade haben wir aber in ihm zu erkennen, wenn wir, deren sterbliches Auge auf keine Weise in das Geheimnis des göttlichen Willens eindringen kann, durch falschen Wahn betrogen, einen zu unserem Fürsprecher vor der Majestät Gottes erwählen, den er von seinem Angesicht verbannt hat, und wenn er, vor dem nichts verborgen ist, dessen ungeachtet mehr auf die reine Gesinnung des Bittenden als auf dessen Unwissenheit oder auf des Angerufenen Verdammung sieht und das Gebet ebenso erhört, als ob der vermeintliche Fürsprecher die Seligkeit, ihn zu schauen, genösse. Daß es sich so verhält, wird aus der Geschichte offenbar werden, die ich euch erzählen will. Offenbar nach menschlichem Dafürhalten, sage ich, da Gottes Ratschlüsse uns verborgen bleiben.
Es wird nämlich berichtet, daß Musciatto Franzesi, als er von einem reichen und angesehenen Kaufherrn zum Edelmanne geworden war und nun mit dem Bruder des Königs von Frankreich, dem vom Papst Bonifaz herbeigerufenen und unterstützten Karl ohne Land, nach Toskana ziehen sollte, sich entschloß, seine Geschäfte, welche, wie es bei Kaufleuten der Fall zu sein pflegt, äußerst verwickelt waren, mehreren Bevollmächtigten zu übertragen. Für alles fand er Rat, nur blieb ungewiß, wo er jemanden auftreiben wollte, der geschickt wäre, jene Schulden einzutreiben, die er bei einigen Burgundern ausstehen hatte. Der Grund seines Bedenkens lag darin, daß ihm wohlbekannt war, was für ein wortbrüchiges, händelsüchtiges und abscheuliches Volk die Burgunder sind und daß er sich auf niemand besinnen konnte, der abgefeimt genug gewesen wäre, um ihrer Bösartigkeit mit Erfolg Widerpart zu leisten. Als er in solchem Zweifel lange hin und her überlegt hatte, fiel ihm ein gewisser Ciapperello von Prato ein, der sein Haus in Paris oft zu besuchen pflegte. Die Franzosen, die den Namen Ciapperello nicht verstanden und der Meinung waren, er wolle so viel sagen wie chapeau, was in ihrer Landessprache Kranz bedeutet, nannten diesen Mann, der klein von Gestalt und sehr geschniegelt war, seiner Kleinheit halber nicht Chapeau, sondern Chapelet, unter welchem Namen er denn überall bekannt war, während nur wenige wußten, daß er Ciapperello hieß.
Das Leben, das dieser Chapelet führte, war folgendermaßen beschaffen: In seinem Beruf als Notar hätte er es für eine große Schande gehalten, wenn eine der von ihm ausgestellten Urkunden, obgleich er deren wenige ausstellte, anders als gefälscht befunden worden wäre. Solcher falschen Urkunden aber machte er, soviel man nur wollte, und dergleichen lieber umsonst als rechtmäßige für schwere Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er auf Verlangen und aus freien Stücken besonders gern ab, und da in Frankreich Eidschwüre um jene Zeit in höchstem Ansehen standen, gewann er, da er sich nicht um einen Meineid scherte, auf unrechtmäßige Weise alle Prozesse, in denen er die Wahrheit nach seinem Gewissen zu beschwören berufen ward. Ausnehmendes Wohlgefallen fand er daran, und großen Fleiß verwandte er darauf, unter Freunden, Verwandten und was sonst immer für Leuten Unfrieden und Feindschaft anzuzetteln, und je größeres Unglück daraus entstand, desto mehr freute er sich. Wurde er aufgefordert, jemand umbringen zu helfen oder an einer anderen Schandtat teilzunehmen, so weigerte er sich niemals und war der erste auf dem Platz. Oft war er auch bereit, mit eigenen Händen zu ermorden und zu verwunden. In seiner beispiellosen Jähheit lästerte er Gott und alle Heiligen um jeder Kleinigkeit willen auf das gräßlichste. In der Kirche ließ er sich niemals antreffen und verspottete alle christlichen Sakramente mit den verruchtesten Worten. Um so mehr war er dafür in den Schenken und anderen Sündenhäusern. Aus Rauben und Stehlen hätte er sich ebensowenig ein Gewissen gemacht, als ein Heiliger daraus, Almosen zu geben. Er fraß und soff in solchem Übermaß, daß er mehrmals knapp mit dem Leben davonkam. Spielen und im Spiel betrügen betrieb er wie ein Handwerk. Doch wozu so viele Worte! Genug, er war der schändlichste Mensch, der vielleicht je geboren ward, und schon seit langer Zeit konnten nur die Macht und das Ansehen des Herrn Musciatto ihm bei seinen Verbrechen durchhelfen, so daß weder Einzelpersonen, die er häufig, noch die Gerichte, die er fortwährend beleidigte, Hand an ihn legten.
Dieser Ciapperello war es, den Herr Musciatto, welcher seinen Lebenswandel sehr genau kannte, jetzt als den rechten Mann auserkor, um der burgundischen Bosheit die Spitze zu bieten. So ließ er ihn denn rufen und sprach zu ihm: »Chapelet, ich stehe, wie du weißt, im Begriff, ganz von hier wegzuziehen, und da ich unter anderm noch mit einer Anzahl von Burgundern zu tun habe, so kenne ich niemand, dem ich mich besser als dir anvertrauen könnte, um von so betrügerischem Volk mein Geld einzutreiben. Du hast jetzt nichts zu tun, und wenn du diese Angelegenheit übernehmen willst, so verspreche ich dir, dich mit den Gerichten auszusöhnen und dir an dem, was du für mich eintreibst, einen Anteil zu lassen, daß du zufrieden sein kannst.« Herr Chapelet, der müßig ging, auch an irdischen Gütern keinen Überfluß hatte und nun den verlieren sollte, der lange Zeit sein Stecken und Stab gewesen war, sagte ohne langes Besinnen und gewissermaßen notgedrungen, ja, er sei gern bereit.
Nach gehöriger Verabredung und nach Empfang der Vollmacht des Herrn Musciatto und der Gnadenbriefe des Königs reiste Chapelet, als Herr Musciatto Paris verlassen, nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte. Hier fing er, wider seine Natur, ganz freundlich und sanftmütig an, seinen Auftrag auszuführen und die Schulden einzufordern, gleichsam als wollte er sich die Bosheit bis zuletzt aufsparen.
