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Die Kurzgeschichte "Seine schönste Beute"
Der Kunstdieb Luke entdeckt ein verschollenes Gemälde im Haus der bezaubernden Tessa. Es stellt sich die Frage, welche Beute ihm wichtiger ist: Das Bild oder die Frau?
- Der Kurzroman "Ein Dieb im Osternest"
Tessa entdeckt unter den Exponaten einer Ausstellung ein verloren geglaubtes Erbstück ihrer Familie. Leider kann sie das nicht beweisen, und hat deshalb keine Chance das Medaillon wiederzubekommen.
Für ihren Freund Luke wäre die Beschaffung hingegen eine seiner leichtesten Übungen. Der ehemalige Kunstdieb hat allerdings ihr zuliebe allen krummen Dingern abgeschworen und steckt nun in der Bredouille.
Wie kann er seiner Liebsten zu ihrem Schmuckstück verhelfen, ohne sein Wort zu brechen?
Zusammen mit einem Freund schmiedet er einen riskanten Plan.
Als die Ausstellung und deren Glanzstück, ein Ei von Fabergé, zum Ziel eines Raubzuges werden, gerät Tessas Vertrauen zu Luke ins Wanken. Konnte er der übergroßen Versuchung nicht widerstehen und hat ihre Liebe aufs Spiel gesetzt?
Oder geht der Diebstahl auf das Konto einer anderen verbrecherischen Gruppe?
Als in der ganzen Verwirrung auch noch ein Rivale für Luke auftaucht, geht es schon bald nicht mehr nur um das Medaillon oder das wertvolle Ei.
Tessa und Luke stehen plötzlich vor der größten Belastungsprobe für ihre Beziehung und müssen vielleicht eine bittere Erkenntnis hinnehmen: Manchmal reicht Liebe eben nicht aus!
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Die folgende Kurzgeschichte "Seine schönste Beute" entstand im Rahmen eines Wettbewerbs und wurde von mir in Teilen überarbeitet. Im Großen und Ganzen beließ ich es allerdings bei den bisherigen Formulierungen, weil ich die Geschichte so zeigen will, wie ich sie damals geschrieben habe.
In dieser Story hatten meine Protagonisten Tessa und Luke ihren ersten Auftritt.
Sie entpuppten sich als ein derart interessantes Paar, dass ich ihnen einige Zeit später einen Kurzroman gönnte. Er schließt sich in diesem Sammelband bei Kapitel 1 direkt und unverändert an die Kurzgeschichte an. Ursprünglich hatte ich ihn unter dem Titel "Ein Dieb im Osternest" veröffentlicht.
Luke suchte sich eine kleine Bank, etwas abseits der belebten Kieswege der Grünanlage. Obwohl der bunte Park nicht groß war, lockte seine Blumenpracht jetzt im Frühsommer doch erstaunlich viele Spaziergänger ins Freie. Seine Wahl fiel auf einen schmalen, steinernen Sitz unterhalb einer verwitterten Büste. Das erklärende Schild dazu war offenkundig schon seit längerem nicht mehr lesbar und der Zahn der Zeit hatte das Gesicht unkenntlich gemacht. Ob das Bildnis vergessen wurde, weil es an drei Seiten von fast baumhohem Buchs und störrischen dornigen Büschen, vielleicht wilden Brombeeren umrahmt wurde, konnte Luke herzlich egal sein. Er dankte im Stillen dem faulen Gärtner, denn das Arrangement schützte ihn vor allzu neugierigen Blicken.
Hier leerte er die Taschen seiner Lederjacke, um seine bisherige Ausbeute zu sichten. Es war gar nicht mal so schlecht für einen Samstag am Ende eines Monats. Keine großartigen Funde, aber aus fast zwanzig Brieftaschen und Börsen läpperten sich mit Kleinkram trotzdem etwas über 2000 Euro zusammen. Außerdem hatten zwei zierliche Damenuhren von geringerem Wert neben der hochpreisigen Herrenuhr einer Nobelmarke einen neuen Besitzer gefunden. Dazu noch vier Mobiltelefone, aus denen er die SIM-Karten fummelte und diese grinsend in das neben ihm stehende Vogelbad fallen ließ. Ja, das nannte er durchaus einen angenehmen Vormittag.
Luke steckte das Bargeld in die Innentasche seiner leichten Lederjacke und prüfte die restlichen Papiere und Karten. Zu seinem Leidwesen hatten die Menschen in puncto Sicherheit dazugelernt und es blieb ihm nur eine Kreditkarte, die er problemlos benutzen könnte, wenn er sich beeilte, bevor die Person den Verlust bemerkte und die Karte sperren ließ. Er entschloss sich jedoch dagegen, da einer seiner Grundsätze lautete: »Nur nicht zu gierig werden!«
Der Inhalt einer schmalen, roten Geldbörse erweckte in ihm den Eindruck eines eher vergessenen Utensils. Zwei angelaufene Centstücke versteckten sich zwischen alten Bröseln und in den Steckfächern fand er neben einem zerknitterten, alten Bibliotheksausweis eine schnörkellose Visitenkarte, der eine Ecke fehlte. Trotzdem erregte sie seine Aufmerksamkeit.
