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Machiavellis 'Der Fürst' ist der berühmteste staatsphilosophische Traktat der Weltliteratur. Unter dem Begriff des Machiavellismus fasst man noch heute die Haltung skrupelloser Machtpolitik, einst wirkungsvoll kritisiert von Friedrich dem Großen in seinem 'Antimachiavell'. Schockiert und fasziniert hat durch die Jahrhunderte vor allem der schonungslos rationalistische Realismus, mit dem sich Machiavelli in seinen Analysen und Empfehlungen über bestehende Moralvorstellungen hinwegsetzt, sofern es dem höheren Ziel der Erhaltung des Staates dient. Sein Werk wurde mal als grundlegender Beitrag zur Fürstenerziehung, mal als Rechtfertigungstheorie tyrannischer Regentschaft, mal als Legitimierung der Staatsraison gedeutet.
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Seitenzahl: 214
Niccolò Machiavelli
Aus dem Italienischenvon August Wilhelm Rehberg
Herausgegeben und erläutertvon Max Oberbreyer
Textvorlage dieser Ausgabe ist Macchiavelli’s Buch vom Fürsten, erschienen um 1879 im Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig. Die Übersetzung A. W. Rehbergs sowie die Erläuterungen Max Oberbreyers wurden für die vorliegende Ausgabe von Kai Kilian überarbeitet.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 Anaconda Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten.
eISBN 978-3-7306-9067-3
Print ISBN 978-3-86647-528-1
www.anacondaverlag.de
Zueignung an den Großmächtigen Lorenzo, Sohn des Piero, von Medici
1. Verschiedene Arten der Herrschaft und Wege, zu ihr zu gelangen
2. Von den erblichen Fürstentümern
3. Von vermischten Herrschaften
4. Warum das Reich des Darius nach dem Tod Alexanders nicht gegen seine Nachfolger aufstand
5. Wie Städte oder Fürstentümer zu behandeln sind, die vor der Eroberung ihre eigene Verfassung hatten
6. Von neuen Herrschaften, die durch eigene Waffen und Tapferkeit errungen werden
7. Von neuen Fürstentümern, die durch fremde Unterstützung und durch Glücksfälle erworben werden
8. Von denjenigen, welche durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen
9. Vom Volk übertragene Herrschaft
10. Wie die Kräfte der Fürstentümer zu schätzen sind
11. Von geistlichen Fürstentümern
12. Von den verschiedenen Arten der Truppen
13. Von Hilfstruppen
14. Was der Fürst im Kriegswesen zu beachten hat
15. Wodurch die Fürsten Lob und Tadel erwerben
16. Von Freigebigkeit und Geiz
17. Von Grausamkeit und Milde
18. Inwiefern ein Fürst sein Wort halten muss
19. Verachtung und Hass sind zu vermeiden
20. Ob Festungen und andere Sicherheitsvorkehrungen der Fürsten nützlich oder schädlich sind
21. Wie ein Fürst sich zu betragen hat, um großen Ruhm zu erwerben
22. Von den Ministern
23. Schmeichler sind zu meiden
24. Wie die Fürsten Italiens ihre Herrschaften verloren haben
25. Welchen Einfluss das Glück auf die Angelegenheiten der Menschen hat
26. Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft zu befreien
Erläuterungen
ANMERKUNGEN
an den Großmächtigen Lorenzo,Sohn des Piero, von Medici
Diejenigen, welche die Gunst eines Fürsten zu erwerben trachten, pflegen sich ihm mit dem zu nähern, was ihnen unter all dem, das sie besitzen, das Liebste ist oder mit dem, was ihm am meisten zu gefallen scheint: Daher werden ihm so oft Pferde, Waffen, Teppiche, Edelsteine und anderer Zierrat überreicht, die seiner Größe würdig scheinen. Indem ich mich Euch, großmächtiger Herr, mit einem Beweis meiner untertänigen Ergebenheit zu nahen wünsche, finde ich nichts in meinem Vorrat, was mir werter wäre oder das ich höher schätzte als die Kenntnis der Handlungen großer Männer, die ich mir durch lange Erfahrung der neueren Zeit und unablässiges Lesen der alten erwarb. Diese habe ich mit großem Fleiß lange durchdacht und geprüft und jetzt in ein kleines Buch zusammengefasst, welches ich Euch überreiche, großmächtiger Herr. Und obgleich ich einsehe, dass es nicht wert sei, vor Euch gebracht zu werden, so hoffe ich doch von