Rückkehr nach Island - Svea Linn Eklund - E-Book
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Rückkehr nach Island E-Book

Svea Linn Eklund

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Beschreibung

Wo das Herz zuhause ist: Der berührende Wohlfühlroman »Rückkehr nach Island« von Svea Linn Eklund jetzt als eBook bei dotbooks. Die Walforscherin Lilja kehrt für die Hochzeit ihrer Schwester nach vielen Jahren zum ersten Mal in das isländische Fischerdorf Akureyri zurück. Wie sehr sie die weite Fjordlandschaft ihrer Heimat und das magische Farbenspiel der Nordlichter vermisst hat! Doch der Ort hält auch schmerzhafte Erinnerungen und neue Herausforderungen für sie bereit: Kann Lilja das Erbe ihres Vaters bewahren, der kurz davor steht, seine Fischerboote an einen Großunternehmer zu verlieren? Dabei begegnet sie ausgerechnet Björn wieder, dem Mann, den sie wie keinen anderen geliebt hat – und wegen dem sie aus Island floh. Doch was geschah damals wirklich … und gibt es zweite Chancen, für die es sich zu kämpfen lohnt? Ein mitreißender Islandroman über Liebe, Familie und die Kraft des Neuanfangs – zum Träumen schön und voll nordischem Zauber. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Liebesroman »Rückkehr nach Island« von Svea Linn Eklund wird Fans von Kiri Johansson und Karin Baldvinsson begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 523

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Über dieses Buch:

Die Walforscherin Lilja kehrt für die Hochzeit ihrer Schwester nach vielen Jahren zum ersten Mal in das isländische Fischerdorf Akureyri zurück. Wie sehr sie die weite Fjordlandschaft ihrer Heimat und das magische Farbenspiel der Nordlichter vermisst hat! Doch der Ort hält auch schmerzhafte Erinnerungen und neue Herausforderungen für sie bereit: Kann Lilja das Erbe ihres Vaters bewahren, der kurz davor steht, seine Fischerboote an einen Großunternehmer zu verlieren? Dabei begegnet sie ausgerechnet Björn wieder, dem Mann, den sie wie keinen anderen geliebt hat – und wegen dem sie aus Island floh. Doch was geschah damals wirklich … und gibt es zweite Chancen, für die es sich zu kämpfen lohnt?

Über die Autorin:

Svea Linn Eklund ist nahe der dänischen Grenze aufgewachsen. Heute lebt sie mir ihrer Familie in Hamburg und schreibt Drehbücher und Romane, unter anderem auch unter dem Namen Mia Löw. Die Schauplätze ihrer Bücher sind so vielfältig wie die Welt selbst, sorgfältig danach ausgesucht, ob sie vor Ort gern recherchieren würde.

Bei dotbooks veröffentlichte Svea Linn Eklund auch ihren Roman »Der Himmel über Island«.

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eBook-Neuausgabe August 2024

Copyright © der Originalausgabe 2018 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-095-0

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Svea Linn Eklund

Rückkehr nach Island

Roman

dotbooks.

Kapitel 1Zurück im Land aus Feuer und Eis

Fast vierhundert Kilometer der legendären Ringstraße hatte Lilja in ihrem japanischen Kleinwagen bereits zurückgelegt. Die Nationalstraße führte einmal rings um Island, war über dreizehnhundert Kilometer lang und wurde im Sommer zu einer touristischen Rennstrecke. Im Winter hingegen konnte es passieren, dass einem, je weiter man gen Norden fuhr, nur alle halbe Stunde ein Wagen entgegenkam.

Lilja war am Flughafen Keflavik am Mittag gelandet, in den Mietwagen gestiegen und gleich weitergefahren, um die Hauptstadt des Nordens noch im Hellen zu erreichen. Sie glaubte zwar, noch jeden Stein, jedes kleine Dorf und jedes einsame Farmhaus an der Strecke zu kennen, aber trotzdem würde sie auch bei diesen günstigen Witterungsverhältnissen gut fünf Stunden bis nach Akureyri brauchen. Schneller war der Weg nicht zu schaffen, wenn man sich halbwegs an die Höchstgeschwindigkeit von neunzig Stundenkilometern hielt. Über die aktuellen Straßenverhältnisse hatte sie sich auf einer isländischen Webseite im Vorweg informiert. Im Moment war kein Schnee vorhergesagt, sodass sie an den neuralgischen Punkten keine unliebsamen Sperrungen zu erwarten hatte. Nur das Teilstück von Laugarbakki bis Blönduós schien der Karte zufolge noch vereist zu sein, aber das hatte sie gerade hinter sich gebracht und nichts dergleichen bemerkt. Offenbar hatte die Sonne, die für diesen Spätwintertag eine außergewöhnliche Strahlkraft entfaltete, das Eis der vergangenen Tage weggetaut. Rechts und links der Straßen türmten sich allerdings die Schneereste zu weißen Ungetümen auf, die im Sonnenlicht um die Wette glitzerten. Das war vor ein paar Tagen sicherlich ganz anders gewesen, denn in dieser kargen Landschaft wehte meist ein eisiger Wind, der die Schneemassen im Nu erfasste, im ganzen Tal verteilte und Verwehungen verursachte. Das hatte dann die Sperrung der Straße bei Neuschnee zur Folge.

Als Lilja den kleinen Ort Varmahlið hinter sich gelassen hatte, machte sich eine innere Unruhe bemerkbar. Bislang hatte sie die Reise in ihre Heimat überraschend wenig aufgewühlt, weil sie in Gedanken immer wieder zu dem abgeschweift war, was sie in Bedford, Nova Scotia, hinter sich gelassen hatte. Und vor allem – wie. Ob Noah den Brief schon gelesen hatte? Zur Sicherheit hatte sie ihr Telefon ausgeschaltet für den Fall, dass er versuchte, bei ihr anzurufen. In Akureyri würde sie sich eine neue SIM-Karte mit neuer Nummer zulegen. Dann hätte er gar keine Chance mehr, sie zu kontaktieren. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass er nicht auf die dumme Idee kam, bei ihren Eltern anzurufen, obwohl sie ihm, um genau das möglichst zu verhindern, geschrieben hatte, dass sie nach Vancouver gehen würde. Lilja konnte es immer noch nicht fassen, dass sie es endlich geschafft hatte, ihrem ungeliebten Leben von Bedford zu entfliehen. Nur dass sie so lange gebraucht hatte, um sich zu befreien, das nahm sie sich insgeheim übel. Schon bei ihrer Ankunft in dem Haus seiner Eltern damals vor sechs Jahren hätte sie es merken müssen: Noah war gar nicht der gestandene Mann, den sie in dem jungen Schiffsarzt gesehen hatte, und jener Glanz der großen weiten Welt, den er in Akureyri ausgestrahlt hatte, war schöner Schein gewesen. Mehr nicht!

Dabei war der Beginn ihrer Liebe geradezu märchenhaft gewesen. Wie eine Prinzessin war sie sich vorgekommen! Er hatte nämlich sie, die kleine einheimische Expertin für isländisches Fischereiwesen, nach einem Vortrag, den sie für die Passagiere im Kreuzfahrtzentrum gehalten hatte, abends zu einem Galadinner an Bord des Schiffes eingeladen. Und dann hatte sich alles rasant entwickelt. Heiße Küsse und eine unvergessliche gemeinsame Nacht in seiner Koje. Noah war ein paar Wochen später als Urlauber nach Akureyri zurückgekehrt und hatte sie nach einer Woche gebeten, mit nach Halifax zu kommen und dort seine Frau zu werden. Sie konnte auch im Nachhinein nicht leugnen, dass sie Schmetterlinge im Bauch gehabt und sich wie in einem märchenhaften Film gefühlt hatte. Noah besaß auf den ersten Blick alles, was sie sich von einem Mann erträumte. Er war gebildet, sprühte vor Charme, sah unverschämt gut aus und verbreitete eine lässige Weltgewandtheit. Allein die bewundernden Blicke ehemaliger Schulfreundinnen und Studienkolleginnen, als sie an seinem Arm durch die Hafnarstræti flaniert war! Ihre Schwester Elin hatte ihr verraten, was alle anderen vor Ort über sie dachten: Unfassbar, dass ausgerechnet du von einem Märchenprinzen entführt wirst! Ja, Lilja hatte geglaubt, das große Los gezogen zu haben, denn es war wirklich ein Wunder, dass ausgerechnet sie, die nie im Leben daran gedacht hatte, ihre Heimat zu verlassen, bereit gewesen war, diesem Mann bis nach Kanada zu folgen.

Vielleicht hätte ihr Vater Ari nicht so hart reagiert, wenn Liljas Schwester Elin ihrem Zuhause wegen eines hergelaufenen Fremden, wie er Noah bis zuletzt bezeichnet hatte, den Rücken gekehrt hätte. Elin jedenfalls hätte das jeder in Akureyri zugetraut. Elin war eine Abenteurerin, von der niemand erwartete, dass sie ihrer Heimat die Treue hielt. Sie war, kaum dass sie die Schule beendet hatte, nach Reykjavik abgehauen, um dort Schauspielerin zu werden. Nur wegen der Liebe zu einem Nordmann war sie später nach Akureyri zurückgekehrt. Lilja hingegen hatte brav an der heimischen Universität studiert: Meeresbiologie und Fischereiwesen. Und nun heiratete ihre Schwester, wie es die Familientradition wollte, in der Akureyrarkirkja einen Mann, der Lilja nicht völlig unbekannt war. Es war jedenfalls schon lange nicht mehr jener sagenhafte Eric, für den Elin damals nach Akureyri zurückgekehrt war.

