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In 'Die schönsten Märchen der Romantik' präsentiert Ludwig Tieck eine Sammlung von Märchen, die das Genre der romantischen Literatur perfekt verkörpern. Mit seiner poetischen Sprache und tiefgründigen Symbolik entführt Tieck die Leser in fantastische Welten, in denen Realität und Fantasie verschmelzen. Die Märchen spiegeln die Sehnsucht der Romantiker nach dem Unerklärlichen und Übernatürlichen wider und lassen den Leser in eine Welt voller Magie und Geheimnisse eintauchen. Tiecks Erzählstil ist geprägt von einer melodischen Sprache und einer feinen Beobachtungsgabe, die es ihm ermöglicht, die emotionalen Ebenen der Figuren subtil zu erfassen und wiederzugeben. 'Die schönsten Märchen der Romantik' ist ein Meisterwerk der romantischen Literatur, das die Leser in eine Welt voller Poesie und Zauber entführt. Ludwig Tieck, einer der bedeutendsten Vertreter der romantischen Schule, war bekannt für seine einzigartige Fähigkeit, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie zu verwischen. Als Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer prägte er maßgeblich die deutsche Romantik und lieferte einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Literatur. Sein umfangreiches Werk spiegelt seine tiefe Verbundenheit zur deutschen Kultur und Sprache wider und präsentiert dem Leser eine Vielzahl von literarischen Werken, die bis heute lesenswert sind. 'Die schönsten Märchen der Romantik' ist ein Buch, das nicht nur die Liebhaber der romantischen Literatur begeistern wird, sondern auch jeden Leser, der sich für Poesie, Magie und die Kraft der Fantasie interessiert. Mit seiner einzigartigen Erzählweise und tiefen Einblicken in die menschliche Seele wird dieses Buch sowohl Liebhaber der Romantik als auch neue Leser in seinen Bann ziehen und sie in die Welt der märchenhaften Romantik entführen.
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Seitenzahl: 1020
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In einer Gegend des Harzes wohnte ein Ritter, den man gewöhnlich nur den blonden Eckbert nannte. Er war ohngefähr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Größe, und kurze hellblonde Haare lagen schlicht und dicht an seinem blassen eingefallenen Gesichte. Er lebte sehr ruhig für sich und war niemals in den Fehden seiner Nachbarn verwickelt, auch sah man ihn nur selten außerhalb den Ringmauern seines kleinen Schlosses. Sein Weib liebte die Einsamkeit eben so sehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben, nur klagten sie gewöhnlich darüber, daß der Himmel ihre Ehe mit keinen Kindern segnen wolle.
Nur selten wurde Eckbert von Gästen besucht, und wenn es auch geschah, so wurde ihretwegen fast nichts in dem gewöhnlichen Gange des Lebens geändert, die Mäßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen. Eckbert war alsdann heiter und aufgeräumt, nur wenn er allein war bemerkte man an ihm eine gewisse Verschlossenheit, eine stille zurückhaltende Melankolie.
Niemand kam so häufig auf die Burg als Philipp Walther, ein Mann, an welchen sich Eckbert geschlossen hatte, weil er an ihm ohngefähr dieselbe Art zu denken fand, der auch er am meisten zugethan war. Dieser wohnte eigentlich in Franken, hielt sich aber oft über ein halbes Jahr in der Nähe von Eckberts Burg auf, sammelte Kräuter und Steine, und beschäftigte sich damit, sie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem kleinen Vermögen und war von Niemand abhängig. Eckbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spaziergängen, und mit jedem Jahre entspann sich zwischen ihnen eine innigere Freundschaft.
Es giebt Stunden, in denen es den Menschen ängstigt, wenn er vor seinem Freunde ein Geheimniß haben soll, was er bis dahin oft mit vieler Sorgfalt verborgen hat, die Seele fühlt dann einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzutheilen, dem Freunde auch das Innerste aufzuschließen, damit er um so mehr unser Freund werde. In diesen Augenblicken geben sich die zarten Seelen einander zu erkennen, und zuweilen geschieht es wohl auch, daß einer vor der Bekanntschaft des andern zurück schreckt.
Es war schon im Herbst, als Eckbert an einem neblichten Abend mit seinem Freunde und seinem Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines saß. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und spielte oben an der Decke, die Nacht sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Bäume draußen schüttelten sich vor nasser Kälte. Walther klagte über den weiten Rückweg den er habe, und Eckbert schlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die halbe Nacht unter traulichen Gesprächen hinzubringen, und dann noch in einem Gemache des Hauses bis am Morgen zu schlafen. Walther ging den Vorschlag ein, und nun ward Wein und die Abendmahlzeit herein gebracht, das Feuer durch Holz vermehrt, und das Gespräch der Freunde heitrer und vertraulicher.
Als das Abendessen abgetragen war, und sich die Knechte wieder entfernt hatten, nahm Eckbert die Hand Walthers und sagte: Freund, Ihr solltet euch einmal von meiner Frau die Geschichte ihrer Jugend erzählen lassen, die seltsam genug ist. — Gern, sagte Walther, und man setzte sich wieder um den Kamin.
Es war jetzt gerade Mitternacht, der Mond sah abwechselnd durch die vorüber flatternden Wolken. Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten, fing Bertha an, mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sey, euch etwas zu verhelen. Nur haltet meine Erzählung für kein Mährchen, so sonderbar sie auch klingen mag.
Ich bin in einem Dorfe geboren, mein Vater war ein armer Hirte. Die Haushaltung bei meinen Eltern war nicht zum besten bestellt, sie wusten sehr oft nicht, wo sie das Brod hernehmen sollten. Was mich aber noch weit mehr jammerte, war, daß mein Vater und meine Mutter sich oft über ihre Armuth entzweiten, und einer dem andern dann bittere Vorwürfe machte. Sonst hört’ ich beständig von mir, daß ich ein einfältiges dummes Kind sei, das nicht das unbedeutendste Geschäft auszurichten wisse, und wirklich war ich äußerst ungeschickt und unbeholfen, ich ließ alles aus den Händen fallen, ich lernte weder nähen noch spinnen, ich konnte nichts in der Wirthschaft helfen, nur die Noth meiner Eltern verstand ich außerordentlich gut. Oft saß ich dann im Winkel und füllte meine Vorstellungen damit an, wie ich ihnen helfen wollte, wenn ich plötzlich reich würde, wie ich sie mit Gold und Silber überschütten und mich an ihrem Erstaunen laben möchte, dann sah ich Geister herauf schweben, die mir unterirdische Schätze entdekten, oder mir kleine Kiesel gaben, die sich in Edelsteine verwandelten; kurz, die wunderbarsten Phantasien beschäftigten mich, und wenn ich nun aufstehn mußte, um irgend etwas zu helfen, oder zu tragen, so zeigte ich mich noch viel ungeschickter, weil mir der Kopf von allen den seltsamen Vorstellungen schwindelte.
Mein Vater war immer sehr ergrimmt auf mich, daß ich eine so ganz unnütze Last des Hauswesens sey, er behandelte mich daher oft ziemlich grausam, und es war selten, daß ich ein freundliches Wort von ihm vernahm. So war ich ungefähr acht Jahr alt geworden, und es wurden nun ernstliche Anstalten gemacht, daß ich etwas thun, oder lernen sollte. Mein Vater glaubte, es wäre nur Eigensinn oder Trägheit von mir, um meine Tage in Müssiggang hinzubringen, genug, er setzte mir mit Drohungen unbeschreiblich zu, da diese aber doch nichts fruchteten, züchtigte er mich auf die grausamste Art, und fügte hinzu, daß diese Strafe mit jedem Tage wiederkehren sollte, weil ich doch nur ein unnützes Geschöpf sey.
Die ganze Nacht hindurch weint’ ich herzlich, ich fühlte mich so außerordentlich verlassen, ich hatte ein solches Mitleid mit mir selber, daß ich zu sterben wünschte. Ich fürchtete den Anbruch des Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfangen sollte, ich wünschte mir alle mögliche Geschicklichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich einfältiger sey, als die übrigen Kinder meiner Bekanntschaft. Ich war der Verzweiflung nahe.
Als der Tag graute, stand ich auf und eröffnete, fast ohne daß ich es wußte, die Thür unsrer kleinen Hütte. Ich stand auf dem freien Felde, bald darauf war ich in einem Walde, in den der Tag fast noch nicht hinein blickte. Ich lief immerfort, ohne mich umzusehn, ich fühlte keine Müdigkeit, denn ich glaubte immer mein Vater würde mich noch wieder einholen, und durch meine Flucht gereizt mich noch grausamer behandeln.
