Der Himmel über Island - Svea Linn Eklund - E-Book
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Der Himmel über Island E-Book

Svea Linn Eklund

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Beschreibung

Auf dem Hof ist es still geworden, seitdem Unnurs und Heklas Mutter gestorben ist … bis überraschend zwei neue Gäste in der Pension auftauchen: Sie wirbeln nicht nur den beschaulichen Alltag durcheinander, sondern auch die Herzen der ungleichen Schwestern. Die verträumte Unnur bildet sich ein, dass der deutsche Journalist Max ihr jüngst prophezeiter Seelenpartner sein könnte – und übersieht dabei völlig, dass ihr Nachbar Magnus sie schon seit Jahren liebt. Hekla hingegen sucht gar keinen Mann, doch dann läuft ihr im Schneesturm der charmante Däne Henrik vor den Wagen. Ein Wink des Schicksals? Oder hat Henrik etwas mit dem großen Bauprojekt beim Elfenhügel zu tun, das Hekla unbedingt verhindern will? Ein bewegendes Leseerlebnis, das mit Romantik, Nordlichtern und den Sagen um das geheimnisvolle kleine Huldufólk begeistert. • Ein Sehnsuchtsroman über einen alten Hof in Island, ein ungleiches Schwesternpaar und zweite Chancen für die Liebe. • Hygge & Wohlfühlen für Fans von Kiri Johansson und Miriam Covi.

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Seitenzahl: 487

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Über dieses Buch:

Ein alter Pferdehof, der zum Wohlfühlort für Islandbesucher werden könnte …

Auf dem Hof ist es still geworden, seitdem Unnurs und Heklas Mutter gestorben ist … bis überraschend zwei neue Gäste in der Pension auftauchen: Sie wirbeln nicht nur den beschaulichen Alltag durcheinander, sondern auch die Herzen der ungleichen Schwestern. Die verträumte Unnur bildet sich ein, dass der deutsche Journalist Max ihr jüngst prophezeiter Seelenpartner sein könnte – und übersieht dabei völlig, dass ihr Nachbar Magnus sie schon seit Jahren liebt. Hekla hingegen sucht gar keinen Mann, doch dann läuft ihr im Schneesturm der charmante Däne Henrik vor den Wagen. Ein Wink des Schicksals? Oder hat Henrik etwas mit dem großen Bauprojekt beim Elfenhügel zu tun, das Hekla unbedingt verhindern will?

Ein bewegendes Leseerlebnis, das mit Romantik, Nordlichtern und den Sagen um das geheimnisvolle kleine Huldufólk begeistert.

Über die Autorin:

Svea Linn Eklund ist nahe der dänischen Grenze aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg und schreibt Drehbücher und Romane, unter anderem auch unter dem Namen Mia Löw. Ihre Bücher spielen an den unterschiedlichsten Plätzen der Welt, die sie sich danach aussucht, ob sie vor Ort gern recherchieren würde.

Svea Linn Eklund veröffentlichte bei dotbooks auch ihren Roman »Rückkehr nach Island«.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Oktober 2023

Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Nordlichtherzen« bei Piper und 2021 unter dem Titel »Liebeswunder auf Isländisch« bei couchbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2017 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive

von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-026-4

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Svea Linn Eklund

Der Himmel über Island

Roman

dotbooks.

Durch den Wald, im Mondenscheine,

Sah ich jüngst die Elfen reuten;

Ihre Hörner hört ich klingen,

Ihre Glöckchen hört ich läuten.

Ihre weißen Rößlein trugen

Güldnes Hirschgeweih und flogen

Rasch dahin, wie wilde Schwäne

Kam es durch die Luft gezogen.

Lächelnd nickte mir die Königin,

Lächelnd, im Vorüber reuten.

Galt das meiner neuen Liebe,

Oder soll es Tod bedeuten?

Heinrich Heine

Kapitel 1

Dreizehn Weihnachtskerle

Hekla Gunnarsdóttir staunte, als sie ihren Blick aus dem Küchenfenster über die schneebedeckten Lavafelder, die vom fahlen Licht des Vollmonds angestrahlt wurden, bis zu den weißen Gipfeln der Berge schweifen ließ. Am Tag zuvor hatte ihre Schwester Unnur noch beklagt, dass der Winter dieses Jahr im Südwesten Islands sehr launisch wäre und es kein einziges Mal richtig geschneit hätte. Nun war alles mit einer glitzernden Schicht überzogen, als hätte jemand nachts Tonnen an Puderzucker über die Landschaft gestreut.

Seit dem Tod ihrer Mutter Helga war es Hekla, die morgens als Erste aus dem Bett kam. So fiel ihr auch Helgas Aufgabe zu, das Frühstück für die Familie zu machen. Auf dem Hof lebten drei Generationen unter einem Dach: außer Hekla ihre jüngere Schwester Unnur, ihr Vater Gunnar und Amma Martha, ihre Großmutter. Das gemeinsame Frühstück sowie das Abendessen an dem großen Holztisch in der geräumigen Küche war eine alte Familientradition.

Hekla wurde immer, wenn sie an ihre Mutter dachte und daran, wie schmerzhaft ihr die gute Seele fehlte, wehmütig und wütend zugleich. Dass sie bei einem derart dummen Unfall ums Leben gekommen war, hielt Hekla auch ein Jahr danach noch für eine maßlose Ungerechtigkeit des Schicksals. Wer starb schon, weil er am St. Thorlakurstag, dem 23. Dezember, beim Schmücken des Weihnachtsbaums von einer Leiter fiel?

Und nur, weil sie mit dem Kopf so ungeschickt auf den sündhaft teuren Werkzeugkasten, der festlich verpackt für ihren Mann Gunnar unter dem Tannenbaum gelegen hatte, aufgeschlagen war, dass sie sich das Genick gebrochen hatte. Energisch schob Hekla die Gedanken an den Tod fort, denn in so einem Augenblick war auch die Erinnerung an Dagur nicht weit. Doch Hekla hatte eine Methode entwickelt, die Verzweiflung nicht an sich herankommen zu lassen: Sie hielt die Luft an und zählte rückwärts beginnend bei zehn. Bei zwei hatten sich die aufkeimenden Bilder vom schrecklichsten Tag ihres Lebens in diffuse Schatten verwandelt.

Jedenfalls war im vergangenen Jahr das Weihnachtsfest ausgefallen. Ihr Vater hatte sogar den Tannenbaum, den er eigens in einer der raren Pflanzungen auf diesem sonst baumlosen Flecken Erde geschlagen hatte, in seinem Schmerz wie einen Delinquenten zur Hinrichtung gezerrt, um ihn dort anzuzünden, bis nichts mehr von ihm übrig geblieben war als ein paar Holzkohlestücke in einem grauen Aschehaufen.

Hekla konnte sich also kaum vorstellen, wie man nun in diesem Jahr fröhlich feiern sollte, doch Unnur hatte darauf bestanden, das Fest genauso zu begehen, wie Helga es gewollt hätte. Gunnar war Weihnachten nie besonders wichtig gewesen, aber er stimmte Unnur uneingeschränkt zu, dass alles im Sinn seiner verstorbenen Frau abzulaufen habe. Hekla vermutete, dass das seinem schlechten Gewissen geschuldet war, weil er Helgas unermüdlichen Einsatz für die Familie all die Jahre als selbstverständlich hingenommen hatte. Dass er sie, wenngleich auf seine spezielle Weise, geliebt hatte, daran zweifelte Hekla nicht. Aber er schien zu bedauern, dass er seinen Gefühlen allenfalls dann Ausdruck verliehen hatte, wenn er einen über den Durst getrunken hatte, was seine Frau gar nicht gut hatte leiden können. Hekla argwöhnte, dass er sein Versäumnis wiedergutmachen wollte, indem er die Weihnachtsrituale seiner Frau, die ihr stets so viel bedeutet hatten, nach ihrem Tod zu den seinen machte.

Seufzend wandte sich Hekla den zwei einzelnen Schuhen zu, die auf dem Fenstersims standen. Ihr eigener grober Wanderschuh wirkte merkwürdig deplatziert neben Unnurs elegantem Schaftstiefel. Hekla hatte am Tag zuvor vergeblich versucht, ihre Schwester zu überreden, sie wenigstens mit diesem Weihnachtsbrauch für Kinder zu verschonen. Es war nämlich ebenfalls ihrer Mutter zu verdanken, dass zwei erwachsene Frauen ihre Schuhe immer noch dreizehn Tage lang bis zum Heiligen Abend auf die Fensterbank stellten. Helga hatte darauf bestanden, ihren Töchtern der Tradition entsprechend in der Vorweihnachtszeit kleine Geschenke in den Schuh zu stecken. Solange wir unter einem Dach wohnen, seid ihr beiden meine kleinen Mädchen; und zu denen kommen auch die dreizehn Weihnachtskerle, hatte sie in ihrer bestimmenden Art angeordnet. Auch so eine Tradition, die man komplett in den Dienst des Konsumweihnachtens gestellt hat, ging es Hekla durch den Kopf. Als Volkskundlerin kannte sie die ursprüngliche Bedeutung der Weihnachtskerle nur allzu gut. Eigentlich waren die Burschen der Legende nach freche Trollkinder, die nur einmal im Jahr Ausgang aus der Höhle ihrer garstigen Mutter hatten und diese Freiheit dazu nutzten, den Menschen böse Streiche zu spielen. Wie der erste, Stekkjastaur, der sich angeblich aufmachte, um die Schafe in den Ställen zu ärgern und sich dann an ihrem erschrockenen Blöken zu erfreuen. Im Laufe der Zeit waren die hinterlistigen Kerle jedoch zu lieben Weihnachtsmännern geworden, deren größte Gemeinheit darin bestand, ungezogenen Kindern eine Kartoffel in den Schuh zu packen.

