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Monika soll Florian Taferner heiraten und einmal die Bäuerin des größten Hofes im Loraschtal werden. Dann lernt sie Xaver kennen, und bald träumen beide von einer gemeinsamen Zukunft. Als sie sich allerdings von Xaver getäuscht glaubt, heiratet sie Florian. Aber die Ehe wird nicht glücklich. Eine unerwartete Wende eröffnet schließlich doch die Chance auf einen gemeinsamen Weg mit Xaver.
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LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2004
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelfoto: Andreas Strauß, Bad Feilnbach
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
eISBN 978-3-475-54732-4 (epub)
Hans Ernst
Der gemeinsame Weg
Monika soll Florian Taferner heiraten und einmal die Bäuerin des größten Hofes im Loraschtal werden. Dann lernt sie Xaver kennen, und bald träumen beide von einer gemeinsamen Zukunft. Als sie sich allerdings von Xaver getäuscht glaubt, heiratet sie Florian. Aber die Ehe wird nicht glücklich. Eine unerwartete Wende eröffnet schließlich doch die Chance auf einen gemeinsamen Weg mit Xaver.
Als Xaver Nonnenbruch nach sechsjähriger Abwesenheit in das Loraschtal, an den Ort seiner Kindheit, zurückkehrte, war gerade Hochsommer. Die Jahre hatten ihn zunächst auf dem Handelsdampfer »Seelord« durch die halbe Welt geführt. Dann hatte er sich freiwillig bei der Bundesmarine gemeldet und bekleidete bereits den Rang eines Obermaats. Nun kam er zum ersten Mal nach vielen Jahren auf drei Wochen Urlaub heim.
Die Hände auf dem Rücken verschränkt, stand er am Fenster des Bummelzuges, der gegen sechs Uhr abends in Spieglberg eintreffen würde.
Wie angegossen saß die dunkelblaue Matrosenuniform an seinem schlanken Körper. Das dunkle Haar war leicht gewellt. Unter der hohen Stirn blickte ein Paar dunkelblauer Augen auf die vorüberziehende Landschaft, und als er dann endlich die am Bahndamm vorüberplätschernde Lorasch sah, zuckte ein spöttischer Ausdruck um seinen schmalen Mund.
Diese Hand voll Wasser da – was war das gegen die Weltmeere! Der Atlantische, der Indische Ozean, die Südsee, das Mittelmeer und die grimmige Nordsee! Dieses geschäftige Getändel der kleinen Wellen – er dachte an den Sturm in der Karibischen See, gegen den sein Schiff drei Tage lang angekämpft hatte und bei dem zwei Leichtmatrosen über Bord gespült worden waren, der Eduard und der Erwin.
Das spöttische Lächeln um den Mund des Heimkehrers verschwand jäh. Sein braun gebranntes Gesicht wurde ernst und eine scharfe Falte grub sich in seine Stirn.
Aber es dauerte nicht lange, dann entspannte die frohe Erwartung sein Gesicht wieder und mit leuchtenden Augen grüßte er alles, was er in Erinnerung behalten hatte. Alle Bilder der Heimat, die sanften, grünen Hügelwellen, den dunklen Bergwald und darüber die blau erstarrte Riesenwoge der Berge.
Und je näher der Zug Spieglberg kam, desto unruhiger wurde er. Wie würde er den Vater antreffen und die Mutter? Ob sie wohl recht gealtert waren? In seinem Abteil saßen ein paar Mädchen und einige Bauern. Wie wohl es tat, nach so viel Jahren wieder die heimatliche Sprache zu hören, die so vertraulich klang! Unwillkürlich horchte er genauer hin und hörte den einen Bauern sagen:
»Der Stangl Matthias ist und bleibt ein Schlawiner.«
Der Stangl Matthias? Das war doch der Viehhändler, erinnerte Xaver Nonnenbruch sich flüchtig. Wahrscheinlich hatte er wieder einmal jemanden übers Ohr gehauen!
Er drehte sich um und zündete sich eine Zigarette an.
Eines der Mädchen, eine zierliche, schlanke Blondine, warf ihm einen Blick zu, stieß ihre Nachbarin an und beide kicherten.
Dumme Gänschen, dachte Xaver wohlwollend und erinnerte sich an so viele Mädchen in allerWelt, die er als Seemann kennen gelernt hatte. Wie weit das alles jetzt zurücklag!
Der Zug hielt an einer kleinen Station. Mailing war das, er erinnerte sich an den winzigen Ort.
Endlich setzte sich die Lokomotive wieder schnaufend in Bewegung und zog nun den Zug in den breiten Talkessel hinein, in dem Spieglberg lag. Die ersten Häuser kamen in Sicht, der Schornstein der Unterbrauerei, der schlanke, weiße Kirchturm, die schmucken Bauernhöfe, kleine, geduckte Häuser aus Holz und viele Neubauten. Xaver Nonnenbruch staunte: Der heimatliche Marktflecken hatte sich ziemlich vergrößert. Der Jungwald hinter dem Gemeindeanger war in die Höhe geschossen und das hohe Gebäude mit den großen Fenstern, das mochte wohl das neue Schulhaus sein, von dem die Mutter ihm geschrieben hatte.
