Der große Heimweg - Hans Ernst - E-Book

Der große Heimweg E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Für den Jäger Franz und seine Barbara geht ein Traum in Erfüllung: Die alte Adelheid Wunderlich meint es gut mit ihnen und streckt ihnen Geld vor. Endlich können sie sich ein eigenes kleines Anwesen kaufen und blicken hoffnungsfroh in die Zukunft. Doch dann wird Adelheid ermordet, und alles scheint darauf hinzudeuten, dass Franz die Tat begangen hat. Er wird zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Während Barbara viele Jahre treu auf ihn wartet, glaubt sie fest an seine Unschuld.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2005

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelbild: Studio von Sarosdy, Düsseldorf

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN 978-3-475-54733-1 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Der große Heimweg

Für den Jäger Franz und seine Barbara geht ein Traum in Erfüllung: Die alte Adelheid Wunderlich meint es gut mit ihnen und streckt ihnen Geld vor. Endlich können sie sich ein eigenes kleines Anwesen kaufen und blicken hoffnungsfroh in die Zukunft. Doch dann wird Adelheid ermordet, und alles scheint darauf hinzudeuten, dass Franz die Tat begangen hat. Er wird zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Während Barbara viele Jahre treu auf ihn wartet, glaubt sie fest an seine Unschuld.

1

Der Abend dämmert schon, als der Jäger Franz Goreiter vom Kar herunter auf die Rumboldalm zukommt. Die Hütte liegt in einer kleinen Mulde und ist auf der Nord- und Westseite von alten Bäumen umgeben. Nur nach den Bergen hin und ins Tal hinunter ist der Blick frei. Barbara Rumbold, die achtzehnjährige Bauerntochter, kann also den Jäger schon früh genug sehen; sie braucht nicht mehr rot zu werden, wenn er kommt, und kann ihre leise Erregung im Zaum halten. Der Jäger kommt jetzt seit einem Vierteljahr in regelmäßigen Abständen, ein geduldiger, friedfertiger Mensch, der fast demütig um ihre Liebe wirbt wie jemand, der warten kann.

Von einem zum anderen Mal hat Barbara, die von allen immer nur Babsi genannt wird, ihre Liebe zu dem Jäger entdeckt. Er ist älter als sie, reifer und vom Schicksal bereits einmal geschlagen. Vierundzwanzig Jahre ist er alt, der Jäger Franz Goreiter, und wenn er am Wochenende ins Tal hinuntergeht, nimmt er jedes Mal Almblumen mit und legt sie auf das Grab seiner Silvia, die ihm vor eineinhalb Jahren bei der Geburt des gemeinsamen Kindes gestorben ist.

Zwei Sträußlein Almrosen. Eins für die tote Silvia, eins für die Barbara, das an einer Schnur am Riemen seines Rucksacks baumelt. So macht er manchmal gleich einen weiten Sprung, einen größeren Absatz hinunter, als könne er gar nicht schnell genug ans Ziel gelangen.

Die Barbara sieht ihn von dem kleinen Fenster aus. Sie hat gerade gewaschen, sich das Haar aufgesteckt und hat sich umgezogen. Jetzt tritt sie heraus und schaut ihm entgegen. In ihren hellen Augen leuchtet die Freude, ihr etwas herber Mund öffnet sich zu einem Lächeln. Das Almfeld, auf dem die Kühe weiden, ist schon vom Schatten verdunkelt. Nur etwas weiter drüben, auf dem Grünetzerhang, bleibt noch ein kleiner sonniger Abglanz des zur Ruhe gehenden Tages.

Der Jäger öffnet jetzt die Gartentür und schließt sie wieder hinter sich. Die Barbara geht auf ihn zu. »Grüß dich, Franz!«

»Grüß dich, Babsi!«

Sie fasst vertrauensvoll seine Hand und geht langsam mit ihm zur Hütte. Das hat sie noch nie getan. Er ist diesmal über Gebühr lange ausgeblieben, fast vierzehn Tage, und in dieser langen Zeit hat Barbara viel nachgedacht. So viel zumindest, dass das Eis in ihr gebrochen zu sein scheint. Der Jäger merkt das ganz deutlich, er sieht es an ihrem leuchtenden Blick, spürt es an der Heftigkeit, mit der sie seinen Arm drückt, und an der Bereitwilligkeit, mit der sie ihm in der Hütte gleich das Gewehr abnimmt und ihn zum Hinsetzen einlädt.

»Jetzt wirst du Hunger haben«, sagt sie und eilt in die kleine Kammer, die hinter dem Wohnzimmer liegt. Gleich darauf kommt sie zurück mit Butter, Milch und Schwarzbrot.

»Oder hättest du lieber was Warmes gehabt?«, fragt sie diensteifrig wie eine Frau, die es um alles in der Welt ihrem Mann recht machen will.

»Aber nein, Babsi. Mach dir doch keine Umstände«, wehrt er ab. »Mir wäre es bloß lieber, wenn du mitessen würdest, weil es mir dann besser schmeckte.«

»Und ob ich mithalte! Ich hab einen Hunger wie selten sonst.«

Das hört sich gerade so an, als möchte sie damit eingestehen, dass sie sehnlichst auf ihn gewartet hat.

