Der Güldene Baum - Hans-Joachim Rech - E-Book

Der Güldene Baum E-Book

Hans-Joachim Rech

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Beschreibung

Was wäre die Welt doch ohne Träume, ohne Märchen. Wie arm wäre unser Leben, gäbe es nicht unsere Träume und Wünsche, Sehnsüchte und die Hoffnung. So möge es denn sein, dass es immer Träume gibt, Träume so schön und bunt, aus denen dann die Märchen und Geschichten werden, die uns unsere Großmütter und Großväter an den langen Winterabenden erzählen – unsere Wintermärchen. Und was im Winter gut ist, wird im Sommer ebenso schön und bunt sein, denn die Träume sind die Wünsche der Herzen - bei den Kleinen wie den Großen.

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Seitenzahl: 300

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Table of Contents
Impressum
Alles wird wieder grün
Das Geheimnis des Zauberers
Das Krokodil im Südparksee
Das vergessene Blatt
Das vergessene Haus
Der kleine Flamingo
Der kleine Pinguin
Der Kristallwald
Der Krokus und das Schneeglöckchen
Der Lebkuchenmann
Der Weihnachtsbäcker Honigmund
Die Erfindung des Herbstes
Die Fee Mirabella
Die Flut
Die kleine Fledermaus
Mausohr und die dicken Brummer
Mausohr und das Sommerhaus
Irma und der Pelikan
Molly das Nilpferd
Du bist fremd hier
BREITSCHWANZ DER BIBER
Der Fuchs und der Habicht
Bärenhunger
Impressum – Kontakt

Hans-Joachim Rech

Impressum

Covergestaltung: andersseitig

Digitalisierung: andersseitig

© 2022 andersseitig

ISBN

9783966511742 (ePub)

andersseitig Verlag

Dresden

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Alles wird wieder grün

Die vielen Autos machen uns krank an Leib und Seele. Sie lärmen, stinken, verursachen Dreck, fahren Tiere und Menschen tot. Die Straßen überspannen das Land wie ein Spinnennetz, in dem alles Lebende gefangen ist. Deshalb ist es sehr wichtig, dass ihr eure Füße und Beine benutzt, um euch zu bewegen, dass ihr wandert, mit dem Fahrrad fahrt -  aber vor allem auf euer Herz hört und euren Verstand benutzt. Im nahen Stadtpark brütet in jedem Jahr eine Nachtigall. Ihr Gesang erfreut die Menschen, die im Stadtpark spazieren gehen und versuchen sich zu erholen. Doch mit den Jahren wird es immer schwieriger die Nachtigall zu hören. Von der nahen Straße dröhnt der Lärm der Autos in den Park hinein, und die Nachtigall kann sich kaum noch selbst hören, so laut ist es geworden. Die Menschen zucken nur mit den Schultern und gehen weiter ihrer Wege. Die Nachtigall jedoch wird immer wütender und singt sich die Seele aus dem Leib. Ihr klagender Gesang trägt der Wind an die Ohren des Waldmurms, eines großen und uralten Wesens, das sich im Boden, in den Wurzeln der Bäume, zwischen Sträuchern und Hecken verborgen hält und die Welt um sich herum mit Sorge betrachtet. Dem Waldmurm entgeht nicht das Klagen der Nachtigall, und so ruft der Waldmurm die Nachtigall zu sich.

"Du jammerst und klagst über das Elend im Stadtpark. Die Blechkisten stinken fürchterlich und machen einen Höllenlärm. Das möchtest du geändert haben, das kann ich verstehen. Ich könnte dir dabei helfen. Aber ihr Tiere des Waldes müsst euch alle einig sein. Du und alle anderen Vögel und alles was sich auf vier und mehr Beinen bewegt, ihr müsst mir in dieser wichtigen Angelegenheit vertrauen. Eure Aufgabe wird es sein alle Samenkörner des Waldes an einem Tag zu sammeln, über der breiten Straße fallen zu lassen und zu verstreuen. Wind und Wetter, Regen und Nebel werden unsere besten Verbündeten sein. Habt nur Vertrauen - habt Vertrauen."

Die Nachtigall macht alles so, wie es ihr der Waldmurm aufträgt. Sie fliegt eifrig durch den Stadtpark und erzählt allen Vögeln und Tieren des Waldes von ihrer Begegnung mit dem Waldmurm. Nun setzt ein Suchen und Sammeln ein, und bald schon tragen die Vögel und alle anderen Tiere so viel Samen wie sie tragen können zur breiten grauen Straße, die sich wie ein grauer böser Schnitt durch den Stadtwald zieht. Jetzt warten sie alle auf den Regen, den Nebel und natürlich -- auf den Waldmurm. Plötzlich fallen die ersten Tropfen auf die Blätter der Bäume, auf die Straße, wo die Blechkisten wie wild dahinsausen. Doch je mehr es zu regnen beginnt, um so langsamer werden die Autos und kommen bald völlig zum Stillstand. Nun lässt der Regen nach und hört ganz auf. Doch jetzt kommt der Nebel und die Stimme des Waldmurms ertönt aus dem Wald heraus. Alle Vögel und alle anderen Tiere fliegen und laufen los und werfen die Samenkörner auf die Straße zwischen die Autos und Menschen, die in ihren Blechkisten auf ein Ende des Nebels  warten. Als sich nach Stunden endlich der Nebel auflöst und die Sonne den Stadtpark und die Autobahn bescheint, ist von der breiten grauen Straße nichts mehr zu sehen. Alles ist grün und blüht wie nie zuvor. Aus den Autos heraus wachsen junge Bäume und die Menschen laufen zwischen Sträuchern und Büschen umher und lauschen dem Gesang der Nachtigall, deren Lied den ganzen Stadtpark erfüllt und von allen Menschen voller Freude gehört wird.