Über allem lag das Gold der Abendsonne wie ein tröstlicher Gruß für den Heimkommenden. Der Zug fuhr jetzt am Sägewerk Molder vorbei, in dem sein Vater arbeitete. Etwas dahinter entdeckte er dann endlich zwischen schattigen Apfelbäumen die weißen Mauern des kleinen Hauses, in dem er aufgewachsen war.
Noch einmal ließ er den Blick nach oben schweifen, zu der Lichtung im Grafenwald, wo der kleine See lag. Dort oben war ihm, als er sechzehn war, das große Missgeschick passiert. Er hatte mit einem alten Karabiner, den sein Vater auf dem Dachboden versteckt hatte, an einem Sonntagmorgen einen Rehbock geschossen, als plötzlich der Jäger Pfallinger am anderen Seeufer gestanden und die Büchse gegen ihn gerichtet hatte.
Den Karabiner zurücklassend, war er durch denWald hinunter geflüchtet und hatte der zu Tode erschrockenen Mutter in aufgeregtem Gestammel berichtet, was ihm widerfahren sei, und dass es für ihn keinen anderen Ausweg gäbe als zu fliehen und irgendwo unterzutauchen, bis Gras über die Geschichte gewachsen sei.
Sie war längst vergessen. Aber die Abenteuer hatten ihn länger festgehalten, als nötig gewesen wäre. Das Meer hatte ihn festgehalten und die weite Welt.
Der Zug fuhr jetzt in den Bahnhof von Spieglberg ein. Xaver Nonnenbruch ließ alle Leute aussteigen, bevor er seinen Seesack aus dem Gepäcknetz nahm und zur Sperre ging. Den Bahnhofsvorsteher kannte er nicht, der alte Plank war inzwischen wohl pensioniert.
Verwundert schaute der Mann mit der roten Mütze ihn an. Es war eigentlich noch nie passiert, dass ein Matrose in Spieglberg ausgestiegen war. Vielleicht hatte er sich geirrt? Auf alle Fälle musste er hier fremd sein und darum fragte er mit aller Höflichkeit, ob der Herr Obermaat sich in Spieglberg auskenne.
Ja, er kenne sich sehr gut aus, sagte Xaver Nonnenbruch und tippte mit zwei Fingern an den Mützenrand.
Außerhalb des Stationsgeländes stand unter den zwei Vogelbeerbäumen ein blondes Mädchen, als hätte es auf ihn gewartet. Es trat auf ihn zu und fragte, ob er vielleicht Feriengast sei und ein schönes Fremdenzimmer suche.
Er blieb vor ihr stehen und sah sie belustigt an.
»Könntest du mich vielleicht bei dir unterbringen?«
Sie wurde rot bis unter die Haarwurzeln und stotterte:
»Ja – das heißt nein – meine Eltern vermieten an Sommerfrischler.«
»Aha. Und wer sind deine Eltern?«
»Mein Vater ist Betriebsleiter in der Möbelfabrik Hollinger.«
Hollinger, erinnerte er sich, das war doch früher nur eine kleine Schreinerei. Schau nur, wie sich alles verändert hat!
»Danke, es war sehr aufmerksam von dir. Aber ich weiß hier Bescheid.« Er sah die Ledermappe unter ihrem Arm und fügte die Frage hinzu: »Du gehst wohl noch zur Schule?«
»Ja, aufs Gymnasium in Scharnbach. Im nächsten Jahr mach ich mein Abitur.«
»Oh?«, tat er erstaunt. »Was willst du denn werden? Verzeihung! Ich müsste wahrscheinlich Sie sagen.«
»Nein, das macht gar nichts. Hierzulande sagen alle du. Was ich einmal werden will?« Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht Rechtsanwältin.«
»Respekt!«
Er begann zu gehen. Da das Mädchen ein Stückchen gleichen Weges mit ihm hatte, blieb es neben ihm.
»Du hältst wohl nicht viel davon, dass Frauen Jura studieren?«, fragte sie.
»Doch, doch. Vorausgesetzt, dass sie dabei nicht vergessen zu lernen, wie man einen richtigen Schweinebraten oder einen Rehziemer zubereitet.«
»Das ist unbedingt wichtig?«
»Ja, weil die Liebe des Mannes durch den Magen geht.«
Sie lachte hell auf. »Bei Frauen geht doch die Liebe auch durch den Magen – na ja, du bist wenigstens offen mit deiner Meinung!«
»Sie etwa nicht?« Er stimmte in ihr Lachen ein.
»Jetzt sagst du auf einmal doch Sie zu mir.«
»Das macht die Achtung vor der zukünftigen Rechtsanwältin.«
»Aber das Du habe ich lieber gehört.«
»Na schön, wenn du meinst.«
Sie war stehen geblieben.
»Wir müssen uns jetzt trennen. Ich wohne nämlich gleich da drüben.«
Er setzte seinen Seesack ab und streckte ihr die Rechte hin.