Inzwischen war Chapelet ins Haus zweier Brüder aus Florenz gezogen, die Geld auf Wucherzinsen liehen und ihm, Herrn Musciatto zuliebe, viel Ehre erwiesen. In deren Hause erkrankte er jetzt, und obgleich die beiden Brüder ihm sogleich geschickte Ärzte rufen, ihn durch ihre Diener pflegen ließen und überhaupt alles taten, was zu seiner Heilung förderlich sein konnte, so war doch jede Hilfe vergeblich. Dem guten Mann, der nachgerade alt geworden war und liederlich gelebt hatte, ging es nach der Aussage der Ärzte täglich schlechter und schlechter, und es zeigte sich zum großen Leidwesen der Brüder gar bald, daß Chapelet an keiner anderen Krankheit als der des nahen Todes leide.
Diese beiden Brüder nun fingen eines Tages nicht weit von dem Zimmer, wo Chapelet krank lag, folgendermaßen zu reden an: »Was sollen wir mit dem Menschen anfangen«, sagte der eine zum andern. »Wir sind auf jeden Fall seinetwegen in einer sehr verdrießlichen Lage. Ihn jetzt, krank wie er ist, aus dem Hause zu weisen, wäre gewiß unserem Ruf ebenso nachteilig wie unüberlegt von unserer Seite; denn die Leute, die gesehen haben, wie wir ihn erst aufgenommen und für seine Pflege und Heilung gesorgt, wären überzeugt, daß er uns keinen Grund gegeben haben könne, ihn nun als einen Todkranken aus dem Hause zu tun. Auf der anderen Seite aber ist er ein so gottloser Mensch gewesen, daß er weder wird beichten, noch das Abendmahl oder die letzte Ölung wird annehmen wollen, und stirbt er, ohne gebeichtet zu haben, so nimmt keine Kirche den Leichnam auf, und er wird wie ein toter Hund in die Grube geworfen. Sollte er aber auch beichten, so sind seine Sünden so zahlreich und so verrucht, daß nichts dadurch gebessert wird; denn es wird sich weder Mönch noch Pfaffe finden, der ihn lossprechen könnte oder wollte, und stirbt er ohne Absolution, so schmeißen sie ihn auch in die Grube. Kommt es aber so oder so, immer wird das ganze Volk, das ohnehin wegen unseres von ihm verabscheuten Gewerbes äußerst schlecht auf uns zu sprechen ist und Lust genug haben mag, uns auszuplündern, offen gegen uns aufstehen und sagen: 'Diese Hunde von Italienern, die man in der Kirche abweist, wollen wir nicht mehr unter uns dulden.' Sie werden unser Haus stürmen und sich kein Gewissen daraus machen, uns nicht nur Hab und Gut zu nehmen, sondern gar leicht sich an unserem Leib und Leben vergreifen. So sind wir denn auf alle Fälle bei Chapelets Tod übel daran.«
Herr Chapelet, der, wie gesagt, ganz nahe bei dem Orte lag, wo die beiden redeten, und wie man es oft bei Kranken findet, ein feines Gehör hatte, verstand alles, was sie über ihn sagten. Er ließ sie zu sich rufen und sprach: »Ich wünsche nicht, daß ihr euch meinetwegen Gedanken macht oder in Furcht seid, daß euch jemand um meinetwillen kränken möchte. Ich habe gehört, was ihr über mich gesprochen habt, und ich bin wohl überzeugt, daß es so käme, wir ihr sagt, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; aber es soll schon anders gehen. Ich habe zu meinen Lebzeiten unserem Herrgott so viel zuleide getan, daß jetzt, wo ich sterbe, ein Streich mehr auch keinen Unterschied machen wird. Darum schafft mir nur den erfahrensten und frömmsten Mönch herbei, den ihr zu finden wißt, und habt ihr den, so laßt mich nur machen. Ich werde eure und meine Angelegenheit schon so besorgen, daß alles gut sein wird und ihr Ursache habt, zufrieden zu sein.«
Obgleich die beiden Brüder daraus noch keine besondere Hoffnung schöpften, gingen sie doch in ein Mönchskloster und verlangten nach einem frommen und verständigen Manne, der einem Italiener, welcher bei ihnen krank liege, die Beichte hören könnte. Man gab ihnen einen bejahrten Mönch mit, der ein heiliges, makelloses Leben führte, ein großer Schriftgelehrter und gar ehrwürdiger Mann war und bei allen Bürgern im besonderen und hohen Ansehen der Heiligkeit stand. Diesen brachten sie zu dem Kranken.
Als er in die Kammer eingetreten war, wo Chapelet lag, und sich an sein Bett gesetzt hatte, hub er freundlich an, ihm Mut zuzusprechen; und dann erst fragte er ihn, wie lange es her sei, daß er zum letzten Male gebeichtet habe. Chapelet, der sein Leben lang nicht gebeichtet hatte, antwortete ihm: »Ehrwürdiger Vater, sonst ist es meine Gewohnheit, alle Woche wenigstens einmal zur Beichte zu gehen, die vielen Male ungerechnet, wo ich öfter gehe; aber ich muß gestehen, jetzt, wo ich krank geworden bin, sind schon acht Tage vergangen, ohne daß ich gebeichtet hätte, soviel Schmerzen hat die Krankheit mir bereitet.«
»Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »daran hast du wohlgetan, und also magst du auch in Zukunft tun. Doch da du so oft beichtest, so sehe ich wohl, ich werde wenig Mühe haben, dich zu fragen und deine Antworten anzuhören.« Chapelet sprach: »Herr Pater, sagt das nicht; wie oft und wie vielmals ich auch zur Beichte gegangen bin, so habe ich mich doch nie entschließen können, anders zu verfahren, als eine Generalbeichte aller meiner Sünden vom Tage meiner Geburt an bis zum Beichttag abzulegen. Darum bitte ich Euch, bester Vater, daß Ihr mich ebenso genau über alles ausfragt, als ob ich nie gebeichtet hätte. Und schont mich nur ja nicht etwa, weil ich krank bin; denn ich will viel lieber dieses mein Fleisch plagen, als aus Schonung dafür irgend etwas tun, was meiner unsterblichen Seele, die mein Heiland mit seinem kostbaren Blute losgekauft hat, zum Verderben gereichen könnte.« Diese Worte hatten den ganzen Beifall des heiligen Mannes und schienen ihm von einem gesammelten Gemüt Zeugnis zu geben.
