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Als Emma und Aidan beschließen, ihre kleine Pension in Lobster Bay zu erweitern, ist Emma Feuer und Flamme, denn sie ist sich sicher, dass dies genau das Projekt ist, das sie braucht, um ihren schönen Rückzugsort am Meer attraktiver zu machen – und um sie und Aidan noch mehr zusammenzuschweißen. Sie hat drei Monate Zeit, um das Projekt abzuschließen, bevor ihre Gäste zu einem üppigen Weihnachtsfest eintreffen. Doch unvorhergesehene Hindernisse bereiten Emma und ihre Liebsten schon bald wenig festliche Probleme. Unerwartete Herausforderungen beim Umbau, die Ankunft eines charmanten Langzeitgastes und ein unerzogener Welpe, der es darauf angelegt zu haben scheint, sich durch jegliche Rohre und Möbel des Hauses zu fressen, bringen Emma und Aidan an ihre Grenzen, und es dauert nicht lange, bis sich erste Risse in ihrer Beziehung zeigen. Fest entschlossen, nicht aufzugeben, macht Emma tapfer weiter. Doch als zu allem Überfluss auch noch ein Wintersturm hereinbricht, kommt die Arbeit vollends zum Stillstand, was sie an den Rand ihrer Kräfte bringt. Emma kämpft darum, ihren Traum am Leben zu erhalten – aber wird das auf Kosten ihrer Beziehung gehen? Und wird sie schließlich mit Hilfe ihrer Freunde das Haus fertigstellen und ihre Gäste mit Weihnachtsliedern und guter Laune zu Weihnachten in Lobster Bay willkommen heißen? --- "Eine wunderbare, gemütliche Lektüre voller Gefühle ... Wenn Sie auf der Suche nach einer wohligen Weihnachtslektüre mit Drama, Romantik und allem, was in einem wunderschönen, verschneiten, schottischen Dorf eben so passiert, dann können Sie mit diesem Buch definitiv nichts falsch machen. Es hinterlässt ein Lächeln auf dem Gesicht und macht Lust auf ein leckeres Weihnachtsessen!" – Lizzies kleine Bücherecke "Eine wohltuende, entspannende Lektüre ... Ich habe vor allem den leichten Erzählstil der Autorin genossen" – Featz Reviews "Das war eine unglaublich süße, romantische Lektüre, die so festlich ist, dass sie einen richtig in Weihnachtsstimmung bringt. Voller sympathischer Charaktere, wunderschöner Landschaften und den vielen kleinen Dramen des Lebens ist dies ein schönes Buch für einen kalten Winternachmittag!" – Stardust Book Reviews "Eine fesselnde Lektüre. Ich habe dieses Buch sehr genossen und hoffe, dass es nicht die letzte Geschichte aus Lobster Bay ist, die wir erwarten dürfen." – Kirstys Buchbesprechungen "Wenn Sie auf der Suche nach einer herzerwärmenden, beruhigenden Lektüre sind, die Sie in festliche Stimmung versetzt, dann empfehle ich Ihnen, Weihnachten in Lobster Bay auf Ihre Liste zu setzen." – LiebesLesen "Eine wirklich leichte, unterhaltsame Lektüre."– Amazon-Rezension
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Seitenzahl: 380
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Große Pläne in Lobster Bay
© Annie Robertson 2021
© Deutsch: Jentas A/S 2024
Titel: Große Pläne in Lobster Bay
Originaltitel: Christmas at Lobster Bay
Übersetzung: Kirsten Henrieke Evers, © Jentas A/S
ISBN: 978-87-428-2050-6
First published in Great Britain by Welbeck.Published by agreement with The Schoolhouse Partnership and Blake Friedmann Literary, TV and Film Agency Ltd.
Schottlands bestgehütetes Geheimnis
Kate Anderson entdeckt verstecktes Kleinod in Lobster Bay
Viele von uns träumen davon, den Beruf an den Nagel zu hängen und irgendwo auf dem Land ein B&B oder einen Pub zu betreiben. Emma Jenkins hat genau das getan – und ihr Wagnis hat sich gelohnt. Und wie es sich gelohnt hat!
Den Traum, eine kleine Pension zu besitzen, hatte sie schon seit ihrer Kindheit gehegt, aber erst als Jenkins im vergangenen Jahr zu Heiligabend Zeugin des Bombenanschlags in London wurde, fand sie den Mut, ihren Job als Innenarchitektin aufzugeben und eine Immobilie im schottischen Lobster Bay zu kaufen, ein Dorf, das vor allem für seine malerische Bucht und seine Fischereiindustrie bekannt ist.
„Ich hatte mir das Haus nur online angesehen, bevor ich es kaufte“, erzählt sie mir. „Ich weiß, dass es sich verrückt anhört, aber es fühlte sich richtig an, fast so, als hätte ich gar keine andere Wahl.“
„Es war nicht einfach, und es gab vor allem anfangs einige Schwierigkeiten“, sagt sie, während wir von einem der stilvollen Gästezimmer aus den atemberaubenden Meerblick genießen, „aber am Ende hat es sich gelohnt. Ich liebe es, mein Zuhause mit anderen zu teilen und Menschen aus der ganzen Welt zu empfangen.“
Jenkins’ Beharrlichkeit hat sich eindeutig ausgezahlt, denn die Pension in Lobster Bay ist eines der einladendsten Boutique-Hotels, die ich in den letzten Jahren besuchen durfte. Allerdings war nicht alles einfach: Ein Feuer und eine Überschwemmung bereiteten ihr in den ersten Monaten nicht wenige Sorgen, aber nach all der harten Arbeit kommt die Belohnung: Gerade hat sie den Preis für den besten unabhängigen Newcomer bei den Central Hospitality Awards gewonnen.
Die Designpalette wurde von der lokalen Landschaft inspiriert, wobei durchweg natürliche und lokal bezogene Möbel und Materialien verwendet wurden. Das Ergebnis spiegelt nicht nur die raue Schönheit der Gegend wider, sondern ist auch eine wahre Oase der Ruhe.
Der Luxus endet jedoch nicht bei der Einrichtung. Jenkins’ Gespür für die Verschmelzung von Tradition und Moderne spiegelt sich auch in der regionalen Küche der Pension wider, die schottischen Klassikern einen zeitgemäßen Touch verleiht und sich an internationalen Küchen – von Frankreich bis Skandinavien – orientiert. Zu den beliebtesten Gerichten gehören u. a. die holländischen Pfannkuchen mit saisonalen Toppings und ein komplettes schottisches Frühstück – auch vegan.
Auf meine Frage, wie sie es schafft, den konstant hohen Standard zu halten, antwortet sie mir, dass sie viel Hilfe hat.
Die Haushälterin Rhona ist zu einer engen Freundin geworden, Emmas Freund, ein lokaler Bootsbauer, ist für die Instandhaltung des Hauses zuständig, und sie arbeitet eng mit lokalen Lieferanten zusammen, vom Schlachter bis zum Chocolatier.
Aber glauben Sie jetzt ja nicht, dass Emma Jenkins sich auf ihren Lorbeeren ausruht. Zu ihren ehrgeizigen Plänen für die Zukunft gehören das Wiedereinführen vom traditionellen Nachmittagstee, kleine Hochzeiten und Wellness-Behandlungen.
Die kleine Pension in Lobster Bay ist bereits jetzt das Herz dieser eng verbundenen Gemeinschaft und scheint für Großes bestimmt zu sein. Kommen Sie am besten schnell, bevor es kein Geheimtipp mehr ist.
„Die Gäste sagen, der Apfel-Ahorn-Toast sei fantastisch gewesen“, sagte Skye, die gerade mit einem Tablett mit leeren Frühstückstellern in die Küche kam.
