Der Dieb in der Nacht - Edgar Wallace - E-Book

Der Dieb in der Nacht E-Book

Edgar Wallace

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Beschreibung

Das Werk "Der Dieb in der Nacht" ist ein 1928 veröffentlichter Kriminalroman von Edgar Wallace. Der Originaltitel lautet "The Thief in the Night". Richard Horatio Edgar Wallace (* 1. April 1875 in Greenwich, London; † 10. Februar 1932 in Hollywood, Kalifornien) war ein englischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Journalist und Dramatiker. Wallace gehört zu den erfolgreichsten englischsprachigen Kriminalschriftstellern.

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Der Dieb in der Nacht

1

›Fragen Sie nur Ihre Frau, wo sie am Sonnabend, dem 23. war! Jeder nahm an, daß sie aufs Land gefahren sei, aber ich kann Ihnen verraten, daß sie allein mit einem jungen Gardeoffizier in dessen Wohnung zu Abend speiste.

Mit besten Empfehlungen Ein aufrichtiger Freund‹

Lord Widdicombe legte den Brief auf den Tisch und lächelte verächtlich. Im ersten Augenblick wollte er das Schreiben mit diesen niederträchtigen Beschuldigungen zerreißen und ins Feuer werfen, aber dann überlegte er es sich anders und klingelte seinem Kammerdiener.

»Frank, sagen Sie bitte meiner Frau, sie möchte so liebenswürdig sein, einen Moment zu mir zu kommen.«

Ein paar Minuten später trat Lady Widdicombe ins Zimmer. Sein Gesicht hellte sich auf, als er ihr entgegenging. Sie mochte wohl zwanzig Jahre jünger sein als ihr Mann, aber trotzdem führten die beiden eine harmonische Ehe.

»Liebling«, sagte der Graf und zwinkerte ihr verschmitzt zu, »jemand hat den Versuch gemacht, unser Glück zu stören.« Er reichte ihr den Brief und beobachtete schmunzelnd, wie sie vor Ärger rot wurde, während sie das Schreiben las.

»Was für eine Gemeinheit«, sagte sie zornig. »Am dreiundzwanzigsten! Natürlich habe ich an dem Abend mit Ronnie gegessen!«

»Der Mann hat also recht, siehst du! Ronnie ist ein junger Gardeoffizier – und außerdem mein Stiefsohn«, erwiderte Lord Widdicombe und lachte vergnügt. Dann trat er zu ihr und fuhr ihr zärtlich übers Haar.

»Du bist wirklich eine böse Frau, und ich bin dir nun auf die Schliche gekommen«, scherzte er. »Aber, zum Kuckuck, wer mag diesen verleumderischen Brief geschrieben haben?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ach, es ist abscheulich – entsetzlich!« entgegnete sie heftig. »Natürlich kann so etwas bei uns kein Unheil anrichten; aber welchen Schaden kann es stiften, wenn solch ein Brief in die Hände von Ehegatten kommt, die bereits auf einander eifersüchtig sind! – Übrigens ist der Einbrecher wieder an der Arbeit gewesen, Willie: Mrs. Crewe-Sanders ist eine wertvolle Brillantnadel gestohlen worden.«

Der Lord sah seine Frau erstaunt an und zog die Augenbrauen hoch.

»Wieder eine Nadel? Wie merkwürdig! Schon die vierte in diesem Monat! Der Mann ist konsequent! Aber verglichen mit diesem ›aufrichtigen Freund‹ ist er noch ein anständiger Kerl. Sag nur Diana nichts von dem Diebstahl, sie macht sich sonst nur unnötige Sorgen.«

Lady Widdicombe starrte durch die hohen Glastüren in den Park hinaus, auf den immer neue Regenschauer niedergingen. Aber ihr Mann sah, daß ihre Gedanken nicht mit der trostlosen Landschaft beschäftigt waren.

»Ich möchte nur wissen, warum Diana eigentlich Barbara May so wenig leiden kann?« fragte sie nachdenklich.

Er grinste.

