Der Jäger von St. Johann - Hans Ernst - E-Book

Der Jäger von St. Johann E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Das ruhige Leben des Jägers von St. Johann in seiner Bergeinsamkeit gerät durcheinander, als er zum ersten Mal Lisa begegnet. Für ihn ist es die große Liebe, doch es scheint, als habe Lisa nur ein Abenteuer gesucht. Der unglückliche Jäger gerät zunehmend in Bedrängnis: Wegen einiger Spielschulden sieht er sich sogar gezwungen, mit Wilderern zu paktieren. Als er schließlich einen von ihnen auf frischer Tat ertappt und erschießt, kommt schnell der Verdacht auf, er habe einen Mitwisser seiner dunklen Machenschaften beseitigen wollen.

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LESEPROBE ZU

© 2018 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titel der Originalausgabe: „Der Jäger von St. Johann“

Titelfoto: Michael Wolf, München

Redaktionelle Bearbeitung: Petra Schnell, Stephanskirchen

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN: 978-3-475-54800-0

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

„Worum es geht“ Der Jäger von St. Johann

Das ruhige Leben des Jägers von St. Johann in seiner Bergeinsamkeit gerät durcheinander, als er zum ersten Mal Lisa begegnet. Für ihn ist es die große Liebe, doch es scheint, als habe Lisa nur ein Abenteuer gesucht. Der unglückliche Jäger gerät zunehmend in Bedrängnis: Wegen einiger Spielschulden sieht er sich sogar gezwungen, mit Wilderern zu paktieren. Als er schließlich einen von ihnen auf frischer Tat ertappt und erschießt, kommt schnell der Verdacht auf, er habe einen Mitwisser seiner dunklen Machenschaften beseitigen wollen.

– 1 –

Im ersten Augenblick, als Lisa Brandstetter, Stubenmädchen bei der Schauspielerin Marlen Hansen, die Einladung zu der Hochzeit nach Alzmoos liest, denkt sie, es sei unter ihrer Würde, dorthin zu fahren. Ist es nicht eine Zumutung, sie einzuladen, unter gewöhnlichem Bauernvolk zu erscheinen? Sie, die in ihrem Leben doch wirklich schon allerhand gesehen hat? Was soll sie denn auf einem Bauerntanzboden? Dort, wo der Pfeifenrauch qualmt, wo der Schweiß in Strömen fließt und wo gejohlt und gestampft wird, dass das Trommelfell zerspringt!

Lisas Eltern hatten noch als Kleinhäusler in Alzmoos gelebt. Sie hatten jedoch, als Lisa noch nicht einmal zur Schule ging, das Anwesen verkauft und waren in die Stadt gezogen. Lisa ist also mit dem Land gar nicht mehr verwurzelt. Wohl ist sie als Kind dann hin und wieder während der Ferien bei den Verwandten zu Besuch gewesen, aber seit dem Tode ihrer Eltern war die Verbindung nach dort völlig abgerissen.

Und nun lädt man sie wie aus heiterem Himmel zu dieser Hochzeit ein. Es heiratet die Thalsteiner Mathilde den Kreiderer Korbinian. Lisa weiß wohl, dass sie mit der Braut auf irgendeine Weise verwandt ist, aber sie kann sich mit dem besten Willen nicht besinnen, ob dies eine Verwandtschaft dritten oder gar vierten Grades ist.

Lisa hat sich eine städtische Lebensform angewöhnt. Sie hat ihrer Arbeitgeberin so manches abgeschaut, und nichts mehr erinnert heute daran, dass ihre Großeltern noch im Schweiße ihres Angesichts die kargen Äcker in Alzmoos bebaut und abgeerntet hatten. Wenn Lisa ihren freien Tag hat, dann geht sie so aus, als wäre sie selbst die Besitzerin jener herrlichen Villa hinter den Fliederbüschen, während sie doch nur die Böden schrubbt und die vegetarischen Gerichte, für die Marlen Hansens Magen eine besondere Vorliebe hat, sorgsam zubereitet.

Soeben ist sie wieder einmal damit beschäftigt, das Mittagessen herzurichten. Aus dem Nebenraum sind die Klänge eines Flügels zu hören: Marlen Hansen spielt leider immer so moderne Sachen, die Lisa nicht ins Ohr gehen wollen.

Mitten in die Essensvorbereitung rasselt die Klingel der Hansen. Lisa säubert sich die Hände und geht in den Salon. Noch ist der Flügel geöffnet, aber Marlen steht am Fenster und schaut in den schönen Märzmorgen hinaus.

Bei Lisas Eintritt dreht sie sich um und legt den Zeigefinger an die Schläfe.

»Weshalb habe ich dir jetzt geklingelt? Ach, ja …«, und plötzlich fällt es ihr wieder ein, »ich wollte dich fragen, ob du dir das mit dieser Hochzeit nun überlegt hast.«

»Ja, ich habe es mir überlegt«, antwortete Lisa bestimmt. »Ich werde nicht hinfahren.«

»Warum denn nicht? Ich habe in meinem Terminkalender nachgesehen und festgestellt, dass ich um diese Zeit auswärts bin. Auf mich brauchst du also keine Rücksicht zu nehmen.«

»Zu gütig, gnädige Frau. Aber – was soll ich denn dort?«

»Was du dort sollst? Du meine Güte, wie du manchmal fragen kannst! Tanzen, lachen und lustig sein!«

»Es ist ja nur eine gewöhnliche Bauernhochzeit.«

»Ja und? Das ist doch gerade das Schöne an der Sache! Dort ist noch alles bodenständig und urwüchsig. Moment mal, wo war denn das jetzt gleich? Ja, richtig, im vorigen Jahr stolperte ich zufällig einmal in solch eine Bauernhochzeit hinein. Ich habe mich selten so gut amüsiert. Dort kann man noch die richtige Fröhlichkeit sehen und empfinden. Dort ist der Tanz noch das, was er sein soll, der Ausdruck von Kraft und Lebenswillen. Was man hier in der Stadt ›Tanzen‹ nennt, entbehrt oft genug jeder Anmut und Grazie.«

»Das vielleicht schon, aber …«

»Was denn aber? Hast wohl nicht das Richtige zum Anziehen?« Marlen Hansen lächelt. »Na ja, ich will einmal nachsehen, vielleicht finde ich unter meiner Garderobe was Passendes für dich.«

Lisa kennt die Garderobe der Gnädigen genau und weiß auch sofort, was sie gut kleiden würde. Mit einem Mal bekommt sie Lust, zu dieser Hochzeit zu fahren. Ist denn das keine Gelegenheit, dort zu glänzen? Sie denkt an das himmelblaue Seidenkleid mit dem weiten Halsausschnitt, und sie spricht es auch, verschmitzt fragend, aus:

»Meinen Sie etwa das Himmelblaue?«

»Ich habe noch an nichts Bestimmtes gedacht, aber wenn du meinst, ja, das Himmelblaue könnte gut passen zu deinem Teint.« Die Hansen lächelt, wie ein wenig in fernen Erinnerungen träumend. »Gib mir aber auf dein Herz acht! Mir wäre dieses Himmelblaue bald einmal zum Schicksal geworden.«

Darüber beginnt nun Lisa zu lachen und meint dann, das könne ihr nicht passieren.