„Hab ich’s nicht gesagt, Peggy? Die Leute lieben das Saisonale und das Ausprobieren von Neuem“, sagte Emma und nahm Skye das Tablett ab, damit sie die nächste Bestellung von der Arbeitsplatte aus abgeschliffenem Eichenholz nehmen konnte.
„Aber warum die Leute ihr Frühstück in einer Bratpfanne serviert haben wollen, werde ich wohl nie verstehen“, sagte Peggy und warf einen zweifelnden Blick auf die kleinen gusseisernen Pfannen, in denen die Pfannkuchen mit Pilzen und Spiegelei lagen, die sie auf Emmas Wunsch hin zubereitet hatte.
„Es ist halt trendy. Die Gäste lieben es jedenfalls“, entgegnete Emma, während sie den Geschirrspüler neben dem großen Keramikspülbecken einräumte.
„Brauchen die hier Petersilie?“, fragte Skye.
„Nur ein bisschen“, antwortete Emma, der es gefiel, dass Rhonas Tochter den gleichen Blick für Details hatte wie ihre Mutter. Doch damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Während Rhona dafür bekannt war, gerne ein kleines Schwätzchen mit den Gästen zu halten, war Skye eher schüchtern, obwohl sie in den sechs Monaten, in denen sie nun schon an den Wochenenden die Frühstücksschicht übernahm, ein wenig aus sich herausgekommen war.
„Petersilie auf Eiern … noch so etwas Neumodisches“, murmelte Peggy und sah zu, wie Skye sie über das Gericht streute. Für Emma sah sie mit ihrem langen, gewellten blonden Haar, den kirschroten Lippen und der milchweißen Haut aus wie eine Göttin von Botticelli.
Emma lachte. „Keine Sorge, Peggy. Die Gäste, die in Hagebutte wohnen, wollen beide ein traditionelles schottisches Frühstück.“
„Na, Gott sei Dank“, seufzte Peggy, schlug mit Leichtigkeit ein paar Eier in die Pfanne und wischte sich die Hand an der gerüschten Schürze ab, die sie um ihre schmale Taille trug. Als Peggy ins Team kam, nachdem sie auf eine Anzeige in der Lokalzeitung geantwortet hatte, hatte Emma sie zunächst zu überreden versucht, die dunkelgrüne Schürze und das weiße Hemd zu tragen, wie es die Kellnerinnen trugen, aber Peggy hatte sich geweigert.
„Ich bin einundachtzig Jahre alt“, hatte sie Emma mit zusammengekniffenen blauen Augen gesagt. „Ich arbeite mit meiner eigenen Schürze und bunten Blusen oder gar nicht.“ Und damit war die Angelegenheit erledigt. Emma war nicht so prinzipientreu, dass sie eine wertvolle Ergänzung zum Frühstücksteam wegen eines Uniformstreits verlieren würde, vor allem nicht eine so erfahrene Köchin wie Peggy.
„Ach, das habe ich ganz vergessen zu sagen“, sagte Skye und stieß mit der Hüfte die Küchentür auf. „Im Wohnzimmer ist ein Gast, der mit dir sprechen möchte.“
„Danke, Skye“, sagte Emma und hoffte, dass es keine Beschwerde war. Wenn die letzten achtzehn Monate Emma eins gelehrt hatten, dann, dass es zwei Kategorien von Gästen gab: die, die sich beschweren, und die, die es nicht tun. Zum Glück für Emma waren erstere selten, aber wenn sie da waren, gaben sie sich stets schnell zu erkennen. Emma wünschte, sie könnte sich an die Hunderte von freundlichen, unkomplizierten Gästen, die durch ihre Tür kamen, genauso gut erinnern wie an die streitlustigen.
Emma zog ihre Schürze aus und ging ins Gästewohnzimmer, wo sie Cyril, Peggys Ehemann, vor dem knisternden Kaminfeuer sitzen sah. Sein gepflegter Schnurrbart und das silberne Haar waren gerade eben über die Morgenzeitung hinweg zu sehen. Am großen Erkerfenster saßen die Roebothams, die in der Suite im obersten Stockwerk wohnten, bei einer Tasse Tee und genossen den Blick auf den Garten und das Meer dahinter. Die Beeren der Zwergmispeln vor dem Fenster leuchteten in der Sonne in einem strahlenden Rot, und die Zieräpfel waren von einem kräftigen Orange. Jedes Mal, wenn Emma die Farben betrachtete, kroch ihr ein kleiner Schauer der Zufriedenheit über den Rücken.
„Guten Morgen“, sang Emma und ging auf die beiden zu, erleichtert darüber, dass ihre entspannte Körpersprache nicht auf eine drohende Beschwerde schließen ließ. „Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?“
„Es ist himmlisch“, antwortete Frances, eine robuste Frau mit rötlichen Wangen und einem offenen Gemüt, die ihr ergrautes Haar zu einem Dutt hochgesteckt trug. „Jim, haben wir nicht gerade eben noch gesagt, wie lange es her ist, dass wir an einem Ort übernachtet haben, der sowohl stilvoll als auch komfortabel ist. Und sich so einladend anfühlt.“
„Das haben wir“, sagte Jim, der viel zu sehr damit beschäftigt war, mit dem Fernglas aufs Meer hinauszuschauen, um mit Emma Smalltalk zu machen.
„Wie machen Sie das bloß?“, fragte Frances. „Alles, von den Blumen im Garten bis zur Auswahl des Frühstückstees, ist einfach perfekt.“
„Ich habe eine Menge Hilfe“, sagte Emma, geschmeichelt von den Komplimenten. Trotz all des Lobes und der positiven Rezensionen, die sie im letzten Jahr erhalten hatte, fühlten sie sich immer noch jedes Mal aufs Neue unerwartet und erfreulich an. „Ich bin keine sonderlich gute Gärtnerin, darum kümmert sich eine nette Dame aus dem Dorf. Eine gute Köchin bin ich auch nicht – Peggy ist für die leckeren Kreationen aus der Küche zuständig. Und die Haushaltsführung liegt in den Händen meiner Freundin Rhona. Sogar das Handwerkliche überlasse ich meinem Freund.“
„Und was gibt es dann noch für Sie zu tun?“, fragte Jim, ohne das Fernglas abzusetzen, den Blick starr aufs Meer gerichtet. Sein Tonfall sollte wahrscheinlich als scherzhaft verstanden werden, wirkte aber stattdessen ein wenig aggressiv und brachte Emma in die Defensive.
„Ich beaufsichtige alles, entwickle das Geschäft und neue Ideen“, sagte sie und zupfte an den Manschetten ihrer Bluse, weil sie sich fragte, ob das ein bisschen fadenscheinig klang.
„Gutes Management ist eine unterschätzte Fähigkeit“, fügte Frances mit einem scharfen Nicken hinzu, das Emma verriet, dass sie durchaus verstand, wie viel Mühe in dem Haus steckte, auch wenn ihr Mann es nicht wertzuschätzen wusste.
Emma nahm das Lob mit einem dankbaren Lächeln an. „Lassen Sie mich Ihre Teekanne auffüllen.“
„Ich bin überrascht, dass Sie keinen Lakaien haben, der das für Sie tut“, kommentierte Jim und setzte das Fernglas ab, woraufhin Emma lachte und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie beleidigend sie das fand. Sie hätte Jim gern erzählt, wie viele Frühstücke sie in den ersten zwölf Monaten gekocht und serviert, wie viele Geschirrspülmaschinen sie beladen und wie oft sie Wäsche gewaschen und Zimmer geputzt hatte. Sie hatte ihr Handwerk gelernt und sich bis zu dem Punkt hochgearbeitet, an dem sie heute war – die Besitzerin eines hoch angesehenen Gasthauses.