Mit Elin hatte Lilja in den letzten Jahren einen lockeren Kontakt über Kurznachrichten gehalten, aber ihre Schwester war nicht gerade zuverlässig in solchen Dingen. Sie meinte das nicht böse, wenn sie sich auch einmal Monate mit der Antwort Zeit ließ. Dafür waren ihre Zeilen nie langweilig, sondern sprühten vor Unternehmungsgeist. Sie hatte in den Jahren auch immer wieder tolle Männer erwähnt, aber es waren so viele Namen, dass sich Lilja nicht alle merken konnte. Aber Kristian war ihr ein Begriff, weil er der Cousin jenes Mannes war, der ihr einst das Herz gebrochen hatte.

Je näher Lilja dem Ort kam, desto mehr haderte sie mit ihrer Entscheidung, die Familie zu überraschen. Elin hatte sie förmlich angefleht, zu ihrer Hochzeit zu kommen, damit sie endlich den tollsten und attraktivsten Kerl ganz Islands kennenlernte. Ja, so war Elin. Sie drückte sich stets in Superlativen und mit einer ansteckenden Begeisterung aus.

Aber Lilja hatte doch bis vor ein paar Tagen selbst nicht gewusst, ob sie der Einladung folgen würde oder nicht. Eigentlich hatte sie die Entscheidung, aus Bedford zu verschwinden, erst nach der Ohrfeige getroffen. In dem Moment hatten ihre Gedanken allerdings nur dem einen Ziel gegolten – bloß weg! Wohin, das war zweitrangig gewesen.

Zuerst hatte sie wirklich mit dem Gedanken gespielt, nach Vancouver zu gehen, um sich dort bei Greenpeace um einen Job zu bewerben. Ja, sie war schon fast auf dem Weg dorthin gewesen, hatte sich bereits einen Flug ausgesucht. Dann aber waren ihr im Hotel in Halifax die Träume zum Verhängnis geworden. Sie hatte plötzlich jede Nacht von Akureyri geträumt. Beinahe magisch hatte es sie nach Hause zurückgezogen, sodass sie das Flugticket nach Island schließlich wie in Trance gebucht hatte.

Was sie nach der Hochzeit mit ihrem Leben anfangen sollte, stand allerdings in den Sternen. Auch in Island gab es Forschungsinstitute, bei denen sie sich bewerben konnte, aber wollte sie das? Ihr Bauch signalisierte ihr, seit sie vorhin ihren Fuß auf heimatliche Erde gesetzt hatte, zwar eindeutig, dass sie gekommen war, um zu bleiben, ihr Kopf aber suchte noch immer nach Alternativen. Und nur weil in Akureyri keiner erfahren sollte, dass sie einer Schimäre aufgesessen war. Nicht sie, die bedachte und vernünftige Lilja Arisdottir, die einmal in ihrem Leben etwas gewagt hatte und dafür doppelt bestraft worden war. Ihr Vater Ari hatte sie mit den harten Worten Du bist nicht mehr meine Tochter! verstoßen, und der Traumprinz war zur Kröte mutiert.

Im Gegensatz zu ihrem Vater hatte ihre Mutter Katla ihr sogar noch gut zugeredet, mit Noah nach Kanada zu gehen. Ja, sie hatte mit ihrem Stolz nicht hinter dem Berg gehalten, dass ihre Tochter eine gute Wahl getroffen hatte. Für einen solchen Mann wäre auch sie in die weite Welt gezogen, hatte sie mit glühendem Blick versichert. Lilja war die leise Sehnsucht, die in den Worten ihrer Mutter mitschwang, keinesfalls entgangen, aber sie hatte nicht gefragt, was dahintersteckte.

Mutter und Tochter hatten sich unzählige Briefe geschrieben, in denen Katla nicht müde wurde, Lilja alle Jahre wieder zu versichern, sie solle doch bitte mit Noah zu Weihnachten nach Akureyri kommen. Ari habe seinen Groll längst begraben. Davon abgesehen, dass sie ihrer Mutter kein Wort glaubte, da sie deren Hang kannte, die Welt rosarot zu sehen, hätte Lilja bei aller Sehnsucht nach der isländischen Weihnacht nicht zum Fest nach Hause kommen können. Jedenfalls nicht, ohne der Familie offenbaren zu müssen, wie schrecklich sie in Bedford unter der Mutter des stets abwesenden Noah litt und dass dieses Märchen sich schnell als Albtraum entpuppt hatte. Allein, wenn ihre Mutter bei der Gelegenheit erfahren hätte, dass es die Traumhochzeit niemals gegeben hatte, die sie Katla in ihren Briefen in schillernden Farben geschildert hatte. Ihre Tochter mit diesem Mann verheiratet zu wissen, hatte Katla so glücklich gemacht, dass Lilja es nicht übers Herz gebracht hatte, ihr die Wahrheit zu offenbaren. Dass nämlich sie selbst es war, die Noahs Heiratspläne seit Jahren erfolgreich hintertrieb, indem sie behauptete, nur in Island im Kreis ihrer Familie heiraten zu wollen, wohl wissend, dass er dies strikt ablehnte. Seit er für eine Gesellschaft arbeitete, die Südsee-Kreuzfahrten machte, würde er nicht freiwillig in das unwirtliche Land reisen, wie er stets betonte. Vor allem nicht nach Akureyri, wo der Hund begraben sei. Sehr zum Amüsement seiner Mutter Debbie, für die eine Hochzeit ihres einzigen Sprösslings am Ende der Welt nicht infrage kam. Dass sie Lilja damit in die Hände spielten, konnten weder ihre zukünftige Ex-Fast-Schwiegermutter noch deren Sohn erahnen. Nicht auszudenken, die beiden hätten eines Tages nachgegeben und sich auf den Standpunkt gestellt, dass sie lieber eine isländische Feier in Kauf nähmen, bevor es gar keine Hochzeit gab.

Lilja schüttelte sich bei dem Gedanken an Debbie, diese herrische Person, die nicht nur sie, sondern auch ihren armen Mann im Rollstuhl tyrannisierte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. George, der Mann im Rollstuhl. Er war der wahre Grund, warum sie nicht längst das Weite gesucht hatte. Allein wegen dieses klugen und weltgewandten Mannes war sie in Bedford geblieben. George war das völlige Gegenteil seines Sohnes. Als ehemaliger Professor für nordische Geschichte hatte er nicht nur ein brennendes Interesse an ihrer Heimat, sondern brauchte auch keinerlei glitzernde Fassade, um wie sein Sohn zu verbergen, dass er dahinter oberflächlich und hohl war. Im Gegenteil, George war ein tiefsinniger und liebenswerter Mensch. Doch seit er nach einem Sportunfall im Rollstuhl saß, war er den Launen seiner kapriziösen Frau ausgeliefert. Dass Noah Lilja auch seinetwegen nach Bedford gelockt hatte, war ihr sehr schnell klar geworden. Debbie war die Betreuung des Ehemannes nämlich überaus lästig, und sie hatte sich eine Schwiegertochter gewünscht, die die Last mit ihr teilte. Und ihr ergebener Sohn hatte ihr diesen Wunsch prompt erfüllt. Lilja war sich sehr wohl bewusst, dass sie im Nachhinein kein gutes Haar an Noah ließ, obwohl es auch schöne Stunden gegeben hatte, aber die waren verschüttet unter Debbies Machtstreben und Noahs Feigheit. Und neuerdings unter der Ohrfeige!

Wenn George nicht zufällig Zeuge geworden wäre, wie sein Sohn Lilja geohrfeigt hatte, wer weiß, ob sie den Absprung wirklich geschafft hätte. George Anderson hatte sich zunächst nichts anmerken lassen, sodass Lilja schon befürchtet hatte, er heiße die Erziehungsmaßnahme seines Sohnes gut. Es war Noahs Antwort auf die Wahrheit gewesen, die Lilja zum ersten Mal auszusprechen gewagt hatte: Du bist und bleibst ein Muttersöhnchen! Doch als George und sie allein waren, hatte er ihr verraten, was er wirklich dachte. Lilja, du bist jung, du bist schön, du bist bezaubernd. Trenn dich von meinem Sohn! Bitte!

Und was ist mit dir? Ich kann dich doch nicht alleinlassen!

Keine Sorge, ich habe einen Platz in einer sehr netten Senioren-Wohngemeinschaft bekommen. Debbie weiß von nichts. Ja, sie wird nicht einmal die Adresse von mir kriegen. Ach ja, und den Hausverkauf habe ich auch schon in die Wege geleitet.

George hatte ihr schließlich eine Karte mit seinen Kontaktdaten in die Hand gedrückt und sich von ihr schwören lassen, dass sie zeitnah etwas von sich hören ließ. Er hatte an alles gedacht. Sogar eine neue Mobilnummer hatte er sich zugelegt.

Diese Absolution seines Vaters hatte Lilja wohl gebraucht, um Ernst zu machen, zumal er überhaupt nicht den Eindruck machte, als fürchte er sich vor diesem Schritt. Im Gegenteil, sie hatte ihn noch nie zuvor so optimistisch in die Zukunft blicken sehen.