»Sag das nicht so laut, Lisa. Man verliert sein Herz manchmal schneller, als man eigentlich möchte. Und man muss immer gewappnet sein. Der beste Schutz dagegen ist der Stolz und das Besinnen auf das eigene Ich.«

»Ja, ja«, sagt Lisa, als ob sie zustimme. Im Grunde genommen aber kann sie darüber nur lächeln; denn, was auch alles passieren könnte – das eine bestimmt nicht: Sie würde sich auf einer Bauernhochzeit in niemanden verlieben.

Jedenfalls beschließt Lisa an diesem Tage noch, nach Alzmoos zu schreiben, dass sie kommen werde; man möge gefälligst dafür Sorge tragen, dass sie ein anständiges Zimmer, womöglich mit Bad, bekäme, weil sie das gewöhnt sei.

Noch am gleichen Tag trägt sie das himmelblaue Kleid zur Schneiderin und lässt ein paar Änderungen vornehmen.

– 2 –

Tiefe Stille liegt über dem Hochwald von Alzmoos. Unter den Bäumen herrscht schon kühler Schatten, doch um die Wipfel fließt noch der goldene Glanz der Sonne, die sinken will.

Um diese Stunde sperrt der Jäger Markus Reindl seine Jagdhütte ab und macht sich auf den Weg talwärts. Was soll er noch hier oben am Berg? Der Frühling ist noch nicht recht angebrochen, die Auerhähne balzen noch nicht, die Almhütten in seinem Revier sind noch alle geschlossen. Er bewohnt in St. Johann drunten ein kleines Zimmer, und außerdem kennt er auf halbem Weg dorthin die Monika, die bei dem Bauern Salfermoser als Großmagd dient. Im Sommer ist sie auf der Alm, die seiner Jagdhütte am nächsten liegt. Dann ist es gut und schön für Markus, wenn er in der Dämmerung bei Monika sitzen kann. Ihre Hände liegen dann ineinander, sie fühlen den Schlag ihrer Herzen. Monika steckt ihm zuweilen etwas Essbares zu, sie kümmert sich um seine Hemden und Strümpfe und liebt ihn auf ihre einfache und stille Art. Es ist ihr nicht gegeben, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebt, und wahrscheinlich wird der Jäger diese selbstlose Liebe auch nie begreifen. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Monika ihn umsorgt. Wer sollte es sonst tun?

Markus Reindl ist ein Naturmensch. Ehrlich und treu im Dienst und im Leben. Es gibt bei ihm nichts Hinterhältiges, und wenn das Schicksal mit ihm nicht irgend etwas Ungewöhnliches vorhat, dann wird sein Leben geradlinig verlaufen. Dann wird er – wenn er sich einmal genügend erspart hat – seine Monika heiraten. Und er wird Kinder haben mit ihr und vielleicht ein kleines Häuschen.

Gerade daran denkt er jetzt wieder, während er, lustig vor sich hinpfeifend, durch den Bergwald geht, in dem die Schatten immer tiefer fallen. Auf einmal bleibt er stehen und hört zu pfeifen auf.

Warum, denkt er, warum habe ich eigentlich die Monika noch nicht geheiratet? Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Die Monika ist fünfundzwanzig. Worauf warte ich eigentlich noch? Notfalls könnte die Monika, bis Kinder kommen, noch ein paar Jahre mitverdienen.

Vielleicht liegt es gar nicht an ihm allein. Die Monika hätte sicher längst einmal etwas gesagt, wenn sie hätte geheiratet sein wollen. Wie es nun auch sei, er wird gelegentlich doch einmal mit ihr darüber sprechen. Vielleicht gleich heute.

Nein, dieses entscheidende Wort bleibt auch heute ungesprochen. Sie sitzen hinter dem Salfermoserhof auf der Bank unter den alten Eiche halten sich stumm bei den Händen und genießen die friedliche Stimmung des späten Abends. Aus der Tiefe schimmert der kleine See, und am jenseitigen Ufer liegt das letzte Abendrot noch verschwenderisch über den Dächern von Alzmoos. Der Wind trägt die Melodien einer Blasmusik herauf, und Markus fragt:

»Was ist denn da drüben heut los?«

»Weißt du das nicht? Die Thalsteiner Mathilde hält Hochzeit.«

»Woher soll ich das wissen? Auf dem Berg erfährt man nichts.«

»Ja, du warst lange oben, Markus. Fast vierzehn Tage. Bist du einmal über unser Almfeld gegangen? Sind die Zäune in Ordnung?«

»Am Schwendtersteig hat der Schnee den Zaun auf wohl dreißig Meter eingedrückt. Sag es dem Bauern.«

Stille ist wieder zwischen den beiden. Monika streichelt über seine Hand und lehnt dann den Kopf an seine Schulter, als ob sie ausruhen wolle von der Last des Tages. Aber es ist auch das Bedürfnis nach ein wenig Zärtlichkeit dabei, und der Jäger legt nun den Arm um ihre Schultern.

Ein Walzer klingt über den See herüber und verschwimmt zwischen den alten Eichen.

»Zieh dich um, Monika. Ich will heut mit dir tanzen«, sagt Markus Reindl plötzlich. Der Walzer ist ihm in die Füße gefahren, und es ist schon eine Zeit her, dass er zum letzten Mal getanzt hat.

Monika sieht ihn lange an. Dann antwortet sie:

»Ich bin wirklich müd heut, Markus. Aber ich will dich nicht aufhalten, wenn du allein hinüber willst.«

»Ohne dich?«

»Ich mach mir nichts aus dem Tanzen. Du kannst ruhig hingehen, Markus, wenn du Lust hast. Auf mich brauchst du keine Rücksicht zu nehmen. Ich weiß ja, dass du keine andere anschaust.«

Markus antwortet nichts. Es ärgert ihn ein wenig, dass sie dies so selbstverständlich annimmt. Denkt sie denn, dass er keiner anderen gefallen könnte?

»Ich freu mich jetzt schon auf den Sommer«, spricht Monika weiter. »Da kommst du wenigstens jeden Abend zu mir auf die Almhütte.«

»Da ist noch lange hin«, meint er und spürt wieder den Takt der Walzermelodie. Vielleicht fährt er doch noch nach Alzmoos hinüber. Er ist eigentlich sonst nicht vergnügungssüchtig. Aber heute ist es gerade, als höre er etwas über den See herüberrufen: ›Komm, Markus! Komm!‹

Noch einmal versucht er, Monika zu bewegen, mitzugehen. Aber sie will lieber schlafen als tanzen.

»Geh nur allein«, sagt sie und zärtelt über seine Schläfe hin. Ihre Lippen sind voll und warm. Ihr Atem geht ganz ruhig, leicht wie leiser Abendwind.

»Warum willst du nicht mitgehen?«, fragt er ein letztes Mal. »Was hast du denn schon von deinem Leben? Arbeit und wieder Arbeit. Für andere. An dich selbst denkst du gar nicht.«

»Dafür um so mehr an dich«, lächelt sie. »Und an unseren Sommer, der uns jeden Tag zusammenführt.«

»Ja, ja, schon, aber –« Er fährt sich über die Stirn und denkt nach. »Auf einem Kalenderblatt hab ich dieser Tage einen Spruch gelesen. Wie hat er denn gleich geheißen?«

»Kalendersprüche sind leere Worte und von keiner größeren Bedeutung als der Küchenzettel, der anschließend darauf steht.«

»Vielleicht«, meint er zögernd, »vielleicht hast du recht, Monika. Aber hör den Spruch:

Das Leben froh genießen,

ist der Vernunft Gebot.