Widerwillig griff Hekla in ihren Schuh, denn Unnur erwartete mit Sicherheit, dass sie sich über das Geschenk des ersten Weihnachtsmanns Stekkjastaur auch gebührend freute. Und so wollte sie sich lieber mental auf das vorbereiten, was sie gleich aus dem Schuh ziehen würde, wenn ihre Schwester in der Küche auftauchte. Damit ihr nicht dasselbe widerfuhr wie vor zwei Jahren beim Anblick des Miniplüschelchs mit blinkenden Augen. Da war ihr nämlich vor Entsetzen ein ›O mein Gott!‹ herausgerutscht. Unnur hatte darüber zwar kein Wort verloren, aber ihren betroffenen Blick würde Hekla nicht so schnell vergessen. Also fasste sie in das Innere ihres Wanderstiefels und fühlte bereits ein kleines Paket in ihrer Hand, als ihr siedend heiß einfiel, dass sie schlichtweg vergessen hatte, etwas in Unnurs Schuh zu stecken. Hektisch blickte sich Hekla in der Küche um. Wie sollte sie bloß auf die Schnelle etwas Brauchbares auftreiben? Ihr Blick wanderte zu der Obstschale, aber eine Apfelsine und ein Apfel entsprachen mit Sicherheit nicht den Anforderungen ihrer Schwester. Da fiel Hekla die Dose mit dem Laufabrauö ein, das ihre Mutter noch kurz vor ihrem Tod gebacken hatte und das in der Weihnachtszeit in keinem isländischen Haushalt fehlen durfte. In den Teig aus Weizenmehl, den man vor dem Frittieren hauchdünn ausrollte, wurden kleine Muster geschnitzt. Bei ihrer Mutter waren es in uralter Familientradition die Sterne von Bethlehem gewesen, die den Teig in ein kleines Kunstwerk verwandelten. Allerdings hatte im vergangenen Jahr keiner die Lust verspürt, davon zu probieren. Aber weggeworfen hatten sie das Backwerk aus Pietätsgründen auch nicht.

Hektisch holte Hekla die Dose hervor, schnappte sich Unnurs Stiefel, in den sie so viele Kekse schaufelte, bis er ganz gefüllt war. Nachdem sie ihn auf die Fensterbank zurückgestellt hatte, griff sie erneut in ihren Wanderschuh und zog ein liebevoll verpacktes Geschenk heraus. Wie bei ihrer Schwester nicht anders zu erwarten, war es in Papier gewickelt, auf dem kleine weihnachtliche Elfen abgebildet waren. Denn Elfen waren nun einmal Unnurs Passion. Nicht nur, dass sie mit dem Malen von Elfenbildern mehr schlecht als recht ein bisschen Geld verdiente, nein, sie hatte eine ganz besondere Beziehung zu ihnen. Sie war nämlich fest davon überzeugt, dass sie die Elfen als kleines Kind tatsächlich hatte sehen und mit ihnen sprechen können. Was hatte ihre Schwester nicht schon alles angestellt, um den vermeintlichen persönlichen Kontakt mit ihnen wieder zu beleben! Ein vergebliches Unterfangen, das Hekla mit einer gewissen Skepsis erfüllte. Auch sie hatte zwar etwas mit dem Huldufölk, dem unsichtbaren Volk, zu dem auch die Elfen gehörten, zu schaffen, aber ihr Interesse war eher wissenschaftlicher Natur. Für sie als Volkskundlerin waren diese Wesen schlichtweg ein wichtiger Teil der isländischen Kultur und ein permanentes Forschungsobjekt.

Als Hekla schließlich eine Tüte Noa Pipar Perlur, ihren Lieblingsschokoladenkugeln mit Lakritz, in der Hand hielt, bereute sie ihre spontane Keksaktion bereits und fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, ihr Versäumnis offen zuzugeben und Unnur nachher etwas Schönes aus Reykjavík mitzubringen. Aber nun war es zu spät, denn die magische Stille war vorüber. In der oberen Etage rumorte es. Knarrende Stufen und Dielen erfüllten das Holzhaus. Jeden Augenblick konnte jemand die Küche betreten und dann womöglich vermuten, Hekla hätte voller kindlicher Ungeduld vorab im Schuh geschnüffelt. Hastig wollte Hekla ihr Geschenk in den Schuh zurückbefördern, als ein Zettel, der offensichtlich zur Schokolade gehörte, zu Boden fiel. Hekla hob das Papier auf. Während sie die Botschaft las, runzelte sie die Stirn. Typisch Unnur, dachte sie. Sei offen für ein Wunder, das dein Leben verändern und reicher machen wird, stand dort in der schön geschwungenen Künstlerschrift ihrer Schwester geschrieben.

Hekla hielt nichts von solchen Sinnsprüchen, die ihrer Ansicht nach auf alles und nichts passten. Wenn nur ein Wunder geschähe, um Unnurs Geschenk auf die Schnelle etwas netter zu gestalten, dachte sie. Ihr Blick fiel nun auf einen Notizblock, der sie auf den Gedanken brachte, es ebenfalls mit einem persönlichen Ratschlag aufzuwerten. Nur fiel Hekla in der Hektik nichts Passendes ein. Am glücklichsten würde sie ihre Schwester sicherlich mit einem Hinweis darauf machen, dass ihr Traummann nun wirklich zum Greifen nahe wäre. Auf diesen Augenblick wartete Unnur nämlich bereits seit geraumer Zeit, nachdem ihr eine Wahrsagerin den richtigen Mann noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag vorausgesagt hatte, und der war am ersten Januar. Dass ihre Schwester so unmittelbar vor Ablauf der Frist zunehmend nervöser wurde, war unübersehbar. Doch würde Hekla mit einer solchen Botschaft die Schwester nicht noch unglücklicher machen? Denn dass diese Vorhersage Humbug war, daran hegte Hekla keinen Zweifel. Nein, das sollte sie nicht schüren, entschied sie und überlegte fieberhaft, ob ihr nicht eher etwas einfiel, womit sie Unnur diese fixe Idee austreiben könnte. Schritte auf dem Flur kamen näher. Sie musste sich beeilen. Und schon flog der Stift über das Papier, doch das, was Hekla da aus der Feder geflossen war, war nicht gerade der große Wurf, aber immerhin ein Zeichen, dass das Geschenk im Schuh eine persönliche Note besaß und nicht allein aus vertrockneten Keksen bestand. Hekla überflog den Text noch einmal flüchtig und lächelte leise in sich hinein. Diese Botschaft machte gute Laune, zumindest Hekla.

Hastig stopfte sie den Zettel in den Stiefel zu den Keksen und wandte sich dem Zubereiten des morgendlichen Haferbreis zu. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Tür aufging und ein undefinierbares Brummen ertönte, aus dem Hekla so etwas wie ein »Morgen!« herauszuhören glaubte.

Ihr Vater war immer schon wortkarg gewesen, aber seit dem Tod seiner Frau sprach er noch weniger. Stumm setzte er sich auf seinen Platz. Bei Tisch gab es eine strenge Sitzordnung, die auch nach dem Tod der Mutter nicht verändert worden war, nur dass Helgas Platz nun frei blieb.

»Guten Morgen, Vater, hast du gut geschlafen?«

»Hm!«

Zeitgleich betraten Unnur und Amma Martha die Küche, in ein angeregtes Gespräch vertieft, unterbrochen durch fröhliches Lachen der beiden. Aus den Augenwinkeln nahm Hekla die gequälte Miene ihres Vaters angesichts dieser geballten Zurschaustellung guter Laune wahr. Er war schon vor dem Tod seiner Frau alles andere als eine Stimmungskanone gewesen, aber seit dem 23. Dezember vergangenen Jahres hatte Hekla ihn kein einziges Mal mehr lachen hören.