Nachdem er also diese Gewohnheit Chapelet gegenüber sehr gelobt hatte, fing er an, ihn zu befragen, ob er sich je mit Weibern in Wollust versündigt habe. Chapelet antwortete ihm mit einem Seufzer: »Mein Vater, was das anbetrifft, so schäme ich mich, Euch die Wahrheit zu sagen, denn ich fürchte, sie könnte als eitles Selbstlob ausgelegt werden.« Der heilige Pater entgegnete: »Rede nur ruhig; denn wer die Wahrheit spricht, sei es in der Beichte oder bei anderer Gelegenheit, der sündigt niemals.« »Nun denn«, erwiderte Chapelet, »weil Ihr mich darüber beruhigt, so will ich Euch nur sagen, ich bin noch ebenso rein und unbefleckt, wie ich aus dem Schoße meiner Mutter hervorkam.« »Des möge Gott dich segnen«, sagte der Mönch, »Wie wohl hast du daran getan! Und um so verdienstlicher ist deine Keuschheit, da du, wenn du gewollt hättest, weit eher das Gegenteil tun konntest als wir und alle andern, die durch eine Ordensregel gebunden sind.«
Hierauf fragte er ihn, ob er sich je durch Völlerei Gottes Mißfallen zugezogen habe. Mit einem lauten Seufzer antwortete Chapelet: »Allerdings und oftmals.« Denn weil er sich daran gewöhnt habe, außer den vierzigtägigen Fasten, welche fromme Leute jährlich halten, auch allwöchentlich wenigstens drei Tage lang mit Wasser und Brot zu fasten, so habe er das Wasser, vor allem wenn er von Gebeten oder Wallfahrten besonders angestrengt gewesen sei, mit derselben Lust und demselben Wohlgefallen getrunken wie der größte Säufer den Wein. Manchmal habe es ihn auch nach Kräutersalat gelüstet, wie ihn die Bäuerinnen machen, wenn sie aufs Feld gehen, und das Essen habe ihm besser geschmeckt, als es seiner Ansicht nach einem schmecken dürfe, der aus Gottesfurcht faste, wie er es doch getan habe. »Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »das sind Sünden, welche die Natur mit sich bringt; die haben wenig zu bedeuten, und um ihretwillen möchte ich nicht, daß du dein Gewissen mehr als not tut beschwertest. Es geschieht jedem Menschen, wenn er auch noch so heilig ist, daß ihm nach langem Fasten das Essen gut schmeckt und nach großer Anstrengung das Trinken.« »Ach, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »Ihr sprecht so, um mich zu beruhigen. Das solltet Ihr nicht tun. Euch ist ja bekannt, daß ich wohl weiß, wie alles, was man tut, um Gott zu dienen, in ganz reiner Gesinnung, frei von jeder befleckenden Lust getan werden muß und daß, wer dem zuwiderhandelt, sündigt.«
Höchlich zufrieden sagte der Mönch: »Nun, so freut es mich, daß du es so ansiehst, und ich lobe in diesem Stück dein ängstliches und sorgsames Gewissen. Aber sage mir: Hast du dich durch Geiz vergangen und mehr verlangt, als du verlangen solltest, oder behalten, was du nicht behalten durftest?« »Ehrwürdiger Vater«, erwiderte ihm Chapelet, »es sollte mir leid tun, wenn Ihr eine falsche Meinung von mir hättet, weil ich bei den Wucherern hier wohne. Ich habe keinen Teil an ihrem Handwerk; vielmehr bin ich zu ihnen gekommen, um ihnen ins Gewissen zu reden und sie von diesem abscheulichen Erwerbe abzubringen. Auch wäre mir das, wie ich glaube, gelungen, hätte mich Gott nicht so heimgesucht. Ich kann Euch aber sagen, daß mein Vater mir ein schönes Vermögen hinterließ, von dem ich nach seinem Tode den größeren Teil als Almosen weggab. Dann habe ich, um mich zu ernähren und den Armen Gottes beistehen zu können, meinen kleinen Handel getrieben und dabei allerdings den Erwerb im Auge gehabt; was ich aber erworben habe, das habe ich immer mit den Armen gleichmäßig geteilt und meine Hälfte zu meiner Notdurft verbraucht, die andere aber jenen geschenkt. Dafür hat mir aber auch mein Schöpfer beigestanden, so daß meine Geschäfte täglich besser und besser gegangen sind.«
»Daran hast du wohlgetan«, sagte der Mönch. »Aber hast du dich etwa häufig erzürnt?« »Ja«, sagte Herr Chapelet, »das habe ich freilich gar oft getan. Und wer könnte sich wohl dessen enthalten, wenn er die Menschen alle Tage die abscheulichsten Dinge treiben sieht, wenn er beobachtet, wie sie Gottes Gebote nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wohl zehnmal des Tages habe ich lieber tot als lebendig sein wollen, wenn ich sah, wie die jungen Leute den Eitelkeiten der Welt nachliefen, schworen und sich verschworen, in die Schenken, aber um die Kirche herumgingen und weit mehr auf den Wegen der Welt als auf dem Pfade Gottes wandelten.« Darauf erwiderte der Mönch: »Mein Sohn, das ist ein edler Zorn, um dessentwillen ich für mein Teil dir keine Buße aufzuerlegen wüßte. Sage nur aber, wäre es vielleicht möglich, daß du dich irgendeinmal vom Zorn zu einem Mord, zu Schlägereien oder zu Schimpfworten hättest verleiten lassen?« »Ach du meine Güte, Herr Pater«, sagte Chapelet, »ich halte Euch für einen Mann Gottes; wie könnt Ihr doch solche Reden führen. Glaubt Ihr denn, ich bildete mir ein, daß Gott mich so lange am Leben erhalten hätte, wenn mir nur der entfernteste Gedanke gekommen wäre, etwas von dem zu tun, was Ihr da genannt habt? Dergleichen können ja nur Mörder und Straßenräuber tun; sooft ich dergleichen gesehen, habe ich immer gesagt: Geh, und Gott bessere dich.«
»Gott segne dich, mein Sohn«, sprach der Pater. »So sage mir denn, ob du jemals gegen irgendwen falsches Zeugnis abgelegt oder von andern schlecht gesprochen oder wider Willen des Eigentümers dich an fremdem Gute bereichert hast.« »Ach ja, Herr Pater«, sagte Chapelet, »was die üble Nachrede betrifft, freilich ja. Denn einmal hatte ich einen Nachbarn, der seine Frau in einem fort prügelte, ohne den geringsten Anlaß zu haben. Da hat mich denn das Mitleid mit dem armen Weibe, das er, sooft er sich betrunken hatte, jämmerlich zurichtete, einmal so gepackt, daß ich gegen ihre Verwandten recht auf ihn gescholten habe.« »Wohl denn«, antwortete der Mönch, »nun sage mir aber, wie ich höre, so bist du ein Kaufmann gewesen; hast du niemals jemand nach Art der Kaufleute betrogen?« »Ja, wahrhaftig, Herr Pater«, sagte Herr Chapelet, »Wie er hieß, das weiß ich aber nicht. Es war einer, der mir Geld brachte, was er für ein Stück Tuch schuldig war, das ich ihm verkauft hatte. Nun tat ich das Geld, ohne es zu zählen, in einen Kasten, und reichlich einen Monat später fand ich, daß es vier Heller mehr waren, als mir zukamen. Wohl ein ganzes Jahr lang habe ich sie aufgehoben; weil ich aber den, dem sie gehörten, in der ganzen Zeit nicht mehr wiedersah, habe ich sie am Ende als Almosen verschenkt.« »Das war eine Kleinigkeit«, sagte der Mönch, »und du hast recht daran getan, so damit zu verfahren.«