Man lebt ja nur so kurze Zeit

und ist so lange tot.«

Da kann die Monika lachen. So herzhaft und fröhlich kann sie lachen, wie Markus es selten gehört hat. Es steckt ihn geradezu an, dieses Lachen. Und er nimmt sie um den Hals, küsst sie, und gibt sich ganz dem Zauber ihrer warmherzigen Zärtlichkeit hin.

»Nur um das Leben froh zu genießen«, sagt sie etwas später, »dazu sind wir nicht auf der Welt.«

»Wozu denn sonst?«

»Wir sind auf Erden, um –«

»Komm mir jetzt nicht mit frommen Sprüchen, Monika!«

»Das will ich auch nicht. Wir – ich meine – wir Kleinen sind auf der Welt, um zu arbeiten und unsere Pflicht zu tun.«

»Tun wir doch auch! Aber man darf doch nicht in allem am Leben vorbeileben, Monika.«

»Das ist auch nicht der Fall, Markus. Denk nur an unsere Abende. Wie schön sie immer waren. Den ganzen langen Winter zehre ich davon.«

Ein Geständnis ihrer Liebe zu ihm – aber Markus erkennt es nicht als das, er denkt nur, dass er nicht davon gezehrt hat. Der Winter war für ihn ein mühsames Leben in Eis und Schnee gewesen. Es galt, die Futterstände nachzusehen, Fuchseisen zu stellen und Heu in großen Bündeln an die entlegenen Stände zu bringen. Die Abende in der Jagdhütte waren einsam. Er war mit sich allein, spielte sich selber was vor auf der Zither und wartete voller Ungeduld auf den Frühling.

Nun ist der Frühling da, und der Jäger Markus Reindl spürt ihn in allen Gliedern. Er will zum Tanz gehen, will lustig, ein wenig verwegen sein. Der Berg wird ihn für ein paar Tage loslassen, er fühlt sich frei und will mit Monika unter die Leute gehen. Das Mädchen aber hat keine Lust, warum –? Es spürt den Frühling nicht so wie er. Es will sich lieber – schlafen legen. Unbegreiflich so etwas!

Also geht der Jäger allein.

»Gute Nacht, Monika«, sagt er und reißt sie ein wenig ungestüm in die Arme.

»Mach’s gut«, antwortet sie. »Wann kommst du denn wieder?«

»Weiß nicht. Nächste Woche vielleicht.«

Sein Schritt verliert sich auf dem Wiesenpfad, der talwärts führt. Der Jäger pfeift die Melodie einer Polka mit, deren Klänge über den See herüberkommen. Es ist jetzt schon so dunkel geworden, dass man die Häuser am anderen Ufer nicht mehr unterscheiden kann. Die Lichter brennen überall. Kleine, gelbliche Flämmchen sind es, wie vom Himmel gefallene Sterne.

Nach einer halben Stunde kommt er in St. Johann an. Still und verschwiegen liegt der kleine Ort. Selbst beim Lindenwirt ist heute alles still. Wahrscheinlich ist alles drüben in Alzmoos bei der Hochzeit.

Im letzten Haus von St. Johann hat der Jäger ein Zimmer bei dem Kleinhäusler Staudenweber. Er bewohnt es schon seit Jahren für billiges Geld. Er lebt dort wie ihr leiblicher Sohn. Da die Fenster bereits dunkel sind, streift Markus schon draußen seine schweren Nagelschuhe ab, damit sein Schritt über die knarrende Stiege niemanden weckt. Diese Vorsicht ist zwar überflüssig, denn durch das geöffnete Fenster zu ebener Erde hört man den intensiven Schnarchgesang von Mann und Frau. Einmal hoch und einmal tief.

Sein Zimmer ist nicht groß. Es steht nur ein alter Schrank, ein Tisch, zwei Stühle und ein sehr schmales Bett darin. Schnell rasiert sich der Jäger den Sechstagesbart aus dem Gesicht, wäscht sich und zieht ein frisches Hemd an. Eine Viertelstunde später ist er bereits auf dem Weg zum See hinunter. Er löst einen Kahn von der Kette und rudert hinüber nach Alzmoos.

– 3 –

Der Tanzsaal beim Bärenwirt in Alzmoos fasst etwa zweihundertfünfzig Personen und soll nun, da dreihundert Leute tanzen wollen, auch noch die Tanzfläche hergeben. Die ganze Jugend von Alzmoos und St. Johann ist zusammengekommen, um den Abend mit dem Brautpaar zu feiern. Es ist ein Gedränge wie auf einem Jahrmarkt. Bierdunst und Pfeifenrauch, Menschenschweiß und Frühlingsschwüle sind in diesem Saal brüderlich vereint. Das gerade ist es, was Fräulein Lisa befürchtet hat. Da sie aber den ganzen Tag über doch schon etwas viel Wein getrunken hat, merkt sie das nicht mehr. Sie bereut nun keineswegs mehr, hierher gekommen zu sein. Strahlend und schön steht sie in ihrem himmelblauen Kleid im Mittelpunkt. Die Ohrringe sind echt, ebenso die Halskette und das Armband. Niemand hier in diesem Saal trägt solch wertvollen Schmuck. Und Lisa braucht ja nicht zu sagen, dass sie spätestens in zwei Tagen dieses glitzernde Wunderwerk wieder an ihre Arbeitgeberin zurückgeben muss.

Die Burschen sind hinter ihr her. Ständig ist sie von einem Rudel umgeben, und jeder will mit ihr tanzen. Am meisten Chancen scheint der junge Matheis zu haben, der Sohn des Braumeisters Matheis, der zur Zeit auf einer Brauerschule studiert. Er ist zu dieser Hochzeit geladen worden wie Lisa. Und er spricht von der Duplizität, die zwischen ihm und ihr festzustellen sei, denn auch er habe anfangs gar nicht kommen wollen. Ja, aber nun sei er froh, gekommen zu sein, denn sonst hätte er wahrscheinlich dieses Wunder nicht gesehen.

Mit dem Wunder meint er Lisa. Er wiederholt immer wieder, wie schön sie sei und dass sie wie eine vornehme Dame wirke. Lisa hörte diese Schmeicheleien ganz gern. Der junge Matheis hat auch Umgangsformen, er verbeugt sich so vor ihr, wie er es beim Tanzkurs in der Stadt gelernt hat, und nimmt ein Taschentuch in die rechte Hand, damit das »Himmelblaue« keine Flecken bekommt.

Gerade tanzt er wieder mit ihr und hat auch ein wenig über den Durst getrunken. Er sagt, dass es etwas Wunderbares sei um die Liebe. Auf einmal aber hört ihm Lisa nicht mehr zu. Wie gebannt schaut sie zur Saaltür. Dort steht ein Mann in grauer Jägerkleidung, den grünen Filzhut mit der Spielhahnfeder verwegen auf dem Kopf. Rank und schlank steht er da, ein fröhliches Lächeln um den Mund. Nun treffen sich ihre Augen. Ganz kurz leuchtet es in den seinen auf.

Lisa wird von ihrem Tänzer zurück auf den Platz geführt. Kaum sitzt sie, suchen ihre Augen wieder nach dem Mann an der Tür. Aber der ist verschwunden.

»Ja, also, Lisa«, sagt der junge Matheis. »Nun müssen wir ausmachen, wo wir uns in der Stadt einmal treffen können.«

Lisa sieht ihn an. Er ist ein ganz netter Bursche, denkt sie, und weil sie schon ein bisschen viel getrunken hat, legt sie nun die Hand auf seinen Arm.

