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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Was Ludwig Tieck zu einem so faszinierenden, lebendigen Autor macht, ist sein einzigartiges Doppeltalent: Einerseits ist er ein hochprofessioneller und im besten Sinn populärer Erzähler, der alle Suspense-Tricks beherrscht und als begeisterter Leser von Gruselgeschichten auch grelle Effekte nicht scheut. Andererseits aber spielt er hochironisch mit unseren Erwartungen, und selbst den coolen Lesern der Postmoderne wird bei all den doppelten Böden und desillusionierenden Blicken hinter die Kulissen des Literaturgeschäfts immer noch schwindlig.
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Seitenzahl: 420
Ludwig Tieck
Der gestiefelte Kater / Märchen aus dem ›Phantasus‹
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Der König
Die Prinzessin, seine Tochter
Prinz Nathanael von Malsinki
Leander, Hofgelehrter
Hanswurst, Hofnarr
Ein Kammerdiener
Der Koch
Brüder und Bauern:
Lorenz, Barthel, Gottlieb
Hinze, ein Kater
Ein Wirt
Kunz, ein Bauer
Michel, ein Bauer
Gesetz, ein Popanz
Ein Besänftiger
Der Dichter
Ein Soldat
Zwei Husaren
Zwei Liebende
Bediente
Musiker
Ein Bauer
Der Souffleur
Ein Schuhmacher
Ein Historiograph
Fischer, ein Zuschauer
Müller, ein Zuschauer
Schlosser, ein Zuschauer
Bötticher, ein Zuschauer
Leutner, ein Zuschauer
Wiesener, ein Zuschauer
Dessen Nachbar, ein Zuschauer
Elefanten
Löwen
Bären
Ein Amtmann
Adler und andre Vögel
Ein Kaninchen
Rebhühner
Jupiter
Tarkaleon
Der Maschinist
Gespenster
Affen
Das Publikum
Die Szene ist im Parterre, die Lichter sind schon angezündet, die Musiker sind im Orchester versammelt. – Das Schauspiel ist voll, man schwatzt durcheinander, mehr Zuschauer kommen, einige drängen., andre beklagen sich. Die Musiker stimmen.
FISCHER, MÜLLER, SCHLOSSER, BÖTTICHER im Parterre, ebenso auf der andern Seite WIESENER und dessen NACHBAR.
FISCHER
Aber ich bin doch in der Tat neugierig. – Lieber Herr Müller, was sagen Sie zu dem heutigen Stücke?
MÜLLER
Ich hätte mir eher des Himmels Einfall vermutet, als ein solches Stück auf unserm großen Theater zu sehn – auf unserm National-Theater! Ei! ei! nach allen den Wochenschriften, den kostbaren Kleidungen, und den vielen, vielen Ausgaben!
FISCHER
Kennen Sie das Stück schon?
MÜLLER
Nicht im mindesten. – Einen wunderlichen Titel führt es: Der gestiefelte Kater. – Ich hoffe doch nimmermehr, daß man die Kinderpossen wird aufs Theater bringen.
SCHLOSSER
Ist es denn vielleicht eine Oper?
FISCHER
Nichts weniger, auf dem Komödienzettel steht: ein Kindermärchen.
SCHLOSSER
Ein Kindermärchen? Aber ums Himmels willen, sind wir denn Kinder, daß man uns solche Stücke aufführen will? Es wird doch wohl nun und nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen?
FISCHER
Wie ich es mir zusammenreime, so ist es eine Nachahmung der neuen Arkadier, und es kommt ein verruchter Bösewicht, ein katerartiges Ungeheuer vor, mit dem es fast solche Bewandtnis, wie mit dem Tarkaleon hat, nur daß er etwa statt rot ums Maul, schwärzlich gefärbt ist.
MÜLLER
Das wäre nun nicht übel, denn ich habe schon längst gewünscht, eine solche recht wunderbare Oper einmal ohne Musik zu sehn.
FISCHER
Wie? Ohne Musik? Ohne Musik, Freund, ist dergleichen abgeschmackt, denn ich versichre Sie, Liebster, Bester, nur durch diese himmlische Kunst bringen wir alle die Dummheiten hinunter. Ei was, genau genommen sind wir über Fratzen und Aberglauben weg; die Aufklärung hat ihre Früchte getragen, wie sich’s gehört.
MÜLLER
So ist es wohl ein ordentliches Familiengemälde, und nur ein Spaß, gleichsam ein einladender Scherz mit dem Kater, nur eine Veranlassung, wenn ich so sagen darf, oder ein bizarrer Titel, Zuschauer anzulocken.
SCHLOSSER
Wenn ich meine rechte Meinung sagen soll, so halte ich das Ganze für einen Pfiff, Gesinnungen, Winke unter die Leute zu bringen. Ihr werdet sehen, ob ich nicht recht habe. Ein Revolutionsstück, soviel ich begreife, mit abscheulichen Fürsten und Ministern, und dann ein höchst mystischer Mann, der sich mit einer geheimen Gesellschaft tief, tief unten in einem Keller versammelt, wo er als Präsident etwa verlarvt geht, damit ihn der gemeine Haufe für einen Kater hält. Nun da kriegen wir auf jeden Fall tiefsinnige und religiöse Philosophie und Freimaurerei. Endlich fällt er als das Opfer der guten Sache. O du Edler! Freilich mußt du gestiefelt sein, um allen den Schurken die vielen Tritte in den gefühllosen Hintern geben zu können!
FISCHER
Sie haben gewiß die richtige Einsicht, denn sonst würde ja der Geschmack abscheulich vor den Kopf gestoßen. Ich muß wenigstens gestehn, daß ich nie an Hexen oder Gespenster habe glauben können, viel weniger an den gestiefelten Kater.
MÜLLER
Es ist das Zeitalter für diese Phantome nicht mehr.
SCHLOSSER
Doch, nach Umständen. Könnte nicht in recht bedrängter Lage ein großer Abgeschiedener unerkannt als Hauskater im Palast wandeln, und sich zur rechten Zeit wundertätig zu erkennen geben? Das begreift sich ja mit der Vernunft, wenn es höheren und mystischen Endzwecken dient. – Da kömmt ja Leutner, der wird uns vielleicht mehr sagen können.
LEUTNER drängt sich durch.
LEUTNER
Guten Abend, guten Abend! Nun, wie geht’s?
MÜLLER
Sagen Sie uns nur, wie es mit dem heutigen Stücke beschaffen ist.
Die Musik fängt an.
LEUTNER
Schon so spät? Da komm ich ja grade zur rechten Zeit. – Mit dem Stücke? Ich habe soeben den Dichter gesprochen, er ist auf dem Theater und hilft den Kater anziehn.
VIELE STIMMEN
Hilft? – der Dichter? – den Kater? – Also kommt doch ein Kater vor?
LEUTNER
Ja freilich, und er steht ja auch auf dem Zettel.
FISCHER
Wer spielt ihn denn?
LEUTNER
Je, der fremde Akteur, der große Mann.
BÖTTICHER
Da werden wir einen Göttergenuß haben. Ei, wie doch dieser Genius, der alle Charaktere so innig fühlt und fein nuanciert, dieses Individuum eines Katers herausarbeiten wird! Ohne Zweifel ideal, im Sinn der Alten, nicht unähnlich dem Pygmalion, nur Soccus hier, wie dort Kothurn. Doch sind Stiefeln freilich Kothurne, und keine Socken. Ich schwebe noch im Dilemma des Zweifels. – Oh, meine Herren, nur ein wenig Raum für meine Schreibtafel und Bemerkungen.
MÜLLER
Aber wie kann man denn solches Zeug spielen?
LEUTNER
Der Dichter meint, zur Abwechselung –
FISCHER
Eine schöne Abwechselung! Warum nicht auch den Blaubart, und Rotkäppchen oder Däumchen? Ei! der vortrefflichen Sujets fürs Drama!
MÜLLER
Wie werden sie aber den Kater anziehn? – Und ob er denn wirkliche Stiefeln trägt?
LEUTNER
Ich bin ebenso begierig wie Sie alle.
FISCHER
Aber wollen wir uns denn wirklich solch Zeug vorspielen lassen? Wir sind zwar aus Neugier hergekommen, aber wir haben doch Geschmack.
MÜLLER
Ich habe große Lust zu pochen.
LEUTNER
Es ist überdies etwas kalt. Ich mache den Anfang.
