Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Inmitten der Wirren der Pest in Florenz versammeln sich zehn junge Menschen außerhalb der Stadt und erzählen einander Geschichten, die von der Kraft der Liebe und der Ironie des Lebens handeln. In einem abgeschiedenen Anwesen auf dem Land beginnen sie, ihre Seelen in die Erzählungen zu legen – eine bunte Mischung aus Komik, Moral, Verrat und Leidenschaft, die den Schrecken der Seuche entflieht und die Tiefe der menschlichen Natur offenbart.
Giovanni Boccaccios Figuren – von Adligen und Dienern bis hin zu Täuschern und Gelehrten – geben sich ihrer Fantasie hin und erschaffen eine Welt, die mal tragisch, mal komisch, doch stets zutiefst menschlich ist. In ihrem Kreis wird jeder Charakter zum Erzähler und lässt Geschichten aufleben, die von List und Liebe, von Betrug und Güte handeln und den Leser in die Facetten der menschlichen Emotionen einführen.
Auf dem Spiel steht die Hoffnung selbst. Während die Pest draußen wütet, kämpfen die Erzähler mit ihrer eigenen Vergänglichkeit und suchen in den Geschichten Halt. Ihre Worte sind nicht nur Unterhaltungen, sondern ein Überlebensmittel, das sie vom Untergang bewahrt. Die Geschichten stellen moralische Fragen, legen soziale Ordnungen bloß und durchleuchten die Konflikte, die das Leben bestimmt – sei es der Streit zwischen Vernunft und Leidenschaft oder das Ringen zwischen Tugend und Schwäche.
Das Decameron bietet ein Leseerlebnis, das zugleich geistreich und fesselnd ist. Die Erzählungen entführen in die italienische Renaissance und offenbaren zeitlose Einblicke in die menschliche Natur. Durch ihre spannenden Wendungen und facettenreichen Charaktere lässt Giovanni Boccaccios Werk den Leser die Abgründe und Höhen des Menschseins erkunden. So entsteht ein lebendiges Erlebnis, das Historie und Menschlichkeit vereint und zeigt, warum das Decamerone zu den großen Erzählwerken gehört.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 390
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Giovanni Boccaccio
Decamerone
Giovanni Boccaccios Dekameron in deutscher Ausgabe
Novelaris Verlag 2024
ISBN: 978-3-68931-060-8
Überblick
1. Novelle
2. Novelle
3. Novelle
4. Novelle
5. Novelle
6. Novelle
7. Novelle
8. Novelle
9. Novelle
10. Novelle
11. Novelle
12. Novelle
13. Novelle
14. Novelle
15. Novelle
16. Novelle
17. Novelle
18. Novelle
19. Novelle
20. Novelle
21. Novelle
22. Novelle
23. Novelle
24. Novelle
25. Novelle
26. Novelle
27. Novelle
28. Novelle
29. Novelle
30. Novelle
Cover
Table of Contents
Text
1. Novelle
Herr Ciappelletto führt durch eine falsche Beichte einen frommen Vater an der Nase herum. Und obwohl er in seinem Leben ein Erzhalunke gewesen, so wird er doch nach seinem Tode für einen Heiligen gehalten und Sankt Ciappelletto genannt.
2. Novelle
Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt, und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden; kommt aber noch glücklich davon.
3. Novelle
Drei Jünglinge verschwenden das Ihrige und geraten in Armut. Einer ihrer Neffen, der aus Verzweiflung nach Hause zurückkehrt, macht unterwegs mit einem Abt Bekanntschaft, den er hernach für eine Tochter des Königs von England erkennt. Sie vermählt sich mit ihm, ersetzt seinen Oheimen ihren Verlust und verhilft ihnen wieder zum Wohlstand.
4. Novelle
Landofo Rufolo verarmt und wird Seeräuber. Die Genueser nehmen ihn gefangen; er erleidet Schiffbruch und rettet sich auf einem Kasten voll Juwelen, wird in Corfu von einer armen Frau beherbergt und kehrt reich nach Hause zurück.
5. Novelle
Masetto von Lamporecchio stellt sich stumm, wird Gärtner in einem Nonnenkloster, wo die Nönnchen eine nach der andern bei ihm liegen.
6. Novelle
Man gibt dem Ferondo ein Pulver ein und trägt ihn für tot zu Grabe. Ein Abt, der sich inzwischen mit seiner Frau die Zeit vertreibt, nimmt ihn aus dem Sarge und sperrt ihn in einen Kerker, wo man ihm weismacht, dass er sich im Fegefeuer befinde. Nach seiner Wiederauferstehung beschenkt ihn seine Frau durch den Segen des geistlichen Herrn mit einem Sohne, den er ohne Umstände für den seinigen erkennt.
7. Novelle
Alibek wird Einsiedlerin. Der Klausner Rustico lehrt sie, den Teufel in die Hölle zu schicken. Als sie zurückkehrt, wird sie die Frau des Neerbal.
8. Novelle
Bruder Alberto macht einer Frau weis, dass der Engel Gabriel in sie verliebt sei, und stattet unter diesem Vorwande einige Male einen nächtlichen Besuch bei ihr ab. Endlich muß er aus Furcht vor ihren Verwandten durch das Fenster entspringen und nimmt seine Zuflucht zu dem Hause eines armen Mannes. Dieser führt ihn am folgenden Tage unter der Maske eines Wilden nach dem Markusplatz; dort erkennt man ihn, und er wird von seinen Mitbrüdern weggeführt und eingekerkert.
9. Novelle
Andreola liebt den Gabiotto. Sie erzählt ihm einen Traum, den sie gehabt hat, und er sagt ihr wieder, was ihm geträumt habe, worauf er plötzlich in ihren Armen stirbt. Indem sie mit Hilfe ihrer Magd seinen Leichnam nach seinem Hause schaffen will, werden sie beide von der Wache angehalten. Sie erzählt dem Stadtrichter den ganzen Verlauf der Sache und widersteht darauf seinen ungebührlichen Anmutungen. Ihr Vater erfährt ihr Schicksal und bewirkt ihre Befreiung, indem ihre Unschuld erwiesen wird. Sie entsagt darauf allem Umgange mit der Welt und geht in ein Kloster.
10. Novelle
Die Frau eines Wundarztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für tot in einen Kasten, den ein paar Wucherer wegstehlen und nach ihrem Hause tragen. Dort kommt er wieder zur Besinnung und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Frau sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, den die Geizhälse gestohlen hätten. Dadurch rettet sie ihn vom Galgen, und die Wucherer werden wegen des gestohlenen Kastens zu einer Geldbuße verdammt.
11. Novelle
Cimon wird durch die Liebe vernünftig; er entführt Iphigenia, seine Geliebte, mit Gewalt auf dem Meere. In Rhodus gerät er in Gefangenschaft, aus welcher Lysimachus ihn befreite und gemeinschaftlich mit ihm Iphigenia und Kassandra an ihrem Hochzeitstage entführt, worauf sie mit ihnen nach Kreta fliehen, sich mit ihren Geliebten vermählen und darauf in Frieden nach Hause berufen werden.