»Warum willst du mich eigentlich treffen?«

»Warum? Das weißt du doch! Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich liebe.«

»Zu wie vielen hast du das schon gesagt?«

»Du wirst mir doch so kleine Episoden nicht auf die Rechnung setzen, Lisa!«

»Nein, das nicht. So kleinlich bin ich nicht. Nur –«

Sie verstummt plötzlich und fasst seinen Arm fester.

»Du – wer ist der Mann dort?«

Karl Matheis schaut in die Richtung, die sie andeutet. Dann macht er eine abwehrende Handbewegung.

»Bloß ein simpler Jäger. Wird keine zweitausend Mark haben im Monat.«

Lisa weiß nicht, warum sie sich darüber ärgert. Am liebsten hätte sie geantwortet: Zweitausend Mark sind nicht viel, aber er verdient sie selber, während du immer noch vom Geld deines Vaters lebst …

Sie verschweigt das, sieht nur mit leichter Verwunderung, dass der Jäger an ihren Tisch herankommt und dann vor ihr steht. Sie sehen sich in die Augen. Wie zwei Leuchtfeuer versinken ihre Blicke ineinander, und das Schicksal schlägt einen Bannkreis um die zwei Menschen.

Lisa fühlt, wie ihr Herz schneller schlägt, viel schneller als zuvor. Etwas ganz Eigentümliches umfängt sie und sie kann nicht sagen, was es ist. Sie begreift nur, dass der Jäger mit ihr tanzen will. Er macht zwar keine Verbeugung wie Karl Matheis, sondern sagt nur:

»Komm, Mädl. Tanz mit mir.«

Diese sachliche Aufforderung empört sie zwar, aber trotzdem will sie sich erheben. Da legt Karl Matheis seine Hand auf ihre Schulter und hindert sie am Aufstehen.

»Bleib sitzen«, sagt er. »Der soll anständig fragen.«

Kaum merklich zieht Markus Reindl die Brauen zusammen. Dann umfasst seine Faust wie eine Eisenklammer die Hand des jungen Matheis und nimmt sie von der Schulter des Mädchens.

»Mach keine Dummheiten, Karl Matheis. Wenn ich tanzen will, wirst du mich nicht hindern. Also, Mädl, was ist?«

Da erhebt sich Lisa folgsam und fühlt einen Schauer über ihre Schultern rieseln, als er seinen Arm um sie legt. Was ist das nur, denkt sie. Warum muss ich ihm so blindlings folgen? Aber dann schaut sie doch wieder auf, schaut in sein Gesicht, das braun ist und schmal. An seinem Gewand haftet noch der strenge Geruch des Berges. Auf seinem grünen Hütl, unter dem die braunen Locken vorspringen, glänzen ein paar abgestreifte Tannennadeln. Er überragt sie um fast einen Kopf, obwohl Lisa nicht klein ist. Aber Markus ist wie ein Riese, und sein Jagdherr nennt ihn zuweilen scherzhaft »Markus der Große.«

Lisa hat schon viel getanzt an diesem Tag. Aber noch kein Arm hat sie so leicht und sicher über den holprigen Boden geführt. Ja, manchmal ist es, als trüge Markus sie. Er spricht nichts dabei. Nein, damit wartet er lieber, bis der Tanz vorüber ist. Es fällt ihm auch gar nicht ein, sie wieder dorthin zurückzuführen, von wo er sie geholt hat. Lisa wundert sich, dass sie sich das alles so ohne weiteres gefallen lässt. Aber es ist merkwürdig, dieser Mann übt eine magische Gewalt auf sie aus. Es ist nur der Form halber, dass sie fragt:

»Wollen Sie mich denn nicht wieder auf meinen Platz zurückführen?«

Da lacht er sie an, seine Zähne blitzen. Er schüttelt den Kopf.

»So was Schönes lass ich nicht so schnell aus.«

Damit schiebt er sie vor sich her in eine Bank.

»Nein, bitte, lassen Sie das! Ich habe meine Handtasche dort drüben liegen«, wehrt Lisa sich nun energisch.

»Dann hol sie und komm wieder.« Im Weggehen fasst er schnell wieder nach ihrer Hand. »Du kommst doch gewiss wieder her?«

Lisa möchte über sich selber den Kopf schütteln. Wo gerade noch ein kleiner Abwehrwille in ihr gewesen war, merkt sie, dass er schon wieder schwindet. Weiß sie, dass sie wirklich nur ihre Handtasche holen und wieder an diesen Tisch zurückkehren wird? Sein bittender Blick dringt bis in ihr Inneres.

»Sie sind frech«, sagt sie, aber es ist nicht böse gemeint, und sie lächelt dazu. Dann geht sie, und er sieht ihr nach. Ihr Gang hat etwas Schwebendes. Die Schuhe an den Füßen sind vielleicht aus Schlangenhaut. Jedenfalls hat der Jäger noch nie solch feine Schuhe gesehen. Monika hat immer genagelte Schuhe an, manchmal im Winter auch hohe Schaftstiefel.

Ach ja, Monika! Markus fährt sich mit der Hand über die Stirn. Wie Licht und Schatten sind die beiden, Monika und dieses fremde Mädchen. Ist es eigentlich erst eine Stunde, dass er von Monika weggegangen ist? Ist das nicht schon einen Monat her? Und wie kommt es, dass die Gegenwart dieses fremden Mädchens ihn so tief berührt?

Suchend hebt er den Kopf und schaut nach ihr aus. Kehrt sie nicht zurück? Doch, sie kommt, eine kleine Tasche aus Wildleder unter dem Arm.

Der Jäger empfindet es nicht als Triumph, sieht es als keinen Sieg an. Es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass sie zu ihm zurückkommt.

»Da bin ich wieder.«

»Hat er dich weggelassen, der Braumeistersprössling?«, fragt er mit einer kleinen Aufwallung von Eifersucht.

»Ich habe niemanden zu fragen!«

»Dann ist’s gut. Ich – auch nicht.« Er rückt näher an sie heran. »So, und nun sag mir, wer du bist und wie du heißt.«

»Ist das für Sie denn wichtig?«

»Also, Mädl, ›Sie‹ brauchst du zu mir nicht sagen. Das tut nicht einmal mein Jagdherr. Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast, ich bin der Jäger Markus Reindl.«

Lisa muss an die Männer denken, die sie bisher kennengelernt hat. Keiner war so wie dieser. Es ist etwas ganz Eigentümliches, was sie zu ihm hinzieht.

»Ich heiße Lisa«, sagt sie schließlich. »Brandstetter.«

Er spricht ihren Namen langsam nach, gerade als ob er jede Silbe auf der Zunge kosten wolle wie schweren Wein. Dann legt er einfach den Arm um ihre Schulter, als kenne er sie seit vielen Jahren.

»Gerade, als ob ich geahnt hätte, dass ich dich hier treffe«, sagt er dann.

»Manchmal hat man Ahnungen«, antwortet Lisa. »Ich wollte ursprünglich auch nicht herfahren zu dieser Hochzeit.«

»Warum, wo bist du denn sonst?«

»In der Stadt.«

»Ach so. In der Stadt.« Er nimmt ihre rechte Hand und betrachtet sie. »Verheiratet bist du also nicht.«

»Nein, noch nicht. Warum interessiert Sie das?«

»Weil ich dir dann wohl den Frühling nicht zeigen dürfte.«

»Gibt es denn dabei viel zu sehen?«

O ja, es gäbe schon etwas zu sehen dabei, meint der Jäger. Der Frühling ist zwar noch nackt und arm in den Bergen, aber Markus greift ihm ein wenig vor und läßt Steinröslein und Enzian blühen. Und die Almrosen erst. Sie müsste im Sommer einmal zu ihm kommen.