In Gedanken hatte Lilja die Trennung von Noah schon etliche Male zuvor durchgespielt. Nach dem Gespräch mit George hatte sie ohne Zögern, kaum dass Noah und seine Mutter das Haus verlassen hatten, ihre wenigen persönlichen Sachen in einem Koffer verstaut und war in ein Hotel nach Halifax gezogen. Dort hatten sie diese Träume überfallen, und nun trennten sie nur noch wenige Kilometer von ihrer Heimat, denn gerade hatte sie die letzte Abzweigung nach Akureyri genommen. Und immer noch dominierte die wilde Landschaft aus unendlichen Weiten, die nur von den kahlen, schneebedeckten Bergen begrenzt wurden. Lilja durchrieselte ein Wohlgefühl bei dem Gedanken, auf diesem Flecken Erde geboren und aufgewachsen zu sein.

Kapitel 2Die Stadt der Ampelherzen

Als Lilja Akureyri erreichte, stellte sie fest, dass sich binnen der sechs Jahre einiges verändert hatte, jedenfalls in dem Außenbezirk, durch den sie nun fuhr und der nicht unbedingt das Aushängeschild ihrer Stadt war. Aber da unterschied sich Akureyri nicht von anderen Orten auf der Welt, an deren Rändern immer mehr Einkaufszentren und Gewerbegebiete entstanden waren. Den großen Supermarkt hatte es vor sechs Jahren jedenfalls noch nicht gegeben.

Je näher sie dem Zentrum kam, desto mehr schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Im Südwesten erhoben sich wie eh und je die schneebedeckten Gipfel des Hausberges Súlur und beschützten die Stadt im Tal, in der der längste Fjord Islands endete, der Eyjafjörður. Das Kulturzentrum Hof, bei dessen Einweihung im Jahr 2010 auch ihre Schwester aufgetreten war, empfand sie immer noch als Fremdkörper. Dabei passte sich der Rundbau mit seiner Außenfassade aus Granit der rauen Landschaft perfekt an, wie sie nun mit dem zeitlichen Abstand zugeben musste. Mit einem flüchtigen Seitenblick nahm sie verwundert wahr, dass im Hafen keine Schiffe lagen. Ihr blieb allerdings keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, weil sie nun rechts in die Kaupvangsstræti abbiegen musste, um zu dem Gästehaus zu gelangen, das sie erst einmal für zwei Nächte gebucht hatte.

Ein Lächeln umspielte ihren Mund, als sie vor dem roten Ampellicht hielt. Das hatte sie völlig vergessen – dass die roten Ampeln in ihrer Heimatstadt in Herzform leuchteten, doch jetzt erinnerte sie sich wieder genau, wann das angefangen hatte. Es hatte im Jahr 2008 während der großen Finanzkrise begonnen, weil die Stadtväter fanden, dass man in diesen Zeiten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Landes Zeichen setzen sollte, um den Leuten Mut zu machen. Den jungen Menschen hatten diese herzigen Ampeln außerordentlich gut gefallen. Überhaupt hatte es nur wenig Kritik an diesen besonderen Lichtern gegeben, weil zu jener Zeit wirklich ein Klima im Land geherrscht hatte, in dem die Menschen ein wenig Aufmunterung gebraucht hatten. Noah war damals so angetan von diesen Ampeln gewesen, dass er sie an jeder roten Ampel geküsst hatte.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als die Ampel grün wurde und sie in das Zentrum fuhr. Über allem thronte majestätisch die Akureyrarkirkja. Dieses imposante Bauwerk aus weißem Beton mit den zwei gigantischen Türmen sollte die zerklüftete und wilde Küstenlinie symbolisieren, die den Eyjafjörður zu beiden Seiten säumte. Im Volksmund wurde die Kirche auch Eiskathedrale genannt. Dort würde sie nun morgen ihre Familie wiedersehen. Ein Gedanke, der ihr Herz nur noch heftiger schlagen ließ. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, aufzutauchen, ohne ihre Liebsten auch nur im Geringsten auf ihren Besuch vorzubereiten? Wenigstens Elin hätte sie einweihen müssen, aber es gab einen triftigen Grund, warum sie davon Abstand genommen hatte: Ihre Schwester konnte kein Geheimnis bewahren! Wenn sie es wusste, dann war es in Akureyri wie ein Lauffeuer, selbst wenn sie es den Eltern verschweigen sollte. Die würden es dann eben von den Nachbarn erfahren. Deshalb hatte sich Lilja in der Pension auch unter dem Namen Anderson eingebucht, denn in Akureyri kannte jeder jeden. Eine Lilja Arisdottir gab es ihres Wissens nur einmal vor Ort, aber den Nachnamen ihres Kanadiers hatte sich mit Sicherheit niemand gemerkt. Man nannte sich hier meistens beim Vornamen. Nicht, dass ihre Eltern noch im letzten Moment auf diese Weise erfuhren, dass ihre verlorene Tochter in der Stadt war, ohne ihnen Bescheid zu geben. Sie hoffte sehr, dass sie dann nach den Feierlichkeiten im Haus ihrer Eltern wohnen konnte, bis sie Klarheit darüber hatte, wie es weitergehen würde. Dazu musste ihr Vater allerdings zur Versöhnung bereit sein, und das wagte sie zu bezweifeln. Wenn sie nur daran dachte, wie unversöhnlich er Sigurd gegenüber gewesen war, als der sich geweigert hatte, weiter auf dem Walfänger des Vaters zu arbeiten! Hochkant hatte er ihren älteren Bruder aus dem Haus geworfen. Dass auch sie, Lilja, eine erklärte Gegnerin der Jagd auf Wale war, hatte ihren Vater nicht weiter interessiert, weil er sie, wenn es um die Männersachen ging – und dazu zählte für ihn der Walfang –, nicht ernst genommen hatte. Ihre wissenschaftlichen Argumente hatte er schlichtweg belächelt. Lilja war jedenfalls sehr gespannt, ob Sigurd zur Hochzeit kommen würde. Sie hatte ihre Mutter ein paarmal nach dem Bruder gefragt, aber Katla hatte immer nur stereotyp geantwortet, es gehe Sigurd gut. Für Lilja ein klares Zeichen, dass Katla keine Ahnung hatte, wo er steckte. Im Netz war er jedenfalls unauffindbar. Dabei hätte Lilja so gern gewusst, wo er sich aufhielt. Ihm hätte sie vielleicht sogar die Wahrheit anvertraut. Sie vermisste ihren großen Bruder schmerzlich. Sie hatte zu ihm stets ein wesentlich engeres Verhältnis gehabt als zu ihrer Schwester. Vielleicht lag es daran, dass Elin eher ein Mutterkind war, während sie immer schon Vatertochter gewesen war, und das trotz der Macken ihres Vaters, ging es Lilja durch den Kopf.

Die bunten Häuser, die die Hafnarstræti säumten, lösten in Lilja warme Heimatgefühle aus. Wie sie diese verrückten Farben liebte! Es ging von Hellgrau über Blassgelb, Zitronengelb, Falunrot, Gletscherblau, Royalblau, Zartgrün bis zu Dunkelgrün. Die Töne waren so lebendig und machten aus der Hauptstraße ein wahres Fest für die Augen. Ich bin zu Hause, dachte Lilja und merkte erst jetzt, wie sie sich genau nach diesen Farben gesehnt hatte. Dabei gab es in Nova Scotia ganz ähnliche Häuser in schillernden Farben, während in der Gegend, in der die Villa der Andersons stand, ein zurückhaltendes Beige die Fassaden dominierte. Manchmal war sie nach Lunenburg gefahren, dessen Kulisse sie am ehesten an Akureyri erinnerte, aber dort waren die Farben oft eine Spur schriller als zu Hause, und sie hatte sich immer ein wenig fremd gefühlt, obwohl ihr Kanada durchaus gefiel. Aber dieses tiefe Heimweh hatte nie aufgehört.