»Dann auf Wiedersehen, –«
»Marianne«, half sie ihm. »Marianne Siebert.«
»Auf Wiedersehen also, Marianne! Aber – wo kann ich dich wieder sehen?«
»Ich bin morgen Nachmittag im Schwimmbad, ab drei Uhr!«
»Donnerwetter! Hat man jetzt in Spieglberg sogar ein Schwimmbad?«
»Ja, seit vorigem Jahr. Man hat doch endlich mal etwas für den Fremdenverkehr tun müssen. Du scheinst hier nicht fremd zu sein?«
»Keineswegs«, antwortete er. »Bin nur lange nicht mehr hier gewesen. Also, dann vielleicht bis morgen.« Er tippte wieder an den Mützenrand. »Tschüss«, sagte er und dachte dabei: Ich werde mir wohl angewöhnen müssen, wieder in meinem Heimatdialekt zu reden, sonst halten sie mich für überspannt.
Dann gingen sie auseinander. Er musste nach links abbiegen, ging durch eine schmale Gasse, inder schon leise die Dämmerung wob. Da und dort begegneten ihm Leute, denen er erwartungsvoll ins Gesicht sah in der Hoffnung, dass man sich an ihn erinnerte. Aber niemand erkannte ihn. Er war eben doch zu lange fort gewesen und hatte sich wohl auch sehr verändert. Vor allem die Uniform machte viel aus. Lustig wehten die Mützenbänder auf seinem Rücken im Abendwind, der von den Bergen niederstrich, die von einem flammenden Rot angehaucht waren, während sich der Himmel im Westen in ein zitterndes Gelb verwandelt hatte.
Jetzt bog er bei der Kirche nach rechts ab, ließ das Sägewerk Molder linker Hand liegen und trat wenig später in den schon von Schatten umsponnenen Obstgarten, an dessen Ende sein Elternhaus stand.
Bei den ersten Bäumen blieb er stehen. Wie oft hatte das Heimweh in ihm gebrannt. Wie zehrendes Feuer war das gewesen. Und jetzt diese zitternde Erwartung des Wiedersehens …
Sein Herz klopfte vor Aufregung und plötzlich spürte er, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen.
In diesem Augenblick trat eine hoch gewachsene Frau aus dem Haus, die einen Einkaufskorb in der Hand hielt; da bemerkte sie den Schatten bei den Bäumen. Sie stieß einen Schrei aus und begann zu laufen. Der Korb fiel auf das Pflaster. Was kümmerte das die Mutter, wenn der Sohn gekommen war! Sie lief mitten hinein in die weit ausgebreiteten Arme Xavers.
»Bub, mein lieber Veri – bist du endlich gekommen!«, schluchzte sie an seinem Hals, um gleich darauf wieder zu lachen und ihn zu küssen. »Dass du endlich heimgekommen bist! Wie der Vater sich freuen wird!« Sie umschloss mit den Händen seinGesicht und betrachtete ihn. »Wie groß du geworden bist! Und wie gut du ausschaust!«
Zärtlich strich seine Hand über ihr Haar.
»Und du, Mutter, bist ein wenig grau geworden. Wenn es durch die Sorgen gekommen ist, die ich dir gemacht habe, dann verzeih mir, Mutter.«
»Komm, red jetzt nicht so daher! Die Hauptsache ist, dass du da bist. Wird der Vater schaun!«
Maria Nonnenbruch schob ihren Arm unter den seinen und so gingen sie, sich immer wieder glücklich anlächelnd, auf das Haus zu, unter dessen weit vorspringendem Dach Schwalben zwitscherten.
Wie schön es war, das stille Träumen an diesem ruhigen Sommermorgen, fern von aller Unrast, nach Jahren wieder zu Hause!
Es war Sonntag und vom Kirchturm läuteten die Glocken zur Frühmesse, zu der Vater Nonnenbruch bereits unterwegs war.
Xaver Nonnenbruch lag, die braunen Hände im Schoß gefaltet, in einem Liegestuhl hinter dem Haus, das die Eltern sich einmal buchstäblich vom Munde abgespart hatten. Manchmal hörte er aus der Fichtenhecke, die das kleine Grundstück nach Süden hin abschloss, den Schlag einer Amsel. Sonst war kein Laut zu hören außer dem leisen Rauschen des Windes in den Blättern der Obstbäume.
Er konnte sich kaum vorstellen, dass er heute nicht durch die Bootsmannspfeife geweckt worden war, dass nirgendwo eine Sirene heulte und dass keine Wellen an den Leib des Schiffes schlugen. Er musste sich erst besinnen, dass er daheim war. Daheim, bei Vater und Mutter! Wie schnell und natürlich doch alles abgelaufen war! Alles Schmerzlicheder Trennung war auf einmal weggewischt gewesen gestern Abend.
Mit feierlichem Gesicht hatte der Vater auf dem Kanapee gesessen, die lange Pfeife zwischen den Lippen, mitunter über den Schnurrbart streichend und den Kopf schüttelnd, als der Bub ins Erzählen gekommen war. Die Mutter hatte dicht neben ihm gesessen und hatte zuweilen ihre Hand auf seinen Arm gelegt.