Er trommelt, die übrigen akkompagnieren.
WIESENER auf der andern Seite
Weswegen wird denn gepocht?
LEUTNER
Den guten Geschmack zu retten.
WIESENER
Nun, da will ich auch nicht der letzte sein. Er trommelt.
STIMMEN
Still! Man kann ja die Musik nicht hören.
Alles trommelt.
SCHLOSSER
Aber man sollte doch das Stück auf jeden Fall erst zu Ende spielen lassen, denn man hat sein Geld ausgegeben, und in der Komödie wollen wir doch einmal sein; aber hernach wollen wir pochen, daß man es vor der Tür hört.
ALLE
Nein, jetzt, jetzt – der Geschmack – die Regeln – die Kunst – alles geht sonst zugrunde.
EIN LAMPENPUTZER erscheint auf dem Theater.
LAMPENPUTZER
Meine Herren, soll man die Wache hereinschicken?
LEUTNER
Wir haben bezahlt, wir machen das Publikum aus, und darum wollen wir auch unsern eignen guten Geschmack haben und keine Possen.
LAMPENPUTZER
Aber das Pochen ist ungezogen und beweist, daß Sie keinen Geschmack haben. Hier bei uns wird nur geklatscht und bewundert; denn solch honettes Theater, wie das unsre hier, wächst nicht auf den Bäumen, müssen Sie wissen.
DER DICHTER hinter dem Theater.
DICHTER
Das Stück wird sogleich seinen Anfang nehmen.
MÜLLER
Kein Stück – wir wollen kein Stück – wir wollen guten Geschmack –
ALLE
Geschmack! Geschmack!
DICHTER
Ich bin in Verlegenheit; – was meinen Sie, wenn ich fragen darf!
SCHLOSSER
Geschmack! – Sind Sie ein Dichter, und wissen nicht einmal, was Geschmack ist?
DICHTER
Bedenken Sie, einen jungen Anfänger –
SCHLOSSER
Wir wollen nichts von Anfänger wissen – wir wollen ein ordentliches Stück sehn – ein geschmackvolles Stück!
DICHTER
Von welcher Sorte? Von welcher Farbe?
MÜLLER
Familiengeschichten.
LEUTNER
Lebensrettungen.
FISCHER
Sittlichkeit und deutsche Gesinnung.
SCHLOSSER
Religiös erhebende, wohltuende geheime Gesellschaften!
WIESENER
Hussiten und Kinder!
NACHBAR
Recht so, und Kirschen dazu, und Viertelsmeister!
DER DICHTER kömmt hinter dem Vorhange hervor.
DICHTER
Meine Herren –
ALLE
Ist der der Dichter?
FISCHER
Er sieht wenig wie ein Dichter aus.
SCHLOSSER
Naseweis.
DICHTER
Meine Herren – verzeihen Sie meiner Keckheit –
FISCHER
Wie können Sie solche Stücke schreiben? Warum haben Sie sich nicht gebildet?
DICHTER
Vergönnen Sie mir nur eine Minute Gehör, ehe Sie mich verdammen. Ich weiß, daß ein verehrungswürdiges Publikum den Dichter richten muß, daß von Ihnen keine Appellation stattfindet; aber ich kenne auch die Gerechtigkeitsliebe eines verehrungswürdigen Publikums, daß es mich nicht von einer Bahn zurückschrecken wird, auf welcher ich seiner gütigen Leitung und seiner Einsichten so sehr bedarf.
FISCHER
Er spricht nicht übel.
MÜLLER
Er ist höflicher, als ich dachte.
SCHLOSSER
Er hat doch Respekt vor dem Publikum.
DICHTER
Ich schäme mich, die Eingebung meiner Muse so erleuchteten Richtern vorzuführen, und nur die Kunst unsrer Schauspieler tröstet mich noch einigermaßen, sonst würde ich ohne weitere Umstände in Verzweiflung versinken.
FISCHER
Er dauert mich.
MÜLLER
Ein guter Kerl!
DICHTER
Als ich Dero gütiges Pochen vernahm – noch nie hat mich etwas dermaßen erschreckt, ich bin noch bleich und zittre, und begreife selbst nicht, wie ich zu der Kühnheit komme, so vor Ihnen zu erscheinen.
LEUTNER
So klatscht doch!
Alle klatschen.
DICHTER
Ich wollte einen Versuch machen, durch Laune, wenn sie mir gelungen ist, durch Heiterkeit, ja, wenn ich es sagen darf, durch Possen zu belustigen, da uns unsre neusten Stücke so selten zum Lachen Gelegenheit geben.
MÜLLER
Das ist auch wahr.
LEUTNER
Er hat recht – der Mann.
SCHLOSSER
Bravo! bravo!
ALLE
Bravo! bravo! Sie klatschen.
DICHTER
Mögen Sie, Verehrungswürdige, jetzt entscheiden, ob mein Versuch nicht ganz zu verwerfen sei. Mit Zittern zieh ich mich zurück, und das Stück wird seinen Anfang nehmen. Er verbeugt sich sehr ehrerbietig und geht hinter den Vorhang.
ALLE
Bravo! bravo!
STIMME VON DER GALERIE
Da capo! –
Alles lacht. Die Musik fängt wieder an, indem geht der Vorhang auf.
Kleine Bauernstube.
LORENZ, BARTHEL, GOTTLIEB. DER KATER HINZ liegt auf einem Schemel am Ofen.
LORENZ
Ich glaube, daß nach dem Ableben unsers Vaters unser kleines Vermögen sich bald wird einteilen lassen. Ihr wißt, daß der selige Mann nur drei Stück von Belang zurückgelassen hat: ein Pferd, einen Ochsen und jenen Kater dort. Ich, als der Älteste, nehme das Pferd, Barthel, der nächste nach mir, bekömmt den Ochsen, und so bleibt denn natürlicherweise für unsern Jüngsten der Kater übrig.
LEUTNER, im Parterre
Um Gottes willen! hat man schon eine solche Exposition gesehn! Man sehe doch, wie tief die dramatische Kunst gesunken ist!
MÜLLER
Aber ich habe doch alles recht gut verstanden.
LEUTNER
Das ist ja eben der Fehler, man muß es dem Zuschauer so verstohlenerweise unter den Fuß geben, ihm aber nicht so geradezu in den Bart werfen.
MÜLLER
Aber man weiß doch nun, woran man ist.
LEUTNER
Das muß man ja durchaus nicht so geschwind wissen; daß man so nach und nach hineinkömmt, ist ja eben der beste Spaß.
SCHLOSSER
Die Illusion leidet darunter, das ist ausgemacht.
BARTHEL
Ich glaube, Bruder Gottlieb, du wirst auch mit der Einteilung zufrieden sein, du bist leider der Jüngste, und da mußt du uns einige Vorrechte lassen.
GOTTLIEB
Freilich wohl.
SCHLOSSER
Aber warum mischt sich denn das Pupillenkollegium nicht in die Erbschaft? das sind ja Unwahrscheinlichkeiten, die unbegreiflich bleiben!
LORENZ
So wollen wir denn nur gehn, lieber Gottlieb, lebe wohl, laß dir die Zeit nicht lang werden.
GOTTLIEB
Adieu.
Die Brüder gehn ab.
GOTTLIEB allein. Monolog
Sie gehn fort – und ich bin allein. – Wir haben alle drei unsre Hütten; Lorenz kann mit seinem Pferde doch den Acker bebauen, Barthel kann seinen Ochsen schlachten und einsalzen, und eine Zeitlang davon leben – aber was soll ich armer Unglückseliger mit meinem Kater anfangen? – Höchstens kann ich mir aus seinem Felle für den Winter einen Muff machen lassen; aber ich glaube, er ist jetzt noch dazu in der Mauße. – Da liegt er und schläft ganz ruhig. – Armer Hinze! Wir werden uns bald trennen müssen. Es tut mir leid, ich habe ihn auferzogen, ich kenne ihn, wie mich selber – aber er wird daran glauben müssen, ich kann mir nicht helfen, ich muß ihn wahrhaftig verkaufen. – Er sieht mich an, als wenn er mich verstände; es fehlt wenig, so fang ich an zu weinen. Er geht in Gedanken auf und ab.