»Es ist so erfreulich, daß sie wenigstens einmal bei einer Ansicht bleibt, daß man ihr in diesem Fall sogar verzeiht, wenn sie Barbara nicht mag. Aber, wie gesagt, erzähle ihr nichts von dem Brief – ich werde ihn heute noch Scotland Yard schicken. Und da wir gerade bei der Polizei sind, möchte ich dir noch sagen, daß ich Jack Danton eingeladen habe, während der Kricketwoche unser Gast zu sein. – Sonderbar, daß ein solcher Mann bei der Polizei ist.«

Aber Lady Widdicombe dachte bereits an andere Dinge, als sie die Bibliothek verließ. Sie ging in eines der kleinen Wohnzimmer und traf dort Diana Wold, die in einem Sessel am Fenster saß und in den Rosengarten schaute. Im Regen sah auch er traurig aus, obwohl es sonst dort so schön war. Diana trug ein duftiges weißes Kleid, und auf ihren Knien lag ein offener Gedichtband.

Sie schaute auf, als ihre Kusine ins Zimmer trat, und legte das Buch beiseite.

Diana war schön, aber sie besaß die zerbrechliche Schönheit einer feinen Porzellanfigur, und in ihrem Lächeln lag eine leise Melancholie.

Sie erhob sich und ging Lady Widdicombe entgegen. Fast schien es, als fürchte sie sich ein wenig vor ihrer Kusine, die so selbstbewußt und formvollendet auftrat.

»Was hast du eigentlich an Barbara auszusetzen?« fragte Elsie Widdicombe unvermittelt.

Diana lachte. In solchen Augenblicken sah sie bezaubernd aus.

»Das ist aber eine sonderbare Frage, Elsie. Habe ich denn überhaupt etwas an Barbara auszusetzen? – Vielleicht ... Nein, ich kann nicht viel mit ihr anfangen – das ist alles. Ich gebe zu, daß sie ein entzückendes Mädchen ist, aber wir verstehen uns nun einmal nicht. Sie haßt Gedichte – und ich schwärme dafür; sie begeistert sich für Jagd und Golf – und ich fahre gern Auto und spiele Tennis. Ich bin meiner Veranlagung nach zurückhaltend und nicht sehr aktiv, während sie vor Energie nicht weiß, was sie alles unternehmen soll. – Aber warum fragst du eigentlich danach? Hat Willie Barbaras Vorzüge wieder einmal aufgezählt? Er kann sie ja recht gut leiden.«

Lady Widdicombe setzte sich auf die große, breite Couch. »Ich dachte nur im Augenblick daran. Du hast heute morgen doch auch einen Brief von Mrs. Crewe-Sanders erhalten, wie ich gesehen habe. Sie hat mir ebenfalls geschrieben. Hat sie dir mitgeteilt ...«

Diana nickte lächelnd und warf ihrer Kusine einen vielsagenden Blick zu. »Jetzt weiß ich auch, warum du Barbara erwähntest – sie war bei den Crewe-Sanders' eingeladen.«

Lady Widdicombe versuchte zu widersprechen, aber ihr Protest war nur schwach.

»Barbara war dort zu Besuch«, fuhr Diana fort. »Sie war auch bei den Colebrooks eingeladen, als Mrs. Carter ihre Brillantnadel verlor. Ebenso war sie bei der Gesellschaft, die die Fairholms gaben. Die Dame des Hauses vermißt seitdem ihre Brillantbrosche.«

»Aber Diana!«

»Ach ja, ich weiß! Aber an den Tatsachen läßt sich doch nichts ändern.« Das Lächeln verschwand aus Miss Wolds Zügen, während sie langsam weitersprach und jedes Wort betonte. »Und sind nicht auch alle diese entsetzlichen anonymen Briefe des ›aufrichtigen Freundes‹ immer nur an Leute gerichtet, die Barbara May persönlich kennt?«

Lady Widdicombe erhob sich und rief empört aus: »Diana, ich hätte niemals geglaubt, daß du so gehässig sein könntest! Ich fürchte, du weißt nicht, was du sagst. Eben hast du die Vermutung ausgesprochen, daß Barbara nicht nur eine Diebin ist, sondern auch ...«

»Ich weiß wohl, daß es eine schwere Anschuldigung ist.« Diana nickte. »Aber wir müssen doch den Tatsachen ins Auge sehen.«

Lady Elsie sah ihre Kusine vorwurfsvoll an.

