Der Blick, den wir riskieren - Phillippa Penn - E-Book

Der Blick, den wir riskieren E-Book

Phillippa Penn

5,0

Beschreibung

"Ich bleibe dein Geheimnis und du meins. Für mich wird das vermutlich sogar leichter als für dich." "Was soll das jetzt wieder heißen?" "Magier lieben Geheimnisse, Dahlia. Weißt du das denn nicht?" Kein Anbandeln mit Gästen. Das ist die eine Regel, die es im Eulenspiegel, der etwas heruntergekommenen Kneipe von Dahlias Onkel, gibt. Und die 24-Jährige hält sich daran! Denn obwohl die Gaststätte rote Zahlen schreibt, hofft sie, den Familienbetrieb eines Tages zu übernehmen. Wenn da nicht Magnus wäre ... Kaum ist er in ihrer Kleinstadt angekommen, verdreht er Dahlia mit seinem Lächeln und seinen Kartentricks den Kopf. Nach einem Flirt findet sich die angehende Wirtin in seinem Bett wieder. Als wäre ein One-Night-Stand mit einem Kneipengast nicht schon schlimm genug, muss sie erkennen, dass Magnus nicht der mittellose Zauberkünstler ist, für den sie ihn gehalten hat. War jeder Blick, jedes Wort und jeder Kuss von ihm nur eine Illusion? Oder stecken hinter der charmanten Täuschung doch echte Gefühle?

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Seitenzahl: 170

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Über die Autorin

Phillippa Penn lebt mit ihrem Mann in einem Blockhaus, umgeben von einem bunt blühenden Garten. Wenn sie nicht gerade einen ausgedehnten Spaziergang macht, kann man sie mit einer dampfenden Tasse Kaffee am Schreibtisch erwischen. Zwei Jugendromane und drei Romanzen für Erwachsene hat sie dort schon verfasst. Mit Der Blick, den wir riskieren legt sie ihr fünftes Buch vor.

Erfahre hier mehr über Phillippa:instagram.com/phillippapennphillippapenn.de

Für alle, die im Leben zaubern müssen.

Für alle, die hinter die Illusion sehen.

Über dieses Buch

Vielen Dank, dass du Der Blick, den wir riskieren liest! Dieser romantische Kurzroman soll ein Wohlfühlbuch für eine breite Leserschaft sein. Gleichzeitig ist mir als Autorin bewusst, dass sich nicht alle Menschen mit den gleichen Inhalten wohlfühlen.

Um dein Leseerlebnis so angenehm wie möglich zu gestalten, folgt hier deswegen der Hinweis auf potenziell belastende Themen:

Konsum von alkoholischen Getränken

Anzüglichkeiten

Kraftausdrücke

einvernehmliche, intime Momente

Verlust, Konflikt und Entfremdung (in der Familie)

Existenzängste

Diese Liste wurde nach bestem Wissen und Gewissen erstellt; sie erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Ich wünsche dir angenehme Lesestunden! Deine Phillippa

Inhaltsverzeichnis

Prolog – Tricks und Drinks

Bernstein

Regeln und Reue

Ein falscher Gast

H wie Heuchelei

Vermutungen

Snacks und Sorgen

Ein freier Abend

Showeinlagen

M wie Magie

Herzschläge

Schuld und Pflicht

Schauer

Ein gestohlener Traum

E wie Erinnerung

Funken und Fehltritte

Väter

Ein neues Konzept

Epilog – Dahlien

Prolog – Tricks und Drinks

„Bereit für die letzte Runde?“

Ich weiß nicht, warum ich bei der Frage an meinem dunklen Haar herumspiele. Es ist albern. Genauso wie das Lächeln, das ich meinem einzigen verbliebenen Gast zuwerfe.

Er lässt die Karten, die über seine Finger tanzen, als hätten sie ein Eigenleben, auf den Tisch fallen. Mit einer flinken Bewegung fasst er sie zu einem ordentlichen Stapel zusammen. Seine Augen, mehr golden als braun, flackern zu mir. Ich schlucke nervös, aber da wandert sein Blick schon weiter. Über seine Schulter und durch den leeren Gastraum.

