Der letzte Mohikaner - James Fenimore Cooper - E-Book + Hörbuch

Der letzte Mohikaner Hörbuch

James Fenimore Cooper

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Längst zum geflügelten Wort geworden, ist ›Der letzte Mohikaner‹ einer der bekanntesten Indianer- und Abenteuerromane der Weltliteratur. Coopers packende Schilderung einer Odyssee durch den amerikanischen Urwald hat Generationen von Lesern begeistert und ist nicht zufällig immer wieder verfilmt worden. Die bislang schönste Verfilmung stammt von Meisterregisseur Michael Mann, der wie kein anderer die suggestive Bildwelt des Romans mit ihren blutigen Kämpfen und wilden Leidenschaften inmitten einer atemberaubenden Natur in Szene gesetzt hat.

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Zeit:5 Std. 4 min

Sprecher:Simon Pichler
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James F. Cooper

Der letzte Mohikaner

Roman

Roman

Aus dem Amerikanischen von Leonhard Tafel

FISCHER E-Books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Inhalt

Verschmähet mich ob meiner [...]Einleitung123456789101112131415161718192021222324252627282930313233AnhangEditorische NotizDaten zu Leben und WerkJames Fenimore Cooper, ›Der letzte Mohikaner‹James Fenimore Cooper

Verschmähet mich ob meiner Farbe nicht,

Der schattigen Livrei der glüh’nden Sonn!

WILLIAM SHAKESPEARE

Einleitung

Der Verfasser glaubt, in dem Texte der folgenden Erzählung und den begleitenden Anmerkungen den Schauplatz derselben genügsam beleuchtet, ebenso dem Leser die zum Verständnis der meisten einzelnen Anspielungen erforderliche Belehrung in hinlänglichem Maße gegeben zu haben. Immer aber herrscht noch soviel Dunkelheit in den indianischen Überlieferungen und soviel Verwirrung in den indianischen Namen, dass einige Erläuterungen willkommen sein dürften.

Bei wenig Menschen findet man eine größere Verschiedenheit, wir möchten sagen, größere Widersprüche der Gemütsart, als bei dem eingeborenen Krieger von Nordamerika. Im Kriege ist er unternehmend, prahlerisch, verschmitzt, grausam, rachsüchtig, voll Selbstverleugnung und Aufopferung; im Frieden gerecht, edelmütig, gastfreundlich, bescheiden, abergläubisch und insgeheim keusch. Diese Eigenschaften zeichnen zwar nicht alle in gleichem Grade aus, bilden aber so hervorstechende Züge bei diesen merkwürdigen Völkern, dass man sie charakteristisch nennen darf.

Man ist allgemein der Ansicht, dass die Ureinwohner des amerikanischen Festlands asiatischer Abkunft seien. Viele Tatsachen, sowohl im physischen als im sittlichen Gebiete, bestärken diese Meinung, und nur wenige fallen scheinbar in die entgegengesetzte Waagschale.

Die Farbe des Indianers ist, wie der Verfasser glaubt, ihm eigentümlich; und wenn seine Backenknochen sehr auffallend das Gepräge tartarischen Ursprungs tragen, so ist dies bei den Augen nicht der gleiche Fall. Das Klima dürfte auf erstere großen Einfluss gehabt haben; aber es ist schwer abzusehen, wie es bei den letzteren einen so wesentlichen Unterschied bewirkt haben soll. Die Bildersprache des Indianers ist in Dichtung und Rede morgenländisch: beschränkt, und vielleicht zu ihrem Vorteil beschränkt durch den engeren Kreis seiner praktischen Kenntnisse. Er nimmt seine Bilder von den Wolken, den Jahreszeiten, den Vögeln, den Vierfüßern und der Pflanzenwelt. Hierin tut er vielleicht nicht mehr als ein anderes tatkräftiges und phantasiereiches Volk auch tun würde, wenn es in dem Walten seiner Einbildungskraft durch den Kreis der Erfahrung in Schranken gehalten wird; aber der nordamerikanische Indianer kleidet seine Gedanken in ein Gewand, das zum Beispiel von dem des Afrikaners zu sehr abweicht und in sich selbst zu viel Morgenländisches hat, als dass es nicht auffallen müsste. Seine Sprache hat ferner ganz den Reichtum und die gedankenreiche Fülle der chinesischen; er gibt einen Satz mit einem Wort und bestimmt den Sinn eines ganzen Satzes durch eine Silbe: Ja er drückt verschiedene Bedeutungen durch die einfachsten Biegungen der Stimme aus.

Sprachforscher, welche viel Zeit auf ihre Studien verwandt haben, behaupten, dass die vielen zahlreichen Stämme, welche früher das Gebiet der Vereinigten Staaten bewohnten, eigentlich nur zwei oder drei Sprachen geredet hätten. Die jetzigen Schwierigkeiten des Verständnisses der Völker untereinander sind nach ihnen in Sprachverderbnis und Mundarten zu suchen. Der Verfasser erinnert sich, der Zusammenkunft zweier Häuptlinge der großen Prärien westlich vom Mississippi beigewohnt zu haben, bei welcher ein Dolmetscher, der beide Sprachen redete, zugegen war. Die Krieger schienen im besten Vernehmen unter sich und sprachen viel miteinander, und doch verstand nach der Versicherung des Dolmetschers keiner ein Wort von dem, was der andere sagte. Sie waren von feindlichen Stämmen, und nur der Einfluss der amerikanischen Regierung hatte sie einander genähert. Merkwürdig ist jedoch, dass eine gemeinsame Politik beide auf denselben Gegenstand führte. Sie forderten sich gegenseitig zum Beistand auf, falls die Wechsel des Krieges die eine oder die andere Partei in die Hände ihrer Feinde brächte. – Welche Bewandtnis es nun auch mit dem Ursprung und dem Genius der indianischen Sprachen haben mag, eine Verschiedenheit in einzelnen Wörtern derselben liegt jetzt außer allem Zweifel, welche fast alle Nachteile von fremden Sprachen mit sich führt: Daher die Schwierigkeit, die Geschichte zu studieren, und die Unzuverlässigkeit ihrer Überlieferungen.

Gleich Völkern, die höhere Ansprüche machen dürfen, erzählt auch der amerikanische Indianer die Geschichte seines Stammes oder Geschlechts ganz anders als andere Völker. Er überschätzt gerne seine eigenen Vorzüge und schlägt diejenigen seines Nebenbuhlers oder Feindes geringer an; ein Zug, der vielleicht die mosaische Schöpfungsgeschichte bekräftigen dürfte.

Die Weißen haben durch ihre Verstümmelung der Namen viel dazu beigetragen, die Überlieferungen der Ureinwohner noch mehr zu verdunkeln. So wechselte bei ihnen der Name auf dem Titel dieses Buches bald in Mohicanni, bald in Mohikans oder Mohegans; die letzte Form ist bei den Weißen die gewöhnlichste. Wenn man sich erinnern will, dass die Stämme des Landes, welches der Schauplatz der folgenden Erzählung ist, im Munde der Holländer (die sich zuerst in New York ansiedelten), der Engländer und Franzosen stets wieder anders klangen, und wie sogar die Indianer nicht allein ihren Feinden, sondern auch sich selbst häufig verschiedene Namen gaben, so ist die Verwirrung leicht erklärt.

In den folgenden Blättern werden die Namen Lenni, Lenapen, Delawaren, Wapanachki und Mohikaner von einem und demselben Volke oder von Stämmen desselben Volkes gebraucht. Die Mengwe, die Maquas, die Mingos und die Irokesen, obgleich nicht durchaus identisch, werden von den Sprechern häufig identifiziert, da sie politisch miteinander verbunden und Feinde der vorher genannten Völkerschaften waren. Mingo war ein Hauptschimpfwort, ungleich heftiger als Mengwe und Maqua. Oneida ist der Name eines besonderen und mächtigen Stammes aus diesem Bunde.