Ein Lächeln huschte über Liljas Gesicht, als sie den Radhustorg erreichte, den schön angelegten Platz in der Mitte des Ortes. Wie oft hatte sie auf diesem Platz an lauen Sommerabenden mit ihren Freunden gesessen. Hier hatte sie ihr erstes Date gehabt. Mit Björn, ihrer großen Liebe. O Gott, wie lange hatte sie nicht mehr an ihren Troll gedacht, wie sie den dunkelhaarigen Lockenkopf mit den meergrünen Augen zärtlich genannt hatte! Vielleicht, weil es sie damals zu sehr verletzt hatte, als er zum Nautikstudium nach Kopenhagen gegangen und niemals mehr nach Akureyri zurückgekehrt war. Und zwar ohne Erklärung. Björn hatte sich einfach nicht mehr bei ihr gemeldet. Und über sein Telefon war er auch nicht mehr zu erreichen gewesen. Lange hatte sie sich um ihn gesorgt und befürchtet, ihm sei etwas zugestoßen. Bis sein Cousin Kristian Lilja dann schließlich nach über einem Jahr des vergeblichen Wartens darüber aufgeklärt hatte, dass er ihn neulich auf einem Familienfest in Reykjavik mit seiner dänischen Freundin getroffen habe. Sie erinnerte sich noch genau, wie ihre Mutter damals auf recht schräge Art versucht hatte, sie zu trösten. Der Junge ist nichts für dich, hatte sie immerzu betont. Du hast etwas Besseres verdient als einen Fischer. Liljas Einwand, er studiere doch Nautik, hatte ihre Mutter mit dem Argument vom Tisch gewischt, ihr Vater Ari habe auch einmal eine Seefahrtschule besucht – und wofür? Um doch als Fischer zu enden. Das passte eigentlich gar nicht zu Katlas Einstellung, denn es gab in Akureyri kaum einen Menschen, der den Beruf des Fischers nicht wertschätzte. Er galt in ihrem Land etwas, auch für Katla, die zwar einer Familie von Geistlichen entstammte, aber einen natürlichen Respekt vor dem Beruf ihres Mannes besaß. Dass ihre Mutter etwas gegen Björns Familie hatte, war allerdings nicht zu leugnen gewesen, so vehement, wie Katla ihn ihr schon während ihrer Beziehung zu ihm hatte ausreden wollen. Lilja hatte dann vermutet, ihrer Mutter missfiel, dass seine Familie der Gemeinschaft der Asen angehörte, die seit den Siebzigerjahren auch vermehrt ihre – wie Katla es nannte – heidnischen Rituale hier im hohen Norden pflegte. Jedenfalls war Lilja bei allem Kummer über Björns miese Art, sich aus ihrem Leben zu schleichen, die Heftigkeit, mit der ihre Mutter versucht hatte, Björn schlechtzureden, irgendwann auf die Nerven gegangen. So sehr, dass sie ihr verboten hatte, den Namen ihres Exfreundes überhaupt zu erwähnen. Darum hatte sich Katla allerdings nicht geschert und zu allem Überfluss behauptet, Björn sei ein Frauenheld. Trotz ihres Zorns auf ihn war Lilja diese Unterstellung entschieden gegen den Strich gegangen. Was Björn auch immer dazu bewogen hatte, den Kontakt zu ihr derart brutal abzubrechen, ein notorischer Don Juan war er ganz sicher nicht. Und dann hatte sie erfahren müssen, dass die Vehemenz, mit der ihre Mutter gegen ihn stänkerte, wohl eher einer Antipathie ihrer Mutter gegen Björns Vater entsprang. Was genau vorgefallen war, wusste Lilja bis heute nicht. Und sie hätte wohl auch nie davon erfahren, dass ihre Mutter Björns Vater einmal näher gekannt hatte, wenn sich die Großmutter ihr gegenüber nach einem Brennivín zu viel nicht einmal verplappert hätte, und zwar an jenem Tag, an dem sie ihr von Noah und dem Plan erzählt hatte, mit ihm nach Kanada zu gehen. Lilja erinnerte sich merkwürdigerweise noch an jedes Wort. Deine Mutter ist außer sich vor Glück, dass damit die Gefahr, du könntest doch noch den Sohn dieses Mannes heiraten, endgültig gebannt ist. Auf Liljas neugieriges Betteln hin, ihr doch bitte, bitte mehr zu berichten, war die Großmutter verstummt. Sie hatte ihr nur noch die ausdrückliche Anordnung erteilt, diese Äußerung sofort zu vergessen, denn sie hätte einfach nur Unsinn geredet. Wer’s glaubt ... hatte Lilja damals gedacht. Das alles hatte sie mit den Jahren vergessen, bis eben gerade.

Jedenfalls hatte ihre Mutter es damals nicht annähernd geschafft, Lilja zu trösten. Nacht für Nacht hatte sie in die Kissen geweint, bis sie beschlossen hatte, Björn aus ihrer Erinnerung zu streichen, und war stattdessen mit Thorwald ausgegangen, dem Schwarm sämtlicher Kommilitoninnen. Leider hatte sie ihr Ziel, Björn zu vergessen, damit nicht erreicht. Im Gegenteil, es tat alles nur noch mehr weh, wenn sie im Arm eines Mannes lag, den sie nicht wirklich meinte. So hatte sie die zarten Bande zerschnitten, bevor es richtig angefangen hatte. Thorwald hatte das überhaupt nicht verstanden. Zum einen, weil er noch nie zuvor von einem Mädchen verlassen worden war, zum anderen, weil er sich in sie verliebt hatte. Lilja hatte ihm damals ehrlicherweise verraten, dass sie noch an einem anderen Mann hing. Seinen Namen hatte sie ihm allerdings nicht genannt, obwohl es in Akureyri ein offenes Geheimnis gewesen war, wer ihr das Herz gebrochen hatte.

Lilja schüttelte die Gedanken an ihren ersten Liebeskummer energisch ab, als sie rechter Hand das Gästehaus auftauchen sah. An die weiße Mauer war ein schwarzer Rabe gemalt. So konnte man das Hrafninn gar nicht verfehlen. Lilja hatte diese Unterkunft gewählt, weil es sie vor sechs Jahren noch nicht gegeben hatte. Damit stiegen die Chancen, dass sie die Betreiber der Pension nicht persönlich kannte. In jedem traditionellen Hotel vor Ort hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit alte Bekannte getroffen. Sie parkte ihren Wagen und hoffte inständig, dass sie bis morgen unerkannt blieb, als sie die quietschende Eisenpforte zum Vorgarten des gutbürgerlichen Stadthauses öffnete.

Kapitel 3Wikingerparty

Lilja sah sich suchend nach einer Person um, bei der sie einchecken konnte, aber die Rezeption wirkte verwaist. In dem Raum war alles aus altem dunklem Holz gefertigt: die knarrenden Dielen, die Wände, jedenfalls bis zur Hälfte, der Tresen, der aussah wie der alte Verkaufstisch eines Kolonialwarenladens, und die steile Treppe, die direkt über der Rezeption nach oben führte. Das viele Holz ließ diesen Vorraum allerdings nicht dunkel, sondern eher gemütlich, anheimelnd und ein wenig altmodisch erscheinen, wie vieles in ihrem Heimatland. Aber das liebte Lilja – den angeranzten Charme eines Hauchs von besseren Zeiten in manchen Hotels. Diese Unterkünfte standen in völligem Kontrast zu den modernen, seelenlosen Hotelbauten, die überall an der Ringstraße wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, wie sie auf ihrer Fahrt hierher hatte bedauernd feststellen müssen. Das unterstützte die bitterböse These der Kritiker, dass sich die Architektur in ihrem Land in den beiden Metropolen von der besten Seite zeigte – in Reykjavik mit seinen Vororten und in Akureyri. Ausnahmen existierten demnach nur an historisch bedeutenden Orten oder in reichen Gegenden, in denen man es sich leisten konnte, die Holzhäuser nicht gegen die Launen des Wetters mittels Wellblechverkleidungen zu schützen. Diese Einschätzung über die isländische Architektur hielt Lilja zwar für übertrieben, aber ein Körnchen Wahrheit war daran.

»Hallo!«, rief Lilja und dann noch einmal: »Hallo!« Alles blieb still. Lilja musterte prüfend die diversen Ledermappen mit den kleinen gelben Zetteln, auf denen Namen notiert waren. Wahrscheinlich sind die Schlüssel in diesen Mappen, und man soll sein Zimmer allein beziehen, dachte sie, als sie die Glocke auf dem Tresen entdeckte. Nachdem sie die Klingel betätigt hatte, schwebte wie aus dem Nichts eine Frau in einem festlichen Kleid herein und vertiefte sich mit einem knappen Gruß in die Ledermappen, ohne Lilja jedoch eines Blickes zu würdigen.

»Miss Anderson?«, fragte die Frau und hob den Kopf. Als sie Liljas irritierte Miene wahrnahm, huschte ein Lächeln über ihre Lippen. »Entschuldigen Sie bitte«, erklärte sie beflissen auf Englisch. »Ich bin eigentlich schon weg und habe gehofft, unsere Gäste verstehen, dass sie sich selbst bedienen sollen. Aber vielleicht schreibe ich noch eine kleine Notiz.« Sie stutzte. »Waren Sie schon einmal bei uns? Sie kommen mir so bekannt vor.«

Jetzt gab es für Lilja keinen Zweifel mehr, dass ihre Gebete um Anonymität ungehört verhallt waren. Die junge Frau an der Rezeption war keine Geringere als Liv, Elins beste Freundin. Sie hatte sich kaum verändert. Offenbar weniger als Lilja, denn Liv musterte sie immer noch fragend.

»Nein, ich war noch nie Ihr Gast«, erwiderte Lilja auf Englisch und hoffte, die Neugier von Elins Freundin befriedigt und damit eine Galgenfrist bis zum morgigen Tag gewonnen zu haben. Wenn Liv und Elin immer noch ein Herz und eine Seele waren, dann würden sie sich sicherlich bei der Hochzeit über den Weg laufen. Aber die eine Nacht brauchte Lilja noch, um in Ruhe ...

»Lilja! Du bist mir vielleicht eine! Du wolltest wohl austesten, ob ich dich noch erkenne, oder? Ach, da wird sich Elin aber freuen! Weißt du was? Ich warte hier auf dich, und dann gehen wir gemeinsam rüber!«, rief Liv nun überschwänglich auf Isländisch aus, umrundete den Tresen und riss die verdutzte Lilja in ihre Arme. »Du siehst toll aus«, wiederholte sie ein paarmal, bevor sie sich wieder an ihren Platz hinter dem Empfangstisch zurückzog.