„Oh.“ Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, rückt die Sommersprossen auf den Wangen näher aneinander. „Ihr schließt?“

„M-hm.“ Ich nicke.

Eigentlich haben wir schon geschlossen. Onkel Willi hat vor einer guten Stunde die Theke aufgeräumt, das Licht der kleinen Leuchtreklame im Fenster gelöscht und mich gebeten, den letzten Tisch abzukassieren, bevor er sich in die Wohnung über der Kneipe zurückgezogen hat.

Ich hätte ihm längst folgen sollen. Längst oben in meinem Bett liegen sollen. Aber ich wollte diesen neuen Gast nicht stören, ihn nicht vertreiben.

Ich wollte ihm noch ein wenig dabei zusehen, wie er am Tisch in der Ecke sitzt und seine Kartentricks übt.

Ich weiß nicht, ob man das, was er da macht, schon Zauberkunst nennt. Aber soweit ich das beurteilen kann, beherrscht er sie gut. Auch wenn er hin und wieder mitten in der Bewegung innehält, die Karten frustriert ablegt und sich die roten Haare rauft.

Eigentlich sind die Momente, in denen er sich verzettelt, sogar die besten. Denn dann nippt er an seinem Glas und wenn er es austrinkt, sucht er meinen Blick und winkt mich zu sich.

Er hat mit Cola angefangen. Nach zwei Softdrinks hat er eine Mischung mit Jack Daniels bestellt. Und dann hat er mich nach einem „Whisky pur“ gefragt und ich habe ihm heimlich etwas von unserem besten Tropfen gegeben, den Onkel Willi für besondere Anlässe aufhebt.

Ich glaube, er hat geschmeckt, dass ich ihm keinen 0815-Bourbon serviert habe. Er hat danach eine Zwei-Euro-Münze hinter meinem Ohr hervorgezaubert und … na ja, ich hatte noch nie Herzklopfen wegen zwei Euro Trinkgeld.

„Letzte Runde heißt also …“ Er sieht mich an und holt mich damit in den Moment zurück. „Ein Getränk kriege ich noch?“

Ich neige den Kopf, ehe ich mich davon abhalten kann. Es ist peinlich, wie übereifrig ich bin. Als wäre ich eine Aushilfskellnerin, die zum ersten Mal einen gut aussehenden Typen bedient – und nicht die vierundzwanzigjährige Nichte des Chefs, die den Kneipenbetrieb besser als alles andere kennt.

Ich sollte ihn einfach abkassieren. Ihm einfach die Rechnung hinlegen und den Laden für heute dichtmachen, aber … was wenn er nie wiederkommt?

Was, wenn dieser Typ nur einen Zwischenstopp in diesem Nest von einer Stadt macht?

Ich möchte irgendwie noch nicht, dass er geht …

„Gut, dann …“ Er leert sein Whiskyglas und hält es mir hin. „Bring mir doch etwas, das du selbst gern trinkst.“ Für einen kleinen Moment erscheint mir sein selbstsicheres Lächeln auch eine Spur nervös. „Vielleicht gleich zwei Gläser, damit du dich zu mir setzen kannst?“

Meine Wangen werden warm. „Du willst mit mir eine Limo trinken?“, frage ich und unterdrücke das Kichern, das mir dabei herausrutschen will.

„Limonade?“ Er lehnt sich in seinem Sitz zurück. „Trinkst du keinen Alkohol?“

„Doch. Manchmal.“ Ich zucke mit den Schultern. „Aber nicht in unserer eigenen Kneipe.“

„Verstehe.“ Er fährt sich mit der Hand übers Kinn. „Zitrone oder Orange?“

„Ähm, wir haben beides da.“ Automatisch greife ich nach der Getränkekarte, die auf dem Tisch liegt, um die entsprechende Seite im Menü aufzuschlagen. „Und auch sowas wie Ginger-Ale oder Tonic …“

Er legt sachte eine Hand auf meine. Die Berührung prickelt über meinen Handrücken meinen Arm hinauf.