Ach ja, es war alles wieder so wie früher. Nur dass er mit seinen zweiundzwanzig Jahren kein Bub mehr war, sondern ein Mann, dem die Litzen an seinem Uniformärmel schon etwas Würde verliehen.
Das, weswegen er damals geflohen war, so hatten die Eltern ihm erzählt, war längst vergessen. Kein Mensch sprach mehr davon und der Jäger, der ihn damals gestellt hatte, war an ein weit entfernt liegendes Forstamt versetzt worden.
Bis weit nach Mitternacht hatten sie beisammengesessen. Die Mutter hatte zwei Flaschen selbst angesetzten Hagebuttenwein aus dem Keller geholt.
Dann der tiefe Schlaf im Stübchen seiner Kinderzeit. Und jetzt dieser zauberhafte Sommermorgen mit allem Glanz der Bergwelt! Und drei Wochen Urlaub! Nur ausruhen wollte er, nichts als ausruhen, die Schönheit der Heimat genießen und die warme Sonne trinken, so wie jetzt.
Wie herrlich das alles war! Wie ein Geschenk nach all den langen Jahren.
Wenn er den Blick ein wenig hob und umherschweifen ließ, dann sah er auf der Höhe von Balkham den Stögerhof liegen, von der Morgensonne umflossen. Auf dem Stögerhof hatte er damals gearbeitet, für einen kargen Lohn. Darum hatte er eben ein bisschen nachhelfen wollen und zur Büchse gegriffen. Aber schon beim ersten Mal war es schief gegangen und das Missgeschick hatte ihn aus der Heimat getrieben.
In den nächsten Tagen, nahm er sich vor, werde ich einmal nach Balkham hinaufspazieren. Ob sie mich erkennen?
Aus dem offen stehenden Küchenfenster hörte er jetzt Herdringe scheppern. Die Mutter war aufgestanden und bereitete das Frühstück. Bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster sah sie ihn im Liegestuhl liegen.
»Aber Bub, warum bist du denn schon so früh aufgestanden?«, fragte sie zum Fenster hinaus.
Er erhob sich sofort, streckte die Arme über den Kopf und lachte.
»Ja, weißt du, Mutter, das ist die Macht der Gewohnheit! Mein Dienst beginnt jeweils um halb sechs Uhr.«
»Was? So früh schon? Da musst du ja eher aufstehen als ich! Ich werde jetzt gleich Kaffeewasser aufsetzen und dann trinken wir auf der Terrasse miteinander Kaffee. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du da bist, Veri! Ich habe kaum geschlafen vor Freude.«
»Oh, ich hab herrlich geschlafen«, schwärmte er. »Wart, ich komme und helf dir.«
Er ging in die Küche und ließ sich von der Mutter die Kaffeemühle geben. Danach deckte er den Tisch auf der Terrasse, die gegen Westen einen Windfang hatte.
Dann saßen sie zusammen. Die Mutter klagte, sie habe nicht gewusst, dass er kommen würde, sonst hätte sie einen Kuchen gebacken. So müsse er halt mit dem Guglhupf vorlieb nehmen.
Zwitschernd flogen die Schwalben unter dem Vordach heraus und wieder hinein. Der Brunnen plätscherte leise und einmal hörten sie auch einen Kuckuck rufen.
Und immerzu musste die Maria Nonnenbruch ihren Buben ansehen, als sei er ihr neu geschenkt worden. Sie musste sich geradezu beherrschen, seinen Kopf nicht an sich zu nehmen und ihn zu küssen.
Sie war noch keine alte Frau, so um die Fünfzig. Aber die Jahre des Wartens und der Sorge um den einzigen Sohn hatten ein paar scharfe Linien in ihr Gesicht gezeichnet und das Haar an den Schläfen angegraut. Doch an diesem Morgen sah sie verjüngt aus.
Tiefe Freude glänzte aus ihren Augen und eine wundersame Zärtlichkeit klang in ihrer Stimme, als sie sagte:
»Gelt, Veri, daheim ist es halt doch am schönsten?«
»Ja, Mutter, Heimat ist Heimat. Das kann durch nichts anderes ersetzt werden. Einmal wieder die Berge sehen, hab ich mir oft gedacht. Jetzt sehe ich sie. Und doch, auch das Meer ist schön, Mutter. Unsagbar schön sogar. Berge und Wasser. Beide haben ihren Reiz.«
»Ja, ja«, sagte sie und war von Stolz erfüllt, weil ihr Bub so gescheit daherreden konnte. »Und wie steht es denn sonst mit dir, Bub? Hast vielleicht auch schon eine gefunden, die du uns beim nächsten Urlaub mitbringen möchtest?«
Er sah sie zärtlich an, trank dann einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf.
»Was?«, staunte die Mutter. »Bei deinem Aussehen und in deinem Alter? Hast du noch keine Frauen kennen gelernt?«
»Das hab ich nicht gesagt, Mutter«, lachte er. »Matrosen kommen viel herum und in jeder Stadt gibt es schöne Mädchen. Aber eine feste Bindung? Nein, bis jetzt ist mir die Richtige noch nicht über den Weg gelaufen.«
»Macht nichts«, lachte nun auch die Mutter glücklich. »Dann bleibst mir wenigstens länger.« Sie strich ihm übers Haar, zärtlich und langsam.
