Ein Sommer im Primrose Tower - Annie Robertson - E-Book
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Ein Sommer im Primrose Tower E-Book

Annie Robertson

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Beschreibung

Ein Neuanfang gibt der Liebe eine zweite Chance zu erblühen ... Als die Floristin Jennie im Londoner Viertel Primrose Hill einen Job bei einer der angesehensten Floristinnen des Landes bekommt, ist das ihre Chance, endlich ihren großen Traum zu verwirklichen. Doch als eine reiche Kundin sie feuern lässt und sich Jennies Leben von einer Sekunde auf die nächste um hundertachtzig Grad dreht, wagt sie den Sprung ins kalte Wasser und gründet kurzerhand ihr eigenes Blumengeschäft. Als Jennie mit ihrer neuen Freundin Kat in den Primrose Tower zieht, lernt sie eine Gruppe starker Frauen kennen, auf deren Unterstützung sie vertrauen kann, als sie die größte Hochzeit ihrer Karriere an Land zieht. Aber es ist schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, wenn James, ein charmanter Arzt, sie ständig ablenkt. Kann Jennie mit Hilfe ihrer neuen Freundinnen die schwierige Situation mit ihrem Ex meistern, ihre Karriere retten und gleichzeitig die Hochzeit des Jahres auf die Beine stellen? Und wird James' und Jennies Liebe in diesem Sommer im Primrose Tower aufblühen? --- "Das Buch bekommt von mir fünf große, glänzende Sterne. Wenn Sie sich nach Gemeinschaft, Freundschaft und Liebe sehnen, ist dies die perfekte Lektüre" – Sue Moorcroft "Aufmunternd, romantisch und lustig, inklusive Lächel-Garantie!" – Holly Martin "Eine erblühende, schöne Geschichte! Dazu ein entzückendes Ensemble von charmanten, starken Charakteren und eine gute Dosis Freundschaft, Liebe und Herausforderungen auf dem Weg. Ein perfektes Stärkungsmittel für die täglichen Herausforderung des wahren Lebens" – Kate Frost "Eine schöne, manchmal herzzerreißende Lektüre, bei der einem ganz warm ums Herz wird und die einen bis zum Ende lächeln lässt ... Schnappen Sie sich ein kühles Getränk und verkrümeln Sie sich in den Garten, um diese lustige Liebeskomödie in vollen Zügen zu genießen." – Lizzies kleine Bücherecke "Ein Sommer im Primrose Tower ist eine inspirierende Geschichte und die perfekte Sommerlektüre! Ich habe das Buch in einem Zug durchgelesen, weil es einfach so wunderbar war." – Amazon-Rezension

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Ein Sommer im Primrose Tower

Ein Sommer im Primrose Tower

© Annie Robertson 2022

© Deutsch: Jentas A/S 2024

Titel: Ein Sommer im Primrose Tower

Originaltitel: Summer at Primrose Tower

Übersetzung: Kirsten Henrieke Evers, © Jentas A/S

ISBN: 978-87-428-2056-8

First published in Great Britain by Welbeck.Published by agreement with The Schoolhouse Partnership and Blake Friedmann Literary, TV and Film Agency Ltd.

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Für Dani und Lesley,Freunde und Nachbarn

PROLOG

”Du hast das Richtige getan, Liebes”, sagte Irene und legte ihre Hand auf Jennies Rücken. Selbst durch die dicken Kleidungsschichten und den gelben, wasserdichten Mantel hindurch konnte Jennie noch ihre Berührung spüren, voller Unterstützung, voller Liebe, voller Mütterlichkeit.

”Das hoffe ich”, sagte Jennie, und ihre Stimme war so brüchig wie die Zweige, die unter ihren Gummistiefeln knackten. Sie konnte nicht sagen, ob sie sich wegen des Schocks, des Schmerzes, der Verwirrung oder wegen einer Kombination aus allen dreien so schwach fühlte, aber sie wusste, dass es sich schon viel besser anfühlte, jetzt, wo sie draußen war, in den Wäldern des Anwesens Brompton Manor. Die ersten blühenden Frühlingsboten drängten sich durchs Unterholz und kämpften um ihr junges Leben.

”Wenn du mich fragst, kannst du froh sein, dass du ihn los bist”, sagte ihr Vater Tony, der in seinem marineblauen Anorak und Dunlop-Gummistiefeln die Nachhut bildete.

”Danke, Dad”, antwortete sie mit dünner Stimme. Ihr Vater war von allen derjenige, für den es ihr am meisten leid tat. Er war es schließlich gewesen, der in die Kirche gegangen war, um allen mitzuteilen, dass die Hochzeit abgeblasen war; er war derjenige, der umsonst für alles bezahlt hatte.

”Wenn ich ehrlich bin, kann ich es immer noch nicht ganz begreifen”, sagte Irene und beobachtet Bruno, den schwarzen Labrador der Familie, der in den Farnen vor ihnen herumwühlte.

Sogar Bruno ist in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht ganz auf der Höhe gewesen, dachte Jennie.

Bei all dem Kommen und Gehen – Jennie und ihre Schwester Claire waren im Haus, Jennies Chefin Dorothy brachte die Blumensträuße und Anstecksträußchen vorbei, und überall hingen Kleider im Haus herum – war Bruno in die Küche verbannt gewesen. Und dann war da noch das Gefühl der Trostlosigkeit im Haus, als sie die Hochzeit abgesagt hatte. All die Telefonate, die geführt werden mussten. Alle hatten den Kopf voller Gedanken, aber kaum jemand sagte ein Wort. Bruno war erst weit nach 21 Uhr gefüttert worden, alle waren zu verwirrt gewesen, um an ihn zu denken.

”Ich hätte die Entscheidung schon vor Monaten treffen sollen”, sagte Jennie und nahm die linke Abzweigung des Weges, wie sie es im Laufe der Jahre so oft getan hatte – Familienausflüge am ersten Weihnachtsfeiertag, um das Mittagessen zu verdauen, gemütliche Neujahrsspaziergänge, während sie mit Claire die guten Vorsätze diskutierte, die Ostereiersuche, die von der Familie, der das Anwesen gehörte, organisiert wurde, Sommerfeste und Halloween-Geisterspaziergänge. Sie kannte das Anwesen so gut wie den Garten ihrer Eltern: Es war wie ein alter Familienfreund, von dem sie wusste, dass er immer für sie da sein würde, in guten wie in schlechten Zeiten.

”Warum hast du es nicht getan, Liebes?”, fragte Irene, und ihre graublauen Augen suchten in denen ihrer Tochter nach Antworten. Jennie konnte den Schmerz sehen, den das ihr so untypisches Verschweigen ihrer Gefühle bei ihrer Mutter verursachte. Es war, als würde dieser Verrat Irene mehr schmerzen als Jennies Absage der Hochzeit.

Tränen stiegen Jennie in die Augen, und obwohl sie versuchte, sie mit einem Finger zurückzuhalten, pressten sie sich doch wie schwere Regentropfen heraus und liefen ihr über die Wangen.

”Ich dachte, er sei einfach nur nervös, weißt du? Schon als ich mich für die Lehrstelle beworben habe, hat er mir gesagt, dass es mit uns vorbei wäre, wenn ich die Stelle bekomme, aber ich dachte, er mache sich nur Sorgen, weil ich dann nach London gehen würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Stelle wirklich bekommen würde, dass ich ihm tatsächlich sagen müsste, dass ich gehe”, erklärte sie und erinnerte sich daran, wie sie jahrelang von der Sarah-Cunningham-Lehrstelle geträumt, aber erst vor kurzem den Mut gefunden hatte, sich tatsächlich zu bewerben. ”Ich dachte, sie würden sich ganz sicher für jemand anderen entscheiden, und Stephen und ich würden zur Normalität zurückkehren. Wir würden heiraten. Ich würde weiter bei Dorothy arbeiten. Vielleicht würden wir irgendwann Kinder bekommen”, sagte Jennie, obwohl ihr diese Gedanken jetzt, wo sie sie laut aussprach, völlig absurd vorkamen. Lächerlich sogar. Wie sagt man so schön?, dachte sie. Was ein einziger Tag doch für einen Unterschied machen kann ...