Die Mohikaner waren Herren des Landes, welches in diesem Teile des Kontinents von den Europäern zuerst in Besitz genommen wurde. Sie wurden daher auch zuerst vertrieben, und das anscheinend unvermeidliche Los aller dieser Völker, welche den Fortschritten oder vielmehr den Übergriffen der Gesittung bis zum Verschwinden weichen mussten wie das Grün ihrer Heimatwälder dem schneidenden Froste – haben wir als bereits erfüllt betrachtet. Es bleibt historische Wahrheit genug in dem Gemälde, um diese Freiheit zu rechtfertigen. Am Schlusse dieser Einleitung wird es an der Stelle sein, über einen wichtigen Charakter dieser Geschichte, der auch in drei anderen Erzählungen desselben Verfassers eine bedeutende Rolle spielt, noch einige Worte zu sagen. Ein Kundschafter in den Kriegen, welche England und Frankreich um den Besitz des amerikanischen Festlandes führten; ein Jäger in jenen Zeiten der emsigsten Tätigkeit, die dem Frieden vom Jahr 1783 unmittelbar folgten; endlich ein einsamer Streiter in den Prärien, nachdem die Politik der Freistaaten jene endlosen Öden dem Unternehmungsgeiste ihrer halbzivilisierten Abenteurer geöffnet hatte, die zwischen Gesittung und Barbarei die Mitte hielten – ein solches Individuum zu schildern, heißt mit Hilfe der Dichtung einen Zeugen für die Wahrheit jener wunderbaren Umwandlungen aufstellen, welche die Fortschritte der amerikanischen Nation bis zu einer vorher nie gekannten Höhe bezeichnen – Fortschritte, für welche Hunderte von Lebenden dasselbe Zeugnis ablegen könnten. In diesem Punkte hat unsere Dichtung nicht das Verdienst einer Erfindung.

Über den fraglichen Charakter hat der Verfasser weiter nichts zu sagen, als dass er einen Mann von natürlicher Gutmütigkeit zeichnen soll, welcher den Versuchungen des zivilisierten Lebens entrückt, dennoch die Vorurteile und Lehren desselben nicht ganz vergessen hat: Einen Mann, der an die Sitten und Gewohnheiten des Naturzustandes gewiesen, durch dieses Band mehr gewinnt als verliert, und die Schwächen wie die Vorzüge seiner Lage sowohl als seiner Geburt zutage legt. Der Verfasser wäre vielleicht der Wirklichkeit näher geblieben, wenn er ihn sittlich weniger hochgestellt hätte; aber das Gemälde hätte an Interesse verloren, und die Aufgabe des Romanschreibers ist, dem Ideale der Poesie möglichst nahe zu kommen. Nach diesem Bekenntnis braucht er kaum noch hinzuzusetzen, dass bei der Auffassung und Ausstattung dieser selbst geschaffenen Persönlichkeit kein individueller Charakter zugrunde lag. Der Verfasser glaubte der Wahrheit genug geopfert zu haben, indem er die Sprache und die dramatische Haltung beibehielt, derer die Rolle bedurfte.

Was die Örtlichkeit anbelangt, so hat der Schauplatz der folgenden Erzählung, seitdem die angedeuteten historischen Ereignisse stattgefunden haben, sich so sowenig verändert, als nur irgendein Distrikt von gleichem Umfang in dem ganzen Gebiete der Vereinigten Staaten. Moderne, gut eingerichtete Badeanstalten finden sich jetzt an der Quelle, wo Falkenauge haltmachte und trank: Straßen durchschneiden die Wälder, wo er und seine Freunde sogar pfadlos wandern mussten. An den Fällen des Glenn liegt ein kleines Dorf, und während William Henry und selbst eine Festung späteren Ursprungs nur noch an Ruinen erkennbar sind, steht eine andere Ortschaft an den Ufern des Horican. Außer diesen Veränderungen hat der Unternehmungsgeist und die Schöpfungskraft des Volkes, welche anderwärts Wunder getan, wenig vollbracht. Die ganze Wildnis, in welcher sich die letzten Ereignisse unserer Geschichte zutragen, ist beinahe immer noch Wildnis, obgleich die Rothäute ganz aus ihr gewichen sind. Von allen hier genannten Stämmen sind dort nur noch wenige halbzivilisierte Oneidas auf dem ihnen in New York vorbehaltenen Landstrich zu treffen. Die übrigen haben entweder die Gebiete ihrer Väter verlassen oder sind ganz von der Erde verschwunden.

1

Mein Ohr ist offen und mein Herz bereit.

Nur weltlichen Verlust, nicht Schlimmres kannst

Du melden. Sage, ist mein Reich verloren?

WILLIAM SHAKESPEARE

Es war eine Eigentümlichkeit der Kriege, welche in den Kolonien Nordamerikas geführt wurden, dass die Mühseligkeiten und Gefahren der Wildnis zu bestehen waren, ehe noch die feindlichen Heere sich begegnen konnten. Ein breiter Gürtel von scheinbar undurchdringlichen Wäldern trennte die Besitzungen der feindlichen Provinzen von Frankreich und England. Der kühne Pflanzer und der geübte Europäer, der an seiner Seite focht, kämpften oft Monate lang mit reißenden Waldströmen oder suchten raue Gebirgspässe gangbar zu machen, um Gelegenheit zu finden, ihren Mut in mehr kriegerischem Kampfe zu zeigen. Aber wetteifernd mit der Ausdauer und Selbstverleugnung der erfahrenen eingeborenen Krieger lernten sie jede Schwierigkeit überwinden; und es wollte scheinen, dass mit der Zeit kein Winkel in den Waldungen so finster, kein Versteck so abgelegen wäre, in den sie nicht zu dringen wagten, die ihr Blut verpfändet hatten, ihre Rache zu sättigen oder der kalten, selbstsüchtigen Politik entfernter Monarchen Europas Geltung zu verschaffen.

Vielleicht gibt kein Distrikt auf der ganzen Strecke der dazwischen liegenden Grenzen ein lebendigeres Bild von der Grausamkeit und Wildheit der barbarischen Kriege jener Zeiten, als das Land, welches zwischen den Quellen des Hudson und den anstoßenden Seen liegt.

Die Vorteile, die hier die Natur für die Bewegungen der Kämpfenden bot, waren zu augenfällig, um nicht benützt zu werden. Der langgedehnte Wasserspiegel des Champlain erstreckte sich von den Grenzen Kanadas bis tief in die benachbarte Provinz New York hinein und bildete eine natürliche Straße auf der Hälfte des Landstrichs, dessen die Franzosen Meister sein mussten, um an ihre Feinde gelangen zu können.

Unweit seinem südlichen Ende empfängt er die Zuflüsse eines anderen Sees, dessen Wasser so klar sind, dass die Missionare der Jesuiten sie ausschließlich gewählt hatten, um die sinnbildliche Reinigung der Taufe zu vollziehen, was ihm den Namen des Sees du Saint Sacrement gegeben hat. Die minder eifrigen Engländer glaubten seinen klaren Wellen Ehre genug anzutun, wenn sie ihnen den Namen ihres regierenden Fürsten, des zweiten aus dem Hause Hannover, gaben. Beide Völker vereinigten sich aber, den schutzlosen Eigentümern dieser bewaldeten Räume ihr natürliches Recht auf Verewigung seines ursprünglichen Namens Horican zu rauben.

Durch zahllose Eilande sich windend und in Gebirge eingebettet, dehnt sich der Heilige See ein Dutzend Stunden weiter gegen Süden aus. Mit der hoch gelegenen Fläche, welche hier dem Lauf des Wassers entgegentritt, fängt ein Trageplatz von eben so vielen (englischen) Meilen an, der an die Ufer des Hudson auf einen Punkt führt, wo der Fluss über die gewöhnlichen Hemmnisse reißender Strömungen oder Rifts (Risse), wie sie in der dortigen Landessprache heißen, siegt und zur Flutzeit schiffbar wird.