Ja, es ist etwas anders heute. Es ist eine so beschwingteHeiterkeit in ihr. Obwohl es schon duster wird in der Hütte, meint der Jäger, er befinde sich in einem erleuchteten Raum. Wärme und Behaglichkeit umgeben ihn, eine unaufdringliche Zärtlichkeit weht ihn an. Immer wieder trifft ihn ihr fragender Blick und dann sagt sie auf einmal: »Jetzt bist aber lang nimmer gekommen, Franz.«

Sie hat ihn beim Vornamen genannt. Hinter ihrer Frage steht forschend ihr Blick, der auf seine Augen gerichtet ist. Aber er braucht ihrem Blick nicht auszuweichen, er braucht nicht zu lügen, denn er hat tatsächlich einen anstrengenden Dienst gehabt und an seinem freien Wochenende hatte er unten im Dorf so viel zu erledigen, dass es ihm mit dem besten Willen nicht möglich war ein paar Stunden für die Rumboldalm abzuzweigen.

Langsam legt er das Messer weg, nimmt einen Schluck Milch. »Hat dir mein langes Wegbleiben denn Leid getan, Babsi?«

»Der Strauß!«, besinnt sie sich plötzlich. »Ich muss ja deinen Almrausch noch ins Wasser stellen! Dank dir übrigens schön dafür, Franz – aber iss doch, du kannst ja noch nicht satt sein.«

»Doch, Babsi, ich bin satt.« Er lehnt sich zurück und nimmt eine filterlose Zigarette aus seinem Etui. Nachdem er sie angezündet hat, fährt er fort: »Ich hab so viel zu laufen gehabt an meinem letzten freien Tag, dass mir einfach die Zeit nimmer gelangt hat da raufzukommen.«

Barbara hat nun das Gesicht in die eine Hand gestützt, mit dem Zeigefinger der anderen zeichnet sie mit etwas Milch, die sie auf der Tischplatte verschüttet hat, merkwürdige Figuren. Zuerst einen leichten Bogen nach links, unten eine Spitze, dann wieder einen leichten Bogen nach rechts hinauf und schließlich ist es ein Herz.

»Am Sonntag hast doch frei gehabt?«, forscht sie ohne ihn anzublicken.

»Ja, aber am Samstag Abend bin ich schon hinunter.«

»Am Sonntag war aber doch Tanz beim Oktoberwirt.«

Der Jäger bläst den Zigarettenrauch von seinem Gesicht weg und fasst über den Tisch nach ihrer Hand. »Meinst du, dass mir jetzt schon nach Tanzen zumute ist?«

Plötzlich steht eine scharfe Falte zwischen ihren Brauen. Es ist auf einmal sehr still im Raum. Nur die Kuckucksuhr hört man eilfertig ticken und einmal vernimmt man den Klang einer Kuhglocke vom Almgrund herauf. In diese Stille hinein sagt die Barbara, mit etwas sprödem Klang in der Stimme: »Wie viele Jahre musst du eigentlich noch trauern um die Silvia?«

Sofort zieht er seine Hand zurück. Diese schroffe Frage macht ihn betroffen und glücklich zugleich, denn im Unterton klang etwas mit wie Eifersucht. Er zieht heftig an seiner Zigarette, aber sie ist bald aufgeraucht. »Das hat mit Silvia gar nichts zu tun, Babsi«, sagt er dann. »Wenn es nach ihr gegangen wär, hätt ich kein Vierteljahr zu trauern brauchen und hätt meine Hand schon lange nach einem neuen Glück ausstrecken dürfen. Am Sterbebett hat sie mir noch gesagt: Musst wohl bald wieder heiraten, Franz. Aber schau weniger auf dich, sondern mehr aufs Kind, dass es eine anständige Mutter kriegt.«

»Ach ja, dein Sohn«, seufzt die Barbara und ist schon wieder ganz versöhnt. »Der kleine Klausi. Wie geht’s ihm denn?«

Sein Gesicht hellt sich sofort auf. Sie hat nach dem Büberl gefragt, das ist wie Balsam auf eine Wunde. »Der Klausi, na ja, das ist mein Kummer gewesen! Von der Frau Schreiner, wo er in Pflege war, hab ich ihn wegnehmen müssen, weil sie es nicht mehr schafft mit ihrem Rheuma. Jetzt hab ich ihn beim Unterrainer untergebracht. Vorläufig wenigstens. Aber das ist auch nicht das Rechte, die haben selber vier kleine Kinder und – ich muss auch zehn Mark mehr zahlen dort. Obwohl das das wenigste wär, wenn nur das Kind gut untergebracht ist. Ja, Babsi, das sindso meine Sorgen. Und da meinst du, mir wär zumut zum Tanzen zu gehen!«

Es tut ihr längst Leid, dass sie sich nicht beherrscht hat. Versöhnend kommt ihre Hand über den Tisch herüber. »Ich hab’s nicht so gemeint, Franz. Und was dein Kind betrifft, darüber müssen wir noch mal reden. Soll ich Licht machen?«

»Meinetwegen nicht. Wir könnten uns draußen noch ein bissel hinsetzen.«

Die Nacht ist auf einmal da. Am Himmel erstrahlen schon die ersten Sterne und ein warmer Wind kommt aus der Tiefe des Gebirges. Hin und wieder das Klingeln einer Herdenglocke, und wenn der Wind einmal stärker weht, dann rauscht es in den alten Bäumen ringsum, als wären es tausend geheimnisvolle Stimmchen.