”Als ich ihm gesagt habe, dass ich angenommen wurde, hat er nur gesagt, ich müsse mich entscheiden – die Ausbildung oder er –, und da wusste ich es einfach”, fuhr sie fort und spielte in ihrem Kopf den Moment nach, als sie am Abend vor der Hochzeit, naiv wie sie war, zu ihm geschlichen war, um ihm zu sagen, dass sie die Stelle bekommen hatte, und wie sich sein herzförmiges Gesicht und seine runden dunklen Augen verhärtet hatten, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte. Es war derselbe Blick, den er immer dann bekam, wenn er schlecht gelaunt war und im nächsten Moment aus der Haut fahren würde. Der Blick, der sie stets dazu gebracht hatte, flugs ihr Verhalten zu ändern, um ihn zu besänftigen. Aber in der Nacht vor der Hochzeit hatte sie genau das nicht getan. An diesem Abend war sie standhaft geblieben. ”Es war klarer als alles andere je zuvor. Wie kann ich mein Leben mit jemandem verbringen, der mich bei dem, was ich am meisten liebe, nicht unterstützt?”

”Du wolltest schon Blumenhändlerin werden, als du noch nicht mal über den Rand eines Blumentopfes gucken konntest”, sagte Tony, was Irene zum Lachen brachte. Wenn sie lachte, legten sich ihre Augen in fröhliche Falten.

”Weißt du noch, die endlosen Gänseblümchenketten, die getrockneten Stiefmütterchen in allen Büchern, die unzähligen Blumenfeenbücher? Du warst schon immer verrückt nach Blumen”, stimmte Irene zu. Und Jennie dachte an die kleine Blumenfee namens Ragged Robin und daran, dass sie immer gefunden hatte, dass sie mit ihrem zarten Gesicht und den kurzen Haaren ihrer Mutter gar nicht so unähnlich sah.

”Stephen hat diese Faszination nie verstanden”, erwiderte Jennie mit einem Knoten im Bauch und schlechtem Gewissen, weil sie ihnen nichts von seinem Ultimatum erzählt hatte, den Drohungen, die kamen, als sie sich geweigert hatte, nachzugeben. ”Ich werde dafür sorgen, dass du niemals Erfolg hast”, hatte er gesagt und sie mit Sturmgewitter in den Augen angesehen, mit einem Blick, der vermuten ließ, dass er sich tatsächlich alle Möglichkeiten ausmalte, wie er sie zu Fall bringen könnte. Es erinnerte Jennie an die Anfänge ihrer Beziehung, als er ihr einmal gesagt hatte, dass er sie nicht ausführen würde, wenn sie sich kein anderes Kleid anzöge. Damals hatte sie derlei Äußerungen lediglich für ein bisschen gesunde Besitzgier gehalten. Und dann, ein paar Jahre später, als sie erwähnt hatte, dass sie sich selbständig machen wollte, hatte er sie ermutigt, stattdessen das Haus zu kaufen, indem er sie mit Fakten und Zahlen über ”Wachstum und Investitionen” verwirrte und ihr erklärte, dass der Kauf definitiv in ihrer beider ”bestem Interesse” sei. Sie kam sich so dumm vor, dass sie erst, als hundertfünfzig Leute zu ihrer Hochzeit kamen, begriff, dass sie unmöglich den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen konnte.

”Besser jetzt als in fünf Jahren”, sagte Irene, und wieder kamen diese Schuldgefühle hoch, weil sie ihren Eltern nicht die ganze Wahrheit sagen konnte, so wie sie es ihr Leben lang getan hatte. Sie hatte immer über alles mit ihnen reden können – selbst über die unangenehmen oder peinlichen Dinge, wie schiefgelaufene Teenagerschwärmereien oder damals, als sie ihrem Vater von ihrer ersten Periode erzählen musste, weil ihre Mutter auf der Arbeit war. Aber diese Sache, Stephens Drohung, konnte sie nicht mit ihnen teilen. Davor wollte sie sie schützen. Das ist das Letzte, was sie brauchen, dachte sie. All die Stornierungen, die verlorenen Anzahlungen, die endlosen Fragen der Gäste. Zumindest das bin ich ihnen schuldig.

”Du ziehst jetzt nach London und machst dir einen Namen. Zeig ihm, was er verpasst”, sagte Tony, der trotz der abgesagten Hochzeit nichts als Stolz für die Pläne seiner Tochter übrig hatte.

”Es ist nur eine Ausbildung, Papa. Ich werde ja nicht gleich königliche Hof-Floristin oder so”, sagte sie und genoss es insgeheim, dass er sich genauso freute wie sie, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.

”Dein Vater ist einfach stolz auf dich, Liebes. Er hat Tag und Nacht nach Sarah Cunningham Flowers gegoogelt, seit du dich beworben hast. Er kann nicht glauben, dass seine Tochter von einer so angesehenen Floristin ausgewählt wurde.”

”Ich finde das Ausmaß einiger dieser Veranstaltungen unglaublich. Wie reich müssen die Leute sein, die so etwas machen?” Er pfiff anerkennend und machte ein ehrfürchtiges Gesicht. Er wusste nicht viel vom Leben außerhalb von Gloucestershire und Brompton Marsh, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte.

”Sehr reich. Reicher als wir es uns je vorstellen können, soviel ist sicher”, lachte Jennie und freute sich darüber, dass ihr Vater es irgendwie geschafft hatte, sich trotz seiner fünfzig Jahre eine solche Unschuld zu bewahren.

”Wenn du alles richtig machst, Jennie, brauchst du dir bald um nichts mehr Sorgen zu machen.”

”Ich wäre ja schon froh, wenn ich mir um die nächsten vier Wochen keine Sorgen zu machen brauche. Ich muss noch herausfinden, wo ich wohne, bis die Ausbildung beginnt”, sagte sie, denn sie wusste, dass sie auf keinen Fall in das Haus zurückkehren konnte, das sie sich mit Stephen geteilt hatte.

”Komm zu uns, Liebes. Dein Vater und ich haben schon darüber gesprochen. Wir wären froh drum, dich wieder zu Hause zu haben.”

”Seid ihr euch wirklich sicher?”, fragte sie. Tatsächlich fürchtete sie sich sogar davor, auch nur im gemeinsamen Haus vorbeizuschauen, um ihre Sachen abzuholen – nicht, dass es dort viel von ihr gab; das Haus hatte sich immer mehr nach Stephen angefühlt als nach ihr. Sie hatten es vor ein paar Jahren gekauft, einen Neubau am Dorfrand. Stephen hatte auf etwas Sicheres bestanden, obwohl Jennie sich in eine hübsche kleine Wohnung im Stadtzentrum verguckt hatte, mit einem winzigen Laden darunter und einem Nebengebäude, das perfekt für ein Blumengeschäft gewesen wäre. Aber Tony hatte Stephen unterstützt, und dann hatten sie beide gemeinsam dem armen, unwissenden Frauchen erklärt, dass so ein Neubau ”wartungsärmer” sei, man würde ”Energie sparen”, es sei ganz einfach die ”risikoärmere Wahl”, und so hatte Jennie sich darauf eingelassen, obwohl es teurer war und sie all ihre Ersparnisse aufgebraucht hatte, um es zu kaufen.

”Natürlich sind wir uns sicher”, sagte Irene, als der Weg vom Mulch des Waldbodens auf die Kieswege des Anwesens wechselte.