Eurer freundlichen Gemütsart, es werde gut aufgenommen werden in Anbetracht dessen, dass ich kein größeres Geschenk zu geben vermag als dieses, welches in die Lage versetzt, in so kurzer Zeit alles einzusehen, was ich in vielen Jahren, mit so vielen Gefahren und Mühseligkeiten erlernt und begriffen habe. Dieses Werk ist von mir weder ausgeschmückt noch mit vielem Wortgepränge oder anderer Schminke und äußerer Zierde aufgeputzt worden, wie viele andere ihre Werke zu schreiben und zu schmücken pflegen: Denn ich wollte, dass die Sache selbst sich ehre und die Wahrheit des Inhalts und der Ernst der Ausführung allein das Buch empfehle. Es werde mir aber nicht als eine Anmaßung ausgelegt, dass ich, ein Mann von geringem Stand, es wage, über die Handlungen der Großen zu urteilen und mich erdreiste sie zurechtzuweisen. Denn so wie diejenigen, welche Landschaften aufnehmen, in die Ebene herabsteigen, um die Gestalt der Berge und Höhen zu betrachten, und auf die Berge steigen, um die Täler zu beobachten, so erkennen zwar die Großen am besten die Natur des Volkes; um aber die Fürsten zu kennen, muss man aus dem Volke sein. Nehmt daher, großmächtiger Herr, dieses kleine Geschenk in der Gesinnung, mit welcher ich es überreiche. Ihr werdet darin einen brennenden Wunsch sehen, dass Ihr zu der Größe gelangt, zu welcher Euch die Glücksumstände und andere Eigenschaften bestimmt haben. Wenn Eure Hoheit aber von Eurem erhabenen Standpunkt auf die niederen Orte herabsieht, in denen ich mich befinde, so werdet Ihr erkennen, mit welchem Unrecht ich ein anhaltend widriges Schicksal ertragen muss.
Alle Staaten und Gewalten, welche Herrschaft über die Menschen gehabt haben und noch haben, sind Republiken oder Fürstentümer. Diese sind entweder ererbt, indem sie von dem Geschlecht des Herrschers schon lange regiert worden sind; oder sie sind neu errichtet. Die neuen sind entweder von Grund aus neu, so wie die Herrschaft des Francesco Sforza zu Mailand; oder sie sind nur als Teile dem erblichen Staat dessen, der das Land erwirbt, hinzugefügt, wie zum Beispiel das Königreich Neapel dem König von Spanien gehört. Solche neu erworbenen Staaten sind entweder schon früher an die Herrschaft gewöhnt gewesen oder die Freiheit ist in ihnen hergebracht. Sie werden erworben durch fremde Gewalt oder durch eigene Kräfte, durch Glück oder durch Tapferkeit.
Von Republiken will ich nicht reden, weil ich dies bereits in einem anderen Werk ausführlich getan habe. Ich wende mich zur Alleinherrschaft und werde nach der oben angegebenen Ordnung erörtern, wie solche erworben und behauptet werden kann. Ich sage also, dass in den erblichen Fürstentümern, die an die Dynastie ihrer Herren gewöhnt sind, viel weniger Schwierigkeiten entstehen, sie zu erhalten und zu behaupten, als bei neuen: Denn es kommt nur darauf an, die Verhältnisse, so wie sie unter den Vorfahren waren, nicht zu verändern und bei allen Vorfällen in die Gelegenheit zu sehen. Ein solcher Fürst wird sich also stets auf dem Thron erhalten, es sei denn, dass ganz ungewöhnliche und außerordentliche äußere Gewalt ihn desselben beraube; und wird er der Herrschaft beraubt, so vermag er sie wiederzuerlangen, sobald dem, der sie ergriffen hat, etwas Widriges begegnet. Wir haben in Italien ein Beispiel an dem Herzog von Ferrara, der den Venezianern im Jahre 1484 und darauf Papst Julius II. durch nichts anderes Widerstand geleistet hat als durch seine in langer Zeit fest begründete Herrschaft. Denn der angestammte Herrscher hat weniger Veranlassung und ist seltener in der Notwendigkeit, Härte zu zeigen. Er ist daher weitaus beliebter und es ist natürlich, dass die Seinigen ihm wohlwollen, wenn er sich nicht durch außerordentliche Last verhasst macht. In der Länge der Zeit einer fortgesetzten Herrschaft werden die Veranlassung der Neuerungen und die Erinnerung daran vergessen, wohingegen eine Neuerung immer durch sich selbst die Veranlassung zu anderen nachfolgenden zurücklässt.