Gelegentlich saßen sie schon so auf den Hüttenstufen, wie zwei Menschen, die auf etwas warten. Aber heute ist es irgendwie anders. Von dem Mädchen ist etwas abgefallen, eine Scheu, die sie in sich getragen hat und die sie bisher nicht überwinden konnte. Es hat ihr einfach nicht eingehen wollen, dass der erste Mann, dem sie ihre Liebe schenkte, ein Witwer ist. Das hat sich mit ihren Vorstellungen nie vereinbart, weil sie sich nicht hat denken können, mit dem vorlieb nehmen zu müssen, was von der Liebe zu einer anderen übrig geblieben ist. Auch weiß sie nicht, wie ihre Eltern sich dazu stellen, ihre Geschwister, die Brigitte zum Beispiel, die in allem so kalt und berechnend ist, oder die Bettina, die mit ihren siebzehn Jahren eine ganz eigene Meinung von der Liebe hat und den Himmel voller Geigen sieht.

Sie spürt, dass der Mann den Arm um ihre Schultern legt, und schmiegt sich gern an ihn, so als ob sie ein wenig Wärme und Geborgenheit suche.

»Wissen möchte ich gern, was alles sich manchmal abspielt in deinem Kopf«, sagt der Jäger.

Sie lehnt ihren Kopf noch näher gegen seine Schulter. Ihr Herz ist weit geöffnet, voller Vertrauensseligkeit ist sie auf einmal. »Es ist viel vorgegangen in mir«, gesteht sie. »Aber jetzt wird alles klarer; alles ordnet sich.«

»Dann kommt es vielleicht doch noch so weit, dass du mich lieben kannst.«

»So weit ist es schon, Franz«, antwortet sie lachend. »Auf alle Fälle weiß ich, du bist ein großartiger Mensch.«

»Na ja«, meint er. »So schwer ist es nicht großartig zu sein, wenn man jemanden ins Herz geschlossen hat.«

»Zum zweitenmal«, sagt sie trocken und, wie es scheint, schon wieder in einer leisen Aufwallung von Eifersucht.

Immer mehr Sterne flammen am Himmel auf. Die Milchstraße ist da und der Große Wagen. Sie machen die Nacht ein wenig heller, das Haar des Mädchens schimmert in diesem trüben Licht.

»Es wird alles erst dann richtig werden mit uns beiden«, sagt er, »wenn wir uns an nichts mehr erinnern, was gewesen ist.«

Sie nickt und fasst nach seiner Hand. »Vielleicht bin noch ein bissel dumm und es fällt mir schwer mich nicht zu erinnern, dass vor mir eine andere gewesen ist. Sag, Franz, hast du sie geliebt, ganz tief und fest?«

Hier hätte er ihr nun viel erzählen müssen. Wahrscheinlich hätte die Nacht dazu gar nicht ausgereicht. Aber er hat bereits begonnen Vergessen über alles zu breiten, was über sein junges Leben schon hereingebrochen war. Und das war viel Bitteres.

»Weißt du, Babsi«, beginnt er zögernd, weil es ihm an den richtigen Worten für so ein schwieriges Thema mangelt, »im Leben eines Menschen kommt es oft darauf an, wer ihm zuerst begegnet und in welcher Verfassung er dann gerade ist. Wenn man ausgebrannt ist, dann ist man leer und hilflos, dann suchen die Hände nach einem Halt, an dem man sich wieder aufrichten kann.«

»Ja«, sagt sie, »das versteh ich schon.« Aber sie versteht es in Wirklichkeit nicht. Da muss er schon weiter ausholen; sie fordert ihn auf ihr aus seiner Kindheit, aus seinem Leben zu erzählen, denn alles erscheint ihr wichtig genug um es wissen zu müssen, bevor sie sich dem Wunder hingibt, von dem sie träumt und das sie erwartet.

Und der Jäger, dazu nun aufgerufen, nimmt Bild um Bild aus dem Buch seines Lebens und hält es im Sternenlicht dem Mädchen vor die Augen. Und die Barbara blickt andächtig zum Himmel empor und lauscht der dunklen Stimme des Jägers, von der sie sich wünscht, dass sie sich manchmal heben möchte, um auch etwas Glänzendes zu berichten. Aber es gibt aus dem Leben des Jägers nicht viel Glänzendes zu vermelden. Allzu dunkel umschattet waren seine Kindheit und Jugend, er hat eine Stiefmutter gehabt und kann sich nicht erinnern, dass sie ihn jemals geküsst hätte. Dazu wäre wahrscheinlich ihr verkniffener Mund gar nicht fähig gewesen. Aber ihre Hand hat verstanden zu schlagen und wenig Essen zu reichen. Das Schlagen hat erst aufgehört, als Franz ins Forstamt zur Lehre gekommen ist. Damals hat dann auch das Hungern aufgehört. Er hatte bald den Tod des Vaters zu beweinen, aber als die Stiefmutter starb – er war gerade siebzehn Jahre –, hat er keine Träne vergossen. So ist er in Bitterkeit durch die Kindheit und die frühe Jugend gestolpert. Und als er dann meinte sich erheben zu können, frei wie eine Wolke am Abendhimmel, da hat sich wiederum eine schwere Hand ihm auf die Schulter gelegt: Ohne sein Verschulden erlitt er einen schweren Motorradunfall. Monatelang lag er im Krankenhaus; man hatte ihn aufgegeben und nur sein unbändiger Lebenswille rettete ihn. Als er sich halbwegs erholt hatte, da war er gerade zwanzig Jahre alt und da ist ihm die Silvia Tumler begegnet, die ihm Wärme schenkte, ein kleines Zuhause und die Liebe, die er bisher immer hatte entbehren müssen.