„Ich will aber nicht wissen, was ihr da habt“, sagt er freundlich. „Ich will wissen, was du gern trinkst. Welche Sorte magst du am liebsten?“

„Ach so.“ Ich räuspere mich und spüre die Röte, die mein Gesicht jetzt zum Glühen bringt. „Ähm … Orange.“

„Tatsächlich?“ Er zieht seine Finger zurück. „Du gehörst also nicht zur Fraktion Sauer-macht-lustig?“

„Nein.“ Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu grinsen. „Man muss sich schon ein bisschen mehr anstrengen, um mich zum Lachen zu bringen. Ein Getränk reicht da nicht.“

Er fährt sich durch sein Haar. „Ist das eine Herausforderung?“

„Vielleicht“, sage ich und riskiere einen kurzen Blick in seine Augen. Im warmen Licht der Tischleuchte glänzen sie wie Bernstein.

Er zwinkert mir zu. „Dann werde ich mir mal Mühe geben.“

1 – Bernstein

Dass es ein Fehler war, weiß ich in dem Moment, in dem ich die Augen öffne. Ich blinzele gegen das hereinfallende Licht der Morgensonne, doch es ist nicht ihr Blenden, das mich geweckt hat.

Nein.

Es ist dieser durchdringende Blick aus zwei hellbraunen Augen. Bernsteinaugen. Whiskyaugen. Augen, die mich jetzt gerade, in diesem Moment, nicht ansehen sollten, denn …

Ich sollte gar nicht hier sein.

Nicht in diesem Bett.

Nicht neben diesem Mann.

„Guten Morgen, Schönheit“, sagen die Lippen, die zu den Augen gehören.

Und ein Ruck geht durch meinen Körper.

Bevor mich die Hand, die er nach mir ausstreckt, berühren kann, bewege ich mich rückwärts. Meine Beine verheddern sich in der dünnen Bettdecke und ich falle mitsamt dem Laken von der Matratze.

„Au“, fluche ich und halte mir den Kopf. Der Hartholzboden wird seinem Namen gerecht.

„Bist du okay?“ Er beugt sich über die Bettkante.

Rotes Haar fällt ihm in die Stirn und eine silberne Kette baumelt von seinem mit Sommersprossen gesprenkelten Hals.

„M-hm“, murmele ich und verziehe das Gesicht.

„Willst du nicht …“ Er bietet mir seinen Arm an. „Wieder zurück ins Bett kommen?“

„Nein!“ Ich richte mich umständlich auf. „Nein, danke. Lieber nicht.“

Als ich mich auf wackeligen Beinen im Zimmer umsehe, vermeide ich es, ihn anzusehen. Doch sein Grinsen kann ich förmlich hören.

„Das klang gestern Nacht aber noch ganz anders“, sagt er mit einem amüsierten Schnauben. „Eher so: Ja, ja, ja!“

Die Art, wie er mit rauer Stimme mein Keuchen nachahmt, treibt mir die Röte ins Gesicht.

„Das war gestern.“ Ich lese einen Strumpf vom Boden auf und ziehe meine Unterwäsche unter einer achtlos hingeworfenen Jeans hervor. „Heute ist heute.“

Er wirft sich in die Kissen. „Heute ist heute“, wiederholt er seufzend. „Na gut. Soll ich dir dann heute einen Kaffee machen oder möchtest du lieber sofort davonlaufen?“

Ich entdecke mein Kleid auf einem Stuhl am Fußende des Betts. „Ich würde gern kurz ins Bad“, sage ich, schnappe mir das Kleidungsstück und drücke es zusammen mit den anderen Einzelteilen meines gestrigen Outfits an meine Brust. „Wo ist das?“

Er sieht mich an, lässt sich aber Zeit mit seiner Antwort. Sein Blick wandert über mich, streift über meine nackte Haut und ein Prickeln folgt der Hitze seiner Augen.