MÜLLER
Nun, seht ihr wohl, daß es ein rührendes Familiengemälde wird? Der Bauer ist arm und ohne Geld, er wird nun in der äußersten Not sein treues Haustier verkaufen, an irgendein empfindsames Fräulein, und dadurch wird am Ende sein Glück gegründet werden. Sie verliebt sich in ihn und heiratet ihn. Es ist eine Nachahmung vom Papagei von Kotzebue; aus dem Vogel ist hier eine Katze gemacht, und das Stück findet sich von selbst.
FISCHER
Nun es so kömmt, bin ich auch zufrieden.
HINZE DER KATER richtet sich auf, dehnt sich, macht einen hohen Buckel, gähnt und spricht dann
Mein lieber Gottlieb, ich habe ein ordentliches Mitleiden mit Euch.
GOTTLIEB erstaunt
Wie, Kater, du sprichst?
DIE KUNSTRICHTER, im Parterre
Der Kater spricht? – Was ist denn das?
FISCHER
Unmöglich kann ich da in eine vernünftige Illusion hineinkommen.
MÜLLER
Eh ich mich so täuschen lasse, will ich lieber zeitlebens kein Stück wieder sehn.
HINZE
Warum soll ich nicht sprechen können, Gottlieb?
GOTTLIEB
Ich hätt es nicht vermutet, ich habe zeitlebens noch keine Katze sprechen hören.
HINZE
Ihr meint, weil wir nicht immer in alles mitreden, wären wir gar Hunde.
GOTTLIEB
Ich denke, ihr seid bloß dazu da, Mäuse zu fangen.
HINZE
Wenn wir nicht im Umgange mit den Menschen eine gewisse Verachtung gegen die Sprache bekämen, so könnten wir alle sprechen.
GOTTLIEB
Nun, das gesteh ich! – Aber warum laßt ihr euch denn so gar nichts merken?
HINZE
Um uns keine Verantwortung zuzuziehen; denn wenn uns sogenannten Tieren noch erst die Sprache angeprügelt würde, so wäre gar keine Freude mehr auf der Welt. Was muß der Hund nicht alles tun und lernen! Wie wird das Pferd gemartert! Es sind dumme Tiere, daß sie sich ihren Verstand merken lassen, sie müssen ihrer Eitelkeit durchaus nachgeben; aber wir Katzen sind noch immer das freieste Geschlecht, weil wir uns bei aller unsrer Geschicklichkeit so ungeschickt anzustellen wissen, daß es der Mensch ganz aufgibt, uns zu erziehen.
GOTTLIEB
Aber warum entdeckst du mir das alles?
HINZE
Weil Ihr ein guter, ein edler Mann seid, einer von den wenigen, die keinen Gefallen an Dienstbarkeit und Sklaverei finden; seht, darum entdecke ich mich Euch ganz und gar.
GOTTLIEB, reicht ihm die Hand
Braver Freund!
HINZE
Die Menschen stehn in dem Irrtume, daß an uns jenes seltsame Murren, das aus einem gewissen Wohlbehagen entsteht, das einzige Merkwürdige sei; sie streicheln uns daher oft auf eine ungeschickte Weise, und wir spinnen dann gewöhnlich nur, um uns vor Schlägen zu sichern. Wüßten sie aber mit uns auf die wahre Art umzugehn, glaube mir, sie würden unsre gute Natur zu allem gewöhnen, und Michel, der Kater bei Eurem Nachbar, läßt es sich ja auch zuweilen gefallen, für den König durch einen Tonnenband zu springen.
GOTTLIEB
Da hast du recht.
HINZE
Ich liebe Euch, Gottlieb, ganz vorzüglich. Ihr habt mich nie gegen den Strich gestreichelt, Ihr habt mich schlafen lassen, wenn es mir recht war, Ihr habt Euch widersetzt, wenn Eure Brüder mich manchmal aufnehmen wollten, um mit mir ins Dunkle zu gehn, und die sogenannten elektrischen Funken zu beobachten – für alles dieses will ich nun dankbar sein.
GOTTLIEB
Edelmütiger Hinze! Ha, mit welchem Unrecht wird von euch schlecht und verächtlich gesprochen, eure Treue und Anhänglichkeit bezweifelt! Die Augen gehn mir auf; welchen Zuwachs von Menschenkenntnis bekomme ich so unerwartet!
FISCHER
Freunde, wo ist unsre Hoffnung auf ein Familiengemälde geblieben?
LEUTNER
Es ist doch fast zu toll.
SCHLOSSER
Ich bin wie im Traum.
HINZE
Ihr seid ein braver Mann, Gottlieb – nehmt’s mir nicht übel – Ihr seid etwas eingeschränkt, borniert, keiner der besten Köpfe, wenn ich frei heraus sprechen soll.
GOTTLIEB
Ach Gott nein.
HINZE
Ihr wißt zum Beispiel jetzt nicht, was Ihr anfangen wollt.
GOTTLIEB
Du hast ganz meine Gedanken.
HINZE
Wenn Ihr Euch auch einen Muff aus meinem Pelze machen ließet –
GOTTLIEB
Nimm’s nicht übel, Kamerad, daß mir das vorher durch den Kopf fuhr.
HINZE
Ach nein, es war ein ganz menschlicher Gedanke. – Wißt Ihr kein Mittel, Euch durchzubringen?
GOTTLIEB
Kein einziges.
HINZE
Ihr könntet mit mir herumziehn und mich für Geld sehen lassen – aber das ist immer keine sichre Lebensart.
GOTTLIEB
Nein.
HINZE
Ihr könntet vielleicht ein Naturdichter werden, aber dazu seid Ihr zu gebildet; Ihr könntet an ästhetischen Journalen mitarbeiten, aber, wie gesagt, Ihr seid keiner der besten Köpfe, die dazu immer verlangt werden; da müßtet Ihr noch Jahr und Tag abwarten, weil es nachher nicht mehr so genau genommen wird, denn nur die neuen Besen kehren scharf – aber das Ding ist überhaupt zu umständlich.
GOTTLIEB
Ja wohl.
HINZE
Nun, ich will schon noch besser für Euch sorgen; verlaßt Euch drauf, daß Ihr durch mich noch ganz glücklich werden sollt.
GOTTLIEB
O bester, edelmütigster Mann! Er umarmt ihn zärtlich.
HINZE
Aber Ihr müßt mir auch trauen.
GOTTLIEB
Vollkommen, ich kenne ja jetzt dein redliches Gemüt.
HINZE
Nun so tut mir den Gefallen und holt mir sogleich den Schuhmacher, daß er mir ein Paar Stiefeln anmesse.
GOTTLIEB
Den Schuhmacher? – Stiefeln?
HINZE
Ihr wundert Euch; aber bei dem, was ich für Euch zu tun gesonnen bin, habe ich so viel zu gehn und zu laufen, daß ich notwendig Stiefeln tragen muß.
GOTTLIEB
Aber warum nicht Schuh?
HINZE
Gottlieb, Ihr versteht das Ding nicht, ich muß dadurch ein Ansehn bekommen, ein imponierendes Wesen, kurz, eine gewisse Männlichkeit, die man in Schuhen zeitlebens nicht hat.
GOTTLIEB
Nun, wie du meinst – aber der Schuster wird sich wundern.
HINZE
Gar nicht, man muß nur nicht tun, als wenn es etwas Besondres wäre, daß ich Stiefeln tragen will; man gewöhnt sich an alles.
GOTTLIEB
Ja wohl, ist mir doch der Diskurs mit dir ordentlich ganz geläufig geworden. – Aber noch eins, da wir jetzt so gute Freunde geworden sind, so nenne mich doch auch du; warum wollen wir noch Komplimente miteinander machen; macht die Liebe nicht alle Stände gleich?
HINZE
Wie du willst.
GOTTLIEB
Da geht gerade der Schuhmacher vorbei. – He! pst! Herr Gevatter Leichdorn! Will Er wohl einen Augenblick bei mir einsprechen?
DER SCHUHMACHER kömmt herein.
SCHUHMACHER
Prosit! – Was gibt’s Neues?
GOTTLIEB
Ich habe lange keine Arbeit bei Ihm bestellt –
SCHUHMACHER
Nein, Herr Gevatter, ich habe jetzt überhaupt gar wenig zu tun.
GOTTLIEB
Ich möchte mir wohl wieder ein Paar Stiefeln machen lassen –
SCHUHMACHER
Setz Er sich nur nieder, das Maß hab ich bei mir.
GOTTLIEB
Nicht für mich, sondern für meinen jungen Freund da.
SCHUHMACHER
Für den da? – Gut.