„Vielleicht sollte ich noch einen einstellen“, sagte sie mit einem verspielten Lächeln und hoffte, dass ihre Augen ebenfalls lächelten, denn sicher war sie sich in diesem Moment ganz und gar nicht. Bei sich dachte sie: Ich wette, du hast noch nie in deinem Leben ein Bett gemacht. Ich wette, Frances macht bei euch zu Hause alles, außer dir den Arsch abzuwischen!
Nachdem sie den Roebothams eine frische Kanne Tee gebracht hatte, holte Emma das Full Scottish Breakfast aus der Küche und servierte es den Gästen im Esszimmer, wobei ihr Jims passiv-aggressive Bemerkung noch immer wie eine Lottokugel im Kopf herum rollte.
„Guten Morgen“, sagte sie fröhlich zu dem jungen Paar, das an dem kleineren der beiden gewachsten Holztische am Fenster saß. „Zweimal Full Scottish”, sagte sie und stellte die Teller ab, wobei sie bemerkte, dass die Blumenkästen draußen, die mit gelben Zierkürbissen, roten Chilis und orangefarbenen Chrysanthemen gefüllt waren, ein wenig Pflege nötig hatten.
„Das sieht fantastisch aus“, hauchte Niall, und seine Verlobte Caitlin riss die Augen weit auf, als sie die Herrlichkeiten vor sich sah.
„Hoffentlich hält es Sie bis zum Abendessen satt“, sagte Emma, die es immer noch liebte, die strahlenden Gesichter ihrer Gäste zu sehen, wenn sie ein herzhaftes Frühstück vorgesetzt bekamen.
Während Niall und Caitlin ihr Essen genossen, brachte Emma das Esszimmer auf Vordermann. Sie räumte die weiß gestrichene Anrichte auf, fegte heruntergefallene Krümel auf, drehte Saftflaschen richtig herum und ordnete das Gebäck und die Muffins neu an, während Skye die Bestellung einer anderen Gruppe von Gästen aufnahm. Nachdem sie sich um die Anrichte gekümmert hatte, bürstete Emma einen Sackleinenläufer ab und deckte einen Tisch neu ein, schob die frisch im Garten gepflückten Hortensienköpfe zurecht und begrüßte zwei weitere Gäste, die den verbleibenden Tisch am Fenster wählten. Als Emma ihnen die Speisekarte überreichte, dachte sie nicht zum ersten Mal darüber nach, wie eng das Esszimmer jetzt wirkte, da sie sechs Zimmer hatte und nicht mehr nur drei, mit denen sie angefangen hatte. Als sie auf fünf Zimmer erweitert hatte, hatte sich der Raum zwar kleiner, aber dafür auch gemütlicher angefühlt, aber inzwischen, wo noch ein zusätzlicher Tisch für zwei Personen hinzugekommen war, befürchtete sie, dass er eher an Enge grenzte als an Gemütlichkeit.
Na ja, dachte sie, am Platzproblem kann ich nichts ändern, und was ist besser als ein Esszimmer voller sich unterhaltender Gäste?
Emma liebte es, den Gästen zuzuhören, wie sie beim Müsli oder Porridge mit den Gästen am Nachbartisch plauderten, sich gegenseitig von ihrem bevorstehenden Tag erzählten oder über ihre Abenteuer vom Vortag reflektierten. Vor allem, wenn ihr die Verwaltungsaufgaben mal zu lästig wurde, rettete ihr der Anblick ihrer zufriedenen Gäste immer den Tag.
„Emma, wäre es möglich, noch etwas Pfefferminztee aufs Zimmer zu bekommen?“, fragte Dotty, eine Dame, die zwei Abende zuvor mit ihrer Freundin Sylvia angekommen war. Emma hatte die Haustür geöffnet und die beiden in leuchtend gelben Regenmänteln und mit großen, bunten Brillen, die vom Regen beschlagen waren, vorgefunden. Beim Einchecken hatten sie mindestens zwanzig Minuten damit verbracht, ihr zu erzählen, wie sie bereits als Mädchen angefangen hatten, Lobster Bay zu besuchen, und dass sie seit dem Tod ihrer Ehemänner jeden Herbst her kamen. Sie freuten sich das ganze Jahr darauf, und der Aufenthalt im Gasthaus war ein wichtiger Teil davon. Emma liebte es, diese Art von Geschichten zu hören, die ein Rezeptionist oder Hotelpage in einem großen Hotel, wo man endlose Menge an Gästen abfertigt, nie zu hören bekäme.
„Natürlich“, sagte Emma. „Es tut mir sehr leid, wenn gestern nicht nachgefüllt wurde.“
„Es wurde nachgefüllt, meine Liebe“, sagte Dotty. „Wir haben einfach nur eine große Vorliebe für Pfefferminztee.“
„Und für Pralinen, wenn Sie noch welche im Haus haben“, fügte Sylvie hinzu, was Emma zum Lachen brachte. Sie hatte schnell gelernt, dass Damen eines gewissen Alters die kleinen Aufmerksamkeiten auf dem Kopfkissen besonders schätzten.
Um die Bitte der beiden nicht zu vergessen, lief Emma gleich die Treppe hinauf und fand Rhona in Inselblick, dem größten Schlafzimmer im mittleren Stockwerk.
„Bist du dir sicher, dass du das tun solltest?“, fragte Emma und eilte herbei, um ihr zu helfen, die Matratze des Super-King-Bettes zu wenden. Bei ihrem Anblick erinnerte sich Emma an einen Tag im letzten Winter, als sie und Rhona gemeinsam einen Großputz gemacht hatten, wobei sie alle Matratzen umgedreht und große Möbelstücke verschoben hatten, um selbst in den unzugänglichsten Ecken zu saugen. Dabei hatten sie sich die Zeit damit vertrieben, sich für alle Schlafzimmer neue Namen auszudenken. Nach reiflicher Überlegung hatten sie sich schließlich für Namen entschieden, die sich an der örtlichen Landschaft und Fauna orientierten: Hagebutte, Inselblick, Ginster, Hummer und Papageientaucher. Es war nur eine kleine Änderung, aber eine, von der Emma meinte, dass sie einen großen Unterschied machen würde.
„Wenn Paula Radcliffe bis zum Tag vor ihrer Entbindung für den Marathon trainieren konnte, kann ich sicher ein paar Matratzen umdrehen, wenn ich gerade erst das zweite Trimester beendet habe“, erwiderte Rhona, deren lange, sehnige Arme sich unter der Belastung anspannten.
„Ist das nicht genau der Grund, warum wir Zoe haben?“, fragte Emma und sah sich nach Skyes Freundin um, die seit Rhonas Schwangerschaft an den Wochenenden aushalf. Vor der Schwangerschaft war Rhona gerade so mit fünf Zimmern klargekommen, aber inzwischen waren fünf Zimmer plus Suite eine Belastung, und Emma war mehr als glücklich gewesen, einige ihrer Wochenendaufgaben zu übernehmen, um ihr die Arbeit ein wenig zu erleichtern. Die Miete des kleinsten Zimmers für eine Nacht deckte mehr als die Kosten von Skyes und Zoes Wochenlohn zusammen – beide arbeiteten jedes Wochenende sechs Stunden. „Wo ist sie eigentlich?“
„Ich habe sie zum Wäscheschrank geschickt, um die Sachen für die Teetabletts zu holen“, sagte Rhona, als sie die Matratze hinlegten.
