Der ehrliche Finder - Lize Spit - E-Book

Der ehrliche Finder E-Book

Lize Spit

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Beschreibung

Vom Glück, einen echten Freund zu haben, von Kindheit, Hoffnung und Verzweiflung – eine Geschichte aus dem Herz unserer Gegenwart. Seit er vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen ist, sitzt Tristan in der Schule neben Jimmy, der klüger und einsamer ist als alle anderen und es sich zur Aufgabe macht, Tristan Ibrahimi durch das Schuljahr zu begleiten. Denn der hat nicht nur einen Krieg erlebt und eine Flucht durch ganz Europa, sondern auch das, wonach Jimmy sich am meisten sehnt: eine intakte, große Familie, die Halt und Geborgenheit bietet. Gemeinsam bauen sie sich ihre eigene Welt voller gegenseitiger Bewunderung und bedingungsloser Hingabe, geheimer Orte und einer Sprache, die beide verstehen. Bis jemand eine Entscheidung trifft, die nicht nur ihre Welt zum Einstürzen zu bringen droht, und ein Plan geschmiedet wird, der Jimmy und Tristan alles abverlangt. »›Der ehrliche Finder‹ ist ein literarisches Juwel, das die beste Werbung für die Kraft von Literatur ist.« Het Nieuwsblad »Lize Spit ist eine Meisterin im Aufbau von Spannung.« Trouw

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Seitenzahl: 119

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Lize Spit

Der ehrliche Finder

Roman

 

Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen

 

Über dieses Buch

 

 

Jimmy ist ein ehrlicher Finder: tauschen kommt für ihn nicht in Frage, er akzeptiert nur selbst gefundene Flippos. Die runden Chips sammelt er in zwei Alben, eines für sich und eines für seinen besten Freund, Tristan. Vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen, sitzt er seitdem in der Schule neben ihm. Gemeinsam helfen sie nachmittags im Gemüsegarten der neunköpfigen Familie und essen anschließend ihr Leibgericht, Papri-Mansch. Doch als Tristan und seine Familie abgeschoben werden sollen, denken die beiden ungleichen Freunde sich einen Plan aus: Jimmy soll in den Fluss springen und von Tristan gerettet werden. Aber Jimmy kann nicht schwimmen und Tristan hat einen ganzen Krieg hinter sich, vor dem er geflüchtet ist.

»Der ehrliche Finder« erzählt vom Glück, einen Freund zu haben, vom Kindsein, von Sehnsucht und Verzweiflung. Es ist eine Geschichte aus dem Herz unserer Gegenwart.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Lize Spit wurde 1988 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf in Flandern auf und lebt heute in Brüssel. Sie schreibt Romane, Drehbücher und Kurzgeschichten. MIt ihrem Debüt »Und es schmilzt« stand sie Erscheinen ein Jahr lang auf Platz 1 der belgischen Bestsellerliste, gewann zahlreiche Literaturpreise und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Auch ihr zweiter Roman, »Ich bin nicht da«, war ein großer Erfolg. »Der ehrliche Finder« ist ihr dritter Roman.

Inhalt

[Widmung]

I

II

III

IV

Anhang

Für Elbie Zenelaj

I

Viel mehr könne Tristan am Telefon darüber nicht sagen. Er habe sich einen Plan überlegt, sie würden ihn morgen ausführen, sie bräuchten Jimmy dafür, deshalb wäre es praktisch, wenn er bei ihnen übernachten würde. Ob er heute Nachmittag schon um zwei kommen könne?

Tristan legte auf, zum Fragenstellen bekam Jimmy keine Gelegenheit. Er blieb eine Weile stehen, den Hörer noch in der Hand.

