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Diese Arbeit widmet sich dem Altersfaktor beim kindlichen Zweitspracherwerb. Sie geht der Frage nach, welchen Einfluss das Alter bei Erwerbsbeginn längerfristig auf die syntaktische und allgemein-grammatische Kompetenz bilingualer Kinder in ihrer Zweitsprache hat. Untersucht werden polnischsprachige Kinder, die Deutsch als frühe Zweitsprache erwerben.
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Seitenzahl: 311
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Kamil Długosz
Der Altersfaktor beim fortgeschrittenen Zweitspracherwerb
Die Wortstellung im Deutschen bei polnisch-deutsch bilingualen Kindern
Die Publikation des Buches wurde vollständig durch die Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań (Szkoła Nauk o Języku i Literaturze UAM) finanziert.
ISBN 978-3-8233-8498-4 (Print)
ISBN 978-3-8233-0302-2 (ePub)
Die vorliegende Dissertation ist im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Nationalen Forschungszentrum (Narodowe Centrum Nauki, kurz: NCN) finanzierten Forschungsprojekts KiBi: Polnisch-deutsche Zweisprachigkeit bei Kindern: Die Rolle des Alters bei Erwerbsbeginn für den langfristigen Spracherwerbserfolg entstanden, das zwischen 2016 und 2020 von Frau Prof. Dr. Aldona Sopata und Herrn Prof. Dr. Bernhard Brehmer geleitet wurde.
An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die durch ihre fachliche und persönliche Unterstützung zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen haben.
Mein besonderer Dank gilt zunächst meiner Doktormutter Prof. Dr. Aldona Sopata für die hervorragende Betreuung und die enorme Unterstützung bei der Umsetzung der gesamten Arbeit. Sie hat mich für das Thema des kindlichen Zweitspracherwerbs begeistert und war trotz ihres vollen Terminkalenders jederzeit für ein Treffen mit mir bereit. Es war eine Ehre für mich, ihr Doktorand zu sein.
Mein großer Dank gilt auch allen wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeitenden des KiBi-Projekts, insbesondere Raina Gielge für ihr Verständnis in schwierigen Momenten, ihr enormes Engagement und die vielen inspirierenden Gespräche, die meinen Horizont erweitert haben. Ich danke auch dem Nationalen Forschungszentrum, das meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im KiBi-Projekt finanziert hat, sowie den beteiligten Kindern und ihren Eltern, ohne die diese Studie nicht entstanden wäre.
Unermesslicher Dank gebührt Michał Piosik für sein scharfes Auge beim Korrekturlesen, vor allem aber dafür, dass er mir den Einstieg ins Promotionsstudium in Poznań erleichtert und mich auf meinem Weg mit Rat und produktiven Gesprächen begleitet hat.
Zu Dank verpflichtet bin ich Tabea Schleinitz und Dr. Nadja Zuzok, die meine Arbeit sprachlich-stilistisch optimiert haben.
Ich danke auch der Leitung der Neophilologischen Fakultät der Adam-Mickiewicz-Universität zu Poznań, insbesondere Frau Prof. Dr. Aldona Sopata und Frau Prof. Dr. Dominika Skrzypek, sowie der Direktorin des Instituts für Angewandte Linguistik, Frau Prof. Dr. Izabela Prokop, für das Schaffen optimaler Bedingungen für die wissenschaftliche und didaktische Arbeit.
Schließlich möchte ich mich besonders bei meinen Eltern, meiner Schwester Ania und ihrem Mann für die aufbauenden Worte und immer offenen Ohren bedanken. Ganz besonders danke ich Maciej für seine unendliche Unterstützung und seinen Glauben an mich.
Es wird heutzutage davon ausgegangen, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung mindestens zweisprachig ist (vgl. z. B. Riehl, 2014a: 10f.). Aus diesem Blickwinkel ist Mehrsprachigkeit der Normalfall und Einsprachigkeit eher die Ausnahme. Auch für mitteleuropäische Verhältnisse klingt das nicht mehr befremdlich, wenn man das Ausmaß der Migration in den letzten Jahren betrachtet. Im Jahr 2018 hatte jede vierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund, wobei Polen, nach der Türkei, den zweiten Platz unter den Herkunftsländern der Migranten einnahm (vgl. Statistisches Bundesamt, 2019).1 Sie führt zu intensiven Kontakten zwischen verschiedenen Kulturen, die ihrerseits die sprachliche Vielfalt fördern. Die Kenntnis mehrerer Sprachen wird von der Europäischen Union als ein bedeutendes sprachpolitisches Ziel aufgefasst:
„Sprachenvielfalt ist ein grundlegender Bestandteil der europäischen Kultur und des interkulturellen Dialogs, und die Fähigkeit, in einer anderen Sprache als seiner Muttersprache zu kommunizieren, wird als eine der Schlüsselkompetenzen anerkannt, deren Erwerb die Bürger anstreben sollten.“ (Rat der Europäischen Union, 2014: 26)
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Mehrsprachigkeit verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Betrachtungen rückt. Zu den Disziplinen, die sich mit mehrsprachigen Individuen befassen, zählt insbesondere die Zweitspracherwerbsforschung, die Prozesse des Erwerbs und Erlernens von Zweitsprachen untersucht. Eine besondere Position innerhalb der Zweitspracherwerbsforschung nehmen Untersuchungen zur Entwicklung der kindlichen Zweisprachigkeit ein, die sowohl aus erkenntnistheoretischer als auch praxisorientierter Sicht eine sehr wichtige Aufgabe darstellen (vgl. z. B. Sopata, 2009; Chondrogianni, 2018). Sie ermöglichen es einerseits, Erkenntnisse über die Funktionsweise der menschlichen Kognition zu gewinnen; andererseits leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der Sprachvermittlung und Sprachdiagnostik. Daher bemühen sich die Forscher, den kindlichen Zweitspracherwerb mit all seinen Facetten zu beschreiben und zu erklären.