Der fromme Mönch fragte ihn noch mancherlei, worauf er immer in dieser Weise antwortete. So wollte denn jener schon zur Absolution schreiten, als Chapelet sprach: »Herr Pater, noch eine Sünde habe ich auf dem Gewissen, die ich Euch nicht gebeichtet.« »Und die wäre?« sagte der Mönch. »Ich entsinne mich«, antwortete jener, »daß ich an einem Samstag gegen Abend von meinem Diener das Haus kehren ließ und also die schuldige Ehrfurcht vor dem Tage des Herrn vergessen habe.« »Mein Sohn«, erwiderte der Geistliche, »das hat weiter nichts zu bedeuten.« »Sagt nicht, das habe nichts zu bedeuten«, entgegnete Chapelet. »Den Sonntag soll man ehren; denn an diesem Tag war es, daß unser Heiland von den Toten auferstand.« Darauf sagte der Mönch: »Und hast du sonst noch etwas zu beichten?« »Ja, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »einmal habe ich in Gedanken in der Kirche ausgespuckt.« Der Mönch fing an zu lächeln und sagte: »Mein Sohn, das sind Dinge, die man sich nicht zu Herzen nehmen soll; wir sind Geistliche und spucken alle Tage in der Kirche aus.« »Und tut daran sehr übel«, sprach Herr Chapelet; »denn nichts auf der Welt soll man so rein halten wie den Tempel des Herrn, in dem man dem Höchsten opfert.«
Um es kurz zu machen, Sünden von dieser Art beichtete er ihm noch eine Menge. Dann fing er an zu seufzen und brach in einen Strom von Tränen aus, deren ihm, wenn er wollte, immer reichlich zu Gebote standen. »Was ist dir, mein Sohn?« sagte der Geistliche. »Ach, Herr Pater«, erwiderte Chapelet, »eine Sünde habe ich noch auf dem Herzen, die habe ich nie gebeichtet, so schäme ich mich, sie zu bekennen; wenn ich nur daran denke, so weine ich, wie Ihr mich jetzt weinen seht, und um dieser Sünde willen kann ich nur auch nicht denken, daß Gott Erbarmen mit mir haben wird.« »Schäme dich, mein Sohn«, entgegnete der Mönch, »was redest du da? Wären alle Sünden, die von allen Menschen jemals zusammen begangen worden sind oder, solange die Welt stehen wird, noch von den Menschen begangen werden, in einem einzigen Menschen vereinigt, und der wäre reuig und zerknirscht, wie ich sehe, daß du es bist, so ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit so groß, daß er sie alle, sobald sie gebeichtet wären, ihm freudig vergeben würde; und so sage denn zuversichtlich, was du getan hast.« Darauf sprach Herr Chapelet, ohne vom Weinen abzulassen: »Ach, ehrwürdiger Vater, es ist eine gar zu schwere Sünde, und wenn es nicht auf Eure Fürbitte hin geschieht, so kann ich kaum glauben, daß Gott sie mir jemals vergeben sollte.« Der Mönch antwortete ihm: »Sage sie nur ruhig, denn ich verspreche dir, daß ich für dich zu Gott beten werde.« Herr Chapelet weinte noch in einem fort und schwieg; der Mönch aber ermunterte ihn erneut, zu reden. Als nun Chapelet den Geistlichen so mit Weinen eine lange Weile hingehalten hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ehrwürdiger Vater, weil Ihr mir denn versprochen habt, Gott für mich zu bitten, so will ich's Euch sagen. Wißt denn, wie ich noch klein war, habe ich einmal meine Mutter geschmäht.« Und kaum hatte er so gesprochen, so hub er von neuem bitterlich zu weinen an. »Mein Sohn«, antwortete der Mönch, »dünkt dich denn das wirklich solch eine schwere Sünde? Lästern die Leute nicht etwa täglich ihren Herrgott? Und doch vergibt er gern einem jeden, der bereut, ihn gelästert zu haben. Und du verzweifelst, für diesen Fehltritt Vergebung zu finden? Fasse Mut und weine nicht; denn wahrlich, wärest du einer von denen gewesen, die unsern Herrn ans Kreuz geschlagen haben, und wärest du so zerknirscht, wie ich es jetzt an dir sehe, so vergäbe er dir.« Darauf sagte Chapelet: »Um Himmels willen, Herr Pater, was sprecht Ihr da? Allzusehr habe ich mich vergangen, und allzu große Sünde war es, daß ich meine Herzensmutter schmähte, die mich neun Monate lang Tag und Nacht im Leibe getragen hat und mich mehr als hundertmal auf den Armen hielt; und wenn Ihr nicht für mich betet, so wird mir's auch nicht verziehen werden.«
Als der Mönch inneward, daß Chapelet weiter nichts zu sagen hatte, sprach er ihn los und gab ihm in der festen Überzeugung, Chapelet, dessen Reden er für lautere Wahrheit nahm, sei ein frommer, gottseliger Mensch, den Segen. Und wer möchte wohl zweifeln, wenn er jemand auf dem Totenbette also reden hörte? Nach dem allen sagte er: »Herr Chapelet, Ihr werdet mit Gottes Hilfe bald wieder gesund sein; sollte es aber dennoch geschehen, daß Gott Eure gesegnete und zum Abschied von dieser Welt bereite Seele zu sich riefe, hättet Ihr alsdann etwas dawider, daß Euer Körper in unserem Kloster beerdigt würde?« »Durchaus nicht«, entgegnete Chapelet; »vielmehr möchte ich sonst nirgends liegen als eben bei Euch. Ihr habt mir ja versprochen, für mich zu beten, und auch ohne das habe ich von jeher besondere Ehrfurcht für Euren Orden gehabt. Und so bitte ich Euch, daß Ihr Christi wahrhaftigen Leib, den Ihr diesen Morgen auf dem Altare eingesegnet habt, mir zusendet, sobald Ihr in Euer Kloster zurückgekommen seid. Denn ich denke ihn, wenn Ihr es gestattet, obgleich unwürdig, zu genießen und dann die letzte heilige Ölung zu empfangen, damit ich, wenn ich als Sünder gelebt habe, wenigstens als Christ sterben möge.« Der heilige Mann sagte, das sei wohl gesprochen und er sei alles zufrieden. Das Sakrament solle dem Kranken sogleich gebracht werden. Und so geschah es.