Hekla aber freute es zumindest sehr, dass ihre Großmutter bester Stimmung war und dabei Isländisch sprach. Letzteres tat sie zwar in der Regel, aber seit geraumer Zeit verfiel sie gelegentlich urplötzlich kichernd ins Deutsche. Und das war kein gutes Zeichen und konnte übergangslos von einer Sekunde zur nächsten geschehen. Martha hatte sich zunächst mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, deswegen mit Hekla zu einem Spezialisten in die Stadt zu fahren, und hielt die Diagnose bis heute für großen Humbug. Doch Hekla wusste seitdem, was das Ganze zu bedeuten hatte: In solchen Momenten erlitt Amma Martha einen dementen Schub. Hekla war die Einzige in der Familie, die verstand, in welche längst vergangene Welt ihre Großmutter dann umnachtet abtauchte, weil sie nämlich Deutsch konnte. Auf Nachfrage ihrer Familie behauptete Hekla allerdings stets, die alte Dame würde über Banalitäten wie das Wetter reden, denn sie liebte die Großmutter zu sehr, um den wahren Inhalt ihrer Worte preiszugeben. Hekla war jedenfalls heilfroh, dass ihr Vater sich eher hätte foltern lassen, bevor er Deutsch gelernt hätte. Es nervte ihn schon, dass seine Mutter keine gebürtige Isländerin war. Amma Martha war eine deutsche Kriegswaise, die sich im Jahr 1949 auf eine Anzeige in den Lübecker Nachrichten gemeldet hatte, in der ledige und kräftige, junge Frauen als Haushaltshilfen nach Island angeworben wurden. Die meisten von ihnen hatten dort früher oder später einen Isländer geheiratet. So wie Martha, die sich in Gunnars Vater, damals ein junger Pferdezüchter, verhebt hatte, was uneingeschränkt auf Gegenseitigkeit beruht hatte. Diese Verbindung hatte bei seiner Familie große Widerstände hervorgerufen, aber Martha hatte alles darangesetzt, eine waschechte Isländerin zu werden. Als ehemalige Schauspielschülerin war es eine ihrer leichtesten Übungen, die Rolle der perfekten Schwiegertochter zu spielen, und weil sie die isländische Sprache bald so gut wie ihre Muttersprache beherrschte, hatte man Marthas wahre Herkunft in Hafnarfjörᶑur schließlich mehr oder weniger verdrängt. Umso empörter hatte Gunnar auf Heklas Entscheidung reagiert, in der Schule Deutsch zu lernen, um nach dem Abitur für ein Jahr als Au-pair-Mädchen nach Hamburg zu gehen. Unterstützung bei ihrem Plan hatte Hekla damals nicht nur von Amma Martha erfahren, sondern auch von ihrer Mutter, die insgeheim bereute, niemals über die Grenzen Islands hinausgekommen zu sein. Sie fand, dass ihre Tochter wenigstens einmal im Leben woanders gelebt haben sollte.

Unnurs beinahe kindliche Freude über den vielen Schnee riss Hekla aus ihren Gedanken. Ihre Schwester muss ja auch nicht gleich mit dem Wagen durch das Schneechaos nach Reykjavík fahren, dachte sie und freute sich wie jedes Mal, wenn der Weg vom Gehöft bis hin zur Straße Nummer 41 verschneit war, darüber, dass sie beim Kauf ihres Geländewagens mit Allradantrieb nicht geknausert hatte. Damit kam sie auch bis zur Hauptstraße, sobald sie die Garage freigeschaufelt hatte. Das bedeutete allerdings harte körperliche Arbeit. Solche praktischen Gedanken pflegte sich Unnur in der Regel nicht zu machen. Und da sie keinen Arbeitsweg hatte, weil sie ein Atelier im Obergeschoss des Wohnhauses besaß und sich auch die Pension, die sie nebenbei bewirtschaftete, auf dem Hof in einem ehemaligen Stallgebäude befand, kamen ihr die praktischen Nachteile des plötzlichen Wintermärchens gar nicht erst in den Sinn. Verschneite Zufahrtswege aber würden auch keine Gäste für die Pension bringen, fiel Hekla besorgt ein. Seit ihr Vater bei der großen Finanzkrise erhebliche Verluste erlitten hatte, war er eigentlich auf das Nebengeschäft angewiesen, das seine Frau bis zu ihrem Tod betrieben hatte. Zu Helgas Lebzeiten hatten die Zimmer auch im Winter selten leer gestanden, aber das hatte vor allem an den Stammgästen gelegen, die allein ihretwegen regelmäßig gekommen waren. Sie hatte es verstanden, den Gästen eine urgemütliche Atmosphäre und eine familiäre Stimmung zu bieten. Allein die Tradition, dass man sich abends von der Wirtin in der großen Küche bekochen ließ und das Essen mit der Familie teilte, das liebten die Leute. Nur deshalb nahmen sie auch den grummeligen Gunnar in Kauf, der es partout nicht leiden konnte, Fremde im Haus zu haben und daraus keinerlei Hehl machte. Nach Helgas Tod befürchteten die Gäste, dass er ohne seine Frau keinen guten Pensionswirt abgeben würde. Dass er die Verantwortung längst auf Unnur übertragen hatte und diese alles unternahm, um ihrer Mutter eine würdige Nachfolgerin zu sein, hatte sich noch nicht herumgesprochen. Jedenfalls hatten sie sich zu Helgas Lebzeiten nie besonders anstrengen müssen, um mit ausgefallenen Werbemitteln neue Gäste anzulocken. Immerhin hatte Hekla ihre Mutter davon überzeugen können, eine Webseite einrichten zu lassen, aber die war so behäbig und altmodisch geraten, dass Hekla sich davon keine besonderen Werbeeffekte versprach. Und die wären zurzeit dringend nötig, um Gäste in diesen abgelegenen Flecken Erde südöstlich von Hafnarfjörᶑur zu locken.

»Vater, du solltest endlich das Schild, das auf unsere Pension hin weist, an der Abzweigung aufrichten. Das ist neulich wegen Altersschwäche umgekippt. Sonst findet uns kein Mensch«, sagte Hekla nachdrücklich.

»Ist auch besser so«, brummte Gunnar. »Ich will hier keine Leute.«

»Vater! Die Leute, wie du sie nennst, bringen uns Geld. Du weißt doch selbst, dass wir mit deinen paar Pferden nicht über die Runden kommen. Und glaube mir, es reisen neuerdings auch etliche Touristen zu Weihnachten an, sodass die guten Unterkünfte in der Stadt schon fast alle ausgebucht sind. Aber wenn keiner weiß, dass es uns gibt, buchen sie auch nicht bei uns. Wir müssen unbedingt etwas unternehmen. Die Webseite ist eine einzige Katastrophe …« Letzteres ging an Unnurs Adresse, die verträumt in die Gegend guckte und den Eindruck machte, als wären die Worte ihrer Schwester ungehört an ihr vorbeigezogen, doch dann schlug sie begeistert vor, man könne ja ein Fest auf dem Hof veranstalten, ein Fest für die Elfen.

»Die Pension Alfradrottning, die Elfenkönigin, lädt zum Tanz ein. Das wird die Gäste magisch anziehen«, schwärmte Unnur.

Hekla unterbrach ihre Schwester ungeduldig. »Tja, ein Fest könnte man vielleicht für nächsten Sommer planen, aber wenn wir vor Weihnachten noch Gäste wollen, dann müssen zumindest die Wege freigeschaufelt sein!«

»Ja, ja, ich frage Magnus, ob er später mit seinem neuen Spielzeug bei uns vorbeikommt«, knurrte Gunnar. Magnus hatte sich neulich einen Schneepflug für seinen schweren Geländewagen geleistet.

»Schade, ich liebe es, wenn wir von der Welt abgeschnitten sind. Es herrscht dann eine magische Stille, in der man das Lachen der Elfen hören könnte, wenn es einem vergönnt wäre, Kontakt zu ihnen aufzunehmen«, warf Unnur wie aus einer anderen Galaxie ein, was Hekla zu der spontanen und wenig netten Erwiderung »Aber wie soll denn dann dein Herzensmann zu dir finden? Mit dem Schneepflug? Oder ist es etwa doch Magnus?« herausforderte.

Unnur blickte ihre Schwester wie ein waidwundes Rentier an, sodass sich sofort Heklas schlechtes Gewissen meldete.

»Schau doch mal in deinen Schuh, Schwesterherz«, versuchte Hekla von ihrer kleinen Gemeinheit abzulenken, denn Magnus vom Einarsson-Hof, der gutmütige Bär, wäre wohl der letzte Mann auf Erden, in den sich Unnur verlieben könnte, obwohl er ihr schon seit Kindertagen hinterherlief.

Widerwillig erhob sich Unnur von ihrem Stuhl und griff nach ihrem Stiefel. Konsterniert starrte sie auf die alten Kekse in ihrem Schuh.

»Das sind doch die, die unsere Helga noch gebacken hat!«, posaunte Amma Martha lautstark heraus.

Ungläubig nahm Unnur einen davon in die Hand, der ihr sofort unter den Fingern zerbröselte.

»Ja, ich, ich dachte, du würdest dich besonders darüber freuen, ein Andenken an unsere Mutter vorzufinden«, erklärte Hekla eifrig, um die Peinlichkeit, ihrer Schwester vertrocknetes Gebäck in den Schuh gestopft zu haben, zu überspielen.

Unnur zog es vor, diese offensichtliche Ausrede unkommentiert zu lassen, und vertiefte sich in die Botschaft auf dem Zettel. Ein verkniffenes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Lies doch mal laut vor, Kind. Wir wollen doch alle hören, was dir Stekkjastaur geschrieben hat«, bat Amma Martha ihre Enkelin.

»Singlesein heißt nicht, dass dich keiner will, sondern dass dich keiner bekommt!« Unnurs säuerliche Miene verriet, was sie von dem Ratschlag ihrer Schwester hielt.