Da rastloser Unternehmungsgeist die Franzosen bei Verfolgung ihrer Eroberungspläne selbst in die entfernten, fast unzugänglichen Schluchten des Alleghanygebirges führte, so lässt sich leicht denken, dass ihr zum Sprichwort gewordener Scharfsinn die natürlichen Vorteile der soeben beschriebenen Landstrecke nicht übersehen konnte. Sie wurde auch wirklich der blutige Schauplatz, auf dem die meisten Schlachten um die Herrschaft in den Kolonien geschlagen wurden. Forts wurden angelegt auf den verschiedenen Punkten, welche die Heerstraßen beherrschten: Wurden genommen und wieder genommen, geschleift und wieder hergestellt, sowie ein Sieg über feindliche Banner erfochten war. Während der Pflanzer sich von den gefährlichen Pässen in die sichereren Grenzen der älteren Niederlassungen zurückzog, sah man Heere, stärker als jene, die oft über die Throne der Mutterländer entschieden, in diese Waldungen sich vergraben, aus denen sie meist nur als Banden von Gerippen, von Sorgen abgemagert und durch Niederlagen entmutigt, wieder zum Vorschein kamen.

Wenn auch die Künste des Friedens in diesen unglücklichen Gegenden unbekannt waren, so wimmelten doch seine Wälder von Menschen; die lichten Punkte und Täler ertönten von kriegerischer Musik, und das Echo ihrer Gebirge warf das Gelächter oder das mutwillige Geschrei manches ritterlichen, sorgenlosen Jünglings zurück, der in der vollen Kraft seines jungen Mutes dahineilte, um in die lange Nacht der Vergessenheit hinüberzuschlummern.

Auf diesem Schauplatze des Kampfes und des Blutvergießens trugen sich die Begebnisse zu, welche wir zu schildern versuchen, und zwar im dritten Jahre des Kriegs, welchen England und Frankreich um den Besitz eines Landes führten, das keinem auf die Dauer zuteil werden sollte.

Die Unfähigkeit seiner Heerführer draußen und der unglückliche Mangel an Energie in seinen Beratungen im Innern hatte Großbritannien von der stolzen Höhe, auf die es die Talente und der Unternehmungsgeist seiner früheren Kriegs- und Staatsmänner gebracht hatten, herabgestürzt. Nicht länger von seinen Feinden gefürchtet, verloren seine Diener bald auch das Vertrauen in sich selbst. Bei diesem drückenden Zustand der Erniedrigung waren die Kolonisten, obgleich unschuldig an seiner Schwäche und zu niedrig gestellt, um an solchen Missgriffen Schuld zu haben, die natürlichen Opfer derselben. Sie hatten erst noch gesehen, wie ein auserlesenes Heer aus dem Lande, das sie bisher als Mutter verehrten und für unbesiegbar gehalten, unter den Befehlen eines Führers, der wegen seiner seltenen kriegerischen Verdienste aus einer Schar erfahrener Kriegsmänner auserwählt worden, von einer Handvoll Franzosen und Indianer schimpflich zersprengt worden war und vor völliger Vernichtung nur bewahrt wurde durch die kalte Besonnenheit eines virginischen Knaben, dessen Ruf, durch die Zeit gereist, sich seitdem, kraft des Eindrucks, dessen sittliche Größe nie verfehlt, bis an die äußersten Grenzen der christlichen Welt verbreitet hat. So war durch diesen unerwarteten Unstern die Grenze weithin bloß gegeben und wesentlicheren Übeln gingen tausend eingebildete und erträumte Gefahren voraus. Die bestürzten Kolonisten glaubten, das Geheul der Wilden mischte sich in jeden Windstoß, der aus den endlosen Waldungen des Westens pfiff. Der furchtbare Charakter ihrer erbarmungslosen Feinde vermehrte noch die natürlichen Schrecken des Kriegs über alle Beschreibung. Zahllose neuere Gemetzel lebten noch in ihrer Erinnerung; auch war kein Ohr in den Provinzen so taub, das nicht begierig der Erzählung einer furchtbaren mitternächtlichen Mordszene gelauscht hätte, bei welcher die Eingeborenen der Wälder in ihrer Grausamkeit eine Hauptrolle spielen mussten. Wenn der leichtgläubige, aufgeregte Reisende von den Gefahren der Wildnis erzählte, gerann dem Furchtsamen vor Schrecken das Blut in den Adern, und Mütter warfen ängstliche Blicke selbst auf Kinder, die im sicheren Schosse der größten Städte schlummerten. Kurz, die alles vergrößernde Furcht machte die Berechnungen der Vernunft zunichte, und diejenigen, welche sich ihrer Mannheit hätten erinnern sollen, zu Sklaven der niedrigsten Leidenschaft. Selbst die Zuversichtlichsten und Standhaftesten begannen zu glauben, dass der Ausgang des Kampfes zweifelhaft werden könnte, und stündlich vermehrte sich die Zahl jener Verächtlichen, welche schon alle Besitzungen der englischen Krone in Amerika von ihren christlichen Feinden erobert oder durch die Einfälle ihrer fühllosen Verbündeten verödet sahen.

Als daher in dem Fort, welches das Südende des Trageplatzes zwischen dem Hudson und den Seen deckte, die Nachricht eintraf, dass Montcalm mit einem Heere, zahllos wie das Laub auf den Bäumen, den Champlain heraufkomme, so wurde die Wahrheit derselben mehr mit dem verzagten Widerwillen der Furcht als mit der ernsten Freude eingeräumt, die der Krieger fühlen sollte, wenn er den Feind in seinem Bereiche findet. Die Nachricht war an einem Sommerabend durch einen indianischen Läufer eingetroffen, durch den auch Munro, der Befehlshaber eines Festungswerkes an dem Ufer des Heiligen Sees, um schleunige und kräftige Verstärkung bitten ließ. Es wurde bereits erwähnt, dass die Entfernung zwischen diesen beiden Punkten weniger als fünf Stunden betrug. Der raue Pfad, welcher ursprünglich ihre Verbindungslinie bildete, war für Wagen erweitert worden, sodass der Weg, für welchen der Sohn des Waldes nur zwei Stunden bedurfte, von einem Corps mit seinem erforderlichen Gepäck leicht zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne an einem Sommertag zurückgelegt werden konnte. Die loyalen Diener der britischen Krone hatten die eine dieser Waldfesten William Henry und die andere Fort Edward, nach zwei beliebten Prinzen des regierenden Hauses, benannt. Der vorerwähnte schottische Veteran lag in der ersten mit einem Regiment regulärer Truppen und einer Anzahl Provinzialen, einer Besatzung, die in der Tat zu schwach war, der furchtbaren Macht, mit welcher Montcalm seinen Verschanzungen nahte, die Spitze zu bieten. An Letzterem stand jedoch General Webb, welcher die Heere des Königs in den Nordprovinzen befehligte, mit einem Corps von mehr denn fünftausend Mann. Durch Vereinigung der verschiedenen Detachements unter seinen Befehlen hätte dieser Offizier beinahe die doppelte Anzahl Kämpfer dem unternehmenden Franzosen, der sich mit einem nicht viel stärkeren Heere so weit vor seine Reserven hervor gewagt hatte, entgegenzustellen vermocht.

Von ihrem Missgeschick niedergedrückt, schienen Offiziere und Soldaten mehr geneigt, die Annäherung ihres furchtbaren Feindes innerhalb ihrer Festungswerke zu erwarten, als sich ihrem Vorrücken zu widersetzen und nach dem glücklichen Vorgang der Franzosen bei dem Fort du Quesne einen kühnen Angriff auf die Heranrückenden zu wagen.