Er lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Ihr habt doch das Geld immer bekommen, das ich euch geschickt habe?«
»Ja, Bub. Das haben wir auf die Sparkasse getragen und für dich aufgehoben. Fünfundzwanzigtausend Mark sind es jetzt schon mit den Zinsen.«
Nachdenklich blies er den Rauch gegen das Gebälk.
»So war es eigentlich nicht gedacht«, sagte er. »Ich habe euch das Geld geschickt, damit ihr es euch leichter machen solltet. Vor allem solltest du nicht mehr arbeiten gehen müssen.«
»Das hab ich seit ein paar Jahren aufgegeben. Ich war einmal recht krank, das haben wir dir ja geschrieben.«
»Ja, und ich habe geantwortet, du sollst den besten Arzt nehmen und keine Kosten scheuen.«
»Ja, damals haben wir einiges extra bezahlt in der Klinik. Und das Geld war von dir.«
»Dann ist es recht. Weißt du, ich hatte es auch so gemeint, dass der Vater sich hin und wieder einmal ein paar Glas Bier gönnen sollte.«
»Das hat er schon beherzigt! Nicht, dass er trinkt, aber ab und zu hängt er sich ganz schön hinein. Hauptsächlich damals, als du uns geschrieben hast, dass du Obermaat geworden seist. Das hat er beim Unterbräu so gefeiert, als sei er selber befördert worden.«
Darüber konnte Xaver herzlich lachen. Er zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher, sah auf seine Armbanduhr und dann wieder auf den Marktflecken, der so friedlich ausgebreitet in der Sonntagsruhe lag.
Die Wandlungsglocke läutete, die Töne schwangen ungebrochen durch die glasklare Luft und zitterten im Echo noch ein wenig nach.
»Dor heff ick doch gestern eene schmucke Deern sehn, eene lütte, leene Deern«, fiel es ihm plötzlich ein und er begriff nicht, warum die Mutter ihn so verdutzt ansah. Er korrigierte sich erst, als sie sagte:
»Bub, mit mir musst schon deutsch reden, sonst versteh ich dich doch nicht.«
»Ach so, ja. Entschuldige. Ich bin ja wieder hier und die Waterkant liegt fern. Ich habe gesagt, gestern hab ich ein recht nettes Mädchen gesehen. Am Bahnhof, weißt du.«
»So? Wer war es denn?«
»Marianne heißt sie.«
Die Mutter dachte nach, es fiel ihr aber keine Marianne ein.
»Weißt du«, sagte sie dann, »in den letzten Jahren haben sich hier ziemlich viele Leute neu angesiedelt. Es hat sich überhaupt so manches geändert, seit du fort bist. Spieglberg ist zum Beispiel zum Markt erhoben worden, ein Schwimmbad haben sie gebaut und viel für den Fremdenverkehr getan.«
»Ja, eine von hier war sie nicht, sonst hätte ich sie vielleicht gekannt, obwohl sie noch ein kleinesMädl gewesen sein muss, als ich fortging. Sie sprach auch nicht unseren Dialekt.«
Damit war das Thema erledigt, weil Xaver nichts davon erwähnte, dass er sie am Nachmittag zu treffen hoffte. Aber die Mutter rückte nun mit ihrem Herzenswunsch heraus, den sie schon seit gestern Abend mit sich herumtrug.
»Veri, würdest du mir einen großen Wunsch erfüllen und mit mir zum Hochamt gehen?«
»Warum denn nicht?«
»Weißt, unser Herrgott würd sich schon recht freuen darüber.«
Lächelnd beobachtete er sie, wie sie die Krumen vom Tischtuch wischte und die Tassen zusammenstellte. Dann sagte er:
»Ich meine, da freut sich auch jemand anderes darüber. Aber ich versteh dich ja, Mutter. Möchtest dich halt gern zeigen mit deinem großen Sohn, womöglich in der Uniform. Hab ich Recht?«
»Ja, die Uniform musst du unbedingt anziehen.«
»Ich hab gar keine andere Wahl. Von meinen früheren Sachen passt mir sicher nichts mehr. Weder die Lederhose noch einer von den Anzügen. Von den Hemden gar nicht zu reden. Morgen werde ich mich von Kopf bis Fuß neu einkleiden müssen.«
Er war gleich fertig angezogen, setzte sich wieder vors Haus und wartete auf die Mutter. Unterm Dachfirst zwitscherte das Schwalbenpärchen. Die Sonne war nun schon ziemlich hoch gestiegen und umflutete die Berge, dass es fast blendete, wenn man hinaufschaute. Beinahe traurig wölbte sich der grüne Wälderbogen unter den blauen Steinriesen, in deren Schrunden man den Schnee sehen konnte, der das ganze Jahr nicht schmolz.
