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Ein Schauspiel im Schauspiel – und noch dazu ein unerwartetes! Statt dem Publikum ein rührendes Stück über Liebe, Intrigen und moralische Läuterung zu zeigen, mutet der Dichter ihm ein urkomisches Kindermärchen über einen schlauen Kater, eine alberne Prinzessin und ihren gefräßigen Vater zu! Das Publikum protestiert lautstark. Tiecks 1797 in seinen Volksmärchen veröffentlichte und erst 1844 uraufgeführte Märchenkomödie ist ein geistreiches Spiel mit Illusionen – und ein großes Lesevergnügen. Die Ausgabe enthält Anmerkungen und eine Nachbemerkung.
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Seitenzahl: 86
Ludwig Tieck
Kindermärchen in drei AktenMit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge
Reclam
2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Coverabbildung: Stich von Gustave Doré für eine Ausgabe der Märchen von Charles Perrault (1862, koloriert) – The Granger Collection / Alamy Stock Photo
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2023
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962104-3
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014332-2
www.reclam.de
Personen
Prolog
Erster Akt
Zwischenakt
Zweiter Akt
Zwischenakt
Dritter Akt
Epilog
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Nachbemerkung
Inhalt
DER KÖNIG
DIE PRINZESSIN, seine Tochter
PRINZ NATHANAEL von Malsinki
LEANDER, Hofgelehrter
HANSWURST, Hofnarr
EIN KAMMERDIENER
DER KOCH
Brüder und Bauern
LORENZ
BARTHEL
GOTTLIEB
HINZE, ein Kater
EIN WIRT
Bauern
KUNZ
MICHEL
GESETZ, ein Popanz
EIN BESÄNFTIGER
DER DICHTER
EIN SOLDAT
ZWEI HUSAREN
ZWEI LIEBENDE
BEDIENTE
MUSIKER
EIN BAUER
DER SOUFFLEUR
EIN SCHUHMACHER
EIN HISTORIOGRAPH
FISCHER
MÜLLER
SCHLOSSER
BÖTTICHER
LEUTNER
WIESENER
DESSEN NACHBAR
ELEFANTEN
LÖWEN
BÄREN
EIN AMTMANN
ADLER UND ANDERE VÖGEL
EIN KANINCHEN
REBHÜHNER
JUPITER
TERKALEON
DER MASCHINIST
GESPENSTER
AFFEN
DAS PUBLIKUM
Die Szene ist im Parterre, die Lichter sind schon angezündet, die Musiker sind im Orchester versammelt. – Das Schauspiel ist voll, man schwatzt durcheinander, Ankommende, u. s. w. Fischer, Müller, Schlosser, Bötticher im Parterre.
FISCHER. Aber ich bin doch neugierig, – Herr Müller, was sagen Sie zu dem heutigen Stücke?
MÜLLER.Ich hätte mich eher des Himmels Einfall vermutet, als ein solches Stück auf unserm Theater zu sehn.
FISCHER. Kennen Sie das Stück?
MÜLLER. Nicht im mindesten. – Ein wunderlicher Titel ist es: der gestiefelte Kater. – Ich hoffe doch nimmermehr, dass man die Kinderpossen wird aufs Theater bringen.
SCHLOSSER. Ist es denn eine Oper?
FISCHER. Nichts weniger, auf dem Komödienzettel steht: ein Kindermärchen.
SCHLOSSER. Ein Kindermärchen? Aber um Gottes willen sind wir denn Kinder, dass man uns solche Stücke aufführen will? Es wird doch wohl nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen?
FISCHER. Es ist am Ende eine Nachahmung der neuen Arkadier, so eine Art von Terkaleon –
MÜLLER. Das wäre nun nicht übel, denn ich habe schon längst gewünscht, eine solche wunderbare Oper einmal ohne Musik zu sehn.
FISCHER. Ohne Musik ist es abgeschmackt, denn, lieber Freund, über solche Kindereien, über solchen Aberglauben sind wir weg, die Aufklärung hat ihre gehörigen Früchte getragen.
MÜLLER. Am Ende ist es ein ordentliches Familiengemälde, und es ist nur so ein Spaß, gleichsam ein Scherz mit dem Kater; eine Veranlassung, wenn ich so sagen darf.
SCHLOSSER. Wenn ich meine rechte Meinung sagen soll, so halt ich das Ganze für einen Pfiff, Gesinnungen, Winke unter die Leute zu bringen. Ihr werdet sehn, ob ich nicht Recht habe. Ein Revolutionsstück, so viel ich begreife.
FISCHER. Das glaub ich auch, denn sonst würde ja der Geschmack abscheulich vor den Kopf gestoßen. Ich muss wenigstens gestehn, dass ich nie an Hexen oder Gespenster habe glauben können, viel weniger an den gestiefelten Kater.
SCHLOSSER. Es ist das Zeitalter für diese Phantome nicht mehr. – Da kömmt ja Leutner, der wird uns vielleicht mehr sagen können.