Nachdem sich die erste Bestürzung über diese Nachricht etwas gelegt hatte, verbreitete sich durch das verschanzte Lager, das dem Rande des Hudson entlang eine Reihe von Außenwerken des Forts selbst bildete, das Gerücht, ein auserlesenes Detachement von fünfzehnhundert Mann habe mit Tagesanbruch nach dem Fort William Henry, dem Posten auf dem nördlichen Ende des Bergrückens, abzugehen. Was anfangs bloß Gerücht war, wurde bald zur Gewissheit, da aus dem Quartier des Oberbefehlshabers an die verschiedenen von ihm zu diesem Dienste ausersehenen Corps die Order erging, sich zum schleunigen Abmarsch bereit zu halten. Jeder Zweifel über Webbs Absicht verschwand, und die nächsten paar Stunden sah man nichts denn eilige Fußtritte und bange Gesichter. Der Neuling in der Kriegskunst flog von Punkt zu Punkt, seine eigenen Vorbereitungen durch das Übermaß eines ungestümen und etwas unordentlichen Eifers hemmend, während der erfahrenere Krieger seine Vorkehrungen mit einer Besonnenheit traf, die allen Anschein der Eile verschmähte, obwohl seine ernsten Züge und sein unruhiges Auge verrieten, dass er keine besondere Lust zu dem noch unversuchten, gefürchteten Krieg in der Wildnis in sich verspürte. Endlich sank die Sonne in einer Flut von Glorie hinter die entfernten westlichen Hügel, und als die Finsternis ihren Schleier um den abgeschiedenen Ort zog, verstummte allmählich das Geräusch der Zurüstung. Das letzte Licht verschwand endlich aus dem Blockhauszimmer eines Offiziers; die Bäume warfen tiefere Schatten auf die Wälle und den kräuselnden Strom, und bald herrschte in dem Lager so tiefe Stille als in dem Walde umher.

Gemäß den Befehlen der vorigen Nacht unterbrach das Wirbeln der Lärmtrommeln, deren schallendes Echo in der feuchten Morgenluft aus jeder Richtung der Wälder widertönte, den tiefen Schlaf des Heeres, als eben der Tag die rohen Umrisse einiger hoher Fichten in der Nähe an den Glanz eines milden, wolkenlosen östlichen Himmels zu zeichnen begann. Im Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Selbst der niedrigste Soldat sprang von seinem Lager auf, um Zeuge von dem Abmarsche seiner Kameraden und den aufregenden Vorfällen des Augenblicks zu sein. Die kleine auserlesene Truppe hatte sich bald in Marschordnung aufgestellt. Während die regulären, geübteren Soldaten des Königs sich stolz auf den rechten Flügel zogen, nahmen minder anspruchsvolle Pflanzer ihre bescheidenere Stellung auf dem linken mit einer Gewandheit ein, die lange Übung ihnen zu Eigen gemacht hatte. Die Patrouillen brachen auf, starke Bedeckungen zogen vor und hinter den schwerfälligen Gepäckwagen, und ehe das graue Zwielicht den Strahlen der Sonne gewichen war, schwenkte sich das Hauptcorps der Streiter in eine Kolonne und verließ das Lager mit einem Anschein militärischen Stolzes, welcher die schlummernden Besorgnisse manches Neulings beschwichtigte, der seine erste Waffenprobe machen sollte. Solange sie im Angesichte ihrer sie bewundernden Kameraden waren, behielten sie dieselbe stolze Haltung, dieselbe Ordnung bei, bis die Töne ihrer Querpfeifen immer mehr verklangen und der Wald endlich die lebendige Masse zu verschlingen schien, welche er eben langsam in seinen Schoss aufgenommen hatte.

Die tiefsten Töne der sich entfernenden und bereits dem Blicke entschwundenen Kolonne erreichten nicht mehr das Ohr der Horcher, und die letzten Nachzügler waren schon den Augen entrückt. Aber immer noch sah man Anstalten zu einer anderen Abreise vor einem Blockhause von ungewöhnlichem Umfang und mit größeren Bequemlichkeiten, vor welchem Schildwachen, die, wie man wusste, die Person des englischen Generals zu bewachen hatten, auf- und abgingen. Auf dieser Stelle stand ein halb Dutzend Pferde beisammen, von denen zwei, nach ihrem Sattelzeug zu urteilen, für Frauen von einem Rang bestimmt zu sein schienen, den man sonst nicht so weit in den Wildnissen des Landes zu treffen gewohnt war. Ein drittes trug das Geschirr und die Wappen eines Stabsoffiziers, während die anderen, mit einfachen Decken und mit Reisetaschen beschwert, offenbar für Diener bestimmt waren, welche bereits der Winke ihrer Herrschaften gewärtig standen. In ehrerbietiger Entfernung von dieser Szene sah man verschiedene Gruppen neugieriger Zuschauer stehen, von denen einige die Rasse und den Wuchs des feurigen Schlachtrosses bewunderten, andere mit der einfältigen Verwunderung gewöhnlicher Neugierde diese Zubereitungen betrachteten. Von Letzteren unterschied sich jedoch auffallend ein Mann, der weder müßig, noch auch, wie es schien, sehr unwissend war.

Das Äußere dieses Menschen machte einen höchst ungünstigen Eindruck, ohne dass jedoch eine besondere Missgestaltung an ihm zu bemerken war. Er hatte alle Gebeine und Gelenke anderer Leute, aber keine Spur von Ebenmaß. Stand er, so überragte er alle Nachbarn, saß er, so schien er wieder auf die gewöhnliche Größe unseres Geschlechts reduziert. Derselbe Widerspruch in den Gliedern schien durch den ganzen Menschen zu herrschen. Sein Kopf war groß; seine Schultern eng; seine Arme lang und schlotternd; seine Hände dagegen klein und fast zart; seine Beine und Schenkel dünn, fast ausgemergelt, aber außerordentlich lang, und seine Knie wären unnatürlich plump erschienen, wenn sie nicht von den breiteren Grundlagen, auf welcher dieser falsche Bau verkehrter menschlicher Ordnung ruhte, übertroffen worden wären. Der nicht zusammenpassende, geschmacklose Anzug des Individuums diente bloß dazu, sein linkisches Wesen noch mehr hervorzuheben. Ein himmelblauer Rock mit kurzen, breiten Schößen und niederem Kragen gab einen langen, dünnen Hals und noch längere, dünnere Beine den schlimmsten Bemerkungen Übelwollender preis. Seine untere Bekleidung bestand aus gelbem Nanking, der sich dicht am Leibe anschloss und an seinen Ungeheuern von Knien mit breiten Schleifen weißer Bänder befestigt war, welche durch den Gebrauch ziemlich beschmutzt erschienen. Dunkle, baumwollene Strümpfe und Schuhe, an deren einem ein versilberter Sporn hervorstand, vollendeten das Kostüm der Niederungen seiner Gestalt: Keine Krümmung oder Ecke war davon versteckt, im Gegenteil durch die Eitelkeit oder die Einfalt des Eigentümers geflissentlich ans Licht gestellt. Die unförmige Tasche eines beschmutzten Kamisols von gewirkter Seide, mit verblichenen Silberborten schwerfällig verziert, ließ unter ihrer unförmigen Klappe ein Instrument blicken, das in solch kriegerischer Umgebung leicht für ein Unheil bringendes, unbekanntes Kriegsgerät hätte genommen werden können. So klein es war, so hatte es doch die Neugierde der meisten Europäer in dem Lager erregt, obgleich man mehrere der Provinzialen dasselbe nicht bloß ohne Furcht, sondern auch als etwas ganz Bekanntes handhaben sah. Ein großer, bürgerlicher Hut, aufgestülpt wie ihn in den letzten dreißig Jahren die Geistlichen trugen, ruhte über dem Ganzen und verlieh Würde einem gutmütigen, etwas leeren Gesicht, das solch künstlicher Hilfe sichtlich bedurfte, um das Gewicht eines hohen und ungewöhnlichen Amtes zu unterstützen.