Es elektrisiert meinen ganzen Körper.

Ich schüttele das verlockende Gefühl ab und schlucke.

„Wenn du es mir nicht sagen willst, werde ich es eben selbst herausfinden.“

Sein „Hey, warte mal“ überhöre ich. Stattdessen schreite ich entschlossen zur Zimmertür, drücke mit dem Ellenbogen die Klinke herunter und trete in einen schmalen Flur. Drei Türen gehen davon ab. Eine, direkt vor mir, hat einen kleinen Glaseinsatz im oberen Drittel und Lüftungsschlitze in der Nähe des Bodens. Ohne groß nachzudenken, gehe ich hindurch und stehe …

… in einer Küche.

Wo sich ein junger Mann mit den gleichen kupferroten Haaren wie mein Bettgefährte gerade einen Kaffee einschenkt. Als er mich sieht, verfehlt er seine Tasse und schüttet die heiße Flüssigkeit über seine viel zu große Anzughose.

„Scheiße!“ Hektisch stellt er die Kanne zurück in die Filtermaschine und schüttelt sein Hosenbein. „Verdammt!“ Der Blick, mit dem er mich anfunkelt, hat keine Wärme. Keinen Bernstein. Keinen Whisky. Nur ein finsteres Braun. „Was zur Hölle?“, fährt er mich an.

„Morgen, Bertie.“

Ich habe kaum realisiert, dass ich zurückgewichen bin, da pralle ich in einen warmen Körper. Ich schaue hoch – in das bekannte Gesicht mit den freundlichen Augen. Seine Mundwinkel zucken, als könnte er sich ein Lachen kaum verkneifen.

„Du hast da was auf der Hose, Brüderchen.“ Er schiebt mich sachte zur Seite und stellt sich zwischen mich und den Typen namens Bertie. „Solltest dich lieber noch mal umziehen. Mit so einer Sauerei kannst du doch nicht ins Büro, Albert. Wie sähe das denn aus, an deinem ersten Tag?“

„Sehr witzig, Arschloch“, keift Bertie. Oder Albert. Oder wie auch immer der aufgebrachte Kerl heißt, in dessen Küche ich – übrigens noch immer splitternackt – stehe. Er stellt die halb volle Tasse mit dampfendem Kaffee ab und zwängt sich an uns vorbei. „Du bist …“ Bertie funkelt meinen One-Night-Stand an. Dann wandert sein Blick zu mir und er zieht die Nase kraus. „Niveaulos. Einfach niveaulos.“

Ich möchte zurück funkeln, ihm etwas ähnlich Herablassendes entgegenwerfen, doch im nächsten Moment hat Bertie den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugeknallt.

„Sorry dafür …“ Eine warme Hand streicht mir beiläufig über den Kopf. „Mein kleiner Bruder ist ein verklemmter, arroganter Scheißer.“

In Shorts, die den Blick auf seine tätowierten Waden freilassen, und einem verwaschenen, grauen Oberteil stellt sich mein Fehltritt von letzter Nacht an die Küchenzeile.

„Bertie wird jetzt wahrscheinlich eine Runde im Bad schmollen und versuchen, den Stock aus seinem Hintern zu ziehen“, sagt er, greift sich die verwaiste Tasse vom Küchentisch und zwinkert mir zu. „Hättest du jetzt vielleicht doch gern einen Kaffee?“

„Ich, ähm …“ Ich trete von einem Fuß auf den anderen. „Ich würde mich gern erst einmal anziehen.“

„Bitte, tu dir keinen Zwang an.“ Er lehnt sich an den Kühlschrank, nimmt genüsslich einen Schluck Kaffee und sieht mich auffordernd an.

„Kannst du dich vielleicht umdrehen?“ Ich hebe eine Augenbraue.

„Ernsthaft?“ Er verschluckt sich beinahe. „Ähm … Also … Ich dachte nicht, dass ich dich daran erinnern muss, aber … wir hatten letzte Nacht Sex.“

Ich verdrehe die Augen. „Ich weiß.“

„Ich habe dich nackt gesehen“, sagt er.