HINZE setzt sich auf einen Stuhl nieder, und hält das rechte Bein hin.
SCHUHMACHER
Wie beliebt Er denn Musje?
HINZE
Erstlich, gute Sohlen, dann braune Klappen, und vor allen Dingen steif.
SCHUHMACHER
Gut. – Er nimmt Maß. – Will Er nicht so gut sein – die Krallen – oder Nägel etwas einzuziehen? Ich habe mich schon gerissen.
HINZE
Und schnell müssen sie fertig werden. Da ihm das Bein gestreichelt wird, fängt er wider Willen an zu spinnen.
SCHUHMACHER
Der Musje ist recht vergnügt.
GOTTLIEB
Ja, er ist ein aufgeräumter Kopf, er ist erst von der Schule gekommen, was man so einen Vokativus nennt.
SCHUHMACHER
Na, adjes. Ab.
GOTTLIEB
Willst du dir nicht etwa auch den Bart scheren lassen.
HINZE
Beileibe nicht, ich sehe so weit ehrwürdiger aus, und du weißt ja wohl, daß wir Katzen dadurch unmännlich und verächtlich werden. Ein Kater ohne Bart ist nur ein jämmerliches Geschöpf.
GOTTLIEB
Wenn ich nur wüßte, was du vorhast?
HINZE
Du wirst es schon gewahr werden. – Jetzt will ich noch ein wenig auf den Dächern spazierengehn, es ist da oben eine hübsche freie Aussicht, und man erwischt auch wohl eine Taube.
GOTTLIEB
Als guter Freund will ich dich warnen, daß sie dich nicht dabei ertappen; die Menschen denken meist in diesem Punkt sehr unbillig.
HINZE
Sei unbesorgt, ich bin kein Neuling. – Adieu unterdessen. Geht ab.
GOTTLIEB allein
In der Naturgeschichte steht, daß man den Katzen nicht trauen könne, und daß sie zum Löwengeschlechte gehören, und ich habe vor einem Löwen eine gar erbärmliche Furcht; auch sagt man im Sprichwort: falsch wie eine Katze; wenn also nun der Kater kein Gewissen hätte, so könnte er mir mit den Stiefeln nachher davonlaufen, für die ich mein letztes Geld hingeben muß, und sie irgendwo vertrödeln, oder er könnte sich beim Schuhmacher dadurch beliebt machen wollen, und nachher bei ihm in Dienste treten. – Aber der hat ja schon einen Kater. – Nein, Hinz, meine Brüder haben mich betrogen, und deswegen will ich es mit deinem Herzen versuchen. – Er sprach so edel, er war so gerührt – da sitzt er drüben auf dem Dache und putzt sich den Bart – vergib mir, erhabener Freund, daß ich an deinem Großsinn nur einen Augenblick zweifeln konnte. Er geht ab.
FISCHER
Welcher Unsinn!
MÜLLER
Warum der Kater nur die Stiefeln braucht, um besser gehn zu können! – dummes Zeug!
SCHLOSSER
Es ist aber, als wenn ich einen Kater vor mir sähe!
LEUTNER
Stille! Es wird verwandelt!
Saal im königlichen Palast.
DER KÖNIG mit Krone und Zepter. DIE PRINZESSIN, seine Tochter.
KÖNIG
Schon tausend schöne Prinzen, wertgeschätzte Tochter, haben sich um dich beworben und dir ihre Königreiche zu Füßen gelegt, aber du hast ihrer immer nicht geachtet; sage uns die Ursach davon, mein Kleinod.
PRINZESSIN
Mein allergnädigster Herr Vater, ich habe immer geglaubt, daß mein Herz erst einige Empfindungen zeigen müsse, ehe ich meinen Nacken in das Joch des Ehestandes beugte. Denn eine Ehe ohne Liebe, sagt man, ist die wahre Hölle auf Erden.
KÖNIG
Recht so, meine liebe Tochter. Ach, wohl, wohl hast du da ein wahres Wort gesagt: eine Hölle auf Erden! Ach, wenn ich doch nicht darüber mitsprechen könnte! Wär ich doch lieber unwissend geblieben! Aber so, teures Kleinod, kann ich ein Liedchen davon singen, wie man zu sagen pflegt. Deine Mutter, meine höchst selige Gemahlin – ach, Prinzessin, sieh, die Tränen stehn mir noch auf meinen alten Tagen in den Augen – sie war eine gute Fürstin, sie trug die Krone mit einer unglaublichen Majestät – aber mir hat sie gar wenige Ruhe gelassen. – Nun, sanft ruhe ihre Asche neben ihren fürstlichen Anverwandten!
PRINZESSIN
Ihro Majestät erhitzen sich zu sehr.
KÖNIG
Wenn mir die Erinnerung davon zurückkömmt – o mein Kind, auf meinen Knieen möcht ich dich beschwören – nimm dich beim Verheiraten ja in acht. – Es ist eine große Wahrheit, daß man Leinewand und einen Bräutigam nicht bei Lichte kaufen müsse; eine erhabene Wahrheit, die jedes Mädchen mit goldenen Buchstaben in ihr Schlafzimmer sollte schreiben lassen. – Was hab ich gelitten! Kein Tag verging ohne Zank, ich konnte nicht in Ruhe schlafen, ich konnte die Reichsgeschäfte nicht mit Bequemlichkeit verwalten, ich konnte über nichts denken, ich konnte mit Verstand keine Zeitung lesen – bei Tische, beim besten Braten, beim gesundesten Appetit, immer mußte ich alles nur mit Verdruß hinunterwürgen, so wurde gezankt, gescholten, gegrämelt, gebrummt, gemault, gegrollt, geschmollt, gekeift, gebissen, gemurrt, geknurrt und geschnurrt, daß ich mir oft an der Tafel mitten unter den Gerichten den Tod gewünscht habe. – Und doch sehnt sich mein Geist, verewigte Klotilde, jezuweilen nach dir zurück. – Es beißt mir in den Augen – ich bin ein rechter alter Narr.
PRINZESSIN zärtlich
Mein Vater!
KÖNIG
Ich zittre, wenn ich überhaupt an alle die Gefahren denke, die dir bevorstehn; denn wenn du dich nun auch wirklich verlieben solltest, meine Tochter, wenn dir auch die zärtlichste Gegenliebe zuteil würde – ach, Kind, sieh, so dicke Bücher haben weise Männer vollgeschrieben, oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe darzustellen; eben Liebe und Gegenliebe können sich doch elend machen: das glücklichste, das seligste Gefühl kann uns zugrunde richten; die Liebe ist gleichsam ein künstlicher Vexierbecher, statt Nektar trinken wir oft Gift, dann ist unser Lager von Tränen naß, alle Hoffnung, aller Trost ist dahin. – Man hört blasen. Es ist doch noch nicht Tischzeit? – Gewiß wieder ein neuer Prinz, der sich in dich verlieben will. – Hüte dich, meine Tochter, du bist mein einziges Kind, und du glaubst nicht, wie sehr mir dein Glück am Herzen liegt. Er küßt sie und geht ab, im Parterre wird geklatscht.
FISCHER
Das ist doch einmal eine Szene, in der gesunder Menschenverstand anzutreffen ist.
SCHLOSSER
Ich bin auch gerührt.
MÜLLER
Es ist ein trefflicher Fürst.
FISCHER
Mit der Krone brauchte er nun gerade nicht aufzutreten.
SCHLOSSER
Es stört die Teilnahme ganz, die man für ihn als zärtlichen Vater hat.
DIE PRINZESSIN allein
Ich begreife gar nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein Herz mit Liebe gerührt hat. Die Warnungen meines Vaters liegen mir immer im Gedächtnis; er ist ein großer Fürst, und dabei doch ein guter Vater; mein Glück steht ihm beständig vor Augen; er ist vom Volk geliebt, er hat Talente und Reichtümer, er ist sanft wie ein Lamm, aber plötzlich kann ihn der wildeste Zorn übereilen, daß er sich und seine Bestimmung vergißt. Ja, so ist Glück immer mit Unglück gepaart. Meine Freude sind die Wissenschaften und die Künste, Bücher machen all mein Glück aus.
DIE PRINZESSIN, LEANDER, der Hofgelehrte.
PRINZESSIN
Sie kommen gerade recht, Herr Hofgelehrter.
LEANDER
Ich bin zu den Befehlen Euer Königlichen Hoheit.
Setzen sich.