Während der gemeine Haufe sich in ehrerbietiger Entfernung von Webbs Quartiere hielt, ging unser Mann unbedenklich mitten unter den Dienern umher, indem er Lob oder Tadel über die Pferde ausdrückte, so wie sie ihm missfielen oder seinen Beifall hatten.

»Freund, ich möchte fast sagen, dieses Tier stammt nicht aus heimischer Zucht, sondern ist aus fremden Landen, vielleicht gar von der kleinen Insel über dem blauen Wasser gekommen?«, sprach er in einem Ton, der sich ebenso wohl durch seine Milde und Sanftheit, als seine Person durch ihre seltsamen Verhältnisse auszeichnete. »Ich kann von diesen Dingen sprechen, ohne eben zu prahlen: Denn ich bin drunten an beiden Häfen gewesen, dem, welcher an der Mündung der Themse liegt und nach der Hauptstadt Altenglands benannt wird, und dem anderen, der noch den Beisatz des Neuen führt, und hab’ gesehen, wie die Zweimaster und Brigantinen ihre Herden, wie man’s einst bei der Arche tat, zusammentrieben, da sie nach der Insel Jamaica mussten, um dort mit vierfüßigen Tieren Tausch- und anderen Handel zu treiben; aber nie habe ich je ein Tier gesehen, das so sehr dem Schlachtross in der Bibel gleicht, wie dieses: ›es scharrt in dem Tal und freut sich seiner Stärke; es stürmt heran, um den Geharnischten zu begegnen. Es ruft unter den Trompeten: Ha, ha! und riecht die Schlacht von ferne, den Donnerruf der Führer und das Jauchzen.‹ Man sollte meinen, die Rosse Israels hätten sich bis auf unsere Zeit fortgepflanzt, nicht wahr, Freund?«

Als er auf diese ungewöhnliche Anrede, die, mit aller Kraft voller und klangreicher Töne vorgebracht, wohl einige Aufmerksamkeit verdient hätte, keine Erwiderung erhielt, so wandte er, der jene Worte der heiligen Schrift entlehnt hatte, sich an die schweigende Gestalt, die er absichtslos angeredet hatte, und fand einen neuen und mächtigeren Gegenstand der Bewunderung in dem Wesen, das seinem Blicke begegnete. Seine Augen fielen auf die schweigsame, aufrechte und starre Gestalt des indianischen Läufers, der die unwillkommene Nachricht vom vorigen Abend ins Lager gebracht hatte. Obgleich der Wilde, im Zustande vollkommener Ruhe, dem Anschein nach mit charakteristischem Stoizismus, die Aufregung und das Geräusch umher nicht beachtete, so lag doch in seiner Ruhe ein mürrischer Trotz, der die Aufmerksamkeit selbst erfahrener Augen auf sich gezogen hätte, als diejenigen waren, welche ihn jetzt mit unverhohlenem Erstaunen betrachteten. Der Eingeborene trug den Tomahawk und das Messer seines Stammes; und doch war sein Aussehen nicht ganz das eines Kriegers. Im Gegenteil sprach sich in seiner Erscheinung eine gewisse Nachlässigkeit aus, wie es schien die Folge von kürzlicher Anstrengung, von der er sich noch nicht ganz erholt haben mochte. Die Farben auf seinem nach Kriegerart bemalten, wilden Gesichte waren in dunkler Verwirrung ineinander geflossen und machten seine schwärzlichen Gesichtszüge noch wilder und abstoßender, als wenn die Kunst hervorzubringen versucht hätte, was hier der bloße Zufall getan. Sein Auge allein, das gleich einem feurigen Stern unter finsteren Wolken hervorblitzte, war in seiner natürlichen Wildheit zu schauen. Einen Augenblick nur begegnete sein forschender und doch vorsichtiger Blick dem verwunderten Auge des anderen, wandte sich dann teils aus Schlauheit, teils mit Verachtung ab und stierte dahin, als wollte er die fernen Lüfte durchdringen.

Es lässt sich nicht wohl bestimmen, welche Bemerkung dieser kurze und schweigsame Augenverkehr zwischen zwei so seltsamen Menschen dem weißen Manne entlockt haben würde, wäre nicht seine Neugierde auf andere Gegenstände gerichtet worden. Eine allgemeine Bewegung unter den Dienern und leise Töne zarter Stimmen kündigten die Annäherung derjenigen an, deren Gegenwart allein es bedurfte, um den Zug in Bewegung zu setzen. Der schlichte Bewunderer des Schlachtrosses wich sogleich zu einer kleinen, mageren Stute mit langem, dünnen Schwanze zurück, welche das welke Gras des Lagers in der Nähe hin und wieder abweidete. Mit dem Ellbogen auf die Decke gelehnt, die statt des Sattels diente, blieb er hier ein Zuschauer der Abreise, während ein Füllen auf der entgegengesetzten Seite des Tiers ganz ruhig seinen Morgenimbiss einnahm.

Ein junger Mann in der Uniform eines Offiziers führte zwei Damen, welche, nach ihrem Anzug zu urteilen, im Begriff waren, den Anstrengungen einer Reise in den Wäldern sich zu unterziehen, zu ihren Rossen. Eine, und wie es schien die jugendlichere, obgleich beide noch jung waren, vergönnte einen flüchtigen Blick auf ihr blendend weißes Gesicht, ihr schönes goldenes Haar und ihre lichten blauen Augen, indem sie die Morgenluft den grünen Schleier, der langsam von ihrem Biberhut herabfloß, kunstlos beiseite wehen ließ. Das Rot, welches noch über den Fichten am westlichen Himmel verweilte, war nicht glühender noch zarter als die Blüte ihrer Wangen, und der anbrechende Tag nicht lieblicher als das seelenvolle Lächeln gegen den Jüngling, der ihr in den Sattel half. Die andere Dame, welche gleichfalls die Aufmerksamkeiten des jungen Offiziers zu teilen schien, verbarg ihre Reize vor dem neugierigen Blicke der Soldateska mit einer Sorgfalt, die sich für vier oder fünf Jahre weiterer Erfahrung besser geschickt hätte. So viel konnte man jedoch sehen, dass sie, obschon von gleich ausgezeichnetem Ebenmaß, das durch ihren Reiseanzug nichts an Grazie verlor, eher voller und ausgebildeter war als ihre Begleiterin.

Die Damen saßen kaum zu Pferde, als ihr Begleiter sich leicht in den Sattel seines Schlachtrosses schwang. Alle drei verbeugten sich jetzt gegen Webb, welcher ihren Abgang höflich auf der Schwelle seiner Wohnung erwartete, und ihrer Rosse Häupter wendend, ritten sie in einem langsamen Passgang, von ihrer Dienerschaft gefolgt, nach dem nördlichen Eingang der Verschanzungen.

Auf dieser kleinen Strecke ließ sich unter ihnen kein Ton vernehmen; ein leichter Ausruf entfuhr aber der jüngeren Dame, als der indianische Läufer unerwartet an ihr vorüberglitt und vor ihnen auf der Heerstraße dahineilte. Obgleich diese plötzliche und überraschende Erscheinung des Indianers der anderen keinen Laut entlockte, so öffnete doch ihr Schleier seine Falten und verriet einen unbeschreiblichen Blick des Mitleids, der Verwunderung und des Entsetzens, während ihr schwarzes Auge den leichten Bewegungen des Wilden folgte. Die Locken dieser Lady waren glänzend schwarz, gleich dem Gefieder des Raben. Ihre Haut war nicht braun, sondern eher in die Farbe südlichen Blutes getaucht, das seine Grenzen zu durchbrechen drohte. Und doch war hier nichts Unedles, kein Mangel an Schattierung in einem Gesichte, das ungemein regelmäßig, würdevoll und ausnehmend schön genannt werden konnte. Sie lächelte, als bemitleidete sie ihre eigene augenblickliche Vergesslichkeit und zeigte dabei eine Reihe Zähne, die das reinste Elfenbein beschämt haben würden, worauf sie, ihren Schleier wieder zurechtbringend, ihr Gesicht vorwärts beugte und stillschweigend dahinritt, wie jemand, dessen Gedanken von der ihn umgebenden Szene abgezogen sind.