»Tessa von Rackdorf - Physiotherapie«
Der Name löste irgendetwas in ihm aus. Luke stützte die Ellenbogen auf die Knie und fixierte einen Spatz, der neben dem Weg tschilpend durchs Gras hüpfte. Eine von Lukes Stärken war unbestreitbar sein enorm gutes Gedächtnis, dennoch brauchte er eine Weile, bis er den gelesenen Adelstitel zuordnen konnte. Der kleine Vogel hatte sich längst auf einen Baum zurückgezogen, als Luke sich an den Skandal erinnerte, mit dem dieser Name in Verbindung stand. Es ging um Finanzbetrug im großen Stil und endete mit einer Verurteilung des Ehepaars Rackdorf.
Wenn ihn sein Gedächtnis nicht trog, hatte der verarmte Seitenzweig dieser adligen Familie sein Budget mit einem Hedge-Fond-Betrug nach dem Schneeballsystem aufgebessert. Das Paar war in den Knast gewandert, nachdem einer der geprellten Anleger genug Mumm bewiesen und sie angezeigt hatte. Die Ermittlungen in diesem Fall hatten sich dann auch als eine Art Schneeball entpuppt, die einer Lawine gleich, über die Bankenszene hinweggerollt war und nicht wenige ominöse angebliche Ehrenmänner mitgerissen hatte. Es hieß damals sogar, dass es einen Maulwurf bei der zuständigen Polizei gab, der die unlauteren Machenschaften abgesichert hatte, aber leider nie enttarnt werden konnte.
Mehr fiel Luke in diesem Moment nicht dazu ein, was daran lag, dass er diese Art Verbrecher nicht ausstehen konnte. Er verabscheute Leute, die im sicheren Kämmerlein mittels eines Bildschirms in das Leben anderer hineinpfuschten und es dabei meistens ruinierten. Seiner Auffassung von Ganovenehre nach sollte man die Dinge selbst in die Hand nehmen, die man haben wollte. Virtuelle Machenschaften mit virtuellen Vermögen und abstrakten Beutezügen in anderer Leute Bankkonten hatten mit dem altehrwürdigen Handwerk eines Diebes überhaupt nichts gemein. Luke fand das feige und hinterhältig. Außerdem würde ihm da die intellektuelle Herausforderung fehlen. Wo blieb bei sowas denn der Spaß, der Kick?
Luke drehte die Karte in den Fingern und versuchte die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, ob diese Tessa etwas mit dem verurteilten Paar zu tun hatte. Soweit ihn seine Erinnerung führte, tauchte lediglich ein Bruchteil der damaligen Beute auf, denn es wurden niemals alle versteckten Konten gefunden. Seine These, diese angebliche Physiotherapeutin könnte eventuell auf erschwindeltem Vermögen sitzen, stand und fiel mit der Überprüfung ihrer Person. Somit war der erste Schritt für ihn klar. Er musste herausfinden, wer diese Tessa war und ob er seine Zeit mit ihr verschwendete.
Niemand bemerkte ihn, als er die versteckte Ecke verließ und dem Ausgang des Parks entgegenstrebte. In seinem Körper breitete sich eine vorsichtige Vorfreude aus, denn schließlich bestritt er seinen Lebensunterhalt nicht durch solch kleine Taschendiebereien wie heute. Diese hielten lediglich seine Finger geschmeidig für wesentlich größere und einträglichere Vorhaben.
Die Adresse auf der Karte führte ihn zu einem der ältesten Villenviertel der Stadt, das allerdings seine besten Zeiten bereits seit längerem hinter sich hatte. Hier standen Vorkriegsvillen, die mit teilweise noch rußgeschwärzten Ziegeln aus den Schutthaufen des verheerenden Fliegerbombenabends renoviert worden waren, neben hässlichen Betonneubauten des nachfolgenden Wirtschaftswunders. Nicht schön und weit weg von der architektonischen Schönheit der Gründerzeiten.
Sein Ziel entpuppte sich als eines der älteren der Siedlung. Es stand als Eckhaus an der Kreuzung zwischen einer breiteren Allee und einer weitaus schmaleren Querstraße, die augenscheinlich ins Nirgendwo führte, da Luke in ihrem Verlauf kein anderes Gebäude sehen konnte. Vielleicht war das Sträßchen ursprünglich nur für Lieferanten und Dienstboten gedacht gewesen. Das erhöhte für Luke die Chance auf einen eventuell schlecht gesicherten Hintereingang. Zumindest konnte er durch diesen Standort das Haus von zwei Seiten in Augenschein nehmen.
Es war zwar eine Gründerzeitvilla, sie sah allerdings nicht nach einer der inzwischen beliebten Renovierungen aus. Entweder fehlte dem Besitzer das Geld oder der Wille, das historische Gebäude wieder zu altem Glanz zu führen. An vielen Stellen bröckelte der Putz und die Dachrinne rostete wenig vertrauenerweckend vor sich hin. Der Garten benötigte ebenfalls dringend etwas mehr Pflege, das erkannte sogar Luke, der nun wirklich nicht der Experte für Grünzeug war, und das Pflaster der Auffahrt, das zu einer geschlossenen Garage und zum Haupteingang führte, wies tiefe Risse auf.
Zwei gemauerte Seitenpfeiler flankierten diese wenig noble Auffahrt und an einem davon prangte das Praxisschild der Inhaberin. Es lag in Lukes Metier, so viele kleine Details wie nur irgendmöglich zur Kenntnis zu nehmen. Nach dem ersten Rundumblick schien ihm das Haus wenig erfolgversprechend, er nahm sich aber trotzdem vor, diesen Eindruck zu überprüfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein schnöder Kieselstein am Ende als wertvolle Perle herausstellte.