PRINZESSIN
Hier ist mein Versuch, ich hab ihn Nachtgedanken überschrieben.
LEANDER liest
Trefflich! Geistreich! – Ach! mir ist, als hör ich die mitternächtliche Stunde zwölfe schlagen. Wann haben Sie das geschrieben?
PRINZESSIN
Gestern mittag, nach dem Essen.
LEANDER
Schön gedacht! Wahrlich schön gedacht! – Aber, mit gnädigster Erlaubnis: – »Der Mond scheint betrübt in der Welt herein« – wenn Sie es nicht ungnädig vermerken wollen, so muß es heißen: in die Welt.
PRINZESSIN
Schon gut, ich will es mir für die Zukunft merken. Es ist einfältig, daß einem das Dichten so schwer gemacht wird; man kann keine Zeile schreiben, ohne einen Sprachfehler zu machen.
LEANDER
Das ist der Eigensinn unsrer Sprache.
PRINZESSIN
Sind die Gefühle nicht zart und fein gehalten?
LEANDER
Unbeschreiblich, o so – wie soll ich sagen? – so zart und lieblich ausgezaselt, so fein gezwirnt; alle die Pappeln und Tränenweiden, und der goldne Mondenschein hineinweinend, und dann das murmelnde Gemurmel des murmelnden Gießbachs – man begreift kaum, wie ein sanfter weiblicher Geist den großen Gedanken nicht hat unterliegen müssen, ohne sich vor dem Kirchhofe und den blaß verwaschenen Geistern der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entsetzen.
PRINZESSIN
Jetzt will ich mich nun in die griechischen und antiken Versmaße werfen; ich möchte einmal die romantische Unbestimmtheit verlassen, und mich an der plastischen Natur versuchen.
LEANDER
Sie kommen notwendig immer weiter, Sie steigen immer höher.
PRINZESSIN
Ich habe auch ein Stück angefangen: Der unglückliche Menschenhasser; oder: Verlorne Ruhe und wiedererworbne Unschuld.
LEANDER
Schon der bloße Titel ist bezaubernd.
PRINZESSIN
Und dann fühle ich einen unbegreiflichen Drang in mir, irgendeine gräßliche Geistergeschichte zu schreiben. – Wie gesagt, wenn nur die Sprachfehler nicht wären!
LEANDER
Kehren Sie sich daran nicht, Unvergleichliche, die lassen sich leicht herausstreichen.
KAMMERDIENER tritt auf.
KAMMERDIENER
Der Prinz von Malsinki, der eben angekommen ist, will Ew. Königlichen Hoheit seine Aufwartung machen. Ab.
LEANDER
So empfehle ich mich untertänigst. Geht ab.
PRINZ NATHANAEL VON MALSINKI und DER KÖNIG kommen.
KÖNIG
Hier, Prinz, ist meine Tochter, ein junges einfältiges Ding, wie Sie sie da vor sich sehn. – Beiseit Artig, meine Tochter, höflich, er ist ein angesehener Prinz, weit her, sein Land steht gar nicht einmal auf meiner Landkarte, ich habe schon nachgesehn; ich habe einen erstaunlichen Respekt vor ihm.
PRINZESSIN
Ich freue mich, daß ich das Vergnügen habe, Sie kennenzulernen.
NATHANAEL
Schöne Prinzessin, der Ruf Ihrer Schönheit hat so sehr die ganze Welt durchdrungen, daß ich aus einem weit entlegenen Winkel hieherkomme, Sie von Angesicht zu Angesicht zu sehn.
KÖNIG
Es ist doch erstaunlich, wie viele Länder und Königreiche es gibt! Sie glauben nicht, wieviel tausend Kronprinzen schon hier gewesen sind, sich um meine Tochter zu bewerben; zu Dutzenden kommen sie oft an, besonders wenn das Wetter schön ist – und Sie kommen nun gar – verzeihen Sie, die Topographie ist eine gar weitläufige Wissenschaft – in welcher Gegend liegt Ihr Land?
NATHANAEL
Mächtiger König, wenn Sie von hier aus reisen, erst die große Chaussee hinunter, dann schlagen Sie sich rechts und immer fort so; wenn Sie aber an einen Berg kommen, dann wieder links, dann geht man zur See und fährt immer nördlich (wenn es der Wind nämlich zugibt), und so kömmt man, wenn die Reise glücklich geht, in anderthalb Jahren in meinem Reiche an.
KÖNIG
Der Tausend! das muß ich mir von meinem Hofgelehrten deutlich machen lassen. – Sie sind wohl vielleicht ein Nachbar vom Nordpol, oder Zodiakus, oder dergleichen?
NATHANAEL
Daß ich nicht wüßte.
KÖNIG
Vielleicht so nach den Wilden zu?
NATHANAEL
Ich bitte um Verzeihung, alle meine Untertanen sind sehr zahm.
KÖNIG
Aber Sie müssen doch verhenkert weit wohnen. Ich kann mich immer noch nicht daraus finden.
NATHANAEL
Man hat noch keine genaue Geographie von meinem Lande; ich hoffe täglich mehr zu entdecken, und so kann es leicht kommen, daß wir am Ende noch Nachbarn werden.
KÖNIG
Das wäre vortrefflich! Und wenn uns am Ende ein paar Länder noch im Wege stehen, so helfe ich Ihnen mit entdecken. Mein Nachbar ist so nicht mein guter Freund und er hat ein vortreffliches Land; alle Rosinen kommen von dort her, das möcht ich gar zu gerne haben. – Aber noch eins, sagen Sie mir nur, da Sie so weit weg wohnen, wie Sie unsre Sprache so geläufig sprechen können?
NATHANAEL
Still!
KÖNIG
Wie?
NATHANAEL
Still! Still!
KÖNIG
Ich versteh nicht.
NATHANAEL leise zu ihm
Sein Sie doch ja damit ruhig, denn sonst merkt es ja am Ende das Publikum da unten, daß das eben sehr unnatürlich ist.
KÖNIG
Schadet nicht, es hat vorher geklatscht und da kann ich ihm schon etwas bieten.
NATHANAEL
Sehn Sie, es geschieht ja bloß dem Drama zu Gefallen, daß ich Ihre Sprache rede, denn sonst ist es allerdings unbegreiflich.
KÖNIG
Ach so! Ja freilich, den Damen und den Dramen tut man manches zu Gefallen, und muß oft Fünfe gerade sein lassen. – Nun kommen Sie, Prinz, der Tisch ist gedeckt! Der Prinz führt die Prinzessin ab, der König geht voran.
FISCHER
Verfluchte Unnatürlichkeiten sind da in dem Stück!
SCHLOSSER
Und der König bleibt seinem Charakter gar nicht getreu.
LEUTNER
Am meisten erbosen mich immer Widersprüche und Unnatürlichkeiten. Warum kann denn nur der Prinz nicht ein bißchen eine fremde Sprache reden, die sein Dolmetscher verdeutschte? warum macht denn die Prinzessin nicht zuweilen einen Sprachfehler, da sie selber gesteht, daß sie unrichtig schreibt?
MÜLLER
Freilich! freilich! – das Ganze ist ausgemacht dummes Zeug; der Dichter vergißt immer selber, was er den Augenblick vorher gesagt hat.
Vor einem Wirtshause.
LORENZ, KUNZ, MICHEL, sitzen auf einer Bank, DER WIRT.
LORENZ
Ich werde wohl gehn müssen, denn ich habe noch einen weiten Weg bis nach Hause.
WIRT
Ihr seid ein Untertan des Königs?
LORENZ
Ja wohl. – Wie nennt Ihr Euren Fürsten?
WIRT
Man nennt ihn nur Popanz.
LORENZ
Das ist ein närrischer Titel. Hat er denn sonst keinen Namen?
WIRT
Wenn er die Edikte ausgehn läßt, so heißt es immer: zum Besten des Publikums verlangt das Gesetz. – Ich glaube daher, das ist sein eigentlicher Name: alle Bittschriften werden auch immer beim Gesetz eingereicht. Es ist ein furchtbarer Mann.
LORENZ
Ich stehe doch lieber unter einem Könige, ein König ist doch vornehmer. Man sagt, der Popanz sei ein sehr ungnädiger Herr.
WIRT
Gnädig ist er nicht besonders, das ist nun wohl wahr, dafür ist er aber auch die Gerechtigkeit selbst; von auswärts sogar werden ihm oft die Prozesse zugeschickt, und er muß sie schlichten.