2

Sola, sola, so, so, so, sola!

WILLIAM SHAKESPEARE

Während die eine der liebenswürdigen Damen, mit denen wir unsere Leser flüchtig bekannt gemacht, so in Gedanken vertieft war, hatte sich die andere schnell von dem leichten Schrecken erholt, der jenen Ausruf veranlasste, und über ihre eigene Schwäche lachend, fragte sie den jungen Mann, der ihr zu Seite ritt:

»Sind solche Gespenster häufig in diesen Wäldern, Heyward, oder ist das ein Schauspiel, das uns zuliebe gegeben wurde? Wenn Letzteres der Fall ist, so muss uns Dankbarkeit den Mund schließen; im ersteren Fall bedürfen Cora und ich eines reichen Vorrates von jenem ererbten Mute, dessen wir uns rühmen, selbst ehe wir noch dem gefürchteten Montcalm begegnen.«

»Der Indianer dort ist ein Läufer von dem Heere, und kann in der Weise seines Volkes für einen Helden gelten«, versetzte der Offizier. »Er hat sich erboten, uns auf einem nur wenig gekannten Pfade schneller und folglich angenehmer nach dem See zu bringen, als wenn wir den langsamen Bewegungen des Heeres folgten.«

»Der Mensch gefällt mir nicht«, sprach die Lady, von angenommenem, noch mehr aber von wirklichem Schrecken schaudernd. »Sie kennen ihn doch genau, Duncan, sonst würden Sie sich nicht so unbedenklich seiner Führung anvertrauen?«

»Sagen Sie lieber, Alice, ich würde Sie ihm nicht anvertrauen. Ich kenne ihn, sonst würde ich ihm am wenigsten in diesem Augenblicke vertrauen. Man sagt, er sei auch ein Kanadier – und doch diente er unseren Freunden, den Mohawks, die, wie Sie wissen, eine der sechs verbündeten Indianer-Nationen sind. Er wurde, wie ich hörte, durch einen seltsamen Vorfall zu uns gebracht, bei dem Ihr Vater beteiligt war, und wobei der Wilde hart behandelt wurde – aber ich vergaß das Geschichtchen, genug, er ist jetzt unser Freund.«

»Wenn er meines Vaters Feind war, so gefällt er mir noch viel weniger!«, rief das nun wirklich erschrockene Mädchen. »Wollen Sie nicht mit ihm sprechen, Major Heyward, dass ich seine Stimme höre. Es ist vielleicht eine Torheit, aber Sie haben schon oft von mir gehört, dass ich auf den Ton der Menschenstimme gehe.«

»Das würde vergeblich sein, und höchstwahrscheinlich nur durch einen Ausruf beantwortet werden. Wenn er auch Englisch versteht, so tut er doch, wie die meisten seines Volkes, als verstünde er nichts davon, und am wenigsten wird er sich herablassen, jetzt zu sprechen, da der Krieg ihn zur strengsten Behauptung seiner Würde auffordert. Aber er hält inne: Der geheime Weg, den wir einschlagen sollen, ist wahrscheinlich hier in der Nähe.«

Die Vermutung Major Heywards war richtig. Als sie zu der Stelle kamen, wo der Indianer stand, wies er auf ein Dickicht zur Seite der Heerstraße, und ein schmaler, unansehnlicher Pfad, der, wenn auch mit einiger Unbequemlichkeit, eine Person aufnehmen konnte, wurde sichtbar.

»Dahin also«, sprach der junge Mann mit gedämpfter Stimme, »geht unser Weg. Zeigen Sie kein Misstrauen, oder Sie locken selbst die Gefahr herbei, die Sie zu fürchten scheinen.«

»Cora, was denkst du?«, fragte die widerstrebende Schöne. »Wenn wir mit den Truppen reisen, werden wir nicht, obgleich wir ihre Gegenwart lästig finden müssten, über unsere Sicherheit beruhigter sein können?«

»Da Sie mit den Kunstgriffen der Wilden zu wenig bekannt sind, Alice, so wissen Sie nicht, wo die Gefahr am größten ist«, fiel Heyward ein. »Wenn die Feinde überhaupt schon den Trageplatz erreicht haben, was keineswegs wahrscheinlich ist, da unsere Kundschafter draußen sind, so gehen sie sicherlich darauf aus, die Kolonne zu umzingeln, weil es hier am meisten zu skalpieren gibt. Die Straße des Detachements ist bekannt, während unser Weg, welchen einzuschlagen erst vor einer Stunde beschlossen ward, noch ein Geheimnis sein muss.«

»Sollen wir dem Mann misstrauen, weil seine Sitten nicht die unseren sind, und seine Haut dunkel?«, fragte kaltblütig Cora.

Alice zögerte nicht länger; sie gab ihrem Narraganset einen tüchtigen Schlag mit der Reitgerte, drückte zuerst die dünnen Zweige der Gebüsche beiseite und folgte dem Läufer den dunkeln, verschlungenen Pfad entlang. Der junge Mann betrachtete die letzte Sprecherin mit unverhohlener Bewunderung und ließ ihre schönere, oder zum Mindesten nicht weniger schöne Gefährtin ohne Begleitung, während er eifrig einen Weg für jene bahnte, welche Cora genannt worden war. Die Diener mussten vorher ihre Weisungen erhalten haben, denn statt mit in das Dickicht einzudringen, folgten sie auf der Heerstraße der Kolonne, eine Maßnahme, welche nach Heywards Angabe der Scharfsinn ihres Führers angeraten hatte, um nicht zu viel Spuren von sich zu hinterlassen, für den Fall, dass die kanadischen Wilden sich etwa so weit dem Heere voraus in Hinterhalt legten. Mehrere Minuten lang erlaubte der verschlungene Weg keine weitere Unterhaltung. Jetzt aber gelangten sie aus dem breiten Saume des Unterholzes, das sich die Heerstraße entlang erstreckte, unter das hohe und dunkle Bogendach der Waldbäume. Hier war ihr Vordringen weniger unterbrochen, und sobald der Führer merkte, dass die Damen über ihre Pferde freier verfügen konnten, schlug er einen stärkeren trottartigen Schritt an, der die sicherfüßigen Tiere in einen schnellen, aber leichten Passgang versetzte. Der junge Mann hatte sich umgewendet, um mit der schwarzäugigen Cora zu sprechen, als ihn entfernte Hufschläge, die über die Wurzeln des holprigen Weges hinter ihnen daherstampften, veranlassten, sein Schlachtross anzuhalten. Auch seine Begleiterinnen hielten in demselben Augenblick ihre Zügel an, die ganze Partie machte Halt, um Aufschluss über die unerwartete Unterbrechung zu erhalten.

In wenigen Augenblicken sah man ein Füllen wie einen Damhirsch durch die geraden Fichtenstämme schlüpfen und gleich darauf die Person des unbeholfenen Mannes, den wir in dem vorigen Kapitel beschrieben haben, zum Vorschein kommen, wie er sein mageres Tier zu so viel Eile antrieb, als dieses ertragen konnte, ohne dass es zu einem förmlichen Sturze kam. Bis jetzt war diese Persönlichkeit der Beobachtung unserer Reisenden entgangen. Besaß er die Macht, das Auge des Wanderers zu fesseln, wenn er zu Fuß die volle Glorie seiner Körperhöhe entfaltete, so musste die Grazie des Reiters die gleiche Aufmerksamkeit erregen. Trotz der beständigen Tätigkeit der einen bewaffneten Ferse gegen die Seite seiner Stute war doch der stärkste Lauf, in den er sie bringen konnte, ein leichter Galopp mit den Hinterbeinen, in welchen die vorderen nur in zweifelhaften Momenten mit einstimmten, gemeinhin aber sich begnügten, einen hüpfenden Trott einzuhalten. Vielleicht brachte der schnelle Wechsel dieser Bewegungen eine optische Täuschung hervor, welche die Kräfte des Tiers scheinbar vergrößerte. Denn so viel ist gewiss, das Heyward, der doch ein scharfes Auge für die Verdienste der Pferde hatte, bei allem Scharfsinn nicht imstande war zu entscheiden, durch welcherlei Bewegung sein Verfolger die Krümmungen des Weges mit so ausdauernder Kühnheit zurücklegte.