”Danke, Mum”, sagte Jennie und öffnete das Tor zum ummauerten Garten, wo ihre Eltern sich aufmachten, um die Christrosen zu bewundern. Jennie folgte Bruno, der vor ihr her trottete, in Richtung ihres Lieblingsanblicks, dem Gärtnerhäuschen mit seinen symmetrischen Zwölf-Scheiben-Fenstern, wo die weiße Farbe abblätterte und das verwitterte Holz zum Vorschein kam. Jennie hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie im Garten gesessen und den Duft der Rosen und des Geißblatts eingeatmet hatte. Und jedes Jahr beobachtete sie, wie eine weitere Scheibe des riesigen Glashauses, das die Mauer gegenüber dem Cottage säumte, verloren ging, wie die Rosen verholzten und die Brombeeren immer invasiver wurden. Und sie hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie davon geträumt hatte, das Cottage zu besitzen, es in seinem alten Glanz wiederherzustellen und ihr eigenes Geschäft, Jennie Treloar Flowers, vom Garten aus zu betreiben. In den fantasievolleren Momenten hatte sie sogar das Logo entworfen, sich einen niedlichen kleinen Oldtimer-Van mit dem Logo auf der Seite vorgestellt und sich ausgemalt, wie sie damit durch die Landschaft tuckerte. Aber sie wusste, dass dies nicht mehr als ein Hirngespinst war, etwas, das sie sich niemals würde leisten können, selbst wenn sie bei Sarah Cunningham die nötigen Fähigkeiten erlernen würde. Der Traum von einer Lehre bei Sarah reichte ihr völlig aus.

Jennie erwachte jäh aus ihren Tagträumen, als sie bemerkte, dass sich zu Bruno ein grauer Border-Terrier gesellte und kurz darauf eine ältere Frau auftauchte, klein von Statur, in einer abgenutzten Arbeitsjacke, die groß genug für einen Mann war.

”Hallo”, sagte Jennie, als die Frau vorbeiging.

”Schöner Tag heute”, antwortete sie und blieb stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, was sie nachdenklich aussehen ließ.

”Es dauert nicht mehr lange, bis die Narzissen blühen”, sagte Jennie und bemerkte den grauen Ansatz des kurzen, strähnigen Haars der Frau. ”Das ist immer so ein schönes Schauspiel.”

”Die Schneeglöckchen waren jedenfalls prächtig”, antwortete die Frau mit gesenktem Blick.

”Das ist immer ein Vergnügen”, erwiderte Jennie lächelnd und fragte sich, wie oft die Frau den Garten wohl besuchte. ”Es sieht so aus, als ob die Gärtner gut zu tun hätten”, fügte sie hinzu und nickte einem Mann zu, der in der hinteren Ecke des Gartens große Säcke voller Gartenabfälle durchs Tor nach draußen schleppte.

”Es ist ein Vollzeitjob.”

”Scheint so”, stimmte sie zu. ”Ich träume davon, eines Tages etwas Ähnliches zu machen – Rosen zu pflegen, meine eigenen Blumen für Sträuße zu züchten ...”

Die Frau lächelte sie an, ein Lächeln, das Jennie nicht ganz entziffern konnte – entweder wehmütig oder leicht amüsiert, als wären ihre Träumereien für ihren Geschmack ein wenig zu fantasievoll.

”Mit harter Arbeit und ein wenig Glück ist alles möglich”, sagte sie, bevor sie den Kopf senkte, die Hände immer noch hinter dem Rücken verschränkt, und weiterging. Und selbst als sie schon weit weg war, hing ihre beinahe magische Ausstrahlung noch lange nach, so dass Jennie über ihre Worte nachdachte und sich fragte, ob das Schicksal nicht auch für sie ein wenig Glück bereithalten könnte.

1

Jennie drückte auf die runde Zinnklingel von Sarah Cunningham Flowers und wartete, wobei sie nervös mit den Fingern auf ihrem Jeansrock herum trommelte. Ihre Nervosität hatte bereits um 5 Uhr morgens begonnen, als sie durch das Rumpeln eines frühmorgendlichen U-Bahn-Zuges geweckt worden war, und sie hatte einen Moment gebraucht, um herauszufinden, was das für ein Geräusch war und warum ihr Magen Purzelbäume schlug. Und dann fiel es ihr wieder ein: ihr Umzug am Vortag aus dem Haus ihrer Eltern in eine Wohnung in Primrose Hill für die heute beginnende dreimonatige Ausbildung.

Als niemand antwortete, legte sie die Hände an die Schläfen und spähte durch die Glastür, um zu sehen, ob jemand da war, aber der Laden war leer. Sie wollte gerade noch einmal klingeln, als eine Frau mittleren Alters von hinten hereinkam. Jennie ordnete ihre blonden Locken, presste ihre zartrosa geschminkten Lippen aufeinander und richtete sich ein wenig auf, als die Frau nach oben griff, um die Tür zu entriegeln.

”Jennie?”, fragte die Frau mit den kastanienbraunen Haaren, öffnete die Tür ganz und wischte sich an einer schwarzen Schürze die Hände ab.

”Genau.” Sie streckte die Hand aus und schüttelte die warme Hand der Frau.

”Ich bin Sarah.”

Jennie zögerte einen Moment lang und wartete darauf, dass die Frau noch etwas hinzufügen würde, was ihr endliche Gewissheit über die Identität ihres Gegenübers verschaffen würde, etwas à la: ”Sarah, die Geschäftsführerin” oder ”Sarah, ich putze die Eimer und entferne die Stiele vom Boden”, aber als nicht mehr kam, musste Jennie doch nachfragen: ”Sarah Cunningham?”

”Natürlich!”, lachte diese herzlich und hieß Jennie im Laden willkommen. Der Schieferboden fühlte sich unter Jennies rosafarbenen Converse-Turnschuhen fest und vertrauenserweckend an, und der wunderbare Duft der allgegenwärtigen Blumen raubte ihr schier den Atem. ”Wen hatten Sie denn sonst erwartet?”

Eine ganze Horde von Untergebenen, dachte Jennie und sah sich staunend um. Es war noch zu früh für die Ankunft der Blumenlieferung des Tages, aber dennoch war auf zwei Seiten des Ladens eine beeindruckende Auswahl an Blumen auf eleganten schwarzen Kommoden zu sehen. Jennie fiel auf, dass die Blumen nach Farben und nicht nach Sorten gruppiert waren, was ihren individuellen Farbton und ihre Textur besonders hervorhob.

”Ich hatte Sie nicht im Laden erwartet”, sagte Jennie, als sie ihre großen blauen Augen im Spiegel einer der Kommoden erblickte.

”Für mich gibt es keinen besseren Ort”, sagte Sarah, ging hinter den langen schwarzen Holztresen auf der linken Seite des Ladens und holte ein paar Zinneimer hervor, die zur Türklingel passten. Jennie bemerkte, dass Sarah offensichtlich sehr viel Wert auf Details legte. ”Nimm den da, ja? Und ab sofort sollten wir uns lieber duzen.”

Jennie nahm den Eimer und folgte Sarah durch den hinteren Teil des Ladens in den Arbeitsbereich.

”Hier findet die eigentliche Arbeit statt”, sagte Sarah, stellte die Eimer ab und deutete auf den großen Raum, dessen weiß getünchte Backsteinwände einen starken Kontrast zum edel eingerichteten Laden ausmachten. Vier große Werkbänke füllten die Mitte aus, eine Reihe viktorianischer Spülbecken war in die linke Wand eingelassen, an der Rückseite führte eine offene Tür zum Büro, und an den beiden übrigen Wänden standen Regale, die mit allem Möglichen vollgestopft waren, vom Düngemittel bis zum Stielentferner.