12. Novelle
Riccciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei seiner Tochter im Bette gefunden; er heiratet sie und lebt ferner in Frieden und Freundschaft mit ihrem Vater.
13. Novelle
Theodoro verliebt sich in Violante, die Tochter seines Herrn Messer Amerigo. Sie wird schwanger, und er wird zum Galgen verurteilt. Indem man ihn mit Geißelhieben nach dem Richtplatze führt, erkennt ihn sein Vater; er kommt los und heiratet seine Geliebte.
14. Novelle
Pietro di Vinciolo geht aus zum Abendessen. Seine Frau läßt unterdessen einen jungen Burschen zu sich kommen. Pietro kommt wieder nach Hause und entdeckt die Streiche seiner Frau; weil er aber selbst nicht besser ist als sie, so verträgt er sich mit ihr in Güte.
15. Novelle
Madonna Filippa, die ihr Mann in den Armen ihres Liebhabers überrascht, wird vor Gericht gefordert. Sie rettet sich durch eine dreiste und launige Verantwortung und bringt zugleich die Milderung eines harten Gesetzes zuwege.
16. Novelle
Perronella verbirgt, indem ihr Mann nach Hause kommt, ihren Liebhaber in einem Fasse. Der Mann sagt ihr, er habe das Faß verkauft, und sie erwidert ihm, sie habe es an einen andern noch besser verkauft, der eben hineingekrochen sei, um zu versuchen, ob es wasserdicht sei. Darauf steigt der Liebhaber heraus, befiehlt dem Manne, das Faß rein zu liefern, und nimmt es mit nach Hause.
17. Novelle
Bruder Rinaldo ergötzt sich mit seiner Gevatterin, ihr Mann kommt nach Hause und findet ihn in ihrer Kammer; sie machen ihm aber weis, dass er dem Kinde die Würmer vertreibt.
18. Novelle
Ein Eifersüchtiger verkleidet sich als Priester und hört die Beichte seiner Frau. Sie beichtet ihm, dass sie einen Priester liebt, der sie alle Nächte besucht, und indem der Eifersüchtige deswegen vor seiner Tür Schildwache steht, läßt sie ihren Liebhaber über das Dach zu sich ins Haus kommen.
19. Novelle
Lodovico macht Frau Beatricen eine Liebeserklärung. Sie schickt ihren Mann in ihrer Kleidung in den Garten und läßt den Lodovico unterdessen seinen Platz einnehmen, welcher hernach aufsteht und den Gemahl im Garten verprügelt.
20. Novelle
Lydia, die Gemahlin des Nikostratus, verliebt sich in ihren Diener Pyrrhus. Dieser fordert drei Beweise, um sich davon zu überzeugen. Lydia gibt sie ihm nicht nur, sondern läßt sich auch in Gegenwart ihres Gemahls von ihm liebkosen und weiß dennoch diesem einzureden, dass er nichts gesehen habe.
21. Novelle
Der Pfarrer zu Vorlungo liegt bei Frau Belcolore und läßt ihr seinen Chorrock zum Pfande. Er borgt hernach von ihr einen Mörser, und als er ihn wiederschickt, läßt er den Chorrock als Unterpfand für den Mörser zurückfordern, und.sie gibt ihn mit einer Stichelrede zurück.
22. Novelle
Der Propst zu Fiesole verliebt sich in eine hübsche Witwe, die ihn aber nicht ausstehen kann. Er meint, bei ihr zu schlafen, und liegt bei ihrer Magd, bei welcher ihn auf Anstiften der Brüder der Dame sein Bischof antrifft.
23. Novelle
Ein Student verliebt sich in eine Witwe, welche einen andern Liebhaber hat und ihn im Winter eine ganze Nacht im Schnee zappeln läßt. Dafür bringt er es durch List dahin, dass sie mitten im Sommer einen ganzen Tag auf einem hohen Turme nackend zubringen muß, wo sie den Wespen und Bremsen und der Sonne ausgesetzt ist.
24. Novelle
Spinelloccio schläft bei der Frau seines Nachbarn und Freundes Zeppa. Dieser merkt es und macht, dass seine Frau ihn in eine Kiste einsperren muß, auf welcher er an der Frau des Spinelloccio das Vergeltungsrecht ausübt.
25. Novelle
Eine Äbtissin steht im Finstern eilends auf, um eine ihrer Nonnen mit ihrem Liebhaber zu ertappen. Da sie selbst einen Priester bei sich hat, so wirft sie aus Versehen statt ihre Kappe seine Beinkleider über den Kopf. Als die verklagte Nonne dieses gewahr wird und die Äbtissin aufmerksam darauf macht, rettet sie sich dadurch vor der Strafe und darf ihren Liebhaber ungestört bei sich behalten.
26. Novelle
Doktor Simon muß auf Branos und Baffalmaccos Anstiften dem Calandrino einreden, dass er schwanger ist. Sie lassen sich von ihm Kapaune und Geld geben, um ihm Arznei zu verschaffen, worauf er ohne niederzukommen wieder gesund wird.
27. Novelle
Calandrino verliebt sich in ein Mädchen. Bruno gibt ihm ein Amulett, um sie damit zu berühren, worauf sie ihm nachfolgt; er wird aber von seiner Frau ertappt, welche darüber großen Lärm und Zank erhebt.
28. Novelle
Ein paar Jünglinge kehren bei einem Bekannten ein. Der eine legt sich in der Nacht zu der Tochter des Wirts, und die Frau desselben steigt unversehens zu dem andern ins Bett. Derjenige, der bei der Tochter geschlafen hat, legt sich hernach zu dem Vater und erzählt ihm alles, indem er meint, mit seinem Kameraden zu sprechen. Sie geraten darüber in Zank; die Frau merkt Unrat, legt sich zu ihrer Tochter ins Bett und macht durch ein kluges Wort alles wieder gut.
29. Novelle
Mithridanes, der im Begriff ist, den Nathan aus Eifersucht über seine Wohltätigkeit umzubringen, trifft ihn an, ohne ihn zu kennen, und erfährt von ihm selbst, wie er ihm am leichtesten beikommen kann. Demzufolge findet er ihn in einem Wäldchen, wird beschämt, indem er ihn erkennt und wird sein Freund.
30. Novelle
Der siegreiche König Karl der Ältere verliebt sich in ein junges Mädchen, schämt sich aber seiner törichten Leidenschaft und vermählt sie und ihre Schwester mit würdigen Männern.
Herr Chapelet täuscht einen frommen Pater durch eine falsche Beichte und stirbt. Trotz des schlechten Lebenswandels, den er geführt, kommt er nach seinem Tode in den Ruf der Heiligkeit und wird Sankt Chapelet genannt.