Als ich aus dem Walde wieder heraus trat, stand die Sonne schon ziemlich hoch, ich sah jetzt etwas dunkles vor mir liegen, welches ein dichter Nebel bedeckte. Bald mußte ich über Hügel klettern, bald durch einen zwischen Felsen gewundenen Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl in dem benachbarten Gebirge befinden müsse, worüber ich anfing mich in der Einsamkeit zu fürchten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge gesehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich davon hatte reden hören, war meinem kindischen Ohr ein fürchterlicher Ton gewesen. Ich hatte nicht das Herz zurück zu gehn, sondern eben meine Angst trieb mich vorwärts; oft sah ich mich erschrocken um, wenn der Wind über mir weg durch die Bäume fuhr, oder ein ferner Holzschlag weit durch den stillen Morgen hintönte. Als mir Köhler und Bergleute endlich begegneten und ich eine fremde Aussprache hörte, wäre ich vor Entsetzen fast in Ohnmacht gesunken.
Ich kam durch mehrere Dörfer und bettelte, weil ich jetzt Hunger und Durst empfand, ich half mir so ziemlich mit meinen Antworten durch, wenn ich gefragt wurde. So war ich ohngefähr vier Tage fortgewandert, als ich auf einen kleinen Fußsteig gerieth, der mich von der großen Straße immer mehr entfernte. Die Felsen um mich her gewannen jetzt eine andre, weit seltsamere Gestalt. Es waren Klippen, so auf einander gepackt, daß es das Ansehn hatte, als wenn sie der erste Windstoß durch einander werfen würde. Ich wußte nicht, ob ich weiter gehn sollte. Ich hatte des Nachts immer im Walde geschlafen, denn es war gerade zur schönsten Jahrszeit, oder in abgelegenen Schäferhütten; hier traf ich aber gar keine menschliche Wohnung und konnte auch nicht vermuthen in dieser Wildniß auf eine zu stoßen; die Felsen wurden immer furchtbarer, ich mußte oft dicht an schwindlichten Abgründen vorbeigehn, und endlich hörte sogar der Weg unter meinen Füßen auf. Ich war ganz trostlos, ich weinte und schrie, und in den Felsenthälern hallte meine Stimme auf eine schreckliche Art zurück. Nun brach die Nacht herein, und ich suchte mir eine Moosstelle aus, um dort zu ruhn. Ich konnte nicht schlafen; in der Nacht hörte ich die seltsamsten Töne, bald hielt ich es für wilde Thiere, bald für den Wind, der durch die Felsen klage, bald für fremde Vögel. Ich betete, und schlief nur spät gegen Morgen ein.
Ich erwachte, als mir der Tag ins Gesicht schien. Vor mir war ein steiler Felsen, ich kletterte in der Hoffnung hinauf, von dort den Ausgang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht Wohnungen oder Menschen gewahr zu werden. Als ich aber oben stand, war alles, so weit nur mein Auge reichte, eben so, wie um mich her, alles war mit einem neblichten Dufte überzogen, der Tag war grau und trübe, und keinen Baum, keine Wiese, selbst kein Gebüsch konnte mein Auge entdecken, einzelne Sträucher ausgenommen, die einsam und betrübt in engen Felsenritzen empor geschossen waren. Es ist unbeschreiblich, welche Sehnsucht ich empfand, nur eines Menschen ansichtig zu werden, wäre es auch, daß ich mich vor ihm hätte fürchten müssen. Zugleich empfand ich einen peinigenden Hunger, ich setzte mich nieder und beschloß zu sterben. Aber nach einiger Zeit trug die Lust zu leben dennoch den Sieg davon, ich raffte mich auf und ging unter Thränen, unter abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch; am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt, ich war müde und erschöpft, ich wünschte kaum noch zu leben, und fürchtete doch den Tod.
Gegen Abend schien die Gegend umher etwas freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine Wünsche lebten wieder auf, die Lust zum Leben erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jetzt das Gesause einer Mühle aus der Ferne zu hören, ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Gränzen der öden Felsen erreichte, ich sah Wälder und Wiesen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hölle in ein Paradies getreten wäre, die Einsamkeit und meine Hülflosigkeit schienen mir nun gar nicht fürchterlich.
Statt der gehofften Mühle stieß ich auf einen Wasserfall, der meine Freude freilich um vieles minderte; ich schöpfte mit der Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir plötzlich war, als höre ich in einiger Entfernung ein leises Husten. Nie bin ich so angenehm überrascht worden, als in diesem Augenblick, ich ging näher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die auszuruhen schien. Sie war fast ganz schwarz gekleidet und eine schwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Theil des Gesichtes, in der Hand hielt sie einen Krückenstock.
Ich näherte mich ihr und bat um ihre Hülfe, sie ließ mich neben sich niedersitzen und gab mir Brod und etwas Wein. Indem ich aß, sang sie mit kreischendem Ton ein geistliches Lied. Als sie geendet hatte, sagte sie mir, ich möchte ihr folgen.
Ich war über diesen Antrag sehr erfreut, so wunderlich mir auch die Stimme und das Wesen der Alten vorkam. Mit ihrem Krückenstocke ging sie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog sie ihr Gesicht so, daß ich im Anfange darüber lachen mußte. Die wilden Felsen traten immer weiter hinter uns zurück, wir gingen über eine angenehme Wiese, und dann durch einen ziemlich langen Wald. Als wir heraus traten, ging die Sonne gerade unter, und ich werde den Anblick und die Empfindung dieses Abends nie vergessen. In das sanfteste Roth und Gold war alles verschmolzen, die Bäume standen mit ihren Wipfeln in der Abendröthe, und über den Feldern lag der entzückende Schein, die Wälder und die Blätter der Bäume standen still, der reine Himmel sah aus wie ein aufgeschlossenes Paradies, und das Rieseln der Quellen und von Zeit zu Zeit das Flüstern der Bäume tönte durch die heitre Stille wie in wehmüthiger Freude. Meine junge Seele bekam jetzt zuerst eine Ahndung von der Welt und ihren Begebenheiten. Ich vergaß mich und meine Führerin, mein Geist und meine Augen schwärmten nur zwischen den goldnen Wolken.
Wir stiegen nun einen Hügel hinan, der mit Birken bepflanzt war, von oben sah man in ein grünes Thal voller Birken hinein, und unten mitten in den Bäumen lag eine kleine Hütte. Ein munteres Bellen kam uns entgegen, und bald sprang ein kleiner behender Hund die Alte an, und wedelte, dann kam er zu mir, besah mich von allen Seiten, und kehrte mit freundlichen Geberden zur Alten zurück.
Als wir vom Hügel hinunter gingen, hörte ich einen wunderbaren Gesang, der aus der Hütte zu kommen schien, wie von einem Vogel, es sang also:
Waldeinsamkeit Die mich erfreut, so morgen wie heut In ewger Zeit, O wie mich freut Waldeinsamkeit.
Diese wenigen Worte wurden beständig wiederholt, wenn ich es beschreiben soll, so war es fast, als wenn Waldhorn und Schallmeyn ganz in der Ferne durch einander spielen.
Meine Neugier war außerordentlich gespannt; ohne daß ich auf den Befehl der Alten wartete, trat ich mit in die Hütte. Die Dämmerung war schon eingebrochen, alles war ordentlich aufgeräumt, einige Becher standen auf einem Wandschranke, fremdartige Gefäße auf einem Tische, in einem glänzenden Käfig hing ein Vogel am Fenster, und er war es wirklich, der die Worte sang. Die Alte keichte und hustete, sie schien sich gar nicht wieder erholen zu können, bald streichelte sie den kleinen Hund, bald sprach sie mit dem Vogel, der ihr nur mit seinem gewöhnlichen Liede Antwort gab; übrigens that sie gar nicht, als wenn ich zugegen wäre. Indem ich sie so betrachtete, überlief mich mancher Schauer, denn ihr Gesicht war in einer ewigen Bewegung, indem sie dazu wie vor Alter mit dem Kopfe schüttelte, so daß ich durchaus nicht wissen konnte, wie ihr eigentliches Aussehn beschaffen war.
Als sie sich erholt hatte, zündete sie Licht an, deckte einen ganz kleinen Tisch und trug das Abendessen auf. Jetzt sah sie sich nach mir um, und hieß mir einen von den geflochtenen Rohrstühlen nehmen. So saß ich ihr nun dicht gegenüber und das Licht stand zwischen uns. Sie faltete ihre knöchernen Hände und betete laut, indem sie ihre Gesichtsverzerrungen machte, so daß es mich beinahe wieder zum Lachen gebracht hätte; aber ich nahm mich sehr in Acht, um sie nicht boshaft zu machen.