„Ich weiß“, wiederhole ich etwas ungeduldig.

Er macht eine Geste, als würde er mich in einer Pirouette drehen. „Ich habe dich aus diversen Winkeln nackt gesehen.“

Ich bleibe unnachgiebig. „Und?“

Er sieht mich lange an.

„Okay. Wie du willst!“ Kopfschüttelnd dreht er sich um und sieht – vermutlich – aus dem Fenster, das nur mit einer schmalen Scheibengardine vor neugierigen Blicken schützt.

Ich werfe meine Kleidung auf den Küchentisch, schlüpfe schnell in meine Unterwäsche, dann in mein Strickkleid. Als er einen verstohlenen Blick über seine Schulter wirft, bin ich gerade dabei, den zweiten Overknees-Strumpf mein Bein hinauf zu ziehen.

„Hey! Ich habe gesagt, nicht gucken!“, weise ich ihn zurecht.

„Nein. Genau genommen …“ Er grinst mich an. „Hast du nur gefragt, ob ich mich umdrehen kann. Und das kann ich.“ Er wendet sich mir zu. „Sogar in beide Richtungen.“

Ich hocke mich auf einen der Esstischstühle. „Du hältst dich für sehr amüsant, oder?“

„Nein.“ Er setzt sich zu mir an den Tisch. „Ich bin sehr amüsant.“

Ich wiege meinen Kopf. „Und so bescheiden.“

„Tja, was soll ich sagen? I have it all.“ Er nippt zufrieden an seiner Tasse.

Ich möchte nicht grinsen, aber der Schalk in seinen Augen ist so ansteckend, dass ich meine Lippen nicht davon abhalten kann.

„Aaaah, endlich“, freut er sich. „Ein Lächeln von meiner Prinzessin.“

Seine Prinzessin?

„Gewöhn dich nicht daran.“ Ich zupfe mein Kleid zurecht. „Also, was ist jetzt mit dem Kaffee?“

„Kommt sofort!“ Er springt von seinem Stuhl auf und geht zum Küchenschrank. Groß wie er ist, wundert es mich, dass er sich nach der Tasse im obersten Fach strecken muss. Die Bewegung hebt den Saum seines Shirts an und ich entdecke kleine, rote Streifen an seinem unteren Rücken.

Kratzspuren.

Meine Kratzspuren.

Ich möchte im Boden versinken und kann gleichzeitig nicht verhindern, dass sich Eindrücke der vergangenen Nacht in mein Bewusstsein drängen: Seine warme Haut auf meiner. Sein Raunen in meinem Ohr.

Mir wird ganz fiebrig, wenn ich daran denke.

Aber … Ich sollte nicht daran denken.

Ich darf nicht daran denken.

Das hätte nie passieren dürfen.

„Hier.“ Er stellt einen dampfenden Becher vor mir auf den Tisch. „Ich habe sogar die perfekte Tasse für dich.“

„Danke.“ Ich schiele zu dem Porzellan, das mit üppigen, bordeauxroten Blüten bemalt ist.

„Komm schon!“ Er stemmt die Hände in die Seiten. „Ist das nicht wenigstens einen kleinen Applaus wert?“

Ich schaue ihn an. „Applaus?“

„Na, für die Blumen.“ Er nickt in Richtung meiner Tasse, bevor er einen Schluck aus seiner eigenen nimmt. „Da sind Dahlien drauf! Passend zu deinem Namen: Dahlia.“

„Das ist doch …“ Ich erröte. Irgendetwas an der Art, wie er meinen Namen ausspricht, bringt mein Herz zum Pochen und meinen Bauch zum Kribbeln. „Das ist doch sicher nur Zufall!“

„Zufall?“ Er grinst. „Oder Zauberei?“

Ich schnaube. „Ziehst du als Nächstes wieder eine Münze hinter meinem Ohr hervor?“

„Eine Münze?“ Er trinkt. „Wow, wenn das alles ist, was du mir nach der letzten Nacht zutraust, habe ich dich ja schwer beeindruckt.“

Ich nippe an meiner Tasse. „Sorry, ich wollte nicht deine Zaubererehre verletzen oder so.“ Es klingt sehr bissig, so wie ich es sage. Und eigentlich hat er mich ja schon fasziniert mit seinen Kartentricks und den anderen kleinen Illusionen. Andernfalls wäre ich wohl kaum in seinem Bett oder an seinem Frühstückstisch gelandet. Aber ich habe das Gefühl, sein Ego kann den kleinen Dämpfer vertragen.