Es war das erste Mal, dass ihn jemand einlud, bei ihm zu übernachten, und Tristan war nicht irgendein x-beliebiger Jemand. Die Ibrahimis schliefen nicht in getrennten Betten, sondern alle zusammen auf Matratzen auf dem Boden, das hatte Jimmy mit eigenen Augen gesehen, als sie neulich Verstecken gespielt hatten und er auf der Suche nach einem Versteck die Schlafzimmertür aufgestoßen hatte. Der Raum war wie ein in Erfüllung gegangener Wunsch, eine Landebahn aus Kissen und Decken, auf denen man mehrere Purzelbäume rückwärts machen oder ein Rad schlagen oder auf den Händen stehen konnte, ohne sich das Rückgrat zu brechen.

Wenn er sich jetzt vorstellte, heute Abend dort zu liegen, zwischen Tristan und seinen sieben Geschwistern, dann regte sich etwas in Jimmys Brust, etwas Fröhliches, aber auch Dumpfes, als schlüge jemand eine Triangel mit einer Mohrrübe an.

 

Bevor der Spaß losgehen konnte, musste er auf seine tägliche Runde. Um, wie er es selbst nannte, seinen Beruf auszuüben, der darin bestand, ehrlich und achtsam zu sein. Denn außer Tristans bestem Freund war er auch ein angehender Sammler von Weltrang. Und was so einen angehenden berühmten Sammler von einem höchstwahrscheinlich mittelmäßigen Sammler unterschied: unter keiner Bedingung vom Weg abzuweichen. Nicht bei Regen, nicht bei Hagel, nicht bei Nervosität. Also los, die Mütze aufgesetzt, Schnürsenkel doppelt geknotet und das rechte Hosenbein in die Socke gesteckt.

Jimmy fuhr aus dem neuen Viertel hinaus, auf seinem noch etwas zu großen Mountainbike mit den vierzehn Gängen und der Lampe, auf die er mit schwarzem Stift seine Initialen gemalt hatte. Erst nach links in die Herentalsebaan, einen Kilometer geradeaus bis zu dem Apfelhof in Broechem, wo die Sparbüchse für die Selbstabholer stand und wo Kunden, die aus dem Autofenster heraus bezahlten, manchmal Geld aus den Fingern fiel. Danach über die Liersebaan, am Cool Down, dem DrankenArsenaal, De Engel, dem Patriot vorbei, an möglichst vielen anderen Geschäften entlang der Chaussee, um in den Münzrückgabefächern der Zigaretten- und Spielautomaten sowie der Geldwechselmaschinen der Billardtische zu tasten, danach zu der Fußballkantine, alle Schließfächer in den Umkleideräumen checken. Beim Fahren den Blick ununterbrochen auf die Straße gerichtet halten, um verlorene Münzen zu erspähen. Sich nicht zu schade sein, an jedem Brötchen-, Kondom- und Süßigkeitenautomat zu halten, an jeder Parkuhr, und alle auf den Parkplätzen von ALDI, Lidl, GB, vom Gartencenter und von der Fliesenfiliale herumstehenden Einkaufswagen zurückzubringen – nicht nur weil es ihn etwas nervös machte, wenn Dinge nicht ordentlich an ihrem Platz standen, sondern auch weil sich damit noch oft zwanzig belgische Francs verdienen ließen.

Er war fast am Gemeindeplatz, dem entferntesten Punkt seiner Route, wo er immer kehrtmachte, um auf einer etwas anderen Strecke nach Hause zu fahren. Diesmal hatte er noch kein Glück gehabt. In der Ferne konnte er das Cera-Bürogebäude sehen, dort war der Geldautomat, der Ort, an dem theoretisch die größte Chance bestand, der Punkt, auf den hin seine Fahrt zulief.

Es war bewölkt, lau und windstill, keine fröhlich flatternden Fähnchen an der Pommesbude. Mäßiges Sommerwetter, das nicht ganz zu der Aufregung passte, die Jimmy verspürte, und nicht zu dem Tag, an dem er zum ersten Mal in seinem Leben woanders übernachten würde.