Ehe die Mutter in der Küche fertig war, kam der Vater zurück. Mit bedächtigem Schritt kam er durch den Obstgarten daher, in schwarzer Hose und brauner Lodenjacke. Ein groß gewachsener, etwas derbknochiger Mann mit einem von Wind und Wetter braun gebrannten Gesicht. Den schwarzen Plüschhut trug er in der Hand, so dass man den dichten Haarschopf über der Stirn sehen konnte. Beim Gehen hinkte er ein wenig, seit er im Sägewerk in einem unbedachten Augenblick zwischen zwei Baumstämme geraten war.
Als er den Sohn auf der Hausbank sitzen sah, kam in seine Augen ein Leuchten.
Er setzte sich zu Veri auf die Hausbank, wischte sich mit dem Taschentuch die feucht gewordene Stirn und meinte: »Schwül ist΄s heut wieder. Wenn nur am Nachmittag nichts kommt.«
»Ein Gewitter?«, fragte Xaver und dachte wieder an das Treffen im Schwimmbad.
Die Mutter trat aus der Haustür, das große Gebetbuch in der Hand. Sie war nun fertig für den Kirchgang.
»Das Fleisch hab ich schon aufgesetzt, Vater«, sagte sie. »Es darf ruhig zwei Stunden kochen. Den Braten brauchst du dann um zehn Uhr bloß ins Rohr zu schieben. Hergerichtet hab ich ihn schon. Probier aber nicht wieder so oft, bis nichts mehr übrig ist! Du weißt, wir haben Besuch.«
»Werd mir’s merken«, antwortete Alois Nonnenbruch und blinzelte seinem Sohn zu.
»Und ’s Knödelbrot musst auch noch schneiden. Zwei Zeilen brauchen wir heut schon. Den Salat richt ich, wenn ich von der Kirche zurückkomm. So, jetzt gehn wir, Veri.«
Mit wohlgefälligem Blick sah Alois Nonnenbruch den beiden nach. Der Sohn war fast um einen Kopf größer als seine Mutter. Und wie schmuck er aussah in der knapp sitzenden Uniform mit den blitzenden Goldknöpfen und der Mütze mit den langen Bändern!
Da werden sie schauen, die Spieglberger, dachte der Sägemeister Nonnenbruch mit dem gleichen Stolz, von dem auch die Mutter erfüllt war. »Da wird’s ihnen die Augen raustreiben«, sagte er vor sich hin, seufzte und meinte: »Ah ja, jung sollt man halt noch sein.«
Er wusste aber nicht, was er dann tun würde, denn wahrscheinlich würde sein Leben wieder genauso verlaufen wie bisher.
Und wie es ihnen die Augen raustrieb, um mit Vater Nonnenbruch zu sprechen! Es war ja auch nichts Alltägliches. Die Sägemeisterin Maria Nonnenbruch ging mit einem Matrosen durch den Marktflecken und dieser Seemann sollte nun der junge Xaver Nonnenbruch sein, der vor Jahren spurlos aus Spieglberg verschwunden war.
Überall begegneten ihnen Leute und begannen zu schwatzen und zu fragen. Und die Antworten gab immer nur die Mutter.
»Ja, das ist unser Veri. Gestern ist er gekommen. Überall ist er gewesen, in Afrika, in Amerika, ja sogar in Japan und auf Hawaii!«
Xaver überließ das Reden gern der Mutter und schaute derweil mit leuchtenden Augen umher, weil ihm alles so vertraut vorkam. Die Kindheit grüßte ihn und hieß ihn willkommen. Da waren die Zäune, durch die er geschlüpft war, wenn sie Indianer und Trapper gespielt hatten. Dort waren die Apfelbäume des Heigloher, von denen er die ersten Früchte gestohlen hatte, obwohl sie daheim bessere Äpfel hatten. Ach, so manches kam ihm entgegen und grüßte ihn mit den verklärten Augen der Kindheitserinnerungen.
Vieles war neu geworden im Ort, der sich nun Markt nennen durfte. Die Häuser waren sauber gestrichen und fast an jedem Haus hing eine Tafel mit der Inschrift: »Zimmer zu vermieten«.
Nur der Schornstein beim Unterbräu war gleich geblieben und ragte wie ein dunkler, drohender Finger in den blauen Sommerhimmel.
Die Glocken läuteten wieder. Die Mutter drängte nun zum Gehen und doch war sie es, die immer wieder stehen blieb, um mit glücklichem Mutterstolz herzuzeigen, was sonst in ganz Spieglberg niemand herzuzeigen hatte: einen Sohn, der als Matrose sämtliche Weltmeere befahren hatte.
Ja, der Weg zur Kirche war für Maria Nonnenbruch mit all dem Schauen und Grüßen ein Festzug. Wann hatte sie jemals so im Mittelpunkt gestanden? Sechs Jahre war sie in Angst und Sorge gewesen, und nun diese leuchtende Stunde, in der der Stolz das Herz fast sprengen wollte!
Sie dirigierte den Sohn bis in die dritte Bankreihe auf der rechten Seite vor, wo auf einem schmalen Blechtäfelchen der Name Nonnenbruch stand. Sie selbst nahm gegenüber auf der Frauenseite Platz, ein bisschen weiter hinten, direkt unter der Kanzel.
