Den Stier bei den Hörnern packen - Gofi Müller - E-Book

Den Stier bei den Hörnern packen E-Book

Gofi Müller

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Beschreibung

Einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist keine gute Idee. Dennoch bleibt den meisten von uns nach dem Aufstehen am Morgen (oder wann auch immer das sein mag) nichts anderes übrig. Worauf es dann ankommt, fassen die Pferde des Achilleus zusammen: XANTHOS (schnaubend und die Mähne schüttelnd): Das einzig sinnvolle Ziel scheint darin zu bestehen, dass dieser Ringkampf ausgetragen wird, bis einer der beiden Kontrahenten davon ablässt. Es wird also obsiegen, wer länger durchhält. BALIOS: Und wer wird das Ihrer Meinung nach sein? XANTHOS: Das fragen Sie ernsthaft? Von diesem Ringkampf handeln die Gedichte (oder was auch immer sie sein mögen) des vorliegenden Buches: Sie erzählen von alltäglichen Herausforderungen (z. B. Liebeskummer, aggressiven Bürohöhlenmenschen, Älterwerden, der Suche nach dem Sinn des Lebens), die entweder im Hintergrund lauern, bereits in vollem Galopp über uns sind oder uns im Staub liegend zurückgelassen haben. Ergänzt werden sie (die Texte, nicht die Herausforderungen) durch Illustrationen von Alica Waldmann.

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Einen Stier bei den Hörnern zu packen, ist keine gute Idee. Dennoch bleibt den meisten von uns nach dem Aufstehen am Morgen (oder wann auch immer das sein mag) nichts anderes übrig. Worauf es dann ankommt, fassen die Pferde des Achilleus zusammen:

XANTHOS (schnaubend und die Mähne schüttelnd): Das einzig sinnvolle Ziel scheint darin zu bestehen, dass dieser Ringkampf ausgetragen wird, bis einer der beiden Kontrahenten davon ablässt. Es wird also obsiegen, wer länger durchhält.

BALIOS: Und wer wird das Ihrer Meinung nach sein?

XANTHOS: Das fragen Sie ernsthaft?

Von diesem Ringkampf handeln die Gedichte (oder was auch immer sie sein mögen) des vorliegenden Buches: Sie erzählen von alltäglichen Herausforderungen (z. B. Liebeskummer, aggressiven Bürohöhlenmenschen, Älterwerden, der Suche nach dem Sinn des Lebens), die entweder im Hintergrund lauern, bereits in vollem Galopp über uns sind oder uns im Staub liegend zurückgelassen haben.

Ergänzt werden sie (die Texte, nicht die Herausforderungen) durch Illustrationen von Alica Waldmann.

INHALT

Jakob

Im Elfenbeinturm

Morgens

Absage an eine Spezies

Dublin

Aufmerksamkeit

Einerlei

Nachrichten

I’M DETECTIVE MILLS

Sündenfall

An die Person, die meinte, wissenschaftliche Fakten seien letztlich eine Frage der Interpretation

Armer Pensionär

Senioren und Ameisen

Ich will nicht alt sein

Vom Loslassen

Das Fundament

Flaschenpost

Ich habe es versucht

Endlich: Eine Nachricht

Hineingeraten

Das Lachen

Auti

Elternabend

Wege und Bahnen

Ich sehe aus dem Fenster

Wut

Déjà-vu

Totschlag

Von drüben

Den Stier bei den Hörnern packen – Ein Gespräch unter den Pferden des Achilleus

Für alle, die mir bis hierher geholfen haben. Danke!

JAKOB

Draußen klappern alte Zäune,

während hier drinnen Pinselborsten flüstern.

Am Tisch ersinnst du neue Träume,

Jakob, der Häusliche, der Stille

unter den lauten Männern.

Dein größter Kampf steht noch bevor.

Doch davon musst du jetzt nichts wissen.

Du liebst die Gegenwart der Frauen,

genießt ihr Necken und ihr Schelten

und lässt das Grobe Esau machen,

dort draußen bei den grauen Zäunen.

IM ELFENBEINTURM

There must be some kind of way outta here,

sagt der Narr zum Dieb

und lacht.

Er sieht aus wie Bob Dylan,

und klingt wie Leonard Cohen.

Es gibt keinen, sagt der Dieb.