„Vielleicht wäre es besser, wenn du die leichtere Arbeit machst und Zoe die schwerere. Ich will nicht, dass Finn kommt und mir vorwirft, dass ich dich zu hart arbeiten lasse.“
„Als ob!“, sagte Rhona lachend und blickte Emma aus ihren schönen großen Augen strahlend an. Gemeinsam richteten sie die Matratze so aus, dass sie gerade auf dem Bettgestell lag. „Er weiß ganz genau, dass dafür ich verantwortlich ist, nicht du.“
„Ja, ich nehme an, das hat er inzwischen raus“, sagte Emma, die sich nicht vorstellen konnte, dass der sanfte, entspannte Finn jemals jemandem ernsthaft die Meinung sagen würde. Seit er vor sechs Monaten von Irland hierher gezogen war, um mit Rhona zusammenzuleben, konnte Emma sich kaum an eine Zeit erinnern, in der er nicht die Ruhe selbst gewesen wäre. Sogar wenn er an seinen Golfplatzentwürfen arbeitete, war er nicht aus der Ruhe zu bringen. „Ich gehe Zoe sagen, dass Sylvie und Dotty mehr Pfefferminztee und Schokolade brauchen.“
„Mir ist aufgefallen, dass einer der Heizkörper in der Suite schon wieder undicht ist. Vielleicht kann Aidan mal nachsehen?“
„Sobald er von seinem Spaziergang mit Wilbur zurück ist“, sagte Emma und ging auf den Treppenabsatz hinaus. „Zoe?“, rief sie, öffnete die Tür des Abstellraums, in dem Bettwäsche und Teezubehör aufbewahrt wurden, und fand Zoe mit dem Rücken zur Tür.
„Ja?“, erwiderte Zoe und warf mit dunklen Augen einen verstohlenen Blick über ihre schmale Schulter. Wenn Skye ein Botticelli war, erinnerte Zoe eher an einen Klimt – dunkel, kantig und stark.
„Kannst du bitte dafür sorgen, dass Papageientaucher frischen Pfefferminztee und extra Pralinen bekommt?“
„Sicher“, sagte sie, immer noch mit dem Rücken zu Emma.
„Alles okay bei dir?“
„Klar“, sagte sie, drehte sich um und wischte sich schnell mit dem Handrücken über die Mundwinkel.
„Und denk daran, dass Rhona die Teesachen für Inselblick braucht“, sagte Emma, die sich keinen Reim daraus machen konnte, was Zoe da trieb, obwohl sie ahnte, dass die Pralinen für die Kopfkissen der Gäste dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielten.
„Ich weiß“, antwortete Zoe, die hastig die benötigten Gegenstände zusammensuchte.
„Wir sehen uns gleich unten zur morgendlichen Besprechung“, sagte Emma, schloss die Tür des Abstellraums wieder und machte sich auf den Weg ins Obergeschoss, um zu sehen, welcher Heizkörper undicht war.
Sie öffnete die Tür zur Suite, die anfangs ihr Wohn- und Schlafzimmer gewesen war, und freute sich wieder einmal über die gelungene Verwandlung. Sie ließ den Blick zu den großen Fenstern wandern und genoss den atemberaubenden Meerblick, der sich vom Hafen bis zum Oststrand und dem dahinter liegenden Küstenpfad erstreckte. Es verschlug ihr noch immer jedes Mal den Atem, wenn sie das Schauspiel betrachtete.
Als Emma das Bad betrat, bemerkte sie einen Fleck auf dem Spiegel. Während sie ihn mit einem Taschentuch wegwischte, strich sie eine widerspenstige Locke ihres dunklen Haares zurecht und presste ihre vollen Lippen zusammen, um ihren dezenten Lipgloss zu glätten. Hinter ihr spiegelte sich die riesige Doppeldusche im Spiegel, und sie musste an all die Arbeit denken, die zu Beginn des Jahres in die Einrichtung dieses luxuriösen Refugiums von Badezimmer geflossen war, das komplett mit Fußbodenheizung, flauschigen Bademänteln und hochwertigen Toilettenartikeln ausgestattet war. Nachdem der Spiegel gesäubert und ihr Äußeres wieder in Ordnung gebracht war, begab sie sich in den Wohnbereich, einen Raum, der für genüssliches Faulenzen wie geschaffen war. Vom Sofa aus hatten ihre Gäste einen ungehinderten Blick auf das Meer, und im Kühlschrank gab es genügend kostenlose Getränke und Snacks, um sie zur Not mehrere Tage lang zu versorgen.
Die Heizkörper im Wohnbereich waren in Ordnung. Erst als Emma die Wand mit dem Kingsize-Bett erreichte, entdeckte sie das Problem.
„Ah“, machte sie und kniete sich neben den undichten Heizkörper an der Wand, die an Aidans Haus nebenan grenzte. Das Zimmer auf der anderen Seite der Wand war, seit Emma zu Beginn der Umbauten kurz nach Weihnachten bei ihm eingezogen war, ihr gemeinsames Schlafzimmer.
Rhona hatte ein gefaltetes Handtuch unter die undichte Stelle gelegt, um zu verhindern, dass sich eine Pfütze auf den Dielen bildete, aber es war bereits durchnässt. Emma wollte gerade nach unten in die Waschküche laufen, um den Schlüssel für den Heizkörper zu suchen, als ihr Handy klingelte.
„Hallo Jane“, sagte sie.
„Was machst du so?“, fragte ihre Schwester, was Emma sofort verriet, dass sie nur deshalb anrief, weil sie nicht wusste, womit sie sich die Zeit vertreiben sollte, weil die Kinder in der Schule und ihr Mann auf der Arbeit waren.
„Ich überprüfe einen Heizkörper“, antwortete Emma.
„Aufregend“, sagte Jane sarkastisch. „Muss das langweilig sein, die endlosen Wartungsarbeiten und das Aufräumen hinter Fremden.“
„Manchmal schon“, antwortete Emma wahrheitsgemäß und widerstand zugleich der Versuchung, ihrer Schwester zu sagen, dass ihre Arbeit sich gar nicht so sehr von Janes Leben als Hausfrau unterschied, vor allem, wenn man bedachte, dass Dan die meiste Zeit der Woche weg war und sie nur die Kinder als Gesellschaft hatte. Aber sie konnte nicht leugnen, dass ihr das Gasthaus, seit die Renovierungsarbeiten abgeschlossen waren und sie weniger mit anpacken musste, nicht mehr das gleiche Vergnügen und Gefühl der Befriedigung vermittelte wie am Anfang, auch wenn sie immer noch so viele Aspekte ihrer Arbeit liebte.
„Wärst du in London nicht besser aufgehoben? Vermisst du nicht die Möglichkeiten? Ich bin mir sicher, dass Katherine dir deinen alten Job liebend gern zurückgeben würde. Du vermisst sicher den Trubel großer Designprojekte und eine echte Karriere.“
Emma zuckte bei der Bemerkung ihrer Schwester zusammen. „Ich habe eine richtige Karriere – das Haus.“
„Ach Emma, mach dir doch nichts vor – das Haus war eine Flucht, ein Projekt, das du gebraucht hast, um über das Trauma von Heiligabend hinwegzukommen. Aber jetzt geht es dir doch besser. Lobster Bay war ein Paar Stützräder, um zu lernen, wieder mit dem Leben klarzukommen, das ist alles. Es ist doch nicht dein richtiges Zuhause.“
„Das ist nicht fair“, sagte Emma, verärgert über die Kommentare ihrer Schwester, die einige unbequeme Fragen aufwarfen. Obwohl sie ihr Leben in Lobster Bay unsagbar schätzte, gab es auch Tage, an denen sie sich fragte, ob es ihr wirklich genug war, ob der wahre Grund für ihre Anwesenheit hier womöglich tatsächlich die Ablenkung gewesen war, die sie gebraucht hatte, nachdem sie an Heiligabend vor fast zwei Jahren bei einen Terroranschlag im Zentrum Londons nur ganz knapp unbeschadet davongekommen war. Jetzt, da sie nicht mehr von Flashbacks, Albträumen und dem Gesicht der Frau, deren Tod sie hautnah miterlebt hatte, heimgesucht wurde, fragte sich Emma manchmal, ob sie wirklich hierher, ins verschlafene Lobster Bay, gehörte.
