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In Anton Tschechows "Der Kirschgarten" entfaltet sich das Schicksal einer aristokratischen Familie, die gezwungen ist, ihren geliebten Kirschgarten zu verkaufen, um ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Mit einer Verbindung aus Tragik und Komik beleuchtet Tschechow die Konflikte zwischen den traditionellen Werten des 19. Jahrhunderts und der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft. Durch meisterhafte Dialoge und subtile Charakterzeichnungen schafft Tschechow ein bewegendes Portrait der menschlichen Existenz, in dem jeder Protagonist sowohl für seine Vergangenheit als auch für seine Zukunft steht. Der bittersüße Ton und die präzise Darstellung der Emotionen zeugen von Tschechows Talent, die Nuancen des menschlichen Lebens in authentischer Weise zu erfassen. Anton Tschechow (1860-1904) gilt als einer der bedeutendsten Dramatiker und Erzähler der modernen Literatur. Seine Erfahrungen als Arzt und der tiefen sozialen Beobachtungstalent beeinflussten sein schriftstellerisches Schaffen. Tschechow fasste die Spannungen und Umbrüche seiner Zeit in seinen Werken zusammen und erkundete die Komplexität menschlicher Beziehungen. "Der Kirschgarten" ist sein letztes Stück und gilt als Schlüsselwerk, das den Übergang von der klassischen zur modernen Tragödie markiert. Dieses Werk ist für Leser von großer Bedeutung, die an den Themen Verlust, Wandel und menschlicher Fragilität interessiert sind. Tschechows präzise Sprache und die universelle Relevanz der Themen machen "Der Kirschgarten" zu einer Pflichtlektüre für jeden, der Literaturen studiert oder sich mit den sozialpolitischen Dynamiken der Zeit auseinandersetzen möchte.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Ranewskaja, Ljubow Andrejewna, Gutsbesitzerin.
Anja, ihre Tochter, 17 Jahre alt.
Warja, ihre Pflegetochter, 22 Jahre alt.
Gajew, Leonid Andrejewitsch, ihr Bruder.
Lopachin, Jermolaj Alexejewitsch, Kaufmann.
Trofimow, Peter Ssergejewitsch, Student.
Ssimeon-Pischtschik, Boris Borissowitsch, Gutsbesitzer.
Scharlotta Iwanowna, Gouvernante.
Epichodow, Ssemjon Pantelejewitsch, Buchhalter.
Dunjascha, Stubenmädchen.
Firs, ein alter Lakai, 87 Jahre alt.
Jascha, ein junger Lakai.
Ein Landstreicher.
Der Stationsvorsteher.
Der Posthalter.
Gäste, Musikanten, Dienerschaft.
Ort der Handlung: Das Gut der Ranewskaja.
Das »Kinderzimmer«, nach seiner einstmaligen Bestimmung noch immer so benannt. Eine der Türen führt nach Anjas Zimmer. Morgendämmerung, kurz vor Sonnenaufgang. Monat Mai, die Bäume blühen, im Garten ist es jedoch kühl, der Morgenwind weht. Die Fensterläden sind noch geschlossen, der junge Tag schimmert durch die Spalten. Dunjascha kommt mit einem Licht und Lopachin mit einem Buch in der Hand.
Lopachin. Der Zug ist da, Gott sei Dank! Wie spät ist's denn?
Dunjascha. Bald zwei. Löscht das Licht aus. Es ist schon hell draußen.
Lopachin. Wieder einmal Verspätung. Wenigstens um zwei Stunden. Gähnt und reckt die Glieder. Ich bin auch ein rechter Tölpel. Komme her, um sie auf dem Bahnhofe zu empfangen und verschlafe die Zeit. Im Sitzen bin ich eingeschlafen. Zu ärgerlich. Du hättest mich doch wecken sollen!
DunjaschaÖffnet die Fensterläden. Ich dachte, sie seien längst fort. Horcht. Da – ich glaube, sie kommen schon.