Die beiden Brüder hatten sehr gefürchtet, Chapelet werde sie täuschen, und sich deshalb der Bretterwand nahe gesetzt, welche die Kammer, in welcher der Kranke lag, von der anstoßenden trennte. Hier hatten sie die ganze Beichte belauscht und bequem verstanden, was Chapelet dem Mönche gesagt. Mehr als einmal reizten die Geschichten, die sie ihn beichten hörten, sie so sehr zum Lachen, daß wenig daran fehlte, so wären sie damit herausgeplatzt. Dann aber sagten sie wieder zueinander: »Himmel, welch ein Mensch ist das, den weder Alter noch Krankheit, noch Furcht vor dem Tode, dem er sich nahe sieht, oder vor Gott, vor dessen Richterstuhl er in wenigen Stunden zu stehen vermuten muß, von seiner Verruchtheit haben abbringen und zu dem Entschluß führen können, anders zu sterben, als er gelebt hat.« Indes, sie hatten gehört, seine Leiche solle in der Kirche aufgenommen werden, und um das Übrige kümmerten sie sich nicht. -- Herr Chapelet empfing bald darauf das Abendmahl, dann, als sein Befinden sich über die Maßen verschlechterte, die letzte Ölung und starb noch am Tage seiner musterhaften Beichte, bald nach der Vesper.
Die beiden Brüder besorgten aus dem Nachlaß des Verstorbenen ein anständiges Begräbnis und meldeten den Todesfall im Kloster, damit die Mönche, wie es der Brauch ist, die Nachtwache bei der Leiche halten und sie am andern Morgen abholen sollten.
Der fromme Mönch, der sein Beichtiger gewesen war, besprach sich, als er seinen Tod vernahm, mit dem Prior des Klosters. Er ließ zum Kapitel läuten und schilderte den versammelten Mönchen, welch ein frommer Mann Chapelet, seiner Beichte zufolge, gewesen war. In der Hoffnung, daß Gott durch ihn noch große Wunder verrichten werde, überredete er sie, man müsse diese Leiche notwendig mit besonderer Auszeichnung und Ehrfurcht empfangen. Der Prior und die übrigen Mönche pflichteten in ihrer Leichtgläubigkeit dieser Meinung bei, und so gingen sie denn sämtlich noch spät am Abend in das Haus, wo Chapelets Leichnam lag, und hielten über diesem eine große und feierliche Vigilie.
Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und Mäntelchen angetan, die Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den Leichnam mit Gesang zu holen. Dann trugen sie ihn unter Gepränge und großer Feierlichkeit in ihre Kirche, und fast die ganze Einwohnerschaft des Städtchens, Männer und Frauen, schloß sich dem Zuge an. Als die Leiche in der Kirche niedergesetzt worden war, stieg der Geistliche, dem Chapelet gebeichtet hatte, auf die Kanzel und berichtete von des Verstorbenen frommem Leben, von seinem Fasten, seiner Keuschheit, seiner Einfalt, Unschuld und Heiligkeit die wunderbarsten Dinge. Unter anderm erzählte er, was Herr Chapelet ihm unter Tränen als seine größte Sünde gebeichtet und wie er ihn kaum zu überzeugen vermocht habe, daß Gott ihm auch diese vergeben werde. Dann begann er die Zuhörer zu schelten und sagte: »Ihr aber, ihr von Gott Verdammten, ihr lästert um jedes Strohhalmes willen, der euch zwischen die Füße kommt, Gott, seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese.« Außerdem sagte er noch viel von seiner Herzensgüte und Lauterkeit.
Mit einem Wort, seine Reden, denen die Gemeinde vollkommenen Glauben schenkte, bemächtigten sich in solchem Maße der frommen Herzen der Versammlung, daß alle, sobald der Gottesdienst zu Ende war, sich untereinander stießen und drängten, um dem Toten Hände und Füße zu küssen. Die Kleider wurden ihm auf dem Leibe zerrissen; denn jeder hielt sich für glücklich, wenn er einen Fetzen davon haben konnte. In der Tat mußten die Mönche den Körper den ganzen Tag über ausstellen, daß ihn jedweder nach Gefallen beschauen konnte. In der folgenden Nacht wurde er in einer Kapelle ehrenvoll in einem Marmorsarge bestattet, und schon am Tage darauf fingen die Leute an, den Toten zu besuchen, zu verehren und Lichter anzuzünden. Mit der Zeit gelobten sie ihm Opfergaben und begannen dann, ihrem Versprechen gemäß, Wachsbilder aufzuhängen. Der Ruf seiner Heiligkeit und seine Verehrung wuchsen so sehr, daß nicht leicht jemand in irgendeiner Gefahr einen anderen Heiligen anrief als Sankt Chapelet, wie sie ihn nannten und noch heute nennen, und allgemein wird versichert, daß Gott durch ihn gar viele Wunder getan habe und deren noch täglich an jedem tue, der die Fürsprache dieses Heiligen andächtig erbitte.