»Aber du hättest sie doch in deinem Alter nicht gleich heiraten müssen«, unterbricht Barbara ihn.

Vielleicht nicht. Aber sie könne keine Ahnung haben, wie er gefroren habe und wie er aufgetaut sei, als sich erstmals ein gütiges Menschenantlitz über ihn geneigt und ihm Wärme geschenkt habe. Jawohl, ein gütiges Menschengesicht, er wisse gar nicht einmal, ob es ihm schön erschienen sei, dieses Gesicht. Es sei wohl ein herbes Gesicht gewesen, auch von der Armut gezeichnet, und es sei ja wohl so, dass Menschen aus bescheidenen Verhältnissen leicht zueinander finden. Sie sei wie eine Mutter zu ihm gewesen, still und gut. Und sie habe ihm ein Kind geschenkt, ein kleines Wesen mit seinen Augen, und wenn es nun wohl auch besser wäre, das Kind wäre nicht da –

»Das darfst du nicht sagen«, unterbricht sie ihn zum zweiten Mal.

»Es muss aber darüber gesprochen werden, Babsi«, meint er und fügt sinnend hinzu, es könne ihr ja nicht verborgen geblieben sein, dass er sie liebe. Wenn er das auch noch nie mit Worten gesagt habe, er sei kein großer Held in solchen Worten, so denke er aber schon seit Monaten Tag und Nacht nur mehr an sie und wie das werden könnte, wenn auch sie ihn lieben würde.

Da rutscht es ihr heraus, ganz ungewollt und von Herzen: »Merkst du denn das noch nicht?«

Er schweigt eine Weile und sie hören die Quelle wieder plätschern. Unweit liegen die Kühe auf der Wiese, ganz still jetzt, ohne Glockenklang. Wie kleine dunkle Hügel liegen sie da, nur an den Umrissen erkennbar.

Seine Hand streichelt jetzt ihr Haar und Barbara spürt die Wärme seiner Hand über den ganzen Körper sich ausbreiten.

»Erst seit heute hoffe ich«, sagt er leise. »Heute bist du zum ersten Mal anders.«

»Ich habe meine Zeit gebraucht um das zu werden«, gibtsie zu und reckt sich ein wenig, gerade so hoch, dass ihr Mund dicht unter dem seinen ist. »Und es wird jetzt auch nie mehr anders werden. Ganz langsam bist du mir ins Herz gewachsen und –«

Weiter kommt sie nicht, er hat sie fest in den Arm genommen und küsst sie.

Hernach meint sie, dass ihre Stirn vor Scham brenne. Zum erstenmal hat ein richtiger Mann sie geküsst. Aber dann merkt sie mit wachsendem Staunen, dass dies etwas Großes ist und sie stark genug macht alles Bittere zu ertragen, das vielleicht kommen wird. Und dass ihre Liebe so groß ist nun auch das Kind in den Kreis aufzunehmen, das Kind der anderen, das er ja mitbringen wird. Ja, bei aller Glückseligkeit fällt ihr das Kind ein und sie muss auch gleich davon sprechen. »Ist es dort gut aufgehoben bei – wo hast du es untergebracht?«

»Den Klausi meinst du? Beim Unterrainer.« Er zuckt die Schultern. »Das muss ich erst abwarten. Weißt du, das sind immer so Experimente. Aber schließlich kann ich das Kind ja nicht mit mir nehmen in den Wald und in die Berge.«

»Nein, das kannst du nicht. Aber du kannst was anderes tun, Franz.«

»Was denn?«

»Du kannst es mir bringen. Ich muss mich doch daran gewöhnen.«

»Das wird leicht sein, es ist ein braves Kind, ein ganz liebes Kind.«

»Könnt es denn anders sein bei so einem Vater? Mich wundert es, dass du das Kind nicht schon lang einmal mit raufgebracht hast.«

»Weil ich nicht haben wollt, dass dein Herz erst über das Kind zu mir findet.«

»So sehr bist du überzeugt, dass ich den Buben gern haben werde?«

»Ja, davon bin ich überzeugt, Babsi. Ich weiß schon, jeder Vater lobt sein Kind. Aber der Klausi ist wirklich ein goldiger Kerl mit Löckchen und blauen Augen.«

»Die hat er von dir. Und hat er auch das Grübchen im Kinn?« Der Jäger nickt und seufzt hinterher. »Es fragt sich bloß, was deine Familie sagen wird zu allem.«

»Warum?«, fragt sie. »Wie oft bringt ein Mädel ein Kind mit in die Ehe! Warum soll es nicht auch umgekehrt sein können? Und dein Bub braucht eine Mutter. Das müssen meine Eltern doch begreifen! Im Sommer kann er auf alle Fälle bei mir sein und im Herbst, wir werden dann schon sehen, Franz. Was musst du denn zahlen beim Unterrainer?«

»Fünfhundert Mark.«

»Auch grad nicht wenig für so einen kleinen Wurm. Bei mir brauchst du nichts zu zahlen.«