Das Geheimnis des Zauberers

In der kleinen Stadt Filigrania wohnen die Freunde Miriam, Luna und Max. Alle gehen in die selbe Schule und sitzen in der selben Klasse. Und nach der Schule spielen die drei fast jeden Tag miteinander. An einem schönen Sommertag, nur wenige Tage vor den großen Ferien, spazieren Miriam, Luna und Max durch die Straßen ihres Städtchens .

“Schau mal Luna, hier ist eine kleine Gasse. Die habe ich noch nie gesehen. Ob die neu ist?”

“Hm, ja - weißt du, das kann ich dir auch nicht sagen. Die Häuser sehen gar nicht neu aus, eher sehr alt. Was sagst du Max?”

Max besah sich die kleine Gasse, die zwischen den großen Häusern verschwand und irgendwo hinter den Mauern endete.

“Die ist bestimmt nicht neu. Wir haben Zuhause die gleichen Steine im Hof, und die sind sehr alt. Und schaut euch die Häuser an. Die sind ja alle schief und verfallen. Ich glaube, wir sollten nicht in die Gasse gehen. Lasst uns erst mit Tommy darüber sprechen. Vielleicht weiß der einen Rat.”

“Du hast sicher recht Max. Die Gasse mit den Häusern sieht richtig unheimlich aus. Und nirgendwo ist jemand zu sehen. Das ist doch seltsam. Komm – wir fragen Tommy.”

Miriam, Luna und Max drehten sich um und gingen die Straße zurück, auf der sie gekommen waren. Als sich Luna noch einmal umschaute, war von der Gasse nichts mehr zu sehen.

“Sie ist weg - da - da, so seht doch, die Gasse ist weg. Einfach verschwunden.”

Miriam, Luna und Max blieben wie angewurzelt stehen, während die Menschen um sie herum die Kinder gar nicht bemerkten und einfach weiter liefen, bepackt mit Taschen und Tüten.

“Das ist aber sehr seltsam. Wie kann eine Gasse so plötzlich verschwinden? Das gibt es doch überhaupt nicht. - Das müssen wir unbedingt Tommy erzählen. Vielleicht haben wir das alles nur geträumt?”

“Ach Miriam, wir spielen zusammen und laufen durch Filigrania. Heute morgen waren wir in der Schule, und du hast dir Schokolade auf dein Kleid gekleckert. War das auch ein Traum?”

“Nein Max, du hast ja recht. Die Gasse war da, ganz sicher. Und jetzt ist sie weg, wie durch Zauberei. Wir müssen zu Tommy gehen, am besten gleich.”

Dann machten sich die Freunde Miriam, Luna und Max auf den Weg zu Tommy, der in einer ruhigen Seitenstraße einen kleinen Laden und eine Werkstatt besaß. Tommy war Künstler und machte wunderschöne Figuren aus Holz. Vögel, die lebendig aussahen, Schmetterlinge wie aus dem Bilderbuch der Natur und stattliche Bäume, an denen richtige Blätter raschelten. Und manchmal blies Tommy ein Lied auf seiner alten Flöte. Dann verwandelte sich alles um ihn herum, die Holzvögel begannen zu fliegen und zu jubilieren, die Schmetterlinge flatterten durch die Luft und die Blätter der Holzbäume sangen im Wind ein zauberhaftes Lied.

“Puh - das wäre geschafft. Hoffentlich ist Tommy zu Hause. Sonst hätten wir den ganzen Weg umsonst gemacht” stöhnte Max.

“Was für schöne Figuren im Fenster stehen, und die vielen Tiere, die er aus Holz schnitzt. Unser Tommy ist ein ganz großer Künstler und ....”

Miriam stockte und sagte nichts mehr. Dann drückte sie ihre Nase ganz dicht an die Scheibe und sah mit großen Augen in den kleinen Laden von Tommy.

“Und was ist er noch?”

“Ach nichts, ich habe es vergessen. Komm - lass und  hinein gehen.”

Miriam ging zur Tür und drückte vorsichtig die Klinke herunter. Knarrend gab die alte Eichentür nach, und die bunten Windspiele die hinter der Glasscheibe hingen, begannen mit ihrem zarten Gesang.

“Tommy - bist du da? Wir sind es - Miriam, Luna und Max. - Hallo - Tommy - dürfen wir herein kommen?”

Zaghaft klang Miriams Stimme in dem kleinen Laden, der bis unter die Decke vollgestopft war mit allem, was ein Kinderherz begehrt. Da gab es wunderschön geschnitzte Vögel, große Bäume und Schmetterlinge. In den Regalen standen Igel, Pferde, Kühe, Nashörner und Giraffen. Ja sogar Blumen leuchteten in einer Vase gerade so, als ob sie eben erst aus dem Garten kamen. Und wie es nach Holz duftete. Die Kinder genossen es jedes Mal, wenn sie bei Tommy sein durften. So einen Laden gab es in Filigrania nicht noch einmal. An den Wänden klebten Heuschrecken, Spinnen und Krebse, als seien sie eben erst dort hinauf gekrabbelt. Von der Decke hingen bunte Bänder herab, die sich wie Regenbögen leicht im Luftzug bewegten. Die Windspiele wurden leiser und leiser, und der Duft aus zahllosen getrockneten Blüten schwebte wie ein feiner Schleier durch Tommys kleines Paradies.