”Du fängst im Laden an und kümmerst dich ums Binden und Arrangieren für die Kundschaft. Wenn du dich dort bewährt hast, kannst du hier hinten anfangen und bei den Events helfen.”

Bei der Erwähnung der ”Events” setzte Jennies Herz einen Schlag aus. Seit Jahren folgte sie Sarah auf Instagram und staunte täglich über die atemberaubenden Bilder von Veranstaltungen, die von Firmenevents bis hin zu Prominentenfesten und sogar einer königlichen Hochzeit reichten – die Art von Events, die ihren Vater so beeindruckt hatten. Mit über 200.000 gut betuchten Followern schien es, als ob jeder, der in London etwas auf sich hielt, Sarah Cunninghams Blumendesigns für seine Veranstaltung haben wollte.

”Also”, sagte Sarah und spülte einen Eimer an der Spüle aus. ”Aus deiner Bewerbung geht eindeutig hervor, dass du über die nötigen Fähigkeiten verfügst.” Jennie erinnerte sich an den Bewerbungsprozess. Diverse auszufüllende Formulare, zwei Referenzen, eine Mappe mit ihren Arbeiten und eine kurze Erklärung darüber, wie sie Sarah Cunningham Flowers ihrer Meinung nach bereichern könnte – eine Frage, über die sie wochenlang in ihren Mittagspausen gegrübelt hatte, damit weder ihre alte Chefin Dorothy noch Stephen davon erfuhren. ”Aber worum es in der Ausbildung eigentlich geht, ist die Frage, ob man die nötige Kreativität und Individualität hat oder nicht. Wir sind immer bestrebt, unsere Marke weiterzuentwickeln, also ist ein Nachahmer nicht das, wonach ich suche.”

”Ich hoffe wirklich, dass ich dir beides demonstrieren kann”, sagte Jennie und war sich bewusst, dass sie schrecklich hölzern und formell klang. Sie hoffte, Sarah würde nicht denken, dass ihre Designs ebenso steif ausfallen würden.

Sarah nahm eine Schürze von einem Haken neben dem Waschbecken und reichte sie Jennie. ”Da bin ich mir sicher”, sagte sie freundlich. ”Und keine Sorge, du wirst nicht völlig allein dastehen.”

”Ich werde mein Bestes geben”, sagte Jennie, zog die Schürze über ihren kurz geschnittenen Pullover und knotete sie vorne über ihrer schlanken Taille zusammen. Ihr Blick fiel auf die Stickerei. Sarah Cunningham Flowers stand da mit zinnfarbenem Garn auf schwarzem Stoff, und ein ganzer Schwarm fröhlich tanzender Schmetterlinge erwachte in ihrem Bauch, als ihr erneut bewusst wurde, dass sie gerade ihren Traum verwirklichte.

”Ich habe nichts anderes erwartet”, sagte Sarah. ”Hast du dich schon in der Wohnung eingelebt?”

Es war keine vierundzwanzig Stunden her, seit Jennie in der Stadt angekommen war. Die Wohnung war winzig, mit einer kleinen Nasszelle in einer Ecke und einer Küche in der gegenüberliegenden, die gerade groß genug war, um einen Herd und eine Spüle mit einem Schrank darunter und zwei Hängeschränken darüber unterzubringen. Es gab keine Arbeitsfläche, so dass sie alles, was sie zubereiten wollte, auf einem Tablett auf ihrem Knie oder auf dem kleinen Couchtisch neben dem Zweisitzer-Sofabett erledigen musste. Es war weit entfernt von der Vertrautheit und Gemütlichkeit ihres Elternhauses.

”Gerade so. Ich habe ein paar Sachen von zu Hause mitgebracht, damit es sich mehr nach mir anfühlt”, sagte Jennie, die sofort nach ihrer Ankunft ihre Mutter per Facetime zugeschaltet und ungläubig darüber gelacht hatte, wie winzig es war. Im Vergleich dazu wirkte ihr Haus in der heimischen Sackgasse geradezu wie ein Palast.

”Es ist klein, also braucht es nicht viel, um es aufzuheitern.”

”Genau!” Jennie wusste, dass sich die Wohnung bald wie ein Zuhause anfühlen würde – all ihr Krimskrams, der nicht in Stephens ”minimalistische” Ästhetik gepasst hatte und in ihrem alten Schlafzimmer verstaut worden war, kam nun zum Einsatz und tat bereits seinen Dienst –, auch wenn sie sich in London noch ein wenig verloren fühlte. Die Stadt war so gänzlich anders als Brompton Marsh, wo jeder mit jedem sprach, egal ob man sich nun kannte oder nicht.

Andererseits, dachte Jennie, ist es manchmal gar nicht so gut, wenn jeder mit jedem redet. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die lokale Gerüchteküche bedeutete, dass jeder alles über einen wusste, und wenn man erstmal in ihr gefangen war, wie in Jennies Fall, seit sie Stephen vor dem Altar stehen gelassen hatte, konnte sich das Dorfleben zuweilen ziemlich klaustrophobisch anfühlen. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, in der Stadt zu sein, auch wenn es sich im Moment etwas einsam und überwältigend anfühlt.

”Also gut”, sagte Sarah und ging mit Jennie zurück in den Laden, wo sie ihr einen Besen überreichte und das Geschlossen-Schild umdrehte, sodass an der Tür nun Geöffnet stand. ”Wir haben drei Regeln, wenn wir Kunden bedienen: Erstens, frage immer nach ihrem Namen; zweitens, behandle jede Person so, als würde sie zehntausend Pfund ausgeben, auch wenn sie nur zehn ausgibt; und drittens, der Kunde hat immer recht.”

”Alles klar”, sagte Jennie, die, um ihre Bereitwilligkeit zu zeigen, sogleich begann, die Überreste der gestrigen Stängel zusammenzufegen.

”Und hier ist deine erste Kundin des Tages”, sagte Sarah und öffnete lächelnd die Tür. ”Guten Morgen, Kat. Wie geht es dir?”

”Es geht mir gut, danke, Sarah”, sagte Kat, eine junge Frau in Jennies Alter, Anfang dreißig, mit tiefschwarzem Haar, das kurz und scharf asymmetrisch geschnitten war, auf einer Seite lang und schräg im Gesicht, auf der anderen Seite kurzrasiert.

”Kat, das ist Jennie.”

”Hallo”, sagte Jennie und stellte den Besen beiseite.

”Das Übliche?” Sarah holte bereits dunkle Anemonen in Lila und Rot hervor.

”Ja, bitte.” Kats Haare fielen über ein Auge, das mit einem dicken, schwarzen Kajalstrich versehen war.

”Jennie, warum suchst du nicht etwas für Kat aus, das ihre Auswahl ergänzt?”

Es war unschwer zu erkennen, dass dies ein erster Test für Jennie war, und so trat sie hinter dem Tresen hervor, um Kat in Augenschein zu nehmen – nicht so auffällig, dass Kat es bemerken würde, aber gerade genug, um ihren Charakter und ihren Geschmack einschätzen zu können. Sie trug eine schwarze Skinny-Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit hochgekrempelten Ärmeln, die ihre bunten Tätowierungen mit Totenköpfen, Schlangen und Lilien sichtbar machten. Sie hielt ihr Kinn gesenkt, aber obwohl ihre Körpersprache zurückhaltend und ihre Kleidung geschlechtsneutral war, hatte sie etwas an sich, das von Natur aus warm und weiblich war, ähnlich wie ihre Wahl der Anemone.

”Ich denke, die schwarze Calla-Lilie wäre eine gute Wahl”, sagte Jennie und nahm drei Stiele aus dem Eimer auf der Kommode. Sarah reichte Jennie die Anemonen, um sie zu arrangieren. Sie formte die Blumen mühelos zu einem Sträußchen, obwohl ihre Finger zitterten.