Die vorliegende Arbeit schließt sich diesen Bemühungen an, indem sie den natürlichen Zweitspracherwerb polnisch-deutsch bilingualer Kinder untersucht. Das Haupterkenntnisziel besteht darin, einen Einblick in die Prozesse des Erwerbs der deutschen Wortstellung innerhalb des Haupt- und Nebensatzes bei kindlichen Zweitsprachlernern2 zu gewinnen. Viele Studien befassen sich mit dem Syntaxerwerb des Deutschen als früher Zweitsprache (vgl. Kapitel 4.2). Sie fokussieren aber meistens nur die ersten Monate oder Jahre der sprachlichen Entwicklung bis zu dem Zeitpunkt, in dem Kinder ein gewisses Erwerbskriterium, z. B. 90 % produktiver Verwendung einer syntaktischen Regel in allen obligatorischen Kontexten (vgl. z. B. Czinglar, 2014a), erreichen. Die Frage nach dem späteren Erwerbsverlauf wird dabei jedoch außer Acht gelassen. Es liegen meines Wissens bisher keine Studien vor, die sich explizit mit späteren Erwerbsphasen beschäftigen.
Die vorliegende Arbeit zielt daher darauf ab, diese Forschungslücke zu schließen, indem sie den fortgeschrittenen Zweitspracherwerb der grundlegenden Wortstellungsmuster im Deutschen ergründet. Angesichts der aktuellen Befunde, nach denen Kinder, die im Alter von bis zu vier Jahren in Kontakt mit dem Deutschen treten, die Satzstrukturen einschließlich Frage- und Nebensätzen innerhalb von acht bis 18 Monaten erwerben (vgl. Rothweiler, 2006; Thoma & Tracy, 2006), und nach denen die Erwerbsgeschwindigkeit bei älteren Kindern sogar höher sein kann (vgl. Czinglar, 2014a, 2014b), wird hier der fortgeschrittene Zweitspracherwerb als Erwerb konzeptualisiert, der nach dem 18. Kontaktmonat erfolgt. Damit wird er zwischen dem frühen Verlauf und dem Endzustand des Spracherwerbs positioniert, wobei er vielmehr dem Letzteren näher ist. Der Endzustand wird in der englischsprachigen Fachliteratur vor allem mit den Begriffen endstate und ultimate attainment beschrieben und kann Herschensohn (2013: 321) zufolge als „a putative stage after which there is very little change in L2 competence“ definiert werden.
Im Mittelpunkt der Studie steht der Altersfaktor, also die Frage danach, welche Auswirkungen das Alter bei Erwerbsbeginn (= AbE, age of onset, age of acquisition), d. h. bei erstmaligem Kontakt mit der Sprache, auf den fortgeschrittenen Zweitspracherwerb der deutschen Wortstellung bei polnischen Kindern hat. Zusätzlich zur Wortstellung werden in dieser Studie auch die allgemeine grammatische Kompetenz der Kinder und die Geschwindigkeit, mit der sie Sätze verarbeiten, untersucht. Diese Fragestellung ist deswegen relevant, weil der Altersfaktor beim kindlichen Zweitspracherwerb noch wenig untersucht ist und viele Meinungsverschiedenheiten hervorruft: „(…) until recently there has been little systematic investigation of the potential role of age of onset WITHIN childhood and its impact upon child L2 development [Hervorhebung im Original]“ (Unsworth, 2016: 609). Die Arbeit setzt sich auch zum Ziel, den Einfluss anderer Faktoren zu ermitteln. Hierzu zählen (I) das Alter zum Testzeitpunkt, (II) die Kontaktdauer mit der Zweitsprache und (III) der kumulative Input in der Zweitsprache. Die Einbeziehung all dieser Variablen ermöglicht es, ihr Zusammenspiel zu erfassen und herauszufinden, welcher Faktor den fortgeschrittenen Syntaxerwerb bilingualer Kinder determiniert.
Dem untersuchten Sprachpaar wurde bisher in der Zweitspracherwerbsforschung eher wenig Beachtung geschenkt. In den meisten Studien zum Deutscherwerb werden vornehmlich türkisch- und russischsprachige Kinder untersucht (vgl. Kapitel 4.2). Dies ist insofern erstaunlich, als die Anzahl der in Deutschland lebenden Polen sehr groß ist. Da sich Polnisch und Deutsch in Bezug auf syntaktische Regularitäten deutlich voneinander unterscheiden, bilden sie eine Steilvorlage für die Untersuchung des Erwerbs der Wortstellung. Die vorliegende Studie liefert somit neue Evidenz aus der in der Forschung unterrepräsentierten Sprachkonstellation.
Um die Ziele der vorliegenden Arbeit zu erreichen, wurden im Rahmen einer Querschnittstudie vier Aufgaben durchgeführt, die sowohl auf die Repräsentation als auch auf die Produktion der untersuchten Wortstellungsmuster in fortgeschrittenem Zweitspracherwerbsstadium eingehen. Erstere umfassten zwei Aufgaben des Grammatikalitätsurteils und der Strukturauswahl, in denen auch die Reaktionszeit als Indikator der Verarbeitungsgeschwindigkeit gemessen wurde. Außer kindlichen Zweitsprachlernern wurden zusätzlich simultan bilinguale und monolinguale deutsche Kinder untersucht, die miteinander verglichen wurden. Dies ermöglichte eine bewusste Trennung bestimmter Einflussfaktoren voneinander, z. B. sprachlicher von außersprachlichen. Mittels entsprechender statistischer Verfahren wurden auch Korrelationen zwischen den Leistungen der Kinder und den anvisierten Einflussfaktoren unter besonderer Berücksichtigung des Alters zu Beginn des Zweitspracherwerbs festgelegt.
Die zentralen Forschungsfragen lauten somit:
Wie entwickeln sich die einzelnen Wortstellungsphänomene im fortgeschrittenen Stadium des Zweitspracherwerbs?
(F2)Gibt es Unterschiede zwischen den sukzessiv bilingualen Kindern und den monolingualen und simultan bilingualen Kindern im fortgeschrittenen Stadium des Wortstellungserwerbs?
(F3)Gibt es Unterschiede zwischen den Urteils- und Produktionsdaten in den einzelnen Gruppen?
(F4)Welchen Einfluss hat das Alter bei Erwerbsbeginn auf den fortgeschrittenen Zweitspracherwerb der Wortstellung?
(F5)Welchen Einfluss haben das Alter zum Testzeitpunkt, die Kontaktdauer und der kumulative Input auf den fortgeschrittenen Zweitspracherwerb der Wortstellung?
(F6)Welcher der vier Faktoren, d.h. das Alter bei Erwerbsbeginn, das Alter zum Testzeitpunkt, die Kontaktdauer oder der kumulative Input, hat den größten Einfluss auf den fortgeschrittenen Zweitspracherwerb der Wortstellung?