Er sieht mich nachdenklich an. „Wie wär’s, wenn ich dir ein bisschen Milch und Zucker herbeizaubere?“ Er zwinkert. Wieder so frech, wieder so selbstsicher. „Hilft vielleicht gegen die Morgenmuffeligkeit.“

„Danke. Nicht nötig.“ Beherzt nehme ich zwei kräftige Schlucke aus der Blümchentasse. „Ich trinke ihn immer schwarz. Wie meine Seele.“

„Dahlia!“ Er tut schockiert. „War das etwa gerade ein Witz?“

Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht.“

Er lässt sich zurück in den Stuhl fallen und fährt sich über die Stirn. „Verdammt. Schwarze Haare und ein schwarzer Humor.“ Seine Augen mustern mich mit einem hungrigen Glanz. „Ich glaube, ich habe mich gerade verliebt.“

Ich lasse meine Tasse sinken. Weil ich nicht weiß, wo ich sonst hinsehen soll, starre ich in mein tiefdunkles Getränk. „Mach dich nicht lächerlich, Max.“

„Magnus. Oder Mac“, korrigiert er mich. „Aber eigentlich kannst du mich nennen, wie du willst, Prinzessin.“

Mein Herz rast bei seinem anzüglichen Tonfall. Aber ich schaffe es, Haltung zu bewahren und entschieden den Kopf zu schütteln. „Ich bleibe bei Magnus. Und du bleibst bei Dahlia.“

„Na gut.“ Magnus lehnt sich über den Tisch, hebt mein Kinn an und sieht mir direkt in die Augen mit seinem Bernsteinblick. „Wie du willst, Dahlia.“

2 – Regeln und Reue

Ich hole Luft, bevor ich die gusseiserne Klinke auch nur berühre. Seufzend schaue ich an der Hausfassade hinauf. Das alte Fachwerk scheint mich anzuklagen. Als wüsste es ganz genau, wo ich gerade noch war. Als wüsste es ganz genau, dass ich gegen die Regel verstoßen habe.

Tief durchatmen.

Vielleicht ist er noch gar nicht wach.

Vielleicht ist ihm nicht aufgefallen, dass ich heute Nacht nicht hier geschlafen habe.

Die schwere Eichentür quietscht, als ich sie aufwuchte, und das nächste Geräusch ist prompt das, vor dem ich mich am meisten gefürchtet habe: Onkel Willis Stimme.

„Na, wer kommt denn da?“, fragt er, ohne aufzusehen. Er wischt über die zerlebten Tische, rückt Stühle und Bierdeckelhalter zurecht. „Du hattest gar nicht gesagt, dass du nach dem Abschließen noch einmal weggehst.“ Erst jetzt fixieren mich seine Augen. Eine Spur von Vorwurf, aber vor allem ein großer Batzen Sorge liegen in seinem Blick. „Wo warst du?“

„Bei Evi“, behaupte ich. „Wir haben noch einen Film angesehen und ich habe spontan bei ihr gepennt.“

Ich beiße auf die Innenseite meiner Wange und mache mir gedanklich eine Notiz, dass ich, sobald ich kann, meine beste Freundin anrufe, um dieses Alibi zu festigen.