 

Er sah es nicht gleich. Die Blicke, die er von weitem auf den Bankautomaten warf, gingen aus reiner Gewohnheit bereits mit relativierenden Sätzen einher – es wäre auch wirklich zu einfach, Geld bei einer Bankfiliale zu finden. Als er aber nahe genug herangekommen war, durchfuhr ihn ein Schock, der seinen Körper von Kopf bis Fuß zittern ließ. Genau heute, genau jetzt, wo er mit seinen Tagträumen schon bei Tristan und bei heute Abend war, geschah das, worauf er seit Monaten gehofft hatte: Aus der Klappe ragten Scheine hervor. Die Quelle allen Geldes, die Schatzfabrik der Reichen hatte etwas für Jimmy verwahrt!

Er wollte dieses Glück so lange wie möglich andauern lassen, zu einem hauchdünnen Faden dehnen, der einfach kein Ende nahm, er wollte Tristan dazuholen, um das Glück zu verdoppeln, doch aus Angst, der Automat würde es sich anders überlegen und das Geld wieder schlucken, beeilte Jimmy sich. Sein Mountainbike ließ er an Ort und Stelle fallen, dann spurtete er über den breiten Gehweg zum Geldschlitz. Er musste es zählen, denn er konnte sich erst wirklich als Finder bezeichnen, wenn er genau wusste, wie viel es war. Es war ein ganzes Bündel, noch nie hatte er Banknoten in so großer Zahl in der Hand gehalten, dass sie Gewicht hatten. Auf der Vorderseite der Fünfhundertfrancnote war ein seriöser Herr abgebildet. Jimmy drückte den Herrn auf dem obersten Schein an seine Wangen, erst rechts – danke! – und dann links – danke! Warum hatte ihm vorher niemand gesagt, wie glatt neues Papiergeld war, so weich wie ein frisch gewaschener Kissenbezug?

Er blickte um sich. Das Reiterstandbild in der Mitte des Platzes, das Schaufenster des geschlossenen Brötchenladens, die Einfahrt der Feuerwehrzentrale. Es war kein Scherz, nirgends kam ein Kamerateam zum Vorschein, es gab nicht einmal Zeugen, das Dorfzentrum lag vollkommen verlassen da.

Er zählte das Geld noch einmal durch, aus Angst, der Herr auf dem Schein hätte Protest eingelegt, weil er nicht von einem Jungen mit dem Familiennamen Sluis, Sohn eines pleitegegangenen Versicherungsagenten, gefunden werden wollte, aber nein, es blieben dieselben zehn blauen Scheine im Wert von insgesamt – schnell mal rechnen – fünftausend Francs.

Fünftausend Francs, das bedeutete: mehr als zweihundertfünfzig Tüten Chips, wenn man sie im großen Supermarkt kaufte. Und mehr als zweihundertfünfzig große Tüten Chips, das bedeutete: mehr als siebenhundertfünfzig Flippos, jeweils mit der Chance auf ein noch fehlendes Exemplar.

Er schnupperte an den Scheinen, sie rochen überraschend neutral, rollte sie zusammen und klemmte sich die dicke, fette Zigarre zwischen die Lippen, wie es Peter Bruchmüller in den Gaston-Comics machte, nur war er kein reicher Geschäftsmann mit einer Mappe voller Verträge, nein, in Kürze wäre er etwas Besseres: ein Sammler von Weltrang.