(Leutner drängt sich durch.)
LEUTNER. Guten Abend, guten Abend! Nun, wie geht’s?
MÜLLER. Sagen Sie uns nur, wie es mit dem heutigen Stücke beschaffen ist.
(Die Musik fängt an.)
LEUTNER. Schon so spät? Da komm ich ja grade zur rechten Zeit. – Mit dem Stücke? Ich habe soeben den Dichter gesprochen, er ist auf dem Theater und hilft den Kater anziehn.
VIELE STIMMEN. Hilft? – der Dichter? – den Kater? – Also kommt doch ein Kater vor?
LEUTNER. Ja freilich, und er steht ja auch auf dem Zettel.
FISCHER. Wer spielt ihn denn?
LEUTNER. Je, der fremde Akteur, der große Mann.
MÜLLER. In der Tat? – Aber wie kann man denn solch Zeug spielen?
LEUTNER. Der Dichter meint, zur Abwechselung, –
FISCHER. Eine schöne Abwechselung, – warum nicht auch den Blaubart und Prinz Kobold? – Ei! der vortrefflichen Sujets fürs Drama!
MÜLLER. Wie werden sie aber den Kater anziehn? – und ob er denn wirkliche Stiefeln trägt?
LEUTNER. Ich bin ebenso begierig wie Sie alle.
FISCHER. Aber wollen wir uns denn wirklich solch Zeug vorspielen lassen? Wir sind zwar aus Neugier hergekommen, aber wir haben doch Geschmack.
MÜLLER. Ich habe große Lust zu pochen.
LEUTNER. Es ist überdies etwas kalt. – Ich mache den Anfang. (Er trommelt, die Übrigen akkompagnieren.)
WIESENER(auf der andern Seite). Weswegen wird denn gepocht?
LEUTNER. Den guten Geschmack zu retten.
WIESENER. Nun, da will ich auch nicht der Letzte sein. (Er trommelt.)
STIMMEN. Still, man kann ja die Musik nicht hören.
(Alles trommelt.)
SCHLOSSER. Aber man sollte doch das Stück erst zu Ende spielen lassen, denn man hat doch immer auf jeden Fall sein Geld gegeben, hernach wollen wir pochen, dass man es vor der Tür hört.
ALLE. Nein. Jetzt, jetzt, – der Geschmack, – die Regeln, – die Kunst, – alles geht sonst zu Grunde.
EIN LAMPENPUTZER. Meine Herren, soll man die Wache hereinschicken?
LEUTNER. Wir haben bezahlt, wir machen das Publikum aus, und darum wollen wir auch unsern eignen guten Geschmack haben und keine Possen.
DER DICHTER(hinter dem Theater). Das Stück wird sogleich seinen Anfang nehmen.
MÜLLER. Kein Stück, – wir wollen kein Stück, – wir wollen guten Geschmack –
ALLE. Geschmack! Geschmack!
DER DICHTER. Ich bin in Verlegenheit, – was meinen Sie, wenn ich fragen darf?
SCHLOSSER. Geschmack! – Sind Sie ein Dichter, und wissen nicht einmal was Geschmack ist?
DER DICHTER. Bedenken Sie einen jungen Anfänger –
SCHLOSSER. Wir wollen nichts vom Anfänger wissen, – wir wollen ein ordentliches Stück sehn, – ein geschmackvolles Stück!
DER DICHTER. Von welcher Sorte? Von welcher Farbe?
MÜLLER. Familiengeschichten, – Entführungen, – Geschwister vom Lande, – so etwas.
(Der Dichter kömmt hinter dem Vorhange hervor.)
DER DICHTER. Meine Herren –
ALLE. Ist das der Dichter?
FISCHER. Er sieht wenig wie ein Dichter aus.
SCHLOSSER. Naseweis.
MÜLLER. Er hat nicht einmal abgeschnittene Haare –
DER DICHTER. Meine Herren, – verzeihen Sie meine Keckheit –
FISCHER. Wie können Sie solche Stücke schreiben? Warum haben Sie sich nicht gebildet?
DER DICHTER. Vergönnen Sie mir nur eine Minute Gehör, ehe Sie mich verdammen. Ich weiß, dass ein verehrungswürdiges Publikum den Dichter richten muss, dass von Ihnen keine Appellation stattfindet, aber ich kenne die Gerechtigkeitsliebe eines verehrungswürdigen Publikums, dass es mich nicht von einer Bahn zurückschrecken wird, wo ich seiner gütigen Leitung so sehr bedarf.
FISCHER. Er spricht nicht übel.
MÜLLER. Er ist höflicher, als ich dachte.
SCHLOSSER. Er hat doch Respekt vor dem Publikum.
DER DICHTER. Ich schäme mich, die Eingebung meiner Muse so erleuchteten Richtern vorzuführen, und nur die Kunst unsrer Schauspieler tröstet mich noch einigermaßen, sonst würde ich ohne weitere Umstände in Verzweiflung versinken.