Nach dem Abendessen betete sie wieder, und dann wies sie mir in einer niedrigen und engen Kammer ein Bett an; sie schlief in der Stube. Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betäubt, aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und dann hörte ich die Alte husten und mit dem Hunde sprechen, und den Vogel dazwischen, der im Traum zu seyn schien, und immer nur einzelne Worte von seinem Liede sang. Das machte mit den Birken, die vor dem Fenster rauschten, und mit dem Gesang einer entfernten Nachtigall ein so wunderbares Gemisch, daß es mir immer nicht war, als sey ich erwacht, sondern als fiele ich nur in einen andern noch seltsamern Traum.
Am Morgen weckte mich die Alte, und wies mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte spinnen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte ich noch für den Hund und für den Vogel zu sorgen. Ich lernte mich schnell in die Wirthschaft finden, und alle Gegenstände umher wurden mir bekannt; nun war mir, als müßte alles so seyn, ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas Seltsames an sich habe, daß die Wohnung abentheuerlich und von allen Menschen entfernt liege, und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches sey. Seine Schönheit fiel mir zwar immer auf, denn seine Federn glänzten mit allen möglichen Farben, das schönste Hellblau und das brennendste Roth wechselten an seinem Halse und Leibe, und wenn er sang, blähte er sich stolz auf, so daß sich seine Federn noch prächtiger zeigten.
Oft ging die Alte aus und kam erst am Abend zurück, ich ging ihr dann mit dem Hunde entgegen, und sie nannte mich Kind und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie sich unser Sinn denn an alles, besonders in der Kindheit, gewöhnt. In den Abendstunden lehrte sie mich lesen, ich begriff es bald, und es ward nachher in meiner Einsamkeit eine Quelle von unendlichem Vergnügen, denn sie hatte einige alte geschriebene Bücher, die wunderbare Geschichten enthielten.
Die Erinnerung an meine damalige Lebensart ist mir noch bis jetzt immer seltsam: von keinem menschlichen Geschöpfe besucht, nur in einem so kleinen Familienzirkel einheimisch, denn der Hund und der Vogel machten denselben Eindruck auf mich, den sonst nur längst gekannte Freunde hervor bringen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den seltsamen Nahmen des Hundes besinnen können, so oft ich ihn auch damals nannte.
Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt, und ich mochte ohngefähr zwölf Jahr alt sein, als sie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Geheimniß entdeckte. Der Vogel legte nehmlich an jedem Tage ein Ey, in dem sich eine Perl oder ein Edelstein befand. Ich hatte schon immer bemerkt, daß sie heimlich in dem Käfige wirthschafte, mich aber nie genauer darum bekümmert. Sie trug mir jetzt das Geschäft auf, in ihrer Abwesenheit diese Eyer zu nehmen und in den fremdartigen Gefäßen wohl zu verwahren. Sie ließ mir meine Nahrung zurück und blieb nun länger aus, Wochen, Monathe; mein Rädchen schnurrte, der Hund bellte, der wunderbare Vogel sang und dabei war alles so still in der Gegend umher, daß ich mich in der ganzen Zeit keines Sturmwindes, keines Gewitters erinnere. Kein Mensch verirrte sich dorthin, kein Wild kam unserer Behausung nahe, ich war zufrieden und arbeitete mich von einem Tage zum andern hinüber. — Der Mensch wäre vielleicht recht glücklich, wenn er so ungestört sein Leben bis ans Ende fortführen könnte.
Aus dem wenigen, was ich las bildete ich mir ganz wunderliche Vorstellungen von der Welt und den Menschen, alles war von mir und meiner Gesellschaft hergenommen: wenn von lustigen Leuten die Rede war, konnte ich sie mir nicht anders vorstellen, wie den kleinen Spitz, prächtige Damen sahen immer wie der Vogel aus, alle alte Frauen wie meine wunderliche Alte. Ich hatte auch von Liebe etwas gelesen, und spielte nun in meiner Phantasie seltsame Geschichten mit mir selber. Ich dachte mir den schönsten Ritter von der Welt, ich schmückte ihn mit allen Vortreflichkeiten aus, ohne eigentlich zu wissen, wie er nun nach allen meinen Bemühungen aussah: aber ich konnte ein rechtes Mitleid mit mir selber haben, wenn er mich nicht wieder liebte; dann sagte ich lange rührende Reden in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut, um ihn nur zu gewinnen. — Ihr lächelt! wir sind jetzt freilich alle über diese Zeit der Jugend hinüber.
Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war, denn alsdann war ich selbst die Gebieterin im Hause. Der Hund liebte mich sehr und that alles was ich wollte, der Vogel antwortete mir mit seinem Liede auf alle meine Fragen, mein Rädchen drehte sich immer munter, und so fühlte ich im Grunde nie einen Wunsch nach Veränderung. Wenn die Alte von ihren langen Wanderungen zurück kam, lobte sie meine Aufmerksamkeit, sie sagte, daß ihre Haushaltung, seit ich dazu gehöre, weit ordentlicher geführt werde, sie freute sich über mein Wachsthum und mein gesundes Aussehn, kurz, sie ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um.
Du bist brav, mein Kind! sagte sie einst zu mir mit einem schnarrenden Tone; wenn Du so fort fährst, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch so spät. — Indem sie das sagte, achtete ich eben nicht sehr darauf, denn ich war in allen meinen Bewegungen und meinem ganzen Wesen sehr lebhaft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein, und ich konnte nicht begreifen, was sie damit hatte sagen wollen. Ich überlegte alle Worte genau, ich hatte wohl von Reichthümern gelesen, und am Ende fiel mir ein, daß ihre Perlen und Edelsteine wohl etwas Kostbares sein könnten. Dieser Gedanke wurde mir bald noch deutlicher. Aber was konnte sie mit der rechten Bahn meinen? Ganz konnte ich den Sinn ihrer Worte noch immer nicht fassen.
Ich war jetzt vierzehn Jahr alt, und es ist ein Unglück für den Menschen, daß er seinen Verstand nur darum bekömmt, um die Unschuld seiner Seele zu verlieren. Ich begriff nemlich wohl, daß es nur auf mich ankomme, in der Abwesenheit der Alten den Vogel und die Kleinodien zu nehmen, und damit die Welt, von der ich gelesen hatte, aufzusuchen. Zugleich war es mir dann vielleicht möglich, den überaus schönen Ritter anzutreffen, der mir immer noch im Gedächtnisse lag.
Im Anfange war dieser Gedanke nichts weiter als jeder andere Gedanke, aber wenn ich so an meinem Rade saß, so kam er mir immer wider Willen zurück, und ich verlor mich so in ihm, daß ich mich schon herrlich geschmückt sah, und Ritter und Prinzen um mich her. Wenn ich mich so vergessen hatte, konnte ich ordentlich betrübt werden, wenn ich wieder aufschaute, und mich in der kleinen Wohnung antraf. Uebrigens, wenn ich meine Geschäfte that, bekümmerte sich die Alte nicht weiter um mein Wesen.
An einem Tage ging meine Wirthin wieder fort, und sagte mir, daß sie diesmal länger als gewöhnlich ausbleiben werde, ich solle ja auf alles ordentlich Acht geben und mir die Zeit nicht lang werden lassen. Ich nahm mit einer gewissen Bangigkeit von ihr Abschied, denn es war mir, als würde ich sie nicht wieder sehn. Ich sah ihr lange nach und wuste selbst nicht, warum ich so beängstigt war; es war fast, als wenn mein Vorhaben schon vor mir stände, ohne dessen deutlich mir bewußt zu sein.
Nie hab’ ich des Hundes und des Vogels mit einer solchen Aemsigkeit gepflegt, sie lagen mir näher am Herzen als sonst. Die Alte war schon einige Tage abwesend, als ich mit dem festen Vorsatze aufstand, mit dem Vogel die Hütte zu verlassen, und die sogenannte Welt aufzusuchen. Es war mir enge und bedrängt zu Sinne, ich wünschte wieder da zu bleiben, und doch war mir der Gedanke widerwärtig; es war ein seltsamer Kampf in meiner Seele, wie ein Streiten von zwei widerspenstigen Geistern in mir. In einem Augenblicke kam mir die ruhige Einsamkeit so schön vor, dann entzückte mich wieder die Vorstellung einer neuen Welt, mit allen ihren wunderbaren Mannigfaltigkeiten.