Das Sakristeiglöcklein ertönte und Pfarrer Schöngruber schritt mit den Ministranten zum Altar. Älter war er geworden, der hochwürdige Herr Schöngruber, und er hatte ein wenig Weiß im Haar.
Auch war seine Stimme nicht mehr so kraftvoll, als er dann predigte. Vom Sommer sprach er, von der reifenden Ernte, von den Halmen, die sich heute noch im Wind wiegten, nicht ahnend, dass morgen schon die Sense über sie kommen würde. Genau wie beim Menschen, der die Stunde nicht wisse, wo der Tod ihn treffe.
Während der Predigt schaute der Xaver zur Frauenseite hinüber und da trafen sich seine Augen mit einem anderen Augenpaar. Eine Sekunde nur.
Ein Mädchen saß dort, ein großes, schlankes Mädchen in der Tracht des Tales. Die Goldquasten des Hutes hingen eine Handbreit über die Krempe und leuchteten gegen die Farbe ihres Haares, das in ihrem Nacken lag und von einer Silberspange zusammengehalten wurde.
Sie kniete jetzt im Stuhl, hatte den Kopf gesenkt, blickte in das Gebetbuch und schaute nicht ein einziges Mal mehr auf.
Schlank ragte ihr Hals aus dem dunklen Spenzer. Ihr Profil war wunderschön und da ein schräger Lichtstrahl der Sonne es traf, die durch das hohe Fenster schien, sah es aus, als sei es von einem leuchtenden Rahmen umgeben.
Als der Schlusssegen gesprochen wurde, erhob sich das Mädchen und verließ die Kirchenbank. Wie gebannt starrte Xaver ihr ins Gesicht, aber sie sah ihn wieder nur einen Augenblick an.
Er konnte es kaum erwarten ins Freie zu kommen. Aber nirgends mehr eine Spur von dem Mädchen.
Vor dem Friedhof wurden Xaver und seine Mutter so eingekreist, dass sie stehen bleiben mussten. Der Lehrer Stiegler kam hinzu, der Bauer Stöger von Balkham und schließlich auch noch der Pfarrer.
»Ja«, tat er erstaunt. »Jetzt kenn ich dich erst, Xaver! Der verlorene Sohn ist heimgekehrt! Gut schaust du aus. Aber ich werde wohl jetzt Sie sagen müssen?«
»Nein, nein, Herr Pfarrer.«
»Na, dann schön, Xaver. Besuch mich halt einmal. Es würd mich sehr freuen.«
»Jawohl, Herr Pfarrer. Er kommt schon«, sagte die Mutter eilfertig an Xavers Stelle.
»Na, dann schön.« Der Pfarrer reichte Xaver die Hand. »Am besten einmal an einem Nachmittag, so gegen drei Uhr zum Kaffee.«
»Und zu uns musst auch kommen«, verlangte der Stöger. »Wirst staunen, wie groß die Kinder geworden sind! Die Wally ist schon verheiratet.«
Der Hollauer Hansl, der einst mit ihm die Schulbank gedrückt hatte, nahm einen der goldenen Knöpfe in seine Finger, prüfte ihn gewissenhaft und fragte:
»Echt Gold?«
»Natürlich«, lachte Xaver. »Meinst, wir geben uns bei der Marine mit Blech ab?«
Sechs Knöpfe zählte der Hansl und nickte tiefsinnig.
»Mensch, da tragst ja ein halbes Vermögen umeinander.«
Ein großes Licht war der Hansl nie gewesen. Aber er war sehr neugierig und wollte gleich alles auf einmal wissen, was er verdiene und wo überall er gewesen sei.
Und ganz unversehens waren dann gleich ein ganzes Dutzend ehemaliger Schulkameraden um ihn. Einige von ihnen waren auch in Uniform, freilich in keiner so schönen wie der Xaver Nonnenbruch. Aus dieser Gegend wurden sie ja meist zuden Gebirgsjägern eingezogen, »der Krone der Bundeswehr«, wie der Hobl Otto sagte.
Und immer wieder lugte der Xaver über die Köpfe der anderen hinweg, sah sich fast die Augen aus, aber das Mädchen konnte er nirgends entdecken. Sie war wie vom Erdboden verschwunden.
Ob er mitginge zum Blaserwirt zum Frühschoppen?
Warum denn nicht? Er sah sich nach der Mutter um, die immer noch mit dem Lehrer sprach.
»Ja, aber vergiss nicht, Veri, dass wir um zwölf Uhr essen!«
Es wurde eine recht gemütliche Stunde, in der Xaver all die Neuigkeiten erfuhr, die es inzwischen gegeben hatte. Wer wen gerne haben möchte und nicht bekam. Oder dass der Ziegler Benno bereits Vater von herzigen Zwillingsbuben geworden sei.