Jimmy ging zu seinem Fahrrad zurück. Er hatte noch den ganzen Nachhauseweg, um sich zu überlegen, wie er es am besten anstellen sollte. Im nächstgelegenen Supermarkt könnte er sich schon mal Chips aussuchen, die Höchstzahl an Tüten, die er auf seinem Mountainbike transportieren konnte, eine Einkaufstüte an jedem Griff, und dann heute Nachmittag die ihrer Flippos beraubten Chips zu Tristan mitnehmen, für jeden Ibrahimi eine andere Geschmacksrichtung. Oder nein, er musste schlau vorgehen, besser war es, den vollen Betrag in ein und demselben Geschäft einzusetzen, weil die Flippos den Tüten, die vom Band rollten, in der richtigen Reihenfolge beigegeben wurden, das heißt, wenn man von ein und derselben Partie welche kaufte, hatte man auf jeden Fall die gesamte Flipposammlung von Nummer 1 bis 295 auf einen Schlag komplett, mehr noch, man hatte gleich zwei Sammlungen komplett. Er könnte Onkel Kurt das Geldbündel zeigen – der gab sich immer freundlich gegenüber Leuten mit viel Geld in der Tasche – und ihn bitten, mit dem Anhänger zum Makro zu fahren. Soweit er wusste, gab es in der ganzen Provinz noch niemanden, der eine vollständige Flipposammlung besaß. Die Zeitung würde bestimmt darüber berichten und einen Fotografen schicken, wie sie es auch beim besten Kürbiszüchter der Gegend oder dem erfolgreichsten Hechtfänger des Angelclubs tat.

Er sah es schon vor sich, den Gemeindeplatz, die Zeremonie, bei der der Bürgermeister ihn als den ersten Sammler mit zwei vollständigen Sammlungen ehren würde, die Blaskapelle mit den Majoretten, darunter die beiden ältesten Ibrahimi-Mädels, die Gemeinde hätte Klapptische aufgestellt, schön zurechtgemacht mit Papiertischdecken und Chipsschälchen, es würde Applaus geben, vielleicht würde sogar sein Vater kommen und zuschauen, und dann käme das Beste, der moment suprême: die Überreichung der Alben mit den Doppelten an Tristan, der sie mit offenem Mund entgegennehmen und damit auf einen Schlag ebenfalls ein Topsammler sein würde.

Jimmy sah auf seine Uhr, höchste Zeit aufzubrechen, um zwei sollte er bei Tristan sein. Er war noch nie zu spät gekommen.

Genau als Jimmy das Geld in die Bauchtasche stecken wollte, die er am Lenker angebracht hatte, kam ein weißer Sportwagen angefahren, der auf Höhe der Bank abrupt bremste. Ihm entstieg eine gut gekleidete Dame in hochhackigen Schuhen, drahtig und schlank wie ein Windhund. Sie marschierte hart an Jimmy vorbei, schnurstracks auf den Automaten zu. Dort schaute sie sich kurz um, rüttelte an der Klappe, drehte sich um. Erst da sah sie Jimmy. Sie blickte auf die Bauchtasche, deren Reißverschluss noch offen war. Unbeholfen ließ er das Geldbündel in seiner Hosentasche verschwinden.

»Hast du zufällig gerade Fünfhunderter aus dem Automaten genommen?« Ihre rot lackierten Zehen waren in den vorne offenen Schuhen zusammengequetscht.

Er hätte sofort wegfahren müssen. So blöd von ihm, das Geld nicht in sicherer Entfernung vom Automaten zu zählen.

Er schüttelte den Kopf, mit nicht ganz genügend Nachdruck.

Sie blieb vor ihm stehen. »Ich habe vor nicht mal fünf Minuten einen großen Betrag abgehoben, um meinen Bauunternehmer zu bezahlen« – jetzt klang sie entschiedener – »und offenbar gibt dieser Mistautomat das in zwei Portionen raus, ohne Warnhinweis. Vor lauter Zerstreutheit habe ich die zweite Hälfte liegen lassen. Fünftausend Francs futsch.«

Sie verfolgte aufmerksam jede Bewegung seiner Hand, die er, ohne Geld, wieder aus der Hosentasche zog. »Was hast du da gerade in deine Hosentasche gesteckt?«

»Och, nichts«, sagte Jimmy so beherrscht wie möglich. In seinem Bauch wurden tausend Triangeln gleichzeitig angeschlagen. Er überlegte sich, wie er flüchten könnte. Theoretisch gab es viele Möglichkeiten.