Ich wußte nicht, was ich aus mir selber machen sollte, der Hund sprang mich unaufhörlich an, der Sonnenschein breitete sich munter über die Felder aus, die grünen Birken funkelten: ich hatte die Empfindung, als wenn ich etwas sehr Eiliges zu thun hätte, ich griff also den kleinen Hund, band ihn in der Stube fest, und nahm dann den Käfig mit dem Vogel unter den Arm. Der Hund krümmte sich und winselte über diese ungewohnte Behandlung, er sah mich mit bittenden Augen an, aber ich fürchtete mich ihn mit mir zu nehmen. Noch nahm ich eins von den Gefäßen, das mit Edelsteinen angefüllt war, und steckte es zu mir, die übrigen ließ ich stehn.
Der Vogel drehte den Kopf auf eine wunderliche Weise, als ich mit ihm zur Thür hinaus trat, der Hund strengte sich sehr an, mir nachzukommen, aber er mußte zurück bleiben.
Ich vermied den Weg nach den wilden Felsen und ging nach der entgegengesetzten Seite. Der Hund bellte und winselte immerfort, und es rührte mich recht inniglich; der Vogel wollte einigemal zu singen anfangen, aber da er getragen ward, mußte es ihm wohl unbequem fallen.
So wie ich weiter ging, hörte ich das Bellen immer schwächer, und endlich hörte es ganz auf. Ich weinte und wäre beinahe wieder umgekehrt, aber die Sucht etwas Neues zu sehn, trieb mich vorwärts.
Schon war ich über Berge und durch einige Wälder gekommen, als es Abend ward, und ich in einem Dorfe einkehren mußte. Ich war sehr blöde als ich in die Schenke trat, man wies mir eine Stube und ein Bette an, ich schlief ziemlich ruhig, nur daß ich von der Alten träumte, die mir drohte.
Meine Reise war ziemlich einförmig, aber je weiter ich ging, je mehr ängstigte mich die Vorstellung von der Alten und dem kleinen Hunde; ich dachte daran, daß er wahrscheinlich ohne meine Hülfe verhungern müsse, im Walde glaubt’ ich oft die Alte würde mir plötzlich entgegen treten. So legte ich unter Thränen und Seufzern den Weg zurück; so oft ich ruhte, und den Käfig auf den Boden stellte, sang der Vogel sein wunderliches Lied, und ich erinnerte mich dabei recht lebhaft des schönen verlassenen Aufenthalts. Wie die menschliche Natur vergeßlich ist, so glaubt’ ich jetzt, meine vormalige Reise in der Kindheit sey nicht so trübselig gewesen als meine jetzige; ich wünschte mich wieder in derselben Lage zu sein.
Ich hatte einige Edelsteine verkauft, und kam nun nach einer Wanderschaft von vielen Tagen in einem Dorfe an. Schon beim Eintritt ward mir wundersam zu Muthe, ich erschrack und wuste nicht worüber; aber bald erkannt’ ich mich, denn es war dasselbe Dorf, in welchem ich geboren war. Wie ward ich überrascht! Wie liefen mir vor Freuden, wegen tausend seltsamer Erinnerungen, die Thränen von den Wangen! Vieles war verändert, es waren neue Häuser entstanden, andre die man damals erst errichtet hatte, waren jetzt verfallen, ich traf auch Brandstellen; alles war weit kleiner, gedrängter als ich erwartet hatte. Unendlich freute ich mich darauf, meine Eltern nun nach so manchen Jahren wieder zu sehn; ich fand das kleine Haus, die wohlbekannte Schwelle, der Griff der Thür war noch ganz so wie damals, es war mir, als hätte ich sie nur gestern erst angelehnt; mein Herz klopfte ungestüm, ich öffnete sie hastig, — aber ganz fremde Gesichter saßen in der Stube umher und stierten mich an. Ich fragte nach dem Schäfer Martin, und man sagte mir, er sey schon seit drey Jahren mit seiner Frau gestorben. — Ich trat schnell zurück, und ging laut weinend aus dem Dorfe hinaus.
Ich hatte es mir so schön gedacht, sie mit meinem Reichthume zu überraschen; durch den seltsamsten Zufall war das nun wirklich geworden, was ich in der Kindheit immer nur träumte, — und jetzt war alles umsonst, sie konnten sich nicht mit mir freuen, und das, worauf ich am meisten immer im Leben gehofft hatte, war für mich auf ewig verloren.
In einer angenehmen Stadt miethete ich mir ein kleines Haus mit einem Garten, und nahm eine Aufwärterin zu mir. So wunderbar, als ich es vermuthet hatte, kam mir die Welt nicht vor, aber ich vergaß die Alte und meinen ehemaligen Aufenthalt etwas mehr, und so lebt’ ich im Ganzen recht zufrieden.
Der Vogel hatte schon seit lange nicht mehr gesungen; ich erschrack daher nicht wenig, als er in einer Nacht plötzlich wieder anfing, und zwar mit einem veränderten Liede. Er sang:
Waldeinsamkeit Wie liegst du weit! O dich gereut Einst mit der Zeit. — Ach einzge Freud Waldeinsamkeit!
Ich konnte die Nacht hindurch nicht schlafen, alles fiel mir von neuem in die Gedanken, und mehr als jemals fühlt’ ich, daß ich Unrecht gethan hatte. Als ich aufstand, war mir der Anblick des Vogels ordentlich zuwider, er sah immer nach mir hin, und seine Gegenwart ängstigte mich. Er hörte nun mit seinem Liede gar nicht wieder auf, und er sang es lauter und schallender, als er es sonst gewohnt gewesen war. Je mehr ich ihn betrachtete, je bänger machte er mich; ich öffnete endlich den Käfig, steckte die Hand hinein und faßte seinen Hals, herzhaft drückte ich die Finger zusammen, er sah mich bittend an, ich ließ los, aber er war schon gestorben. — Ich begrub ihn im Garten.
Jetzt wandelte mich oft eine Furcht vor meiner Aufwärterin an, ich dachte an mich selbst zurück, und glaubte, daß sie mich auch einst berauben oder wohl gar ermorden könne. — Schon lange kannt’ ich einen jungen Ritter, der mir überaus gefiel, ich gab ihm meine Hand, — und hiermit, Herr Walter, ist meine Geschichte geendigt.
Ihr hättet sie damals sehn sollen, fiel Eckbert hastig ein, — ihre Jugend, ihre Schönheit, und welch einen unbegreiflichen Reiz ihr ihre einsame Erziehung gegeben hatte. Sie kam mir vor wie ein Wunder, und ich liebte sie ganz unbeschreiblich. Ich hatte kein Vermögen, aber durch ihre Liebe kam ich in diesen Wohlstand; wir zogen hieher, und unsre Verbindung hat uns bis jetzt noch keinen Augenblick gereut. —
Aber über unser Schwatzen, fing Bertha wieder an, ist es schon tief in die Nacht geworden, — wir wollen uns schlafen legen.
Sie stand auf und ging nach ihrer Kammer. Walther wünschte ihr mit einem Handkusse eine gute Nacht, und sagte: Edle Frau, ich danke Euch, ich kann mir Euch recht vorstellen, mit dem seltsamen Vogel, und wie Ihr den kleinen Strohmian füttert.
Auch Walther legte sich schlafen, nur Eckbert ging noch unruhig im Saale auf und ab. — Ist der Mensch nicht ein Thor? fing er endlich an; ich bin erst die Veranlassung, daß meine Frau ihre Geschichte erzählt, und jetzt gereut mich diese Vertraulichkeit! — Wird er sie nicht mißbrauchen? Wird er sie nicht andern mittheilen? Wird er nicht vielleicht, denn das ist die Natur des Menschen, eine unselige Habsucht nach unsern Edelgesteinen empfinden, und deswegen Plane anlegen und sich verstellen?
Es fiel ihm ein, daß Walther nicht so herzlich von ihm Abschied genommen hatte, als es nach einer solchen Vertraulichkeit wohl natürlich gewesen wäre. Wenn die Seele erst einmal zum Argwohn gespannt ist, so trift sie auch in allen Kleinigkeiten Bestätigungen an. Dann warf sich Eckbert wieder sein unedles Mißtrauen gegen seinen wackern Freund vor, und konnte doch nicht davon zurück kehren. Er schlug sich die ganze Nacht mit diesen Vorstellungen herum, und schlief nur wenig.