”Was denkst du?”, fragte Sarah Kat.

”Mir gefällt’s”, antwortete Kat mit einem schüchternen Lächeln.

”Mir auch”, sagte Sarah und gab Jennie ein Zeichen, dass sie den Strauß einpacken könnte, bevor sie sich von Kat verabschiedete und nach hinten ging.

”Ist heute dein erster Tag?”, fragte Kat leise, während Jennie das Sträußchen akribisch band, zurechtschnitt und in Sarahs elegantes, mattschwarzes Papier einwickelte. Sie hoffte, dass ihre zitternden Hände für Kat nicht sichtbar waren.

”Ist das so offensichtlich?”, lachte Jennie. Sie schloss das Arrangement mit Zinnband ab. Die Schleife war bauschiger als sonst, aber sie wusste, dass das an den Nerven lag, und sie hatte das Gefühl, dass es Kat nichts ausmachen würde.

”Nein, nein”, sagte Kat in einer Weise, die darauf hindeutete, dass sie die Bemerkung gerne zurückgezogen hätte, weil sie Jennie nicht beleidigen wollte. ”Es ist nur so, dass ich dich hier noch nie gesehen habe.”

”Bist du Stammkundin?”

”Ich komme, wenn ich kann. Blumen sind ein Vergnügen, keine Notwendigkeit, wie für manche hier.” Sie strich sich mit den Knöcheln über die dunklen, roten Lippen und schaute aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Bewohner von Primrose Hill.

”Du wohnst nicht in der Nachbarschaft?”

”In gewisser Weise schon”, sagte Kat und versuchte, Geld aus ihrer Gesäßtasche zu holen. ”Ich wohne in dem feinen Anwesen auf der anderen Seite des Hügels – Primrose Hill für Arme.”

Jennie lächelte über Kats Selbstironie und fragte sich, ob mit der Bemerkung ”Primrose Hill für Arme” nicht nur ein weiteres extrem teures Londoner Viertel gemeint war. ”Ich bin nicht von hier.”

”Das hingegen ist ziemlich offensichtlich”, kicherte Kat und legte ihr Geld auf den Tresen. ”Dafür stellst du zu viele Fragen!”

”Tut mir leid”, sagte Jennie, errötete und fühlte sich plötzlich wie eine kleine Landpomeranze.

”Du musst dich nicht entschuldigen, ich find’s süß. Es ist mal was anderes. Wann bist du denn angekommen?”

”Gestern”, antwortete sie, reichte Kat ihren Strauß und führte die Transaktion an der Kasse durch.

”Wow, dann bist du wirklich neu hier!” Sie nahm den Strauß und zögerte, bevor sie fragte: ”Soll ich dir ein bisschen die Stadt zeigen? Ich würde mich freuen, ehrlich, ich habe nicht oft die Gelegenheit, den typischen Touristenkram zu machen.”

”Das wäre super”, sagte Jennie, die sich über das Angebot freute und hoffte, dass alle Kunden, die sie bei Sarah Cunningham Flowers treffen würde, genau so nett sein würden wie Kat.

***

”Jennie, kannst du mal ins Büro kommen?”, fragte Sarah am Freitagnachmittag.

”Sicher”, sagte Jennie, die froh war, sich nach den ersten Tagen, in denen sie sehr viel zu tun gehabt hatte, fünf Minuten hinsetzen zu können.

Der Laden war die ganze Woche über nur selten leer gewesen, und wenn doch, dann wurde aufgeräumt und geputzt, oder das Telefon wollte beantwortet werden. Sarah hatte ab und zu zugesehen, aber die meiste Zeit war Jennie sich selbst überlassen, um Sträuße und Gestecke mit Blumen zu kreieren, die sie noch nie zuvor verwendet hatte, Blumen, die nicht unter die wöchentliche Standardbestellung ihrer früheren Chefin fielen. Dorothy, die Inhaberin der Brompton Floristry, wo Jennie seit ihrem College-Abschluss gearbeitet hatte, war in den 1980er Jahren bei rosa Nelken, weißen Chrysanthemen und roten Rosen hängen geblieben. Jetzt hatte Jennie Stiele von Orchideen, Rittersporn, Hortensien und Irlandglocken, um nur einige wenige zu nennen, zur Verfügung – kurzum alles, was sie sich jemals gewünscht hatte.

”Fiona, übernimmst du bitte den Laden?”, fragte Sarah.

”Schon dabei”, antwortete Fiona, Sarahs studentische Hilfskraft, die an den arbeitsreichen Tagen den Boden wischte, Eimer reinigte und das Mittagessen holte. Dabei sah sie in ihren High-Waisted-Jeans, ihren Oma-Strickjacken und ihrer großen Brille mit Drahtgestell stets mühelos cool aus.

”Setz dich”, sagte Sarah und schenkte Jennie einen Kaffee aus der Filtermaschine in der Ecke ihres Büros ein, die fast das Einzige war, das nicht unter einem Berg von Papierkram begraben war. Es erstaunte Jennie, dass Sarah so unorganisiert ein so erfolgreiches Unternehmen führen konnte.

”Das Feedback der Kunden ist sehr gut”, sagte sie und reichte Jennie ihren Kaffee. ”Und wir hatten diese Woche mehr Laufkundschaft als sonst. Ich glaube, es hat sich herumgesprochen, dass es eine Neue gibt.”

Jennie lächelte bescheiden, denn sie glaubte, dass Sarah am Ende der ersten Woche wahrscheinlich dasselbe zu all ihren Lehrlingen sagte.

”Deine Arbeit ist ausgezeichnet, und ich kann sehen, dass du kreativ bist”, sagte sie und versuchte, in dem Durcheinander auf ihrem Schreibtisch einen Platz für ihre Tasse zu finden. ”Ich bin sehr zufrieden, muss ich sagen.”

Jennie sah zu, wie Sarah nach etwas kramte und dabei Papierschnipsel und leere Kaffeetassen anhob. ”Normalerweise bitte ich Lehrlinge nicht, sich so früh in Events einzubringen, aber für dich”, sagte sie und schien gefunden zu haben, was sie suchte, ”mache ich eine Ausnahme.”

Vor lauter Aufregung legte Jennie ihre Hände unter ihre Oberschenkel, um ihr nervöses Zittern zu verbergen. Sie hatte jahrelang von diesem Moment geträumt ein Sarah-Cunningham-Event mitzugestalten, und nun war sie endlich hier und ihr Traum wurde Wirklichkeit. Sarah nahm ihre Brille vom Kopf, wo sie ihr als Haarband gedient hatte, und sah auf den handgeschriebenen Zettel vor sich.

”Die Arbuthnotts”, las sie vor. ”Eine Dinnerparty für zwanzig Personen, morgen in einer Woche.” Sie blickte erwartungsvoll auf. Jennie hoffte, dass Sarah nicht erwartete, dass sie wusste, wer die Arbuthnotts waren; sie lächelte und nickte in einer Weise, die sowohl als beeindruckt als auch begeistert durchgehen konnte. ”Ich möchte, dass du an diesem Auftrag arbeitest”, fuhr Sarah fort. ”Es sind sehr wichtige Kunden, sehr einflussreich.”

”Sehr gerne”, sagte Jennie und freute sich über die Gelegenheit, Sarah zu assistieren. Sie hoffte, wenn sie sich gut anstellte, würde es nicht mehr allzu lange dauern, bis sie die Chance hatte, selbst eine Veranstaltung zu leiten, anstatt nur zu assistieren, obwohl sie wusste, dass sie noch viel lernen musste, bevor man ihr eine solche Verantwortung anvertrauen konnte.

”Die Arbuthnotts und ihre Kontakte machen einen großen Teil des Geschäfts aus, deshalb ist es wichtig, dass wir alles richtig machen.”