„Bei Evgenia?“ Onkel Willi sieht mich prüfend an. „Und da kommst du mit leeren Händen zurück?“ Sein Blick wird noch kritischer und ich muss an mir halten, um nicht von meiner Schwindelei abzuweichen. „Wo sind die Dolmades und die Oliven?“

„Ähm … die …“ Ich huste, um meine Nervosität zu kaschieren. Ich hasse es, ihn anzulügen. „Die waren aus. Der Lieferant ist wohl später dran.“

„Später dran?“ Onkel Willi runzelt die Stirn. „Schöne Schererei. Wie soll sie den Laden denn halten, wenn sie sich nicht einmal auf ihre Lieferanten verlassen kann?“

„Jaaa.“ Ich schäle mich umständlich aus meiner abgewetzten Lederjacke und hänge sie an die holzvertäfelte Garderobe. „Ist schon, ähm, ärgerlich.“

„Hmpf“, macht mein Onkel, schüttelt den Kopf und wandert mit Lappen und Eimer weiter zum Stammtisch. „Es geht bergab …“

Ich stimme ihm zu. Er hat ja recht.

Evis Feinkostladen, der gegenüber von unserer Kneipe auf der anderen Seite des Marktplatzes liegt, hat zu kämpfen. Genau wie unser Lokal.

Traditionsbetrieb hin oder her: Der urige Gastraum des Eulenspiegels hat seine besten Jahre hinter sich. Um uns zu halten, müssten wir dringend renovieren. Aber die letzten Jahre waren so hart wie nie, die Einbußen des Lockdowns haben wir noch nicht wieder aufholen können und jetzt … Jetzt schlage ich noch aus der Reihe und verstoße gegen unsere eigene Regel.

Ich könnte mich ohrfeigen.

„Ich kann ja später noch mal rübergehen und uns bei Evi was zum Mittagessen holen. Jetzt gehe ich erst einmal kurz duschen.“ Als ich an meinem Onkel vorbei durch die Tür mit der Aufschrift PRIVAT gehe, vermeide ich es, ihn anzusehen. Mein Blick ist auch noch stur nach vorn gerichtet, als ich die knarzende Holztreppe in unsere kleine Wohnung hochsteige.

„Naaa!“ Der Ruf unserer alten Papageiendame erklingt schrill, als ich oben die letzte Stufe erreiche.

„Ich bin’s nur, Peggy“, murmele ich und werfe dem grauen Vogel oben auf dem Dachbalken einen genervten Blick zu.

„Naaaaaa!“, ruft sie wieder. „N-Nichtsnutz. Nichtsnutz!“

„Genau.“ Seufzend stoße ich die Tür zu meinem winzigen Zimmer auf. „Der Nichtsnutz ist wieder da.“

Ich werfe mich auf das Bett, das noch ordentlich mit einem Patchwork-Überwurf bedeckt ist, und fluche dumpf in die Matratze. „Fuck.“

Keine Schäferstündchen mit Gästen.

Es ist nur eine Regel und sie ist nicht so kompliziert. Sie ist sogar ziemlich simpel: Schlafe nicht mit jemandem, dem du ein Getränk serviert hast. Man könnte es nicht banaler formulieren. Die Anweisung ist völlig klar.

Und sie hat ihren Grund: Intime Beziehungen mit der Kundschaft haben bei uns schon zweimal zu einem großen Familienkrach geführt. Außerdem machen sie das Geschäft nur komplizierter. Und wir brauchen keine Komplikationen. Aber mal so gar keine. Ich weiß das, nur …

Nur habe ich mich hinreißen lassen.

Von Magnus’ frechem Lächeln. Von den verstohlenen Blicken, von seinen kindischen Zaubertricks und dann …

Von seinen Worten.

Von seinen Berührungen.

Von seinen Küssen.

Ich drehe mich auf den Rücken und hole tief Luft, denn wenn ich jetzt darüber nachdenke, spüre ich schon wieder die Sehnsucht danach. Und das will ich nicht. Das darf ich nicht.

„Nur ein One-Night-Stand“, sage ich in einem Tonfall, der mich nicht einmal selbst beeindruckt. Ich muss es mir wohl noch öfter sagen, bis es auch mein Herz versteht.