»Was redest du von Tatsachen! Das ist doch geradezu abscheulich! Wie kannst du Barbara so verdächtigen ... Sie ist doch noch fast ein Kind. Aber jetzt kann ich mir gut vorstellen, wie du sie haßt.«

Diana schüttelte den blonden Kopf und sah Elsie belustigt an.

»Das stimmt nicht. Aber ich kann doch mein logisches Denken nicht ausschalten. Ich bin eben zu diesem Ergebnis gekommen.«

Doch dann warf sie den Kopf zurück, als ob sie die häßlichen Gedanken abschütteln wollte, legte den Arm um ihre Kusine und gab ihr einen Kuß.

»Darling, nimm es nicht so tragisch! Es war wirklich nicht böse gemeint – was kann ich dafür, daß Barbara mir so schrecklich auf die Nerven fällt.«

Lady Widdicombe ließ sich jedoch nicht so leicht beruhigen. Dianas Worte hatten sie tief getroffen – weil ihr schon derselbe Verdacht gekommen war.

2

Inspektor Jack Danton trat in das Büro des Chefinspektors. Er glaubte genau zu wissen, warum ihn sein Vorgesetzter so plötzlich aus Paris zurückgerufen hatte.

Auf der Rückreise hatte er alle Zeitungsmeldungen über den neuesten Juwelendiebstahl gelesen. Die örtliche Polizei war offensichtlich diesem schlauen Kopf nicht gewachsen.

Wenn er – Danton – den Auftrag erhalten würde, diese Verbrechen aufzuklären, so wäre das eine Aufgabe nach seinem Geschmack gewesen. Er hatte nach dem Krieg die Laufbahn eines Kriminalbeamten bei Scotland Yard eingeschlagen. Mit Energie hatte er sich durchgesetzt, aber obgleich er bereits eine große Anzahl von Warenhausdieben hinter Schloß und Riegel gebracht hatte, sehnte er sich jetzt doch nach einem großen Fall, bei dem er einmal zeigen konnte, was wirklich in ihm steckte.

Den Zeitungsmeldungen nach war der letzte Juwelenraub ebenso ausgeführt worden wie alle früheren. Mrs. Crewe-Sanders hatte für mehrere Tage eine Anzahl von Gästen auf ihren Landsitz eingeladen, und in der letzten Nacht war die Brillantnadel gestohlen worden. Der Schmuck war sehr wertvoll, denn um das kostbare Mittelstück waren noch drei große dreieckig geschliffene Smaragde angeordnet.

Danton war darauf gefaßt, daß sein Vorgesetzter über diese Sache mit ihm sprechen würde.

»Nehmen Sie Platz«, sagte der Chefinspektor und nickte ihm freundlich zu. »Ich brauche Sie dringend.«

Jack lächelte. »Ich glaube, ich weiß, warum Sie mich sprechen wollen. Der letzte Juwelendiebstahl war ja wieder eine raffinierte Sache.« Er sah, daß der Chefinspektor die Stirn runzelte, und wunderte sich.

»Wovon sprechen Sie denn?«

Jack Danton schaute ihn erstaunt an.

»Ich meine den Juwelendiebstahl bei den Crewe-Sanders' in Shropshire.«

»Ach so!« Der Chefinspektor zuckte die Schultern. »Ich interessiere mich mehr für den sogenannten ›aufrichtigen Freund‹ als für den Juwelendieb. Außerdem hat die dortige Polizei noch nicht ausdrücklich um unsere Hilfe nachgesucht, wir brauchen uns also deshalb vorläufig keine grauen Haare wachsen zu lassen.«

Jack lachte.

»Ich verstehe wirklich nicht, was Sie meinen. Von welchem ›aufrichtigen Freund‹ sprechen Sie denn eigentlich?«

Der Chefinspektor klopfte mit der Hand auf einige Papiere, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen.