Als Nächstes listete Sarah genau auf, was die Arbuthnotts für ihre Dinnerparty benötigten: einen Tafelaufsatz über die gesamte Länge des Tisches, Serviettenringe, zwei stehende Gestecke, zwei kleinere Gestecke, ein großes Gesteck für die Eingangshalle und fünf Vasen für das Wohnzimmer.

”Das ist ganz schön viel für ein einfaches Abendessen”, sagte Jennie und dachte, dass sie zu Hause in Brompton Marsh auf Hochzeiten mit weniger Blumen gewesen war.

Sarah wandte sich wieder ihren Notizen zu und sagte lässig: ”Für ihre Verhältnisse ist das noch wenig.”

Im Laufe der Woche hatte es immer wieder Momente wie diesen gegeben, in denen Jennie sich zwicken musste, um sich daran zu erinnern, dass sie wirklich für eine der angesehensten Floristinnen des Landes arbeitete, und dass Prestige Reichtum mit sich brachte. Da war die Amerikanerin mittleren Alters, die aus einer Laune heraus kam und über tausend Pfund ausgab, weil sie ”eine kleine Aufmunterung brauche”, der ältere englische Herr, der darum bat, dass zweimal pro Woche jemand zu ihm nach Hause käme, um die Arrangements aufzufrischen, und die Frau eines Diplomaten, die jeden Abend ein anderes Gesteck in ihrer Eingangshalle wollte. Das war eine ganz andere Welt als bei Dorothy von der Brompton Floristry, wo man den Leuten ihre Sträuße vor die Haustür legte oder Blumen für Hochzeiten aufstellte. Und hier, in Sarahs Büro, war ein weiterer Moment, in dem sie sich selbst in den Arm zwicken musste: eine Dinnerparty, für die allein die Blumen mehr kosten würden, als Jennie in einem Monat verdiente.

”Das Haus liegt an der Cornwall Terrace, mit Blick auf den Park – die übliche Ausstattung: Marmorböden, taupefarbene Wände und ein Haufen moderner Kunst.”

”Ah”, machte Jennie und tat nonchalant, aber in ihrem Magen brodelte es vor Aufregung.

”Das Abendessen ist informell, der Caterer bietet ein saisonales Frühlingsmenü an, das recht leicht ist, das musst du bei der Gestaltung der Arrangements berücksichtigen. Die Blumen müssen um Punkt 10 Uhr da sein, also sorgen wir am besten dafür, dass alles bis 9 Uhr fertig ist.”

Jennie runzelte die Stirn und wartete darauf, dass Sarah sich korrigierte – sie meinte sicher ”das müssen wir bei der Gestaltung berücksichtigen” –, aber das tat sie nicht.

Sie kann unmöglich meinen, dass ich die Designs selbst entwerfen und entwickeln soll.

Sarah, die Jennies Zögern bemerkte, blickte von ihrem Papierkram auf. ”Alles in Ordnung?”

”Ja”, stammelte sie und versuchte, ruhig zu bleiben, um bei der Aussicht darauf, ihr eigenes Sarah-Cunningham-Event durchzuführen, nicht vor Angst und Aufregung zu platzen. ”Soll ich das alleine machen?”, fragte sie, in der Hoffnung, dass sie Sarah nicht falsch verstanden hatte, aber auch in der Sorge, dass sie der Herausforderung so früh noch gar nicht gewachsen war.

”Du hast doch nicht das Gefühl, dass ich zu viel von dir verlange, oder?”

”Nein!”, sagte Jennie schnell und hoffte inständig, dass Sarah die Bedenken in ihrer Stimme nicht bemerkt hatte.

2

”Ich hätte nie gedacht, dass die Stadt so schön ist”, sagte Jennie, während sie sich in einer Gondel des London Eye am Geländer festhielt.

”Es ist gut, sich ab und zu daran zu erinnern”, sagte Kat, die an Jennies Seite stand. Beide blickten sie auf den Big Ben und die Houses of Parliament hinunter, die Jennie vorkamen, als seien sie aus Streichhölzern gemacht. ”Wenn man die meiste Zeit seines Lebens hier verbracht hat, verliert man den Blick für die Schönheit der Stadt.”

”Ich denke, das gilt für alle Orte, an denen man lebt.” Jennie musste an ihr Zuhause denken und daran, dass ihr die weiche, honigfarbene Schönheit des Ortes oft entgangen war. Die Touristen, die das ganze Jahr über die engen Straßen säumten, nervten die Einheimischen nur, anstatt sie daran zu erinnern, wie glücklich sie sich schätzen konnten, in einer so romantischen Umgebung zu leben.

”Woher kommst du denn?”

”Aus einem kleinen Dorf in Gloucestershire – Brompton Marsh”, antwortete sie und blickte gen Norden, wo sie den Regent’s Park und dahinter Primrose Hill entdeckte. Es amüsierte sie, wie beschaulich Brompton Marsh jetzt im Vergleich zu der Weite der riesigen Stadt unter ihr wirkte; selbst das Gelände des Herrenhauses erschien ihr im Vergleich zu den königlichen Parks winzig.

”Hast du dein ganzes Leben dort gelebt?”

Jennie nickte und musste eine unerwartete Welle von Heimweh hinunterschlucken. Bis zu ihrer Abreise war ihr nicht klar gewesen, wie sehr die Gemeinschaft und die heimische Umgebung sie zu dem gemacht hatten, was sie war. Jetzt, wo sie ohne sie auskommen musste, fühlte es sich manchmal so an, als würde sie nur mit einer halben Lunge atmen.

”Vermisst du es?”

”Ich vermisse die Vertrautheit, die Langsamkeit des Dorflebens ...”, antwortete sie und dachte daran, wie sehr sie ihr Elternhaus vermisste, wie sehr sie es vermisste, die Straße hinunter zum Laden an der Ecke gehen zu können, wo Janette und Trevor den Dorfklatsch austauschten, auch wenn sie derzeit eines der Hauptgesprächsthemen ausmachte; sie vermisste es, mit Bruno auf dem Gelände des Brompton-Manor-Anwesens spazieren zu gehen, inmitten der sanft geschwungenen Landschaft, die das Dorf wie eine warme, tröstliche Umarmung umgab. ”Aber ich musste da raus”, sagte sie und erwachte aus ihrer Benommenheit, als ihr ein Bild von Stephen in der Nacht vor ihrer Hochzeit in den Sinn kam, seine Augen voller Zorn.

”Darf ich fragen, warum?”

Angesichts der Tatsache, dass sich die beiden in einer Gondel mit fünfzehn oder zwanzig anderen Leuten befanden und jedes ihrer Worte mitgehört werden konnte, antwortete Jennie nur vage: ”Sagen wir einfach, die Zusage für die Ausbildung hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können.”

”Hat das Schicksal nachgeholfen?”

”Das könnte man so sagen”, sagte sie leise, und ihre Gedanken schweiften zu Stephen und dazu, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn die Ausbildung nicht zustande gekommen wäre. Es traf sie hart, dass sie sich fast freiwillig in ein Leben voller Kompromisse und ohne Verständnis begeben hatte. Der Gedanke ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

”Da drüben ist der Buckingham Palace.” Kat zeigte auf das Gebäude und sein Gelände. ”Und daneben der St. James’s Park.”

Jennie schaute in die Richtung, in die Kat zeigte. Sie hatte eine rote Rose auf ihr Handgelenk tätowiert. Jennie war froh, dass Kat sensibel genug war, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

”Ich kann gar nicht glauben, wie viel Grün es hier gibt und wie viele wilde Tiere hier leben müssen”, sagte Jennie und hoffte, dass sie bald Zeit finden würde, die Grünflächen der Stadt zu erkunden.

”Es gibt immer einen Park, in den man flüchten kann, oder einen Baum, unter dem man sich verstecken kann”, sagte Kat abwesend.