»Umsonst soll es nicht sein, Babsi. Und bei dir hat er’s ja gut, das weiß ich.«

»Du weißt alles immer schon im vorhinein, scheint mir.«

»Bei dir ist das nicht schwer zu erraten.«

»Meinst, dass du dich nicht täuschst?«

Er schüttelt den Kopf und es ist jetzt wohl an der Zeit sich zu erinnern, dass ein neuer Abschnitt in seinem Leben angebrochen ist und dass er nicht vergessen darf die Babsi lieb zu haben, nachdem sie doch heute endlich an die Tür gepocht haben, die zum Glück führen soll. Die Tür hat sich einen Spalt geöffnet und durch den Spalt sehen sie den Weg vor sich, der sie in eine stille Geborgenheit führt, an einen warmen Herd, auf dem zur Winterszeit die Äpfel auf der Herdplatte braten und im Frühling die Blumen um das kleine Haus blühen. Vielleicht haben sie dann auch einen kleinen Acker, auf dem Korn wächst, das um die Hochsommerzeit so hell wird wie das Haar Barbaras, die sich jetzt den Küssen hingibt und mit geschlossenen Augendoch alles sieht, die Blumen im Garten und das wiegende Kornfeld und den großen, weiten Heimweg, an dessen Ende sie sich zur Rast niedersetzen, sie und der Mann und das Kind mit dem Lockenhaar.

Dem Jäger ergeht es in dieser Stunde nicht viel anders. Auch er sieht ein kleines Haus am Rande des Waldes, das gedämpfte Licht über dem Garten des Kornackers, die Frau am Gartenzaun, mit dem Buben auf dem Arm. Das Große und Unveränderliche zieht auch ihn hinein in die Vorstellung eines Kreislaufes, in dem sich das Leben, sein Leben, erfüllt.

Wie schön das einmal alles werden wird, denkt er mit fröhlichem Herzen und beugt sich wieder über den Mund unter ihm und bedenkt gar nicht, dass die Stunden dabei vergehen und dass er eigentlich ins Dorf hat gehen wollen.

Die Zeit ist gleichsam angehalten, es tickt keine mahnende Uhr, nur ihre Herzen schlagen und darin fühlen sie das Unbeirrbare, das erste zögernde Schreiten auf dem Weg, der sie irgendwann dann heimführen muss in die Geborgenheit.

»Geh jetzt nicht in die Nacht hinein«, sagt Barbara, als er aufstehen will. Sie steht zwar mit ihm auf und hält seinen Hals umschlungen, doch will sie ihn nicht loslassen. »Ich habe Angst, wenn du jetzt gehst«, sagt sie.

»Wovor denn Angst?«

»Ich weiß es nicht, Franz. Vor dem Alleinsein vielleicht.«

»Du warst so lange allein und hast dich nicht gefürchtet.«

»Ja, aber jetzt will ich nimmer allein sein.«

»Am Sonntagabend bring ich dir den Buben, dann bist du nie mehr allein.«

Sie geht ihm voran in die Hütte und schaltet das Licht ein. Er schließt die Tür und schiebt den Riegel vor. Dann schaut er auf die Uhr und sieht, dass die Mitternacht schon vorüber ist.

2

Ein paar Tage später – es ist ein trüber Tag, der Regen verkündet – kommen zwei Männer das untere Almfeld herauf. Die Barbara erkennt ihren Bruder Bernd, der andere Mann ist ihr unbekannt. Jetzt bleiben sie bei der Herde stehen und Bernd deutet auf eine von den buntscheckigen Kühen. Der andere tritt näher, befühlt das Tier, klopft ihm den Hals und nickt. Eine ganze Weile stehen sie da unten und verhandeln. Barbara sieht, wie Bernd die Hand hinhält und der andere einschlägt. Dann kommen sie langsam zur Hütte herauf.

Bernd Rumbold ist genau das Gegenteil von seiner Schwester. Er ist mittelgroß und von seinem Wesen geht nicht der leiseste Hauch einer Fröhlichkeit aus. In dem breitflächigen braunen Gesicht liegt ein Paar dunkler Augen, in denen ganz offen das Misstrauen nistet. Ein Mensch, der alles besser versteht und keine andere Meinung gelten lassen will als die seine.

Ganz seinem Wesen gemäß fällt auch der Gruß an die Schwester aus. Er brummt nur etwas, das man nicht versteht. Dann deutet er mit dem Daumen auf seinen Begleiter und sagt mit seiner hellen, so gar nicht männlichen Stimme: »Das ist der Harasser Michael von Waidholzen. Eine Kuh will er kaufen.«

Die Barbara wundert sich, weil sie es nicht recht verstehen kann, dass der Vater eine von den schönsten Kühen verkauft. Aber dann reicht sie dem Fremden doch die Hand. »Grüß Gott, ich bin die Barbara.«

»Ja, das ist die Babsi«, ergänzt jetzt der Bernd und lümmelt sich gleich auf die Bank. »Vielleicht bringst du uns schon eine Brotzeit.«

»Na, na«, sagt die Barbara. »Du hast dich ja noch gar nicht richtig hingesetzt.« Sie schiebt dabei für den Harasser einen Stuhl zurecht und geht.