Er hält sich ein Nasenloch zu,

beugt sich nach vorn

und rotzt auf den Boden des Kerkers,

in dem sie seit Jahren einsitzen,

zusammen mit Dichtern,

Musikern,

Tänzern,

Malern,

Sängern,

Tänzern,

Musikern,

Künstlern

und Dichtern.

Cis-Männer.

Keine einzige Frau ist unter ihnen.

Das macht sie wahnsinnig.

Denn alle sind sie heterosexuell

und verzehren sich nach

einer zärtlichen Berührung.

Der Narr löst sich aus den Armen des Diebes

und steht langsam auf.

Gleich wird die Wache kommen

und sie zurück in die Zellen treiben,

jeden alleine für sich.

Dort werden sie ihrer Arbeit nachgehen.

Die Sänger werden singen,

die Dichter dichten,

die Tänzer tanzen,

die Maler malen.

Nur der Dieb wird sich wie an jedem Tag

vor die Schlinge hocken,

die er in all den Jahren aus

Spinnweben geflochten hat,

und sich fragen,

ob er heute die Eier hat,

sich endlich aufzuhängen.

Denn wen soll ein Dieb bestehlen,

wenn er in Einzelhaft sitzt?

Die anderen Künstler haben es gut.

Sie klauen sich gegenseitig Ideen

und arbeiten dann in ihrer Einsamkeit daran,

es so aussehen zu lassen,

als seien es ihre eigenen gewesen.

Die Gittertür springt auf,

die Wächter sind da.

Sie quetschen sich aneinander vorbei

in das Innere des Turmhofes.

Ihre Chitinpanzer rascheln und knistern.

Ihre langen Fühler tasten sich ihnen voraus

in die Enge der Rundung

und streifen die panischen Gesichter

der Insassen.

Ihre rötlichen Facettenaugen schimmern

in Regenbogenfarben wie Seifenblasen,

während ihre Vorderbeine mit den

kleinen Klauen über die beinernen Platten kratzen.

Alle sehen sie aus wie William S. Burroughs,

aber nur, wenn sie dicht nebeneinander stehen.

There must be some kind of way outta here,

sagt der Narr erneut zum Dieb.

Glaube ja nicht, dass ich es besser habe als du!

Ich brauche jemanden,

dem ich meine Witze erzählen kann.

Wenn ich noch ein einziges Mal über

meine eigenen Witze lachen muss,

sterbe ich.

Stell dich nicht so an, sagt der Dieb,

Leute machen das jeden Tag.

So schlimm kann es nicht sein.

Ich akzeptiere das nicht mehr, sagt der Narr.

Seine weiße Schminke ist schon seit Jahren

abgeblättert,

nur hinter dem rechten Ohr klebt noch ein Rest.

Er nimmt seine schmutzige Narrenkappe ab

und stopft sie sich so tief in den Rachen,

dass er daran erstickt.

Die insektenartigen Wächter

stürzen sich auf ihn und lassen nichts

von seinem Leichnam übrig.

Für sie hat sich dieser Tag

schon einmal gelohnt.

Es ist ein hartes Leben im Elfenbeinturm,

denkt der Dichter,

ein wahrhaft hartes Leben.

Und eigentlich sollte man es gar nicht

als Leben bezeichnen,

eher als Sterben,

als langsames, kriechend langsames

Dahinsiechen,

das ist es in Wirklichkeit,

ein schleichender Tod, der sich

als Leben tarnt,

das ist die eigentliche künstlerische

Leistung dieser Schwachmaten,

denkt der Dieb,

dass sie es schaffen,

ihr qualvolles Dahinscheiden

als das wahre große Ding zu verkaufen,

als die eine Sache, die wirklich jeder

mal erlebt haben sollte,

und das Verrückte ist, sagt er sich,

das Verrückte ist, dass sie damit

Erfolg haben,

dass es wirklich Menschen gibt,

die ihnen das abnehmen,

die sie bewundern,

die ihre Nähe suchen,

als wüssten sie irgendetwas,

das andere nicht wissen,

dabei wissen sie doch nur eines,

sagt sich der Dieb,

nämlich wie man es schafft, dass alle

ihre Scheiße für Gold halten,

das sind die wahren Abzocker,

denkt er sich,

ich hab unter ihnen überhaupt nichts verloren,