Lilja war so überrumpelt, dass sie alles wortlos über sich ergehen ließ. Allerdings war sie zu keiner persönlichen Begrüßungsgeste in der Lage. »Ja, ich bin zur Hochzeit gekommen, aber die findet ja erst morgen statt«, stieß sie schließlich einigermaßen gefasst hervor.

Liv sah Lilja zweifelnd an. »Sag bloß, du weißt nicht, dass die beiden schon heute am Goðafoss geheiratet haben! Kristian hat doch auf einer Wikingerzeremonie bestanden. Es war so romantisch, als sie sich im Sonnenschein das Jawort gegeben haben. Und unten hörtest du das gigantische Rauschen des Wasserfalls. Dann die vier Goden in ihren Kostümen, die extra aus Reykjavik gekommen waren! Mit den Füllhörnern und dem alten Schwurring. Ein irres Spektakel.«

Schroff unterbrach Lilja Livs Schwärmerei: »Sorry, die Trauung soll morgen um zehn in der Akureyrarkirkja stattfinden.«

»Das ist doch nur die Show für eure Eltern. Du weißt doch, wie deine Mutter drauf ist. Und jetzt, wo dein Vater ...« Liv stockte und wollte rasch das Thema wechseln. »Elin gehört noch der Kirche an und macht das sicher auch gern, also ...«

Lilja aber hatte das Gefühl, als würde sich eine Faust in ihrem Magen drehen. »Was ist mit meinem Vater?«, hakte sie nach.

Liv wirkte nun sichtlich nervös. »Du, weißt du was? Du kommst jetzt einfach mit mir mit. Heute Abend heben wir einen nach Wikinger Art, bevor wir morgen artig in die Kirche marschieren. Oder erwartet dich Elin tatsächlich erst morgen?«

»Nein, sie weiß gar nicht, dass ich komme. Es soll eine Überraschung sein.«

Liv schien es plötzlich sehr eilig zu haben. Offenbar befürchtete sie, sich um Kopf und Kragen zu reden.

»Okay, dann gehe ich mal los und ...«

»Bitte, sag ihr nichts! Aber was hast du damit gemeint? Jetzt, wo dein Vater ...?«

»Nichts, gar nichts! Aber du verrätst bitte auch deinen Eltern nicht, dass die Hochzeit bereits stattgefunden hat«, beeilte sich Liv zu sagen. »Und ich muss jetzt wirklich gehen. Sonst trinken sie noch ohne mich.« Ihr Blick blieb an den Buchungsunterlagen hängen. »Du hast die Nummer elf. Ein Doppelzimmer. Und kommt dein toller Mann denn auch noch?«

Lilja schüttelte genervt den Kopf.

»Gut, dann bis morgen. Und ich schweige wie ein Grab.« Zur Bestätigung legte Liv den Zeigefinger auf den Mund, bevor sie eilig verschwand.

Na toll, dachte Lilja. Da konnte sie nur hoffen, dass Liv sich im Brennivín-Rausch noch an ihren Schwur erinnerte, denn etwas anderes als Saufen konnte sich hinter der angekündigten Wikingerparty kaum verbergen. Damit hatten sie schon früher umschrieben, dass sie Branntwein-Partys veranstalten wollten. Im Vergleich zu Getränken wie Wein und Sekt waren im Vínbúðin die grünen Schnapsflaschen mit den schwarzen Etiketten preislich einigermaßen erschwinglich. Ursprünglich waren die schwarzen Etiketten zur Abschreckung gedacht gewesen, mittlerweile aber zum Markenzeichen des im Volksmund Schwarzer Tod genannten hochprozentigen Getränks geworden. Mithilfe dieses Schnapses ließ es sich jedenfalls relativ preiswert feiern.

Kopfschüttelnd griff sich Lilja ihre Mappe, zog den Schlüssel hervor und stieg die steile Treppe nach oben.

Liebend gern hätte sie sich jetzt ein Glas Wein genehmigt, aber nachdem sie wusste, dass irgendwo in der Nähe die Wikingerhochzeit ihrer Schwester gefeiert wurde, verzichtete sie nicht nur auf einen Wein, sondern auch darauf, noch eine Kleinigkeit essen zu gehen. Die Gefahr, einem der feierfreudigen Wikinger in die Arme zu laufen, war viel zu groß.

Und was war das überhaupt für eine schräge Party? Wieso feierte Elin nach heidnischem Ritual und gaukelte ihren Eltern vor, christlich zu heiraten? Und was war mit ihrem Vater? Keine Frage, Liv hatte sich zwar rechtzeitig unterbrochen, aber ihr Blick hatte Bände gesprochen.

Erschöpft ließ sich Lilja auf die Überdecke des riesigen Doppelbettes fallen, das fast den gesamten Raum einnahm. Kaum hatte sie sich lang ausgestreckt, da begannen ihre Gedanken Achterbahn zu fahren. Bedford, George, Noah, Debbie, ihre Eltern, Liv und immer wieder die quälende Frage: War es wirklich richtig, ihrem Bauchgefühl gefolgt zu sein und nicht der Stimme der Vernunft, die sie nach Vancouver geführt hätte? Was, wenn das nur eine Reise in die Vergangenheit war und der ganze Besuch in einer fürchterlichen Enttäuschung für alle Beteiligten endete? Was, wenn ihr Vater ihr nicht verzeihen konnte? Was, wenn ihre Mutter Wind davon bekam, dass ihre Tochter diesen wunderbaren Mann schnöde verlassen hatte?

Doch bei allen Zweifeln, die ihr durch den Kopf geisterten, hatte es auch etwas Beruhigendes, auf diesem Bett zu liegen, weil sich selbst dieses fremde Hotelzimmer wie ein Stück Heimat anfühlte.

Lilja wachte mitten in der Nacht völlig gerädert auf. Der Mond schien hell durch die beiden großen Fenster. Einen winzigen Augenblick brauchte sie, um sich zu orientieren, doch dann wusste sie sofort, dass sie auf dem Bett im Hrafninn eingeschlafen war.

Stöhnend stand sie auf und blickte aus dem Fenster. Wie friedlich die Hafnarstræti dort unten vor sich hindämmerte! Auf den Dächern der Häuser lag immer noch der Schnee, ebenso am Straßenrand. Auch hier musste kürzlich noch die ganze Stadt von einem weißen Mantel bedeckt gewesen sein. Nun waren lediglich die Reste der weißen Pracht übrig. Lilja war das nur lieb. Heftigen Schneefall hatte sie in Kanada genügend erlebt. Sie wünschte sich vom Wetter her eigentlich noch einmal so einen schönen Tag wie diesen. Das wäre doch das richtige Wetter für eine Hochzeit. Sie unterbrach ihre Gedanken an das Fest. Seit sie wusste, dass ihre Schwester die ganze Chose in der Kirche nur ihren Eltern zuliebe veranstaltete, hatte sich ihre Vorfreude auf Elins Hochzeit merklich verringert. Obwohl sie die Letzte war, die Elin diese verlogene Show vorwerfen sollte, behagte es ihr überhaupt nicht, morgen nicht nur mit der Last ihres eigenen Geheimnisses in der Kirche aufzutauchen.

Als sie hörte, wie sich unten auf der Straße kichernde Frauenstimmen näherten, zog sie hastig die Vorhänge zu und schaltete das Licht aus. Nicht, dass es sich womöglich um Elins Freundinnen handelte. Mit pochendem Herzen tastete sie sich im Dunklen zum Bett. Dort zog sie ihre Reisekleidung aus und kuschelte sich unter das warme Federbett. Schließlich griff sie sich den kleinen Wecker vom Nachttisch und stellte ihn auf sieben Uhr. Sie wollte unbedingt noch frühstücken, um nicht mit knurrendem Magen in der Kirche aufzukreuzen.

Sosehr sie sich danach sehnte, wieder einzuschlafen, war sie doch hellwach. Obwohl es gut geheizt im Zimmer war, fröstelte es sie. Der Lärm war inzwischen unter ihrem Fenster vorbeigezogen, sodass sie sich traute, das Licht noch einmal einzuschalten. Sie holte sich aus ihrem Koffer das Nachtzeug und aus dem Bad ein Glas mit frischem Wasser.

Ihr Koffer war nicht gerade klein, aber mit einem gewissen Bedauern dachte sie an die vielen schönen Dinge, die sie in Bedford zurückgelassen hatte. Natürlich hätte sie einen Container mit ihren Möbeln, Bildern und ihrem Geschirr packen lassen können, aber ihre Sorge, mit Noah dann über die Eigentumsverhältnisse eines jeden Kaffeebechers streiten zu müssen, hatte sie darauf verzichten lassen. Er hätte glatt geleugnet, dass sie in der Lage gewesen war, diese ganzen schönen Dinge aus eigener Tasche zu zahlen. Für ihn war ihr Job als Biologin am Bedford Institute of Oceanography in der Abteilung für Fischereiwesen eher ein Hobby gewesen. Dabei hatte sie nicht schlecht verdient. Und das wusste Noah genau. Nur durchkreuzte ihre Festanstellung in dem Institut den Plan von Mutter und Sohn, rund um die Uhr für Georges Betreuung zur Verfügung zu stehen. Doch weder Noahs abschätzige Bemerkungen noch die Gemeinheiten seiner Mutter, die auch nicht davor zurückgeschreckt war, ihr vorzuwerfen, sie stinke selbst schon nach Fisch, hatten sie davon abbringen können, ihrer Arbeit nachzugehen. George zuliebe hatte sie allerdings nur halbtags gearbeitet. Debbie scheute sich nämlich nicht, ihren Mann wechselnden Pflegerinnen zu überlassen.