„Ich sage das nicht, um dich zu verärgern, Em, aber jetzt, wo Mum mit Gary unterwegs ist, ist es schließlich an mir, dir mit guten Ratschlägen zur Seite zu stehen. Manchmal muss man einfach einen Schritt zurücktreten, das Gesamtbild betrachten und darüber nachdenken, was einem wirklich wichtig ist, bevor man sich zu sehr in etwas reinsteigert.“
„Ich muss los, Jane, ich hab zu tun“, sagte Emma abweisend, da sie keine Lust hatte, weiter auf die Bemerkungen ihrer Schwester einzugehen, die ihr ein wenig zu nahe gingen. „Ich rufe dich die Tage an.“
Dann lief sie hinunter in die Waschküche und versuchte vergeblich, das Gespräch und die Gedanken, die es geweckt hatte, abzuschütteln.
„Was suchst du?“, fragte Aidan, der gerade mit Wilbur, der ihm hechelnd und mit vom Spaziergang erschöpft herabhängenden Schultern folgte, durch die Hintertür herein kam.
„Heizkörperschlüssel“, sagte sie, nachdem sie Aidan zur Begrüßung geküsst hatte. Sie mochte es, wie seine vollen Lippen vom Wind ganz kalt waren und seine blonden Bartstoppeln sich auf ihrer Haut wunderbar rau anfühlten. Wenn es eine Sache in ihrem Leben gab, die sie nicht in Frage stellte, dann war es, dass sie Aidan liebte.
„Warum?“ Er nahm Wilbur die Leine ab und legte eine Decke über ihn, während dieser sich langsam in seinen riesigen Korb legte, in dem er in diesen Tagen die meiste Zeit verbrachte. Er war ein ganz anderes Wesen als der kräftige Neufundländer, den Emma bei ihrer Ankunft im Ort von der früheren Besitzerin des Hauses förmlich aufgedrängt bekommen hatte.
„In der Suite ist einer undicht“, sagte sie und wurde in der Kiste mit dem Klempnerzubehör fündig.
„Soll ich mal nachsehen?“, fragte er in einem Ton, der vermuten ließ, dass er die Antwort bereits kannte.
„Würdest du das tun?“
„Das ist es, wofür du mich nicht bezahlst, schon vergessen?“, sagte er und seine lapislazuliblauen Augen funkelten Emma vergnügt an. Als er den Schlüssel nahm, strich er ihr eine weitere widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn und beugte sich zu ihr herab, um ihr einen Kuss zu geben.
„Ach ja, jetzt, wo du’s sagst“, sagte sie, löste sich langsam von seinen Lippen und wünschte, sie hätte Zeit zum Verweilen.
Sie blickte ihm nach, wie er durch die Küche ging, vorbei an den granitfarbenen Einbauschränken, und betrachtete seinen muskulösen Hintern, wobei sie sich wunderte, dass sie selbst nach dem einem Jahr, in dem sie das Geschäft nun schon gemeinsam betrieben, immer noch von seinem Körper erregt wurde.
„Hör auf, mir auf den Arsch zu glotzen“, sagte er, ohne sich umzudrehen, was Peggy aufblicken und den Kopf schütteln ließ.
„Ich entschuldige mich für die Ausdrucksweise meines Freundes, Peggy“, sagte Emma so laut, dass Aidan, der inzwischen schon halb die Treppe hinauf war, es hören musste. „Ungehobelt ist das.“
„Cyril hat als junger Mann auch geflucht“, sagte Peggy, als ob das etwas wäre, was irgendwann von alleine vorbeigeht. „Natürlich niemals vor mir, aber ich habe ihn oft genug mit seinen Freunden gehört. Heutzutage kann man den Fernseher nicht mehr einschalten, ohne dass einem sofort die Schimpfwörter um die Ohren fliegen. Zu meiner Zeit war das anders.“
„Ich weiß, es ist schrecklich“, stimmte Emma zu, die nur zu gern mitspielte.
„Was ist schrecklich?“, fragte Skye und kam mit einem weiteren Tablett mit schmutzigem Geschirr aus dem Esszimmer in die Küche zurück.
„So wie heutzutage alle andauernd fluchen“, sagte Emma und setzte den Kessel auf, um Peggy eine wohlverdiente Kanne Tee zu machen.
„Ich nicht“, sagte Skye.
„Du bist ja auch gut erzogen“, bemerkte Peggy, zog ihre Schürze aus und setzte sich an die große Kücheninsel, wo sie eine altmodische Puderdose hervor holte, um ihre Wangen zu pudern und ihr schütteres graues Haar zu richten.
„Wer soll gut erzogen sein?“, fragte Rhona, die gerade in die Küche kam. Ihr dunkelgrünes Poloshirt spannte inzwischen ganz schön.
„Skye natürlich“, sagte Emma.
Rhona schnaubte und zerzauste Skyes Haare. „Na, rotzfrech und naseweis trifft es wohl eher.“
„Mum!“, sagte Skye, strich sich die Locken wieder zurecht und setzte sich zu Peggy an die Kücheninsel.
„Was? Ich habe tatsächlich keine Ahnung, wie du so gut erzogen und vernünftig geworden bist. Von mir hast du das jedenfalls nicht gelernt.“
„Deine Mutter hat recht. Niemand kann Rhona vorwerfen, vernünftig zu sein“, warf Emma ein, die an der Kaffeemaschine stand und Kaffee machte, die Gesellschaft ihrer Freundinnen genoss und sich glücklich schätzte, von so starken Frauen umgeben zu sein. Selbst mit fünfzehn Jahren zeigte Skye mehr Reife, als Emma in ihren Zwanzigern gehabt hatte; Rhona war trotz Schwangerschaft immer noch ein Energiebündel und voller Humor; und Peggy brachte eine dringend benötigte Dosis Anstand, schrulligen Stil, Weisheit und Stoizismus mit.
„Das stimmt allerdings“, räumte Rhona ein und holte eine Dose Butterkekse aus der Speisekammer.
„Wo ist Zoe?“, fragte Emma.
„Oberste Etage, glaube ich“, sagte Rhona. „Sie kommt sicher bald runter. Es sieht ihr nicht ähnlich, eine Gelegenheit auszulassen, sich hinzusetzen.“
„Ist das nicht ein bisschen hart?“, fragte Emma.
Rhona hob eine Augenbraue. „Bist du denn anderer Meinung?“
Darauf konnte Emma keine gute Antwort finden. So schön es war, ein zusätzliches Paar Hände zu haben, konnte sie doch nicht leugnen, dass Zoe nicht gerade die Disziplinierteste war. In den letzten sechs Monaten hatte sie so ziemlich jede erdenkliche Ausrede genutzt, um sich die Arbeit zu erleichtern, früher zu gehen oder gar nicht erst zu kommen. Für Emma war es ein Rätsel, warum sie und Skye so gute Freundinnen waren.
„Also Chefin, was steht auf der Tagesordnung?“, fragte Rhona, nachdem Emma den Kaffee verteilt und sich zu den anderen gesetzt hatte.
„Weihnachten“, sagte sie fröhlich, denn sie freute sich auf ein Projekt, mit dem sie sich so richtig austoben konnte.
„Ab heute noch genau drei Monate“, sang Skye.