Der ganze Berg sei dann über und über rot. Ob sie sich getraue, mit ihm einmal auf einen Berg zu steigen? Lisa sieht ihn lange an.

»Ja«, sagt sie dann. »Mit Ihnen, glaube ich, schon.«

»Wenn schon, dann nur mit mir«, schwelgt er weiter und beginnt sich über sich selber zu wundern, wieso ihm das alles so leicht über die Lippen springt, wo er doch sonst immer Hemmungen hat so feinen Damen gegenüber. Zuletzt sagt er ihr sogar noch, dass er ihr auch seine Jagdhütte zeigen müsse. Er spricht von der Einsamkeit der Lage, vom Rauschen der Bäume und vom Glanz der bestirnten Nächte, die nirgends schöner wären wie bei ihm da oben.

»Ja, das glaube ich gern«, sagt Lisa. Aber sie fühlt weiter keine große Lust, sich all diese Dinge von ihm zeigen zu lassen. Vielleicht hat sie Angst, mit ihm allein zu sein da oben; denn wenn sie in seine Augen schaut, dann meint sie, dass die Liebe aus ihnen herausleuchte, eine stürmische, wilde Liebe.

»Wenn es nicht schon so spät wäre, möchte ich sagen, dass wir jetzt noch hinauf könnten in die Jagdhütte.«

»Jetzt noch? Nein, was Ihnen alles einfällt.«

»Warum? Fürchtest du dich vor mir?«

»Nein, so gefährlich sehen Sie ja nun auch wieder nicht aus.«

Da fasst er nach ihrer Hand.

»Wenn du jetzt noch einmal Sie zu mir sagst, nehme ich dich kurzerhand auf meine Arme und trage dich hinaus in die Nacht.«

»Das wäre Ihnen – das wäre dir schon zuzutrauen. Aber lass uns lieber noch mal tanzen.«

Während dieses Tanzes fühlt Lisa immer mehr, wie sie diesem Menschen, von dessen Existenz sie vor einer Stunde noch gar keine Ahnung gehabt hat, immer geneigter wird.

»Schätzlein«, flüstert er in ihr Ohr, dass sie erschaudert. Und als er sie nach dem Tanz unter den Arm fasst und sie hinausführt, wehrt sie sich nicht mehr dagegen.

Die Nacht tut sich wie ein großes Gewölbe vor ihnen auf. Es ist ein wenig kühl, und Markus zieht seine Jacke aus und legt sie um ihre Schultern. Diese Fürsorge tut ihr wohl, und sie lächelt dankbar zu ihm auf. Sie versucht, ihren Schritt dem seinen anzupassen. Immer weiter bleibt der Jubel der Blechmusik hinter ihnen zurück. Schließlich stehen sie am See. Markus löst die Kette von einem Kahn und hebt das Mädchen hinein. Der Mond steht hoch am Himmel. Um ihn herum leuchten die Sterne. Leise gurgelt das Wasser unter dem Schlag der Ruder. Es tropft wie Silber von ihnen, wenn der Mann sie zuweilen für einen Augenblick hebt, um auszuruhen.

Weit zurückgelehnt ruht Lisa im Kahn. Sie hat die Augen weit aufgeschlagen und schaut hinauf zu den Bergen, über deren Grate und Gipfel es wie Silber niederfließt.

»Da oben bist du?«, fragt sie leise.

»Ja.« Er deutet mit der Hand eine Richtung an. »Da oben irgendwo steht die Jagdhütte. Du musst im Sommer kommen, wenn alles leuchtet und blüht.«

»Im Sommer, ja.«

Dann schweigen sie wieder. Fern und immer ferner klingt der Lärm des Tanzbodens. Vom Kirchturm fallen erzene Klänge über den See und künden die Stunde. Dann fährt der Kahn irgendwo an das Ufer.

Langsam wandern sie am See entlang. Das Schilf flüstert geheimnisvoll. Ihre Schritte verlieren sich im Moos. Im wunderlichen Wechsellicht des Mondes leuchtet eine weiße Birkenbank unter Sträuchern.

Hier sagt der Jäger dem Mädchen, dass er sie liebt. Er sagt ihr, wie seltsam ihr Anblick ihn berührt habe. Große Worte? Nein, große Worte macht er nicht. Es kommt alles klar aus seinem einfachen Herzen. Lisa ist vielleicht anderes gewöhnt. Aber sie nimmt doch jedes seiner Worte in ihr Inneres auf. Und sie begreift nicht, dass er es ehrlich meint. Sie bleibt auch nicht unberührt von diesem Werben und schlingt die Arme um seinen Hals. Es hat sie überwältigt, der Mann übt eine wunderbare Gewalt über sie aus, der sie sich nicht entziehen kann.

Ihre Lippen sind weich und kühl. Und doch dringen diese Küsse wie Feuer in sein Blut. Alles andere erlöscht in ihm. Er weiß nicht mehr, dass es eine Monika gibt. Das Erlebnis mit Monika wird zu einem kleinen, unbedeutenden Zwischenspiel, das vom Glück dieser Stunde vollständig weggewischt wird.

Ein Windhauch fährt über den Wald. Die Bäume rauschen auf – und wieder Stille.

Mitternacht schlägt es schon, als die beiden in Alzmoos wieder ans Ufer steigen. Im Saal tobt noch immer eine lustige Polka. Bei weit geöffneten Fenstern wird noch eifrig getanzt.

»Noch mal tanzen?«, fragt Markus.

»Nein, nicht mehr«, antwortet Lisa und denkt an den Braueleven Karl Matheis, der ihr Fortgehen sicher bemerkt hat.

So begleitet Markus sie bis zu dem Haus, in dem sie diese Nacht schläft.

»Wirst du morgen, am Bus sein, wenn ich wegfahre?« fragt Lisa.

»Natürlich. Aber kannst du denn nicht noch ein paar Tage bleiben?«

»Nein, das ist unmöglich. Es geht wirklich nicht anders.«

»Aber im Sommer, Lisa, im Sommer kommst du doch zu mir?«

»Im Sommer, ja, wenn dein Berg blüht. Schreibst du mir, Markus?«

»Schreiben, ja. Aber ich weiß nicht, ob ich Briefe schreiben kann, die dir etwas sagen. Auf alle Fälle gib mir deine Adresse.«

Lisa nestelt aus ihrer Handtasche eine Visitenkarte, und dann sagen sie einander gute Nacht. Aber sie trennen sich doch nicht. Die Musik verstummt, die Straße belebt sich von Menschen, die heimwärts schlendern. Die beiden treten zurück in den Schatten der Mauer, um nicht gesehen zu werden.

Erst als der junge Morgen mit rosigem Schein hinter den östlichen Bergspitzen aufblüht, lösen sich ihre Hände voneinander, und Lisa schleicht sich leise ins Haus, um noch ein paar Stunden zu schlafen, ehe um neun Uhr der Omnibus abfährt.

– 4 –

Eine einzige Karte erhält eine Woche darauf der Jäger von St. Johann. Lisa schreibt, dass sie gut angekommen sei in der Stadt, dass sie noch gerne zurückdenke an die schönen Stunden und herzliche Grüße sende.