LORENZ
Man erzählt wunderliche Sachen von ihm; er soll sich in alle Tiere verwandeln können.
WIRT
Das ist wahr, und so geht er oft inkognito umher, und erforscht die Gesinnungen seiner Untertanen; wir trauen daher auch keiner fremden Katze, keinem unbekannten Hunde, weil wir immer denken, unser Herr könnte wohl dahinterstecken.
LORENZ
Da sind wir doch auch besser dran; unser König geht nie aus, ohne Krone, Mantel und Zepter anzuziehn, man kennt ihn daher auch auf tausend Schritt. – Nun, gehabt Euch wohl. Geht ab.
WIRT
Nun ist er schon in seinem Lande.
KUNZ
Ist die Grenze so nah?
WIRT
Freilich, jener Baum gehört schon dem König; man kann von hier alles sehn, was im Lande dort vorfällt. Die Grenze hier macht noch mein Glück, ich wäre schon längst bankerott geworden, wenn mich nicht noch die Deserteurs von drüben erhalten hätten; fast täglich kommen etliche.
MICHEL
Ist der Dienst so schwer?
WIRT
Das nicht, aber das Weglaufen ist so leicht, und bloß weil es so sehr scharf verboten ist, kriegen die Kerle die erstaunliche Lust zum Desertieren. – Seht, ich wette, daß da wieder einer kömmt!
EIN SOLDAT kömmt gelaufen.
SOLDAT
Eine Kanne Bier. Herr Wirt! geschwind!
WIRT
Wer seid Ihr?
SOLDAT
Ein Deserteur.
MICHEL
Vielleicht gar aus Kindesliebe; der arme Mensch, nehmt Euch doch seiner an, Herr Wirt.
WIRT
Je, wenn er Geld hat, soll’s am Bier nicht fehlen. Geht ins Haus.
ZWEI HUSAREN kommen geritten und steigen ab.
ERSTER HUSAR
Nu, gottlob, daß wir so weit sind. – Prosit, Nachbar.
SOLDAT
Hier ist die Grenze.
ZWEITER HUSAR
Ja, dem Himmel sei Dank – haben wir des Kerls wegen nicht reiten müssen – Bier, Herr Wirt!
WIRT, mit mehreren Gläsern
Hier, meine Herren, ein – schöner frischer Trunk; Sie sind alle drei recht warm.
ERSTER HUSAR
Hier, Halunke! auf deine Gesundheit!
SOLDAT
Danke schönstens; ich will euch die Pferde unterweilen halten.
ZWEITER HUSAR
Der Kerl kann laufen! Es ist gut, daß die Grenze nicht gar so weit ist, denn sonst wäre das ein Hundedienst.
ERSTER HUSAR
Nun, wir müssen wohl wieder zurück. Adieu, Deserteuer! viel Glück auf den Weg! – Sie steigen wieder auf und reiten davon.
WIRT
Werdet Ihr hier bleiben?
SOLDAT
Nein, ich will fort, ich muß mich ja beim benachbarten Herzog wieder anwerben lassen.
WIRT
Sprecht doch wieder zu, wenn Ihr wieder desertiert.
SOLDAT
Gewiß. – Lebt wohl. – Sie geben sich die Hände, der Soldat und die Gäste gehn ab, der Wirt ins Haus. Der Vorhang fällt.
FISCHER
Es wird doch immer toller und toller. – Wozu war denn nun wohl die letzte Szene?
LEUTNER
Zu gar nichts, sie ist völlig überflüssig; bloß um einen neuen Unsinn hineinzubringen. Den Kater verliert man ganz aus den Augen und behält nirgend einen festen Standpunkt.
SCHLOSSER
Mir ist völlig so, als wenn ich betrunken wäre.
MÜLLER
In welchem Zeitalter mag denn das Stück spielen sollen. Die Husaren sind doch offenbar eine neuere Erfindung.
SCHLOSSER
Wir sollten’s nur nicht leiden und derbe trommeln. Man weiß durchaus jetzt gar nicht, woran man mit dem Stücke ist.
FISCHER
Und auch keine Liebe! Nichts fürs Herz darin, für die Phantasie!
LEUTNER
Sobald wieder so etwas Tolles vorkömmt, fang ich für meine Person wenigstens an zu pochen und zu zischen.
WIESENER zu seinem Nachbar
Mir gefällt jetzt das Stück.
NACHBAR
Sehr hübsch, in der Tat hübsch; ein großer Mann, der Dichter – hat die Zauberflöte gut nachgeahmt.
WIESENER
Die Husaren gefielen mir besonders; es sind die Leute selten so dreist, Pferde aufs Theater zu bringen – und warum nicht? Sie haben oft mehr Verstand als die Menschen. Ich mag lieber ein gutes Pferd sehn, als so manchen Menschen in den neueren Stücken.
NACHBAR
Im Kotzebue die Mohren – ein Pferd ist am Ende nichts, als eine andere Art von Mohren.
WIESENER
Wissen Sie nicht, von welchem Regiment die Husaren waren?
NACHBAR
Ich habe sie nicht einmal genau betrachtet. – Schade, daß sie so bald wieder weggingen; ich möchte wohl ein ganzes Stück von lauter Husaren sehn – ich mag die Kavallerie so gern.
LEUTNER zu Bötticher
Was sagen Sie zu dem allen?
BÖTTICHER
Ich habe nur immer noch das vortreffliche Spiel des Mannes im Kopfe, welcher den Kater darstellt. Welches Studium! Welche Feinheit! Welche Beobachtung! Welcher Anzug!
SCHLOSSER
Das ist wahr, er sieht natürlich aus, wie ein großer Kater.
BÖTTICHER
Und bemerken Sie nur seine ganze Maske, wie ich seinen Anzug lieber nennen möchte; denn da er so ganz sein natürliches Aussehn verstellt hat, so ist dieser Ausdruck weit passender. Gott segne mir doch auch bei der Gelegenheit die Alten! Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß diese Alten alle Rollen ohne Ausnahme in Masken spielten, wie Sie im Athenäus, Pollux und andern finden werden. Es ist schwer, sehn Sie, das alles so genau zu wissen, weil man mitunter diese Bücher deswegen selber nachschlagen muß; doch hat man freilich nachher auch den Vorteil, daß man sie anführen kann. Es ist eine schwierige Stelle im Pausanias. –
FISCHER
Sie wollten so gut sein, von dem Kater zu sprechen.
BÖTTICHER
Ja so. – Ich will auch alles Vorhergehende nur so nebenher gesagt haben; ich bitte Sie daher alle inständigst, es als eine Note anzusehn, und – um wieder auf den Kater zu kommen – haben Sie wohl bemerkt, daß er nicht einer von den schwarzen Katern ist? Nein, im Gegenteil, er ist fast ganz weiß und hat nur einige schwarze Flecke; das drückt seine Gutmütigkeit ganz vortrefflich aus; man sieht gleichsam den Gang des ganzen Stückes, alle Empfindungen, die es erregen soll, schon im voraus in diesem Pelze.
FISCHER
Der Vorhang geht wieder auf!
Bauernstube.
GOTTLIEB, HINZE. Beide sitzen an einem kleinen Tisch und essen.
GOTTLIEB
Hat’s dir geschmeckt?
HINZE
Recht gut, recht schön.
GOTTLIEB
Nun muß sich aber mein Schicksal bald entscheiden, weil ich sonst nicht weiß, was ich anfangen soll.
HINZE
Habe nur noch ein paar Tage Geduld, das Glück muß doch auch einige Zeit haben, um zu wachsen; wer wird denn so aus dem Stegreif glücklich sein wollen! Mein guter Mann, das kommt nur in Büchern vor, in der wirklichen Welt geht das nicht so geschwinde.
FISCHER
Nun hört nur, der Kater untersteht sich, von der wirklichen Welt zu sprechen! – Ich möchte fast nach Hause gehn, denn ich fürchte toll zu werden.
LEUTNER
Es ist beinahe, als wenn es der Verfasser darauf angelegt hätte.
MÜLLER
Ein exzellenter Kunstgenuß, toll zu sein, das muß ich gestehn!
SCHLOSSER
Es ist zu arg. Statt daß er froh sein sollte, daß er nur, wenn auch in imaginärer Welt, wenigstens existieren darf, will er den andern von phantastischen Hoffnungen abbringen, und behandelt ihn als Schwärmer, der doch wenigstens als Bauer nicht den Gesetzen unserer gewöhnlichen Welt widerspricht!