“Was machen wir jetzt? Tommy ist wohl nicht da - oder?”

“Er muss hier sein, Luna, denn die Ladentür ist doch auf. - Komm - wir schauen einfach nach. Wenn er wirklich nicht Zuhause ist, dann schreiben wir ihm einen Zettel.”

Behutsam schritten die Kinder durch den Laden. Dann standen sie in Tommys Werkstatt. Die drei Freunde waren sprachlos, denn auf einem Tisch hatte Tommy Dutzende Figuren aufgebaut, eine schöner als die andere. Kraniche, Adler und Schwäne. Dazu zwei Tauben und Singvögel in den herrlichsten Farben.

“Ohhh -- ist das wunderbar. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wann hat Tommy die wohl geschnitzt?”

“Ich weiß es nicht, aber wenn er kommt werden wir ihn fragen. Du hast recht Luna, dass sind die schönsten Figuren, die Tommy jemals gemacht hat. Sicher ist er vom vielen Arbeiten müde und schläft."

"Dann wollen wir nicht weiter stören und nach Hause gehen. Vorher schreiben wir ihm aber noch einen Zettel. Damit er Bescheid weiß wann wir wiederkommen.”

“Gut Max, schreiben wir ihm einen Zettel. Dann freut sich Tommy. - Wo finde ich denn hier einen Bleistift. - Ach - da auf dem Tisch. - Und Papier ist auch da. - Was soll ich denn jetzt schreiben?”

“Frag doch einfach Miriam, die weiß immer einen guten Satz. - Luna - Miriam, kommt mal schnell her, hier steht noch etwas auf dem Tisch. Aber ich kann es nicht erkennen, weil ein Tuch darüber gedeckt ist. - Wollen wir nachschauen?”

“Hm-hm, lieber nicht - nachher ist Tommy böse, weil wir so einfach in seinen Sachen herumwühlen.”

“Luna - erstens wühlen wir nicht in Tommys Sachen herum, sondern sind sehr vorsichtig und behutsam. So wie immer. Und zweitens hat es uns Tommy ja auch erlaubt.”

“Wenn er da ist”

“Ja Miriam, wenn er da ist. Nur weil wir ihn nicht sehen heißt dass noch lange nicht, dass er nicht hier ist. Ich möchte ja nur das Tuch ein wenig anheben, mehr nicht. Also, habt keine Angst, ich mache bestimmt nichts kaputt.”

Vorsichtig kamen die Mädchen näher und sahen mit großen Augen an Max vorbei, wie dieser ganz behutsam das blaue Tuch mit den vielen goldenen Sternen anhob. Kleine Steine kamen zum Vorschein, dann ein Gehweg, ein paar alte Laternen, das erste kleine Fachwerkhaus, dann ein zweites, ein drittes und dann standen Miriam, Luna und Max vor jener Gasse, die sie heute bei ihrem Spaziergang durch die Stadt entdeckten.

“Schnell, decke es wieder zu! Ich habe Angst!”

Rasch zog Miriam das blaue Tuch mit den goldenen Sternen über die kleinen Häuser, und ehe sie sich versahen, waren sie auch schon verschwunden.

“Was - was war das?” stotterte Luna.

“Das sah so aus wie die Gasse, die wir heute gesehen haben. Aber - das gibt es doch gar nicht, das ist ja wie...”

“Wie Zauberei - nicht wahr!”

“Aaahahhh-hiiiii” kreischten die Kinder wie wild.

“Oh-oh-oh - wer schreit denn da so laut? Da wird man ja glatt taub.”

Schlotternd vor Schreck standen Miriam, Luna und Max vor dem Tisch mit dem blauen Tuch und den vielen Sternen.

“Wer - wer - wer bist du? Doch - doch nicht Tommy?”

“Hahaha - nein, ich bin nicht Tommy. Aber Tommy ist ein guter Freund von mir. Doch zur Zeit ist er leider nicht erreichbar. - Ach so - wie unhöflich von mir - mein Name ist Bonalibona. Ich bin ein Zauberer. Und wer seid ihr?”

Die drei Freunde brachten vor Überraschung und staunen kein Wort heraus.

“Na - was ist los, hat es euch die Sprache verschlagen? Seid ihr etwa noch nie einem Zauberer begegnet? - Oh je - oh je, und das ausgerechnet mir, dem großen Bonalibona. Aber - ich vergebe euch, schließlich seid ihr nur einfache Menschen. -- Lasst mich raten - wie könntet ihr heißen, etwa Miriam, Luna und Max?”

“Ja - ja, aber woher weißt du... und wo bist du überhaupt?”

“Sehr gut - sehr gut, dass war nur ein kleiner Beweis meiner zauberischen Fähigkeiten. Wo ich bin wollt ihr wissen? Nun - dann schaut euch doch um. Ich bin überall da zu finden, wo die Menschen noch Träume haben und an Wunder glauben. -- Hahaha - dieser Satz war gut - nicht wahr. - Aber ich sehe schon, ihr sucht an den falschen Stellen. Damit ihr euer halbes Leben nicht damit zubringt, will ich euch ein wenig helfen. Da liegt so ein blaues Tuch mit goldenen Sternen auf dem Tisch, wenn ihr das einfach beiseite....”

 “Was - wie - wo - du liegst - du bist - du stehst unter dem blauen Tuch?”