Es ziemt sich, ihr liebwerten Damen, ein jedes Ding, das der Mensch unternimmt, mit dem heiligen und wunderbaren Namen dessen zu beginnen, der alle Dinge geschaffen hat. Darum denke ich denn, der ich als erster bei unseren Erzählungen den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren Fügungen zu beginnen, deren Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren bestärken und uns lehren wird, seinen Namen immerdar zu preisen. Es ist offenbar, dass die weltlichen Dinge insgesamt vergänglich und sterblich sowie nach innen und nach außen reich an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren unterliegen, welchen wir, die wir mitten unter ihnen leben und selbst ein Teil von ihnen sind, weder widerstehen noch uns ihrer erwehren könnten, wenn uns Gottes besondere Gnade nicht die nötige Kraft und Fürsorge verliehe. Was diese Gnade anbetrifft, so haben wir uns keineswegs einzubilden, dass sie um irgendeines Verdienstes willen, das wir hätten, über uns komme, vielmehr geht sie nur von seiner eigenen Huld aus und wird den Bitten derer gewährt, die einst wie wir sterblich waren, jetzt aber, weil sie während ihres Erdenwallens seinem Willen folgten, mit ihm im Himmel der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. An sie, als an Fürsprecher, die unsere Schwäche und Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung kennen, richten wir vor allem jene Bitten, die wir vielleicht nicht wagten, unserem höchsten Richter gegenüber laut werden zu lassen. Um so überschwenglichere Gnade haben wir aber in ihm zu erkennen, wenn wir, deren sterbliches Auge auf keine Weise in das Geheimnis des göttlichen Willens eindringen kann, durch falschen Wahn betrogen, einen zu unserem Fürsprecher vor der Majestät Gottes erwählen, den er von seinem Angesicht verbannt hat, und wenn er, vor dem nichts verborgen ist, dessen ungeachtet mehr auf die reine Gesinnung des Bittenden als auf dessen Unwissenheit oder auf des Angerufenen Verdammung sieht und das Gebet ebenso erhört, als ob der vermeintliche Fürsprecher die Seligkeit, ihn zu schauen, genösse. Dass es sich so verhält, wird aus der Geschichte offenbar werden, die ich euch erzählen will. Offenbar nach menschlichem Dafürhalten, sage ich, da Gottes Ratschlüsse uns verborgen bleiben.
Es wird nämlich berichtet, dass Musciatto Franzesi, als er von einem reichen und angesehenen Kaufherrn zum Edelmanne geworden war und nun mit dem Bruder des Königs von Frankreich, dem vom Papst Bonifaz herbeigerufenen und unterstützten Karl ohne Land, nach Toskana ziehen sollte, sich entschloß, seine Geschäfte, welche, wie es bei Kaufleuten der Fall zu sein pflegt, äußerst verwickelt waren, mehreren Bevollmächtigten zu übertragen. Für alles fand er Rat, nur blieb ungewiß, wo er jemanden auftreiben wollte, der geschickt wäre, jene Schulden einzutreiben, die er bei einigen Burgundern ausstehen hatte. Der Grund seines Bedenkens lag darin, dass ihm wohlbekannt war, was für ein wortbrüchiges, händelsüchtiges und abscheuliches Volk die Burgunder sind und dass er sich auf niemand besinnen konnte, der abgefeimt genug gewesen wäre, um ihrer Bösartigkeit mit Erfolg Widerpart zu leisten. Als er in solchem Zweifel lange hin und her überlegt hatte, fiel ihm ein gewisser Ciapperello von Prato ein, der sein Haus in Paris oft zu besuchen pflegte. Die Franzosen, die den Namen Ciapperello nicht verstanden und der Meinung waren, er wolle so viel sagen wie chapeau, was in ihrer Landessprache Kranz bedeutet, nannten diesen Mann, der klein von Gestalt und sehr geschniegelt war, seiner Kleinheit halber nicht Chapeau, sondern Chapelet, unter welchem Namen er denn überall bekannt war, während nur wenige wußten, dass er Ciapperello hieß.
Das Leben, das dieser Chapelet führte, war folgendermaßen beschaffen: In seinem Beruf als Notar hätte er es für eine große Schande gehalten, wenn eine der von ihm ausgestellten Urkunden, obgleich er deren wenige ausstellte, anders als gefälscht befunden worden wäre. Solcher falschen Urkunden aber machte er, soviel man nur wollte, und dergleichen lieber umsonst als rechtmäßige für schwere Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er auf Verlangen und aus freien Stücken besonders gern ab, und da in Frankreich Eidschwüre um jene Zeit in höchstem Ansehen standen, gewann er, da er sich nicht um einen Meineid scherte, auf unrechtmäßige Weise alle Prozesse, in denen er die Wahrheit nach seinem Gewissen zu beschwören berufen ward. Ausnehmendes Wohlgefallen fand er daran, und großen Fleiß verwandte er darauf, unter Freunden, Verwandten und was sonst immer für Leuten Unfrieden und Feindschaft anzuzetteln, und je größeres Unglück daraus entstand, desto mehr freute er sich. Wurde er aufgefordert, jemand umbringen zu helfen oder an einer anderen Schandtat teilzunehmen, so weigerte er sich niemals und war der erste auf dem Platz. Oft war er auch bereit, mit eigenen Händen zu ermorden und zu verwunden. In seiner beispiellosen Jähheit lästerte er Gott und alle Heiligen um jeder Kleinigkeit willen auf das gräßlichste. In der Kirche ließ er sich niemals antreffen und verspottete alle christlichen Sakramente mit den verruchtesten Worten. Um so mehr war er dafür in den Schenken und anderen Sündenhäusern. Aus Rauben und Stehlen hätte er sich ebensowenig ein Gewissen gemacht, als ein Heiliger daraus, Almosen zu geben. Er fraß und soff in solchem Übermaß, dass er mehrmals knapp mit dem Leben davonkam. Spielen und im Spiel betrügen betrieb er wie ein Handwerk. Doch wozu so viele Worte! Genug, er war der schändlichste Mensch, der vielleicht je geboren ward, und schon seit langer Zeit konnten nur die Macht und das Ansehen des Herrn Musciatto ihm bei seinen Verbrechen durchhelfen, so dass weder Einzelpersonen, die er häufig, noch die Gerichte, die er fortwährend beleidigte, Hand an ihn legten.
Dieser Ciapperello war es, den Herr Musciatto, welcher seinen Lebenswandel sehr genau kannte, jetzt als den rechten Mann auserkor, um der burgundischen Bosheit die Spitze zu bieten. So ließ er ihn denn rufen und sprach zu ihm: »Chapelet, ich stehe, wie du weißt, im Begriff, ganz von hier wegzuziehen, und da ich unter anderrn noch mit einer Anzahl von Burgundern zu tun habe, so kenne ich niemand, dem ich mich besser als dir anvertrauen könnte, um von so betrügerischem Volk mein Geld einzutreiben. Du hast jetzt nichts zu tun, und wenn du diese Angelegenheit übernehmen willst, so verspreche ich dir, dich mit den Gerichten auszusöhnen und dir an dem, was du für mich eintreibst, einen Anteil zu lassen, dass du zufrieden sein kannst.« Herr Chapelet, der müßig ging, auch an irdischen Gütern keinen Überfluß hatte und nun den verlieren sollte, der lange Zeit sein Stecken und Stab gewesen war, sagte ohne langes Besinnen und gewissermaßen notgedrungen, ja, er sei gern bereit.