Amma Martha aber fing an zu kichern. »Was ihr jungen Mädchen euch so traut. Herrlich!«, juchzte sie.

Hekla fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Sie hatte Unnur keineswegs verletzen, sondern nur ein wenig von der fixen Idee, dass ihr Traummann im Anmarsch war, abbringen wollen. Und nun hatte sie offenbar das Gegenteil erreicht und den Finger erst recht in die Wunde gelegt. Sie nahm sich fest vor, das morgige Präsent für ihre Schwester etwas überlegter anzugehen.

Am liebsten würde sie auf der Stelle in die Stadt aufbrechen, bevor sie Unnur noch mehr zusetzte.

Sie blickte hektisch auf ihre Uhr. »Oh, ihr Lieben, ich muss dann mal los, die Garage freischaufeln.«

»Willst du denn gar nicht sehen, was dir der Weihnachtskerl gebracht hat?«, fragte Unnur in beleidigtem Ton.

»Doch, natürlich, gern«, erwiderte Hekla und holte hastig die hellbraune Tüte aus dem Schuh.

»Du hast das ja schon aufgemacht ohne uns«, kommentierte Unnur das ausgepackte Geschenk vorwurfsvoll.

Hekla lachte gequält. »Du kennst mich doch. Ich bin so schrecklich ungeduldig, dass ich schon mal einen kleinen Blick riskiert habe. So süß vom Weihnachtskerl! Meine Lieblingsschokolade.«

»Und hast du auch die Botschaft gelesen?«, hakte Unnur nach.

»Botschaft? Welche Botschaft?«, schwindelte Hekla, denn wenn sie zugab, den Zettel zu kennen, lag es förmlich auf der Hand, dass sie Unnur nur deshalb eine persönliche Botschaft beigelegt hatte, weil ihre Schwester das auch getan hatte.

»Ich glaube, da wurde auch eine Nachricht für dich abgegeben«, insistierte Unnur.

Hekla tat nun so, als ob sie wirklich danach suchen musste, bevor sie unter dem zerknüllten Elfenpapier den Zettel hervorkramte.

»Lies vor!«, verlangte Amma Martha.

Hekla heuchelte Überraschung und trug den Text mit dem entsprechenden Pathos vor. »Sei offen für ein Wunder, das dein Leben verändern und reicher machen wird!«

»Du musst nur daran glauben, Schwesterherz, dann passieren Dinge in deinem Leben, die du niemals für möglich gehalten hättest«, bemerkte Unnur eifrig.

Hekla stieß einen tiefen Seufzer aus und nahm sich fest vor, jetzt bloß nichts Falsches zu sagen, doch da war ihr bereits herausgerutscht: »Genau, vielleicht hat ein guter Geist inzwischen die Garage freigeschaufelt.« Garantiert nicht die richtigen Worte, um ihre Schwester zu versöhnen. Das war schon seit jeher ihr Dilemma gewesen, dass sie mit ihren unüberlegten Bemerkungen Unnurs zartes Gemüt verletzte. Hekla selbst besaß ein dickes Fell und war nicht so schnell zu beleidigen, während ihre Schwester jedes Wort auf die Goldwaage legte und alles gleich als Angriff wertete.

»Oder du triffst endlich eine neue Liebe!«, mischte sich die Großmutter begeistert ein.

»Amma! Ich brauche keinen Mann«, entgegnete Hekla energisch.

»Lass dich doch einfach mal auf das ein, was das Leben dir bringt«, bat Unnur ihre Schwester eindringlich.

»Guckt mal, wer da ist«, ertönte nun Gunnars Stimme, und er deutete auf das Küchenfenster. Im Dunkeln des Wintermorgens tauchten Scheinwerfer auf, und dann hörten sie auch schon das Motorengeräusch. Keine Frage, Magnus war bereits von sich aus auf den Gedanken gekommen, seinen neuen Schneepflug zum Einsatz zu bringen.

»Den schickt der Himmel!«, stieß Hekla erfreut hervor und rieb sich die Hände bei dem Gedanken, dass sie an diesem Morgen nicht selbst die Schaufel in die Hand nehmen musste.

»Das Wunder ist geschehen, genauso, wie es Hekla sich gewünscht hat!«, rief Amma Martha triumphierend aus.

»Nein, ihr irrt euch. Magnus Einarsson ist bestimmt nicht das angekündigte Wunder. Ich kann nur sagen, es ist bereits auf dem Weg zu dir, Schwesterherz«, widersprach Unnur energisch.

»Das klingt ja fast wie eine Drohung«, lachte Hekla.

»Was hast du nur immer gegen Magnus?«, fuhr Gunnar seine jüngere Tochter an. »Er ist der einzige Mann, den ich mir jemals als Schwiegersohn gewünscht habe, aber den Gefallen wolltest du mir ja nicht tun. Ich gehe jetzt raus, ihn begrüßen.«

»Das waren ja glatt zwei zusammenhängende Sätze«, prustete Hekla los und zwinkerte ihrer Schwester zu, nachdem ihr Vater die Küche verlassen hatte.

Unnur fasste sich an den Kopf. »Wenn es um Magnus geht, wird unser Vater redselig. Er hat mir gerade neulich wieder einen Vortrag gehalten, was für ein außerordentlich zuverlässiger und treuer Mann Magnus Einarsson sei und dass die Frau, die ihn mal bekomme, sich glücklich schätzen dürfe.«

»Sei froh, dass wir im 21. Jahrhundert leben. Sonst hätte er dich garantiert längst mit ihm verheiratet.«

»Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Magnus ist stattlich und nicht arm. Du müsstest doch langsam wissen, dass die Jungen aus der Stadt keinesfalls eine bessere Wahl sind«, sinnierte Amma Martha.

Unnur rollte mit den Augen. Sie wusste genau, worauf ihre Großmutter anspielte. Die meisten ihrer männlichen Exenttäuschungen lebten in Reykjavík und waren echte Stadtmenschen, und sie hatten Unnur allesamt kein Glück gebracht.

»Ich muss los«, Hekla strich ihrer Schwester im Vorbeigehen liebevoll über das Haar. »Ich verstehe das mit den Stadtmännern, auch wenn ich alles andere als eine Expertin in Sachen Liebe bin«, raunte sie ihr zu.

»Na ja, nun, dein Dagur war ja auch ein besonders attraktives und einzigartiges Exemplar aus Reykjavík …«, kicherte die Großmutter.

»Amma!«, riefen Hekla und Unnur gleichzeitig mit empörter Stimme.

Amma Martha hob theatralisch die Hände. »Ich weiß, ich weiß, diesen Namen darf ich nicht in den Mund nehmen, aber behandelt mich doch nicht immer so, als wäre ich nicht bei Verstand. Ich weiß noch genau, dass er pechschwarze Locken hatte und …«

»Amma!«

Nachdem ihre Enkelinnen ihr erneut ins Wort gefallen waren, zog die Großmutter es vor, zu schweigen.

»Versprich mir, dass du dich auf die Worte einlässt«, bat Unnur Hekla zum Abschied inständig. Hekla nickte eifrig und war froh, dass sich die angespannte Stimmung zwischen ihnen etwas aufgelockert hatte, denn sie liebte ihre Schwester über alles, auch wenn sie ihr manchmal mächtig auf die Nerven ging. Sie würde nie vergessen, wie sie das winzige Wesen zum ersten Mal auf dem Arm ihrer Mutter bestaunt hatte. Unnur hatte ausgesehen wie ein kleines Elfenkind aus ihrem Bilderbuch. Sie war dürr, fast spittelig und hatte dunkles dünnes Haar, das ihr wild vom Kopf abstand. Heute hatte sie schwarzes langes glattes Haar, das mehr an das Märchen vom Schneewittchen erinnerte. Aber sie war immer so zart geblieben. Als große Schwester wollte Hekla sie stets beschützen. Das war wohl auch das, was viele Männer zunächst an ihrer Schwester faszinierte, doch dieser Instinkt wich dann früher oder später einem Fluchtimpuls, wenn Unnur ihnen ihr kleines empfindsames Herz scheunentorartig öffnete und zu Füßen legte.

Draußen vor der Tür traf Hekla auf Magnus, der ihr gleich voller Stolz den nagelneuen Schneepflug präsentierte.

»Danke, dass du die Garage freigeschaufelt hast.«

»Ich bin froh, dass das Ding zum Einsatz kommt«, lachte er. »Habe schon befürchtet, ich müsste ihn zurückgeben, weil es bei uns nur noch regnet statt schneit.«

Hekla schenkte ihm ein Lächeln. Sie mochte den Burschen wirklich gern. Er strahlte etwas angenehm Zuverlässiges und Bodenständiges aus, und manchmal ertappte sie sich bei dem Gedanken, sich zu fragen, ob er nicht tatsächlich der Richtige wäre, um Unnur die Geborgenheit zu geben, die sie so verzweifelt suchte. Doch sie würde sich hüten, das gegenüber ihrer Schwester offen zuzugeben. Beim Thema Magnus konnte ihre herzallerliebste Schwester schnell zur Furie werden. Manchmal fragte sich Hekla, warum Unnur diesem gutmütigen Kerl so schrecklich Unrecht tat. In Heklas Augen hatte er jedenfalls mehr zu bieten als all jene Burschen zusammen, die Unnur in der Vergangenheit das Herz gebrochen hatten.