“Na klar - oh Mann, was seid ihr heute schwierig. Womit habe ich das verdient, ich - der große Bonalibona. - Aber das ist wohl mein Schicksal, mich mit begriffsstutzigen Menschen herumzuplagen.”

“Wir sind überhaupt nicht begriffsstutzig - wir sind die besten Schüler in unserer Klasse. So - jetzt weißt du es!”

“Die besten Schüler seid ihr - in eurer Klasse. Na und - was ist das schon. Was ist eine Menschenklasse gegen die Hohe Schule der Zauberer und Magier - nichts - nichts - nichts!!! - So - jetzt wisst ihr es. - Ja - nun nehmt endlich das blaue Tuch weg - sonst schlaft ihr mir noch ein. Und das würde Tommy überhaupt nicht verstehen - dass Kinder bei mir einschlafen. - Na los - oh-oh, ein bisschen mehr Bewegung - wenn ich bitten darf. Schließlich erlebt ihr Bonalibona den Zauberer - live. Das ist etwas anderes als stundenlang auf die Glotze starren.”

“Erstens starren wir nicht stundenlang auf die Glotze und zweitens könntest du ruhig etwas freundlicher sein - findest du nicht?” rief Miriam.

“Freundlicher - habe ich freundlicher gehört. Ja - da hört sich doch alles auf. Ich - der große Bonalibona - ich - der große Zauberer - soll unfreundlich sein - und das zu Kindern? --- Lasst das ja nicht Tommy hören. Der hätte dafür überhaupt kein Verständnis. - Ich gebe ja zu, manchmal habe ich so eine Art - aber das ist ganz lieb gemeint - Hand aufs Herz. In Wirklichkeit bin ich ein ganz lieber Zauberer, viel zu lieb. Das ist mein Problem. Als Zauberer musst du ernst genommen werden, und wenn du nur lieb bist, dann lachen die Leute über einen und reißen Possen. Das kann ich mir nicht erlauben. Deshalb haue ich von Zeit zu Zeit auf den Putz - so sagt ihr Menschen doch - nicht wahr? - Also nehmt mich so wie ich bin, dann kommen wir gut miteinander aus. - Na was ist denn nun, wollt ihr mich unter meinem blauen Tuch vertrocknen lassen?”

“Ist ja schon gut, rege dich bloß nicht auf, wir nehmen das Tuch ja weg.”

Miriam, Luna und Max zogen fast gleichzeitig an dem blauen Tuch mit den goldenen Sternen, und im selben Augenblick standen sie mitten in der alten, schmalen Gasse mit den alten, windschiefen Häusern.

“Wauuu - das ist ja - oh Mann, so was habe ich ja noch nie erlebt - phantastisch - das glaubt uns kein Mensch” riefen Miriam, Luna und Max.

“Hallo Freunde - hier bin ich. Schön das ihr gekommen seid. - Gestatten, Bonalibona, seines Zeichens größter Zauberer und Magier der Filigraner Märchenwelt. Willkommen im Sternstaubdorf.”

“Also das ist - ja - wir wissen einfach nicht, was wir sagen sollen. Mann oh Mann, ist das eine Überraschung. - Und du, du bist Bonalibona, der große Zauberer und Magier?” wollte Luna wissen.

“Mit Verlaub meine Freunde, bei aller Bescheidenheit, ich bin es mit Leib und Seele!”

In der kleinen alten Gasse mit den alten, windschiefen Häusern kam Miriam, Luna und Max der Zauberer Bonalibona entgegen. Auf seinem Kopf trug er einen großen Hut mit einer Feder, und um seine Schultern hatte er einen goldenen Umhang geschlungen. Aus langen weiten Ärmeln ragten die Hände heraus, deren Finger von diamantenen Ringen nur so funkelten. Um seinen Leib wand sich ein breiter Ledergürtel, in dem ein Degen befestigt war. Auf seiner Nase saß eine Brille, hinter der zwei funkelnde, fröhliche Augen blitzten.

“Du - du bist wirklich der Zauberer?” fragten die Kinder ungläubig.

“Natürlich bin ich der Zauberer Bonalibona, wer sollte ich sonst sein? Wer sonst außer mir könnte solche Dinge vollbringen? Habt ihr eine Ahnung wo wir euch hier befindet? - Nein - woher auch. So etwas lernt ihr in der Schule nicht mehr - das ist nicht  IN - oder so? Aber davon später. Da drüben, da steht mein Haus. Wenn ich bitten darf!”

“Was denn, in dieser Bruchbude wohnst du? Und das als Zauberer? Ist ja kaum zu glauben!” staunte Luna.

“Ach Max - ihr Menschen macht immer die gleichen Fehler. Ihr beurteilt das was ihr seht nach dem Schein und nicht nach seinem wahren Wert. - Warum falle ich auch immer wieder auf Kinder rein? - Sie sind nicht anders als ihre Eltern, kurzsichtig, überheblich und herablassend.”

“Sind wir nicht, sind wir nicht - bäh,” riefen die Kinder.

”So - und nun zeig uns dein Haus, wir wollen endlich wissen wie du wohnst. - Und noch was - wieso siehst du aus wie ein Fuchs?” fragte Max

“Wie ein Fuchs - ich sehe aus wie ein Fuchs? Ja - ja - ja das hat mir noch niemand gesagt. Das ist doch...”

“Rege dich bloß nicht schon wieder auf, wir mögen Füchse, weil sie schlau sind und sehr viele Tricks kennen. Außerdem siehst du sehr gut aus in deiner Kleidung” rief Miriam.