Im ersten Stock ruhte auf dem Erker des Erdgeschosses ein Balkon mit bunten Blumenkästen auf der halbhohen Balustrade. Ein dahinter aufragendes Gestell trug der Form nach vermutlich einen Hängesessel oder ein ähnliches Sitzmöbel. Dahinter bauschte sich eine weiße Gardine durch eines der schmalen hohen Fenster. Offenstehende Fenster fasste Luke als Einladung auf, der er nur mit Mühe widerstehen konnte. Zuerst musste er überprüfen, ob die Bewohnerin allein hier lebte und wann sie anwesend war. Das Ausweisbild aus ihrer Börse zeigte ihm nur einen oberflächlichen Eindruck von einer jungen Frau mit braunen Haaren. Dieses Haus schien ihm jedoch zu groß für eine Alleinstehende. Luke musste also zuerst klären, wer noch hier wohnte und sich auch im Allgemeinen ein genaueres Bild seiner Zielperson machen.
Ein Blick auf die Uhr mahnte ihn jedoch, dass es besser wäre, sein Vorhaben auf einen anderen Tag zu verschieben. Er sollte stattdessen lieber ein wenig Schlaf nachholen, bevor er heute Abend wieder auf der Bühne stehen wollte. Deshalb gab er sich mit diesem ersten Eindruck zufrieden, drehte um und machte sich auf den Heimweg.
Fast sofort schweiften seine Gedanken zum heutigen Abend und darauf, was er wohl bringen würde. Vielleicht fand sich auch heute unter den kreischenden Frauen am Bühnenrand eine, die sich zu einem intimeren Date überreden ließ. Die von gestern Nacht hatte sich letztendlich als Enttäuschung herausgestellt. Es war zwar nicht das erste Mal geschehen, dass eine Frau den Tänzer heftig anflirtete und dann zurückschreckte, aber Luke ärgerte sich über jede seiner Fehleinschätzungen. Trotzdem war es wieder einmal interessant gewesen, zu beobachten, wie Menschen von ihrem eigenen Mut überrascht werden und dann doch die Flucht ergreifen. Die Lady war im Grunde vor ihrer persönlichen heißen Fantasie geflohen. Schade für sie und schade für Luke. Er hatte die Episode seinem Erfahrungsschatz beigefügt und wertete auch den Missgriff als Erfolg. Wieder etwas über Menschen gelernt. Man konnte ruhigen Gewissens sagen, dass er diesen kleinen Nebenjob mochte, der seine Tarnung darstellte.
***
Die Geräuschkulisse im übervollen Club erwies sich wieder einmal zum Gläserbersten, als die »Dream-Night-Dancers« ihre letzte Zugabe beendeten. Luke lief der Schweiß in breiten Bächen über die erhitzten Muskeln, die nach einer kalten Dusche lechzten. Dank der amerikanischen Filmindustrie, die gute Vorarbeit geleistet hatte, waren ihre Vorstellungen stets ausverkauft und das Trinkgeld, das die Frauen ihnen begeistert in die knappen Strings steckten, überstieg die Gage des Clubbesitzers um ein Vielfaches. Luke versuchte, im konfusen Licht einen Blick auf den Eigentümer zu erhaschen, musste aber die Augen beinahe geblendet zusammenkneifen. Er besaß allerdings genug Vorstellungskraft, um dessen zufriedenes Grinsen vor sich zu sehen. Die Frauen kreischten immer noch, während die Tänzer längst hinter der Bühne verschwanden.
Er ergatterte die letzte freie Dusche, lehnte sich mit der Stirn und seitlich abgestützten Händen an die Duschwand und fokussierte seine Gedanken auf die erste Reihe vor der Bühne. Die Stimmen seiner Kollegen, die sich ebenfalls über die Zuschauerinnen unterhielten, traten wie ein leises Summen in den Hintergrund, aber diesmal konnte er kein bestimmtes Gesicht vor sein inneres Auge holen. Tatsächlich reizte ihn keine der begeisterten Frauen zu einer näheren Bekanntschaft. Er fragte sich, ob er schon begann, abzustumpfen, als er von einer Hand, die ihm auf Schulter schlug, aus seinen Gedanken gerissen wurde.
»Du bist ja so ruhig. Nicht, dass du mir sittsam wirst, Lucky Luke!«
Er hasste diesen Spitznamen wie die Pest und natürlich wusste das der Störenfried genau. Luke erkannte die Provokation im gehässigen Grinsen von Jo, dem Fronttänzer. Es war inzwischen kein Geheimnis mehr in der Gruppe, dass dessen Position wackelte und wahrscheinlich an Luke überging. Revierkämpfe wollte Luke aber nicht unbedingt unter der Dusche führen, er hatte in diesem Moment schlicht keinen Bock auf diese Diskussion. Er stieß den muskulösen Mann von sich weg.
»Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Joe! Du hast schon länger keine mehr abgeschleppt, und wenn du weiter so abschlaffst, wirst du eher sittsam werden, als dir lieb ist. Pülverchen ersetzen eben kein Training. Jetzt lass mich in Ruhe!«
Luke stellte das Wasser ab und schickte sich an, den Waschraum zu verlassen, als er am Tapsen der Füße auf dem nassen Boden hörte, dass Joe ihm in den Rücken springen wollte. Geschmeidig wich er einen Schritt zur Seite und fing den wütenden Angriff mit einer gekonnten Bewegung aus dem Judo ab. Er packte seinen Rivalen an der Schulter, drehte ihm den Arm nach hinten und presste ihn mit dem Gesicht gegen die Fliesen.