Der Harasser schaut ihr verwundert nach. Er ist groß und mag schon an die dreißig sein. Seiner Kleidung nach ist er ein reicher Bauer. Sein Blick ist ruhig, sein Wesen bedächtig und ausgeglichen.

Als die Barbara mit einem Krug Bier, Brot und Butter erscheint, meint der Harasser sein Hiersein entschuldigen zu müssen. »Ich bin ja nicht zum Essen hergekommen.«

»Das weiß ich schon«, sagt die Barbara und der Bernd fügt hinzu: »Die Brotzeit ist im Kaufpreis schon noch inbegriffen.«

Der Harasser hebt die Augen und schaut die Barbara an. Dann hebt er den Krug, prostet ihr zu und hernach sagt er: »Wir haben Unglück gehabt im Stall. Klauenseuche und jetzt müssen wir halt schaun, dass wieder was Gutes in den Stall kommt.«

»Ah so«, sagt die Barbara. »Die Gustl stammt aus einem guten Stall und ich wünsch halt dann alles Glück dazu.«

»Danke«, sagt der Harasser und schaut sie wieder so dankbar an. Bedächtig schneidet er das Butterbrot in kleine Stücke und isst. Plötzlich fällt ihm dann ein: »Du warst wohl noch nie in Waidholzen?«

Die Barbara schüttelt den Kopf.

»Wenn du grad einmal des Wegs kämst, schau ruhig einmal rein bei uns, es wird dir sicher gefallen.«

»Wann komm ich schon einmal fort«, meint die Barbara und es klingt nach Bedauern in ihrer Stimme.

»Drei Stunden Fußmarsch sind es von Schierding aus«, meint der Harasser. »Aber es lohnt sich schon, weil man sonst nirgendwo einen so schönen Ausblick übers Land hin hat.«

»Vierhundert Tagwerk hat er«, brummt der Bernd und es klingt wie Neid, weil sie daheim nur etwa hundertfünfzig Tagwerk haben. Überhaupt, was ist er schon gegen diesen Harasser, der da um die Mittagsstunde mit einem dicken Auto in den Hof gefahren kam. Ihm, dem Bernd, istder Hof noch gar nicht übergeben, obwohl er längst verheiratet ist. Dieser Harasser aber ist bereits Bauer, seine Mutter ist im Frühjahr gestorben und der alte Harasser hat sich von der Wirtschaft zurückgezogen. Ja, so müsste man’s haben wie dieser Michael Harasser, der die Brieftasche so großspurig zieht und gleich einen Hunderter Anzahlung für die Kuh gibt.

Die Barbara war kurz einmal draußen und hat ein paar Wäschestücke hereingeholt, die gerade trocken genug zum Bügeln sind.

»Ich mein, es kommt bald ein Regen«, sagt sie.

Der Harasser nickt. »Der Erde kann ein bissel Regen jetzt nicht schaden. Das Heu haben wir eingefahren und fürs Getreide hat’s noch Zeit. Drum hab ich auch heut früh losfahren können.«

»Wie bist du denn eigentlich auf uns gestoßen?«, fragt der Bernd.

»Herumgefragt hab ich halt ein bissel. Zu Kurning beim Lörmoser hab ich drei Stück Vieh gekauft und da hat man mir gesagt, dass man bei euch was Gesundes und Gutes haben kann. Gewusst hab ich es auch sonst so ungefähr, weil ich voriges Jahr in Miesbach bei der Stierprämiierung gesehen hab, was ihr für einen Prachtkerl vorgeführt habt.«

»Ja, der Nero!«, lacht die Barbara. »Auf den ist der Vater aber auch mächtig stolz. Schaut, jetzt fallen schon die ersten Tropfen!«

»Dreckwetter, verrecktes!«, schimpft der Bernd. »Hätt’s jetzt nicht warten können bis zum Abend! Bis wir hinunterkommen, werden wir pitschnass.«

»Das wär ja nicht das erstemal«, lacht der Harasser. Dieses Lachen wirkt gefällig und befreiend. »Weiter als bis auf die Haut kann es nicht gehen.«

»Vom Vater ist eine Regenhaut hier«, fällt der Barbara ein, »und für den Harasser« – sie schaut ihn an und lächelt – »dir könnt ich ja meinen Regenumhang leihen.«

»Vielleicht hört es bald wieder auf«, sagt der Bernd und trinkt den Bierkrug leer. Aber wenn sich alles nach seiner Meinung richtet, der Petrus lässt sich nicht kommandieren. Er hat jetzt anscheinend alle himmlischen Schleusen aufgedreht. Ganz grau geht es nieder, tief ziehen die Wolken über das Almfeld, man sieht nichts mehr vom Latschenhang, nichts mehr vom Kar und nichts mehr von den Bergen. Der Wind pfeift kalt um die Ecken der Hütte und der Bernd sagt tiefsinnig einen Spruch herunter, der eigentlich gar keine Bedeutung hat: »Dös ist ein Wetter für die Knecht, arbeiten sie net, dann friert sie recht.«

»Heutzutage gibt’s ja keine Knechte mehr«, stellt der Harasser fest. »Und wenn man noch ein paar Erntehelfer braucht, dann muss man froh sein, wenn man welche findet.«

»Ihr tut euch ja leicht«, meint der Bernd. »Ihr könnt euch die neuesten Maschinen leisten. Ein bisschen Holz verkaufen und schon habt ihr wieder Moneten im Haus!«

»Na ja«, lacht der Harasser gutmütig, »gar so einfach ist’s auch grad nicht. Alles kannst auch nicht mit den Maschinen machen. Allerdings, die neue Melkmaschin, die wir kürzlich gekriegt haben, die bewährt sich schon.«

»Den neuen Typ hab ich noch nie gesehen«, mischt sich die Barbara ins Gespräch.