Kapitel 2

Der Schneemann

›Possibly Maybe‹ in voller Lautstärke zu hören, gehörte zu Heklas täglichem Ritual. Jeden Morgen auf dem Weg nach Reykjavík sang sie mit Björk um die Wette. Diesen Song hatte sie damals gesungen. In einer der angesagtesten Karaoke-Bars der isländischen Hauptstadt. Und dann war es geschehen … Hekla konnte nichts dagegen tun. Ihre Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit.

Sie war gerade im ersten Semester gewesen und hatte in einem Studentenwohnheim in Reykjavík gewohnt. Nach der Freiheit, die sie gleich nach ihrem Schulabschluss in der Zeit als Au-pair-Mädchen in Hamburg genossen hatte, hatte sie sich nicht vor stellen können, wieder bei ihren Eltern auf dem Hof zu leben. Nein, damals hätte sie jeden Eid geschworen, niemals mehr dorthin zurückzukehren. In ihrer Studienzeit hatte Hekla auch entdeckt, dass sie sehr musikalisch war und hatte Gitarre gelernt. Nach Dagurs Tod hatte sie sich wochenlang zurückgezogen und wunderschöne Liebeslieder komponiert, die sie aber nur einem einzigen Menschen auf dieser Welt präsentierte: Unnur, die ihr nun bereits seit vielen Jahren in den Ohren lag, damit endlich öffentlich aufzutreten, was für Hekla gar nicht infrage kam. Nicht, dass sie Angst hatte, sich vor Publikum zu präsentieren. Im Gegenteil, sie hielt ja auch Vorlesungen und Vorträge, aber sie wollte diese Songs, die sie ihrem Liebsten gewidmet hatte, mit keinem anderen teilen als mit ihrer Schwester.

Lampenfieber kannte sie jedenfalls nicht. Sie war damals der heimliche Star in der Karaoke-Bar gewesen. Und dort hatte Dagur sie auf der Bühne bewundert. Heiße Blicke. Abend für Abend, bis er endlich die Initiative ergriffen hatte. Das war bei dem Song ›Possibly Maybe‹ gewesen. Er war zu ihr auf die Bühne gekommen und hatte einfach mitgesungen. Björk im gemischten Chor. Der Applaus war rauschend gewesen, und dann hatten sie sich geküsst, ohne vorher je ein einziges Wort gewechselt zu haben. Der Kuss hatte mehr gesagt als tausend Worte. Und dann war plötzlich alles still geworden, als schließlich der Letzte in der überfüllten Bar gemerkt hatte, dass das da vorne keine Bühnenshow mehr war …

Hekla hatte sich zuvor nie viele Gedanken um Männer gemacht und das Gerede ihrer Schwester von der großen Liebe stets belächelt. Aber in dem Augenblick, als Dagur sie auf der Bühne zum ersten Mal geküsst hatte, wusste sie: Das ist sie, die wahre Liebe.

Kein Mensch ‒ nicht einmal ihre Schwester ‒ sollte je erfahren, dass sie immer noch jeden Morgen ihren Song hörte und dass kein Tag verging, an dem sie nicht an Dagur dachte. Nein, nach außen war das Kapitel abgeschlossen, und jedem, der es auch nur im Entferntesten wagte, seinen Namen zu erwähnen, fuhr Hekla schroff über den Mund. Hekla war felsenfest davon überzeugt, dass einem die Liebe auf den ersten Blick, bei der sich der Verstand binnen Sekunden offline schaltete, nur einmal im Leben begegnete. Dass man sich auch anders verlieben könnte als mit einem Knall, darüber hatte Hekla noch nie nachgedacht. Nein, sie war sich ganz sicher: Auf ihre Bühne würde kein Mann mehr treten, um mit ihr um die Wette zu singen.

Sie sang gerade aus voller Kehle den Refrain ›Possibly maybe, probably love‹, als sie im Scheinwerferlicht einen Schatten, der plötzlich aus dem Nichts auf die Straße lief, wahrnahm. Erschrocken trat sie auf die Bremse und kam gerade noch zum Stehen. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Vor ihr stand ein wild winkender Schneemann. Er war sehr groß und über und über mit Schnee bedeckt.

Heklas Herz klopfte bis zum Hals. Beinahe hätte sie ihn überfahren. Noch nie zuvor war ihr auf dieser einsamen Straße am Morgen ein Mensch begegnet und schon gar nicht zu Fuß.

Idiot, dachte sie, und schon war sie aus dem Wagen gesprungen. »Sind Sie nicht ganz bei Trost?«, brüllte sie. »Wenn Sie sich umbringen wollen, dann nicht mit meinem Wagen!«

Zu ihrer großen Überraschung grinste der Schneemann nur breit, schüttelte sich den Schnee vom Anorak und streckte ihr die Hand entgegen.

»Sorry, ich wusste mir nicht anders zu helfen. Habe schon befürchtet, hier draußen keiner Menschenseele zu begegnen«, sagte er freundlich.

Hekla zog es vor, seine Hand zu ignorieren. Er sprach ziemlich gutes Isländisch mit einem leichten Akzent, den sie nicht sofort zuordnen konnte, aber wenn er ein Landsmann wäre, würde er ihr wohl kaum am frühen Morgen in dieser Gegend vor den Wagen springen.

»Sind Sie Tourist und haben sich zu einer Nachtwanderung aufgemacht oder was treiben Sie um diese Zeit hier?«, fragte sie unwirsch.

»Ja, so was Ähnliches. Ich bin Däne«, lachte er.

»Däne? Aber Sie sprechen perfekt Isländisch«, gab Hekla verwundert zurück.

»Wenn Sie mir helfen, dann verrate ich Ihnen vielleicht den Grund«, lachte er, aber seine Augen lachten nicht mit.

»Okay, dann steigen Sie meinetwegen ein«, knurrte Hekla. »Ich nehme Sie mit in die Stadt. Hat Ihnen keiner gesagt, dass Sie hier nicht in Disneyland sind und es gefährlich sein kann, wenn Sie sich verirren?«

»Das ist überaus freundlich von Ihnen, dass Sie mich mitnehmen wollen, aber ich bin nicht allein.«

Hekla sah ihn empört an. »Sagen Sie bloß, Sie sind mit der ganzen Familie losgezogen?«

Er lächelte immer noch, was Hekla zutiefst verunsicherte, denn er wirkte äußerst sympathisch unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze.

»Nein, ich bin mit dem Wagen gekommen«, erwiderte er.

»Mit dem Wagen? Und wo steht der jetzt?«

Der Fremde wand sich. »Das ist ja das Problem. Ich bräuchte da mal eben ein wenig Hilfe.«

Hekla sah sich suchend nach seinem Auto um. Nicht, dass sie wirklich Sorge hatte, er könnte ein Verbrecher sein und sie in eine Falle locken wollen. So etwas passierte in Island so gut wie nie, sondern nur in den einheimischen Thriller Serien. Aber seit es in der Gegend tatsächlich jüngst einen Mord gegeben hatte, war eine gewisse Vorsicht geboten.

Der Fremde zeigte in Richtung einer gesperrten Straße. Auf diesem Weg konnte man im Sommer eine Abkürzung nehmen, wenn man ein entsprechendes Fahrzeug besaß, denn er führte durch einen kleinen Fluss. Im Winter nahmen selbst Einheimische davon Abstand, weil die Gefahr bestand, in das Eis einzubrechen, das sich unter dem Schnee gebildet hatte. Außerdem wies ein nicht gerade kleines Schild daraufhin, dass diese Straße bei Schnee unpassierbar war.

»Wollen Sie etwa behaupten, dass Sie trotz der Warnschilder die gesperrte Straße entlanggefahren sind?«

Er nickte schuldbewusst und schob dabei die Kapuze aus dem Gesicht. »Na ja, ich habe mir den besten Wagen gemietet, den ich bekommen konnte, und da dachte ich …«

»Mannomann!«, schimpfte Hekla, während sie den Blick kaum von ihm ab wenden konnte, denn seine grünen Augen, deren Iris von einem braunen Kranz umgeben war, strahlten so viel Wärme aus, dass sie ihm intuitiv vertraute. Trotzdem ärgerte sie sich maßlos darüber, weil er sich offenbar komplett überschätzt hatte und nun ihre Zeit stahl. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie ohnehin schon spät dran war. Und auf ihrem Schreibtisch wartete eine Menge unerledigter Dinge.

»Ich bin noch nie stecken geblieben, und ich fahre immer bei Eis und Schnee«, versicherte er ihr mit Nachdruck.

»Das mag in Dänemark funktionieren, aber hier gelten andere Regeln«, konterte sie. »Und nun führen Sie mich schon zu Ihrem Wagen!«, fügte sie ungeduldig hinzu.

»Wollen Sie Ihren gar nicht zur Seite fahren und abschließen?«, fragte er mit einem Blick auf ihr Auto, das mitten auf der verschneiten Straße stand.