Das ist alles. Der Jäger trägt die Karte mit sich herum auf seinen einsamen Wegen. Sie ist ihm wie ein Talisman, und er ist verzweifelt darüber, dass er ihr nicht schreiben kann. Er schämt sich seiner unbeholfenen Schrift, seiner Fehler, die er macht. Noch nie hat er Briefe geschrieben. Die Berichte an seinen Jagdherrn hat immer Monika geschrieben. Aber er kann doch nicht zu Monika gehen und sie bitten, für ihn einen Brief an das Mädchen in der Stadt zu schreiben. Aber in St. Johann wohnt seit einigen Jahren der Schriftsteller Eberlein, der sich schon manchmal mit ihm unterhalten hat, wenn sie sich im Wald trafen. Vielleicht würde der es machen?

Als Markus am Haus des Dichters vorbeikommt, bleibt er am Zaun stehen. Drinnen hört er eine Schreibmaschine klappern. Herr Eberlein ist also bei der Arbeit und darf nicht gestört werden. Gerade aber, als der Jäger schon weitergehen will, kommt seine Frau aus dem Haus und grüßt ihn freundlich.

»Guten Abend, Herr Reindl. Sie bemitleiden wohl meine spärlichen Kenntnisse in der Blumenzucht?«

»Nein, nein, ich stand nur gerade so da«, antwortet er ein wenig verlegen. »Ihr Mann arbeitet wohl schon wieder fleißig?«

Frau Eberlein lächelt.

»Mein Mann arbeitet immer fleißig, wenn er inspiriert ist.«

»Aha«, sagt der Jäger, obwohl er nicht weiß, was das ist.

»Es gibt ja auch wieder Tage, an denen ihm wirklich nichts einfällt. Das ist nun mal so in seinem Beruf. Hätten Sie ihn gebraucht?«

»Nein, nein. Ich kann ein andermal auch vorbeikommen.«

»Aber warum denn? Kommen Sie ruhig herein.«

Herr Eberlein ist ein gemütvoller Mensch. Er wiegt seine guten zwei Zentner, hat ein rosiges rundes Gesicht und eine grau schimmernde Haarmähne. Auch er sagt, dass der Jäger ihn nicht störe und dass er nur Platz nehmen solle.

»Hilde, bring doch einen Schnaps«, sagt er, indem er die Schreibmaschine von sich schiebt und die Brille abnimmt.

»Nett von Ihnen, dass Sie einmal hereinfinden zu mir, Markus. Immer eifrig im Dienst?«

»Ja. Es gibt schon Arbeit genug«, antwortet dieser und dreht seinen Hut in den Händen.

»Ich glaube«, meint Frau Eberlein, als sie mit dem Schnaps kommt, »Herr Reindl hat ein Anliegen an dich, Arthur.«

»So? Na, dann nur raus mit der Sprache!«

Der Jäger aber geniert sich vor der Frau, die dasteht und ihn wohlwollend betrachtet. Endlich sagt er:

»Das ist nicht so einfach zu sagen.«

Vielleicht versteht Frau Eberlein das, denn sie entfernt sich unter dem Vorwand, sie müsse in der Küche nachsehen. Markus trinkt den Schnaps und dreht das leere Glas zwischen den Fingern.

»Also, raus jetzt mit der Sprache«, ermuntert ihn Eberlein erneut.

»Das ist eine dumme Sache«, beginnt Markus zögernd. »Da sollte ich einen Brief schreiben, aber – meine Hand ist so schwer und –«

Eberlein ist das nicht ganz unbekannt. Es kommen häufig einfache Menschen zu ihm, dass er ihnen einen Brief schreiben möge, ans Finanzamt vielleicht oder sonst eine Behörde.

»Das mach ich natürlich ganz gern, Markus. Einen Brief an Ihren Jagdherrn vielleicht?«

»Nein, da wäre im Augenblick nichts fällig. Es handelt sich – um eine – um ein Mädchen sozusagen.« Markus zerrt Lisas Karte aus der Tasche. »Sie hat mir so schön geschrieben, und ich habe bis heute noch nicht geantwortet.«

Eberlein lacht laut und fröhlich.

»Das ist natürlich etwas anderes! Einen Liebesbrief? Tja, ich weiß nicht, ob ich da noch in Form bin. Es ist schon so lange her, dass ich verliebt war.«

»Ich bin nicht verliebt. Ich liebe sie.«

»Aha«, lacht der Dichter. »Tief und innig. Ich verstehe schon. Also schön. Und was soll der holden Dame geschrieben werden? Ist sie schön?«

»So etwas Schönes hab ich nie zuvor in meinem Leben gesehen.«

»Das will an sich nicht viel besagen, denn Sie sind über dreißig Kilometer wohl noch nicht hinausgekommen! Ich werde etwas aufsetzen, und dann kommen Sie morgen wieder her. Noch einen Schnaps?«

»Nein, danke. Vielleicht schreiben Sie auch hinein, dass ich schon oft von ihr geträumt habe und dass mein Herz nach ihr schreit.«

»Wie der Hirsch nach der Wasserquelle«, ergänzt Eberlein. »Soll sie kommen?«

»Ja, das ist doch die Hauptsache.«

»Also gut. So ungefähr bin ich nun schon im Bilde.«

»Was es kostet, bezahl ich gern, außer Sie hätten lieber einmal eine Rehleber oder sonst etwas Wild.«

Markus wirft sein Gewehr auf die Schulter, setzt sein Hütl auf und geht. Eine halbe Stunde später schon sitzt Arthur Eberlein über dem Liebesbrief für den Jäger von St. Johann.

»Mein innigst geliebtes Wesen«, schreibt er, und als er das geschrieben hat, fällt ihm ein, dass der Jäger vergessen hat, ihm zu sagen, wie das Mädchen eigentlich heißt. Muss es also beim innigst geliebten Wesen bleiben. Weiter heißt es dann:

»Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, die Dir sagen könnten, wie lieb ich Dich habe. Glaube mir aber, meine Sehnsucht nach Dir ist grenzenlos. Seit Du in mein Leben getreten bist, ist etwas anders geworden, und in meinem Herzen ist ein einziges Blühen. Über Raum und Zeit hinweg fliegen meine Gedanken zu Dir, und nachts, wenn alles Leben schlummert, dann spreche ich mit Dir in meinen Träumen. Manchmal weiß ich überhaupt nicht mehr, wie ich ohne Dich leben soll, Du innig geliebtes Wesen. Ich habe schreckliches Heimweh nach Dir, und wenn ich an Deine Küsse denke! Denkst Du auch an mich, geliebtes Mädchen? Denkst Du an Deinen Jägersmann, der in den Bergen herumrennt mit einem Herzen voller Sehnsucht nach Dir? Oft ist es kaum mehr auszuhalten, und ich bitte Dich, komm zu mir. Komm, wenn es nicht anders geht, wenigstens einmal über einen Sonntag zu mir. Ich will Dich für jede Stunde segnen, die Du mir schenkst. Schreib mir bitte sofort. Ich bleibe in der Zwischenzeit mit tausend Grüßen und Küssen

Dein Markus.«

Nach vierzehn Tagen hat Markus Reindl immer noch keine Antwort auf diesen Brief. Er schenkt Eberlein den Aufbruch eines Sechserbockes, der Dichter setzt sich hin und schreibt einen zweiten Brief an das innigst geliebte Wesen. Er weiß nun, daß sie Lisa heißt, und baut ein klingendes Wortgebilde um diesen Namen. Zum Schluss fügt er noch ein Gedicht an, von dem er meint, dass es Lisa ganz besonders rühren müsste:

»Dunkelblaue Blumenglocken

läuten leise um Dein Haupt,

seiden schimmern Deine Locken,

ganz vom Morgenlicht bestaubt.