“Ach - wirklich - ich sehe gut aus? - Natürlich sehe ich gut aus, was habt ihr denn gedacht. Füchse haben Eleganz, Flair und diese natürliche Erhabenheit, die nur uns zu eigen ist. - Aber das mit den Tricks, das vergesst ganz schnell. Ich übe keine Tricks aus, sondern beste Zauberei. Ich habe Prüfungen abgelegt vor den höchsten Herren - und immer bestanden. - So - und nun tretet ein in mein bescheidenes Zuhause.”

Knarrend öffnete sich in dem alten windschiefen Haus die eichene Tür, vor dessen Eingang die Spinnweben im Dutzend herunter hingen.

“Entschuldigt, aber meine Haushilfe hat einen längeren Urlaub genommen. Die Gute steht seit dreihundertfünfundsiebzig Jahren in meinen Diensten. Da sind ein paar freie Tage durchaus gerecht."

"Hier und da ein wenig Staub gewischt, ein Fenster geöffnet, ein paar Blumen, und schon sieht die Welt wieder ganz anders aus. - Nehmt Platz meine Freunde, setzt euch und schließt für einen Augenblick die Augen. - So ist es recht. Aber nicht schummeln.”

Bonalibona holte aus seinem goldenen Mantel einen silbernen Stab heraus, zog ihn sachte dreimal durch die Luft und rief dann laut

“Salamanka - balanka - Karamanka”

Im gleichen Augenblick wurde aus dem alten windschiefen Haus mit den verstaubten Möbeln und schmutzigen Fenstern ein stattliches Anwesen, in dem es nur so blitzte und funkelte. An einem großen Tisch saßen Miriam, Luna und Max gemeinsam mit dem großen Zauberer Bonalibona, der wie ein König auf seinem Sessel thronte und sich über die Gesellschaft der Kinder freute.

“Wauuu - das ist ein Ding, so was habe ich ja noch nie gesehen. Das ist ja richtige Zauberei. Wie machst du das nur - komm - erzähle uns wie du Zaubern gelernt hast!”

baten die Freunde Miriam, Luna und Max den Zauberer Bonalibona.

“Hm - ihr wollt von mir wissen, wie ich zaubern gelernt habe? - Ich glaube, diesen Wunsch kann ich euch nicht erfüllen, denn das ist eines der geheimsten Geheimnisse aller Zauberer. Wer das preisgibt, verliert all seine Zauberkräfte und bleibt zeitlebens ein Ausgestoßener. Aber ich kann euch eine Geschichte oder zwei oder drei erzählen, und wenn ihr genau acht gebt, dann könnt ihr euch vielleicht vorstellen, wie zaubern geht. - Das ist alles, was ich euch dazu anbieten kann."

"Aber jetzt greift zu meine Freunde, esst und trinkt und lasst es euch gut gehen. Auf unsere Freundschaft. Möge sie für immer bestehen und niemals in Vergessenheit geraten.”

Die Freunde aßen und tranken, und als sie keinen Bissen und keinen Schluck mehr herunter bekamen, stand Bonalibona auf und nahm neben dem Kamin in einem großen Sessel Platz.

“Nach solch einem Festmahl rauche ich immer die Pfeife. Dann fallen mir ständig neue Geschichten ein, die ich meinen Freunden in unserer Gasse erzähle. Bald wird es Abend, dann werden die Laternen entzündet und aus den Häusern ertönt leise Musik oder der Gesang der Kinder, die ein Schlaflied singen. Kommt zu mir, ich will euch eine Geschichte erzählen, die Geschichte dieser Gasse und der alten Häuser. Ihr sollt erfahren, wie alles angefangen hat, damals, vor vielen hundert Jahren, als undurchdringlicher Urwald das Land bedeckte und die Sonne nur selten bis auf den Waldboden fiel. Hier an diesem Ort, wo heute die Häuser stehen, erhoben sich einst die Könige des Waldes, riesige Eichen, die mit ihren Kronen den Himmel berührten. Durch die Wälder streiften gewaltige Tiere, und in den Höhlen und Schluchten hausten furchterregende Drachen. - Ja - ja, so war das damals!”

Miriam, Luna und Max rückten ganz dicht zusammen und lauschten den Worten des großen Zauberers Bonalibona, aus dessen Pfeife dichter weißer Rauch stieg und das ganze Haus mit seinem Duft erfüllte.

“Und weiter - was war noch in diesen Wäldern?” flüsterten Miriam, Luna und Max.

“Was noch in den Wäldern war möchtet ihr wissen? - Dann passt gut auf, ich werde es euch erzählen. Und später werdet ihr alles vergessen und euch trotzdem daran erinnern, so wahr ich Bonalibona, der große Zauberer und Magier bin.”

Bonalibona lehnte sich in seinen Sessel zurück, nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und schloss langsam die Augen. Es wurde ganz still um Miriam, Luna und Max. Nur das Ticken der großen Standuhr hallte wie silbernes Plätschern durch den Raum.

“Vor langer, langer Zeit gab es hier nur Wald. So weit das Auge reichte bedeckten endlose Wälder den Boden der Welt. Wollten die Menschen den Himmel sehen, dann mussten sie an den Bäumen hinauf klettern bis in höchste Höhen. Dort brauste der Wind und riesige Adler bauten ihre Nester in die Äste der Urwaldriesen. Von Zeit zu Zeit stürzte ein Baum um, sei es aus Alter oder weil ihn der Blitz traf. Dann öffnete sich über dem dunklen Grund ein Fenster, durch das helles, leuchtendes Sonnenlicht bis in die Erde drang. An einem solchen Tage, als wieder einmal ein Sturm tobte und die Gewitter wie Wellen eines Meeres über die Welt jagten, da geschah es - plötzlich - furchtbar - gewaltig!!”