(F7)Gibt es Unterschiede zwischen dem fortgeschrittenen Zweitspracherwerb und dem fortgeschrittenen (bilingualen) Erstspracherwerb in Hinblick auf die allgemeine grammatische Kompetenz und die Reaktionszeit?
(F8)Welcher der vier Faktoren, d.h. das Alter bei Erwerbsbeginn, das Alter zum Testzeitpunkt, die Kontaktdauer oder der kumulative Input, hat den größten Einfluss auf die allgemeine grammatische Kompetenz und die Reaktionszeit?
Der Gegenstand und die Ziele der Arbeit spiegeln sich in ihrer Struktur wider. Das zweite Kapitel ist als Einführung in die Entwicklung der kindlichen Zweisprachigkeit im natürlichen Kontext konzipiert und bildet den Bezugsrahmen für die Untersuchung des Zweitspracherwerbs bei Kindern, indem es die relevantesten Begriffe und Themenbereiche beleuchtet. Im dritten Kapitel wird ein linguistisch definiertes Beschreibungsinstrument für die deutsche Wortstellung überblicksartig skizziert, um den Erwerbsgegenstand der untersuchten Kinder zu veranschaulichen. Das vierte Kapitel setzt sich mit dem Altersfaktor beim Erwerb der grundlegenden Wortstellungsmuster im Deutschen auseinander, indem es zuerst allgemein die Kontroverse um altersbedingte Phänomene beim Zweitspracherwerb thematisiert und daran anknüpfend die relevantesten Studien zum Erwerb der deutschen Satzstruktur sowohl bei monolingualen als auch bei bilingualen Kindern unterschiedlichen Alters kritisch referiert. Im Anschluss daran wird der Versuch unternommen, spätere Erwerbsphasen zu erfassen und die in diesen Studien ermittelten Alterseffekte zu erklären. Im fünften und im sechsten Kapitel werden das methodische Vorgehen und die empirischen Daten theorieneutral dargestellt. Erst im siebten Kapitel werden sie vor dem Hintergrund des theoretischen Bezugsrahmens wie auch im Lichte der bereits existierenden Studien diskutiert und interpretiert. Das achte Kapitel hat das Ziel, einige praxisbezogene Schlussfolgerungen zu ziehen und mögliche Implikationen für die sprachliche Diagnostik bilingualer Kinder vorzuschlagen. Das neunte Kapitel zielt schließlich darauf ab, die wichtigsten Befunde kurz zusammenzufassen und einen forschungsorientierten Ausblick zu geben.
In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, die relevantesten Aspekte der kindlichen Zweisprachigkeit aus erwerbstheoretischer Perspektive zu besprechen. Dargestellt werden vor allem diejenigen Themenbereiche, die für den Erwerb der Wortstellung von Belang sind. Angefangen mit dem generativen Ansatz in der Spracherwerbsforschung wird zunächst seine theoretische Fundierung beschrieben, um dann daran anknüpfend auf die Hypothesen des Erst- und Zweitspracherwerbs detaillierter einzugehen. Die Studien, die explizit dem Wortstellungserwerb im Deutschen gewidmet sind, werden hier absichtlich nicht berücksichtigt und erst in Kapitel 4.2 separat behandelt. Als Nächstes werden mögliche Wege zur Zweisprachigkeit im frühen Alter unter besonderer Berücksichtigung der grammatischen Entwicklung diskutiert. Einen wichtigen Teil dieses Kapitels bilden ferner interne und externe Einflussfaktoren auf den kindlichen Zweitspracherwerb, die vor allem in Bezug auf die Entwicklung grammatischer Phänomene besprochen werden. Zentral ist hier die Frage, welcher Faktor die Entwicklung der Syntax bestens zu erklären vermag. Abschließend werden relevante Manifestationen von Spracheneinfluss im syntaktischen Bereich, einschließlich der ihn modulierenden Faktoren, aufgezeigt.
Das generative Paradigma hat die Sprach- und dabei insbesondere die Grammatiktheorie unermesslich stark beeinflusst. Mit der Veröffentlichung seines bahnbrechenden Werkes Syntactic Structures im Jahr 1957 hat Noam Chomsky, der wohl meistzitierte Sprachwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, die Fundamente für die generative Linguistik geschaffen. Auf diese Art und Weise hat sich der Paradigmenwechsel vom Strukturalismus zur generativen Sprachwissenschaft vollzogen:
„Angelpunkt der ganzen Absetzung der Generativen Grammatik von der nicht-generativen Systemlinguistik ist eine fundamental andere sprachtheoretische Grundauffassung vom Gegenstand der Sprachforschung. Die Deskriptivisten fragen nach dem Allgemeinen, dem Regelmäßigen in einem äußerlich vorfindbaren Objekt (Korpus), nach den Typen, Klassen und Regeln einer Einzelsprache wie des Deutschen. Die Frage der Generativisten aber lautet: Was weiß jemand oder hat jemand im Kopf, der eine Sprache, z. B. die deutsche Sprache, beherrscht? Mit dieser Frage wird zum Gegenstand des Sprachwissenschaft eine mentale, eine kognitive Fähigkeit, ein Teil des geistigen Besitzes des Menschen.“ (Linke et al., 2004: 103)
Die Linguistik wird folglich zu einer Teildisziplin der Kognitionswissenschaft und setzt sich als solche zum Ziel, die Sprache als eine kognitive Fähigkeit des Menschen zu untersuchen, der ein Sonderstatus innerhalb der Kognition zuerkannt wird.1 Damit hängt die Modularitätshypothese zusammen, der zufolge der menschliche Geist aus mehreren relativ autonomen Modulen besteht, denen verschiedene kognitive Leistungen zugeordnet werden können (vgl. z. B. Sadownik, 2010: 59). Ein spezielles Modul bildet im generativen Paradigma insbesondere die Syntax, die ein eigenständiges, in sich geschlossenes System von mentalen Repräsentationen bzw. kognitiven Strukturen darstellt, dem eigene Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, welche in keiner anderen Wissensdomäne vorzufinden sind (vgl. Fanselow & Felix, 1990: 66f.).2 Das syntaktische Wissenssystem kann mithin nicht von anderen kognitiven Wissensbeständen abgeleitet werden und bildet daher den wichtigsten Teil der menschlichen Sprachkompetenz. Der Begriff Kompetenz spielt aus generativer Perspektive eine besondere Rolle und wird der Performanz gegenübergestellt. Während die Kompetenz das implizite Sprachwissen umfasst, wird unter Performanz die Anwendung dieses zugrunde liegenden Wissens in konkreten Sprachsituationen verstanden (vgl. Chomsky, 1965: 3).3