George hatte ihr als Dankeschön für ihren Einsatz zum Abschied noch ein paar Scheine zugesteckt, die es ihr zusammen mit ihrem bisschen Ersparten ermöglichten, einige Wochen ohne Arbeit zu überleben, ganz gleich, was ihr die Zukunft bringen würde. Am Institut hatte man ihr jedenfalls hervorragende Referenzen erteilt und sie außerplanmäßig aus dem Vertrag entlassen, als sie dort mit offenen Karten gespielt und zugegeben hatte, dass sie sich von ihrem Partner getrennt hatte. Die Kollegen hatten ihr einhellig geraten, ihr Glück in Vancouver zu versuchen. Mit den Bewertungen würde sie jeden Job bekommen, hatte ihr der Chef prophezeit. Und nun stand sie ganz ohne konkrete Perspektiven da. Aber war sie vor sechs Jahren nicht auch ohne jegliche Sicherheit, in Kanada einen Job zu finden, mit Noah in das fremde Land gezogen? Und das nicht nur, um Misses Anderson zu werden, sondern auch, um dort über kurz oder lang eine Arbeit zu finden, die ihr Spaß machte. Über die Meere und deren Bewohner zu forschen, war nicht nur ein simpler Job für Lilja, sondern eine Berufung. Auch wenn ihr Vater ihre Forschungsergebnisse nie wirklich ernst genommen hatte, hatte er immerhin, ohne mit der Wimper zu zucken, ihr Studium bezahlt. In Wirklichkeit ist er stolz auf dich, hatte ihre Mutter stets behauptet. Er kann es nur nicht zeigen. Das allerdings hatte Lilja von jeher bezweifelt, war dies doch ein beliebter Trost der Mütter, indem sie den Töchtern die heimliche Anerkennung der Väter versicherten.

Lilja war so wach, dass sie Schwierigkeiten hatte, die Augen geschlossen zu halten, nachdem sie sich wieder ins Bett gelegt hatte. Wie im Hamsterrad drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf. Das Schlimme war, dass ihr plötzlich alles, was nun vor ihr lag, wie ein unüberwindlicher Berg erschien. Wäre es nicht einfacher gewesen, in Kanada zu bleiben und der Familie von ferne die glücklich verheiratete Tochter vorzuspielen?

Nein, sagte sich Lilja schließlich energisch, als bereits der Morgen graute. Dann wäre sie ihres Lebens nicht mehr froh geworden, denn bei all dem Chaos fühlte es sich verdammt gut an, wieder in Akureyri zu sein. Es wird schon für alles eine Lösung geben, war ihr letzter Gedanke, bevor ihr endlich die Augen zufielen.

Kapitel 4Das schilfgrüne Haus

Obwohl Lilja wenig geschlafen hatte, war sie sofort hellwach, als der Wecker sie aus dem Tiefschlaf riss. Sie wunderte sich selbst, dass sie sich frisch fühlte und überdies erstaunlich gute Laune hatte. Wahrscheinlich überlagerte die Vorfreude, ihre Familie wiederzusehen, alle potenziellen Probleme. Sie duschte ausgiebig und zog das kurze Etuikleid an, das sie sich am Flughafen in Halifax extra für die Hochzeit gekauft hatte. Sie war eigentlich nur in den Laden gegangen, um für ihre Schwester ein buntes Tuch aus dem Schaufenster zu erstehen. Auch wenn das sicher kein passendes Hochzeitsgeschenk war, es war besser, als mit leeren Händen zu kommen. Und dann hatte sie dieses Kleid gesehen und es so lange angestarrt, bis die Verkäuferin sie ermutigt hatte, es doch wenigstens einmal anzuprobieren.

Als sie sich nun damit vor dem Spiegel drehte, war sie mit ihrem Spontankauf mehr als zufrieden. Sie liebte klassische Kleidungsstücke, die allerdings nicht bieder wirken durften. Das Besondere an diesem Kleid war die Farbe, ein dunkles Rot. Normalerweise hätte man dazu die passenden Pumps getragen, aber Lilja mochte kleine Brüche und zog ihre knielangen Stiefel an. Ihr dickes dunkles Haar steckte sie hoch. Mit silbernen Kreolen und einem zum Kleid passenden Lippenstift rundete sie das Outfit ab.

Dann schlüpfte sie in ihren Winterparka mit der Kapuze, die ein Kunstfell zierte. Das war gar nicht so einfach gewesen, sich nicht aus Versehen an einem echten Pelzkragen zu vergreifen. Der geringe Preis war nämlich kein Faktor mehr, woran man Webpelz von einem Marderhund früher einmal unterscheiden konnte. Im Gegenteil, Echtfell wurde oft zum Dumpingpreis angeboten. Lilja war deshalb auf Nummer sicher gegangen und hatte ihren Parka von einer Firma gekauft, die sich dazu bekannte, aus Prinzip keine Echtfelle anzubieten.

Lilja hoffte, dass die Rezeption unbesetzt war. Eine erneute Begegnung mit Liv hätte sie gern vermieden, jedenfalls bevor sie endlich ihre Familie wiedergesehen hatte. Doch kaum hatte sie die letzte Treppenstufe genommen, kam Elins Freundin schon herbeigeeilt. Sie wirkte reichlich verkatert und winkte Lilja nur müde zu.

»Warte, ich komme auch gleich! Dann können wir gemeinsam gehen. Ich muss nur noch meinen Freund wecken«, schlug sie vor.

Lilja blieb abrupt stehen und überlegte fieberhaft, wie sie Liv schonend beibringen konnte, dass sie auf dem Weg noch beim Bäcker frühstücken und sich lieber allein auf das Wiedersehen mit ihrer Familie vorbereiten wollte. Doch Liv schien das schon ihrer Miene zu entnehmen.

»Sorry, ich kann mir gut vorstellen, dass du lieber ungestört sein möchtest. Ich glaube, Elin wird ausrasten vor Freude. Sie hat gestern mehrfach gesagt, dass du ihr an diesem Tag sehr fehlst.«

»Danke für dein Verständnis. Ich möchte jetzt wirklich lieber allein sein. Ich habe meine Familie über sechs Jahre nicht gesehen, aber du könntest mir einen Gefallen tun. Weißt du, ob Sigurd kommt?« Liljas Herz klopfte ihr bis zum Hals, weil sie eine negative Antwort befürchtete.

Liv aber zuckte bedauernd mit den Schultern. »Sie hat euren Bruder nicht erwähnt. Aber soviel ich weiß, ist er die meiste Zeit auf See, denn er arbeitet wohl für eine dieser großen Trawlerfirmen. Ich glaube, das hat Elin mir erzählt. Dabei hätten wir Mädels ihn gern auf der Hochzeit getroffen. Er war doch unser aller heimlicher Schwarm.«

»Okay, ich werde es ja sehen«, seufzte Lilja und machte sich keine allzu großen Hoffnungen, Sigurd zu begegnen. Sonst hätte Elin ihren Freundinnen mit Sicherheit davon berichtet, denn nicht nur Elins Freundinnen, sondern auch ihre eigenen hatten stets insgeheim oder auch ganz offen für Sigurd geschwärmt. Dabei war ihr Bruder alles andere als ein klassischer Frauentyp. Eher wie ein großer Junge mit sanften, etwas melancholischen Augen, der es aber verstand, jedem Mädchen in intensiven Gesprächen das Gefühl zu geben, als Person wirklich gemeint zu sein. Eigentlich war er für einen Fischer viel zu weich, aber keiner hatte je daran gezweifelt, dass er das Familienunternehmen weiterführen würde. Bei seinen Kumpels, die alle härter drauf waren als er, hatte er sich den Spitznamen der Frauenversteher eingehandelt. Nur hatte er nie eine feste Freundin gehabt, jedenfalls keine, die er zu Hause vorgestellt hätte. Ach, es wäre zu schön, Sigurd zu treffen!, dachte Lilja, glaubte aber nicht daran, dass er zur Hochzeit ihrer kleinen Schwester kommen würde. Komisch, dass Elin nun die Erste der drei Geschwister war, die heiratete. Bei dem Verschleiß ihrer Schwester an jungen Männern wäre Lilja jede Wette eingegangen, dass sich Elin, wenn überhaupt, sehr spät binden würde.