»Das wär ein Grund zu uns zu kommen«, antwortet der Harasser flink. Dann erklärt er ausführlich und mit sichtbarem Genuss die Einzelheiten so einer Melkanlage.

»Und treten nie Probleme mit den Kühen auf?«

»Manchmal leider schon.«

»Also ist so eine Maschin doch nicht vollkommen«, sagt der Bernd und schaut missmutig zum Fenster hinaus. Es gießt immer noch. Wie mit tausend Hämmerchen pocht es auf das Hüttendach.

»Was ist auf der Welt schon vollkommen?«, fragt der Harasser und schaut dabei die Barbara wieder an mit einemtiefen und langen Blick, der sagen könnte: Außer dir natürlich. Aber das verschweigt er, es liegt ihm nicht Komplimente zu machen und außerdem, er weiß selber nicht, wie das kommt, hat er diesem Mädchen gegenüber Hemmungen. Auch stört ihn die Anwesenheit Bernds. Im Stillen nimmt er sich vor das Angebot mit dem Regenumhang anzunehmen. Dann hat er einen Grund wiederzukommen um das Kleidungsstück zurückzubringen. Deshalb macht es ihm gar nichts aus, als der Bernd jetzt zum Aufbruch drängt.

»Du kannst ihn bei uns drunten lassen«, meint die Barbara, als er den Umhang um die Schultern schlägt. Der Bernd ist gerade noch schnell in den Stall hinausgegangen, sodass der Harasser noch fragen kann: »Macht es dir was aus, wenn ich dir den Umhang selber wiederbring?«

Einen Augenblick lang wird die Barbara etwas verlegen, dann schaut sie ihn offen und ehrlich an.

»Nein, was sollte mir denn das ausmachen? Nur – es ist doch ein ziemlich weiter Weg, mein ich, und ich brauche den Umhang jetzt wirklich nicht.«

Der Harasser druckst ein bissel herum, dann rutscht es ihm heraus: »Ich käm ganz gern wieder einmal auf einen Plausch, aber ohne deinen Bruder.«

»Ich kann dir’s nicht verwehren, Harasser. Ein bissel Unterhaltung mag ich immer gern.«

»Michael heiß ich doch. Kannst ruhig Michi zu mir sagen. Das Harasser hört sich so hart an.«

»Aber es klingt schön«, weicht die Barbara aus.

»Wie man’s nimmt!«

Der Bernd kommt jetzt wieder vom Stall herein und fragt unwirsch: »Warum ist denn das Kälbchen nicht auf der Weide?«

»Weil’s krumm geht.«

»Freilich, weil’s krumm geht! Hast halt wieder nicht Obacht gegeben!«

Die Barbara hat nicht besonders viel Respekt vor dem Bruder, der immer etwas an ihr auszusetzen hat. »Gib doch nicht so an, als wenn du auch schon was zu reden hättest! Noch ist der Vater der Bauer!«

Der Bernd schluckt ein paarmal, antwortet aber nicht mehr und schlüpft in die Regenhaut. Erst draußen sagt er zum Harasser: »Der helf ich schon noch!«

Der Harasser stapft neben ihm her, ein versonnenes Lächeln im Mundwinkel. »Ein grandioses Mädchen«, stellt er dann fest. Er sagt das mehr für sich, aber der Bernd geht gleich drauf ein. »Die ist doch bloß Durchschnitt. Da solltest die Brigitte einmal sehen!«

Der Harasser macht einen Sprung über eine Pfütze. »Wer ist die Brigitte?«

»Meine ältere Schwester. Im Augenblick ist sie zwar nicht daheim, weil sie bei einer Tante in Aibling aushelfen muss. In der Saison, weißt du.«

»Ich hab aber noch eine gesehen im Haus?«, erinnert sich der Harasser.

»Das ist die Bettina, die jüngste. Die muss erst noch trocken werden hinter den Ohren.« Ein schwerer Seufzer. »Sei bloß froh, dass du keine Schwestern hast. Mit der Arbeit hat’s keine eilig, aber wenn’s um Männer geht, kann keine genug kriegen. Da würden sie dir am liebsten das Fell übern Kopf ziehen!«

»Hast du schon eine verheiraten müssen?«

»Noch nicht, aber das wird nicht ausbleiben. Und zudem muss man grad froh sein, wenn dir nicht eine ein Kind ins Haus bringt. Das kannst dann umsonst durchfüttern und ihre Mitgift verlangen sie trotzdem.«

Weil nun der Michael Harasser in seiner inneren Einstellung der krasse Gegensatz zum Rumbold Bernd ist, kann er nur noch nachsichtig darüber lächeln und das Ganze als dummes Geschwätz bezeichnen.

Sie sind jetzt durch den Wald gekommen und habenzum Dorf nur mehr eine gute Viertelstunde. Der Regen strömt noch immer mit der gleichen Heftigkeit. Im Rumboldhof stehen große Pfützen. Unterm Vordach des Stalls sitzen zusammengeduckt die Hühner wie an einer Schnur aufgereiht und der Hofhund knurrt nur aus dem Rundloch seiner Hütte heraus. Auch ihm ist das Wetter zu schlecht.