So lebte und starb Herr Ciapperello von Prato und wurde ein Heiliger, wie ihr gehört habt. Daß es möglich ist, dieser Mensch sei wirklich im Anschauen Gottes selig, will ich allerdings nicht leugnen, denn so ruchlos und abscheulich sein Leben war, so kann er doch in den letzten Augenblicken seines Lebens so viel Reue empfunden haben, daß Gott sich vielleicht seiner erbarmt und ihn in sein Reich aufgenommen hat. Weil uns dies aber verborgen bleibt, so spreche ich nach dem, was uns offenbar ist, und sage, daß er vielmehr in den Krallen des Teufels verdammt als im Paradiese zu sein verdient. Verhält es sich aber so, dann können wir deutlich erkennen, wie unermeßlich Gottes Gnade gegen uns ist, die nicht unseren Irrtum, sondern die Lauterkeit unseres Glaubens betrachtet, wenn wir einen seiner Feinde in der Meinung, er sei sein Freund, zum Mittler zwischen ihm und uns machen und er uns erhört, als hätten wir uns einen wahren Heiligen zu unserem Fürsprecher bei seiner Gnade erwählt. Und so empfehlen wir uns ihm denn mit allem, was uns not ist, in der festen Überzeugung, erhört zu werden, damit er uns in diesem allgemeinen Elend und in dieser so heiteren Gesellschaft im Lobe seines Namens, in dem wir sie begonnen, gesund und unversehrt erhalten möge. Und damit schwieg Panfilo.
Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt, und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden; kommt aber noch glücklich davon.
Es lebte vor nicht langer Zeit in Treviso ein Deutscher namens Heinrich, ein armer Mann, der sein Brot als Lastträger verdienen mußte, aber dabei einen sehr frommen Wandel führte und bei jedermann beliebt war, daher denn, wie die Leute aus Treviso versichern (es mag nun wahr sein oder nicht), in der Stunde seines Todes die Glocken der Hauptkirche zu Treviso, ohne von jemand gezogen zu sein, von selbst anfingen zu läuten. Das ward von jedermann für ein Wunder und Heinrich deswegen für einen Heiligen gehalten; alles Volk in der Stadt lief zusammen nach dem Hause, wo sein Leichnam lag, den sie wie eine Reliquie nach der Hauptkirche trugen, und Lahme, Gichtbrüchige, Blinde und Kranke jeder Art, oder Leute, die sonst Mängel hatten, zu ihm brachten, als ob die Berührung seines Leibes sie alle gesund machen könnte. Während dieses allgemeinen Zulaufes begab es sich, daß in Treviso drei Männer aus Florenz ankamen, wovon der eine Stecchi hieß, der andere Martellino und der dritte Marchese, die ihr Brot damit verdienten, daß sie an den Höfen umherzogen und die Leute damit belustigten, daß sie die Gebärden eines jeden Menschen nachmachten. Da sie hier noch nie gewesen waren, so wunderten sie sich, einen so großen Auflauf von Menschen zu finden, und wie sie die Ursache davon erfuhren, wurden sie neugierig, dieselbe auch zu sehen; sie ließen demnach ihr Gepäck in einer Herberge, und Marchese sagte: »Wir wollen zwar hingehen, den Heiligen zu sehen, allein ich weiß wahrlich nicht, wie wir zu ihm gelangen wollen, weil ich höre, daß der Platz voll von Deutschen und andern Landsknechten ist, die der Herr der Stadt dort auf den Beinen hält, um Unruhen zu verhüten; überdies ist die Kirche (sagt man) so voll von Menschen, daß man fast nicht hineinkommen kann.«
Martellino, der sehr neugierig war, sagte: »Das soll uns nicht hindern; ich will wohl ein Mittel finden, bis zu dem Leichnam vorzudringen.«
»Und wie denn?« fragte Marchese.
»Das will ich dir sagen«, entgegnete Martellino. »Ich will mich wie ein Gichtbrüchiger anstellen, und du sollst mich an einer Seite und Stecchi an der anderen führen, als wenn ich allein nicht gehen könnte, und ihr wolltet mich zu dem Heiligen bringen, daß er mich gesund mache. Da wird kein Mensch sein, wenn er uns sieht, der uns nicht aus dem Wege ginge, uns Platz zu machen.«
Dieses gefiel Marchese und Stecchi, und sie beeilten sich, ihre Herberge zu verlassen. Sie gingen an einen einsamen Ort, wo sich Martellino die Hände, Finger, Arme und Beine, die Augen und das Gesicht dermaßen verrenkte und verdrehte, daß es scheußlich anzusehen war; wer ihn erblickte, konnte nicht umhin, zu glauben, daß er am ganzen Leibe verstümmelt und gelähmt wäre. So faßten ihn Marchese und Stecchi unter die Arme und gingen mit ihm nach der Kirche mit ganz andächtiger Miene und baten demütig und um Gottes willen einen jeden, der ihnen im Wege war, Platz zu machen, was auch bereitwillig geschah. Jeder erwies ihnen Aufmerksamkeit, überall ward »Platz! Platz!« gerufen, und sie gelangten bis zur Leiche des heiligen Heinrich, die von einigen angesehenen Männern umgeben war, die den Martellino auf den Leichnam hoben, damit er die Gabe der Gesundheit von ihm empfinge. Martellino, auf welchen aller Augen gerichtet waren, lag ein wenig still und wußte dann meisterlich erst den einen, dann den anderen Finger zu regen, dann die Hand, dann einen Arm, bis er sich endlich völlig aufrichtete. Wie das die Leute sahen, brach ein jeder so laut in Lobsprüche auf den heiligen Heinrich aus, daß man kein Wort vor dem andern verstehen konnte.
Zum Unglück stand nicht weit davon einer von seinen florentinischen Mitbürgern, der den Martellino sehr gut kannte, und wie er ihn, nachdem er sich ganz aufgerichtet hatte, gewahr ward, überlaut zu lachen anfing und sagte:
»Daß doch der Henker den Kerl! Wer sollte nicht gedacht haben, wie er herkam, daß er wirklich gichtbrüchig wäre?«
Dieses hörten einige Leute aus Treviso und fragten, ob der Mensch denn wirklich nicht gichtbrüchig wäre.