Nach gehöriger Verabredung und nach Empfang der Vollmacht des Herrn Musciatto und der Gnadenbriefe des Königs reiste Chapelet, als Herr Musciatto Paris verlassen, nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte. Hier fing er, wider seine Natur, ganz freundlich und sanftmütig an, seinen Auftrag auszuführen und die Schulden einzufordern, gleichsam als wollte er sich die Bosheit bis zuletzt aufsparen.
Inzwischen war Chapelet ins Haus zweier Brüder aus Florenz gezogen, die Geld auf Wucherzinsen liehen und ihm, Herrn Musciatto zuliebe, viel Ehre erwiesen. In deren Hause erkrankte er jetzt, und obgleich die beiden Brüder ihm sogleich geschickte Ärzte rufen, ihn durch ihre Diener pflegen ließen und überhaupt alles taten, was zu seiner Heilung förderlich sein konnte, so war doch jede Hilfe vergeblich. Dem guten Mann, der nachgerade alt geworden war und liederlich gelebt hatte, ging es nach der Aussage der Ärzte täglich schlechter und schlechter, und es zeigte sich zum großen Leidwesen der Brüder gar bald, dass Chapelet an keiner anderen Krankheit als der des nahen Todes leide.
Diese beiden Brüder nun fingen eines Tages nicht weit von dem Zimmer, wo Chapelet krank lag, folgendermaßen zu reden an: »Was sollen wir mit dem Menschen anfangen«, sagte der eine zum andern. »Wir sind auf jeden Fall seinetwegen in einer sehr verdrießlichen Lage. Ihn jetzt, krank wie er ist, aus dem Hause zu weisen, wäre gewiß unserem Ruf ebenso nachteilig wie unüberlegt von unserer Seite; denn die Leute, die gesehen haben, wie wir ihn erst aufgenommen und für seine Pflege und Heilung gesorgt, wären überzeugt, dass er uns keinen Grund gegeben haben könne, ihn nun als einen Todkranken aus dem Hause zu tun. Auf der anderen Seite aber ist er ein so gottloser Mensch gewesen, dass er weder wird beichten, noch das Abendmahl oder die letzte Ölung wird annehmen wollen, und stirbt er, ohne gebeichtet zu haben, so nimmt keine Kirche den Leichnam auf, und er wird wie ein toter Hund in die Grube geworfen. Sollte er aber auch beichten, so sind seine Sünden so zahlreich und so verrucht, dass nichts dadurch gebessert wird; denn es wird sich weder Mönch noch Pfaffe finden, der ihn lossprechen könnte oder wollte, und stirbt er ohne Absolution, so schmeißen sie ihn auch in die Grube. Kommt es aber so oder so, immer wird das ganze Volk, das ohnehin wegen unseres von ihm verabscheuten Gewerbes äußerst schlecht auf uns zu sprechen ist und Lust genug haben mag, uns auszuplündern, offen gegen uns aufstehen und sagen: ‘Diese Hunde von Italienern, die man in der Kirche abweist, wollen wir nicht mehr unter uns dulden.’ Sie werden unser Haus stürmen und sich kein Gewissen daraus machen, uns nicht nur Hab und Gut zu nehmen, sondern gar leicht sich an unserem Leib und Leben vergreifen. So sind wir denn auf alle Fälle bei Chapelets Tod übel daran.«
Herr Chapelet, der, wie gesagt, ganz nahe bei dem Orte lag, wo die beiden redeten, und wie man es oft bei Kranken findet, ein feines Gehör hatte, verstand alles, was sie über ihn sagten. Er ließ sie zu sich rufen und sprach: »Ich wünsche nicht, dass ihr euch meinetwegen Gedanken macht oder in Furcht seid, dass euch jemand um meinetwillen kränken möchte. Ich habe gehört, was ihr über mich gesprochen habt, und ich bin wohl überzeugt, dass es so käme, wir ihr sagt, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; aber es soll schon anders gehen. Ich habe zu meinen Lebzeiten unserem Herrgott so viel zuleide getan, dass jetzt, wo ich sterbe, ein Streich mehr auch keinen Unterschied machen wird. Darum schafft mir nur den erfahrensten und frömmsten Mönch herbei, den ihr zu finden wißt, und habt ihr den, so laßt mich nur machen. Ich werde eure und meine Angelegenheit schon so besorgen, dass alles gut sein wird und ihr Ursache habt, zufrieden zu sein.«
Obgleich die beiden Brüder daraus noch keine besondere Hoffnung schöpften, gingen sie doch in ein Mönchskloster und verlangten nach einem frommen und verständigen Manne, der einem Italiener, welcher bei ihnen krank liege, die Beichte hören könnte. Man gab ihnen einen bejahrten Mönch mit, der ein heiliges, makelloses Leben führte, ein großer Schriftgelehrter und gar ehrwürdiger Mann war und bei allen Bürgern im besonderen und hohen Ansehen der Heiligkeit stand. Diesen brachten sie zu dem Kranken.
Als er in die Kammer eingetreten war, wo Chapelet lag, und sich an sein Bett gesetzt hatte, hub er freundlich an, ihm Mut zuzusprechen; und dann erst fragte er ihn, wie lange es her sei, dass er zum letzten Male gebeichtet habe. Chapelet, der sein Leben lang nicht gebeichtet hatte, antwortete ihm: »Ehrwürdiger Vater, sonst ist es meine Gewohnheit, alle Woche wenigstens einmal zur Beichte zu gehen, die vielen Male ungerechnet, wo ich öfter gehe; aber ich muß gestehen, jetzt, wo ich krank geworden bin, sind schon acht Tage vergangen, ohne dass ich gebeichtet hätte, soviel Schmerzen hat die Krankheit mir bereitet.«
»Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »daran hast du wohlgetan, und also magst du auch in Zukunft tun. Doch da du so oft beichtest, so sehe ich wohl, ich werde wenig Mühe haben, dich zu fragen und deine Antworten anzuhören.« Chapelet sprach: »Herr Pater, sagt das nicht; wie oft und wie vielmals ich auch zur Beichte gegangen bin, so habe ich mich doch nie entschließen können, anders zu verfahren, als eine Generalbeichte aller meiner Sünden vom Tage meiner Geburt an bis zum Beichttag abzulegen. Darum bitte ich Euch, bester Vater, dass Ihr mich ebenso genau über alles ausfragt, als ob ich nie gebeichtet hätte. Und schont mich nur ja nicht etwa, weil ich krank bin; denn ich will viel lieber dieses mein Fleisch plagen, als aus Schonung dafür irgend etwas tun, was meiner unsterblichen Seele, die mein Heiland mit seinem kostbaren Blute losgekauft hat, zum Verderben gereichen könnte.« Diese Worte hatten den ganzen Beifall des heiligen Mannes und schienen ihm von einem gesammelten Gemüt Zeugnis zu geben.