GOTTLIEB
Wenn ich nur wüßte, lieber Hinze, wo du die viele Erfahrung, den Verstand herbekommen hast.
HINZE
Glaubst du denn, daß man tagelang umsonst unterm Ofen liegt und die Augen fest zumacht? Ich habe dort immer im stillen fortstudiert. Heimlich und unbemerkt wächst die Kraft des Verstandes; daher hat man dann am wenigsten Fortschritte gemacht, wenn man manchmal Lust kriegt, sich mit einem recht langen Halse nach der zurückgelegten Bahn umzusehn. – Übrigens sei doch so gut und binde mir die Serviette ab.
GOTTLIEB tut’s
Gesegnete Mahlzeit! – Sie küssen sich. Nimm so vorlieb.
HINZE
Ich danke von ganzem Herzen.
GOTTLIEB
Die Stiefeln sitzen recht hübsch, und du hast einen scharmanten kleinen Fuß.
HINZE
Das macht bloß, weil unsereins immer auf den Zehen geht, wie du auch wirst in der Naturgeschichte gelesen haben.
GOTTLIEB
Ich habe einen großen Respekt vor dir – von wegen der Stiefeln.
HINZE hängt sich einen Tornister um
Ich will nun gehn. – Sieh, ich habe mir auch einen Sack mit einer Schnurre gemacht.
GOTTLIEB
Wozu das alles?
HINZE
Laß mich nur, ich will einen Jäger vorstellen. – Wo ist denn mein Stock?
GOTTLIEB
Hier.
HINZE
Nun so lebe wohl. Geht ab.
GOTTLIEB
Einen Jäger? – Ich kann aus dem Manne nicht klug werden. Ab.
Freies Feld.
HINZE mit Stock, Tornister und Sack.
HINZE
Herrliches Wetter! – Es ist ein schöner warmer Tag, ich will mich auch hernach ein wenig in die Sonne legen. – Er spreitet seinen Sack aus. Nun, Glück, stehe mir bei! – Wenn ich freilich bedenke, daß diese eigensinnige Göttin so selten die klug angelegten Plane begünstigt, daß sie immer darauf ausgeht, den Verstand der Sterblichen zuschanden zu machen, so möcht ich allen Mut verlieren. Doch, sei ruhig, mein Herz, ein Königreich ist schon der Mühe wert, etwas dafür zu arbeiten und zu schwitzen! – Wenn nur keine Hunde hier in der Nähe sind. Ich kann diese Geschöpfe gar nicht vor Augen leiden; sie sind ein Geschlecht, das ich verachte, weil sie sich so gutwillig unter der niedrigsten Knechtschaft der Menschen bequemen; sie können nichts als schmeicheln und beißen, sie haben gar nichts von dem Ton, welcher im Umgange so notwendig ist. – Es will sich nichts fangen. – Er fängt an ein Jägerlied zu singen: Im Felde schleich ich still und wild u.s.w., eine Nachtigall im benachbarten Busch fängt an zu schmettern. Sie singt trefflich, die Sängerin der Haine – wie delikat muß sie erst schmecken! – Die Großen der Erde sind doch darin recht glücklich, daß sie Nachtigallen und Lerchen essen können, so viel sie nur wollen – wir armen gemeinen Leute müssen uns mit dem Gesange zufriedenstellen, mit der schönen Natur, mit der unbegreiflich süßen Harmonie. – Es ist fatal, daß ich nichts kann singen hören, ohne Lust zu kriegen, es zu fressen. – Natur! Natur! Warum störst du mich dadurch immer in meinen allerzartesten Empfindungen, daß du meinen Geschmack für Musik so pöbelhaft eingerichtet hast? – Fast krieg ich Lust, mir die Stiefeln auszuziehn und sacht den Baum dort hinaufzuklettern! sie muß dort sitzen. – Im Parterre wird getrommelt. Die Nachtigall hat eine gute Natur; ich habe immer nicht glauben wollen, daß sie am liebsten bei Sturm und Ungewitter singe, aber jetzt erleb ich die Wahrheit dieser Behauptung. – Ei! so singe und schmettre, daß dir der Atem vergeht! – Delikat muß sie schmecken. Ich vergesse meine Jagd über diese süßen Träume. – Es fängt sich wahrhaftig nichts. – Wer kömmt denn da?
ZWEI LIEBENDE treten auf.
ER
Hörst du wohl die Nachtigall, mein süßes Leben?
SIE
Ich bin nicht taub, mein Guter.
ER
Wie wallt mein Herz vor Entzücken über, wenn ich die ganze harmonische Natur so um mich her versammelt sehe, wenn jeder Ton nur das Geständnis meiner Liebe wiederholt, wenn sich der ganze Himmel niederbeugt, um Äther auf mich auszuschütten.
SIE
Du schwärmst, mein Lieber.
ER
Nenne die natürlichsten Gefühle meines Herzens nicht Schwärmerei. Kniet nieder. Sieh, ich schwöre dir hier vor dem Angesicht des heitern Himmels –
HINZE höflich hinzutretend
Verzeihen Sie gütigst – wollen Sie sich nicht gefälligst anderswohin bemühn? Sie stören hier mit Ihrer holdseligen Eintracht eine Jagd.
ER
Die Sonne sei mein Zeuge, die Erde – und was sonst noch: Du selbst, mir teurer als Erde, Sonne und alle Planeten. – Was will Er, guter Freund?
HINZE
Die Jagd – ich bitte demütigst.
SIE
Barbar, wer bist du, daß du es wagst, die Schwüre der Liebe zu unterbrechen? Dich hat kein Weib geboren, du gehörst jenseits der Menschheit zu Hause.
HINZE
Wenn Sie nur bedenken wollten –
SIE
So wart Er doch nur einen Augenblick, Er sieht ja wohl, daß der Geliebte, in Trunkenheit verloren, auf seinen Knieen liegt.
ER
Glaubst du mir nun?
SIE
Ach! hab ich dir nicht schon geglaubt, noch ehe du ein Wort gesprochen hattest? – Sie beugt sich liebevoll zu ihm hinab. Teurer! – ich – liebe dich! – o unaussprechlich.
ER
Bin ich unsinnig? – O und wenn ich es nicht bin, warum werd ich Elender, Verächtlicher, es nicht urplötzlich vor übergroßer Freude? – Ich bin nicht mehr auf der Erde; sieh mich doch recht genau an, o Teuerste, und sage mir, ob ich nicht vielleicht im Mittelpunkte jener unsterblichen Sonne dort oben wandle.
SIE
In meinen Armen bist du, und die sollen dich auch nicht wieder lassen.
ER
O komm, dieses freie Feld ist meinen Empfindungen zu enge, wir müssen den höchsten Berg erklettern, um der ganzen Natur zu sagen, wie glücklich wir sind! – Sie gehen schnell und voll Entzückens ab. Lautes Klatschen und Bravorufen im Parterre.
WIESENER klatschend
Der Liebhaber griff sich tüchtig an. – O weh! da hab ich mir selber einen Schlag in die Hand gegeben, daß sie ganz aufgelaufen ist.
NACHBAR
Sie wissen sich in der Freude nicht zu mäßigen.
WIESENER
Ja, so bin ich immer.
FISCHER
Ah! – das war doch etwas fürs Herz! – Das tut einem wieder einmal wohl!
LEUTNER
Eine wirklich schöne Diktion in der Szene.
MÜLLER
Ob sie aber zum Ganzen wird notwendig sein?
SCHLOSSER
Ich kümmere mich nie ums Ganze; wenn ich weine, so wein ich, und damit gut; es war eine göttliche Stelle.