Lopachinhorcht. Nein … Ehe sie das Gepäck besorgt haben, und dies und das, vergeht eine ganze Weile. Pause. Fünf Jahre hat sie nun im Auslande zugebracht, unsere Ljubow Andrejewna – ob sie sich sehr verändert hat? Eine prächtige Frau, so umgänglich, so einfach. Ich erinnere mich noch einer Geschichte aus meiner Jugendzeit, wie ich so fünfzehn Jahre alt war. Ich hatte von meinem Vater selig eine Ohrfeige bekommen, daß mir die Nase blutete – war wohl nicht ganz nüchtern gewesen, mein Alter. Er hatte hier im Dorfe einen Kramladen, und wir waren geschäftlich auf dem Gutshofe. Na, kurz und gut, Ljubow Andrejewna, die damals noch ganz jung war, ganz schlank und schmächtig, nahm mich bei der Hand und führte mich hier in dieses Kinderzimmer, ans Waschbecken. »Weine nicht, kleiner Bauernjunge,« sagte sie, »bis du Hochzeit machst, ist's wieder gut.« Pause. Bauernjunge, ja … Mein Vater war ein Bauer, und ich trage eine weiße Weste und gelbe Schuhe. Eine Krähe, die sich mit fremden Federn schmückt … Geld hab ich wie Heu, aber wenn ich's recht bedenke, bin ich doch ein richtiger Bauer geblieben. Blättert in dem Buche. Da lese ich nun, lese und versteh' nichts … Eingeschlafen bin ich über dem Buche. Pause.
Dunjascha. Die Hunde haben die ganze Nacht gebellt – die witterten wohl, daß die Herrschaft kommt.
Lopachin. Was ist denn mit dir, Dunjascha?
Dunjascha. Meine Hände zittern so … ich glaube, ich fall' in Ohnmacht …
Lopachin. Hast dich schon gar zu sehr … kleidest dich wie ein Fräulein, und auch die Frisur … Das schickt sich nicht, man darf nie vergessen, wer man ist.
Epichodow tritt ein, mit einem Blumenstrauß, er trägt ein Jakett und blitzblanke hohe Stiefel, die beim Auftreten laut knarren; läßt beim Eintreten den Blumenstrauß fallen.
Epichodow.hebt den Blumenstrauß auf. Der Gärtner schickt das Bukett, nach dem Eßzimmer soll's kommen. Gibt den Strauß an Dunjascha.
Lopachinzu Dunjascha. Bring mir ein Glas Sauerbier mit.
Dunjascha. Sehr gern. Ab.
Epichodow. 's ist mächtig kalt draußen, drei Grad Frost! Und die Kirschen sind gerade in der Blüte! Kann mich nicht erwärmen für unser Klima. Seufzt. Nee doch! 's ist nicht viel los damit … Sagen Sie mal, bitte, Jermolaj Alexeïtsch, ich hab mir vorgestern ein Paar Stiefel gekauft, und die knarren so eklig – womit könnt' ich sie wohl einschmieren? Raten Sie mir!
Lopachin. Bleib mir vom Leibe mit deinem Geschwätz.
Epichodow. Jeden Tag muß mir auch was passieren. Aber ich mach' mir nichts draus, hab mich dran gewöhnt und lach' einfach drüber.
Dunjascha tritt ein und reicht Lopachin das Bier.
Epichodow. Ich geh' nun. Stößt an einen Stuhl an, der hinfällt. Da. … Triumphierend. Hab' ich's nicht gesagt? Einfach nicht zu glauben … Merkwürdig geradezu … entschuldigen Sie den harten Ausdruck! Ab.
Dunjascha. Ich kann's Ihnen ja sagen, Jermolaj Alexeïtsch: Epichodow hat mir einen Antrag gemacht …
Lopachin. Ah!
Dunjascha. Ja, und ich weiß nur nicht … er ist so weit ganz brav, aber er red't so komisches Zeug zusammen, daß man ihn manchmal gar nicht versteht. Sonst gefällt er mir ganz gut. Er liebt mich wahnsinnig. Ein Pechvogel ist er ja, jeden Tag passiert ihm was. Wir nennen ihn alle nur den Unglücksraben …
Lopachinhorcht. Jetzt kommen sie, glaub' ich …
Dunjascha. Ja, jetzt kommen sie! Was ist nur mit mir? Ganz eiskalt bin ich …
Lopachin. Jetzt kommen sie wirklich. Wir wollen ihnen entgegengehen. Ob sie mich erkennt? Fünf Jahre haben wir uns nicht gesehen …
Dunjaschaerregt. Ich fall' gleich hin – ach, ich falle!