»Ich schließe mein Auto nie ab«, erwiderte sie energisch. »Und um diese Zeit fährt hier kein Mensch. Aber das Anhalten mitten auf der Straße darf nur ich. Für Touristen ist das verboten.«

Wohin er wohl um diese Zeit wollte, fragte sich Hekla, aber sie unterdrückte ihre Neugier. Eigentlich führte der Weg nur zu ihrem Hof und weiter zu dem Gehöft von Magnus. Dahinter wurde er dann zu einer Schotterpiste, die am Fuße des Berges Helgafell endete. Doch dann erinnerte sie sich: Diesen Weg wollte man nun zu einer Straße umbauen, die am Fuße des Berges vorbeiführen und südlich auf die 42 münden sollte. Ein Projekt, dem sie äußerst skeptisch gegenüberstand. Ihrer Meinung nach war diese neue Trasse völlig überflüssig.

Aber die Lokalpolitiker machten sich mächtig stark für dieses Projekt. Man munkelte, dass es um viel Geld ging. Allerdings war man vor Ort nur auf Gerüchte angewiesen, weil über allem der Nebel des Schweigens lag …

Aber was sollte der Fremde auf der Baustelle wollen? Bei diesem Schneefall wurde dort sicher nicht gearbeitet. Es war schon merkwürdig genug, dass überhaupt im Winter gebaut wurde, aber es hieß unter vorgehaltener Hand, dass die zuständigen Politiker ganz schnell Fakten schaffen wollten.

Schweigend stiefelten Hekla und der Mann den verschneiten Weg entlang, als Hekla etwas dunkel Glänzendes, das aus dem Schnee aufragte, entdeckte. Ihr schwante Übles. Der Wagen stand komplett schräg, weil er bis zur Fahrertür im Schnee verschwunden war.

»Es war überhaupt kein Problem, auf der Straße zu fahren, denn so hoch ist der Schnee ja nun wirklich nicht, aber plötzlich hing ich drin«, erklärte ihr der Fremde nun sichtlich aufgeregt.

»Kein Wunder, Sie sind ins Eis eingebrochen«, stöhnte Hekla und betrachtete das Malheur kopfschüttelnd.

»Und könnten Sie mich vielleicht da rausziehen?«, fragte er zaghaft.

»Tut mir leid, ich bin schon viel zu spät. Ich muss zur Arbeit. Außerdem habe ich kein Abschleppwerkzeug im Wagen«, entgegnete sie prompt.

»Ach so«, murmelte der Fremde so enttäuscht, dass Hekla beinahe Mitleid mit ihm bekam. Ein Blick in seine hilflose Miene machte das auch nicht eben besser.

»Hören Sie, ich kann Sie mit nach Reykjavík nehmen und bei Ihrer Autovermietung absetzen. Aber die werden nicht erfreut sein, dass Sie auf einer gesperrten Straße gefahren sind.«

»Danke. Sie machen mir wirklich Mut«, bemerkte er und wirkte plötzlich gar nicht mehr so bemitleidenswert, sondern eher angriffslustig. »Hören Sie, ich muss dringend weiter.«

Wieder fragte sich Hekla, was der Däne wohl in dieser Gegend suchte, aber sie konnte sich gerade noch beherrschen, ihm persönliche Fragen zu stellen. Was ging sie dieser Typ an? Außerdem drängte die Zeit. Um zehn hatte sie eine Besprechung mit ihren Kollegen über ein Forschungsprojekt, das ihr der Chef vor seiner Abreise nach Australien aufs Auge gedrückt hatte. Ingvar wollte, dass sie über den höfischen Dichter Snorri Sturluson recherchierte und die Frage klärte, ob er tatsächlich der Verfasser der Jüngeren Edda, einem Handbuch für höfische mittelalterliche Dichter Skandinaviens, war. Sehr zu ihrem Ärger, denn sie befasste sich gerade intensiv mit Odins ungeliebter Tochter Thalia. Aber das kannte sie schon. Immer wenn sie ein eigenes Forschungsziel im Sinn hatte, versorgte Ingvar sie mit Extraaufgaben.

»Gut, dann schicke ich Ihnen jemanden, der Sie da rauszieht«, seufzte sie.

Seine Miene erhellte sich. »Und ich dachte schon, Sie hätten ein Herz aus Eis und würden mich lieber erfrieren lassen, als mir zu helfen.«

Der glaubt wohl, ihm kann keine Frau widerstehen, dachte Hekla grimmig, holte ihr Telefon hervor und entfernte sich ein paar Schritte von dem Fremden, um unbeobachtet sprechen zu können. Sie hatte Glück, als sie zu Hause anrief. Magnus saß noch neben ihrem Vater am Küchentisch.

»Magnus, pass auf, so ein dänischer Rambofahrer hat die gesperrte Straße genommen und ist dort mit seinem Wagen eingebrochen. Könntest du wohl eben herkommen und ihn rausziehen?«

Nachdem Magnus ein paar deftige Schimpftiraden über den Deppen, wie er ihn wortwörtlich nannte, abgelassen hatte, erklärte er sich bereit, umgehend zu starten.

»Es kommt gleich Hilfe«, versprach sie dem Fremden knapp und wollte sich schnellstens auf den Weg zu ihrem Wagen machen, doch er folgte ihr schnaufend.

»Sie wollen mich hier doch nicht etwa allein zurücklassen?«

Hekla blieb abrupt stehen und wandte sich amüsiert zu ihm um. »Sagen Sie bloß, Sie haben Angst im Dunkeln? Aber keine Sorge, es dämmert schon.« Sie deutete zum Horizont, an dem es langsam heller wurde. Schon an dem tiefen Rot war zu erkennen, dass es ein klarer sonniger Tag werden würde, wie so oft, wenn es in der Nacht geschneit hatte. Na ja, dachte sie, Tag war übertrieben, denn zurzeit blieb es lediglich vier Stunden lang hell, bevor die lange Dämmerung wieder einsetzte. Aber diese paar Stunden würden heute anscheinend wunderschön werden, ein Gedanke, der Hekla das erste Lächeln auf das Gesicht zauberte.

»Es steht Ihnen gut, wenn Sie lächeln.«

»Was wird das? Versuchen Sie etwa, mit mir zu flirten?«, entgegnete Hekla ungerührt, wenngleich es sie nicht völlig kalt ließ, denn dass ein Mann ihr ein Kompliment gemacht hatte, war schon ziemlich lange her. Wenn sie sich recht erinnerte, war es Frodo gewesen, der als neuer wissenschaftlicher Mitarbeiter vor vier Jahren am Institut angefangen hatte. Und er hatte es auch nur einmal zaghaft versucht, hatte sie ihm doch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie ausschließlich zum Arbeiten am Institut war. Allerdings musste sie insgeheim zugeben, dass Frodo auch nicht halbwegs so attraktiv war wie dieser Schneemann. Auch wenn sie sich einbildete, keinerlei Interesse mehr an Männern zu haben, so konnte sie doch immerhin noch beurteilen, dass der blonde Däne mit den ausdrucksstarken Augen nicht nur gut aussah, sondern etwas an sich hatte, dem sie sich nicht so ohne Weiteres entziehen konnte. Kaum hatte Hekla diesen Gedanken zugelassen, korrigierte sie sich verärgert. Ach Unsinn, dachte sie entschieden, er ist ein Blender, der meint, Regeln würden für alle anderen gelten, nur nicht für ihn, und auf so einen falle ich bestimmt nicht herein.

»Mit Ihnen flirten? Das würde ich mich im Leben nicht trauen. Aber ich muss doch zumindest wissen, wie meine Retterin heißt und wie ich mich für die Hilfe erkenntlich zeigen kann.« Hekla meinte, einen ironischen Unter ton herauszuhören.

Sie rang sich erneut zu einem Lächeln durch und winkte ab. »Das habe ich doch gern getan. Ein schlichtes Dankeschön würde mir genügen.«

»Ich hatte da eher an ein gemeinsames Essen gedacht.«

»Ist wirklich nicht nötig.«

»Gut, dann herzlichen Dank. Ich begleite Sie noch zum Wagen und warte dort auf den Helfer.« Das klang so kühl, dass Hekla fast ein wenig bereute, sich nicht ein bisschen charmanter verhalten zu haben, aber das ließ sie sich nicht anmerken, sondern sie beschleunigte stattdessen ihren Schritt.

Bei ihrem Auto angekommen, blieb sie noch einmal stehen. »Der Mann heißt Magnus, und es wäre nett, wenn Sie sich bei ihm gebührend bedanken würden, falls er es schafft, Ihr Auto aus dem Schnee zu ziehen. Laden Sie ihn doch zum Essen ein.«

»Wird gemacht, Chef!«, sagte der Däne spöttisch.

»Gut, dann viel Erfolg«, murmelte Hekla und stieg, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, in ihren Wagen und fuhr davon.