»Es handelt sich um einen anonymen Briefschreiber, der stets mit ›Ein aufrichtiger Freund‹ unterschreibt. Er schickt unverschämte Briefe an hochstehende Persönlichkeiten und hat schon viel Unheil damit angerichtet. Offenbar weiß er einiges über diverse Mitglieder der Gesellschaft, das auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen darf. Diese Leute sind natürlich überzeugt, daß niemand etwas von ihren Geheimnissen ahnt, und sind jetzt verständlicherweise entsetzt. Offen gestanden glaube ich, daß es sich um eine Frau handelt, denn die Handschrift hat typisch weiblichen Charakter. Natürlich ist sie verstellt, aber selbst unter diesen Umständen kann man erkennen, daß eine Frau die Schreiberin ist. Hier haben Sie einen der Briefe.«

Er reichte Jack einen Bogen über den Tisch.

Der Inspektor las die Zeilen und lachte spöttisch.

»Das kann ja beträchtliches Unheil anrichten«, meinte er. »An wen war denn der Brief adressiert?«

»An Lord Widdicombe. Wie Sie sehen, handelt es sich um eine Verleumdung seiner Frau, die ihm untreu geworden sein soll. Glücklicherweise ist der Lord ein intelligenter, vernünftiger Mann, der zu seiner Frau das größte Vertrauen hat. Er zeigte ihr den Brief und hat ihn dann uns zur Verfügung gestellt. – Ich möchte Sie nun bitten, nach Shropshire zu fahren. Sie haben ja viele Bekannte in diesen Kreisen, und ich brauche Ihnen wahrscheinlich nicht erst lange Empfehlungsschreiben mitzugeben. Sind Sie schon einmal in der Gegend gewesen?«

»Ja, gewiß«, erwiderte Jack und lächelte. »Ich bin schon sehr lange mit den Widdicombes befreundet, und zufälligerweise habe ich gerade eine Einladung von ihnen erhalten, sie auf ihrem Landsitz zu besuchen.«

*

Zuerst war Jack sehr enttäuscht, daß ihm nicht die Aufklärung der Juwelendiebstähle übertragen wurde, aber schließlich fesselte ihn jede neue Aufgabe, und er war gespannt, was er in Shropshire erleben würde.

Er nahm die Akten, aus denen alle weiteren Einzelheiten hervorgingen, in sein Büro mit und brachte den Vormittag damit zu, die einzelnen Briefe und Handschriften miteinander zu vergleichen. Nach einer Weile lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und dachte angestrengt nach.

»Ausgerechnet Shropshire!« murmelte er vor sich hin und mußte unwillkürlich lächeln. »Barbara May ist doch gerade von Shropshire nach London gekommen.«

Bei dem Gedanken warf er einen Blick auf seine Uhr und erhob sich eilig.

Es war möglich, daß sie heute morgen einen Spazierritt im Hyde Park machte. Schon manchmal war er um diese Zeit dorthin gegangen, um die Reiter zu beobachten, und war enttäuscht gewesen, wenn er sie nicht getroffen hatte.

Gleich darauf fuhr er in einem Taxi bis zur Hyde Park Corner. Langsam ging er dann die belebten Parkwege entlang und musterte die vorbeikommenden Reiter.

Plötzlich schlug sein Herz schneller, denn er sah Barbara. Sie hielt unter einem Baum und sprach mit einem Herrn, in dem Danton ein Parlamentsmitglied erkannte. In vorzüglicher Haltung saß sie auf einem großen Rappen. Wieder einmal kam Jack, als er sie so vor sich sah, Barbaras Schönheit zum Bewußtsein. Er winkte ihr zu.

»Hallo, Mr. Danton!« rief sie, beugte sich nieder und gab ihm die Hand. »Ich dachte, Sie wären in Paris?«

»Gestern morgen hatte ich noch keine Ahnung, daß ich so bald wieder in London sein würde«, antwortete er, »aber man hat mir ein Telegramm geschickt, daß ich zurückkommen soll.«

Schon oft hatte er sich mit Barbara May unterhalten, nachdem er sie im Londoner Haus von Lady Widdicombe kennengelernt hatte. Aber bisher hatte er ihr noch nicht erzählt, weichen Beruf er ausübte; eigentlich war es ihm recht, daß sie noch nie neugierig danach gefragt hatte.

Er wußte, daß sie die Tochter eines Beamten im Außenministerium war und daß sie selbst während des Krieges dort gearbeitet hatte. Sie besaß kein Vermögen, und es hieß, daß Lady Widdicombe versuchte, einen geeigneten Mann für sie zu finden. Das war eigentlich alles, was Danton über Barbara May wußte, aber wenn er sie getroffen hatte, wartete er jedesmal mit Ungeduld auf die nächste Gelegenheit, sie wiederzusehen.