Der Eifer und die Bewegungen des reitenden Teils waren nicht minder merkwürdig als die seines Rosses. Bei jedem Wechsel der Evolutionen des Letzteren erhob der Erstere seine hagere Gestalt in den Bügeln und bewirkte durch die ungebührliche Verlängerung seiner Beine ein so plötzliches Wachsen und Zusammensinken seiner Gestalt, dass jede Vermutung über seine eigentlichen Dimensionen vereitelt wurde. Fügen wir noch die Tatsache hinzu, dass durch den einseitigen Gebrauch des Sporns eine Seite der Mähre sich schneller zu bewegen schien als die andere, und dass die misshandelte Flanke durch unablässige Schläge mit dem buschigen Schwanze bezeichnet ward, so haben wir das treue Bild von Ross und Mann.

Die Runzeln, welche sich um die schöne, offene und männliche Stirn Heywards gesammelt hatten, glätteten sich allmählich, und um seine Lippen kräuselte ein leichtes Lächeln, als er den Fremden betrachtete. Alice strengte sich nicht eben an, ihre Heiterkeit zu unterdrücken, und selbst das schwarze, sinnige Auge Coras erglänzte von einer Laune, welche mehr Gewohnheit als die augenblickliche Stimmung seiner Gebieterin zu bewältigen schien.

»Suchen Sie jemand?«, fragte Heyward, als der andere nahe genug gekommen war, um seine Eile zu mäßigen, »ich hoffe, Sie sind kein Unglücksbote.«

»Ja gewiss«, erwiderte der Fremde, indem er fleißigen Gebrauch von seinem dreieckigen Biberhut machte, um eine Zirkulation in der geschlossenen Luft des Waldes zu bewirken, und seine Zuhörer in Zweifel ließ, auf welche der Fragen des jungen Mannes er antwortete. Als er jedoch sein Gesicht abgekühlt hatte und wieder zu Atem gekommen war, fuhr er fort: »Ich höre, Sie reiten nach William Henry, und da ich ebendahin reise, so schloss ich, gute Gesellschaft würde mit den Wünschen beider Parteien zusammentreffen.«

»Sie scheinen das Vorrecht der entscheidenden Stimme zu haben«, erwiderte Heyward; »wir sind unser drei, und Sie haben niemand als sich selbst zu Rat gezogen.«

»Gewiss. Das Erste, worüber wir im Reinen sein müssen, sind wir selbst. Ist man dessen gewiss – und wo Weiber mit im Spiel sind, ist dies nichts Leichtes – so ist das Nächste, dem Entschlusse gemäß zu handeln. Ich suchte beides zu tun und hier bin ich.«

»Wenn Sie nach dem See reisen«, versetzte Heyward stolz, »dann sind Sie nicht auf dem rechten Wege, die Straße liegt wenigstens eine halbe Meile hinter uns.«

»So ist es«, erwiderte der Fremde, durch den kalten Empfang nicht entmutigt. »Ich habe mich in Edward eine Woche aufgehalten und müsste stumm sein, wenn ich mich nicht nach dem Weg, den ich zu nehmen habe, erkundigt hätte; und wäre ich stumm, so hätt’s auch mit meinem Beruf ein Ende.«

Er lächelte vor sich hin, wie einer, dem die Bescheidenheit verbietet, seine Bewunderung über einen zum Besten gegebenen, den Zuhörern aber unverständlichen Witz offen darzulegen, und fuhr dann fort: »Es ist nicht klug bei Leuten von meinem Beruf, mit denen, welche sie zu unterrichten haben, sich zu gemein zu machen: Deshalb folge ich nicht dem Heereszug; zudem glaube ich, dass ein Gentleman Ihres Standes am besten zu reisen weiß, und habe mich daher entschlossen, Ihnen Gesellschaft zu leisten, damit der Weg durch gegenseitige Mitteilung unterhaltender werde.«

»Ein äußerst willkürlicher, wo nicht voreiliger Entschluss!«, rief Heyward, unentschlossen, ob er seinem steigenden Ärger Luft machen oder dem Sprecher ins Gesicht lachen sollte. »Aber Sie reden vom Unterrichten und von Beruf; sind Sie dem Provinzialcorps beigegeben als Lehrer in der edlen Kunst der Verteidigung und des Angriffs? Oder sind Sie vielleicht einer, der Linien und Winkel zieht und vorgibt, die Mathematik auszulegen?«

Der Fremde sah den Frager einen Augenblick verwundert an, dann aber löste er jede Spur von Selbstzufriedenheit in einen Ausdruck feierlicher Demut auf und antwortete:

»Von Angriff ist, hoffe ich, auf keiner Seite die Rede. Was die Verteidigung betrifft, so brauch’ ich mich nicht zu verteidigen. Mit Gottes Gnade habe ich keine offenbare Sünde begangen, seitdem ich ihn zum letzten Mal um Vergebung gebeten. Ich verstehe Ihre Anspielungen auf Linien und Winkel nicht und überlasse das Auslegen denen, die besonders zu diesem heiligen Amte berufen sind. Ich mache auf keine höhere Gabe Anspruch, als auf eine geringe Einsicht in die glorreiche Kunst des Lobgesangs und Danksagens, wie sie bei dem Psalmsingen dem Himmel dargebracht werden.«

»Der Mann ist offenbar ein Schüler Apollos«, rief die belustigte Alice, »und ich nehme ihn unter meine spezielle Protektion. Nein, weg mit diesen Runzeln, Heyward, aus Mitleid für meine neugierigen Ohren lassen Sie ihn in unserem Gefolge reisen. Überdies«, fuhr sie in gedämpftem und hastigem Tone mit einem Blick auf die entfernte Cora, welche langsam den Tritten ihres schweigsamen und düsteren Führers folgte, fort, »kann er vielleicht als Freund im Falle der Not unsere Kräfte verstärken.«

»Glauben Sie, Alice, ich würde diejenigen, die ich liebe, auf einen geheimen Pfad führen, wenn ich mir dächte, dass eine solche Not kommen könnte?«

»Nein, nein, ich denke jetzt auch nicht daran; aber dieser seltsame Mann belustigt mich, und wenn er ›Musik in seiner Seele hat‹, so wollen wir ihn nicht lieblos aus unser Gesellschaft verweisen.« Sie deutete mit ihrer Reitgerte bittend nach dem Pfade hin, indes beider Augen in einem Blicke sich begegneten, den der junge Mann gerne verlängert hätte; dann gab er ihrem begütigenden Einfluss nach, stieß seinem Rosse die Sporen ein, und in wenigen Sprüngen war er wieder an Coras Seite.