Die generative Theorie zielt darauf ab, Antworten auf zwei spezifische Fragestellungen zu liefern: (1) die Frage nach der mentalen Organisation des sprachlichen Wissens im Geist/Gehirn und (2) die Frage nach dem Erwerb dieses Wissens (vgl. Fanselow & Felix, 1990: 7, 15). In Bezug auf die zweite Frage ist die generative Spracherwerbstheorie daran interessiert, universale Gesetzmäßigkeiten beim Erwerb von Sprachstrukturen aufzudecken, zu beschreiben und vor allem zu erklären. Nach Fanselow und Felix (1990: 137) handelt es sich hierbei vor allem um die Aufdeckung universaler Prinzipien, die der Sprachfähigkeit zugrunde liegen und als Teil der Biologie und Kognition des Menschen die Sprachaneignung erst möglich machen. Angestrebt wird eine explanatorische Theorie, die alle Sprachen auf diese fundamentalen Prinzipien zurückführen könnte. Ihre Universalität impliziert die Existenz biogenetisch verankerter Strukturen, die die Klasse natürlicher und erlernbarer Sprachen einschränken würden. Der generative Ansatz ist somit eng an die Idee des Nativismus gekoppelt, nach der bestimmte Fähigkeiten angeboren und von Geburt an im Gehirn verankert sind. Aus erwerbstheoretischer Sicht bedeutet das, dass Kinder mit einem vorprogrammierten sprachlichen Wissen, das den Anfangszustand des Spracherwerbs konstituiert, pränatal ausgestattet sind.4 Chomsky (1986: 3) spricht in diesem Zusammenhang vom angeborenen initial state, dank dem der Spracherwerbsprozess in Gang kommt. Im Widerspruch dazu steht der Empirismus, dem zufolge die Sprache nicht genetisch determiniert, sondern erlernt und erfahrungsabhängig ist (vgl. Rohmann & Aguado, 2002: 263), was zwangsläufig jegliche angeborenen Prädispositionen, die das Kind zum Spracherwerb nutzen würde, infrage stellt, wenn nicht völlig ausschließt. Diese klassische Kontroverse zwischen Nativismus und Empirismus wird in der Fachliteratur als Nature-Nurture-Dichotomie bezeichnet und kann mit der Entstehung der modernen Spracherwerbsforschung in Verbindung gebracht werden. Es ist jedoch mit Wode (1993: 53f.) hervorzuheben, dass man nicht mehr darüber diskutieren sollte, ob etwas angeboren ist, sondern vielmehr wie viel und was.
Die im Rahmen der generativen Grammatik entwickelte Konzeption der Sprache ist jedoch nicht die einzige.5 Es gibt zahlreiche, zum Teil recht unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Sprache zu beschreiben und zu erklären ist. Aus soziolinguistischer Perspektive wird sie z. B. als Bedingung und zugleich als Produkt des sozialen Lebens und nicht außerhalb desselben verstanden (vgl. Coulmas, 1997: 1ff.). Funktional gesehen kann sie wiederum als kommunikatives Instrument definiert werden, mit dem verschiedene kommunikative Ziele erreicht werden (vgl. Schwarz-Friesel, 2013: 22f.). Die Art und Weise, wie man Sprache definiert, determiniert die Herangehensweise an den Spracherwerb. In der vorliegenden Arbeit wird erstens davon ausgegangen, dass Sprache keine externe Entität ist; sie wird als reine Struktur bestimmter Funktionen des menschlichen Gehirns verstanden, die eine nicht-materielle Struktur aufweist und sehr tief im Menschen verankert ist (F. Grucza, 1993a, 1993b; vgl. auch S. Grucza, 2010). Zweitens wird angenommen, dass sie ein modulares System von mentalen Repräsentationen darstellt, wobei der Syntaxautonomie besondere Bedeutung eingeräumt wird. Der Erwerb des syntaktischen Wissens wird als ein relativ autonomer Prozess aufgefasst, der sich zum Teil unabhängig von der kognitiven Entwicklung des Kindes vollzieht. In den darauffolgenden Subkapiteln wird auf die generativen Erklärungsmodelle in Hinblick auf den Erst- und Zweitspracherwerb eingegangen.
Der Erstspracherwerb ist ohne Zweifel eine der komplexesten und faszinierendsten kognitiven Leistungen des Menschen. Schon ungefähr zwischen dem fünften und dem neunten Lebensmonat sind Kinder normalerweise imstande, Phrasenstrukturgrenzen zu erkennen. Im zweiten Lebensjahr tauchen in ihrer Sprache in der Regel erste Mehrwortäußerungen und Umstellungen der Satzgliedreihenfolge auf (vgl. Philippi & Tewes, 2010: 19).
Erstaunlich ist insbesondere, dass alle Kinder, bis auf einige wenige Einzelfälle1, in der Lage sind, trotz unzureichender Evidenz ein so komplexes System wie die Grammatik einer natürlichen Sprache zu erwerben. Das Sprachmaterial, das Kindern zur Verfügung steht, ist nicht nur unvollständig und fehlerhaft, sondern vor allem zu wenig, als dass die grammatische Kompetenz allein auf seiner Basis aufgebaut werden könnte. Dieses logische Problem des Spracherwerbs wird innerhalb der Linguistik als Spezialfall von Platons Problem2 aufgefasst:
„For many years, I have been intrigued by two problems concerning human language. The first is the problem of explaining how we can know so much given that we have such limited evidence. (…) The first problem we may call Plato’s problem.“ (Chomsky, 1986: XXV)
Der sprachliche Input, der von Kindern aufgenommen wird, ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unterdeterminiert, weil er – im Gegensatz zum von Kindern erworbenen Wissen, das aus Regeln und Prinzipien zusammengesetzt ist – aus konkreten Äußerungen besteht, die nur als ein kleiner Ausschnitt der in einer Sprache möglichen Sätze zu betrachten sind. Darüber hinaus vollzieht sich der Erwerb des grammatischen Wissens allein auf der Grundlage positiver Evidenz, d. h. Kinder bekommen keinen Aufschluss darüber, welche Strukturen in ihrer Sprache ungrammatisch sind. Die Eltern konzentrieren sich eher auf den Inhalt einer Äußerung und lassen die grammatische Korrektheit außer Acht. Wenn sie aber doch grammatische Korrekturen vornehmen, werden sie von Kindern kaum beachtet (vgl. z. B. Pinker, 1984: 29). Das Problem der qualitativen und quantitativen Unterdeterminiertheit des grammatischen Wissens von Kindern durch die ihnen verfügbare Evidenz wird im Rahmen des generativen Ansatzes durch einen Verweis auf ein angeborenes, genetisch determiniertes Sprachprogramm gelöst.