„Einundneunzig mal schlafen“, stichelte Rhona, und Skye errötete.
„Ich weiß das nur, weil Ella einen Hundert-Tage-Countdown gestartet hat“, protestierte sie.
„Ja, klar“, lachte Rhona und warf ihr eine zusammengerollte Serviette zu. „Im Herzen bist du eben immer noch ein Kind.“
Skye verzog die Lippen, schlang die Hände um ihren Kaffeebecher und warf ihrer Mutter einen kritischen Blick zu.
„Wir brauchen eine Veranstaltung, etwas, das die Leute dazu verleitet, Weihnachten hier zu verbringen und nicht zu Hause“, sagte Emma. „Und wir müssen möglichst schnell mit der Werbung dafür beginnen“, fuhr sie fort, wohl wissend, dass sie sich mit diesem Projekt möglicherweise ein wenig übernommen hatte. Sie wusste, dass viele Leute ihren Weihnachtsurlaub bereits am zweiten Weihnachtsfeiertag des letzten Jahres gebucht hatten. Da nur noch drei Monate Zeit waren, konnte Emma nicht sicher sein, dass sie alle Zimmer füllen würde.
„Wie wäre es mit einem dieser All-inclusive-Weihnachtspakete?“, schlug Skye vor. „So wie in Gleneagles, wo man an Heiligabend mit einem Harfenspieler und einem Glas Glühwein begrüßt wird, und am ersten Weihnachtstag gibt es ein großes Weihnachtsessen und ein Ceilidh.“
Rhona sah ihre Tochter an, als wäre sie eine Außerirdische. „Woher weißt du das denn?“
„Ich lese Condé Nast Traveller“, erwiderte sie nonchalant.
„Wer bist du und was hast du mit meiner Tochter gemacht?”, rief Rhona melodramatisch, rutschte mit der Hand auf dem Bauch vom Barhocker und tunkte ihren Butterkeks in den Tee.
„Cyril und ich haben an Weihnachten einmal eine Kreuzfahrt gemacht“, verkündete Peggy, als ob sie gerade aus einem Traum erwacht sei.
„Wo?“, fragte Emma.
„Norwegen“, sagte Peggy, scheinbar verloren in Erinnerungen. „Wir waren dort stationiert. Ich habe die ganze Zeit furchtbar gefroren und war dauernd seekrank.“
„Das klingt schrecklich“, sagte Rhona.
„Das kann ich dir sagen, Liebes. Nie wieder, haben wir uns geschworen.“
„Halten alle ein Weihnachtspaket mit drei Übernachtungen für eine gute Idee? Wir könnten die Weihnachtsstimmung so richtig anheizen.“
„Also, mir gefällt die Idee“, sagte Rhona.
„Mir auch“, antwortete Peggy.
„Irgendwelche Vorschläge für einen guten Titel?“
„Halte es einfach“, sagte Rhona und griff nach einem weiteren Keks. „So etwas wie ‘Weihnachten in Lobster Bay’ zum Beispiel?“
„Weihnachten in Lobster Bay“, wiederholte Emma, die den Vorschlag mochte, sich aber gleichzeitig fragte, ob drei Übernachtungen nicht vielleicht zu einfach wären. Sie wusste, dass sie zu mehr fähig waren, zu etwas, das ihr die nötige Herausforderung bieten würde, aber was?
Als sie in die Runde blickte, sah sie die strahlenden Gesichter ihrer Freundinnen, die sich alle über den Plan freuten, und sie konnte es nicht übers Herz bringen, sie zu enttäuschen.
„Okay“, sagte sie, trotz ihrer Vorbehalte. „Also Weihnachten in Lobster Bay – das wird ein unvergessliches Fest!“
„Klingt doch nach einem guten Plan“, sagte Aidan und ließ den Deckel eines Eimers mit Yachtlack einrasten, der neben der kleinen Segeljolle stand, an der er den ganzen Sommer über gearbeitet hatte. Mit ihren Holzplanken, die sich überlappten und entlang des Rumpfes Rillen bildeten, erinnerte die kleine Jolle Emma an die Kinderbücher von Arthur Ransome, Träume von Piratenabenteuern und nie enden wollenden Sommerferien. Ihrer Meinung nach war es ein kleines Meisterwerk.
„Ja, eigentlich ist es ein einwandfreier Plan, es ist nur …“ Emma brach ab und kitzelte Wilbur, der neben ihr auf einer umgedrehten Kiste am Rande des kleinen Hafens saß. Ihr Blick fiel aufs Wasser, wo mehrere bunte Fischerboote in der herbstlichen Brise schaukelten und sanft aneinander stießen.
„Was?“, fragte Aidan.
Sie zuckte mit den Schultern und sah zu, wie er seinen Pinsel mit etwas altem Zeitungspapier abtrocknete und dann an seiner Arbeitshose auf und ab wischte, bis er sich vergewissert hatte, dass er vollständig trocken war.
„Du weißt aber schon, dass es fast unmöglich ist, Lack wieder aus der Wäsche zu kriegen?“, sagte Emma mit einem verzweifelten Lachen. „Wow! Die Emma von vor achtzehn Monaten hätte niemals etwas so krass Langweiliges gesagt!“
Aidan hockte sich hin, um seinen Werkzeugkasten zu füllen. „Diese Emma hatte aber auch keine preisgekrönte Pension“, sagte er.
„Willst du damit etwa sagen, dass es langweilig ist, eine Pension zu besitzen?“, fragte sie und erinnerte sich augenblicklich an Janes Bemerkung ‚Muss das langweilig sein‘.
„Auf keinen Fall!“, sagte er ungläubig und sah Emma an, als sei sie verrückt. „Ich will damit sagen, dass man nur dann Preise gewinnt, wenn man einen guten Blick fürs Detail hat.“
„Oh“, machte Emma, nicht ganz davon überzeugt, dass es sich wirklich um ein Kompliment handelte, und ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Auszeichnung, die Aidan meinte, lediglich um einen kleinen, regionalen Preis handelte – für Emma nichts Weltbewegendes. Sie zupfte ein paar Fussel von ihrem alten Strickpullover und ließ sie vom Wind forttragen. „Ich dachte, du wolltest damit vielleicht andeuten, dass ich ein bisschen langweilig geworden bin.“
„Warum sollte ich das denken?“ Er schloss den Werkzeugkasten, legte ihn in den Kofferraum seines Wagens und schob die Tür zu.
„Ich weiß auch nicht“, sagte sie, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
In Wahrheit hatte Emma in den letzten Monaten selbst begonnen, sich zu fragen, ob sie ein bisschen langweilig geworden war, und dementsprechend hatte Janes Bemerkung einen Nerv getroffen. Im ersten Jahr war sie so sehr mit dem Betrieb des Hauses und der Eingliederung in die Dorfgemeinschaft beschäftigt gewesen, dass sie den Rest der Welt ein wenig aus den Augen verloren hatte. Jetzt, wo alles wie von selbst lief, gab es tatsächlichTage, an denen sie sich vorstellen konnte, wieder in London zu leben und alle paar Monate an einem neuen Designprojekt für Kunden zu arbeiten, die mehr Geld hatten, als sie ausgeben konnten. Die Wand eines Gästezimmer zu streichen oder ein Paar Vorhänge zu wechseln, würde auf Dauer einfach nicht kreative Herausforderung genug sein.
„Emma?“, fragte Aidan, als er merkte, dass sie etwas ungesagt zu lassen schien.
„Ich würde nur gerne etwas machen, das …“, sie suchte nach dem richtigen Wort. „Ein bisschen satter macht.“
„Satt?“, fragte er, lachte über das von ihr gewählte Adjektiv und reichte ihr die Hand.