»Du bist nicht mehr fit genug für mich, Joe! Wenn du mich noch einmal blöd anmachst, dann sorge ich dafür, dass du ein paar Wochen nicht auftreten kannst. Verstanden?«
Die anderen Tänzer hatten die Szene mit zumeist betretenen Gesichtern verfolgt. Sie wussten genauso gut wie er, dass die Führungsposition demnächst geklärt werden musste. Luke war sich allerdings noch nicht sicher, ob er sie wirklich haben wollte. Er war nicht der Typ für bindende Verpflichtungen. Ein Tänzer aus der Reihe war relativ einfach zu ersetzen, bei einem Frontmann war das nicht so. Der Gedanke, diese Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen, bereitete Luke Unbehagen.
Draußen im Vorraum traf er auf Marcel, den Masseur, und schüttelte ablehnend den Kopf.
»Danke, heute nicht. Kümmere dich um Joe, der hat es nötiger.«
Marcel sah enttäuscht aus, zuckte dann aber die Schultern.
»Schade, aber deine Entscheidung. Ob ich bei Joe noch etwas ausrichten kann, wage ich allerdings zu bezweifeln.«
Er legte schnell eine Hand über seinen Mund und blinzelte Luke zu.
»Ich hab nix gesagt«, und Luke musste grinsen. Natürlich war dem Masseur der Truppe der körperliche Verfall des Fronttänzers nicht entgangen. Im selben Moment kam Luke ein anderer Gedanke. Er hielt den Masseur am Arm fest.
»Sag mal, kennst du eine Physiotherapeutin in der Stadt namens von Rackdorf?«
Der schlaksige Angestellte, der abseits der Bühne offenkundig für Luke schwärmte, nickte zu seiner Überraschung.
»Ja klar! Sie war die Beste in unserer Ausbildungsklasse. Tessa hat Wunderhände, und wenn das Ding mit ihren Eltern nicht gewesen wäre, würden bestimmt noch viel mehr Leute sie kennen. Wie kommst du auf sie?«
»Ach, ich habe ihren Namen irgendwo aufgeschnappt und mich gefragt, ob sie mein ständiges Problem mit dem Adduktoren-Syndrom beheben könnte.«
Marcel nickte mit einem betrübten Ausdruck im Gesicht.
»Es tut mir so leid, dass ich dir da keine große Hilfe bin, das übersteigt bedauerlicherweise meine Ausbildung. Tessa ist da gar keine schlechte Idee. Warum hab ich eigentlich nicht selber an sie gedacht? Egal. Ich werde einen Termin für dich vereinbaren. Wenn ich bei ihr anfrage, klappt das sicher schnell.«
Luke brauchte nur eine Sekunde zum Überlegen, die mehr der Überraschung geschuldet war, als der Überlegung. Er stimmte Marcel mit einem, wie er hoffte, dankbaren Lächeln zu.
»Wenn du da was arrangieren könntest, wäre das super. Sag Bescheid, ja?«
Es war einer der wenigen Abende, an denen Luke direkt nach dem Auftritt allein nach Hause ging. Er schlängelte sich durch die Raucher am Hinterausgang und wiegelte die Angebote der Dealer mit ihren Amphetaminen und härteren Drogen unwirsch ab. Die schmale dunkle Gasse war buchstäblich die Kehrseite zum glamourösen Vordereingang an der breiten hellen Straße. Luke war kein Mann, der andere Menschen verurteilte, denn schließlich gehörte er auch nicht gerade zu den biederen, gesetzestreuen Bürgern, aber er würde nie verstehen, wie man sich freiwillig den Verstand wegballern konnte. Dafür war er ohne Zweifel zu gern Herr der Lage.
Unterwegs machte er kurz Halt an einem Imbiss und besorgte sich einen Kaffee und ein Sandwich. Beides war nicht besonders gut und er ließ die Dinge angewidert in einen Abfalleimer fallen, der an der Straßenecke vor seiner Wohnung stand. Dort angekommen, startete er seinen Laptop, rief die Webseite des Bundeskriminalamtes auf und fixierte überlegend das Logo der Behörde. War ihm die vermeintliche Erbin einer riesigen Gaunerbeute das Risiko einer Entdeckung wert?
Luke selbst war nicht das, was man ein Computergenie nannte, aber er besaß beste Verbindungen in einschlägige Kreise. Über die Freunde von Freunden und deren Freunde war er in den Besitz eines kleinen Wunderdings gekommen, das sich Codeknacker nannte. Es hatte ihn eine gehörige Stange Geld gekostet, aber sich inzwischen mehr als bezahlt gemacht. Einmal eingesteckt, konnte er zusehen, wie es die Sicherheitsschranken überwand und ihn schließlich Einsicht in eigentlich vertrauliche Akten gewährte.
Er schnappte sich den letzten Apfel aus der Kartonverpackung und klickte sich kauend durch die Datenbanken, bis er auf die bereits geschlossene Akte über den Fall von Rackdorf stieß. Sicherheitshalber las er sich nicht online ein, sondern kopierte die Datei und trennte sich vom Netz. Man konnte ja nie wissen.
Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrogen und obendrein hatte er richtig vermutet. Wie Marcel ihm eigentlich schon bestätigt hatte, war diese Tessa das einzige Kind des betrügerischen Ehepaares. Sie wurde damals nach der Verurteilung ihrer Eltern einem nicht näher genannten gerichtlichen Vormund unterstellt, weil sie noch nicht volljährig war. Laut der Akte wurde der Besitz der Familie beschlagnahmt, was für Luke jetzt nicht so gut klang. Wenn der Staat sich alles unter den Nagel gerissen hatte, konnte in diesem großen Haus nicht viel zu holen sein. Natürlich sagte die Akte nichts darüber aus, ob die irgendwann volljährig gewordene Tessa zumindest einen Teil des familiären Eigentums zurückforderte. In der beigefügten Liste der beschlagnahmten Gegenstände tauchten einige Dinge auf, die seine Begehrlichkeiten weckten, aber an irgendeiner Asservatenkammer war er nicht interessiert. Er wollte die Akte schon leicht frustriert schließen, als ihm ein winziger Vermerk unterhalb der Eigentumsliste auffiel.