Dann drängten sie den Xaver, dass auch er erzähle, und weil der zweite Schoppen Rotwein ihm bereits ein bissel in den Kopf gestiegen war, sprang ihm das Erzählen heraus wie ein Brunnen. Eine blühende Fantasie hatte er ja immer schon gehabt. Jawohl, ganz unbekümmert spann er ein Seemannsgarn, dass dem Hollauer Hansl ganz heiß wurde. Er schob sein Hütl immer weiter nach hinten, je unverschämter der Xaver aufschnitt.
»Ob ihr es glaubt oder nicht, aber in Grönland – nein, in Chile war das, da hab ich eine waschechte Indianerin im Arm gehabt. Sie war rot am ganzen Körper, so zwischen Kupfer und Gold.« Er schnalzte mit der Zunge. »Menschenskinder, da war was los! Ich hätte sie gern mit rübergenommen, aber wegen dem Nachwuchs war es, wisst ihr. Das hätte lauter weiß und rot gestreifte Kinder gegeben.«
»Tatsächlich?«, fragte der Hollauer Hansl, der mit offenem Mund zugehört hatte. »Tatsächlich gestreifte Kinder?« Er bemerkte nicht, dass die anderen der Tischrunde dem Xaver ermutigend zublinzelten.
»Dutzende hab ich rumlaufen sehn und einmal hätte ich beinahe eins adoptiert. Das heißt, ich hab es schon adoptiert.«
»Und wo hast es dann?«
»Gestorben ist es an Masern. Nein, eigentlich waren es die Blattern und wir sind damals mit unserm Schiff vier Wochen lang im Golf von Mexiko in der Quarantäne gelegen. Aber die Indianerinnen – einfach große Klasse!«
Da läutete es auf dem Kirchturm zwölf Uhr. Der Xaver fuhr hoch und griff nach seiner Mütze. »Ich muss zum Essen heim.«
Er schob sich aus der Bank, aber der Hollauer Hansl hängte sich hartnäckig an seinen Ärmel und wollte wissen, wie die Indianerin geheißen habe.
Xaver überlegte kurz und lächelte dann wie in einer Erleuchtung.
»Bibiane hat sie geheißen. – Nein, das war die Schwarze. Die Indianerin hat Orlianda geheißen. Ich habe sie aber Rosenrot genannt. Jawohl, Rosenrot, meine Rosenbraut«, trumpfte er auf, stülpte die Mütze über das Haar, winkte den Kameraden mit beiden Händen zu und rannte nun mit schnellen Schritten heimwärts.
Nach dem Mittagessen schrieb Xaver an einige Kameraden, denen er es versprochen hatte, Ansichtskarten von Spieglberg zu schicken, und machte ein kleines Kreuz über das Elternhaus, damit sie sehen konnten, wo er daheim war.
Der Vater hatte sich gleich nach dem Essen auf das Kanapee gelegt, die Mutter hantierte noch in der Küche.
Der Tag lag schwül über dem Land. Kein Lufthauch bewegte die Blätter der Bäume, die Schwalben flogen tief, aber am Himmel zeigte sich noch kein Wölkchen.
»Ich geh zum Briefkasten und werf die Karten ein«, sagte Xaver durch das Küchenfenster.
»Kommst du zum Kaffee heim?«
Er besann sich einen Augenblick.
»Es ist besser, du wartest nicht. Vielleicht geh ich baden.«
Komisch, recht viel Lust verspürte er gar nicht dazu. Er holte seine Badehose, verließ das Haus und fragte sich auf dem ganzen Weg, ob er im Bad vielleicht jenes Mädchen sehen würde, das ihm seit dem Hochamt einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Beim Mittagessen hatte er schon die Mutter ein wenig ausfragen wollen.
»Groß von Wuchs«, hatte er gesagt, »und von auffallender Schönheit.«
Aber die Mutter kam nicht darauf, sie beschrieb ein Dutzend Mädchen, doch Xaver schüttelte immer wieder den Kopf. Nein, die könne es nicht sein.
»Was hat sie denn für Haar gehabt?«, fragte der Vater dazwischen.
»Ungefähr wie reife Kastanien«, meinte er.
»Wenn sie nicht gefärbt waren«, sagte der Vater. »Es gibt Frauen, die haben alle vierzehn Tag eine andere Haarfarbe.«
Die waren echt, hatte Xaver gedacht und auf dem Weg zum Schwimmbad überlegte er nun, wie er sie ansprechen sollte, falls er sie dort träfe. Die andere,die Marianne Siebert, war bereits völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden.
Das Schwimmbad war derart überfüllt, dass es unmöglich war, jemanden zu finden. Es war schon fast ein Wunder, dass er noch eine Kabine zum Umziehen bekam.
Das Schwimmbad wurde durch die Lorasch gespeist und war – Xaver bestaunte es voller Anerkennung – ziemlich groß und harmonisch in die Landschaft eingefügt. Neben dem großen Sprungbrett stehend, ließ Xaver Nonnenbruch seinen Blick suchend umherschweifen, bis er dann endlich feststellen musste, dass sie nicht hier war.
Gerade als er sich dann anschicken wollte, einen Hechtsprung ins Wasser zu machen, klopfte ihm jemand zaghaft auf die Schulter. Er drehte sich um und zwang sich zu einem Lächeln.
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