»Gott bewahre!« sprach jener. »Er war immer so gerade wie der Beste von uns; aber er versteht besser als irgendein anderer Gaukler die Kunst, sich eine jede Gestalt zu geben, wie ihr wohl gesehen habt.«
Wie dieses ruchbar ward, brauchte es nichts weiter, um den Pöbel aufzubringen, der hinzustürmte und schrie: »Greift den Schelm, den Spötter Gottes und seiner Heiligen, der so gesund ist wie wir und den Gichtbrüchigen mimt, um uns und unsern Heiligen zu verspotten.«
Mit diesen Worten ergriffen sie ihn, zogen ihn von dem Gerüst herunter, zerrten ihn bei den Haaren, rissen ihm die Kleider vom Leibe und bearbeiteten ihn mit Faustschlägen und Rippenstößen; kurz, man schien zu glauben, wer ihm nicht eins versetzte, der könnte kein braver Kerl sein. Martellino bat zwar um Gottes willen um Barmherzigkeit und wehrte sich dabei seiner Haut, so gut er konnte; allein es half alles nichts, und die Faustschläge und Fußtritte fielen immer dichter. Wie Stecchi und Marchese dies gewahr werden, fürchteten sie, es möchte ein schlimmes Ende nehmen, und da sie für sich selbst besorgt waren, so durften sie es nicht wagen, ihrem Kameraden zu Hilfe zu kommen. Im Gegenteil schrien sie so laut wie die übrigen: »Schlagt ihn tot, den Hund!« Doch sannen sie im stillen auf ein Mittel, ihn den Händen des Pöbels zu entreißen, der ihn gewiß würde getötet haben, wenn nicht Marchese beizeiten auf einen glücklichen Einfall gekommen wäre. Dieser, der bemerkt hatte, daß die ganze löbliche Polizei zugegen war, ging, so eilig er konnte, zu dem vom Stadtvogt bestellten Kommandanten und rief: »Helft um Gottes willen! Hier ist ein Spitzbube, der mir meinen Beutel mit mehr als hundert Goldgulden gestohlen hat; ich bitte Euch, laßt ihn festnehmen, damit ich das Meinige wiederbekomme.«
Den Augenblick liefen ein Dutzend Häscher dahin, wo man dem armen Martellino den Pelz wusch. Mit genauer Not gelang es ihnen, den zusammengerotteten Pöbel zu zerstreuen und ihm den Martellino, übel gemißhandelt und zerzaust, aus den Händen zu reißen. Sie brachten ihn nach dem Rathause, wohin ihm viele von denen nachfolgten, die sich für beleidigt hielten. Wie sie hörten, daß man ihn als einen Beutelschneider eingezogen hatte, glaubten sie, sie könnten ihn nicht besser an den Galgen bringen als durch ähnliche Beschuldigungen, und ein jeder fing an zu schreien, er sei auch von ihm bestohlen worden. Wie dies der Richter hörte, der ein gestrenger Mann war, ließ er ihn gleich ins heimliche Verhör bringen und fing an, ihn zu befragen. Martellino antwortete ihm mit lauter Scherzreden und schien sich aus seiner Verhaftung nichts zu machen, worüber der Richter aufgebracht ward, ihn auf die Folter spannen und ihm einige tüchtige Hiebe geben ließ, um ihn zum Bekenntnis zu bringen und ihn dann hängen zu lassen. Wie man ihn wieder aufstehen ließ, und der Richter ihn fragte, ob es wahr sei, was man gegen ihn vorbrächte, und Martellino wohl merkte, daß das bloße Leugnen ihn nicht retten würde, sprach er: »Mein Herr, ich bin bereit, Euch die Wahrheit zu bekennen; fragt aber vorher einen jeden Eurer Ankläger, wann und wo ich ihm seine Börse gestohlen habe, so will ich Euch hernach sagen, was ich getan habe und was nicht.«
Der Richter war es zufrieden und ließ einige von den Klägern rufen. Der eine sagte, er hätte ihm vor acht Tagen, der andere vor vier und wieder ein anderer, er hätte ihm heute seinen Beutel genommen. Wie dieses Martellino hörte, sprach er: »Mein Herr, alle diese Menschen lügen in ihren Hals, und das kann ich Euch leicht beweisen; denn wollte Gott, ich wäre so gewiß nie in Eure Stadt gekommen, als ich bis vor wenigen Stunden meinen Fuß nicht hierher gesetzt habe und zu meinem Unglück gleich bei meiner Ankunft hingegangen bin, den heiligen Leichnam zu sehen, wobei man mich so abgedroschen hat, wie Ihr mich seht. Daß dieses wahr sei, kann Euch der Torschreiber mit seiner Rolle beweisen, und auch mein Hauswirt, wenn's nötig ist. Wenn Ihr demnach findet, daß ich Euch die Wahrheit sage, so bitte ich Euch, mich nicht diesen gottlosen Lumpen zu Gefallen martern und töten zu lassen.«
Indem die Sache so stand und Marchese und Stecchi hörten, daß der Richter dem Martellino hart zusetzte und ihn schon gefoltert hätte, ward ihnen bange, und sie dachten: »Wir haben einen dummen Streich gemacht und bringen unsern Kameraden aus der Pfanne auf die Kohlen.« Sie eilten demnach geschwind zurück zu ihrem Wirt und erzählten diesem den ganzen Verlauf der Sache. Er lachte über die Geschichte und brachte sie zu einem gewissen Sandro Agolanti, der in Treviso wohnte und viel bei dem Landesherrn galt, welchem er alles in gehöriger Ordnung erzählte und nebst den andern ihn bat, mit der Lage des Martellino Mitleid zu haben. Sandro mußte herzlich lachen, ging zu dem Herrn und erhielt von ihm, daß nach Martellino gesandt würde, was auch geschah. Die Boten, die nach ihm geschickt wurden, fanden ihn noch im Hemd, ganz angst und verzagt in den Händen des Richters, der nichts von seiner Rechtfertigung hören wollte, sondern große Lust hatte, ihn hängen zu lassen; daher er ihn auch durchaus nicht eher herausgeben wollte, bis er gezwungen ward, es zu tun.
Wie Martellino vor den Herrn kam und ihm alles aufrichtig gestanden hatte, bat er um nichts so angelegentlich als um die Gnade, ihn nur gleich gehen zu lassen, weil er noch immer so lange glauben würde, den Strick um die Gurgel zu haben, bis er wieder nach Florenz käme. Der Herr könnte sich des Lachens nicht mehr enthalten und ließ einem jeden von den dreien ein Kleid geben.
So entgingen sie unverhofft einer großen Gefahr und zogen mit heiler Haut wieder heim.
Drei Jünglinge verschwenden das Ihrige und geraten in Armut. Einer ihrer Neffen, der aus Verzweiflung nach Hause zurückkehrt, macht unterwegs mit einem Abt Bekanntschaft, den er hernach für eine Tochter des Königs von England erkennt. Sie vermählt sich mit ihm, ersetzt seinen Oheimen ihren Verlust und verhilft ihnen wieder zum Wohlstand.