»Sie hatten mir doch fest versprochen, daß Sie mit mir ausreiten würden!« sagte sie vorwurfsvoll. »Jetzt wird wohl nichts mehr daraus werden, denn morgen verlasse ich London.«

Als sie die Enttäuschung in seinem Gesicht bemerkte, lachte sie.

»Ich fahre nach Shropshire«, fuhr sie fort. »Bei den Widdicombes findet wieder die Kricketwoche statt. Kommen Sie auch?«

Er atmete erleichtert auf, denn nun war der Besuch bei seinen Bekannten nicht nur Pflicht, sondern auch eine große Freude.

»Ja, zufällig fahre ich morgen abend auch dorthin. Dann werden wir also doch noch zusammen ausreiten?«

Sie nickte.

»Waren Sie die ganze Zeit in London?« fragte er, um die Unterhaltung nicht abreißen zu lassen.

Einen Augenblick zögerte sie.

»Nein, ich war auf Schloß Morply bei Mrs. Crewe-Sanders.«

Er starrte sie erstaunt an.

»Ach, das ist die Dame, die ihre Brillantnadel verloren hat?«

Es schien ihm, als ob sie rot würde.

»Ja«, erwiderte sie kurz und ritt mit einem kühlen Nicken davon.

Bestürzt schaute er ihr nach. Hatte er etwas gesagt, worüber sie sich geärgert haben könnte? Das war das letzte, was er beabsichtigte. Früher war sie doch nicht so empfindlich gewesen! Sie hatte sich also auf Schloß Morply aufgehalten, als dort die Brillantnadel gestohlen wurde. Wieder tat es ihm leid, daß man ihm nicht den Auftrag gegeben hatte, diese Verbrechen aufzuklären. Es wäre doch interessant gewesen, wenn Barbara May ihm die Geschichte erzählt hätte. Dann hätte er von ihr alle Einzelheiten erfahren können.

Er kehrte in sein Büro zurück und wußte nicht, warum er sich plötzlich so unbehaglich fühlte. Gewöhnlich weiß man ja den Grund für so etwas, aber Jack war nicht imstande, sich darüber klarzuwerden.

Am Nachmittag vertiefte er sich in seine Arbeit und war damit beschäftigt, bis er gestört wurde.

Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, und als er den Hörer abhob, hörte er die Stimme des Chefinspektors.

»Wenn Sie bei den Widdicombes zu Besuch sind, halten Sie die Augen offen – vielleicht können Sie etwas über diesen geheimnisvollen Juwelendieb erfahren. Ich habe so eine Ahnung, daß er der dortigen Gegend auch einen Besuch abstattet.«

Er dachte, und Jack fragte sich verwundert, als er den Hörer wieder auflegte, was er wohl damit gemeint hatte.

3

Abends ging Jack in seine Wohnung und traf alle Vorbereitungen für die Fahrt nach Shropshire; danach aß er allein in einem Restaurant. Auf dem Heimweg ließ er sich Zeit, denn er wollte noch etwas frische Luft haben, um gut schlafen zu können.

So kam er auch über den Piccadilly Circus. Seine Gedanken beschäftigten sich ausschließlich mit Barbara May, die solch eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausübte. Teils ärgerte er sich darüber, teils aber machte es ihm doch Freude, sich mit dem Gedanken an sie zu beschäftigen. Er war nicht gerade leicht zu beeindrucken, das wußte er, und deshalb fragte er sich, welche von Barbaras Eigenschaften ihn so stark fesselte, daß dieses Mädchen sein ganzes Denken beherrschte.

Eine große Limousine fuhr an ihm vorüber und hielt in einiger Entfernung vor ihm am Bordstein. Als der Wagen dann mit ihm auf gleicher Höhe war, warf Danton einen raschen Blick hinein. Einen Augenblick drohte sein Herzschlag auszusetzen, denn er hatte im Licht der Straßenlaterne eine der beiden Personen erkennen können, die im Wagen saßen. Er hatte sich nicht getäuscht: Es war Barbara May. Er würde sie überall wiedererkennen.