Es besteht eine Reihe von Argumenten, die die Annahme eines angeborenen sprachlichen Wissens kräftig unterstützen, darunter der Spracherwerb bei sprachlich-sozialer Isolation. Ein klassischer Fall ist das „wilde“ Mädchen Genie, das seine Kindheit bis zum 13. Lebensjahr in völliger Abgeschlossenheit verbracht hat und deswegen keinerlei Kontakt mit der Sprache hatte. Trotz zahlreicher Fortschritte in der kognitiven Entwicklung, z. B. in der visuell-räumlichen Perzeption, war sie nicht imstande, das syntaktische und morphologische Wissen ihrer Muttersprache zu erwerben. Zwar hat Genie ein relativ komplexes Lexikon aufgebaut, wodurch sie mit der Zeit Mehrwortäußerungen produzieren konnte, sie waren aber immer noch ungrammatisch (vgl. Klann-Delius, 2016: 67).
Ein weiterer Beweis für die Existenz angeborener Prädispositionen liefern die Pidgin- und Kreolsprachen. Als Pidgin wird ein meist vor dem Hintergrund der Migration entstandenes Kommunikationssystem bezeichnet, das infolge des Kontaktes zwischen Sprechern verschiedener Sprachen herausgebildet wird und sich durch vereinfachte grammatische Strukturen sowie ein schlichtes Vokabular charakterisiert. Wenn ein Pidgin zu einer Muttersprache der nächsten Generationen wird, handelt es sich dann um eine Kreolsprache. Obschon sie auf der Basis einer stark reduzierten Sprachform entsteht, ist sie komplex und weist universale Struktureigenschaften auf. Darüber hinaus entstammen manche ihrer Eigenschaften weder der Muttersprache der Eltern noch der Umgebungssprache. Dies hat Bickerton (1981) dazu veranlasst, die universalistische These zu formulieren, welche besagt, dass den Pidginsprachen ein Bioprogramm von Sprache zugrunde liegt. Die Markierung von Tempus, Modus und Aspekt durch Partikeln vor dem Verb kann als eine universale Tendenz in Kreolsprachen angesehen werden (vgl. z.B. Riehl, 2014b: 126).
Eine Spracherwerbstheorie, die von einer angeborenen Grundausstattung ausgeht, muss den Anfangszustand der Sprachfähigkeit charakterisieren können. Nach Grewendorf (2002a: 12) müssen linguistische Hypothesen über den Anfangszustand folgenden Ansprüchen gerecht werden:
Eine Hypothese über den Anfangszustand muss restriktiv genug sein, um als Lösung für die linguistische Version von Platons Problem zu überzeugen.
Eine Hypothese über den Anfangszustand muss liberal genug sein, um mit der Verschiedenheit natürlich-sprachlicher Grammatiken kompatibel zu sein.
Eine Hypothese über den Anfangszustand muss es erlauben, den Erwerb einer einzelsprachlichen Grammatik aus der Interaktion von Anfangszustand und sprachlichem Input des Kindes zu erklären.
Diese Bedingungen gehen in der Prinzipien- und Parameter-Theorie (PPT) von Chomsky (1981, 1986) in Erfüllung, die den eigentlichen Anfang eines universalgrammatischen Ansatzes markiert und infolge ihrer großen Erklärungskraft und damit einhergehender Erfolge als zweite kognitive Revolution bezeichnet wird (vgl. Grewendorf, 2002a: 7). Die PPT kann als Beschreibung der Universalgrammatik (UG) in Form von universalen Prinzipien angesehen werden. Als Anfangszustand des Spracherwerbs determinieren sie die zielsprachliche Grammatik, also den Endzustand des Spracherwerbs. Die Prinzipien sind deswegen universal, weil sie allen Sprachen der Welt zugrunde liegen. Als Beispiel kann hier das Prinzip dienen, dass Nomina durch Adjektive modifiziert werden können (vgl. Philippi & Tewes, 2010: 26). Die Stellung des Adjektivs ist aber sprachspezifisch, worüber die Parameter entscheiden, die für einzelsprachliche Variationen zuständig sind. Sie nehmen auf der Grundlage des zielsprachlichen Inputs verschiedene Werte an, die anfangs noch unspezifiziert sind. Die Festlegung der Werte in Abhängigkeit von der Einzelsprache wird als Fixieren von Paramatern bezeichnet. Dafür braucht ein Kind nur einfache Inputdaten, was das logische Problem des Spracherwerbs lösen lässt. Ein weiteres Prinzip kann das Wissen um die universalen Merkmale der Phrasenstruktur, d. h. das X-bar-Schema sein. Parametrisiert ist jedoch die Position des Phrasenkopfes, die festgelegt werden muss (vgl. Chomsky, 1981: 48f.).