Als Lilja auf die noch menschenleere Straße trat, wurde ihr klar, dass sie viel zu früh unterwegs war. Es waren noch gute zwei Stunden bis zur Trauung. Sie hoffte, dass wenigstens der Bäcker schon geöffnet hatte. Und dass sie auf der Straße keinen bekannten Gesichtern aus früheren Zeiten begegnete. Nur über eins hätte sie sich gefreut, sinnierte sie, während sie ein wunderschönes schilfgrünes Haus passierte, in dem die Eltern ihrer einst besten Freundin Fanney ein Café betrieben hatten. Dort befand sich nun ein Restaurant. Ja, Fanney würde sie liebend gern wiedersehen. Sie war die Einzige, die sie damals bei ihrem Liebeskummer halbwegs hatte trösten können. Fanney hatte sich die abenteuerlichsten Ablenkungen für sie ausgedacht. Sie war der Meinung, ihre Freundin müsse unbedingt unter Leute und etwas unternehmen, statt sich in ihrem Zimmer zu verschanzen und sich von ihrer Mutter anzuhören, wie froh ihre Tochter sein könne, diesen Kerl los zu sein. Sogar zum Heliskiing hatte sie Lilja einmal überreden können. Sie lief zwar von Kindesbeinen an Ski, aber der Vorstellung, mit einem Hubschrauber auf die entlegensten Gipfel transportiert zu werden, um in völlig unberührter Natur die Pisten hinunterzufegen, konnte sie nicht viel abgewinnen. Und doch hatte sich das magische Bild in ihre Seele gebrannt, wie sie sich in jener Mainacht vom Gipfel kommend auf die Grönlandsee zubewegt hatten. Direkt auf die Sonne zu, die wie ein Feuerball am Horizont gestanden und den Schnee in ein leuchtendes orangefarbenes Licht getaucht hatte. Das war auch so ein Phänomen, das sie mit ihrer Heimat verband. So dunkel die langen Winternächte hier einhundert Kilometer südlich des Polarkreises auch manchmal sein konnten, so hell waren die Sommernächte. In der Zeit um Mittsommer ging die Sonne gar nicht mehr unter. Aber das war nicht alles gewesen, was sich Fanney für sie ausgedacht hatte. Sogar auf einen abgelegenen Reiterhof hatte sie ihre Freundin entführt. Es war ein wunderschönes Wochenende geworden, besonders für Fanney, die sich Hals über Kopf in den Sohn des Besitzers verliebt hatte. Lilja schloss für einen winzigen Moment die Augen und wünschte sich die Freundin intensiv herbei.

Ihr Verhältnis zu Fanney war ein besonders inniges gewesen. Bis kurz nach dem Abitur. Da war ihre Freundin zu Liljas großem Bedauern direkt aus dem Klassenzimmer auf jenen Pferdehof zu dem jungen Mann in die Einsamkeit gezogen, weil sie schwanger war. Dort hatte sie zusammen mit seinen Eltern in wilder Ehe gelebt. Das hatte weder das junge Paar noch seine Eltern gestört, denn es war in Island gar kein Problem, ohne Trauschein eine Familie zu gründen. Doch ihren streng katholischen Eltern zuliebe hatte sie Jón geheiratet. Das war Liljas Erinnerung nach das letzte Mal, dass sie sich gesehen hatten. Auf der Hochzeitsfeier, die zu dem Tristesten gehörte, was Lilja je erlebt hatte. Nach der Kirche waren sie in das schmucklose Café ihrer Eltern gegangen und hatten dort trockenen Kuchen und viel zu dünnen Kaffee getrunken. Aber besonders schrecklich hatte Lilja Fanneys frischgebackene Schwiegermutter in Erinnerung. Sie hatte die ganze Zeit an Fanney herumkritisiert: Das Hochzeitskleid sei viel zu eng, ihre Eltern seien eine Zumutung (womit sie nicht ganz unrecht hatte), und Fanney solle sich das Haar endlich kürzer schneiden lassen. Und das am angeblich schönsten Tag im Leben einer Frau. Lilja hatte sich an jenem Tag geschworen, niemals zu heiraten. Daran hatte sie sich zwar gehalten, aber trotzdem eine entsetzliche Schwiegermutter bekommen, wenn auch ohne Trauschein.

Leider hatten Fanney und sie nach der Hochzeit den Kontakt verloren. Das Letzte, was sie von ihrer Freundin gehört hatte, war die Tatsache, dass es viel Arbeit auf dem Hof gab und sie keine Zeit hatte, zu Liljas Geburtstag zu kommen. Und dass sie ein eigenes Pferd bekommen hatte. Lilja erinnerte sich noch gut daran, wie eingeschnappt sie damals gewesen war, weil Fanney überhaupt keine Anstalten machte, sie wiederzusehen. Sie hatte dann recht schroff auf die Absage geantwortet, und wenig später hatte sie mit dem Studium begonnen, neue Leute kennengelernt und etwas mit Thorwald angefangen. Und den hatte Fanney damals nicht besonders gemocht. Weshalb Lilja ihr auch nicht einmal geschrieben hatte, dass sich etwas zwischen Thorwald und ihr angebahnt hatte. Lilja hatte manchmal auch in der Ferne an die Freundin gedacht und überlegt, ob sie nicht den ersten Schritt machen sollte, aber es war dann immer etwas anderes dazwischengekommen.

Ach, wie gern würde sie Fanney einmal wiedersehen! Sie waren wirklich unzertrennliche Freundinnen gewesen, was ihnen in der Klasse die Spitznamen Nonni und Manni eingebracht hatte. Diese Namen entstammten den Romanen des in Island bekannten Autors Jón Stefán Sveinsson, der in Akureyri aufgewachsen und dem in der Stadt sogar ein eigenes Museum gewidmet war. Zwölf Bücher hatte er mit seinen Protagonisten, den unzertrennlichen Brüdern, verfasst. Insofern war es fast eine Ehre für die beiden Freundinnen gewesen, von ihren Mitschülern so genannt zu werden.

Vielleicht konnte sie wenigstens Fanneys Eltern ausfindig machen, um Kontakt zu ihrer alten Freundin aufzunehmen und sie in der Einöde zu besuchen, falls sie tatsächlich in Island bleiben sollte. Das schilfgrüne Haus hatte jedenfalls eine heftige Sehnsucht nach Fanney entfacht.

Die Bäckerei hatte bereits geöffnet. Zögernd betrat Lilja das Geschäft, doch sie hatte Glück. Keine alten Bekannten weit und breit! Auch die junge Verkäuferin war ihr völlig unbekannt, und so konnte sie sich in Ruhe ein Frühstück zusammenstellen. Sie entschied sich für Kaffee, ein Brötchen mit Käse und einen Donut. Als sie bezahlte, merkte sie erst, wie hungrig sie war. Und noch etwas anderes fiel ihr wieder ein, was sie mit den Jahren verdrängt hatte – das hohe Preisniveau in ihrer Heimat. Kanada war zwar auch nicht gerade ein Billigland, aber Lilja schluckte, als sie der Verkäuferin ihren Zweitausendkronenschein in die Hand drückte und nur ein paar kleine Münzen zurückbekam. Dafür schmeckte alles hervorragend. Außerdem gab es eine örtliche Tageszeitung, die Lilja neugierig überflog. Sie staunte nicht schlecht, als ihr auf einem Foto Elin entgegenlächelte. Als Ensemblemitglied der Akureyri Theater Company und Schauspiellehrerin an der angeschlossenen Akademie war ihre bevorstehende Heirat mit dem Regisseur Kristian Baldurson offenbar von öffentlichem Interesse. Sogar der Zeitpunkt der kirchlichen Trauung wurde ausdrücklich erwähnt. Auf einem zweiten Foto standen Braut und Bräutigam unter einer roten Herzampel und blickten einander verliebt an. Ein schönes Paar, dachte Lilja, doch als sie sich Kristian näher betrachtete, stutzte sie. Das war unverwechselbar Björns Cousin! Ein merkwürdiger Zufall, dass Elin jetzt den Cousin ihrer ersten Liebe heiratete, fand sie und nahm sich fest vor, ihn auf keinen Fall nach Björn zu fragen. Im Gegenteil, sie würde so tun, als könne sie sich gar nicht mehr an die alte Geschichte erinnern. Das durfte nur nicht zu übertrieben wirken. Björn, welcher Björn?, sollte sie vielleicht nicht gerade ausrufen, wenn Kristian von sich aus auf das Thema kommen würde.

Und sofort waren Lilja einige Details ihrer alten Liebe präsenter, als ihr lieb war. Wie sie mit dem Boot seines Onkels für ein ganzes Wochenende zur Insel Grímsey gefahren waren. Und wie auf der nächtlichen Hinfahrt plötzlich das Meer geleuchtet hatte. Tausend grüne und blaue Sternchen hatten auf dem Meer getanzt. Lilja hatte Björn ausführlich erklären wollen, wie das Phänomen der Biolumineszenz zustande kam. »Du musst wissen, es ist nicht das Meer, das leuchtet, sondern die im Wasser befindlichen Algen senden durch die Berührung Lichtsigna ...« In dem Moment hatte er ihr den Mund mit einem Kuss verschlossen und danach geflüstert: »Für mich ist das ein Zeichen, dass ich dich überall berühren möchte.«

Da hatte es bei Lilja dann doppelt geleuchtet – draußen auf dem Meer und drinnen in ihrem Herzen. Sie erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen. Dabei hatte sie jahrelang nicht mehr daran gedacht.