Nachdem er also diese Gewohnheit Chapelet gegenüber sehr gelobt hatte, fing er an, ihn zu befragen, ob er sich je mit Weibern in Wollust versündigt habe. Chapelet antwortete ihm mit einem Seufzer: »Mein Vater, was das anbetrifft, so schäme ich mich, Euch die Wahrheit zu sagen, denn ich fürchte, sie könnte als eitles Selbstlob ausgelegt werden.« Der heilige Pater entgegnete: »Rede nur ruhig; denn wer die Wahrheit spricht, sei es in der Beichte oder bei anderer Gelegenheit, der sündigt niemals.« »Nun denn«, erwiderte Chapelet, »weil Ihr mich darüber beruhigt, so will ich Euch nur sagen, ich bin noch ebenso rein und unbefleckt, wie ich aus dem Schoße meiner Mutter hervorkam.« »Des möge Gott dich segnen«, sagte der Mönch, »Wie wohl hast du daran getan! Und um so verdienstlicher ist deine Keuschheit, da du, wenn du gewollt hättest, weit eher das Gegenteil tun konntest als wir und alle andern, die durch eine Ordensregel gebunden sind.«
Hierauf fragte er ihn, ob er sich je durch Völlerei Gottes Mißfallen zugezogen habe. Mit einem lauten Seufzer antwortete Chapelet: »Allerdings und oftmals.« Denn weil er sich daran gewöhnt habe, außer den vierzigtägigen Fasten, welche fromme Leute jährlich halten, auch allwöchentlich wenigstens drei Tage lang mit Wasser und Brot zu fasten, so habe er das Wasser, vor allem wenn er von Gebeten oder Wallfahrten besonders angestrengt gewesen sei, mit derselben Lust und demselben Wohlgefallen getrunken wie der größte Säufer den Wein. Manchmal habe es ihn auch nach Kräutersalat gelüstet, wie ihn die Bäuerinnen machen, wenn sie aufs Feld gehen, und das Essen habe ihm besser geschmeckt, als es seiner Ansicht nach einem schmecken dürfe, der aus Gottesfurcht faste, wie er es doch getan habe. »Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »das sind Sünden, welche die Natur mit sich bringt; die haben wenig zu bedeuten, und um ihretwillen möchte ich nicht, dass du dein Gewissen mehr als not tut beschwertest. Es geschieht jedem Menschen, wenn er auch noch so heilig ist, dass ihm nach langem Fasten das Essen gut schmeckt und nach großer Anstrengung das Trinken.« »Ach, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »Ihr sprecht so, um mich zu beruhigen. Das solltet Ihr nicht tun. Euch ist ja bekannt, dass ich wohl weiß, wie alles, was man tut, um Gott zu dienen, in ganz reiner Gesinnung, frei von jeder befleckenden Lust getan werden muß und dass, wer dem zuwiderhandelt, sündigt.«
Höchlich zufrieden sagte der Mönch: »Nun, so freut es mich, dass du es so ansiehst, und ich lobe in diesem Stück dein ängstliches und sorgsames Gewissen. Aber sage mir: Hast du dich durch Geiz vergangen und mehr verlangt, als du verlangen solltest, oder behalten, was du nicht behalten durftest?« »Ehrwürdiger Vater«, erwiderte ihm Chapelet, »es sollte mir leid tun, wenn Ihr eine falsche Meinung von mir hättet, weil ich bei den Wucherern hier wohne. Ich habe keinen Teil an ihrem Handwerk; vielmehr bin ich zu ihnen gekommen, um ihnen ins Gewissen zu reden und sie von diesem abscheulichen Erwerbe abzubringen. Auch wäre mir das, wie ich glaube, gelungen, hätte mich Gott nicht so heimgesucht. Ich kann Euch aber sagen, dass mein Vater mir ein schönes Vermögen hinterließ, von dem ich nach seinem Tode den größeren Teil als Almosen weggab. Dann habe ich, um mich zu ernähren und den Armen Gottes beistehen zu können, meinen kleinen Handel getrieben und dabei allerdings den Erwerb im Auge gehabt; was ich aber erworben habe, das habe ich immer mit den Armen gleichmäßig geteilt und meine Hälfte zu meiner Notdurft verbraucht, die andere aber jenen geschenkt. Dafür hat mir aber auch mein Schöpfer beigestanden, so dass meine Geschäfte täglich besser und besser gegangen sind.«
»Daran hast du wohlgetan«, sagte der Mönch. »Aber hast du dich etwa häufig erzürnt?« »Ja«, sagte Herr Chapelet, »das habe ich freilich gar oft getan. Und wer könnte sich wohl dessen enthalten, wenn er die Menschen alle Tage die abscheulichsten Dinge treiben sieht, wenn er beobachtet, wie sie Gottes Gebote nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wohl zehnmal des Tages habe ich lieber tot als lebendig sein wollen, wenn ich sah, wie die jungen Leute den Eitelkeiten der Welt nachliefen, schworen und sich verschworen, in die Schenken, aber um die Kirche herumgingen und weit mehr auf den Wegen der Welt als auf dem Pfade Gottes wandelten.« Darauf erwiderte der Mönch: »Mein Sohn, das ist ein edler Zorn, um dessentwillen ich für mein Teil dir keine Buße aufzuerlegen wüßte. Sage nur aber, wäre es vielleicht möglich, dass du dich irgendeinmal vom Zorn zu einem Mord, zu Schlägereien oder zu Schimpfworten hättest verleiten lassen?« »Ach du meine Güte, Herr Pater«, sagte Chapelet, »ich halte Euch für einen Mann Gottes; wie könnt Ihr doch solche Reden führen. Glaubt Ihr denn, ich bildete mir ein, dass Gott mich so lange am Leben erhalten hätte, wenn mir nur der entfernteste Gedanke gekommen wäre, etwas von dem zu tun, was Ihr da genannt habt? Dergleichen können ja nur Mörder und Straßenräuber tun; sooft ich dergleichen gesehen, habe ich immer gesagt: Geh, und Gott bessere dich.«
»Gott segne dich, mein Sohn«, sprach der Pater. »So sage mir denn, ob du jemals gegen irgendwen falsches Zeugnis abgelegt oder von andern schlecht gesprochen oder wider Willen des Eigentümers dich an fremdem Gute bereichert hast.« »Ach ja, Herr Pater«, sagte Chapelet, »was die üble Nachrede betrifft, freilich ja. Denn einmal hatte ich einen Nachbarn, der seine Frau in einem fort prügelte, ohne den geringsten Anlaß zu haben. Da hat mich denn das Mitleid mit dem armen Weibe, das er, sooft er sich betrunken hatte, jämmerlich zurichtete, einmal so gepackt, dass ich gegen ihre Verwandten recht auf ihn gescholten habe.« »Wohl denn«, antwortete der Mönch, »nun sage mir aber, wie ich höre, so bist du ein Kaufmann gewesen; hast du niemals jemand nach Art der Kaufleute betrogen?« »Ja, wahrhaftig, Herr Pater«, sagte Herr Chapelet, »Wie er hieß, das weiß ich aber nicht. Es war einer, der mir Geld brachte, was er für ein Stück Tuch schuldig war, das ich ihm verkauft hatte. Nun tat ich das Geld, ohne es zu zählen, in einen Kasten, und reichlich einen Monat später fand ich, dass es vier Heller mehr waren, als mir zukamen. Wohl ein ganzes Jahr lang habe ich sie aufgehoben; weil ich aber den, dem sie gehörten, in der ganzen Zeit nicht mehr wiedersah, habe ich sie am Ende als Almosen verschenkt.« »Das war eine Kleinigkeit«, sagte der Mönch, »und du hast recht daran getan, so damit zu verfahren.«