Bertha war krank und konnte nicht zum Frühstück erscheinen; Walther schien sich nicht viel darum zu kümmern, und verließ auch den Ritter ziemlich gleichgültig. Eckbert konnte sein Betragen nicht begreifen; er besuchte seine Gattin, sie lag in einer Fieberhitze und sagte, die Erzählung in der Nacht müsse sie auf diese Art gespannt haben.
Seit diesem Abend besuchte Walther nur selten die Burg seines Freundes, und wenn er auch kam, ging er nach einigen unbedeutenden Worten wieder weg. Eckbert ward durch dieses Betragen im äußersten Grade gepeinigt; er ließ sich zwar gegen Bertha und Walther nichts davon merken, aber jeder muste doch seine innerliche Unruhe an ihm gewahr werden.
Mit Berthas Krankheit ward es immer bedenklicher; der Arzt ward ängstlich, die Röthe von ihren Wangen war verschwunden, und ihre Augen wurden immer glühender. — An einem Morgen ließ sie ihren Mann an ihr Bette rufen, die Mägde mußten sich entfernen.
Lieber Mann, fing sie an, ich muß dir etwas entdecken, das mich fast um meinen Verstand gebracht hat, das meine Gesundheit zerrüttet, so eine unbedeutende Kleinigkeit es auch an sich scheinen möchte. — Du weißt, daß ich mich immer nicht, so oft ich von meiner Kindheit sprach, trotz aller angewandten Mühe auf den Namen des kleinen Hundes besinnen konnte, mit welchem ich so lange umging; an jenem Abend sagte Walther beim Abschiede plötzlich zu mir: ich kann mir euch recht vorstellen, wie Ihr den kleinen Strohmian füttert. Ist das Zufall? Hat er den Namen errathen, weiß er ihn und hat er ihn mit Vorsatz genannt? Und wie hängt dieser Mensch dann mit meinem Schicksale zusammen? Zuweilen kämpfe ich mit mir, als ob ich mir diese Seltsamkeit nur einbilde, aber es ist gewiß, nur zu gewiß. Ein gewaltiges Entsetzen befiel mich, als mir ein fremder Mensch, so zu meinen Erinnerungen half. Was sagst du, Eckbert?
Eckbert sah seine leidende Gattinn mit einem tiefen Gefühle an, er schwieg und dachte bei sich nach, dann sagte er ihr einige tröstende Worte und verließ sie. In einem abgelegenen Gemache ging er in unbeschreiblicher Unruhe auf und ab. Walther war seit vielen Jahren sein einziger Umgang gewesen, und doch war dieser Mensch jetzt der einzige in der Welt, dessen Daseyn ihn drückte und peinigte. Es schien ihm, als würde ihm froh und leicht sein, wenn nur dieses einzige Wesen aus seinem Wege gerückt werden könnte. Er nahm seine Armbrust, um sich zu zerstreuen und auf die Jagd zu gehn.
Es war ein rauher stürmischer Wintertag, tiefer Schnee lag auf den Bergen und bog die Zweige der Bäume nieder. Er streifte umher, der Schweiß stand ihm auf der Stirne, er traf auf kein Wild, und das vermehrte seinen Unmuth. Plötzlich sah er sich etwas in der Ferne bewegen, es war Walther, der Moos von den Bäumen sammelte; ohne zu wissen was er that legte er an, Walther sah sich um, und drohte mit einer stummen Gebehrde, aber indem flog der Bolzen ab, und Walther stürzte nieder.
Eckbert fühlte sich leicht und beruhigt, und doch trieb ihn ein Schauder nach seiner Burg zurück; er hatte einen großen Weg zu machen, denn er war weit hinein in die Wälder verirrt. — Als er ankam, war Bertha schon gestorben; sie hatte vor ihrem Tode noch viel von Walther und der Alten gesprochen.
Eckbert lebte nun eine lange Zeit in der größten Einsamkeit; er war schon sonst immer schwermüthig gewesen, weil ihn die seltsame Geschichte seiner Gattin beunruhigte, und er irgend einen unglücklichen Vorfall, der sich ereignen könnte, befürchtete: aber jetzt war er ganz mit sich zerfallen. Die Ermordung seines Freundes stand ihm unaufhörlich vor Augen, er lebte unter ewigen innern Vorwürfen.
Um sich zu zerstreuen, begab er sich zuweilen nach der nächsten großen Stadt, wo er Gesellschaften und Feste besuchte. Er wünschte durch irgend einen Freund die Leere in seiner Seele auszufüllen, und wenn er dann wieder an Walther zurück dachte, so erschrack er vor dem Gedanken, einen Freund zu finden, denn er war überzeugt, daß er nur unglücklich mit jedweden Freunde sein könne. Er hatte so lange mit Bertha in einer schönen Ruhe gelebt, die Freundschaft Walthers hatte ihn so manches Jahr hindurch beglückt, und jetzt waren beide so plötzlich dahin gerafft, daß ihm sein Leben in manchen Augenblicken mehr wie ein seltsames Mährchen, als wie ein wirklicher Lebenslauf erschien.
Ein junger Ritter, Hugo, schloß sich an den stillen betrübten Eckbert, und schien eine wahrhafte Zuneigung gegen ihn zu empfinden. Eckbert fand sich auf eine wunderbare Art überrascht, er kam der Freundschaft des Ritters um so schneller entgegen, je weniger er sie vermuthet hatte. Beide waren nun häufig beisammen, der Fremde erzeigte Eckbert alle möglichen Gefälligkeiten, einer ritt fast nicht mehr ohne den andern aus, in allen Gesellschaften trafen sie sich, kurz, sie schienen unzertrennlich.
Eckbert war immer nur auf kurze Augenblicke froh, denn er fühlte es deutlich, daß ihn Hugo nur aus einem Irrthume liebe; jener kannte ihn nicht, wußte seine Geschichte nicht, und er fühlte wieder denselben Drang, sich ihm ganz mitzutheilen, damit er versichert seyn könne, ob jener auch wahrhaft sein Freund sey. Dann hielten ihn wieder Bedenklichkeiten und die Furcht verabscheut zu werden, zurück. In manchen Stunden war er so sehr von seiner Nichtswürdigkeit überzeugt, daß er glaubte, kein Mensch könne ihn seiner Achtung würdigen, für den er nicht ein völliger Fremdling sey. Aber dennoch konnte er sich nicht widerstehn; auf einem einsamen Spazierritte entdeckte er seinem Freunde seine ganze Geschichte, und fragte ihn dann, ob er wohl einen Mörder lieben könne. Hugo war gerührt, und suchte ihn zu trösten; Eckbert folgte ihm mit leichterm Herzen zur Stadt.
Es schien aber seine Verdamniß zu seyn, gerade in der Stunde des Vertrauens Argwohn zu schöpfen, denn kaum waren sie in den Saal getreten, als ihm beim Schein der vielen Lichter die Mienen seines Freundes nicht gefielen. Er glaubte ein hämisches Lächeln zu bemerken, es fiel ihm auf, daß er nur wenig mit ihm spreche, daß er mit den Anwesenden viel rede, und seiner gar nicht zu achten scheine. Ein alter Ritter war in der Gesellschaft, der sich immer als den Gegner Eckberts gezeigt, und sich oft nach seinem Reichthum und seiner Frau auf eine eigne Weise erkundigt hatte; zu diesem gesellte sich Hugo, und beide sprachen eine Zeitlang heimlich, in dem sie nach Eckbert hindeuteten. Dieser sah jetzt seinen Argwohn bestätigt, er glaubte sich verrathen, und eine schreckliche Wuth bemeisterte sich seiner. Indem er noch immer hinstarrte, sah er plötzlich Walthers Gesicht, alle seine Minen, die ganze, ihm so wohl bekannte Gestalt, er sah noch immer hin und ward überzeugt, daß Niemand als Walther mit dem Alten spreche. — sein Entsetzen war unbeschreiblich; außer sich stürzte er hinaus, verließ noch in der Nacht die Stadt, und kehrte nach vielen Irrwegen auf seine Burg zurück.
Wie ein unruhiger Geist eilte er jetzt von Gemach zu Gemach, kein Gedanke hielt ihm stand, er verfiel von entsetzlichen Vorstellungen auf noch entsetzlichere, und kein Schlaf kam in seine Augen. Oft dachte er, daß er wahnsinnig sey, und sich nur selber durch seine Einbildung alles erschaffe; dann erinnerte er sich wieder der Züge Walthers, und alles ward ihm immer mehr ein Räthsel. Er beschloß eine Reise zu machen, um seine Vorstellungen wieder zu ordnen; den Gedanken an Freundschaft, den Wunsch nach Umgang hatte er nun auf ewig aufgegeben.