Kommst Du so zu mir nun wieder,

Liebste, in die Einsamkeit?

Ach, die alten, schönen Lieder

machen mir das Herz so weit!

Und schon glühen meine Wangen,

nimm mein Herz, es ist doch Dein.

Lass mich hoffen, lass mich bangen,

aber nicht mehr einsam sein.«

»So ist’s richtig«, meint Markus Reindl und setzt seinen Namen darunter. »Nur nicht mehr einsam sein. Wenn sie jetzt noch keine Antwort gibt oder nicht kommt, dann geb ich die Hoffnung auf.«

»Ja, dann kann man sie schon aufgeben«, meint Eberlein. »Vielleicht haben Sie von Anfang an zuviel von der Dame gehalten.«

»Nein, nein, ich weiß, was ich weiß«, antwortet Markus und geht.

Es kommt keine Lisa, es kommt auch auf diesen Brief keine Antwort.

Nein, Lisa hat an anderes zu denken um diese Zeit. Der Jäger ist längst vergessen. Ein anderer Mann war in ihr Leben getreten, ein flotter Draufgänger, elegant und leichtlebig wie Lisa selber. Was soll sie mit einem Jäger, der in einer Blockhütte wohnt! Es war nur für den Augenblick schön, von ihm begehrt zu werden. Dieses Erleben aber hat das Zwischenspiel mit dem Jäger von St. Johann in den Schatten gedrängt.

Ja, Lisa erlebt ein große Liebe. Der Traum ihres Lebens scheint erfüllt. Der Mann liebt sie aufrichtig, und es fällt ihm so schwer, sie zu bitten, ihm für den Augenblick mit etwas Geld auszuhelfen, weil er über den Sonntag schnell mal nach Genua fliegen müsse, seine Bank aber schon die Schalter geschlossen habe.

Natürlich gibt Lisa ihm Geld, soviel er will. Sie bekommt es ja in den nächsten Tagen wieder. Er muss ja nur in dringenden Geschäften nach Italien.

Der Mann verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Lisa ist einem Hochstapler in die Hände gefallen.

So geht Lisa mit verweinten Augen umher. Ihr Schmerz über diese Enttäuschung ist ungeheuer. Das entgeht natürlich auch Marlen Hansen nicht, und eines Morgens wird Lisa ins Musikzimmer gerufen.

»Nun sag einmal, Lisa was mit dir los ist. Komm, komm, fang nicht gleich wieder an zu heulen. Dadurch wird nichts besser. Hängt es vielleicht mit diesem Jäger zusammen, von dem du mir einmal erzählt hast. Schreibt er dir denn nicht?«

»Doch, doch«, schluchzt Lisa und eilt hinaus, die Briefe zu holen. Von dem anderen darf sie ja der Gnädigen nichts erzählen, denn das alles hat sich während deren Abwesenheit in dieser Wohnung abgespielt.

Marlen Hansen liest die Briefe, stößt ein paar Mal kleine Rufe des Entzückens aus und ist zum Schluss restlos begeistert.

»Aber Lisa, was du nur hast! Wenn der Mann so wunderbar ist, wie er schreiben kann, dann hast du den Himmel auf Erden bei ihm!«

»Er ist wunderbar«, schluckt Lisa.

»Solche Briefe habe ich nie bekommen. Man schreibt zwar Liebesbriefe nicht mit der Schreibmaschine. Aber trotzdem ist hier jeder Satz das Hohe Lied eines liebenden Herzens. Der Mann könnte eher Journalist sein oder gar ein Schriftsteller. Aber auf alle Fälle schlummern in ihm verborgene Talente. Hör nur gerade, was er da schreibt: ›Lass mich hoffen, lass mich bangen, aber nicht mehr einsam sein‹.«

»Ja, das ist es ja auch, was mir so gut gefallen hat.«

»Das ist kein oberflächlicher Mensch, Lisa. Ich weiß nicht, warum du immer mit verweinten Augen herumläufst. Ich bin doch kein Unmensch, der dich mit Gewalt an sich ketten will. Wenn du meinst, dass es dein Glück ist, dann fahre doch hin zu ihm. Er wird dich sicher heiraten. Freilich tut es mir leid, dich zu verlieren, denn mit dir war ich sehr zufrieden. Aber wenn dort in den Bergen ein Mensch sich in Sehnsucht verzehrt, dann darfst du ihn nicht mehr länger einsam sein lassen.«

– 5 –

Ja, der Jäger von St. Johann verzehrt sich in Sehnsucht.

Der Sommer steht im Land, die Almrosen blühen. Der Peterstamm verwelkt im Fels unter der Gluthitze endloser Sommertage. Markus rennt auf vertrauten Wegen umher, Unruhe und tiefen Kummer im Herzen. Lisa ist nicht wiedergekommen und hat ihm auf keinen seiner Briefe Antwort gegeben.

Oft steht er auf der Schneise, von wo aus man den Blick weit ins Tal hat. Er schaut und schaut, ob sie vielleicht auf dem Weg von St. Johann heraufkommen könnte. Aber das Mädchen hat ihn wohl vergessen, ihn und die Stunden jener Frühlingsnacht. Der Jäger steigt im Fels umher. Seine Hosen sind oft zerrissen und seine Knie blutig. Er tobt zuweilen und nennt sich einen Narren. Aber es hilft nicht viel. Die Erinnerungen verfolgen ihn. Schlaflos liegt er in den Nächten unter einem hohen Sternenhimmel und träumt von dem wunderschönen Mädchen.

Es will ihm einfach nicht in seinen Kopf, warum sie nie etwas von sich hat hören lassen. Eine lausige Karte und weiter nichts. Will sie ihn denn mit Gewalt vergessen, wo er sich das Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen kann? Er will auch mit Gewalt vergessen, trinkt sich ein paar Mal einen tüchtigen Rausch an. Dann ist es gut für ein paar Stunden. Hernach ist es nur noch schlimmer; er kann nicht so leicht vergessen.

Die ganze Zeit über hat er Monika gemieden. Er schämt sich vor ihr. Eines Tages aber geht er doch wieder zu ihr in die Almhütte.

Monika ist gut, eine treue Seele. Sie fragt nicht, auf welcher Wanderschaft sein Herz gewesen ist. In ihrem herben Gesicht blüht ein Lächeln auf, als sie den Jäger über das Almfeld niedersteigen sieht. Die Büchsenläufe funkeln hinter seinem Rücken. Sie geht ihm bis zum Gatter entgegen und reicht ihm die Hand.

»Da bist du also wieder«, sagt sie.

»Ja, Monika, da bin ich wieder.«

Die Almglocken läuten im Grund. Die Schatten des Abends werden lang. Nur auf den Bergspitzen brennt noch das Abendrot in wilder Schönheit. Es wird purpurn und zuletzt violett, bevor es am Horizont versinkt.

Monika macht ihm am krachenden Feuer einen Schmarren und sitzt dann bei ihm auf der Bank vor der Sennhütte. Eine warme Welle geht über sein Herz vor so viel Güte. Er legt den Arm um ihre Schulter und lehnt sich gegen sie.