„Du weißt, was ich meine“, sagte sie, nahm sie und ließ sich von ihm hochziehen.
„Selten, wenn überhaupt“, scherzte er, und sie begannen, die steile, gewundene Straße vom Hafen nach Hause zu laufen, wobei Wilbur ihnen langsam folgte. Emma konnte kaum glauben, dass sie vor nur anderthalb Jahren alle Hände voll zu tun gehabt hatte, Wilbur an der Leine zu führen, ohne dass er sie regelmäßig von den Füßen riss, und dass er jetzt überall ohne Leine herumlief.
„Wünschst du dir denn nie mehr?“, fragte sie forschend.
„Wie meinst du das?“
„Na, über den Bootsbau und das Haus hinaus. Du musst doch einen Traum haben?“
Aidan sah sie mit nachdenklich gerümpfter Nase und einem Kopfschütteln an. „Eigentlich nicht. Ich habe ja alles, was ich will.“ Er legte einen Arm um sie. „Du etwa nicht?“
Als sie den Hügel weiter hinaufstieg, dachte Emma einen Moment lang nach. Tatsächlich hatte sie genau das Leben, von dem sie immer geträumt hatte – ein schönes Haus am Meer, eine erfolgreiche Pension, tolle Freunde und einen Freund, der sie unterstützte und liebte. Theoretisch war das alles, was sie sich jemals gewünscht hatte. Warum also hatte sie das Gefühl, als sei das nicht genug?
„Eigentlich schon“, räumte sie ein.
„Eigentlich?“, fragte Aidan neugierig, blieb stehen und sah sie mit schräg gelegtem Kopf an.
„Ich weiß auch nicht, ich habe einfach das Gefühl, dass ich eine neue Herausforderung brauche. Du arbeitest am Haus, du hast den Bootsbau und die Seenotrettungsmannschaft“, sagte sie, immer noch begeistert, dass Aidan sich im Sommer freiwillig gemeldet hatte. Die freiwillige Arbeit war nicht nur körperlich anstrengend und gesellig, sondern schien ihn auch zutiefst zu erfüllen und zufrieden zu machen. Sie wünschte nur, sie hätte selbst etwas Ähnliches.
„Vielleicht brauchst du einfach ein Hobby“, schlug er vor, als sie an der Burgmauer vorbei spazierten.
„Ja, ein Hobby, vielleicht“, sagte Emma, die wusste, dass das nicht ausreichen würde, aber sie wollte Aidan nicht verärgern, indem sie ihm sagte, dass sie mehr brauchte, vielleicht sogar etwas anderes als Lobster Bay mit seinen perfekten kleinen Häuschen und seiner weiten, rauen Schönheit. Sie befürchtete, dass es früher oder später soweit kommen könnte, da die Möglichkeiten vor Ort begrenzt waren.
„Du könntest dem Bowlingclub beitreten oder einen Kunstkurs belegen …“
„Aidan, ich bin zweiunddreißig, nicht zweiundneunzig“, sagte sie und gab ihm spielerisch einen Klaps auf den Arm.
„Na gut, aber du weißt, was ich meine“, erwiderte er lachend und drückte sie beruhigend an sich.
„Ja“, sagte sie und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie London gelegentlich vermisste, wie Jane so treffend angemerkt hatte, und dass sie sich manchmal fragte, ob ihre Entscheidung, die Stadt zu verlassen, nicht vielleicht doch ein wenig übereilt gewesen war.
„Du wirst schon etwas finden“, sagte er.
„Bestimmt“, antwortete sie, legte ihren Arm um seine Taille und hoffte, er würde nicht spüren, wie hin- und hergerissen sie war. Wie sollte sie die Herausforderung finden, nach der sie sich sehnte, während sie gleichzeitig an ihrer Beziehung festhielt?
***
„Rein mit dir, Junge“, sagte Emma, scheuchte Wilbur in Aidans Haus und zog sich im Vorraum ihren Mantel aus. Sie versuchte, ihn zu dem Berg von Oberbekleidung hinzuzufügen, der bereits an den Haken hing, aber jedes Mal, wenn sie es versuchte, rutschte er ab, und so gab sie schließlich auf.
„Wir müssen etwas mit diesen Jacken machen“, sagte sie, als sie Aidan dabei zusah, wie er seine Stiefel auszog und sie neben all den anderen auf den viktorianischen Fliesen liegen ließ.
„Es ist gut so, wie es ist. Es ist ein Zuhause, keine Pension“, sagte Aidan und ging durch den Flur in die Küche. Emma verdrehte die Augen.
„Hey, Leute“, rief Eve aus dem Wohnzimmer.
Emma fand Aidans Schwester auf dem braunen Ledersofa, wo sie eine Zeitschrift las. „Wie war dein Tag?“, fragte Emma und ließ sich auf der Ecke des Sofas nieder, dicht neben Eves Füßen in ihren weißen Frotteesocken, die so gar nicht zu ihrem struppigen grauen Haar mit den rosa gefärbten Spitzen passen wollten. Sie ließ ihren Blick über den gläsernen Couchtisch schweifen, der mit alten Katalogen und benutzten Kaffeetassen übersät war, und über Wilbur, der sich auf dem gegenüberliegenden Sofa ausstreckte.
Obwohl sie einen Hauswirtschaftsraum hatten, schien das Wohnzimmer eine Art zusätzliche Waschküche zu sein, mit Wäsche, die über dem Heizkörper hing, einem Wäscheständer, der im Erkerfenster stand, und mehreren Bündeln feuchter Kleidungsstücke, die auf dem Boden lagen und geduldig darauf warteten, aufgehängt zu werden. Als sie vor sechs Monaten eingezogen war, hatte sie eine regelrechte Putzorgie gestartet, aber so sehr sie sich auch bemühte, das Chaos zu zähmen, nahm es unweigerlich immer wieder zu. Manchmal fühlte es sich so an, als würde sie mit zwei Studenten zusammenwohnen, die zwar für die Miete aufkommen, aber ansonsten nichts im Haushalt tun; manchmal wurde es ihr zu viel.
„Wie immer“, sagte Eve. „Ein steter Strom von alten Weibern, die Broccoli und Rosenkohl kaufen. Mein Leben ist ein einziges Abenteuer.“
„Hast du immer noch Lust, heute Abend mit zu Rhona zu kommen?“
„Auf jeden Fall. Du weißt, dass die Girls’ Cocktail Night der Höhepunkt meiner Woche ist.“
„Cool, cool“, sagte Emma, die sich immer auf ihre wöchentlichen Treffen freute, obwohl sie diese Woche mit ihren Gedanken ganz durcheinander war und sich fragte, ob es nicht besser wäre, einen ruhigen Abend allein zu verbringen.
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Eve und lugte mit einem Auge um die Ecke ihrer Zeitschrift.
„Natürlich“, antwortete Emma, etwas zu hastig. „Ich glaube, ich werde mal nachsehen, was es zum Abendessen gibt. Vor so einem feuchtfröhlichen Abend sollte man eine gute Grundlage schaffen“, zwitscherte sie.
„Na, viel Glück“, sagte Eve und wandte sich wieder ihrer Zeitschrift zu.
Auf ihrem Weg in die Küche versuchte Emma, die verschiedenen Bootsteile zu ignorieren, die den Rand des Flurs säumten. Das einzig Positive, das sie ihnen abgewinnen konnte, war, dass sie die Ungeheuerlichkeit des darunter liegenden Teppichs verdeckten. Jedes Mal, wenn Emma die Eingangstür öffnete, traf sie das Muster des Teppichs mit seinen großen roten und goldenen Strudeln auf braunem Grund wie ein Schlag ins Gesicht.