- Signierte, außerordentlich gute Fälschung des Gemäldes *der Turm der blauen Pferde, von Franz Marc* ist explizit Tessa von Rackdorf gewidmet und verbleibt daher in deren Besitz.
Luke verschluckte sich beinahe wie Schneewittchen am Apfelbissen, hustete das Stückchen mit Tränen in den Augen hoch und sprang erregt vom Stuhl auf. Ihm war kein guter Kunstfälscher bekannt, der ein Bild derart auffällig signierte, dass eine stupide Behörde es bemerken würde. Und wenn, dann konnte man die Fälschung nicht als gut bezeichnen. Das war Lukes Fachgebiet, er liebte wertvolle Gemälde. Sie waren seine bevorzugte Beute und dieser kleine Vermerk roch nach einer handfesten Sensation. Das Kunstdieb-Gen in ihm schlug eindeutig Alarm.
Eine Stunde später stand er, ganz in dunkles Leder gekleidet, erneut vor der Villa und lauschte auf mögliche Lebenszeichen der Besitzerin. In der mondhellen Nacht wirkten die Fassaden der Häuser wie Kulissen aus einem Horrorfilm, weil der Wind die teilweise noch dürren Äste der davorstehenden Bäume wie gruselige Finger hin und her bewegte. Abgesehen von der sich bauschenden Gardine rührte sich in seinem Zielobjekt aber nichts. Entweder war die Hausbesitzerin nicht zuhause oder sie schlief tief und fest.
Immerhin war es bereits zwei Stunden nach Mitternacht und für Luke sah es nach einer fifty-fifty Chance aus, nicht ausgerechnet ihr Schlafzimmer zu erwischen. Geschmeidig schwang er sich nach einem letzten kurzen Rundumblick über die niedrige, ungepflegte Hecke und verschmolz gleich darauf mit den Schatten an der Wand. Die hölzernen Fenster, die ebenfalls leichte Spuren der Verwitterung zeigten, entpuppten sich bei näherem Hinsehen als überraschend gut gesichert. Sein geübtes Auge entdeckte die versteckten kleinen Kabelkanäle der Alarmanlage auf Anhieb. Es sah nach keinem übermäßig professionellen Einbau aus, erfüllte allerdings sicher seinen Zweck. Diese Tessa war also bei weitem nicht so unbedarft, wie der erste Eindruck vermuten ließ. Luke betrachtete diese Tatsache als zusätzlichen Ansporn und ließ sich keineswegs von seinem Vorhaben abhalten.
Der abbröckelnde Putz hatte genug Mauerwerk freigelegt, damit die löchrigen Ritzen ihm den Aufstieg in den ersten Stock ermöglichten. Er überwand das Balkongeländer und entdeckte, dass es sich nicht um ein Fenster, sondern um eine Balkontür handelte, neben der er sich lauschend an die Wand drückte. Es erschien ihm reichlich unlogisch, eine Alarmanlage zu besitzen und dann einfach diese Tür einladend offen stehen zu lassen. Einige Atemzüge lang wartete er auf eine wie auch immer geartete Rektion, aber es blieb alles ruhig. Das Mondlicht wurde gerade durch ein paar Wolken gedämpft, weswegen Luke gewissermaßen einen Schritt ins Dunkle wagte, als er ins Zimmer trat.
Seine Sinne schlugen schon beim Gefühl von weichem Teppich unter seinen Füßen Alarm. Der wiederauftauchende Mond ließ ihn endgültig verdutzt erstarren. Luke fand sich in einem Mädchenzimmer wieder, das aus einem Disneyfilm zu stammen schien. Rosa und Weiß waren die vorherrschenden Farben, soweit es im Halbdunkel auszumachen war. Zierliche, ebenfalls weiße Möbel mit goldenen Beschlägen verteilten sich auf einem flauschigen Teppich, der selbst ein herantrampelndes Nashorn lautlos auftreten lassen würde. Den Mittelpunkt dieses kitschigen Alptraums bildete ein überdimensioniertes Himmelbett, dessen Vorhänge leise raschelten. Verdammt! Hier lebte offenbar ein Kind, obwohl er vorher keinerlei Anzeichen dafür gefunden hatte. Genauer gesagt war er gar nicht auf die Idee gekommen, danach zu suchen. Doch dieses Zimmer konnte er sich nur so erklären.
Überaus vorsichtig trat er näher an das Bett heran. Kinder waren, seiner zugegeben bescheidenen Erfahrung nach, unberechenbar. Die Kleine, denn der Einrichtung nach handelte es sich bestimmt um ein Mädchen, konnte schlafen wie ein Stein oder im nächsten Moment loskreischen wie eine gut gewartete Feuerwehrsirene. Er schob den luftigen Stoff des Bettvorhanges ein Stück zur Seite und drehte das kleine Nachtlicht zum Kopfkissen. Gleich darauf sog er scharf die Luft ein, um nicht überrascht aufzustöhnen. Die Schläferin war unverkennbar die junge Frau vom Ausweisbild.