Die einzelsprachlichen Regularitäten, die aus den Prinzipien und Parametern der Universalgrammatik abgeleitet werden können, machen den Kernbereich der Sprache aus, wohingegen die restlichen sprachlichen Aspekte, die erlernt werden müssen, zur Peripherie gehören. Rothweiler (1993: 140) weist beispielsweise darauf hin, dass sich der Erwerb von Nebensätzen im Deutschen teils parametrisiert, teils peripherisch vollziehen kann. Dabei muss einerseits ein rein kerngrammatisches Wissen über Rektion, Kongruenz und Genuszuweisung auf eine neue Struktur übertragen werden; andererseits spielt auch die Erweiterung des kindlichen Lexikons eine bedeutsame Rolle. Die Universalgrammatik ist modular aufgebaut, d. h. die Prinzipien sind spezifischen Modulen zuzuordnen, die zusammenwirken und damit für die grammatische Kompetenz konstitutiv sind (vgl. Grewendorf, 2002a: 13). In der PPT werden zwei Gruppen von Subkomponenten angenommen: (1) Module der Grammatik und (2) Subsysteme der Prinzipien:3
„UG consists of interacting subsystems, which can be considered from various points of view. From one point of view, these are the various subcomponents of the rule system of grammar. From another point of view, which has become increasingly important in recent years, we can isolate subsystems of principles.“ (Chomsky, 1981: 5)
In der PPT spielt die Unterscheidung zwischen funktionalen und lexikalischen Kategorien eine Schlüsselrolle. Zu den lexikalischen Kategorien gehören: N(omen), V(erb), A(djektiv) und P(räposition). Sie haben einen deskriptiven/semantischen Inhalt und bilden eine offene Klasse, die ständig erweitert werden kann. Zu den funktionalen Kategorien werden im nominalen Bereich D(eterminant) und N(umerus), im verbalen Bereich hingegen C(omplementierer), AGR(eement) und T(empus) zugerechnet. Sie erfüllen grammatische Funktionen und stellen eine Menge von abstrakten formalen Merkmalen dar. Nur die funktionalen Kategorien sind parametrisiert, was zur Folge hat, dass Unterschiede zwischen einzelnen Sprachen auf unterschiedliche Merkmale der funktionalen Kategorien zurückzuführen sind. Die lexikalischen Kategorien werden vom Kind früher erworben als die funktionalen (vgl. Parodi, 1998: 14; Schmitz, 2006: 16).
Für die vorliegende Arbeit sind nun folgende zwei Parameter relevant, die mit dem Aufbau der Satzstruktur in der deutschen Sprache zusammenhängen: der V2-Parameter (Platzack, 1983; Koopman, 1984; vgl. auch Slabakova, 2016: 224) und der OV/VO-Parameter4 (Neeleman, 1994; vgl. auch N. Müller, 1998). Der Erstere wird im Deutschen auf den Wert [+V2] fixiert, was dazu führt, dass das finite Verb im Hauptsatz obligatorisch in die zweite Position bewegt wird. Der V2-Parameter ist auch mit dem Erwerb der Negationsstellung verbunden (vgl. Kapitel 4.2.1). Der Letztere legt die Kopfstellung in der Verbalphrase fest und bezieht sich auf die interne Struktur des Satzes. Das Deutsche wird als eine OV-Sprache klassifiziert, weil sich das direkte Objekt sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen vor dem infiniten Verbteil befindet. Das Polnische dagegen ist keine V2-Sprache und weist die VO-Abfolge auf, weil die VP im Gegensatz zum Deutschen linksköpfig ist (vgl. Mecner, 2005: 130–138).5
Dabei gilt es zu fragen, wie diese Parameter festgelegt werden. Im Rahmen des generativen Ansatzes wird das Fixieren von Parametern als ein kognitiver Prozess beschrieben, der aufgrund von Triggering zustande kommt (vgl. Meisel, 2011: 52). Das Festlegen von den für die Einzelsprachen geltenden Werte wird demnach durch den Input getriggert.6 Dieser Prozess geschieht schnell und nur aufgrund einfacher Inputdaten. Die Vorkommenshäufigkeit und Salienz der relevanten Strukturen im Input sollen dabei eine untergeordnete Rolle spielen. Damit aber das Kind nötige Informationen aus dem Input extrahiert, muss zuerst eine Reihe von quantitativen wie auch qualitativen Vorbedingungen erfüllt werden. Sie können aber leider im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden.7
Die generative Sprachtheorie wurde im Laufe der Zeit mehreren Revisionen unterzogen, wozu eine systematische Forschungstätigkeit beigetragen hat. Viele theoretische Annahmen haben sich als insuffizient erwiesen, um das Phänomen des Spracherwerbs adäquat zu explizieren; infolgedessen wurde auch die PPT stark modifiziert, was zur Entstehung des Minimalistischen Programms (Chomsky, 1995) geführt hat.8 In Hinblick auf die in der PPT eingeführte Konzeption der Parameter wird im Rahmen des Minimalistischen Programms angenommen, so Möhring (2005: 56), dass Parametrisierungen einerseits nur auf formale Merkmale, andererseits auf das Verhältnis zwischen Morphologie und Syntax zurückzuführen sind. Da diese Modifikationen für die vorliegende Studie nicht von großer Relevanz sind, werden sie nicht näher behandelt.
Eine der fundamentalen Fragen in der generativen Erstspracherwerbsforschung ist, wann universale Prinzipien in die mentale Grammatik des Kindes implementiert werden. Als Antwort bieten sich zunächst zwei sich zuwiderlaufende Hypothesen an: die Reifungshypothese (Felix, 1984, 1992; Borer & Wexler, 1987) und die Kontinuitätshypothese (Pinker, 1984).9 Im Rahmen der Reifungshypothese wird argumentiert, dass die universalgrammatischen Prinzipien nach einem genetisch vorprogrammierten Reifungsschema erst später im Spracherwerb in Kraft treten (Felix, 1984: 142). Die Entfaltung der universalen Prinzipien kann dieser Hypothese zufolge mit der Reifung des Gehirns gleichgesetzt werden, wobei die Bedeutung der Umgebung wesentlich geschmälert wird:
„Like any other instance of biological maturation, the principles take time to develop, but the particular character of experience during this time is not what makes the principles develop.“ (Borer & Wexler, 1987: 124)
Nach der Reifungshypothese (Felix, 1984, 1992; Borer & Wexler, 1987) geht der Syntaxerwerb somit mit dem Heranreifen kognitiver Fähigkeiten des Kindes einher, deswegen werden zunächst einfache Strukturen in die mentale Grammatik inkorporiert. Die mentale Grammatik kann laut Möhring (2004: 13) aus diesem Grund anfangs noch nicht UG-konform sein, denn es bedarf Zeit, damit die universalen Prinzipien im Gehirn heranreifen. Zwar liefert der Ansatz eine Erklärung dafür, warum bestimmte Parameter zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt werden, sie kann aber keinen Aufschluss über die interne Logik des Spracherwerbs geben. Die Kontinuitätshypothese (Pinker, 1984) geht demgegenüber davon aus, dass in der Kindersprache die gleichen Kategorien und Relationen auftreten wie in der Sprache von Erwachsenen. Der Spracherwerb verläuft in einer Reihe aufeinanderfolgender Stadien, die jeweils durch die Universalgrammatik restringiert sind. Der Übergang von einer Erwerbsstufe in die nächste erfolgt aufgrund von Informationen, die das Kind den gehörten und verarbeiteten Äußerungen entnimmt.