„Gibt es etwas zu essen?“, fragte sie Aidan, der sich die Hände am Waschbecken wusch, in dem sich das dreckige Geschirr stapelte. Emma fragte sich oft, ob Aidan und Eve mehr aufräumen würden, wenn sie eine schöne Küche hätten und nicht die müden weißen Laminatmöbel mit Holzimitat, für die sich ihre Eltern in den Achtzigerjahren entschieden hatten.
„Wie wär’s mit ein paar leckeren Resten von gestern?“
„Wie immer also“, sagte Emma und öffnete den alten Kühlschrank, der bis auf die klebrigen, mit alter Milch verschmierten Regale fast leer war.
„Heute ist Samstagabend, ich könnte uns Fish and Chips besorgen“, schlug er vor und trocknete seine Hände mit einem Geschirrtuch ab.
Emma hatte eigentlich keine Lust auf fettiges Take-Away, aber die Alternative wären Bohnen auf Toast oder Nudeln mit Pesto, und beides hatte sie diese Woche schon zweimal gegessen. Für einen Haushalt, zu dem auch die Angestellte eines Gemüseladens gehörte, aßen sie erstaunlich wenig Obst und Gemüse.
„Okay. Danke, Schatz“, sagte sie und gab Aidan einen Kuss auf die Wange, bevor sie die Treppe hinaufging.
Emma ging durch das mittlere Stockwerk und vermied es bewusst, in Eves Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses und in ihr Kunstatelier im vorderen Teil zu schauen, da sie wusste, in welchem Zustand sich beides befinden würde. Sie ignorierte die geschlossene Tür des ehemaligen Schlafzimmers ihrer Eltern, das noch genauso aussah, wie sie es vor ihrem Tod verlassen hatten, bis hin zu der geblümten Tagesdecke, den passenden Vorhängen und den Trockenblumen auf der alten Kommode. Emma würde es Aidan oder Eve gegenüber nie aussprechen, aber sie fand es ziemlich unheimlich, dass das Zimmer nie angerührt worden war. Sie würde es verstehen, wenn Aidan und Eve sich hin und wieder zwischen die Besitztümer ihrer Eltern setzen und an sie denken würden, aber das taten sie nicht. Stattdessen blieb die Tür geschlossen. Niemand ging jemals hinein. Es erschien ihr wie die Verschwendung eines schönen Raumes.
Im obersten Stockwerk betrat Emma das Badezimmer. Während sie auf dem Klo saß, betrachtete sie die hoffnungslos veraltete Einrichtung, den Schimmel auf den Fliesen, den sie gerade noch in Schach halten konnte, und den Duschvorhang, der schon mehr Jahre auf dem Buckel hatte, als ihr lieb war. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie oft sie sich bereits ausgemalt hatte, alles einfach herauszureißen, und wie viele Bilder sich in ihrem Sammelalbum mit Ideen für die Neugestaltung des Hauses befanden, falls Aidan und Eve sich eines Tages von der Einrichtung ihrer Eltern würden lösen können.
In ihrem Schlafzimmer setzte sie sich auf ihren bequemen Sessel am Fenster, mit dem Rücken zum Zimmer, das mit Aidans Kleidung übersät war, und blickte auf das Meer hinaus, dessen Schönheit sie immer wieder aufs Neue zu hypnotisieren vermochte. Immer, wenn sie sich dabei ertappte, wie sie über ein anderes Leben nachdachte, eines weit entfernt von Lobster Bay, waren es Aidan, ihre Freunde und das Meer, die sie wieder zurückzogen. Obwohl Emma das Gefühl hatte, mehr zu wollen, konnte sie sich ein Leben ohne die Gemeinschaft von Lobster Bay und das Meer im Hintergrund kaum vorstellen.
„Emma?“, rief Aidan.
„Ja“, antwortete sie schwach, immer noch völlig in Trance, weil sie dachte, Aidan wolle sie nur wissen lassen, dass er ging.
„Wo bist du?“, fragte er. Seine Stimme klang schon viel näher.
„In unserem Zimmer“, antwortete sie.
„Was machst du denn ganz allein hier oben?“, fragte er und betrat den Raum mit zwei Styropor-Schachteln mit gebratenem Fisch und Fritten.
„Wo hast du die denn so schnell her?“
„Ich bin eine halbe Stunde lang weggewesen“, sagte er und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber.
Emma schaute auf ihrem Handy nach der Uhrzeit.
„Hast du etwa geträumt?“ Lachend reichte er ihr eine Schachtel.
„Muss ich wohl“, sagte sie und fragte sich, wo die Zeit geblieben war.
„Woran hast du gedacht?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt an irgendetwas gedacht habe“, sagte sie ausweichend, da sie eigentlich gar nicht darüber nachdenken wollte, welche anderen Möglichkeiten das Leben zu bieten hätte.
Aidan aß seine Pommes, während er aus dem Fenster starrte, die Füße auf der Fensterbank. „Das Meer hat dich mal wieder in seinen Bann gezogen.“
„Ich kann mir ein Leben ohne diesen Ausblick kaum noch vorstellen.“
„Ich erst recht nicht“, sagte Aidan mit einer Gewissheit, die Emma laut und deutlich sagte, dass, egal wie oder wo sie sich ihr Leben in der Zukunft vorstellen würde, Aidans Lebensmittelpunkt eindeutig in Lobster Bay war.
Sie legte das Stück Fisch weg, das sie gerade aß, und wischte sich die Finger an einer Papierserviette ab.
„Was ist los?“, fragte Aidan und versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten.
„Wie sollen wir weitermachen, wenn du nur das willst und ich aber mehr will?“, fragte sie, wobei die Direktheit ihrer Worte sie selbst überraschte.
Aidan lachte schallend. „Ich habe dir doch gesagt, du wirst schon ein Hobby finden. Es wird alles gut.“
Emma hielt inne und sagte dann, während sie seinen Blick festhielt, ernst: „Ich glaube nicht, dass es hier nur um ein Hobby geht.“
„Worum geht es dann?“, fragte er und legte ebenfalls sein Essen beiseite.
„Ich brauche das Gefühl, Möglichkeiten im Leben zu haben – etwas, das mich herausfordert“, begann Emma vorsichtig. „Ich glaube nicht, dass ich mir vorstellen kann, für immer dasselbe zu tun und am selben Ort zu leben.“
„Okay“, sagte er langsam.
Emma konnte die Sorge in seiner Stimme hören, und obwohl sie mit aller Macht versuchte, die Worte in Schach zu halten, die ihr im Kopf herumspukten, rutschten sie ihr einfach von der Zunge, bevor sie sie in den Griff bekam. „Ich bin mir einfach nicht sicher, wie wir als Paar weitermachen können, wenn wir so unterschiedliche Dinge wollen.“
Die Farbe wich aus Aidans Wangen. „Ich bin mir nicht ganz sicher, was du mir damit sagen willst.“
Emma dachte einen Moment lang darüber nach, wie überraschend es für Aidan sein musste, sich so urplötzlich inmitten dieses Gesprächs wiederzufinden. Sie hatte Angst, etwas zu sagen, was sie bereuen könnte, was dazu führen könnte, dass sie sich trennten, denn so unsicher sie sich auch über ihren Lebensweg war, so sicher war sie sich bei Aidan. Der Gedanke, ohne ihn zu sein, ließ ihr Herz schmerzen und ihren Magen in Aufruhr geraten.
„Ich will damit nur sagen, dass wir uns überlegen müssen, wie wir beide ein erfülltes Leben führen können, wie wir beide glücklich sein können“, sagte sie und erinnerte sich an das, was Jane darüber gesagt hatte, herauszufinden, was wichtig ist.