Ihre braunen Haare lagen breit gefächert auf den makellos weißen Kissen und sie schlief mit leicht geöffneten, blassrosa Lippen. Lukes Hände verkrampften sich um den leichten Stoff der Vorhänge, als ihm klar wurde, dass Tessa nackt schlief. Sie lag, mit den Händen unter der Schläfe, auf der Seite und die Decke war ihr auf die Hüften gerutscht. Zusammen mit dem diffusen Licht von draußen sah sie beinahe aus wie ein Gemälde von Courbet. Sein Blick wanderte über den Schwung ihres Oberkörpers von der Schulter zum Saum der Decke und saugte sich dann an der seidig schimmernden Rundung ihrer Brust fest, die unter dem angewinkelten Arm hervorlugte. Der Hauptunterschied zum Akt des Malers war die sanfte Bewegung.
Man sollte meinen, dass gleichmäßiges Atmen im Schlaf nichts Erotisches an sich hatte, aber Luke fragte sich plötzlich, wie es sich wohl anfühlen würde, sie zu berühren. Er musste schlucken, weil sich die Lederhose ungeheuer eng anfühlte, während er alle Kraft zusammennahm, um nicht die Hand auszustrecken. Diese Anstrengung kostete ihn einige Konzentration und ganz unwillkürlich atmete er lauter aus als beabsichtigt. Die Schlafende räkelte sich ein wenig und drehte sich auf den Rücken. Erschrocken und jählings ernüchtert ließ Luke den Vorhang los und ging mit winzigen Schritten lautlos rückwärts zur gegenüberliegenden Zimmertür.
Hatte er je eine Tür mit solcher Vorsicht geöffnet? Wahrscheinlich nicht, denn er wagte erst wieder Luft zu holen, nachdem er sie hinter sich geschlossen hatte. Er lehnte sich aufatmend an den Türrahmen und überlegte, welch ein Glück die junge Frau doch hatte. Luke besaß zwar absolut keine reine Weste, physische Verbrechen dieser Art lagen jedoch nicht in seiner Natur, da er rohe körperliche Gewalt ohnehin für eine intellektuelle Bankrotterklärung hielt. Trotzdem brauchte er eine Weile, um seine Sinne, die selbstverständlich auf den Anblick reagiert hatten, unter Kontrolle zu bekommen.
Nach einigen tiefen, ruhigen Atemzügen schlich er die Treppe hinunter. Er musste dringend einen anderen Ausgang aus dem Haus finden, weil er das Zimmer mit der schlafenden Tessa ganz bestimmt nicht mehr betreten wollte. Da er aber nun mal bereits im Haus war, konnte er sich genauso gut auch wie geplant umsehen. Vielleicht war ja ein Hinweis auf das bewusste Bild zu finden.
Am Fuß der überbreiten Treppe knipste er die kleine Taschenlampe an, die er mitgebracht hatte, und ließ den Lichtkegel schweifen. Die Enttäuschung hätte nicht größer sein können, denn hier gab es nichts. Ein Architekturstudent würde das vielleicht anders sehen, denn die Eingangshalle wartete mit perfekt restaurierten Stuckverzierungen und einem wundervollen authentischen Bodenmosaik auf. Die breiten typischen Tür-und Fensterrahmen schienen die originalen Bauteile zu sein, aber der Höhepunkt dieser Halle war ohne Zweifel der opulente Kronleuchter inmitten einer prachtvollen Stuckrosette.
Solche Bauarbeiten konnten Unsummen verschlingen, was Luke wiederum zu der Frage brachte, wie es um das Vermögen der momentanen Bewohnerin stand. Vielleicht war ihr das Geld ausgegangen, denn es gab keine Möbel, keine Bilder oder Spiegel. Nur das blinkende Kästchen der Alarmanlage störte die museumsähnliche Atmosphäre des Raums. Eine Tür jedoch stach mit einem modernen Sicherheitsschloss heraus. Auf ihr prangte ein, in diesem Umfeld unschönes, modernes Praxisschild. Dahinter erwartete Luke nichts zu finden, daher ging er daran vorbei in das direkt angrenzende große Zimmer, das wohl einmal der Salon gewesen war. Dieselbe liebevolle Instandsetzung der baulichen Elemente und die gleiche gähnende Leere, abgesehen von einem einzigen Bild an der Stirnseite. Im Lichtpunkt seiner Taschenlampe erstrahlte unverkennbar der Turm der blauen Pferde!
Luke stellten sich schon beim Näherkommen die Nackenhaare auf. Man sagte bekanntlich Frauen das bessere Bauchgefühl nach, in Sachen Kunst allerdings besaß er das feinere Radar. Erst war es nur ein Instinkt, aber als er direkt vor dem Bild stand, begann sein Verstand zu rattern. Das war entweder die mit Abstand beste Fälschung eines Gemäldes von Marc, die er je gesehen hatte, oder es handelte sich, so unwahrscheinlich es auch klang, um das Original.
Fasziniert blendete er seine Umgebung völlig aus, hob das Bild vorsichtig leicht von der Wand weg und fuhr mit zwei Fingerspitzen über die Rückseite des Rahmens, aber er fand keine Sicherung. Das sprach natürlich für eine gut gemachte Fälschung, doch seine Sinne beharrten auf dem Gegenteil. Luke betrachtete das Bild nicht nur im Licht seiner kleinen Lampe, er ließ es auch im Halbdunkel der nur schwach hereinleuchtenden Straßenlaternen auf sich wirken. Es half alles nichts. Sein Puls beschleunigte sich und seine Hände begannen, besorgniserregend zu zittern. Das war eindeutig das Echte, seit dem Dritten Reich verschollene Gemälde. Er mochte jetzt gar nicht daran denken, was es einem Sammler wert wäre. Die Summen, die bei solch seltenen Gelegenheiten im Spiel waren, überstiegen seine persönliche Vorstellungskraft bei weitem. Das war eine Sache, die er erst einmal verdauen musste.