Er zog fort, ohne sich einen bestimmten Weg vorzusetzen, ja er betrachtete die Gegenden nur wenig, die vor ihm lagen. Als er im stärksten Trabe seines Pferdes einige Tage so fort geeilt war, sah er sich plötzlich in einem Gewinde von Felsen verirrt, in denen sich nirgend ein Ausweg entdecken ließ. Endlich traf er auf einen alten Bauer, der ihm einen Pfad, einem Wasserfall vorüber, zeigte: er wollte ihm zur Danksagung einige Münzen geben, der Bauer aber schlug sie aus. — Was gilts, sagte Eckbert zu sich selber, ich könnte mir wieder einbilden, daß dies Niemand anders als Walther sei? — Und indem sah er sich noch einmal um, und es war Niemand anders als Walther. — Eckbert spornte sein Roß so schnell es nur laufen konnte, durch Wiesen und Wälder, bis es erschöpft unter ihm zusammen stürzte. — Unbekümmert darüber setzte er nun seine Reise zu Fuß fort.
Er stieg träumend einen Hügel hinan; es war, als wenn er ein nahes munteres Bellen vernahm, Birken säuselten dazwischen, und er hörte mit wunderlichen Tönen ein Lied singen:
Waldeinsamkeit Mich wieder freut, Mir geschieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinsamkeit.
Jetzt war es um das Bewußtseyn, um die Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus dem Räthsel heraus finden, ob er jetzt träume, oder ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe; das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig.
Eine krummgebückte Alte schlich hustend mit einer Krücke den Hügel heran. Bringst du mir meinen Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? schrie sie ihm entgegen. Siehe, das Unrecht bestraft sich selbst: Niemand als ich war dein Freund Walther, dein Hugo. —
Gott im Himmel! sagte Eckbert stille vor sich hin, — in welcher entsetzlichen Einsamkeit hab’ ich dann mein Leben hingebracht! —
Und Bertha war deine Schwester.
Eckbert fiel zu Boden.
Warum verließ sie mich tückisch? sonst hätte sich alles gut und schön geendet, ihre Probezeit war ja schon vorüber. Sie war die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters.
Warum hab’ ich diesen schrecklichen Gedanken immer geahndet? rief Eckbert aus.
Weil du in früher Jugend deinen Vater einst davon erzählen hörtest; er durfte seiner Frau wegen diese Tochter nicht bei sich erziehn lassen, denn sie war von einem andern Weibe. —
Eckbert lag wahnsinnig und verscheidend auf dem Boden; dumpf und verworren hörte er die Alte sprechen, den Hund bellen, und den Vogel sein Lied wiederholen.
Nach einer Pause sagte Clara: Sie sehn, lieber Anton, daß uns allen jene Thränen eines heimlichen Grauens in den Augen stehen, und ich denke, Sie haben großentheils das Versprechen Ihres Phantasus erfüllt. Aber erlauben Sie mir zu fragen: ist diese Erzählung Ihre eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte?
Ich darf sie, antwortete Anton, wohl für meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht erinnere, eine ähnliche Geschichte anderswo gelesen zu haben, auch denke ich, ist es in der Aufgabe begriffen gewesen, daß nur selbst ersonnene Mährchen vorgetragen werden sollen, wenigstens habe ich es so verstanden, und ich hoffe, daß auch alle meine Freunde meinem Beispiele heute folgen werden.
Versprich dies nicht so im Allgemeinen, wandte Friedrich ein.
Wollte man freilich, fuhr Anton fort, genau erzählen, aus welchen Erinnerungen der Kindheit, aus welchen Bildern, die man im Lesen, oder oft aus ganz unbedeutenden mündlichen Erzählungen aufgreift, dergleichen sogenannte Erfindungen zusammengesetzt werden, so könnte man daraus wieder eine Art von seltsamer, mährchenartiger Geschichte bilden.
Es ist ängstlich, sagte Ernst, dergleichen Kleinigkeiten zu gründlich zu nehmen. Ich erinnere mich mancher Gesellschaft, in der spitz- und salzlose Anekdoten schlecht vorgetragen wurden, die man nachher eben so unwitzig kritisirte, mit Schrecken, und wenn auch etwas ähnliches hier nicht zu besorgen steht, so wünschte ich doch wohl, daß unsre schönen Richterinnen sich nicht zu eifrig um den Grund und Boden bekümmern möchten, auf welchen unsre Poesien gewachsen sind; ein wesenloser Traum büßt durch geringe Störung zu leicht seine ganze Wirkung ein.
Daß ich fragte, antwortete Clara, geschah nicht aus kritischem Interesse, sondern weil ich, was vielleicht Schwäche sein mag, auf die ursprüngliche Erfindung einer Dichtung sehr viel halte, denn die Kraft des Erfindens scheint mir, mit aller Ehrfurcht von der übrigen Kunst gesprochen, etwas so eigenthümliches, daß ich mich für denjenigen Dichter besonders interessire, welcher nicht nachahmt, sondern zum erstenmal ein Ding vorträgt, welches unsre Imagination ergreift. Beim dramatischen Dichter, wenn er es wahrhaft ist, tritt wohl eine andere Erfindungskunst ein, als beim erzählenden, denn freilich möchte ich lieber eine Scene in »Wie es Euch gefällt« geschrieben haben, als die Novelle erfunden, aus welcher dies Lustspiel entsprungen ist. Der Erzähler kann seinen Gegenstand, wenn dieser interessant ist, schmücken und erheben, seinen Geschmack und seine Kunst in der Umbildung beweisen, ich frage aber immer gern: wer hat diese Sache zuerst ersonnen, falls sie sich nicht wirklich zugetragen hat?
Ich gebe Ihnen gern Recht, sagte Ernst, und um so lieber, weil ich Ihnen mit meinem Gedichte dann etwas dreister nahen darf, weil ich es wenigstens für eigene Erfindung ausgeben kann. In sofern freilich nicht, als die Vorstellung vom verzauberten Berge der Venus im Mittelalter allgemein verbreitet war, aber das Gedicht vom Tannenhäuser hatte ich, damals so wie jetzt, noch nicht gelesen, eben so wenig kannte ich damals die Niebelungen, sondern nur das Heldenbuch, in dessen Vorrede ein getreuer Eckart erwähnt wird, der die jungen Harlungen beschützt, und der nachher beim Hans Sachs und andern Dichtern oftmals sprichwörtlich vorkömmt, und immer vor dem Berge der Venus Wache hält. Aus diesen allgemeinen, unbestimmten Vorstellungen in welche ich noch die Sage von dem berüchtigten Rattenfänger von Hameln aufgenommen und verkleidet habe, ist folgendes Gedicht entstanden.
Der edle Herzog groß Von dem Burgunder Lande Litt manchen Feindesstoß Wohl auf dem ebnen Sande.
Er sprach: mich schlägt der Feind, Mein Muth ist mir entwichen, Die Freunde sind erblichen, Die Knecht’ geflohen seynd!
Ich kann mich nicht mehr regen, Nicht Waffen führen kann: Wo bleibt der edle Degen, Eckart der treue Mann?
Er war mir sonst zur Seite In jedem harten Strauß, Doch leider blieb er heute Daheim bei sich zu Haus.
Es mehren sich die Haufen, Ich muß gefangen sein, Mag nicht wie Knecht entlaufen, Drum will ich sterben sein! —
So klagt der von Burgund, Will sein Schwerdt in sich stechen: Da kommt zur selben Stund Eckart, den Feind zu brechen.
Geharnischt reit’t der Degen Keck in den Feind hinein, Ihm folgt die Schaar verwegen Und auch der Sohne sein.
Burgund erkennt die Zeichen, Und ruft: Gott sei gelobt! Die Feinde mußten weichen Die wüthend erst getobt.
Da schlug mit treuem Muthe Eckart ins Volk hinein, Doch schwamm im rothen Blute Sein zartes Söhnelein.
Als nun der Feind bezwungen, Da sprach der Herzog laut: Es ist dir wohl gelungen, Doch so, daß es mir graut;
Du hast viel Mann geworben, Zu retten Reich und Leben, Dein Söhnlein liegt erstorben, Kanns dir nicht wieder geben. —
Der Eckart weinet fast, Bückt sich der starke Held, Und nimmt die theure Last, Den Sohn in Armen hält.
Wie starbst du, Heinz, so frühe, Und warst noch kaum ein Mann? Mich reut nicht meine Mühe, Ich seh’ dich gerne an,
Weil wir dich, Fürst, erlösten, Aus deiner Feinde Hohn, Und drum will ich mich trösten, Ich schenke dir den Sohn.