Aber die neuen Herrschaften sind ganz anderen Schwierigkeiten unterworfen. Und zwar erstens, wenn nicht das ganze Reich neu ist, sondern nur ein Teil davon und es also ein vermischtes Reich genannt werden könnte, so entstehen gewaltsame Veränderungen aus einer natürlicher Schwierigkeit, welche allen neuen Herrschaften gemein ist und daher rührt, dass die Menschen gern ihren Herrn verändern in der Hoffnung, dass es ihre Lage verbessern könne, und hierauf die Waffen ergreifen: Darin aber irren sie, denn sie erfahren bald, dass es schlimmer wird. Und das liegt wieder in der Natur der Dinge: Weil der neue Herr seine Untertanen mit Soldaten und auf manche andere Art niederzuhalten genötigt ist, bloß weil die Herrschaft neu ist. Du wirst also all diejenigen zu Feinden haben, die du durch die Eroberung selbst geschädigt hast, ohne diejenigen, durch deren Hilfe du Herr geworden bist, zu Freunden zu behalten, weil du sie nicht nach ihren Wünschen befriedigen kannst und auch keine kräftigen Heilmittel anwenden darfst wegen der Dankbarkeit, die du ihnen schuldig bist. Denn auch der Mächtigste bedarf der Begünstigung von Einheimischen, um in das Land einzudringen. Aus dieser Ursache hat Ludwig XII. von Frankreich Mailand so geschwind erobert – und so geschwind wieder verloren. Das erste Mal war die eigene Kraft des vertriebenen Herzogs Ludovico Sforza hinreichend, weil das Volk, das jenen eingeführt hatte und sich in seiner Hoffnung getäuscht fand, den Widerwillen gegen die neue Herrschaft nicht ertragen mochte. Es ist wahr, dass auf solche Weise zum zweiten Mal eroberte Länder nicht wieder so leicht verloren gehen, weil der Herr von der Rebellion Veranlassung nimmt, sich durch strenge Maßregeln zu sichern, Verbrecher zu strafen, Verdacht aufzuklären und an den schwachen Stellen Vorkehrungen zu treffen. Wenn es, um Mailand den Franzosen wieder zu entreißen, das erste Mal hinreichend war, dass Herzog Ludovico an der Mailänder Grenze Rumor anfing, so musste sich beim zweiten Mal die ganze Welt dagegen vereinigen, um die französischen Heere zu vernichten oder zu vertreiben. Die Ursachen sind oben angegeben. Dennoch verlor Frankreich das mailändische Gebiet zum zweiten Mal. Die allgemeinen Veranlassungen der ersten Begebenheit sind erzählt; es bleibt also noch übrig, die Ursachen der zweiten zu betrachten und die Mittel anzugeben, wie man sich in solcher Lage besser behaupten kann, als der König von Frankreich es getan hat. Ich sage also, dass solche Provinzen, welche erobert und mit den alten Staaten des Eroberers verbunden werden, entweder zu demselben Land gehören und dieselbe Sprache reden oder dies nicht tun. In dem ersten Fall ist es sehr leicht, sie festzuhalten, vorzüglich wenn sie nicht an Unabhängigkeit gewöhnt gewesen sind. Um sie mit Sicherheit zu beherrschen, ist es hinreichend, die Familie ihrer vorigen Beherrscher auszurotten; denn weil die Einwohner ihre alten Gewohnheiten und Verhältnisse beibehalten, auch übrigens gleiche Sitten mit ihren neuen Mituntertanen haben, so leben sie ruhig; wie man es in der Bretagne, der Gascogne und der Normandie gesehen hat, welche schon lange mit Frankreich verbunden sind. Wenngleich zwischen diesen Provinzen und dem übrigen Frankreich in der Sprache geringer Unterschied ist, so stimmen doch die Sitten überein und daher vertragen sie sich leicht miteinander. Wer solche Provinzen erobert hat und sie behalten will, muss auf zwei Dinge Rücksicht nehmen. Erstens: Die Familie der vorigen Regenten muss ausgelöscht werden. Zweitens: Die alten Gesetze und Verfassungen darf er nicht verändern. So werden alte und neue Staaten baldmöglichst zu einem Ganzen zusammenschmelzen. Aber wenn Provinzen eines Landes erobert werden, das an Sprache, Sitten und Verfassung verschieden ist, so entstehen Schwierigkeiten und es gehört viel Glück und große Bemühung dazu, sie zu behalten. Eines der kräftigsten Mittel ist, dass der Eroberer selbst sich dorthin begebe, um daselbst seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Dadurch wird der Besitz gesichert und dauerhaft. So haben es die Türken mit dem griechischen Reich gemacht, welches sie trotz aller übrigen angewandten Bemühungen nicht hätten behaupten können, wenn sie nicht die Residenz in Konstantinopel genommen hätten. Denn wenn der Regent sich selbst dort befindet, so sieht er alle Unordnungen in ihrer Entstehung und kann geschwind abhelfen. Ist er jedoch nicht an Ort und Stelle, so vernimmt er sie erst, wenn sie schon sehr angewachsen sind und keine Abhilfe mehr möglich ist. Außerdem wird das Land nicht von den Beamten des Regenten ausgeplündert: Es beruhigt die Einwohner, dass sie zu ihm selbst ihre Zuflucht nehmen können. Ist er gut, so wird er geliebt; ist er es nicht, so wird er doch gefürchtet. Fremde, die den Staat angreifen möchten, haben mehr Rücksicht zu nehmen. Solange der Regent dort wohnt, ist es schwer, ihn dessen zu berauben.
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