Nur mit äußerster Mühe konnte er den Blick abwenden und sich auf die Suche nach einem Weg nach draußen machen. So leid es ihm auch tat, er hatte in diesem Moment keine andere Wahl, als ohne das vermeintlich wertvolle Bild zu verschwinden. Der Diebstahl würde sich herumsprechen und ihm den Markt ruinieren, bevor er einen Experten befragen konnte. Sollte das Gemälde sich als echt herausstellen, brauchte er vertrauenswürdige Kontakte. Nicht jeder Hehler konnte derart heiße Ware handeln und die meisten, die er kannte, würden die Finger davon lassen. In diesen Dimensionen war Luke nicht zuhause, jedenfalls bisher noch nicht. Er merkte, wie sich ein Grinsen in sein Gesicht schlich, denn vielleicht spielte er demnächst in einer ganz neuen Liga. Das Bild zu stehlen, würde angesichts der fahrlässig gesicherten Örtlichkeit der leichteste Teil werden, es gebührend zu verkaufen erforderte jedoch sorgfältige Planung.
Luke brauchte zwei Tage, um mit aller gebotenen Vorsicht einige Hehler zu kontaktieren. Es war gar nicht so einfach, wenn man nicht sagen wollte, um welches Bild es ging. Die Reaktionen reichten von Gelächter bis zu misstrauischen Vorwürfen. Bisher verschollene Gemälde sorgten schon immer für Aufruhr, sowohl bei den legalen als auch den nicht ganz so legalen Händlern. Die Sensation eines Fundes war dabei nur selten die plötzliche Aufmerksamkeit der Behörden wert. Der Kunstmarkt, an den Luke sich wandte, neigte dahingehend eher zur Vorsicht.
Natürlich versuchte Luke mit Hilfe des weltweiten Netzes selbst so viel wie möglich über das Gemälde herauszufinden. Er schwankte zuweilen zwischen der Hoffnung, dass sein Instinkt ihn noch nie betrogen hatte, und dem Zweifel, weil er noch nie so ein unverschämtes Glück hatte. Vielleicht war er ja nur einer optischen Täuschung durch das diffuse Licht aufgesessen. Doch seine Recherchen führten ihn nur zu Spekulationen über den Verbleib des Bildes. Es gab einfach keine gesicherten Hinweise und deshalb konnte es genauso gut in Tessas Besitz sein.
Seinen besten Freund Dimitri zog er allerdings teilweise ins Vertrauen, damit dieser ihm dabei half, etwas über die schöne Schläferin herauszufinden. Der Rechtsanwalt, der auch als Pflichtverteidiger fungierte, besaß mehr Erfahrungen und auch bessere Verbindungen, um in alten Akten zu schnüffeln.
»Du schuldest mir ein Zaubermittel gegen meine Stauballergie, Freundchen«, brummelte Dimitri und suchte sich im Kühlschrank ein Bier. »Viel mehr, als du ohnehin schon wusstest, habe ich auch nicht gefunden.«
Luke konnte seine Enttäuschung nur schlecht verbergen.
»Nicht mal über das Jugendamt? Sie war damals schließlich noch minderjährig.«
Sein Freund blies die Backen auf. »Da erst recht nicht, denn diese Akten sind entweder außerhalb meiner Reichweite oder bereits vernichtet.«
»Vernichtet? Seit wann werden in Deutschland Akten vernichtet?«
Ein bekanntes kribbelndes Gefühl auf seiner Kopfhaut verhieß Luke nichts Gutes. Er nahm sich ebenfalls ein Bier und stieß es gegen das von Dimitri.
»Spuck es endlich aus! Da ist doch irgendwas.«
Er wartete, bis sein Freund einen tiefen Schluck genommen hatte.
»Die Ermittlungsakte des Falls derer von Rackdorf ist umfangreich und, für sich betrachtet, ziemlich langweilige Lektüre. Finanzschwindler ohne jegliches Charisma eben. Das Interessante daran ist aber, dass deine Tessa als Tochter zwar genannt wird, alle Passagen über sie jedoch geschwärzt sind. Laut Akte gibt es sie nur bis zur Verhaftung ihrer Eltern. Danach verschwindet sie spurlos und taucht erst zur Hauptverhandlung wieder auf.«
»Sie ist nicht meine Tessa«, fühlte sich Luke bemüßigt, zu sagen.