Der Harasser will gleich fahren, er wird aber noch genötigt unbedingt eine Tasse heißen Tee mit Rum zu trinken. Dabei sieht er auch die Bettina noch mal, die nach der Meinung Bernds erst trocken werden muss hinter den Ohren. Das findet der Harasser nicht gerade. Bloß arg jung ist die Bettina halt und herrlich unbekümmert. Sie setzt sich an den Tisch, stützt den Kopf in die Hände und schaut dem Harasser unverwandt ins Gesicht. Als der Harasser erschrocken die Tasse hinstellt, weil er sich an dem heißen Getränk beinahe den Mund verbrannt hätte, lacht die Bettina lustig auf. »Jetzt hättst dir bald die Zunge verbrannt, gell? Wenn ich mehr Zeit hätt, würd ich dir den Tee blasen.«

»Bettina!«, schreit die Frau Rumbold erschrocken aus dem Ofenwinkel heraus. »Wie redest denn du mit dem Harasser?«

»Warum, was hab ich denn gesagt?«, fragt das Mädchen unschuldig und lacht wieder so hell und unbekümmert, als der Harasser meint: »Aber geh, das macht doch nichts! Mir ist es lieber, wenn ein Mensch redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.«

»Mir auch«, gesteht die Bettina und beachtet gar nicht den wütenden Blick des Bruders. »Vorhin hab ich mich einmal in deine Kiste draußen gesetzt«, plappert sie dann weiter. »Das ist aber eine alte Schaukel!«

»Stimmt«, sagt der Harasser und betrachtet schmunzelnd das quecksilbrige Mädel. Sie sieht der Barbara ein bissel ähnlich, stellt er fest. Nur spontaner ist sie. Ihre Eltern nennen es Frechheit und die Mutter seufzt wieder in ihrem Ofenwinkel. »Wie die jungen Leute heutzutage aufwachsen! So was sagt man doch nicht!«

»Doch, doch, sie hat ja Recht«, lacht der Harasser. »Aber einen neuen Wagen kann ich mir im Augenblick nicht leisten.«

Da muss die Bettina die Hand vor den Mund heben um nicht laut herauszuprusten. »Du und nicht leisten können! Im ganzen Tal weiß man, dass du den größten und besten Hof hast!«

Der Rumbold betritt die Stube. Ein kleiner, abgearbeiteter Mann mit schütterem Haar. Er kommt vom Heuboden und hat noch ein paar Spinnwebfäden an seinem Jackenärmel hängen. »Seid ihr handelseins geworden?«, fragt er, geht langsam zum Tisch vor und wirft einen missbilligenden Blick auf Bettina. »Wie sitzt denn du bloß wieder da! Schämst du dich nicht?«

Die Bettina stellt die übereinander geschlagenen Beine folgsam zu Boden und sagt mit leichter Verdrossenheit: »Jeder nörgelt grad an mir immer rum! Ich mag schon bald nimmer!« Dann steht sie auf, nimmt aus der Obstschale einen Apfel und beißt herzhaft hinein.

»Dann lass ich morgen die Kuh abholen«, sagt jetzt der Harasser und steht auf. »Wie weit kann man denn mit dem Viehwagen hinauffahren?«

»Bis zum Bühel geht’s und von da aus ist’s noch eine gute halbe Stunde zur Alm«, erklärt der Rumbold.

»Gut. Aber was mach ich jetzt mit dem Umhang? Kann ich ihn dalassen, oder –«

»Lass ihn nur da«, sagt der Bernd. »Ende der Woche kommt sowieso wieder jemand hinauf zur Alm.«

»Ja, dann sag ich halt dankeschön für’n Tee und den Rum.«

»Bitteschön«, sagt die Bettina recht vorlaut und hätte am liebsten noch hinzugefügt: Macht sechsfünfzig mit.

»Grüß mir deinen Vater recht schön«, fällt es dem Rumbold noch ein, als er den Gast zur Tür hinausbegleitet.

»Werd’s ausrichten. Ihr kennt euch ja?«

»Flüchtig. Bei einer Wallfahrt nach Birkenstein hab ich ihn kennen gelernt. Mag er ’s Bier immer noch so gern?«

»Na ja, schmecken tät’s ihm schon, er muss sich bloß ein bissel halten jetzt, wegen seiner Leber.«

»Ja, ja, das ist immer so, wenn man’s jahrelang zu bunt treibt, dann packt’s einen im Alter. Ich hab’s mit der Bandscheiben. Das kommt allerdings nicht vom Saufen.«

Der Harasser steht auf der Terasse und schaut zum Himmel hinauf. Alles ist noch grau in grau. Nur ein starker Wind hat jetzt noch eingesetzt und treibt den Regen schräg über den Hof. »Mir scheint, das gibt einen Landregen«, meint er.

»Das glaub ich nicht. Im Wetterwinkel hinten wird’s schon heller. Morgen kann wieder der schönste Tag sein.«

Der Harasser besteigt seinen Wagen. Beim Anfahren spritzen ein paar Wasserfontänen hoch, dann biegt der Wagen in einer scharfen Kurve zur Straße hinaus.

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