Der fromme Mönch fragte ihn noch mancherlei, worauf er immer in dieser Weise antwortete. So wollte denn jener schon zur Absolution schreiten, als Chapelet sprach: »Herr Pater, noch eine Sünde habe ich auf dem Gewissen, die ich Euch nicht gebeichtet.« »Und die wäre?« sagte der Mönch. »Ich entsinne mich«, antwortete jener, »dass ich an einem Samstag gegen Abend von meinem Diener das Haus kehren ließ und also die schuldige Ehrfurcht vor dem Tage des Herrn vergessen habe.« »Mein Sohn«, erwiderte der Geistliche, »das hat weiter nichts zu bedeuten.« »Sagt nicht, das habe nichts zu bedeuten«, entgegnete Chapelet. »Den Sonntag soll man ehren; denn an diesem Tag war es, dass unser Heiland von den Toten auferstand.« Darauf sagte der Mönch: »Und hast du sonst noch etwas zu beichten?« »Ja, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »einmal habe ich in Gedanken in der Kirche ausgespuckt.« Der Mönch fing an zu lächeln und sagte: »Mein Sohn, das sind Dinge, die man sich nicht zu Herzen nehmen soll; wir sind Geistliche und spucken alle Tage in der Kirche aus.« »Und tut daran sehr übel«, sprach Herr Chapelet; »denn nichts auf der Welt soll man so rein halten wie den Tempel des Herrn, in dem man dem Höchsten opfert.«
Um es kurz zu machen, Sünden von dieser Art beichtete er ihm noch eine Menge. Dann fing er an zu seufzen und brach in einen Strom von Tränen aus, deren ihm, wenn er wollte, immer reichlich zu Gebote standen. »Was ist dir, mein Sohn?« sagte der Geistliche. »Ach, Herr Pater«, erwiderte Chapelet, »eine Sünde habe ich noch auf dem Herzen, die habe ich nie gebeichtet, so schäme ich mich, sie zu bekennen; wenn ich nur daran denke, so weine ich, wie Ihr mich jetzt weinen seht, und um dieser Sünde willen kann ich nur auch nicht denken, dass Gott Erbarmen mit mir haben wird.« »Schäme dich, mein Sohn«, entgegnete der Mönch, »was redest du da? Wären alle Sünden, die von allen Menschen jemals zusammen begangen worden sind oder, solange die Welt stehen wird, noch von den Menschen begangen werden, in einem einzigen Menschen vereinigt, und der wäre reuig und zerknirscht, wie ich sehe, dass du es bist, so ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit so groß, dass er sie alle, sobald sie gebeichtet wären, ihm freudig vergeben würde; und so sage denn zuversichtlich, was du getan hast.« Darauf sprach Herr Chapelet, ohne vom Weinen abzulassen: »Ach, ehrwürdiger Vater, es ist eine gar zu schwere Sünde, und wenn es nicht auf Eure Fürbitte hin geschieht, so kann ich kaum glauben, dass Gott sie mir jemals vergeben sollte.« Der Mönch antwortete ihm: »Sage sie nur ruhig, denn ich verspreche dir, dass ich für dich zu Gott beten werde.« Herr Chapelet weinte noch in einem fort und schwieg; der Mönch aber ermunterte ihn erneut, zu reden. Als nun Chapelet den Geistlichen so mit Weinen eine lange Weile hingehalten hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ehrwürdiger Vater, weil Ihr mir denn versprochen habt, Gott für mich zu bitten, so will ich’s Euch sagen. Wißt denn, wie ich noch klein war, habe ich einmal meine Mutter geschmäht.« Und kaum hatte er so gesprochen, so hub er von neuem bitterlich zu weinen an. »Mein Sohn«, antwortete der Mönch, »dünkt dich denn das wirklich solch eine schwere Sünde? Lästern die Leute nicht etwa täglich ihren Herrgott? Und doch vergibt er gern einem jeden, der bereut, ihn gelästert zu haben. Und du verzweifelst, für diesen Fehltritt Vergebung zu finden? Fasse Mut und weine nicht; denn wahrlich, wärest du einer von denen gewesen, die unsern Herrn ans Kreuz geschlagen haben, und wärest du so zerknirscht, wie ich es jetzt an dir sehe, so vergäbe er dir.« Darauf sagte Chapelet: »Um Himmels willen, Herr Pater, was sprecht Ihr da? Allzusehr habe ich mich vergangen, und allzu große Sünde war es, dass ich meine Herzensmutter schmähte, die mich neun Monate lang Tag und Nacht im Leibe getragen hat und mich mehr als hundertmal auf den Armen hielt; und wenn Ihr nicht für mich betet, so wird mir’s auch nicht verziehen werden.«
Als der Mönch inneward, dass Chapelet weiter nichts zu sagen hatte, sprach er ihn los und gab ihm in der festen Überzeugung, Chapelet, dessen Reden er für lautere Wahrheit nahm, sei ein frommer, gottseliger Mensch, den Segen. Und wer möchte wohl zweifeln, wenn er jemand auf dem Totenbette also reden hörte? Nach dem allen sagte er: »Herr Chapelet, Ihr werdet mit Gottes Hilfe bald wieder gesund sein; sollte es aber dennoch geschehen, dass Gott Eure gesegnete und zum Abschied von dieser Welt bereite Seele zu sich riefe, hättet Ihr alsdann etwas dawider, dass Euer Körper in unserem Kloster beerdigt würde?« »Durchaus nicht«, entgegnete Chapelet; »vielmehr möchte ich sonst nirgends liegen als eben bei Euch. Ihr habt mir ja versprochen, für mich zu beten, und auch ohne das habe ich von jeher besondere Ehrfurcht für Euren Orden gehabt. Und so bitte ich Euch, dass Ihr Christi wahrhaftigen Leib, den Ihr diesen Morgen auf dem Altare eingesegnet habt, mir zusendet, sobald Ihr in Euer Kloster zurückgekommen seid. Denn ich denke ihn, wenn Ihr es gestattet, obgleich unwürdig, zu genießen und dann die letzte heilige Ölung zu empfangen, damit ich, wenn ich als Sünder gelebt habe, wenigstens als Christ sterben möge.« Der heilige Mann sagte, das sei wohl gesprochen und er sei alles zufrieden. Das Sakrament solle dem Kranken sogleich gebracht werden. Und so geschah es.
Die beiden Brüder hatten sehr gefürchtet, Chapelet werde sie täuschen, und sich deshalb der Bretterwand nahe gesetzt, welche die Kammer, in welcher der Kranke lag, von der anstoßenden trennte. Hier hatten sie die ganze Beichte belauscht und bequem verstanden, was Chapelet dem Mönche gesagt. Mehr als einmal reizten die Geschichten, die sie ihn beichten hörten, sie so sehr zum Lachen, dass wenig daran fehlte, so wären sie damit herausgeplatzt. Dann aber sagten sie wieder zueinander: »Himmel, welch ein Mensch ist das, den weder Alter noch Krankheit, noch Furcht vor dem Tode, dem er sich nahe sieht, oder vor Gott, vor dessen Richterstuhl er in wenigen Stunden zu stehen vermuten muß, von seiner Verruchtheit haben abbringen und zu dem Entschluß führen können, anders zu sterben, als er gelebt hat.« Indes, sie hatten gehört, seine Leiche solle in der Kirche aufgenommen werden, und um das Übrige kümmerten sie sich nicht. - Herr Chapelet empfing bald darauf das Abendmahl, dann, als sein Befinden sich über die Maßen verschlechterte, die letzte Ölung und starb noch am Tage seiner musterhaften Beichte, bald nach der Vesper.