”Brauchst du oft einen Baum, unter dem du dich verstecken kannst?”, fragte Jennie, nicht ganz in der Lage, Kats distanzierten Blick zu deuten.

”Öfter, als mir lieb ist”, antwortete sie und setzte sich auf die Bank in der Mitte der Gondel.

Jennie gesellte sich zu ihr. Die Körper der anderen Fahrgäste verdeckten teilweise die Sicht auf die St. Paul’s Cathedral. ”Gibt es etwas Bestimmtes, das dich beunruhigt?”

”Nichts, was nicht auch jeder andere Mensch irgendwann im Leben durchgemacht hat.”

”Eine Trennung?”, fragte Jennie.

”Oder zumindest eine bevorstehende”, sagte Kat und ließ den Blick weit über die Stadt schweifen.

***

”Wovor musstest du flüchten?”, fragte Kat, nachdem sie und Jennie das London Eye verlassen und einen Tisch am Flussufer vor einer Kantine in der Nähe der Royal Festival Hall gefunden hatten.

”Vor meiner Beziehung.” Jennie hielt inne und überlegte, wie viel sie einer fast fremden Person gegenüber preisgeben konnte. Aber Kat hatte etwas an sich, das sie trotz ihres kantigen Äußeren so verletzlich machte, dass Jennie sich wohl dabei fühlte, ihr ihre Geschichte zu erzählen. ”Ich war mit einem Mann zusammen. Stephen. Wir waren fünf Jahre lang zusammen und verlobt. Aber als ich ihm erzählte, dass ich mich für eine Ausbildung in London beworben hatte, sagte er mir, wenn ich die Stelle bekäme, wäre es aus mit uns.”

”Du machst Witze?”, sagte Kat mit großen Augen.

”O nein”, lachte Jennie leicht, ermutigt durch Kats Ungläubigkeit. ”Das ist leider kein Scherz.”

”War das lange vor der Hochzeit?”

Jennie schlürfte ihre Pfefferminzlimo durch einen Strohhalm. ”Drei Monate. Aber er war überzeugt, dass ich ihn meiner Karriere vorziehen würde, und ich dachte naiverweise, dass er sich nur unsicher fühlte, ein bisschen bedroht vielleicht, und dass er meine Ambitionen früher oder später unterstützen würde.”

Kat schüttelte den Kopf, ihr Haar fiel ihr über ein Auge. ”Wie lange vor der Hochzeit hast du erfahren, dass du die Stelle bekommen hattest?”

”Am Abend zuvor.”

”Das gibt’s doch nicht!”, sagte sie und schien ganz in dem unerwarteten Drama von Jennies Geschichte aufzugehen. ”Was ist passiert?”

Das Bild von Stephen, dessen Blick sie durchbohrte, kam Jennie wieder in den Sinn. ”Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, dass ich die Stelle bekommen habe, in der Erwartung, dass er sich für mich freuen würde. Ich dachte, er würde mir sagen, dass wir das schon irgendwie hinkriegen würden.”

”Aber das hat er nicht, nehme ich an?”

”Nein. Stattdessen sagte er mir, ich solle mich entscheiden: er oder die Ausbildung.”

”Scheiße. Wie hat er es aufgenommen, als du ihm gesagt hast, dass du deinen Beruf wählst?”

”Er hat mir gedroht. Er hat gesagt, er würde dafür sorgen, dass ich niemals Erfolg haben würde”, sagte Jennie, die seitdem jeden Tag erleichtert war, dass er seine Drohung bisher nicht wahr gemacht hatte.

”Mein Gott! Er hat dich bedroht? Hat er das vorher schon mal gemacht?”

Jennie rührte mit dem Strohhalm in ihrem Getränk. ”Vielleicht nicht so direkt, aber es gab immer kleine Dinge, weißt du: Er wollte bestimmen, was ich anziehen soll, was ich essen soll, wen ich nicht sehen darf ... Aber der Abend vor der Hochzeit war der Höhepunkt, denke ich”, sagte sie und musste daran denken, wie ihre Beziehung begonnen hatte.

Sie hatten sich in der Dorfkneipe The Fox and Hounds kennengelernt. Jennie war mit ein paar alten Schulfreunden dort gewesen, Stephen auf Kneipentour mit den Arbeitskollegen. Als sie zur gleichen Zeit dasselbe Getränk bestellten, hatte Stephen Jennie nach ihrer Lieblingssorte Chips gefragt, und sie hatten erstaunt gelacht, als sie beide gleichzeitig ”Krabbencocktail” sagten. Sie mochte seine weichen Gesichtszüge und sein gepflegtes Haar, aber noch mehr hatte ihr geschmeichelt, wie aufmerksam er war, und als er sie um ein Date bat, hatte sie sofort zugesagt. Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis sie erst Tage, dann Wochen miteinander verbrachten. ”Er war immer darauf bedacht, mich in seiner Nähe zu haben. Als wir zusammenzogen und der Funke langsam übersprang, wollte er nicht mehr, dass ich mit Freundinnen ausgehe; er sagte immer, es sei ihm lieber, wenn wir zu zweit Zeit verbringen.”

”Klingt klaustrophobisch.”

”Ja, manchmal. Ich schätze, wir sind im Laufe der Jahre in eine Routine verfallen, und ich habe einfach nicht bemerkt, wie die Dinge entgleist sind. Ich bin ehrlich gesagt dankbar, dass er so reagiert hat, wie er es am Abend vor der Hochzeit getan hat – zumindest hat er mir die Entscheidung so sehr einfach gemacht. In diesem Moment wusste ich es einfach.”

”Da hast du wirklich Glück gehabt.”

”Ja”, seufzte Jennie. ”Ich wünschte nur, ich hätte rechtzeitig erkannt, wie falsch er für mich war, um die Hochzeit rechtzeitig abzusagen und die Leute zu informieren. Das hätte meinen Eltern die Kosten und die Peinlichkeit erspart.”

”Sind alle fein gekleidet angereist, mit Geschenken und allem Drum und Dran?”

Jennie senkte beschämt den Kopf und dachte an all die Freunde und Familienmitglieder, denen sie Unannehmlichkeiten bereitet hatte. ”Das ist der Teil, der mir am meisten zu schaffen macht. Wenn ich auch nur einen Moment geglaubt hätte, dass er seine Drohung ernst meint, hätte ich mich bemüht, alles schon Monate vor der Hochzeit abzusagen.”

”Wer hat in den sauren Apfel gebissen und allen erzählt, was passiert ist?”

”Mein armer Vater.” Jennie schauderte es bei der Erinnerung daran, als sie es ihm hatte müssen, und daran, wie sie gedacht hatte, dass er wegen der finanziellen Folgen am Boden zerstört sein würde. In Wirklichkeit war ihm nur ihr Wohlergehen wichtig gewesen, auch wenn er danach ein paar Wochen lang etwas fassungslos gewesen war. ”Er musste in die Kirche gehen und allen sagen, dass ich nicht komme. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er sich gefühlt haben muss.”

”Scheiße, das ist übel.”

”Wem sagst du das.” Jennie zuckte mit den Schultern. ”Ich habe mich noch nie in meinem Leben so schrecklich gefühlt.”

”Aber die Leute haben doch sicher einsehen können, dass du unter solchen Umständen diese Entscheidung treffen musstest.”

”Keine Ahnung ... Ich habe nie jemandem von Stephens Ultimatum erzählt, nicht einmal meinen Eltern.”

”Was hast du ihnen gesagt?”

”Dass er meine Karriere nicht unterstützt. Den Rest brauchten sie nicht zu hören, dass er mir gedroht hat, zum Beispiel. Sie haben sich mit der Zeit so eng mit seinen Eltern angefreundet, das wollte ich ihnen nicht kaputt machen.”