Miriam, Luna und Max zuckten zusammen und drückten sich so dicht aneinander, dass jeder des anderen Herz klopfen hörte.

“Wa - wa - was geschah denn - denn - so furchtbares?” stotterte Luna.

Bonalibona schmauchte den Tabak seiner Pfeife, fuhr leicht mit der Hand durch die Luft und legte seinen Mantel zurecht.

“Aus der Wolken tiefschwarzer Seele fuhr ein ungeheurer Blitz zur Erde nieder, heller und brennender als alle Blitze der Welt zusammen. Wie ein feuriges Schwert jagte sein flammender Atem durch die Luft - und dann -”

“Und dann---?” flüsterte Max.

“Und dann -- ihr wollt wissen was dann geschah? - Nun gut - so will ich denn berichten. - Es krachte, splitterte und klirrte, dass einem die Ohren schier zerspringen wollten. Uralte Bäume wurden im Dutzend aus der Erde gerissen, die Felsen zerbarsten und die Erde glühte wie das Abendlicht der Sonne. Überall war nur Feuer und Rauch, und das qualvolle Geschrei der sterbenden Freunde hallte durch die Nacht. Der Regen stürzte in unvorstellbaren Strömen vom Himmel, und bald schon stieg das Wasser in den Flüssen und drang weit in den Urwald vor. Die Flammen des brennenden Waldes loderten weithin sichtbar, aber der prasselnde Regen ließ die wütende Glut erlöschen. -- Dann wurde es still im Wald, sehr still. Eine riesige Wunde klaffte im Leib der Erde, und das Licht des Mondes tauchte den Ort der Verwüstung in silbernes, gespenstisches Licht.”

Bonalibona wandte seinen Kopf und schaute aus dem Fenster hinaus in eine weite ferne Welt. Schwer lastete die Erinnerung an jene Tage auf seinen Gedanken. Der Atem des Zauberers klang wie das wehmütige Klagen eines Kindes, das sein liebstes Spielzeug verlor. Dann murmelte er einige Worte, die Miriam, Luna und Max aber nicht verstanden. Noch bevor die drei Freunde irgend etwas sagen konnten, fuhr Bonalibona in seiner Erzählung fort.

“Nachdem alles zur Ruhe gekommen war, das Wasser der Flüsse zurückging und das Licht des hellen Tages über die Welt floss, zeigte sich das ganze Ausmaß der Vernichtung. Kein Baum, kein Strauch, keine Blume und kein Tier fanden sich an jenem Ort, wo Tage zuvor noch blühendes Leben herrschte. Es war ein trostloser Anblick - meine Freunde, ein sehr trostloser Anblick. -- Mutlosigkeit breitete sich aus, denn so etwas hatten wir, die Bewohner des Waldes, noch niemals zuvor erlebt. Was sollte geschehen? - Niemand wusste darauf eine Antwort. So ging die Zeit ins Land, und wir hatten uns alle damit abgefunden, dass diese grässliche Narbe uns für den Rest unseres Lebens begleiten würde. Aber dann - wie durch Zauberhand, hihihi - jawohl meine Freunde, so könnte man es auch sehen, begann hier und da neues Leben zu sprießen. Erst langsam und zaghaft, dann schneller und mutiger, und plötzlich, wie über Nacht, war alles wieder grün. Es war wie ein Wunder - meine Lieben, einfach unbegreiflich. Die fürchterliche Wunde, die Blitz und Sturm der Welt schlugen, verschwand unter einem weichen Teppich aus duftenden Blumen und Gräsern. Denn eines müsst ihr euch stets bewusst machen - das Leben überall auf dieser Welt und an allen Orten im unendlichen Universum findet stets seinen Weg. Und dann - -”

“Ja - was dann” flüsterten die drei Freunde voller Spannung,

“was war dann?”

Bonalibona erhob sich aus seinem Sessel, der sich knarrend und knackend vom Gewicht des Fuchses befreit sah, schritt bedächtig zu einem Wandschrank, nahm eine silberne Dose heraus, und ging zu seinem Sessel zurück. Ohne ein Wort zu sagen klopfte er seine Pfeife aus, nahm behutsam den duftenden Tabak in seine Finger und stopfte ihn vorsichtig in den Pfeifenkopf. Er entzündete ein Streichholz, und paffend blies der Zauberer die ersten Wolken in den Raum. Genüsslich legte er sich in den Sessel zurück, schloss die Augen und ließ sich vom duftenden Tabakrauch umhüllen.

“Welch eine Freude - Kinder, ich sage euch, die Tabakpfeife ist eines der schönsten Geschenke der Welt an die Menschen. Aber nur die wenigsten wissen mit dieser Gabe würdig umzugehen. Wie mit den meisten anderen Dingen. So ist das, leider. - Ja - ja, die Welt könnte so schön sein, das Leben friedlich und alle glücklich und zufrieden. - Könnte - meine Freunde - könnte. -- Aber sie ist es nicht” fauchte der Zauberer laut, dass Miriam, Luna und Max fürchterlich erschraken.

“Was - was - was ist denn - wa - wa - warum bist du denn so...”