Da ward dem Burgund trübe Vor seiner Augen Licht, Weil diese große Liebe Sein edles Herze bricht.
Er weint die hellen Zähren Und fällt ihm an die Brust: Dich, Held, muß ich verehren, Spricht er in Leid und Lust,
So treu bist du geblieben Da alles von mir wich, So will ich nun auch lieben Wie meinen Bruder dich,
Und sollst in ganz Burgunde So gelten wie der Herr, Wenn ich mehr lohnen kunnte, Ich gäbe gern noch mehr.
Als dies das Land erfahren, so freut sich jedermann, Man nennt den Held seit Jahren Eckart den treuen Mann.
Die Stimme eines alten Landmannes klang über die Felsen herüber, der dieses Lied sang, und der getreue Eckart saß in seinem Unmuthe auf dem Berghang und weinte laut. Sein jüngstes Söhnlein stand neben ihm und fragte: Warum weinst du also laut, mein Vater Eckart? Wie bist du doch so groß und stark, höher und kräftiger, als alle übrige Männer, vor wem darfst du dich denn fürchten?
Indem zog die Jagd des Herzoges heim nach Hause. Burgund saß auf einem stattlichen, schön geschmückten Rosse, und Gold und Geschmeide des fürstlichen Herzogs flimmerte und blinkte in der Abendsonne, so daß der junge Conrad den herrlichen Aufzug nicht genug sehn, nicht genug preisen konnte. Der getreue Eckart erhob sich und schaute finster hinüber, und der junge Conrad sang, nachdem er die Jagd aus dem Gesichte verloren hatte:
Wenn du willt Schwerdt und Schild, Gutes Roß, Speer und Geschoß Führen: Muß dein Mark In Beinen stark, Dir im Blut Mannesmuth Gar kräftiglich regieren!
Der Alte nahm den Sohn und herzte ihn, wobei er gerührt seine großen hellblauen Augen anschaute. Hast du das Lied jenes guten Mannes gehört? fragte er ihn dann.
Wie nicht? sprach der Sohn, hat er es doch laut genug gesungen, und bist du ja doch der getreue Eckart, so daß ich gern zuhörte.
Derselbe Herzog ist jetzt mein Feind, sprach der alte Vater; er hält mir meinen zweiten Sohn gefangen, ja hat ihn schon hingerichtet, wenn ich dem trauen darf, was die Leute im Lande sagen.
Nimm dein großes Schwerdt und duld’ es nicht, sagte der Sohn, sie müssen ja alle vor Dir zittern, und alle Leute im ganzen Lande werden dir beistehn, denn du bist ihr größter Held im Lande.
Nicht also, mein Sohn, sprach jener, dann wäre ich der, für den mich meine Feinde ausgeben, ich darf nicht an meinem Landesherren ungetreu werden; nein, ich darf nicht den Frieden brechen, den ich ihm angelobt und in seine Hände versprochen.
Aber was will er von uns? fragte Conrad ungeduldig.
Der Eckart setzte sich wieder nieder und sagte: mein Sohn, die ganze Erzählung davon würde zu umständlich lauten, und du würdest es dennoch kaum verstehn. Der Mächtige hat immer seinen größten Feind in seinem eigenen Herzen, den er so Tag wie Nacht fürchtet: so meint der Burgund nunmehr, er habe mir zu viel getraut, und in mir eine Schlange an seinem Busen auferzogen. Sie nennen mich im Land den kühnsten Degen, sie sagen laut, daß er mir Reich und Leben zu danken, ich heiße der getreue Eckart, und so wenden sich Bedrängte und Nothleidende zu mir, daß ich ihnen Hülfe schaffe; das kann er nicht leiden. So hat er Groll auf mich geworfen, und jeder, der bei ihm gelten möchte, vermehrt sein Mißtrauen zu mir: so hat sich endlich sein Herz von mir abgewendet.
Hierauf erzählte ihm der Helb Eckart mit schlichten Worten, daß ihn der Herzog von seinem Angesichte verbannt habe, und daß sie sich ganz fremd geworden seyen, weil jener geargwohnt, er wolle ihm gar sein Herzogthum entreißen. In Betrübniß fuhr er fort, wie der Herzog ihm seinen Sohn gefangen genommen, und ihm selber, als einem Verräther, nach dem Leben stehe. Conrad sprach zu seinem Vater: so laß mich nun hingehn, mein alter Vater, und mit dem Herzoge reden, damit er verständig und dir gewogen werde; hat er meinen Bruder erwürgt, so ist er ein böser Mann, und du sollst ihn strafen, doch kann es nicht sein, weil er nicht so schnöde deiner großen Dienste vergessen kann.
Weißt du nicht den alten Spruch, sagte Eckart:
Wenn der Mächtge dein begehrt, Bist du ihm als Freund was wehrt, Wie die Noth von ihm gewichen, Ist die Freundschaft auch erblichen.
Ja, mein ganzes Leben ist unnütz verschwendet: warum machte er mich groß, um mich dann desto tiefer hinab zu werfen? Die Freundschaft der Fürsten ist wie ein tödtendes Gift, das man nur gegen Feinde nützen kann, und womit sich der Eigner aus Unbedacht endlich selbst erwürgt.
Ich will zum Herzoge hin, rief Conrad aus, ich will ihm alles, was du gethan, was du für ihn gelitten, in die Seele zurück rufen, und er wird wieder seyn, wie ehemals.
Du hast vergessen, sagte Eckart, daß man uns für Verräther ausgerufen hat, darum laß uns mit einander flüchten, in ein fremdes Land, wo wir wohl ein besseres Glück antreffen mögen.
In deinem Alter, sagte Conrad, willst du deiner lieben Heimath noch den Rücken wenden? Nein, laß uns lieber alles andere versuchen. Ich will zum Burgunder, ihn versöhnen und zufrieden stellen; denn was kann er mir thun wollen, wenn er dich auch haßt und fürchtet?
Ich lasse dich sehr ungern, sagte Eckart, denn meine Seele weissagt mir nichts Gutes, und doch möcht’ ich gern mit ihm versöhnt seyn, denn er ist mein alter Freund, auch deinen Bruder erretten, der in gefänglicher Haft bei ihm schmachtet.
Die Sonne warf ihre letzten milden Strahlen auf die grüne Erde, und Eckart setzte sich nachdenkend nieder, an einem Baumstamm gelehnt, er beschaute den Conrad lange Zeit und sagte dann: wenn du gehen willst, mein Sohn, so gehe jetzt, bevor die Nacht vollends herein bricht; die Fenster in der herzoglichen Burg glänzen schon von Lichtern, ich vernehme aus der Ferne Trompetentöne vom Feste, vielleicht ist die Gemahlin seines Sohnes schon angelangt und sein Gemüth freundlicher gegen uns.
Ungern ließ er den Sohn von sich, weil er seinem Glücke nicht mehr traute; der junge Conrad aber war um so muthiger, weil es ihm ein leichtes dünkte, das Gemüth des Herzoges umzuwenden, der noch vor weniger Zeit so freundlich mit ihm gespielt hatte. Kommst du mir gewiß zurück, mein liebstes Kind? klagte der Alte; wenn du mir verloren gehst, ist keiner mehr von meinem Stamme übrig. Der Knabe tröstete ihn, und schmeichelte mit Liebkosungen dem Greise; sie trennten sich endlich.
Conrad klopfte an die Pforte der Burg und ward eingelassen, der alte Eckart blieb draußen in der Nacht allein. Auch diesen habe ich verloren, klagte er in der Einsamkeit, ich werde sein Angesicht nicht wieder sehn. Indem er so jammerte, wankte an einem Stabe ein Greis daher, der die Felsen hinab steigen wollte, und bei jedem Schritte zu fürchten schien, daß er in den Abgrund stürzen möchte. Wie Eckart die Gebrechlichkeit des Alten wahrnahm, reichte er ihm die Hand, daß er sicher herunter steigen möchte. Woher des Weges? fragte ihn Eckart.
Der Alte setzte sich nieder und fing an zu weinen, daß ihm die hellen Thränen die Wangen hinunter liefen. Eckart wollte ihn mit gelinden und vernünftigen Worten trösten, aber der sehr bekümmerte Greis schien auf seine wohlgemeinten Reden nicht zu achten, sondern sich seinen Schmerzen noch ungemäßigter zu ergeben. Welcher Gram kann euch denn so gar sehr niederbeugen, fragte er endlich, daß Ihr gänzlich davon überwältigt seid?