”Mensch, bist du nett.”

”Vielleicht. Oder vielleicht stand ich einfach nur unter Schock”, sagte Jennie, die sich oft gefragt hatte, warum sie nicht früher gemerkt hatte, wie wenig hilfreich, ja wie schädlich Stephen für sie und ihre Träume gewesen war.

”Naja, Stephens Verlust ist jedenfalls ein Gewinn für London”, sagte Kat und hob ihr Glas.

”Danke, Kat”, sagte Jennie und stellte fest, dass dies seit Jahren das erste anständige Gespräch war, das sie mit einer anderen Freundin als ihrer eigenen und Stephens Mutter geführt hatte. Der Gedanke daran machte sie einerseits glücklich darüber, wo sie jetzt war, und andererseits traurig über all die Freundschaften, die sie verpasst oder verloren hatte. All die Mädchen, die sie aus der Schule kannte; Frauen, die sie im Blumenladen kennengelernt hatte. Sie fragte sich oft, wie deren Leben verlaufen war, hörte Ausschnitte von Janette und Trevor oder sah sie in einer entfernten Ecke des Pubs. Jennie wünschte sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen und etwas ändern, Stephen ein bisschen mehr Paroli bieten oder zumindest nach vorn schauen und selbst neue Freundschaften schließen. Selbst wenn alles andere scheitern sollte, wusste sie, dass sie es schaffen würde, wenn sie Freunde an ihrer Seite hätte. ”Wie auch immer, genug von mir. Was ist bei dir los?”

”Was ich gerade durchmache, ist ziemlich unbedeutend im Vergleich zu dem, was du erlebt hast”, sagte Kat.

”Das bezweifle ich.”

”Meine Partnerin Lauren ist überzeugt, dass ich mich mit einer anderen treffe.”

”Wie kommt das?”

Kat zuckte mit den Schultern. ”Ich habe keine Ahnung. Ich brauche nur eine andere Frau zu erwähnen, und schon ist sie paranoid, dass diese Person für mich interessanter und verlockender sein könnte als sie selbst.”

”Was hält sie davon, dass du heute mit mir unterwegs bist?”

”Ich habe es ihr nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass ich spazieren gehe, um mir die Frühlingsblumen anzusehen.”

Jennie gefiel die Tatsache, dass es für Lauren plausibel klang, dass Kat so etwas tun würde; Jennie war Stephens düsterer Stimmung oft mit einem Spaziergang durch die Wälder von Brompton Manor entkommen, bei dem sie die leuchtenden Triebe der Frühlingsblumen durch das dunkle Wintergestrüpp, das leuchtende Grün des Sommerlaubs oder den Laubteppich im Herbst entdeckte, und weiter zum ummauerten Garten, wo sie stundenlang sitzen und sich weit weg träumen konnte. ”Denkst du darüber nach, die Beziehung zu beenden?”

”So kann es jedenfalls nicht weitergehen”, sagte Kat, den Blick auf den Fluss gerichtet. ”Aber wir wohnen zusammen, also ist es nicht ganz so einfach, alles einfach abzubrechen.”

”Ah.” Jennie verstand Kats missliche Lage. ”Noch etwas, das wir gemeinsam haben.”

”Wie lange habt ihr zusammen gelebt?”

”Zwei Jahre. Wir hatten ein Haus gekauft. Jetzt kauft er meinen Anteil. Es soll bald geregelt werden, aber bis dahin bin ich ziemlich blank.”

Kat warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. ”Was für ein Schlamassel wir aus der Liebe machen.”

”In der Tat”, stimmte Jennie zu, die froh war, dass zumindest im Falle ihrer Trennung das Schlimmste überstanden war, und mit Kat mitfühlte, die noch vor ihrem schmerzhaften Abgrund stand.

Während sie darauf warteten, dass ihr Essen serviert wurde, zog Kat eine altmodische schwarze Puderdose mit einer tiefroten Rose als Intarsie hervor.

”Die ist ja wunderschön”, staunte Jennie.

”Sie hat meiner Großmutter gehört”, erklärte Kat, gerade als Jennies Telefon klingelte. Sie entschuldigte sich, um auf die Toilette zu gehen.

”Wie geht’s, Liebes?”, fragte Irene, und Jennie merkte sofort, dass sie sich immer noch Sorgen darüber machte, wie es ihrer Tochter in der großen Stadt, wie sie und Tony immer sagten, ergehen mochte. Seit ihrem Umzug hatte sie zweimal am Tag angerufen, manchmal sogar dreimal.

”Wirklich gut, Mum. Sarah hat mich gebeten, mein erstes Event zu machen.”

”Ach was. Das ist ja fantastisch, Schatz!”

Im Hintergrund hörte Jennie Pferderennen im Fernsehen, und sie stellte sich vor, wie ihr Vater, der auf Pferde gewettet hatte, solange sie denken konnte, neben Irene auf dem Sofa saß. Er hatte immer auf einen großen Gewinn gehofft, um für seine Familie all die Dinge kaufen zu können, die er sich mit seinem bescheidenen Einkommen als Schulhausmeister nie hatte leisten können. ”Jemand Berühmtes?”

Jennie lachte. Während ihr Vater darauf fixiert war, über die Kosten der Veranstaltungen zu spekulieren, war ihre Mutter mehr an den ”prominenten Kunden” interessiert gewesen. Seit Wochen redete sie nur noch darüber.

”Irgendeine reiche Familie, die eine Dinnerparty gibt, nichts allzu Aufregendes.”

”Ich nehme an, Sarah gibt dir erstmal ein paar Probe-Events, bevor sie dich auf die richtigen Promis loslässt!”

”Klar, Mum”, sagte Jennie grinsend. ”Was gibt’s zu Hause Neues?”

”Ach, nicht viel. Immer das Gleiche, eigentlich. Dein Vater hat Anfang der Woche einen neuen Aufsatz für seinen Motorroller bestellt, und das ist alles, worüber er reden kann. Ich hatte gestern einen Termin beim Arzt. Und das war’s dann auch schon.”

”Ist bei dir alles in Ordnung?”

”Ich bin bloß ein bisschen müde, kein Grund zur Sorge.” Jennie erkannte den verharmlosenden Tonfall ihrer Mutter, den sie immer benutzte, wenn sie nicht bereit war, über etwas zu sprechen, also wechselte Jennie das Thema.

”Und wie geht es Bruno?”

”Es geht ihm gut. Er hat heute Morgen einen toten Fasan im Wald gefunden. Ich musste deinen Vater dazu bringen, ihn ihm abzuringen.”

”Hm, lecker”, kicherte Jennie und genoss es, von den Kleinigkeiten des Alltags zu Hause zu hören. Auch wenn es ihr Heimweh nur noch verstärkte.

”Und ich habe Tracy bei Sainsbury’s getroffen.”

Die Bemerkung ihrer Mutter hing einen Moment länger in der Luft, als es nötig gewesen wäre. Irene schien unsicher zu sein, ob es richtig war, das Treffen mit Stephens Mutter zu erwähnen, und Jennie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hatte Tracy seit der Woche vor der Hochzeit nicht mehr gesehen, und obwohl sie vorgehabt hatte, ihr zu schreiben oder sie anzurufen, war sie sich nicht sicher gewesen, was sie sagen sollte. Irgendwie waren die Tage und Wochen vergangen, und dann schien es plötzlich zu spät zu sein, und der Moment war verloren.

”Wie war sie so?”

”Normal, denke ich. Schwer zu sagen.” Jennie konnte an der angespannten Stimme ihrer Mutter erkennen, dass sie nicht die ganze Wahrheit sagte.

”Mum?”, hakte sie nach.

”Ich glaube, sie vermisst dich, aber sie ist zu stolz, um es zu sagen.”