»Du bist so lange ausgeblieben, Markus«, sagt Monika.

»Ja, ich weiß. Der viele Dienst.«

»Hast du heuer mehr Dienst als im vorigen Jahr und vor zwei Jahren?«

»Es ist etwas mehr geworden, ja. Du weißt doch, mein Jagdherr hat noch ein Stück dazu gepachtet.«

»Und von dem Mädchen sagst du mir gar nichts?«

Aha, denkt er, nun kommt es doch, und macht sich auf Vorwürfe gefasst.

»Welches Mädchen?«

»Hatte sie nicht ein himmelblaues Kleid an?«

»War es himmelblau? Ich weiß es nicht mehr«, lügt er, obwohl ihn alles daran erinnert; der blaue Himmel in diesen Wochen, die Enzianblüten am Berg. »Wer hat es dir denn gesagt?«

»Alle und niemand. Es sprach sich eben so herum, die großartige Eroberung des Markus Reindl. Hast du sie nicht dem Brauersohn Matheis ausgespannt?«

»Das weiß ich nicht einmal, glaub mir. Es wäre mir auch gleichgültig gewesen.«

Ein kühler Windhauch kommt über die Almfelder herunter. Die Blätter des Eichenbaumes am plätschernden Brunnen rauschen leise auf. Dann ist es wieder ganz still. Monika fasst nach der Hand des Jägers.

»Hat es sehr weh getan?«

»Was soll weh getan haben?«

»Markus, verstell dich doch nicht. Du rennst seit Wochen in den Bergen umher voller Unruhe und Kummer. Wenn es dich erleichtert, dann sprich dich aus. Es ist ja nichts, dessen du dich schämen müsstest.«

Da findet er erst den Mut. Er erzählt ihr von der »Himmelblauen« und seiner Sehnsucht nach ihr. Langatmig erzählt er und fragt so zwischenhinein wieder einmal: »Kannst du das verstehen, Monika?«

»Ja«, sagt sie. »Das verstehe ich schon.«

So spricht er eben weiter. Es ist nicht alles ganz die reine Wahrheit, was er spricht. Sie hat ihn verzaubert, ja, rein verhext habe sie ihn. Von den Briefen sagt er nichts. Dafür lässt er den leisen Vorwurf durchklingen:

»Ich habe dich damals zweimal aufgefordert, mitzukommen auf diese Hochzeit. Aber du hast mich allein gehen lassen. Darum geschah es eben.«

»Gegen eine Verzauberung wäre auch ich machtlos gewesen«, antwortete Monika mit leisem Spott. »Aber lassen wir das«, spricht sie weiter. »Ich sehe, dass an deiner Jacke ein Knopf fehlt und dass deine Knie zerrissen sind. Markus, Markus, was machst du nur für Sachen? Aber das mit dem Knopf, das will ich gleich in Ordnung bringen. Gib nur her.«

Er fühlt ihre Hände an seinem Hals, als sie ihm hilft, die Jacke abzustreifen. Rauh und rissig sind sie. In diese Hände könnte man ruhig sein Leben mit allen Schwächen und Leidenschaften hineinbetten, man wäre geborgen und sicher vor jeder Verzauberung.

So hat also der Jäger wieder zurückgefunden zu Monika. Es ist ein wunderbares Daheimsein und Ausrasten bei ihr nach solcher Irrfahrt. Ganz ruhig wird Markus wieder. Es sind Tage und Stunden voller Köstlichkeiten, die er erlebt, und das »Himmelblaue« wird allmählich grau und immer grauer, bis es schließlich in einem unbestimmbaren Farbton ganz verschwimmt.

Nur selten geht durch sein Herz noch ein leises Seufzen, wenn ihm die Erinnerung kommt. Wenn er an der Birkenbank vorübergeht etwa, oder an der Mauernische eines Bauernhauses in Alzmoos, wo er im Morgengrauen Abschied nahm von Lisa.

Alles ist jetzt wieder gut. Der Dichter Arthur Eberlein fragt ihn zwar einmal, ob noch ein dritter Brief geschrieben werden soll.

Nein, wozu noch einen dritten, wenn zwei schon nichts geholfen haben!

»Ich meine, Sie haben überhaupt zu viel in das Mädchen hineingelegt«, meint Eberlein, der einige Erfahrung hat. »Die Schönheit allein genügt nämlich nicht immer«, fügt er hinzu. »Allzu große Schönheit ist fast immer mit etwas Dummheit gepaart.«

Der Jäger will von Lisa jetzt nicht mehr so viel hören. Er ist ja wieder bei Monika, und darum ist es gut.

Gut ist auch der Freund Urban Schurer, der Bauernsohn aus dem Bichl. Ein verwegener Gefährte in solch unruhigen Tagen, wie der Jäger sie hinter sich hat. Mit ihm kann er Karten spielen, verbotene Spiele hinter geschlossenen Fensterläden, bei denen es um große Summen geht. Urban verzieht keinen Muskel im Gesicht, wenn Markus gewinnt, lächelt nur und zeigt unter dem dünnen, schwarzen Bärtchen zwei Reihen fester gelblich schimmernder Zähne.

In der Kneipe des Ambrosius Leitner, die auf halbem Weg an der Kreuzung zwischen St. Johann und dem Weiler Bruck liegt, ist man sicher bei solchen verbotenen Spielen. Abends kommt kaum mehr ein Gast, und wenn wirklich einmal die Gendarmen aus Alzmoos ihre Nachtdienststreife bis dorthin ausdehnen, so dauert es immer eine ganze Weile, bis der Wirt auf Filzpantoffeln zur Tür schlurft und den Riegel zurückschiebt. In der Zwischenzeit sind die Spielkarten längst verschwunden. Der Jäger und der Bauernsohn sitzen vor einem halb geleerten Glas Bier und gähnen in schläfriger Langweile.

So gehen denn die Sommerwochen dahin. Die Sonne leuchtet vom Himmel, bis sich eines Tages doch unvermittelt hinter den westlichen Bergen eine dunkle Wolkenwand heraufschiebt. Ein metallischer Glanz breitet sich über die Almfelder, und die Sennerinnen richten die schwarzen Wetterkerzen her.

Nach diesem Gewitter bleibt der nachströmende Regen fast eine ganze Woche über dem Land. Die Berge sind verhüllt, graue Wolkenbänke ziehen tief über die Almfelder hin. Wenn es eine Weile zu regnen aufhört, dann steigt aus den Fichtenwipfeln ein weißer Dampf, ein paar Vögel beginnen zu singen, ganz schüchtern nur, als getrauten sie sich nicht recht, der Sonne hinter den Wolken entgegenzusingen. Und ihr Misstrauen ist auch ganz berechtigt, denn schon im nächsten Augenblick öffnet eine niederziehende Wolke ihre Schleusen. Der weiße Dampf zwischen den Fichtenwipfeln erstirbt, und die Vöglein schweigen wieder.

Unter solch einem strömenden Regenguss, von einem heftigen Wind begleitet, kommt der Jäger mit hastigen Schritten vom Geröllfeld herunter. Er ist bis auf die Haut durchnässt. Nicht mehr weit ist seine Hütte. Schon sieht er ihr breites, sicheres Dach, und auf der Türschwelle –

Wahrhaftig, auf der Türschwelle, ängstlich und frierend zusammengekauert, sitzt Lisa, die Himmelblaue. Heute trägt sie zwar kein himmelblaues Kleid, aber es ist doch seine Lisa.

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