Ach meine Kinder! klagte der Alte. Da dachte Eckart an Conrad, Heinz und Dietrich, und war selbst alles Trostes verlustig; ja, wenn eure Kinder gestorben sind, sprach er, dann ist euer Elend wahrlich sehr groß.
Schlimmer als gestorben, versetzte hierauf der Alte, mit seiner jammernden Stimme, denn sie sind nicht todt, aber ewig für mich verloren. O wollte der Himmel, daß sie nur gestorben wären!
Der Held erschrack über diese seltsamen Worte, und bat den Greis, ihm dieses Räthsel aufzulösen, worauf jener sagte: Wir leben wahrlich in einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten Tage bald herbei führen wird, denn die erschrecklichsten Zeichen fallen dräuend in die Weit herein. Alles Unheil macht sich von den alten Ketten los, und streift nun frank und frei herum; die Furcht Gottes versiegt und verrinnt, und findet kein Strombett, in das sie sich sammeln möchte, und die bösen Kräfte stehn kecklich in ihren Winkeln auf, und feyern ihren Triumph. O mein lieber Herr, wir sind alt geworden, aber für dergleichen Wundergeschichten noch nicht alt genug. Ihr werdet ohne Zweifel den Cometen gesehen haben, dieses wunderbare Himmelslicht, das so prophetisch hernieder scheint; alle Welt weissagt Uebles, und keiner denkt daran, mit sich selbst die Besserung anzufahn und so die Ruthe abzuwenden. Dies ist nicht genug, sondern aus der Erde thun sich Wunderwerke hervor und brechen geheimnißvoll von unten herauf, wie das Licht schrecklich von oben herniederscheint. Habt Ihr niemals von dem Berge gehört, den die Leute nur den Berg der Venus nennen?
Niemalen, sagte Eckart, so weit ich auch herum gekommen bin.
Darüber muß ich mich verwundern, sagte der Alte, denn die Sache ist jetzt eben so bekannt, als sie wahrhaftig ist. In diesen Berg haben sich die Teufel hinein geflüchtet und sich in den wüsten Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwachsende heilige Christenthum den heidnischen Götzendienst stürzte. Hier, sagt man nun, solle vor allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre höllischen Heerscharen der weltlichen Lüste und verbotenen Wünsche um sich versammeln, so daß das Gebirge auch verflucht seit undenklichen Zeiten gelegen hat.
Doch nach welcher Gegend liegt der Berg? fragte Eckart.
Das ist das Geheimniß, sprach der Alte, daß dieses Niemand zu sagen weiß, als der sich schon dem Satan zu eigen gegeben, es fällt auch keinem Unschuldigen ein, ihn aufsuchen zu wollen. Ein Spielmann von wunderseltner Art ist plötzlich von unten hervor gekommen, den die Höllischen als ihren Abgesandten ausgeschickt haben, dieser durchzieht die Welt, und spielt und musizirt auf einer Pfeifen, daß die Töne weit in den Gegenden wieder klingen. Wer nun diese Klänge vernimmt, der wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklärlicher Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß getrieben, er sieht den Weg nicht, den er geht, er wandert und wandert und wird nicht müde, seine Kräfte nehmen zu wie seine Eile, keine Macht kann ihn aufhalten, so rennt er rasend in den Berg hinein, und findet ewig niemals den Rückweg wieder. Diese Macht ist der Hölle jetzt zurück gegeben, und von entgegenesetzter Richtung wandeln nun die unglückseligen verkehrten Pilgrimme hin, wo keine Rettung zu erwarten steht. Ich hatte an meinen beiden Söhnen schon seit lange keine Freude mehr erlebt, sie waren wüst und ohne Sitten, sie verachteten so Eltern wie Religion; nun hat sie der Klang ergriffen und angefaßt, sie sind davon und in die Weite, die Welt ist ihnen zu enge, und sie suchen in der Hölle Raum.
Und was denkt Ihr bei diesen Dingen zu thun? fragte Eckart.
Mit dieser Krücke habe ich mich aufgemacht, antwortete der Alte, um die Welt zu durchstreifen, sie wieder zu finden, oder vor Müdigkeit und Gram zu sterben.
Mit diesen Worten riß er sich mit großer Anstrengung aus seiner Ruhe auf, und eilte fort so schnell er nur konnte, als wenn er sein Liebstes auf der Welt versäumen möchte, und Eckart sah mit Bedauern seiner unnützen Bemühung nach, und achtete ihn in seinen Gedanken für wahnwitzig. —
Es war Nacht geworden und wurde Tag, und Conrad kam nicht zurück, da irrte Eckart durch das Gebirge und wandte seine sehnenden Augen nach dem Schlosse, aber er ersah ihn nicht. Ein Getümmel zog aus der Burg daher, da trachtete er nicht mehr, sich zu verbergen, sondern er bestieg sein Roß, das frei weidete, und ritt in die Schaar hinein, die frölich und guter Dinge über das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, er kannten sie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu sagen, sondern sie wurden aus Ehrerbietung stumm, umgaben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres Weges. Einen von den Knechten rief er zurück, und fragte ihn: Wo ist mein Sohn Conrad? O fragt mich nicht, sagte der Knecht, denn es würde euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen. Und Dietrich? rief der Vater. Nennt ihre Namen nicht mehr, sprach der alte Knecht, denn sie sind dahin, der Zorn des Herrn war gegen sie entbrannt, er gedachte Euch in ihnen zu strafen.
Ein heißer Zorn stieg in Eckarts Gemüth auf, und er war vor Schmerz und Wuth sein selber nicht mehr mächtig. Er spornte sein Roß mit aller Gewalt und ritt in das Burgthor hinein. Alle traten ihm mit scheuer Ehrfurcht aus dem Wege, und so ritt er vor den Pallast. Er schwang sich vom Rosse und ging mit wankenden Schritten die großen Stiegen hinan. Bin ich hier in der Wohnung des Mannes, sagte er zu sich selber, der sonst mein Freund war? Er wollte seine Gedanken sammeln, aber immer wildere Gestalten bewegten sich vor seinen Augen, und so trat er in das Gemach des Fürsten.
Der Herzog von Burgund war sich seiner nicht gewärtig, und erschrack heftig, als er den Eckart vor sich sah. Bist du der Herzog von Burgund? redete dieser ihn an. Worauf der Herzog mit Ja antwortete. Und du hast meinen Sohn Dietrichen hinrichten lassen? Der Herzog sagte Ja. Und auch meinen jüngstes Söhnlein Conrad, rief Eckart im Schmerz, ist dir nicht zu gut gewesen, und du hast ihn auch umbringen lassen? Worauf der Herzog wieder mit Ja antwortete.
Hier ward Eckart übermannt und sprach in Thränen: O antworte mir nicht so, Burgund, denn diese Reden kann ich nicht aushalten, sprich nur, daß es dich gereut, daß du es jetzt ungeschehen wünschest, und ich will mich zu trösten suchen; aber so bist du meinem Herzen überall zuwider.
Der Herzog sagte: entferne dich von meinem Angesichte, ungetreuer Verräther, denn du bist mir der ärgerlichste Feind, den ich nur auf Erden haben kann.
Eckart sagte: Du hast mich wohl ehedem deinen Freund genannt, aber diese Gedanken sind dir nunmehr fremd; nie hab’ ich dir zuwider gehandelt, stets hab’ ich dich als meinen Fürsten geehrt und geliebt, und behüte mich Gott, daß ich nun, wie ich wohl könnte, die Hand an mein Schwerdt legen sollte, um mir Rache zu schaffen. Nein, ich will mich selbst von deinem Angesichte verbannen, und in der Einsamkeit sterben.
Mit diesen Worten ging er fort, und der Burgund war in seinem Gemüthe bewegt, doch erschienen auf seinen Ruf die Leibwächter mit den Lanzen, die ihn von allen Seiten umgaben, und den Eckart mit den Spießen aus dem Gemache treiben wollten.
Es schwang sich auf sein Pferd Eckart, der edle Held, Und sprach: in aller Welt Ist mir nun nichts mehr werth.
Die Söhn’ hab ich verloren, So find’ ich nirgends Trost, Der Fürst ist mir erbost, Hat meinen Tod geschworen.
Da reitet er zu Wald Und klagt aus vollem Herzen Die übergroßen Schmerzen, Daß weit die Stimme schallt:
Die Menschen sind mir todt, Ich muß mir Freunde suchen In Eichen, wilden Buchen, Ihn’n klagen meine Noth.
Kein Kind, das mich ergötzt, Erwürgt vom schlimmen Leuen