“Oh - oh - meine lieben Freunde, bitte habt Nachsicht mit einem alten vertrottelten Zauberer. Entschuldigt meinen Zorn, meine Unbeherrschtheit. Sie sind eines Zauberers meines Standes gänzlich unwürdig. Das ist etwas für die unteren Gehilfen, nicht aber für einen Meister.  - Es ist nur, zuweilen ärgere ich mich über die Unvollkommenheit,  ja - das ist es - die Unvollkommenheit die uns allen - ich meine den meisten - zu eigen ist - leider. Und ich - der große Bonalibona fühle mich verpflichtet - jawohl verpflichtet - den arroganten, besser wissenden, überheblichen und undankbaren Menschen jenen Weg aufzuzeigen, der auf den Pfad der Tugend führt. - Na ja - viel Hoffnung habe ich nicht, aber unsereins hat schließlich seinen Stolz - nicht wahr. - Bei euch - denke ich, könnte es noch ... wir werden sehen, wir werden sehen. - - Wo war ich stehen geblieben?”

“Wo du was warst?”

“Ooohhh - ist das nervig. Könnt ihr euch denn nicht einmal merken was ich zuletzt gesagt habe? Alles muss man selber machen. Es ist aber auch zum auswachsen!”

“Das ist aber nicht fair - jetzt bist du überheblich - damit du es weißt. Warum sollen wir uns merken was du zuletzt gesagt hast? Schließlich hast du uns in dein Haus geholt um uns zu erzählen, was damals hier im Wald geschah - oder?”

“Das ist - das ist doch - ja da hört sich doch alles auf. Ich - der große Bonalibona und überheblich? Ja - also - das hat mir noch niemand gesagt.  Stolz bin ich - wie es mir zusteht. Erhaben - das ist meine Natur, weise und gerecht - so sind meine Worte. Aber überheblich. Ich hätte nicht übel Lust euch in Kröten oder Kellerasseln zu verwandeln für eure Frechheiten. -- Dass ich es nicht tue verdankt ihr einzig und allein der Tatsache, dass ihr Kinder seid und ich euch mag. Und jetzt spitzt eure Ohren und hört genau zu was ich euch sagen werde über den Wald, diesen Ort und was hier vor vielen, vielen Jahren geschah.”

Bonalibona knurrte nach Fuchsart etwas in seinen Schnurrbart, nahm in seinem Sessel Platz, legte den blauen Mantel mit den goldenen Sternen über seine Beine, paffte ein paar dicke Wolken in die Luft und lehne seinen Kopf zurück an das weiche Polster.

“Zuerst haben wir es nur gehört. Ganz leicht, wie das Säuseln des Windes. Aber mit jedem Herzschlag wurde dieser Ton kräftiger, intensiver, ausdauernder. Es tönte mit einem Male wie Trompetenklang. Und dieser Klang kam genau auf uns zu. Meine Freunde und ich, wir hatten uns auf jener Lichtung versammelt, von der ich euch eben erzählte. So konnten wir am Tage den blauen Himmel sehen und in der Nacht die Sterne bewundern. Nun überkam uns eine schreckliche Angst, denn solch einen Ton hatten wir nie zuvor vernommen. Immer lauter und wilder scholl es durch die Lüfte, auf und ab, als gäbe es auf dieser Erde nur noch diesen einen Ton. Wir verstanden unser eigenes Wort nicht mehr und duckten uns in das hohe Gras. Plötzlich bedeckten riesige Schatten unsere grüne Insel inmitten des tiefen Waldes. Wir wagten nicht unsere Augen zu erheben, geschweige denn uns zu bewegen.”

Bonalibona atmete tief aus und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Dann nahm er ein paar kräftige Züge aus der Pfeife. Miriam, Luna und Max sagten kein Wort und kuschelten sich ganz eng aneinander unter eine Decke auf das dicke Sofa. Mit großen Augen sahen sie auf den Zauberer, der in seinen blauen Mantel gehüllt, wie ein König in seinem Sessel thronte.

“Ihr fürchtet euch doch nicht - oder? Ich kann euch ja kaum noch sehen. - Hihihihi - ja - ja, so ist das mit den alten Geschichten. Keiner nimmt sie ernst oder glaubt daran, doch wenn man sie erzählt, zittern alle vor Angst. - Schnick - schnack - es gibt keinen Grund Angst zu haben, jedenfalls nicht jetzt. Damals jedoch - ich meine - als meine Freunde und ich das erste Mal diese großen Schatten sahen und diese Töne vernahmen, da war das schon etwas anderes. Ich war ja fast noch ein Kind - ein Zauberlehrling - und hatte keine Ahnung von den Dingen in der Welt. - Aber heute - es ist langweilig geworden - es gibt nichts mehr zu zaubern - alles machen diese blöden Computer. Weil die Menschen träge wurden, sie wollen nicht mehr träumen - haben keine Fantasie mehr. Und das Ende vom Lied - die Märchen sterben aus - und mit ihnen die Zauberer, Elfen, Feen, Trolle, Gnome und Riesen. Es ist ein Verhängnis - jawohl - ein richtiges Verhängnis. Aber Gott sei Dank gibt es ja noch mich, den großen Bonalibona, den Meister aller Zauberer und Magier. - Wo war ich noch stehen geblieben? - Richtig - bei den großen Schatten. - Nun alles klärte sich im Nu auf, denn die Schatten waren nichts anderes als Kraniche, die auf der Lichtung landeten. Und mit den Trompetenrufen begrüßten sie sich und den nahenden Frühling. Das ist alles. He - was ist los? Hat es euch die Sprache verschlagen? Na los ihr Hasenfüße, kommt heraus unter eurer Decke - hahahaha!”