Sie war noch keine hundert Meter gefahren, als sie bereute, sich dermaßen steif verhalten zu haben. Er muss ja denken, dass ich zum Lachen in den Keller gehe, ging es ihr durch den Kopf. Ein Gedanke, der sie maßlos aufregte, war sie doch sonst eher für ihren hintergründigen Humor bekannt. Aber was sie noch mehr ärgerte, war die Tatsache, dass sie sich überhaupt den Kopf darüber zerbrach, was ein wildfremder Mann von ihr denken könnte. Das Schlimmste daran war, dass ihr ein diffuses Gefühl signalisierte, dass zwischen dem Schneemann und ihr irgendetwas gewesen war. Genervt versuchte sie diese merkwürdige Emotion abzuschütteln. Was sollte da schon gewesen sein, wenn sie es nicht einmal benennen konnte? Eines jedenfalls schloss sie rigoros aus: Verliebt hatte sie sich nicht in den Kerl. Das nämlich ging anders. Mit Tusch und Knall! Und doch bereitete es ihr extrem schlechte Laune, dass es ihr messerscharfer Verstand partout nicht schaffte, dem »Irgendetwas« einen Namen zu geben.

Wie gut, dass ich ihn nie wieder sehe, dachte Hekla energisch, um hilflos miterleben zu müssen, wie ihr diese Aussicht tief im Herzen ganz und gar nicht behagte.

Kapitel 3

Traummann prophezeit

Unnur war vor einer potenziellen Begegnung mit Magnus in ihr Atelier geflüchtet, denn es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass ihr Vater ihn noch auf einen extrasüßen Kaffee einladen würde. Mit seinem ergebenen Hundeblick verfolgte Magnus Unnur bereits seit Schulzeiten, was sie nicht in jeder Verfassung ertrug. Und heute war so ein Morgen, an dem sie ganz bestimmt nicht vom falschen Mann angehimmelt werden wollte. Nicht heute, nachdem Heklas Zettel im Schuh sie in erhebliche Zweifel gestürzt hatte, ob sie nicht tatsächlich einer Wunschvorstellung hinterherlief, wenn sie weiter an die Prophezeiung glaubte.

Sie erinnerte sich noch an jedes Detail des schicksalhaften Zusammentreffens mit der alterslosen Kartenlegerin, der das feuerrot gefärbte Haar vom Kopf abstand, so wie Unnur es gern auf ihren Elfenbildern malte. Es war im Huldokona, dem Laden von Unnurs Freundin Birta, gewesen. Dort hatte die fremde Frau hinter geheimnisvoll drapierten Tüchern gesessen und den Kunden angeboten, ihnen anhand von Tarotkarten die Zukunft vorauszusagen. Ein Angebot, das Unnur magisch angezogen hatte, wenngleich sie Birta an dem Tag eigentlich nur ein paar neue Elfenbilder vorbeibringen wollte, die im Huldokona verkauft wurden, und über die Provision verhandeln wollte. Denn fünfzig Prozent Provision für die Ladeninhaberin abzudrücken, fand Unnur doch ganz schön happig. … Das kleine Geschäft ihrer Freundin Birta befand sich an der Strandgata in einem himmelblau gestrichenen Holzhaus. Es zog mit seinem winzigen, aber schillernd bunt dekorierten Schaufenster die neugierigen Blicke der vorbeikommenden Touristen auf sich. Der Laden hatte über die Grenzen Hafnarfjörᶑurs hinaus einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Schließlich galt die ganze Stadt als heimliche Hauptstadt der Elfen, war sie auf einem Lavaberg, der Sage nach einem Elfenhügel, errichtet worden. Im Huldokona gab es ein reichliches Angebot an Elfen- und Trollzubehör, wie Elfenposter, Porzellanelfen, Lesezeichen in Form von Elfenflügeln, und Trolle aus Stein sowie sämtliche Bücher zu dem Thema. Neuerdings aber war es die Chefin selbst, die die Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie hatte nämlich erst kürzlich ihre Gabe, mit den Elfen zu kommunizieren, entdeckt und tat das überall lautstark kund. Davon abgesehen, dass Unnur diese schrille Zurschaustellung zuwider war und sie eine solche Fähigkeit, wenn sie diese besäße, still und leise genießen würde, ohne sie an die große Glocke zu hängen, beneidete sie Birta glühend um diese magische Gabe. Sie meinte sich nämlich dunkel zu erinnern, dass sie als kleines Mädchen auch in der Lage gewesen war, mit den Elfen zu kommunizieren. Sie sah sich zusammen mit ihrer Mutter hinter dem Haus ein kleines Elfenschloss bauen, damit heimatlose Elfen ein Dach über dem Kopf hatten. Jeden Abend hatte sie ihre Mutter dorthin begleitet, um den Elfen etwas zum Essen zu bringen, um dann stets am nächsten Morgen festzustellen, dass die kleine Schüssel leer war. Unnur musste damals drei oder vier Jahre alt gewesen sein, und sie sah heute noch vor ihrem inneren Auge, wie sich die Wesen, die nicht größer waren als sie, eines Tages bei ihr bedankt hatten. Hekla hatte Unnurs Erlebnis damals mit den Worten kommentiert: »Das hast du nur geträumt, Unnur, die Elfen reden doch nicht mit jedem und die Schüssel, die hat doch Flóki ausgeleckt.« Flóki war ein gefräßiger Familienhund gewesen, den Unnur über alles liebte und dem sie eine solche Gemeinheit nicht zutraute. Und auch ihre Mutter hatte sich auf ihre Seite gestellt und behauptet, Flóki fresse zwar sonst alles, aber bestimmt nichts, was für die Elfen bestimmt wäre.

Beim Gedanken an ihre Mutter kamen Unnur unwillkürlich die Tränen. Helga war die Einzige in der Familie, die ihren Hang zum Übersinnlichen geteilt hatte. Ihre Mutter hatte sich nicht wie Hekla über sie lustig gemacht, als sie ihr von ihrem Erlebnis mit der Kartenlegerin erzählt hatte. Im Gegenteil, sie hatte sogar gemutmaßt, dass der Mann vielleicht schon ganz in der Nähe wäre und Unnur ihn bislang einfach nur übersehen hätte. Unnur hatte sich zunächst noch verstanden gefühlt, doch als ihre Mutter hatte durchblicken lassen, dass sie dabei an einen ganz bestimmten Mann dachte, hatte sie verschnupft reagiert. So verschieden ihre Eltern auch immer waren, in ihrer Hoffnung auf den Nachbarn vom Einarsson-Hof als potenziellen Schwiegersohn waren sie sich völlig einig gewesen.

Unnur besaß einen sanftmütigen Charakter, und es lag ihr fern, über andere Menschen bösartig zu reden, doch wenn es um Magnus ging, nahm sie kein Blatt vor den Mund. Er war in ihren Augen ein übergewichtiger Bauernbursche, zu dem allenfalls ein properes Landmädel passte, und selbst die Tatsache, dass Magnus den einfachen Hof seiner Eltern in einen erfolgreichen Betrieb für die Herstellung von Skyr aus Schafmilch umgewandelt hatte, machte ihn in Unnurs Augen nicht attraktiver. Warum er ausgerechnet in sie verknallt war, und das bereits seit Kindertagen, war ihr ein Rätsel. Was hatte sie nicht schon alles versucht, um die Klette, wie sie ihn insgeheim nannte, loszuwerden. Sogar den Schneeball, den sie ihm einst auf dem Schulhof versehentlich an den Kopf geworfen und der ihn regelrecht ausgeknockt hatte, hatte ihr Magnus großmütig verziehen, ganz zu schweigen von den geschätzten einhundert Körben, die sie ihm auf Kino, Konzert und Essenseinladungen gegeben hatte.

Ihr Bild von einem Mann unterschied sich von Magnus’ Erscheinung mindestens so wesentlich voneinander wie eine Elfe von einem Troll. Im Grunde genommen träumte sie von einem Kerl wie Dagur, der großen Liebe ihrer Schwester. Nicht, dass sie damals in ihn verhebt gewesen wäre. Nein, er war schließlich Heklas Ehemann gewesen und wäre heute immer noch ihr Schwager, wenn er damals nicht verunglückt wäre. Trotzdem hatte er, abgesehen von seinem umwerfenden Charme und seiner Weltgewandtheit, noch ein paar unverkennbare Merkmale besessen, die sie sich bei ihrem Traummann wünschte: die Einmeterzweiundneunzig, die dunklen Locken, die kein Friseur Islands bändigen konnte, den Humor, die warmherzige Ausstrahlung und die raue wohlklingende Stimme.

Leider hatte sich die Kartenlegerin damals nicht festlegen wollen, wie diese einzigartige und große Liebe, der Unnur angeblich noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag begegnen sollte, aussah. So hielt Unnur an ihrem Bild fest, das sie von ihrem Traummann besaß, und das waren große Männer vom Typ Dagurs. Seit der Prophezeiung waren ihr bereits zwei solcher Exemplare begegnet. Mit dem Urteil hatte sie allerdings allein dagestanden. Hekla hatte nur mit der Nase gerümpft und Unnur geraten, sich doch mal eine Brille zuzulegen. Und beide Male war Unnur bitter getäuscht worden.