»Hmh ... klar«, grinste Dimitri und hob beschwichtigend die Hand. »Die noch minderjährige Tochter klingt nach Kind, aber sie war da kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Die Ermittlungen zogen sich insgesamt über ein paar Jahre, weil das Geflecht doch schwierig zu entwirren war. Europol schleuste Undercover Leute in die Organisation und brachte sie quasi von innen heraus zu Fall. Und dann kommt der Knaller.«
Dimitri trank sein Bier aus, während Luke sich ihm neugierig entgegenbeugte. »Was? Mach es nicht so spannend!«
»Wie aus dem Nichts taucht am dritten Tag des Strafprozesses die Tochter als Zeugin der Anklage auf und trägt nicht unerheblich dazu bei, dass ihre Erzeuger für lange Zeit im Knast landen.«
Er breitete die Arme aus, als würde er auf Beifallsstürme warten. »Wieso und warum, wurde nie bekannt. Nicht einmal die Schnüffelpresse konnte etwas Brauchbares über das Motiv der Tochter herausfinden, geschweige denn, wo diese die ganze Zeit gesteckt hatte.«
»Du willst andeuten, dass damals irgendetwas nicht ganz rund gelaufen ist, oder?« Luke kratzte sich am Kinn. »Mysteriöse Person besitzt einen vermeintlichen Schatz aus einer ebenso mysteriösen Quelle.«
Sein Freund stand auf, klopfte ihm auf die Schulter und machte Anstalten, zu gehen. »Genau dein Fall, wie es aussieht. Das Geheimnis muss jedoch bis morgen warten, denn wir haben heute Abend eine Show. Vergiss das nicht!«
»Der Abend wird bestimmt super und ich habe nicht vor, ihn alleine zu beenden. Eine verschwitzte Nacht lenkt immer noch am besten von ernsten Gedanken ab.«
Nachdem Dimitri gegangen war, klickte sich Luke eher lustlos durch die einschlägigen Kunstseiten im Internet. Natürlich stand nicht zu erwarten, dass es abweichende Einschätzungen zu dem bewussten Bild gab, und er fand auch keine. Seine Konzentration war auch nicht die allerbeste, als er sich auf der Suche nach Hinweisen in Marcs Briefe aus dem Feld einlesen wollte. Die nackte Schläferin ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er dachte an Tessa und spürte für den Bruchteil einer Sekunde eine Anwandlung von schlechtem Gewissen. Angesichts des leeren Hauses wäre es durchaus möglich, dass er dabei war, ihr das Wertvollste zu stehlen, was sie besaß. Etwas frustriert schloss er den Laptop und redete sich ein, dass die Leute im Allgemeinen ihre Wertgegenstände versicherten. Die junge Frau hatte immerhin eine Alarmanlage installieren lassen, sie würde doch dabei ihr wundervolles Gemälde nicht vergessen. Das wäre äußerst dumm und Luke mochte nicht glauben, dass sie das war.
Auf jeden Fall beanspruchte diese Tessa seine Gedanken über Gebühr und das bereitete Luke leichte Bauchschmerzen. Es wurde wirklich Zeit, dass er abgelenkt wurde. Entschlossen machte er sich auf den Weg ins Bad, um zu duschen. Doch auch ziemlich kaltes Wasser verscheuchte das Bild der nackten Schläferin nicht aus seinem Kopf. Er wurde die Erinnerung an die junge Frau im Himmelbett nicht los.
Luke war beileibe kein Romantiker, aber dieses Bild hatte sich in sein Gehirn gebrannt. Während das Wasser auf ihn herunterprasselte, stellte er sich vor, was passiert wäre, wenn er dem Impuls nachgegeben und sie berührt hätte. Mit geschlossenen Augen meinte er, mit den Fingern dem Schwung ihres Oberkörpers folgen zu können. Er bildete sich ein, dass seine Berührung ihrer schimmernden Haut ihr ein wohliges Stöhnen entlocken würde.
Luke merkte, wie Erregung in seinen Körper strömte und sich manifestierte. Er wurde hart bei der Vorstellung, wie sie ihre Beine um ihn schlingen und ihre Lust laut herausschreien würde. Es war wohl der krasse Gegensatz des verspielten Bettes zu seiner Auffassung von gutem Sex, der ihn dazu brachte, sich selbst Befriedigung zu verschaffen.
Der Abend brachte die letzte Vorstellung der *Dream-Night-Dancer* in dieser Stadt und dementsprechend das erwartete volle Haus. Die allermeisten ihrer Shows waren ausverkauft gewesen, aber der Abschiedsabend toppte die Zahlen nochmal, da es nur Stehplätze gab. Die Stimmung im Nachtclub kochte beinahe über. Die Musik konkurrierte mit dem Kreischen der aufgeregten Frauen um die Wette und so manches Mal war es von Vorteil, dass die Tänzer ihre Schritte bereits zu gut verinnerlicht hatten, um jetzt noch zwingend einen Takt zu benötigen.
Ihre Zuschauerinnen drängten sich pfeifend und johlend am Bühnenrand und Luke hielt die Weiber erneut für weitaus entfesselter als aufgegeilte Männer. Der genossene Alkohol, die anonyme Menge und nicht zuletzt die aufpeitschende Musik, enthemmten die meisten der Frauen. Hier wurden Triebe freigesetzt, die von weiblicher Seite eigentlich gerne den Männern vorgeworfen wurden. Er selbst spürte dutzende von Händen auf seinem eingeölten Körper und seinen Kollegen ging es offenbar nicht anders. Nicht, dass sie das Angrabschen nicht gewöhnt wären, aber an diesem Abend war alles etwas intensiver, nachdrücklicher. Bestimmt würde er spätestens morgen die eine oder andere Kratzspur von Fingernägeln an seinem Körper entdecken. Er grinste, als ihm ein alter Spruch dazu einfiel. »Wehe, wenn sie losgelassen!«
In diesem speziellen Lichtgemisch aus Spotlights, Shownebel und rotierenden Farben verschwammen die Gesichter der Frauen vor ihm zu einer undefinierbaren Masse, aus der sich keine einzelne Person herausschälen konnte. Er war jedoch fest entschlossen, sich eine Frau herauszupicken. Allein schon, um die Gedanken an die schlafende Schönheit aus dem Kopf zu kriegen.