HINZE
O Liebe, wie groß ist deine Macht, daß deine Stimme die Ungewitter besänftigt, ein pochendes Publikum beschwichtigt, und das Herz kritischer Zuschauer so umwendet, daß sie ihren Zorn und alle ihre Bildung vergessen. – Es läßt sich nichts fangen. – Ein Kaninchen kriecht in den Sack, er springt schnell hinzu und schnürt ihn zusammen. Sieh da, guter Freund! Ein Wildpret, das eine Art von Geschwisterkind mit mir ist; ja, das ist der Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Verwandte, Bruder gegen Bruder; wenn man selbst durch die Welt will, muß man andre aus dem Wege stoßen. – Er nimmt das Kaninchen aus dem Sacke und steckt es in den Tornister. Halt! Halt! – Ich muß mich wahrhaftig in acht nehmen, daß ich das Wildpret nicht selber auffresse. Ich muß nur geschwinde den Tornister zubinden, damit ich meine Affekten bezähme. – Pfui! schäme dich Hinz! – Ist es nicht die Pflicht des Edlen, sich und seine Neigungen dem Glück seiner Mitgeschöpfe aufzuopfern? Dies ist der Endzweck, zu welchem wir geschaffen worden, und wer das nicht kann – o ihm wäre besser, daß seine Mutter ihn nie geboren hätte. –
Er will abgehn, man klatscht heftig und ruft allgemein da capo, er muß die letzte schöne Stelle noch einmal hersagen, dann verneigt er sich ehrerbietig und geht mit dem Kaninchen ab.
FISCHER
O welcher edle Mann!
MÜLLER
Welche schöne menschliche Gesinnung!
SCHLOSSER
Durch so etwas kann man sich doch noch bessern – aber wenn ich Narrenpossen sehe, möcht ich gleich dreinschlagen.
LEUTNER
Mir ist auch ganz wehmütig geworden – die Nachtigall – die Liebenden – die letzte Tirade – das Stück hat denn doch wahrhaftig schöne Stellen!
Saal im Palast.
Große Audienz. DER KÖNIG, DIE PRINZESSIN, DER PRINZ NATHANAEL, DER KOCH in Gala.
KÖNIG sitzt auf dem Thron
Hieher, Koch, jetzt ist es Zeit, Rede und Antwort zu geben; ich will die Sache selbst untersuchen.
KOCH läßt sich auf ein Knie nieder
Ihro Majestät geruhen, Ihre Befehle über Dero getreusten Diener auszusprechen.
KÖNIG
Man kann nicht genug dahin arbeiten, meine Freunde, daß ein König, dem das Wohl eines ganzen Landes und unzähliger Untertanen auf dem Halse liegt, immer bei guter Laune bleibe; denn wenn er in eine üble Laune gerät, so wird er gar leicht ein Tyrann, ein Unmensch; denn gute Laune befördert die Fröhlichkeit, und Fröhlichkeit macht nach den Beobachtungen aller Philosophen den Menschen gut, dahingegen die Melancholie deswegen für ein Laster zu achten ist, weil sie alle Laster befördert. Wem, frag ich nun, liegt es so nahe, in wessen Gewalt steht es wohl so sehr, die Laune eines Monarchen zu befördern, als eben in den Händen eines Kochs? – Sind Kaninchen nicht sehr unschuldige Tiere? Wer anders denken oder sprechen könnte, von dem müßte ich fürchten, daß er selbst den reinsten Schmuck seiner Seele, seine Unschuld, verloren hätte. – Durch diese sanften Tierchen könnte ich dahin kommen, es gar nicht überdrüssig zu werden, mein Land glücklich zu machen – und an diesen Kaninchen läßt Er es mangeln! – Spanferkeln und alle Tage Spanferkeln – Bösewicht, das bin ich endlich überdrüssig.
KOCH
Verdamme mich mein König nicht ungehört. Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich mir alle Mühe nach jenen niedlichen weißen Tierchen gegeben habe; ich habe sie zu allen Preisen einkaufen wollen, aber durchaus sind keine zu haben. – Sollten Sie an der Liebe Ihrer Untertanen zweifeln können, wenn man nur irgend dieser Kaninchen habhaft werden könnte?
KÖNIG
Laß die schelmischen Worte, schier dich fort in die Küche und beweise durch die Tat, daß du deinen König liebst. – Der Koch geht ab. – Jetzt wend ich mich zu Ihnen, mein Prinz – und zu dir, meine Tochter. – Ich habe erfahren, werter Prinz, daß meine Tochter Sie nicht liebt, daß sie Sie nicht lieben kann; sie ist ein unbesonnenes unvernünftiges Mädchen; aber ich traue ihr doch so viel Verstand zu, daß sie einige Ursachen haben wird. – Sie macht mir Sorgen und Gram, Kummer und Nachdenken, und meine alten Augen fließen von häufigen Tränen über, wenn ich daran denke, wie es nach meinem Tode mit ihr werden soll. – Du wirst sitzenbleiben! hab ich ihr tausendmal gesagt; greif zu, solange es dir geboten wird! Aber sie will nicht hören; nun so wird sie sich gefallen lassen müssen, zu fühlen.
PRINZESSIN
Mein Vater –
KÖNIG weinend und schluchzend
Geh, Undankbare, Ungehorsame – du bereitest meinem grauen Kopfe durch dein Weigern, ein, ach! nur allzufrühzeitiges, Grab! – Er stützt sich auf den Thron, verdeckt mit dem Mantel das Gesicht und weint heftig.
FISCHER
Der König bleibt seinem Charakter doch nicht einen Augenblick getreu.
EIN KAMMERDIENER kömmt herein.
KAMMERDIENER
Ihro Majestät, ein fremder Mann ist draußen und bittet vor Ihro Majestät gelassen zu werden.
KÖNIG schluchzend
Wer ist’s?
KAMMERDIENER
Verzeihung, mein König, daß ich diese Frage nicht beantworten kann. Seinem langen weißen Barte nach sollte er ein Greis sein, und sein ganz mit Haaren bedecktes Gesicht sollte einen fast in dieser Vermutung bestärken, aber dann hat er wieder so muntre jugendliche Augen, einen so dienstfertigen geschmeidigen Rücken, daß man an ihm irre wird. Er scheint ein wohlhabender Mann, denn er trägt ein Paar vortreffliche Stiefeln, und soviel ich irgend aus seinem Äußern abnehmen kann, möcht ich ihn für einen Jäger halten.
KÖNIG
Führt ihn herein, ich bin neugierig ihn zu sehn.
KAMMERDIENER geht ab und kömmt sogleich mit HINZE zurück.
HINZE
Mit Ihrer Majestät gnädigster Erlaubnis ist der Graf von Carabas so frei, Ihnen ein Kaninchen zu übersenden.
KÖNIG entzückt
Ein Kaninchen? – Hört ihr’s wohl, Leute? – O das Schicksal hat sich wieder mit mir ausgesöhnt! – Ein Kaninchen?
HINZE nimmt es aus dem Tornister
Hier, großer Monarch.
KÖNIG
Da – halten Sie mal das Zepter einen Augenblick Prinz – Er befühlt das Kaninchen. Fett! hübsch fett! – Vom Grafen von –
HINZE
Carabas.
KÖNIG
Ei, das muß ein vortrefflicher Mann sein, den Mann muß ich näher kennenlernen. – Wer ist der Mann? Wer kennt ihn von euch? – Warum hält er sich verborgen? Wenn solche Köpfe feiern, wie viel Verlust für meinen Staat! Ich möchte vor Freuden weinen; schickt mir ein Kaninchen! Kammerdiener, gebt es gleich dem Koch.
Kammerdiener empfängt’s und geht ab.
NATHANAEL
Mein König, ich nehme meinen demütigsten Abschied.
KÖNIG
Ja so, das hätt ich über die Freude bald vergessen. – Leben Sie wohl, Prinz. Ja, Sie müssen andern Freiwerbern Platz machen, das ist nicht anders. – Adieu! Ich wollte, Sie hätten Chaussee bis nach Hause.
Nathanael küßt ihm die Hand und geht ab.
KÖNIG schreiend
Leute! – Mein Historiograph soll kommen!
DER HISTORIOGRAPH erscheint.
KÖNIG
Hier, Freund, kommt, hier gibt’s Materie für unsre Weltgeschichte. – Ihr habt doch Euer Buch bei Euch?
HISTORIOGRAPH
Ja, mein König.
KÖNIG
Schreibt gleich hinein, daß mir an dem und dem Tage, (welch Datum wir nun heut schreiben) der Graf von Carabas ein sehr delikates Kaninchen zum Präsent überschickt hat.
Historiograph setzt sich nieder und schreibt.
KÖNIG
Vergeßt nicht, anno currentis. – Ich muß an alles denken, sonst wird’s doch immer schief ausgerichtet. Man hört blasen. – Ah, das Essen ist fertig. – Komm, meine Tochter, weine nicht, ist’s nicht der Prinz, so ist’s ein andrer. – Jäger, wir danken für deine Mühe; willst du uns nach dem Speisesaal begleiten?
Sie gehn ab. Hinze folgt.
LEUTNER