FISCHER. Er dauert mich.
MÜLLER. Ein guter Kerl!
DER DICHTER. Als ich Dero Pochen vernahm, – noch nie hat mich etwas dermaßen erschreckt, ich bin noch bleich und zittre, und begreife selbst nicht, wie ich zu der Kühnheit komme, so vor Ihnen zu erscheinen.
LEUTNER. So klatscht doch!
(Alle klatschen.)
DER DICHTER. Ich wollte einen Versuch machen, durch Laune, wenn sie mir gelungen ist, durch Heiterkeit, durch wirkliche Possen zu belustigen, da uns unsre neuesten Stücke so selten zum Lachen Gelegenheit geben.
MÜLLER. Das ist auch wahr!
LEUTNER. Er hat Recht, – der Mann.
SCHLOSSER. Bravo! bravo!
ALLE. Bravo! bravo! (Sie klatschen.)
DER DICHTER. Mögen Sie, Verehrungswürdige, jetzt entscheiden, ob mein Versuch nicht ganz zu verwerfen sei, – mit Zittern zieh ich mich zurück und das Stück wird seinen Anfang nehmen. (Er verbeugt sich sehr ehrerbietig und geht hinter den Vorhang.)
ALLE. Bravo! bravo!
STIMME VON DER GALERIE. Da capo! –
(Alles lacht. Die Musik fängt wieder an, indem geht der Vorhang auf.)
Kleine Bauernstube. Lorenz. Barthel. Gottlieb. – Der Kater Hinz liegt auf einem Schemel am Ofen.
LORENZ. Ich glaube, dass nach dem Ableben unsers Vaters unser kleines Vermögen sich bald wird einteilen lassen. Ihr wisst, dass der selige Mann nur drei Stücke von Belang zurückgelassen hat, ein Pferd, einen Ochsen und jenen Kater dort. Ich, als der Älteste, nehme das Pferd, Barthel, der nächste nach mir, bekömmt den Ochsen, und so bleibt denn natürlicherweise für unsern jüngsten Bruder der Kater übrig.
LEUTNER(im Parterre). Um Gottes willen! hat man schon eine solche Exposition gesehn! Man sehe doch, wie tief die dramatische Kunst gesunken ist!
MÜLLER. Aber ich habe doch alles recht gut verstanden.
LEUTNER. Das ist ja eben der Fehler, man muss es dem Zuschauer so verstohlnerweise unter den Fuß geben, aber nicht so gradezu in den Bart werfen.
MÜLLER. Aber man weiß doch nun, woran man ist.
LEUTNER. Das muss man ja aber nicht so geschwinde wissen; dass man so nach und nach hineinkömmt, ist ja eben der beste Spaß.
BARTHEL. Ich glaube, Bruder Gottlieb, Du wirst auch mit der Einteilung zufrieden sein, Du bist leider der Jüngste, und da musst Du uns einige Vorrechte lassen.
GOTTLIEB. Freilich wohl.
SCHLOSSER. Aber, warum mischt sich denn das Pupillenkollegium nicht in die Erbschaft? Welche Unwahrscheinlichkeiten!
LORENZ. So wollen wir denn nun gehn, lieber Gottlieb, lebe wohl, lass Dir die Zeit nicht lang werden.
GOTTLIEB. Adieu.
(Die Brüder gehn ab.)
GOTTLIEB(allein. Monolog). Sie gehn fort – und ich bin allein. – Wir haben alle drei unsre Wohnungen, Lorenz kann mit seinem Pferde doch den Acker bebauen, Barthel kann seinen Ochsen schlachten und einsalzen, und eine Zeitlang davon leben, – aber was soll ich armer Unglückseliger mit meinem Kater anfangen? – Höchstens kann ich mir aus seinem Felle für den Winter einen Muff machen lassen, aber ich glaube, er ist jetzt noch dazu in der Rauhe. – Da liegt er und schläft ganz geruhig, – armer Hinze! wir werden uns bald trennen müssen. Es tut mir leid, ich habe ihn auferzogen, ich kenne ihn, wie mich selber, – aber er wird dran glauben müssen, ich kann mir nicht helfen, ich muss ihn wahrhaftig verkaufen. – Er sieht mich an, als wenn er mich verstände, es fehlt wenig, so fang ich an zu weinen. (Er geht in Gedanken auf und ab.)
MÜLLER. Nun, seht Ihr wohl, dass es ein rührendes Familiengemälde wird? Der Bauer ist arm und ohne Geld, er wird nun in der äußersten Not sein treues Haustier verkaufen, an irgend ein empfindsames Fräulein, und dadurch wird am Ende sein Glück gegründet werden. – Es ist vielleicht eine Nachahmung vom Papagei von Kotzebue, aus dem Vogel ist hier eine Katze gemacht, und das Stück findet sich von selbst.
FISCHER.