Und nun, dreizehn Tage vor Weihnachten, war es quasi eine Minute vor zwölf. Es gab wenig Hoffnung, dass sie das große Silvesterfeuerwerk in Reykjavík im Arm des prophezeiten Traummannes erleben würde. Es sah eher danach aus, dass sie wieder als Single in ihren Geburtstag hineinfeiern musste. Sie war nämlich ein Neujahrskind, und die prophezeite Deadline kam gnadenlos näher, dass selbst so eine positiv denkende Person wie sie ins Zweifeln geriet. Wie gern hätte sie sich noch einmal die Karten legen lassen, um Konkreteres zu erfahren, aber die Wahrsagerin war nie wieder im Huldokona aufgetaucht.

Mit einem tiefen Seufzer machte sich Unnur daran, das wirre Haar ihrer neuesten Elfenkönigin auf die Leinwand zu bringen. Sie malte am liebsten mit bunten Ölfarben, was ihren Elfen eine lebenslustige Ausstrahlung verlieh. Leider konnte sie von dem Verkauf der Bilder nicht leben. Zwar fanden die Poster ihrer Elfen im Huldokona etliche Abnehmer innen, aber bei einer Provision von fünfzig Prozent blieb nicht viel übrig für Unnur. Wie oft hatte sie sich vorgenommen, endlich mehr herauszuhandeln, aber Birta war äußerst geschickt darin, für ihren eigenen Vorteil zu kämpfen. Deshalb führte Unnur seit dem Tod ihrer Mutter auch die Pension. Ihr war natürlich bewusst, dass nicht mehr genügend Gäste kamen und sie mehr Werbung über das Internet schalten sollte, aber sie hatte eine Abneigung gegen das Arbeiten am Bildschirm. Sie begriff sich als Künstlerin, die sinnlich mit der Materie umgehen wollte. Insgeheim war Unnur der Meinung, dass Hekla viel besser geeignet wäre, die Pension zu führen, aber die gehörte zu den wenigen jungen Isländerinnen, die mit ihrer Arbeit als wissenschaftliche Angestellte so viel verdiente, dass sie keine Jobs nebenher benötigte. Ja, sie konnte der Familie sogar noch Geld zustecken, wenn es einmal wieder knapp war. Unnur wusste also ganz genau, dass sie sich schnellstens etwas einfallen lassen musste, um Gäste in die Álfadrottning zu locken, wenn die Pension diesen Winter überstehen sollte. Aber ihr wollte partout nichts einfallen, womit sie Werbung machen konnte, ohne sich an den Computer zu setzen. Deshalb hatte sie sich vorerst darangemacht, die Zimmer zu verschönern. Wenn jedes Zimmer seine eigene Elfenkönigin bekam, wäre die Attraktivität der Álfadrottning mit Sicherheit schon einmal erhöht. Und wenn sich erst herumsprach, dass in jedem der vier Fremdenzimmer ein Gemälde der Wirtin hing, und dass die Gäste der Malerin bei der Arbeit zugucken und sogar ihre Bilder kaufen durften … Ihrer Schwester hatte sie noch nichts von dieser Verschönerungsmaßnahme erzählt. Sie fürchtete, dass Hekla dann wieder so skeptisch ihre Mundwinkel hochziehen würde. Ihre pragmatische Schwester vermochte sich bestimmt nicht einmal annähernd vorzustellen, dass man allein mittels der Energie, die durch das Malen dieser Kunstwerke freigesetzt wurde, neue Pensionsgäste gewinnen konnte. Deshalb hatte Unnur einfach still und heimlich für jedes Zimmer eine Elfenkönigin gemalt und wollte nun zügig die Elfe für das vierte Zimmer fertigstellen.

Nur leider konnte sich Unnur an diesem Vormittag kaum auf ihr Kunstwerk konzentrieren, weil ihre Gedanken immer wieder zur Prophezeiung abschweiften. Sie wünschte sich so sehr einen Partner, der bei ihr blieb. Bislang hatte nämlich jeder ihrer vermeintlichen Traummänner früher oder später mit ihr Schluss gemacht. Dabei hatte sie in jede neue Beziehung so unendlich viel Herzblut gelegt und auch den Männern gegenüber nicht mit ihrer Begeisterung hinter dem Berg gehalten. Im Gegenteil, sie hatte selten mit Superlativen gespart. Sie konnte partout nicht verstehen, warum sich die meisten Männer nach einer leidenschaftlichen gemeinsamen Zeit rargemacht hatten. Ihre Freundin Birta meinte, man müsse einen Mann am langen Arm verhungern lassen, dann würde er einem die Bude einrennen. Aber ihm beim zweiten Date zu verraten, dass er nicht nur der Mann ihres Lebens wäre, sondern auch der potenzielle Vater ihrer Kinder, wäre der Liebeskiller schlechthin. Doch so etwas konnte Unnur in ihrer Euphorie durchaus passieren. Wenn sie sich verliebte, dann mit Haut und Haaren, und dann wäre es doch unehrlich, mit dem Mann blöde Spiele zu veranstalten. Birta sah das allerdings wesentlich pragmatischer. Männer wären immer noch nichts anderes als Jäger und Sammler, pflegte sie zu behaupten, und es würde ihnen den Spaß verderben, wenn sich ihnen die Schneehühner freiwillig vor die Füße legten. Unnur stand Birtas Ansichten über die Liebe äußerst skeptisch gegenüber. Davon abgesehen, dass sie nicht mit einem Schneehuhn verglichen werden wollte, fand Unnur es unnatürlich, mit Tricks und präzisem Zeitplan an die Liebe heranzugehen. Birta hingegen schwor darauf. Timing wäre alles in der Liebe. Nein, Unnur konnte sich in Liebesdingen beim besten Willen nicht an ihrer Freundin orientieren. Und auch ihre Schwester war denkbar ungeeignet, ihr Ratschläge in Sachen Beziehung zu erteilen. Deshalb fühlte sie sich mit ihrem Problem auch ziemlich allein gelassen und spürte die Anspannung in jeder Pore.

Unwirsch legte sie den Pinsel beiseite, als sie feststellen musste, dass sie der Elfe aus Versehen ein runzeliges Trollgesicht verpasst hatte. Da half nur noch eine Meditation, damit sie nicht gänzlich resignierte. Ich muss nur daran glauben, redete sie sich ein, während sie sich auf ihr Meditationskissen setzte und die Augen schloss. Der Mann meines Lebens ist auf dem Weg zu mir, sagte sie sich beim Einatmen, alle Zweifel gehen jetzt, beim Ausatmen. Nach ein paar Minuten wurde sie ruhiger und gab sich ganz der Entspannung hin. Als sie die Augen wieder öffnete, glaubte sie für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich wieder fest daran, dass sich die Prophezeiung erfüllen würde, doch kaum hatte sie einen Blick auf das verhunzte Gemälde geworfen, das sie nun noch einmal neu malen musste, meldeten sich erneut die Zweifel, ob das tatsächlich eintreten würde, und sie fragte sich, ob der Fehler vielleicht bei ihr lag. Mindestens so sehr, wie sie sich einen Prinzen wünschte und mit den Elfen zu sprechen, wünschte sie sich, dass sie von ihrer künstlerischen Begabung würde leben können. Aber solange sie darauf angewiesen war, ihre Originalbilder und die Poster in Birtas Laden zu verkaufen, würde das wohl ein frommer Wunsch bleiben.

Entschieden tauchte sie den Pinsel in die Farbe und versuchte sich erneut an der letzten Elfenkönigin. Dabei dachte sie an Hekla. Wie Unnur nicht anders erwartet hatte, war ihre Schwester heute früh nicht gerade begeistert von dem angekündigten Wunder gewesen. Dabei handelte es sich gar nicht um einen frommen Spruch, wie es ihre Familie irrtümlich annahm, sondern um ein Ereignis, das unweigerlich in Heklas Leben treten würde. Unnur hatte ihre Schwester nämlich ganz offiziell zu einem großen Songwriterwettbewerb angemeldet, der am zweiten Weihnachtstag in Reykjavík stattfand. Die Einladungen sollten spätestens diese Woche an die von der Jury zugelassenen Künstler herausgehen, in diesem Fall an Unnur, die sich als Agentin ihrer Schwester ausgegeben hatte. Und da man Unnur bereits am Telefon versichert hatte, dass ihre Schwester nach dem Demomaterial, das sie der Jury von Heklas Können geschickt hatte, ganz sicher im Rennen war, fehlte nur noch die formale Bestätigung, die sie Hekla dann im Namen eines Weihnachtskerls in den Schuh legen würde. Die Bedenken, dass ihre Schwester von einer Teilnahme an dem Wettbewerb alles andere als begeistert sein würde, hatte Unnur bislang beiseitegeschoben. Doch jetzt, als die Sache näher kam, wurde ihr ein wenig mulmig zumute. Einmal davon abgesehen, dass Hekla es hasste, wenn sie bevormundet wurde, hatte sie stets voller Überzeugung eine öffentliche Präsentation ihrer Songs ausgeschlossen. Dabei wäre es ein Trauerspiel, wenn Hekla ihre wunderbaren Songs bis ans Lebensende nur im stillen Kämmerlein zum Besten geben würde … Ob sich ihre Schwester mit einem Hinweis auf Unnurs beste Absichten beschwichtigen lassen würde?