In Florenz war einst ein Kavalier namens Tedaldo, von dem Geschlechte der Lamberti, wie einige behaupten wollen, obgleich andere behaupten, er habe den Agolanti zugehört, welche letzteren ihre Meinung vielleicht auf das Gewerbe stützten, das in der Folge seine Söhne trieben und das in der Familie der Agolanti Tradition geworden ist. Ohne mich darauf einzulassen, von welchem dieser Häuser er abstammte, wird es genügen, anzumerken, daß er zu seiner Zeit einer der reichsten Edelleute war, und daß er drei Söhne hatte, von denen der älteste Lamberto hieß, der zweite Tedaldo und der dritte Agolante, lauter schöne, muntere Jünglinge, von welchen jedoch der älteste kaum achtzehn Jahre alt war, als der Vater starb und ihnen, als seinen rechtmäßigen Erben, sein bewegliches und unbewegliches Vermögen hinterließ. Die Jünglinge, die einen so beträchtlichen Schatz an barem Gelde und an Grundstücken in die Hände bekamen und damit nach ihrem eigenen Belieben, ohne Einrede und Widerspruch, schalten konnten, fingen an, auf allerlei Art das Ihrige zu vertun, indem sie ein großes Haus, kostbare Pferde, Jagdhunde, Falken, offene Tafel hielten, Geschenke machten, Turniere anstellten und nicht nur lebten, wie es Edelleuten ziemt, sondern wie es ihnen nach ihrem jugendlichen Leichtsinn in den Kopf kam. Diese Lebensart konnte nicht lange dauern, ohne die väterlichen Schätze zu erschöpfen. Als ihre gewöhnlichen Einkünfte nicht zureichten, fingen sie an, ihre Grundstücke eines nach dem andern zu versetzen und zu verkaufen, und wurden es nicht eher gewahr, wie sie mit ihren Umständen nach und nach auf die Neige gerieten, bis die Armut ihnen die Augen öffnete, die der Reichtum verschlossen hatte. Lamberto berief deswegen eines Tages seine Brüder zusammen und stellte ihnen vor, in welchem Ansehen ihr Vater gelebt hätte und in welche Dürftigkeit sie durch die übermäßige Verschwendung geraten wären. Er gab sich daher alle Mühe, sie zu überreden, ehe ihre armseligen Umstände noch sichtbarer würden, seinem Rat und Beispiel zu folgen, die wenigen Güter zu verkaufen, die ihnen noch übrig geblieben wären, und davonzureisen; was sie auch taten und ohne Abschied und Aufsehen Florenz verließen und geradeswegs nach England gingen, ohne irgendwo Station zu machen. In London mieteten sie ein kleines Haus, machten wenig Aufwand und liehen ihr bißchen Geld, das ihnen geblieben, auf Wucherzinsen; hierbei war ihnen das Glück so günstig, daß sie in wenigen Jahren einen ungeheuren Reichtum sammelten. Einer nach dem andern zogen sie nun wieder nach Florenz, kauften einen großen Teil ihrer vorigen Besitztümer zurück und manches neue dazu; verheirateten sich, und da sie noch immer in England Wucher trieben, so übergaben sie dort einem ihrer Neffen namens Alessandro ihre Geschäfte; allein uneingedenk des Zustandes, in welchen ihre törichte Verschwendung sie schon einmal versetzt hatte, und ohne Rücksicht darauf, daß sie alle drei jetzt Familienväter geworden waren, fingen sie wieder an, in Florenz mehr Aufwand als je vorher zu treiben, zumal, da sie bei allen Kaufleuten großen Kredit genossen.
Einige Jahre hindurch waren sie imstande, diesen Aufwand fortzusetzen, weil ihnen Alessandro ansehnliche Summen überwies, der in England den Baronen auf ihre Liegenschaften und andere Einkünfte Geld vorstreckte und dafür ansehnliche Zinsen bezog. Indem aber die drei Brüder fortfuhren zu verschwenden und zu borgen, wenn sie nichts hatten, weil sie immer auf England oder eine Goldquelle rechneten, brach daselbst wider alles Vermuten ein Krieg aus zwischen dem Könige und einem seiner Prinzen. Darüber geriet die ganze Insel in Zwiespalt, indem es der eine mit dem Vater, der andere mit dem Sohne hielt, so daß dem Alessandro die verpfändeten Güter der Barone keine Sicherheit mehr boten und alle seine Hilfsquellen versiegten. Weil man indessen immer noch hoffte, daß zwischen dem Vater und dem Sohne wieder Frieden werden und daß Alessandro alsdann seine Gelder samt den Zinsen erhalten würde, so blieb dieser noch in England, und seine drei Oheime dachten nicht daran, ihre Ausgaben einzuschränken, so daß sie täglich tiefer in Schulden gerieten. Wie sich aber nach einigen Jahren die Hoffnung ganz verlor, daß ihre Erwartungen würden erfüllt werden, ging nicht nur ihr Kredit zu Ende, sondern ihre Gläubiger drangen auch auf Bezahlung, und da ihr Vermögen bei weitem nicht hinreichte, ihre Schulden zu tilgen, so mußten sie ins Gefängnis wandern, ihre Weiber und Kinder irrten auf den Dörfern und sonst hier und da in armseligen Lumpen umher, und es schien, als ob ihnen nichts anderes als immerdar Not und Elend bevorstände.
Alessandro, der in England verschiedene Jahre vergebens auf den Frieden gewartet hatte und besorgte, daß sein dortiger Aufenthalt ihm ebenso gefährlich werden könnte, als er unnütz war, entschloß sich, nach Italien zurückzukehren, und machte sich ganz allein auf den Weg. Wie er nun durch Brügge kam, ward er gewahr, daß ein Abt in weißer Ordenstracht mit ihm zugleich aus der Stadt ritt, den eine Menge Mönche nebst einem zahlreichen Troß begleiteten, und daß ihnen zwei Kavaliere aus altangesehenem Geschlecht, Verwandte des Königs, nachfolgten, mit denen Alessandro, als mit guten Bekannten, ein Gespräch anknüpfte und von ihnen willig zum Reisegefährten angenommen ward. Unterwegs fragte sie Alessandro im Vertrauen, wer die Mönche wären, die mit so vielem Gepäck voranzögen? Einer von den Kavalieren gab ihm zur Antwort: »Derjenige, der vor uns herzieht, ist ein junger Vetter von uns, der kürzlich zum Abt einer der reichsten Abteien in England ist erwählt worden. Weil er aber noch zu jung ist, um nach den Gesetzen mit dieser Würde bekleidet zu werden, so ziehen wir mit ihm nach Rom, um von dem Heiligen Vater Dispensation wegen seines Alters und die Bestätigung in seiner Würde zu erlangen. Aber hierüber soll mit niemand gesprochen werden.«