Sie sprach eifrig mit jemandem, Jack hätte aber nicht sehen können, wer es war.

Er setzte seinen Weg fort. Allem Anschein nach hatte sie ihn nicht erkannt. Eine seltsame Unruhe überkam ihn bei dem Gedanken, daß dort ein anderer Mann neben ihr im Auto saß, und er empfand brennende Eifersucht.

Welche Schlußfolgerung konnte er daraus ziehen, wenn nicht die, daß Barbara einen Freund hatte? Reich mußte er auch sein – das verriet der teure Wagen. Sie hätte sich solch einen Luxus nie leisten können.

Fünfzig Schritte ging Danton weiter, dann blieb er stehen. Er befand sich jetzt im Schatten einer Hausecke. Jack machte sich bittere Vorwürfe, daß er ihr so nachspionierte, aber schließlich war er kein Heiliger, und er wollte jetzt unbedingt erfahren, wer der Mann war, dem Barbara zu dieser nächtlichen Stunde ihre Zeit widmete.

Die Tür des Autos wurde jetzt geöffnet, und der Mann trat auf die Straße hinaus. Er war in mittleren Jahren und von untersetztem Wuchs. Nach den Worten, die Danton auffing, schienen keine besonders freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden zu bestehen.

»Das wäre also alles, Miss May. Morgen mache ich Ihnen dann weitere Mitteilungen.«

Gleich darauf fuhr der Wagen weiter. Der Fremde lüftete noch den Hut und blieb ein paar Sekunden stehen, dann drehte er sich um und überquerte die Straße. Nach einiger Zeit hatte er die Umfassungsmauer des Buckingham-Palastes erreicht und ging an ihr entlang.

Jack folgte ihm, denn der Mann hatte sein Interesse erregt. Er trug Schuhe mit Gummisohlen, die kein Geräusch machten, aber trotzdem sah sich der Verfolgte einmal unruhig um, als ob er fühlte, daß jemand hinter ihm herkam. Er setzte jedoch seinen Weg in der eingeschlagenen Richtung fort.

In der Nähe des Denkmals der Königin Viktoria zog er plötzlich die Hand aus der Tasche. Dabei fielen sein Taschentuch und ein anderer Gegenstand auf die Straße. Jack eilte hin und hob beides auf. Der Fremde hatte seinen Verlust aber auch bemerkt und fluchte leise, als er umkehrte und auf Jack zukam.

Jack betrachtete das viereckige Lederetui, das er in der Hand hielt. Durch den Fall hatte sich der Verschluß geöffnet, so daß der Deckel aufklappte.

Der Fremde stand jetzt dicht vor Jack.

»Das Etui gehört mir«, sagte er unfreundlich und wollte ihm das Kästchen aus der Hand reißen.

Aber Jack hatte inzwischen gesehen, daß eine herrliche Brillantnadel darin lag, deren Mittelstück von drei prachtvollen Smaragden umrahmt war. Dies mußte das Schmuckstück sein, das Mrs. Crewe-Sanders gestohlen worden war! Er wollte es nicht für möglich halten, aber sah es nicht so aus, als sei Barbara die Diebin und dieser Fremde der Hehler, dem sie die Nadel verkauft hatte?

»Geben Sie mir jetzt endlich mein Etui zurück!« Der Mann versuchte aufs neue, Jack den Schmuck abzunehmen, aber dieser hatte blitzschnell das Kästchen in seine Tasche geschoben.

»Sie müssen mir erklären, woher Sie diese Brillantnadel haben!«

»Das fällt mir ja nicht im Traum ein! Wenn Sie mir den Schmuck nicht sofort zurückgeben, rufe ich die Polizei!«

»Das ist nicht nötig – Sie können sich ruhig an mich wenden«, erwiderte Jack spöttisch.

»Was soll denn das heißen?«

Jack wies sich aus und fügte hinzu: »Sie werden wohl begreifen, daß Sie mir erst einmal erklären müssen, wie Sie in den Besitz dieses von der Polizei gesuchten Schmuckstückes gekommen sind. Also, begleiten Sie mich freiwillig, oder muß ich Sie festnehmen? Ich möchte Sie bitten, mit mir zur nächsten Polizeiwache zu kommen.«

Der Mann zögerte eine Weile.