Die beiden Brüder besorgten aus dem Nachlaß des Verstorbenen ein anständiges Begräbnis und meldeten den Todesfall im Kloster, damit die Mönche, wie es der Brauch ist, die Nachtwache bei der Leiche halten und sie am andern Morgen abholen sollten.
Der fromme Mönch, der sein Beichtiger gewesen war, besprach sich, als er seinen Tod vernahm, mit dem Prior des Klosters. Er ließ zum Kapitel läuten und schilderte den versammelten Mönchen, welch ein frommer Mann Chapelet, seiner Beichte zufolge, gewesen war. In der Hoffnung, dass Gott durch ihn noch große Wunder verrichten werde, überredete er sie, man müsse diese Leiche notwendig mit besonderer Auszeichnung und Ehrfurcht empfangen. Der Prior und die übrigen Mönche pflichteten in ihrer Leichtgläubigkeit dieser Meinung bei, und so gingen sie denn sämtlich noch spät am Abend in das Haus, wo Chapelets Leichnam lag, und hielten über diesem eine große und feierliche Vigilie.
Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und Mäntelchen angetan, die Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den Leichnam mit Gesang zu holen. Dann trugen sie ihn unter Gepränge und großer Feierlichkeit in ihre Kirche, und fast die ganze Einwohnerschaft des Städtchens, Männer und Frauen, schloß sich dem Zuge an. Als die Leiche in der Kirche niedergesetzt worden war, stieg der Geistliche, dem Chapelet gebeichtet hatte, auf die Kanzel und berichtete von des Verstorbenen frommem Leben, von seinem Fasten, seiner Keuschheit, seiner Einfalt, Unschuld und Heiligkeit die wunderbarsten Dinge. Unter anderm erzählte er, was Herr Chapelet ihm unter Tränen als seine größte Sünde gebeichtet und wie er ihn kaum zu überzeugen vermocht habe, dass Gott ihm auch diese vergeben werde. Dann begann er die Zuhörer zu schelten und sagte: »Ihr aber, ihr von Gott Verdammten, ihr lästert um jedes Strohhalmes willen, der euch zwischen die Füße kommt, Gott, seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese.« Außerdem sagte er noch viel von seiner Herzensgüte und Lauterkeit.
Mit einem Wort, seine Reden, denen die Gemeinde vollkommenen Glauben schenkte, bemächtigten sich in solchem Maße der frommen Herzen der Versammlung, dass alle, sobald der Gottesdienst zu Ende war, sich untereinander stießen und drängten, um dem Toten Hände und Füße zu küssen. Die Kleider wurden ihm auf dem Leibe zerrissen; denn jeder hielt sich für glücklich, wenn er einen Fetzen davon haben konnte. In der Tat mußten die Mönche den Körper den ganzen Tag über ausstellen, dass ihn jedweder nach Gefallen beschauen konnte. In der folgenden Nacht wurde er in einer Kapelle ehrenvoll in einem Marmorsarge bestattet, und schon am Tage darauf fingen die Leute an, den Toten zu besuchen, zu verehren und Lichter anzuzünden. Mt der Zeit gelobten sie ihm Opfergaben und begannen dann, ihrem Versprechen gemäß, Wachsbilder aufzuhängen. Der Ruf seiner Heiligkeit und seine Verehrung wuchsen so sehr, dass nicht leicht jemand in irgendeiner Gefahr einen anderen Heiligen anrief als Sankt Chapelet, wie sie ihn nannten und noch heute nennen, und allgemein wird versichert, dass Gott durch ihn gar viele Wunder getan habe und deren noch täglich an jedem tue, der die Fürsprache dieses Heiligen andächtig erbitte.
So lebte und starb Herr Ciapperello von Prato und wurde ein Heiliger, wie ihr gehört habt. Dass es möglich ist, dieser Mensch sei wirklich im Anschauen Gottes selig, will ich allerdings nicht leugnen, denn so ruchlos und abscheulich sein Leben war, so kann er doch in den letzten Augenblicken seines Lebens so viel Reue empfunden haben, dass Gott sich vielleicht seiner erbarmt und ihn in sein Reich aufgenommen hat. Weil uns dies aber verborgen bleibt, so spreche ich nach dem, was uns offenbar ist, und sage, dass er vielmehr in den Krallen des Teufels verdammt als im Paradiese zu sein verdient. Verhält es sich aber so, dann können wir deutlich erkennen, wie unermeßlich Gottes Gnade gegen uns ist, die nicht unseren Irrtum, sondern die Lauterkeit unseres Glaubens betrachtet, wenn wir einen seiner Feinde in der Meinung, er sei sein Freund, zum Mittler zwischen ihm und uns machen und er uns erhört, als hätten wir uns einen wahren Heiligen zu unserem Fürsprecher bei seiner Gnade erwählt. Und so empfehlen wir uns ihm denn mit allem, was uns not ist, in der festen Überzeugung, erhört zu werden, damit er uns in diesem allgemeinen Elend und in dieser so heiteren Gesellschaft im Lobe seines Namens, in dem wir sie begonnen, gesund und unversehrt erhalten möge. Und damit schwieg Panfilo.
Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt, und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden; kommt aber noch glücklich davon.
Es lebte vor nicht langer Zeit in Treviso ein Deutscher namens Heinrich, ein armer Mann, der sein Brot als Lastträger verdienen mußte, aber dabei einen sehr frommen Wandel führte und bei jedermann beliebt war, daher denn, wie die Leute aus Treviso versichern (es mag nun wahr sein oder nicht), in der Stunde seines Todes die Glocken der Hauptkirche zu Treviso, ohne von jemand gezogen zu sein, von selbst anfingen zu läuten. Das ward von jedermann für ein Wunder und Heinrich deswegen für einen Heiligen gehalten; alles Volk in der Stadt lief zusammen nach dem Hause, wo sein Leichnam lag, den sie wie eine Reliquie nach der Hauptkirche trugen, und Lahme, Gichtbrüchige, Blinde und Kranke jeder Art, oder Leute, die sonst Mängel hatten, zu ihm brachten, als ob die Berührung seines Leibes sie alle gesund machen könnte. Während dieses allgemeinen Zulaufes begab es sich, dass in Treviso drei Männer aus Florenz ankamen, wovon der eine Stecchi hieß, der andere Martellino und der dritte Marchese, die ihr Brot damit verdienten, dass sie an den Höfen umherzogen und die Leute damit belustigten, dass sie die Gebärden eines jeden Menschen nachmachten. Da sie hier noch nie gewesen waren, so wunderten sie sich, einen so großen Auflauf von Menschen zu finden, und wie sie die Ursache davon erfuhren, wurden sie neugierig, dieselbe auch zu sehen; sie ließen demnach ihr Gepäck in einer Herberge, und Marchese sagte: »Wir wollen zwar hingehen, den Heiligen zu sehen, allein ich weiß wahrlich nicht, wie wir zu ihm gelangen wollen, weil ich höre, dass der Platz voll von Deutschen und andern Landsknechten ist, die der Herr der Stadt dort auf den Beinen hält, um Unruhen zu verhüten; überdies ist die Kirche (sagt man) so voll von Menschen, dass man fast nicht hineinkommen kann.«
Martellino, der sehr neugierig war, sagte: »Das soll uns nicht hindern; ich will wohl ein Mittel finden, bis zu dem Leichnam vorzudringen.«
»Und wie denn?« fragte Marchese.