Wenn das universalgrammatische Wissen dem Kind von Anfang an zur Verfügung steht, ist zu fragen, warum sich die grammatische Kompetenz eines Kindes von der eines Erwachsenen unterscheidet. Als Lösungsvorschlag kann z. B. die Hypothese des lexikalischen Lernens (z. B. Clahsen, 1988a) angesehen werden, nach der der Erwerb lexikalischer Elemente als Trigger für die Ingangsetzung der universalgrammatischen Prinzipien und für das Fixieren offener Parameter fungiert; der Grammatikerwerb hängt danach mit dem sukzessiven Lexikonzuwachs zusammen (vgl. Clahsen, 1988a: 246). Das kommt laut neueren generativen Theorien des mentalen Lexikons daher, dass ein Lexem nicht nur aus Informationen über die Lautstruktur und Bedeutung besteht, sondern auch morphosyntaktisches Wissen umfasst (vgl. Siebert-Ott, 2001: 45f.).
Eine andere Lösung liefert die Strukturaufbauhypothese (Guilfoyle & Noonan, 1992). Sie nimmt an, dass Kinder anfangs nur lexikalische Kategorien anwenden und funktionale Kategorien erst sukzessiv erwerben. Die Struktur der Kindersprache wächst allmählich heran, wobei jede Stufe des Spracherwerbs von universellen Prinzipien eingeschränkt ist, wodurch die kindliche Grammatik immer mit der Universalgrammatik übereinstimmt. Die Strukturaufbauhypothese setzt somit keine Rekonstruierung der Grammatik, sondern vielmehr ihre sukzessive Ergänzung um neue Struktureinheiten voraus. In Hinblick auf die Wortstellung zeigen die Autoren, dass Kindern zuerst nur lexikalische Kategorien zugänglich sind, funktionale Kategorien, z. B. Kongruenz und Flexion, hingegen erst später erworben werden. Angesichts der Erkenntnis, dass der Erstspracherwerb in einer Reihe von geordneten Phasen verläuft, und dass der Erwerb verschiedener Phänomene zeitlich zusammenfällt, scheint die Strukturaufbauhypothese überzeugender zu sein.10 Es ist aber nach Verrips (1990: 20) zu konstatieren, dass keine der beiden Extrempositionen, mit der Reifungshypothese auf der einen Seite und der Kontinuitätshypothese auf der anderen Seite, unkritisch annehmbar ist. Den Spracherwerb hat man sich vielmehr als Interaktion zwischen Maturation und Lernen vorzustellen.
Man darf nicht vergessen, dass es auch andere Erstspracherwerbsansätze gibt, darunter vor allem interaktionistische und kognitivistische, aber auch die in letzter Zeit gefragten gebrauchsbasierten Theorien. Sie betonen jeweils andere Faktoren, z. B. den großen Einfluss der Interaktion mit der Umgebung auf den Erfolg beim Spracherwerb im Falle des Interaktionismus oder die Rolle der allgemein-kognitiven Fähigkeiten bzw. Intelligenz im Falle des Kognitivismus (vgl. z. B. Klann-Delius, 2016). Allerdings haben sie der Forschung zum Wortstellungserwerb aus mehreren Gründen wenig anzubieten und werden daher in diesem Rahmen nicht miteinbezogen.11
Aus dem Vorangegangenen ist ersichtlich, dass der generative Ansatz schlagkräftige Antworten auf Fragen liefert, mit denen sich die Spracherwerbsforscher seit Langem auseinandersetzen. Er erfreut sich der längsten Forschungstradition, was zur Folge hat, dass er zahlreiche Erstspracherwerbshypothesen hervorgebracht hat, die zur Klärung der sprachlichen Entwicklung maßgeblich beigetragen haben. Der generative Ansatz hat nicht zuletzt die Erstspracherwerbsforschung revolutioniert und erschüttert, wodurch alternative Theorien ausgearbeitet wurden, die Chomskys Annahmen oft vervollkommnen oder aber infrage stellen wollen.
Der Zweitspracherwerb ist im Vergleich zum Erstspracherwerb kein einheitliches Phänomen, weil der Weg zur Beherrschung einer zweiten Sprache in Abhängigkeit von diversen internen und externen Faktoren verschiedene Formen annehmen kann. So betont Meisel (2008: 56f.): „L1 and L2 are fundamentally different, meaning that the two types of learners acquire qualitatively different types of linguistic knowledge“. In der Fachliteratur herrscht Übereinstimmung darüber, dass sich die Prozesse des Erst- und Zweitspracherwerbs in vielen wesentlichen Punkten voneinander unterscheiden. Da die L1/L2-Divergenzen in Hinblick auf alle Subsysteme und Fertigkeiten erforscht werden können, stellen sie einen enorm komplexen Problembereich dar.1 Dennoch lassen sich einige übergreifende Unterschiede zwischen dem Erst- und Zweitspracherwerb spezifizieren, von denen die meisten Forscher ausgehen (vgl. Meisel, 2008: 57):
Anfangszustand des Spracherwerbs (initial state): Die Äußerungen der Zweitsprachlerner sind länger, möglicherweise komplexer und enthalten funktionale Kategorien.
Erwerbsverlauf (course of acquisition): Sowohl der Erstspracherwerb als auch der Zweitspracherwerb sind durch invariante Entwicklungssequenzen gekennzeichnet, die jedoch nicht identisch sind.
Schnelligkeit des Spracherwerbs (rate of acquisition): Die Erstsprache wird schneller erworben als die Zweitsprache.
Einheitlichkeit des Spracherwerbs (uniformity): Beim Zweitspracherwerb ist eine stärkere Variation sowohl auf der interindividuellen als auch auf der individuellen Ebene zu beobachten.