Auch nicht, wie sie sich dann im Zelt am einsamen Strand auf der Insel, durch die der Polarkreis lief, geliebt hatten. Kein Auge zugetan hatten sie, weil in dieser Nacht nicht eine Stunde lang Dunkelheit geherrscht hatte. So hatten sie die Mitsommernacht in enger Umarmung – eingekuschelt in ihre Winterjacken, denn das Thermometer war nicht höher als zehn Grad Celsius gestiegen – vor ihrem Zelt verbracht. Stundenlang hatten sie zugesehen, welch reiche Beute die Papageientaucher machten. Es war faszinierend, wie sie selbst mit großen Fischen quer im Maul aus dem Meer aufgetaucht und zu ihren Basaltfelsen zurückgeflogen waren. Es war die romantischste Nacht ihres Lebens gewesen. Zwischendurch hatten sie sich immer wieder im Schutz des kleinen Zelts geliebt und den köstlichen Skúffukaka genossen, einen Schokoladenkuchen mit viel Lakritze, den Björn seiner Mutter stibitzt hatte. Allerdings erinnerte sie sich auch noch gut an das böse Erwachen am nächsten Tag, als sie nach Hause zurückgekehrt war, denn ihre Mutter hatte dummerweise herausbekommen, dass Lilja die Nacht nicht bei einer Schulfreundin verbracht hatte. Das Donnerwetter hatte sie allerdings als Preis für die magische Mittsommernacht mit Björn stoisch über sich ergehen lassen.

Das Erlebnis war in diesem Moment so präsent, dass sie immer noch den sommerlichen Geruch des Eismeeres in der Nase hatte und meinte, die Flügelschläge der Papageientaucher in der zauberhaften Stille der Polarinsel zu hören. Und auch das Meeresleuchten tauchte vor ihrem inneren Auge auf.

Wie gut, dass sie nun gewarnt war, seinem Cousin zu begegnen. Sonst hörte sie bei der Begegnung mit ihm plötzlich wie aus dem Nichts noch Flügelschläge und sah imaginäres Meeresleuchten. Nein, das würde ihr garantiert nicht passieren! Das waren doch nichts als unbedeutende Erinnerungsfetzen an eine längst vergangene Liebe! Fakt war nur, dass Björns Cousin Kristian ab heute – oder eigentlich schon seit gestern – zur Familie gehörte. Vielleicht genügte es, ihm gegenüber die glückliche Ehefrau zu spielen, damit er gar nicht auf den Gedanken kam, sie auf die uralte Sache mit Björn anzusprechen.

Lilja legte die Zeitung beiseite und straffte die Schultern. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es immer noch zu früh war, zur Kirche zu gehen. Vor allem wollte sie ungern die Erste sein. Im Gegenteil. Eigentlich hatte sie geplant, sich in der Kirche lieber im Hintergrund zu halten und dann nach der Trauung aus der Deckung zu kommen. Die anschließende Feier fand im Restaurant des Hof-Kulturzentrums statt. Sofern sie es geschickt anstellte, würde sie ihre Familie erst dort begrüßen. Wenn sie sich in die hintere Bank setzte, konnte sie verschwinden, bevor das Brautpaar die Kirche verließ. Und dann müsste sie es eigentlich schaffen, vor ihnen dort zu sein, denn von der Kirche zum Hof waren es nicht mehr als fünf Minuten Fußweg.

Kapitel 5Wenn Wünsche wahr werden

Gedankenverloren verließ Lilja die Bäckerei und achtete für einen Augenblick nicht auf die Passanten, die jetzt vermehrt unterwegs waren.

Sie schreckte hoch, als eine Frauenstimme erstaunt ausrief: »Das gibt es doch nicht! Nonni, du?«

Lilja blickte nun in jenes Gesicht, das sie kurz zuvor herbeigesehnt hatte. Fanney hatte sich kaum verändert. Gut, sie war auch ein unverwechselbarer Typ mit ihren Huskyaugen. Die Iris hellblau und die Pupillen tiefschwarz. Dazu weizenblondes Haar. Und dann dieses Lächeln.

»Ich habe gerade an dich gedacht«, stieß Lilja ungläubig aus. Sie konnte es kaum fassen, dass Fanney nun leibhaftig vor ihr stand.

»Du weißt doch, dass die Elfen unsere Wünsche erfüllen, wenn wir nur fest daran glauben«, lachte Fanney. Um ihre Augen strahlte nun eine Sonne aus winzigen Falten. Die waren neu, aber das machte sie nur noch schöner, wie Lilja fand. Natürlich erinnerte sie sich daran, wie sie als Kinder ihre Wünsche den Elfen zugeflüstert hatten, die ihrer Meinung nach etwas außerhalb der Stadt am Fuß des Súlur wohnten. Dort hatten die beiden Mädchen sogar ein kleines Elfenhaus gebaut, vor das sie bei jedem Besuch Süßigkeiten legten.

»Lass dich umarmen!«, rief Lilja immer noch staunend. Die einstigen besten Freundinnen fielen einander stürmisch um den Hals, bevor Fanney Lilja zu einer der zahlreichen Bänke zog.

»Was machst du hier in Akureyri?«, fragte Fanney, nachdem sie sich hingesetzt hatten, doch dann fasste sie sich an den Kopf. »Natürlich, die Hochzeit deiner Schwester! Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Ich war untröstlich, als ich erfahren musste, dass du nach Kanada ausgewandert bist. Und, wo ist dieser Supermann, von dem deine Mutter jedes Mal über alle Maßen schwärmt, wenn ich sie treffe?«

Das ist typisch für meine Mutter, dachte Lilja genervt, dass sie mit ihrem vermeintlichen Schwiegersohn angibt, statt mir zu schreiben, dass sie Fanney getroffen hat. Sie wusste doch, wie nahe sich die beiden früher gestanden hatten. Um nicht in Verlegenheit zu geraten, stellte Lilja rasch die Gegenfrage:

»Und du? Was machst du in der Stadt?«

»Lange Geschichte. Ich hoffe, du bleibst ein paar Tage. Damit wir uns ausführlich austauschen können. Ich bin geschieden und lebe hier, seit meine Eltern kurz nacheinander gestorben sind.«

»Herzliches Beileid.«

Fanney kaute verlegen auf ihrer Unterlippe herum. »Sagen wir mal so ... Es war natürlich traurig, aber wir hatten nie ein wirklich gutes Verhältnis. Jedenfalls habe ich das Café übernommen und ein Restaurant daraus gemacht. Du musst unbedingt im Fjörður vorbeikommen.«

»Versprochen, ich bleibe auch ein wenig länger.« Lilja hatte das Bedürfnis, Fanney ohne Umschweife und auf der Stelle die ganze Wahrheit zu erzählen, denn die alte Vertrautheit war seit der ersten Sekunde ihrer Begegnung wieder da gewesen. Zwischen Tür und Angel wollte sie aber nicht damit beginnen. Und vor allem nicht, bevor sie ihre Familie begrüßt hatte.

»Also, übermorgen Abend ist im Fjörður Ruhetag. Das habe ich noch von meinen frommen Eltern übernommen. Sonntags wird nicht gearbeitet«, erklärte Fanney breit grinsend. »Komm doch einfach im Restaurant vorbei! Dann koche ich uns was Schönes, und ich habe gute Weine im Angebot.«

»Aber hast du nicht ein Kind?«

Fanneys Blick verdüsterte sich. »Eine Tochter, aber Smilla lebt im Internat in der Nähe unserer Farm. Also, nicht fußläufig, sondern mit dem Wagen in zwei Stunden zu erreichen. Jón holt sie jedes Wochenende ab, damit sie zu ihren Pferden kann.«

Lilja fragte nicht weiter. Vor allem nicht, ob die Tochter denn gar keinen Impuls hatte, Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen. Aber warum sollte in Fanneys Leben auch alles glatt laufen? Offenbar hatte sie ebenfalls ein paar heftige Baustellen.

Lilja nahm die Hand ihrer Freundin und drückte sie sanft. »Ich glaube, wir haben uns viel zu erzählen«, murmelte sie.

»Das glaube ich auch, denn dass dich etwas bedrückt, das habe ich sofort erkannt.«

»O nein! Ich fand heute Morgen, dass ich blendend aussehe«, lachte Lilja verlegen.

»Du bist wahnsinnig hübsch. Keine Frage. Ich hatte ganz vergessen, was du für schöne braune Augen hast und auch so tolles Haar«, schwärmte Fanney. »Aber in deinen Augen schimmert etwas Trauriges durch.«

»Oje, das ist gar nicht in meinem Sinn! Ich möchte meiner Familie eine glückliche Strahlegattin präsentieren.«

»Keine Sorge, das schaffst du. Deine Mutter sieht solche Nuancen nicht.«

»Du kennst sie noch ganz gut, oder? Sie will das nicht sehen. Meine Mutter möchte sich in ihrer heilen Welt einrichten.«

»Das ist natürlich nicht mehr so einfach mit deinem Vater.«

»Was ist mit ihm? Elins Freundin Liv hat im Hotel schon so eine komische Andeutung gemacht. Aber sie hat sich dann rausgewunden. Nun sag du mir bitte, was los ist!«

»Und du versprichst mir, dass du die Botin der schlechten Nachricht nicht erschlägst?«

»Ich schwöre es!« Obwohl Lilja die innere Angespanntheit in jeder Pore fühlte, war sie froh, dass Fanney ihr endlich verriet, was mit ihrem Vater los war, ganz gleich, wie schlimm es auch immer sein würde. Daran, dass es eine schlechte Nachricht war, zweifelte Lilja nicht.

»Dein Vater hatte vor ein paar Monaten einen Unfall auf seinem ollen Walfänger.«