»Das will ich dir sagen«, entgegnete Martellino. »Ich will mich wie ein Gichtbrüchiger anstellen, und du sollst mich an einer Seite und Stecchi an der anderen führen, als wenn ich allein nicht gehen könnte, und ihr wolltet mich zu dem Heiligen bringen, dass er mich gesund mache. Da wird kein Mensch sein, wenn er uns sieht, der uns nicht aus dem Wege ginge, uns Platz zu machen.«
Dieses gefiel Marchese und Stecchi, und sie beeilten sich, ihre Herberge zu verlassen. Sie gingen an einen einsamen Ort, wo sich Martellino die Hände, Finger, Arme und Beine, die Augen und das Gesicht dermaßen verrenkte und verdrehte, dass es scheußlich anzusehen war; wer ihn erblickte, konnte nicht umhin, zu glauben, dass er am ganzen Leibe verstümmelt und gelähmt wäre. So faßten ihn Marchese und Stecchi unter die Arme und gingen mit ihm nach der Kirche mit ganz andächtiger Miene und baten demütig und um Gottes willen einen jeden, der ihnen im Wege war, Platz zu machen, was auch bereitwillig geschah. Jeder erwies ihnen Aufmerksamkeit, überall ward »Platz! Platz!« gerufen, und sie gelangten bis zur Leiche des heiligen Heinrich, die von einigen angesehenen Männern umgeben war, die den Martellino auf den Leichnam hoben, damit er die Gabe der Gesundheit von ihm empfinge. Martellino, auf welchen aller Augen gerichtet waren, lag ein wenig still und wußte dann meisterlich erst den einen, dann den anderen Finger zu regen, dann die Hand, dann einen Arm, bis er sich endlich völlig aufrichtete. Wie das die Leute sahen, brach ein jeder so laut in Lobsprüche auf den heiligen Heinrich aus, dass man kein Wort vor dem andern verstehen konnte.
Zum Unglück stand nicht weit davon einer von seinen florentinischen Mitbürgern, der den Martellino sehr gut kannte, und wie er ihn, nachdem er sich ganz aufgerichtet hatte, gewahr ward, überlaut zu lachen anfing und sagte:
»Dass doch der Henker den Kerl! Wer sollte nicht gedacht haben, wie er herkam, dass er wirklich gichtbrüchig wäre?«
Dieses hörten einige Leute aus Treviso und fragten, ob der Mensch denn wirklich nicht gichtbrüchig wäre.
»Gott bewahre!« sprach jener. »Er war immer so gerade wie der Beste von uns; aber er versteht besser als irgendein anderer Gaukler die Kunst, sich eine jede Gestalt zu geben, wie ihr wohl gesehen habt.«
Wie dieses ruchbar ward, brauchte es nichts weiter, um den Pöbel aufzubringen, der hinzustürmte und schrie: »Greift den Schelm, den Spötter Gottes und seiner Heiligen, der so gesund ist wie wir und den Gichtbrüchigen mimt, um uns und unsern Heiligen zu verspotten.«
Mit diesen Worten ergriffen sie ihn, zogen ihn von dem Gerüst herunter, zerrten ihn bei den Haaren, rissen ihm die Kleider vom Leibe und bearbeiteten ihn mit Faustschlägen und Rippenstößen; kurz, man schien zu glauben, wer ihm nicht eins versetzte, der könnte kein braver Kerl sein. Martellino bat zwar um Gottes willen um Barmherzigkeit und wehrte sich dabei seiner Haut, so gut er konnte; allein es half alles nichts, und die Faustschläge und Fußtritte fielen immer dichter. Wie Stecchi und Marchese dies gewahr werden, fürchteten sie, es möchte ein schlimmes Ende nehmen, und da sie für sich selbst besorgt waren, so durften sie es nicht wagen, ihrem Kameraden zu Hilfe zu kommen. Im Gegenteil schrien sie so laut wie die übrigen: »Schlagt ihn tot, den Hund!« Doch sannen sie im stillen auf ein Mittel, ihn den Händen des Pöbels zu entreißen, der ihn gewiß würde getötet haben, wenn nicht Marchese beizeiten auf einen glücklichen Einfall gekommen wäre. Dieser, der bemerkt hatte, dass die ganze löbliche Polizei zugegen war, ging, so eilig er konnte, zu dem vom Stadtvogt bestellten Kommandanten und rief: »Helft um Gottes willen! Hier ist ein Spitzbube, der mir meinen Beutel mit mehr als hundert Goldgulden gestohlen hat; ich bitte Euch, laßt ihn festnehmen, damit ich das Meinige wiederbekomme.«
Den Augenblick liefen ein Dutzend Häscher dahin, wo man dem armen Martellino den Pelz wusch. Mit genauer Not gelang es ihnen, den zusammengerotteten Pöbel zu zerstreuen und ihm den Martellino, übel gemißhandelt und zerzaust, aus den Händen zu reißen. Sie brachten ihn nach dem Rathause, wohin ihm viele von denen nachfolgten, die sich für beleidigt hielten. Wie sie hörten, dass man ihn als einen Beutelschneider eingezogen hatte, glaubten sie, sie könnten ihn nicht besser an den Galgen bringen als durch ähnliche Beschuldigungen, und ein jeder fing an zu schreien, er sei auch von ihm bestohlen worden. Wie dies der Richter hörte, der ein gestrenger Mann war, ließ er ihn gleich ins heimliche Verhör bringen und fing an, ihn zu befragen. Martellino antwortete ihm mit lauter Scherzreden und schien sich aus seiner Verhaftung nichts zu machen, worüber der Richter aufgebracht ward, ihn auf die Folter spannen und ihm einige tüchtige Hiebe geben ließ, um ihn zum Bekenntnis zu bringen und ihn dann hängen zu lassen. Wie man ihn wieder aufstehen ließ, und der Richter ihn fragte, ob es wahr sei, was man gegen ihn vorbrächte, und Martellino wohl merkte, dass das bloße Leugnen ihn nicht retten würde, sprach er: »Mein Herr, ich bin bereit, Euch die Wahrheit zu bekennen; fragt aber vorher einen jeden Eurer Ankläger, wann und wo ich ihm seine Börse gestohlen habe, so will ich Euch hernach sagen, was ich getan habe und was nicht.«