Endzustand des Spracherwerbs (ultimate attainment): Im Gegensatz zu einsprachigen Kindern erreichen wenige (oder keine) Zweitsprachlerner muttersprachliches Niveau.2
Der unterschiedliche Anfangszustand beim Zweitspracherwerb hat mindestens zwei Ursachen: Erstens ist das zur Verfügung stehende Wissen am Anfang des Erwerbsprozesses grundsätzlich ein anderes, weil die Zweitsprachlerner auf ihre Erstsprache zugreifen können; zweitens schaffen die bei ihnen weiter entwickelten kognitiven Fähigkeiten mehr Möglichkeiten beim Lernen, Speichern und Verarbeiten von Sprache (vgl. Meisel, 2007a: 99). Die Tatsache, dass der Ausgangspunkt des Zweitspracherwerbs von dem des Erstspracherwerbs divergiert, muss notwendigerweise auch den Erwerbsverlauf beeinflussen, weil „ein gleiches Ziel von unterschiedlichen Startpunkten aus nicht auf gleichem Weg erreicht werden kann“ (Meisel, 2007a: 99). Die aufgelisteten Unterschiede können sicherlich auch dadurch erklärt werden, dass der Zugang zur Universalgrammatik beim Zweitspracherwerb nur teilweise oder gar nicht möglich ist (vgl. Kapitel 4.3.1). Die meisten dieser Variationen werden im Rahmen des generativen Ansatzes einleuchtend erklärt. Er ermöglicht es auch, präzise Hypothesen über den Zweitspracherwerb aufzustellen und zu verifizieren.3
Im Mittelpunkt der generativen Zweitspracherwerbsforschung stand schon immer die Frage, wie das grammatische Wissenssystem einer Zweitsprache zu Beginn und im Verlauf des Erwerbs beschrieben und erklärt werden kann (vgl. z. B. Rothman & Slabakova, 2018: 419). Dabei wird, genauso wie im Falle des Erstspracherwerbs, auf die Universalgrammatik zurückgegriffen. Daraus resultiert die Kontroverse um den Anfangszustand des Zweitspracherwerbs, also die Frage, inwieweit das universalgrammatische Wissen die Entwicklung der Zweitsprache steuert. Zahlreiche Studien zeigen, dass L2-Grammatiken tatsächlich von der Universalgrammatik beeinflusst werden können:
„Die L2-Grammatiken weisen Eigenschaften auf, die nicht dem L2-Input, der Erstsprache der Lerner, dem Lehrverfahren, dem expliziten Lernen oder allgemeinen kognitiven Fähigkeiten entstammen können und für die nur eine Erklärung innerhalb der UG vorgelegt worden ist.“ (Sopata, 2009: 89)
Betroffen sind aber nicht zufällige Aspekte der Zweitsprache, sondern Parameter, die dank dem Input fixiert werden. Dies hat zur Folge, dass die Variabilität der L2-Grammatiken eingeschränkt ist. Im Rahmen des generativen Ansatzes wird ferner untersucht, auf welche Art und Weise die universalen Prinzipien die Entwicklung der Zweitsprache beeinflussen und inwieweit (wenn überhaupt) sich die Struktur der Erstsprache auf die L2-Grammatik auswirkt, wobei hauptsächlich funktionale Kategorien anvisiert werden. Während sich die meisten Forscher darüber einig sind, dass die Zweitsprachlerner die universalen Prinzipien zur Verfügung haben, vertreten sie jedoch unterschiedliche Meinungen bezüglich des Erwerbs von Merkmalen der funktionalen Kategorien (vgl. Sopata, 2009: 90). Dies ist insofern wichtig, als verschiedene Merkmale der funktionalen Kategorien unterschiedliche Phänomene in den einzelnen Sprachen, z. B. unterschiedliche Wortstellungsregularitäten, nach sich ziehen.
Die Hypothesen zum Anfangszustand des Zweitspracherwerbs differieren in Abhängigkeit davon, wie sie den Einfluss der Erstsprache und den Zugang zur Universalgrammatik auffassen:
„One source is the native grammar, and how much of it constitutes the initial hypothesis for the L2 grammar. Full transfer, partial transfer, and no transfer were all proposed. The other possible source of knowledge, relevant for later stages of acquisition beyond the initial state, was access to UG, based on the L2 linguistic experience. Thus, full access, partial access, and no accessto UG were discussed.“ (Slabakova, 2016: 2016)
Ein voller Zugang zur Erstsprache und zur Universalgrammatik wird in der vielzitierten Full Transfer/Full Access Hypothesis von Schwartz und Sprouse (1994, 1996) angenommen. Der Initialzustand des Zweitspracherwerbs wird hiernach durch die volle L1-Grammatik mit allen L1-Parameterwerten konstituiert, die sozusagen kopiert werden, ohne das Original zu modifizieren. Die mentale Repräsentation der Lernersprache beinhaltet von Anfang an funktionale Kategorien und ihre Merkmale. Der Transfer betrifft die zugrunde liegenden Strukturen und Parameterwerte der Erstsprache, weshalb sich die frühen Stadien des Zweitspracherwerbs nicht unbedingt an der Oberfläche der Erstsprache orientieren müssen. Wenn die übernommenen L1-Repräsentationen mit dem L2-Input nicht kompatibel sind, wird auf die UG-Optionen zurückgegriffen, die in der Erstsprache nicht vorhanden sind. Die Interimssprache4 ist somit stets durch die Universalgrammatik restringiert, was aber nicht bedeutet, dass sie sich in späteren Phasen zur vollen Grammatik der Zielsprache entwickeln muss. Die der Zweitsprache nicht entsprechenden Grammatiken sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die Eigenschaften der Erstsprache zu einer Inputanalyse führen, die von der Inputanalyse der L2-Muttersprachler abweicht (vgl. auch White, 2003: 68). Das Erreichen der zielsprachlichen L2-Grammatik ist dieser Hypothese zufolge „possible but not inevitable“ (White, 2003: 94).
Die Full Transfer/Full Access Hypothesis von Schwartz und Sprouse (1994, 1996) wird von Westergaard et al. (2019) einer Kritik unterzogen und durch das Full Transfer Potential ersetzt. Nach diesem Konzept bildet die Erstsprache zwar den Initialzustand des Zweitspracherwerbs, jedoch nur in dem Sinne, dass sie immer aktiv bleibt; sie wird nicht als Ganzes übernommen bzw. kopiert. Potenziell können alle L1-Eigenschaften transferiert werden, dies darf aber nur schrittweise geschehen (property-by-property transfer