Sie deutete auf seine Hand. »Zeig mir, was in deinen Hosentaschen ist.«

Er zog sein T-Shirt aus der Hose, es war etwas zu groß und bedeckte seine Taschen.

»Das Geld gehört mir«, sagte die Frau. »Wenn du mir nicht glaubst, dann können wir uns die Kamerabilder von dem Automaten zeigen lassen.« Sie deutete auf den Automaten, winkte, als würde auch ihre Unterhaltung gefilmt.

Er war ein erfahrener Ehrlicher Finder. Hätte er jetzt bloß seine Krawatte und seine Handschuhe dabei, dann würde sie sehen, dass er es ernst meinte, dass er Finden zu seinem Beruf gemacht hatte, dann würde er sich trauen, den Spruch zu wiederholen, den er seine Mutter in den vergangenen Monaten unendlich oft hatte sagen hören, jedes Mal, wenn sie Sachen seines Vaters zum Secondhandladen gebracht oder in den Müll geschmissen hatte: »Weggegangen, Platz vergangen.«

»Aber ich weiß genau, wie viel es ist«, stammelte er. »Wie kann es dann Ihnen gehören?«

Die Frau streckte ihm die offene Hand entgegen. »Ich hab dir doch gerade erzählt, wie viel es ist, du Schlaumeier. Gib mir mein Geld zurück, oder ich rufe die Polizei.«

Gerade erst war Jimmy auf dem Gemeindeplatz geehrt worden, der Applaus war noch nicht ganz verklungen, und schon musste er alles zurückdrehen. Tristan musste seinen offenen Mund wieder schließen und Jimmy die gerade erst entgegengenommenen Alben wieder zurückgeben, der Bürgermeister schluckte seine Rede wieder hinunter, die Gemeindearbeiter klappten alle Tische wieder zusammen und wickelten die Papiertischdecken wieder auf die Rolle, die ganze Zeremonie war ein Irrtum, alle Flippos mussten zurück in die Chipstüten, die Tüten wieder in den Anhänger, die Plane wieder darüber und er obendrauf, Lieder rückwärts singend, alles zurück zu Makro, wo die Tüten wieder ordentlich in die Kartons und die Kartons wieder in die Regale mussten. Onkel Kurt wollte trotzdem bezahlt werden, also machte Jimmy im Grunde sogar Verlust.

»Das Geld ist nicht für mich, es ist für Tristan«, sagte er. »Wissen Sie, wer das ist? Tristan Ibrahimi? Ich übernachte heute Abend bei ihm. Er ist auf einem Ohr taub. Und er hat null Flippos, weil seine Eltern nur No-Name-Chips kaufen.«

Die Frau schien völlig unbeeindruckt, möglicherweise kam sie gar nicht von hier. Wer weiß, vielleicht hatte sie in ihrem Dorf ihre eigene Kosovo-Familie.

»Sie sind den ganzen Weg zu Fuß hierhergekommen. Und unterwegs haben die Soldaten sie gezwungen, einen gebratenen Fötus zu essen, und Tristan hat eine Granate so nah explodieren hören, dass sein Trommelfell geplatzt ist.«

Die Frau schüttelte den Kopf und kam mit ihrer geöffneten Hand noch näher, bis kurz vor Jimmys Gesicht. Jimmy zog sein Fahrrad, das zwischen ihnen stand, dichter zu sich heran.

»Ohne dieses Geld kann sein Trommelfell nicht heil gemacht werden.«

Sie machte eine ungeduldige Handbewegung.

Er zog die Geldrolle aus seiner Tasche und legte sie in ihre Hand. Beim Loslassen spürte er, wie ihm die Tränen kamen.

»Danke. Normalerweise würde ich dir einen Finderlohn geben, aber du hast mich angelogen.«

Wäre Tristan jetzt nur hier, der hatte einen Krieg überlebt, der schlachtete sogar Hühner, der wüsste todsicher, was mit der Frau zu tun wäre.