Bonalibona schüttelte sich vor lachen, und sein großer Hut wackelte wie ein Pudding auf dem Teller. Vorsichtig steckten die Kinder ihre Nasen unter der Decke hervor. Da saß er nun, der große Zauberer und Magier und bekam kaum noch Luft vor lauter Lachen. Miriam, Luna und Max schauten sich an. Das war ihnen ja noch nie passiert. Da sitzt ein Zauberer und erzählt ihnen Geschichten, und sie verstecken sich vor Angst unter einer Decke.

“Was - was - was sind wir doch für Hasenfüße. Es ist doch bloß eine Geschichte. -- Schaut nur, draußen gehen die Laternen an. - Oh Gott, wie spät ist es überhaupt. Wir müssten doch längst Zuhause sein” flüsterte aufgeregt Luna.

“Dann kommen wir eben etwa später. Schließlich haben wir in ein paar Tagen sowieso Ferien. - Ja - das ist doch, wauu - schaut euch das an. Da kommen Menschen aus den Häusern. Und wie die alle aussehen. Seht nur, die Kleider - wie von früher” rief Max laut.

“Das ist ja fast wie im Märchen” hauchte Miriam.

“Ja - ja, fast wie im Märchen. Ist das alles was ihr dazu sagen könnt “fast wie im Märchen? Oh je, womit habe ich das nur verdient. Da gibt sich unsereins die größte Mühe, zaubert bis die Socken qualmen und was ist der Dank? -- Es hat keinen Zweck - oder ich bin zu alt geworden. -- Aber eins sage ich euch, glaubt ja nicht, dass ich euch noch Mal in mein Haus einlade. Nie mehr. So - und jetzt geht nach Hause, zu euren Eltern, in die keimfreien Wohnungen mit den weißen, leblosen Wänden. Da warten schon die Glotzen auf euch mit der Berieselung. Die erzählen euch dann die wahren Märchen des Lebens. - Na los, worauf wartet ihr noch - geht schon. Ich muss mich um meine Freunde kümmern.”

Bonalibona huschte zur Tür, riss sie mit einem Schlag auf, und bevor Miriam, Luna und Max noch etwas sagen konnten, saßen sie auf dem Gehweg, wo die Menschen der Stadt, bepackt mit Tüten, Taschen und Körben an ihnen vorbei rannten. Niemand achtete auf die Kinder, die mit großen Augen diesem seltsamen Treiben zusahen. Miriam, Luna und Max blickten sich nur an. Langsam drehten sie sich um. Von der schmalen alten Gasse mit den windschiefen alten Häusern war nichts mehr zu sehen, nur das Getrappel der Füße vieler Menschen hallte wie ein bedrohlich nahendes Unheil über ihre Köpfe hinweg.

“Einfach unglaublich - das gibt es doch überhaupt nicht. Das ist ja wie im Märchen” stieß Max stotternd hervor,

“so was habe ich noch nie erlebt. Das glaubt uns kein Mensch.”

“Aber wir glauben es, und das sind schon drei Menschen. Und andere Kinder werden es auch glauben. Wir müssen es nur richtig erzählen. Du wirst sehen, bald werden viele Kinder in die alte Gasse mit den windschiefen alten Häusern gehen. Dann wird Bonalibona auch nicht mehr verärgert sein. Ich kann ihn verstehen, er hat sich wirklich große Mühe gegeben - und wir? Wir haben nur da gesessen und an ihm und seinem Leben herumgemäkelt. Ich kann ihn verstehen. - Kommt - gehen wir heim.”

“Meinst du wirklich Max, wir werden Bonalibona wiedersehen?”

“Da bin ich ganz sicher Miriam. Und du Luna, mache nicht so ein trauriges Gesicht. Eigentlich war es doch sehr lustig bei dem alten Fuchs, findet ihr nicht. Wie er uns begrüßt hat, in seinem blauen Mantel mit den goldenen Sternen.”

“Und sein großer Hut mit der langen Feder” kicherte Luna.

“Da ist ja schon Tommys Laden. Ob er wohl in der Werkstatt ist?”

“Vielleicht Luna, aber wir werden Tommy heute nicht mehr besuchen. Es ist schon spät. Unsere Eltern warten bestimmt schon mit dem Essen.”

“Ach was Miriam, ich habe überhaupt keinen Hunger. Das waren aber auch leckere Sachen, die uns der Zauberer zu essen gegeben hat.”

“Na seht ihr, die Tür ist zu und alles dunkel. Tommy ist nicht mehr da. Vielleicht treffen wir ihn morgen oder nächste Woche. Die Märchen laufen uns nicht weg, wenn wir nur fest daran glauben.”

“Du hast recht Max, wir müssen nur daran glauben. - - Also dann Tommy, bis nächste Woche. Und bestelle Bonalibona viele Grüße von uns. Wir kommen ihn bald wieder besuchen” riefen Luna und Miriam wie aus einem Mund.

In Tommys Werkstatt war alles still. Auf dem großen Tisch standen die geschnitzten Tiere, Bäume und Menschen ganz ruhig beieinander. Über der kleinen alten Gasse mit den windschiefen alten Häusern wölbte sich der dunkle, sternklare Himmel. Aus den winzigen Fenstern fiel das Licht zahlreicher Laternen auf das Pflaster der Gasse. Ganz leise erklang das Gemurmel von Stimmen, eine Katze miaute und die Glocke der Turmuhr schlug mit hellem Klang.