»Es freut mich, dich zu treffen, Freund«, fuhr Alice fort, dem Fremden mit der Hand winkend, weiterzureiten, indem sie ihr Pferd wieder in einen Pass zu bringen suchte. »Parteiische Verwandte haben mich beinahe überredet, dass ich bei einem Duett nicht übel anstehen könne, und wir erheitern uns den Weg, wenn wir unserer Lieblingsneigung etwas nachgeben. Es wird einem Wesen, das so unwissend ist wie ich, zu besonderem Vorteil gereichen, die Meinungen und Erfahrungen eines Meisters in der Kunst zu vernehmen.«

»Es ist erfrischend für Geist und Leib, sich zu seiner Zeit durch Singen von Psalmen zu erquicken«, erwiderte der Meister im Gesang, indem er unbedenklich ihrer Einladung folgte, »und nichts dürfte dem Gemüt so wohl tun als eine solche Vereinigung. Aber vier Stimmen sind erforderlich, um eine Melodie gehörig auszuführen. Nach allen Anzeigen besitzen Sie einen sanften und vollen Diskant; ich kann, durch absonderliche Gunst des Himmels, einen vollen Tenor auf die höchste Note führen; aber es fehlt uns noch ein Alt und ein Bass! Der königliche Offizier dort, welcher mich nicht in seine Gesellschaft aufnehmen wollte, könnte den Letzteren übernehmen, wenn ich nach den Intonationen seiner Stimme im gewöhnlichen Gespräche schließen darf.«

»Urteilen Sie nicht zu voreilig nach flüchtigen und täuschenden Scheinbarkeiten«, entgegnete lächelnd das Mädchen, »wenn Major Heyward auch bei Gelegenheit solche tiefe Töne anstimmen kann, so glauben Sie mir, dass seine natürliche Stimme sich mehr zu einem weichen Tenor als für den Bass eignet, den Sie gehört haben.«

»Ist er also im Psalmsingen besonders erfahren?«, fragte ihr schlichter Begleiter.

Alice hätte gern laut aufgelacht, bezähmte aber ihre Laune, als sie antwortete:

»Ich fürchte, er hält es mehr mit weltlichem Gesang. Das wechselnde Soldatenleben ist wenig geeignet, ernstere Neigungen zu begünstigen.«

»Die Stimme ist dem Menschen, wie andere Talente, zum Gebrauch, nicht zum Missbrauch gegeben. Mir kann niemand nachsagen, dass ich je meine Gaben vernachlässigt habe. Ich danke Gott, dass, obgleich ich schon meine Jugend, wie König David, der Musik gewidmet habe, kein profaner Vers jemals meine Lippen entweihte.«

»So haben Sie denn Ihre Kunstversuche auf den heiligen Gesang beschränkt?«

»Ja. Wie die Psalmen Davids jede andere Sprache weit übertreffen, so übertrifft auch die Psalmodie, welche von den Gottesgelehrten und Weisen des Landes ihnen angepasst worden ist, alle weltliche Poesie. Glücklicherweise darf ich sagen, dass ich nur die Gedanken und die Wünsche des Königs von Israel selbst ausspreche: Denn wenn auch die Zeiten einige unbedeutende Veränderungen erheischen, so übertrifft doch die Übertragung, deren wir uns in den Kolonien von Neu England bedienen, jede andere so weit, dass sie durch ihre Fülle, ihre Genauigkeit und ihre geistliche Einfalt dem großen Werke des begeisterten Dichters möglichst nahe kommt. Nie bleibe ich schlafend oder wachend an einem Ort, ohne ein Exemplar dieses hochbegabten Buches bei mir zu haben. Es ist die sechsundzwanzigste Edition, herausgegeben zu Boston Anno Domini, 1744, und führt die Aufschrift: Psalmen, Hymnen und geistliche Gesänge des Alten und Neuen Testaments, getreu übertragen in das englische Versmaß, zur Erbauung und zum Troste der Heiligen, zu öffentlichem und Privatgebrauch, besonders in Neu England.«

Während dieser Lobpreisung auf das seltene Produkt seiner heimischen Dichter hatte der Fremde das Buch aus seiner Tasche gezogen, eine in Eisen gefasste Brille auf seine Nase gesetzt und das Buch mit einer Sorgfalt und Verehrung geöffnet, welche seinen heiligen Zwecken ganz angemessen war. Dann sprach er, ohne weitere Einleitung und Apologie, zuerst das Wort »Antreten« aus, setzte das bereits erwähnte unbekannte Instrument an den Mund und brachte damit einen hohen, schrillen Ton hervor, dem er eine Oktave niedriger mit seiner eigenen Stimme folgte. Nun begann er die folgenden Worte in vollen, süßen und melodischen Tönen, welche der Musik, der Poesie und selbst der unbehaglichen Bewegung seines ungezogenen Kleppers Hohn zu sprechen schienen, abzusingen:

O sieh, wie fein und lieblich

Es ist, wie’s Gott gefällt,

Wenn mit dem Bruder treulich

Der Bruder Frieden hält.

Es gleicht der Salben bester,

Die vom Haupt zum Barte floss,

Auf Aarons Bart herunter,

Bis zu des Kleides Schoß.

Die Absingung dieser kunstreichen Reime begleitete der Fremde mit einem regelmäßigen Steigen und Fallen seiner rechten Hand. Beim Senken ließ er seine Finger einen Augenblick auf den Blättern des kleinen Buches ruhen, während er das Steigen mit einem Schnörkelschlag dieses Gliedes begleitete, welchen nachahmen zu können niemand als der Eingeweihte hoffen durfte. Es wollte scheinen, als ob lange Angewöhnung diese Begleitung der Hand notwendig gemacht hätte, denn sie hörte nicht auf, bis die Präposition, welche der Poet für den Schluss seines Verses gewählt hatte, getreulich abgesungen war.

Eine solche Unterbrechung der Stille des einsamen Waldes konnte nicht verfehlen, sich dem Ohre derer, die nur eine kleine Strecke vorauszogen, bemerklich zu machen.

Der Indianer murmelte einige Worte in gebrochenem Englisch gegen Heyward, welcher seinerseits mit dem Fremden sprach, seine musikalischen Versuche unterbrechend und zugleich beendigend.

»Obgleich wir nicht in Gefahr sind, so rät uns schon die gewöhnliche Klugheit, durch diese Wildnis in möglichster Stille zu reisen. Sie werden mir also verzeihen, Alice, wenn ich Ihre Genüsse beeinträchtige, indem ich diesen Herrn ersuche, seinen Gesang auf eine sicherere Gelegenheit aufzusparen.«

»Sie beeinträchtigen sie in der Tat«, versetzte das schelmische Mädchen, »nie hörte ich eine unwürdigere Verbindung zwischen Musik und Sprache, als die, der ich soeben lauschte; und ich hatte mich schon in eine Untersuchung über die Ursachen einer solchen Disharmonie zwischen Ton und Sinn vertieft, als Sie den Zauber meiner Träumereien durch Ihren Bass zerstörten, Duncan.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen Bass nennen«, entgegnete Heyward, empfindlich über ihre Bemerkung, »aber so viel weiß ich, dass Ihre und Coras Sicherheit mir viel teurer ist als ein Orchester von Händels Musik.« Er schwieg, kehrte plötzlich sein Auge gegen das Dickicht und heftete sie dann auf ihren Führer, welcher in ungestörter Ernsthaftigkeit den gleichen Schritt einhielt. Der junge Mann lächelte über sich selbst, denn er glaubte, er habe eine glänzende Waldbeere für die glühenden Augäpfel eines herumstreichenden Wilden genommen, und ritt weiter, indem er die Unterhaltung fortsetzte, welche durch jenen flüchtigen Gedanken unterbrochen worden war.

Major Heyward hatte sich nur insofern getäuscht, als er sich durch seinen jugendlichen und hochsinnigen Stolz von weiterer Nachforschung abhalten ließ. Der Zug war noch nicht lang vorüber, als die Zweige des Gebüsches, welche das Dickicht bildeten, vorsichtig auseinander gebogen wurden, und ein Menschengesicht, so trotzig und furchtbar als wilde Kunst und ungebändigte Leidenschaften es machen konnten, den sich entfernenden Fußtritten der Reisenden nachblickte. Ein Strahl des Frohlockens schoss über die dunkelbemalten Gesichtszüge des Waldbewohners, als er sah, welche Richtung seine arglosen Schlachtopfer eingeschlagen hatten. Den lichten und anmutigen Gestalten der Frauen, welche zwischen den Bäumen dahinschwebten, folgte durch die Krümmungen des Weges die männliche Gestalt Heywards, bis schließlich die unförmige Person des Singmeisters unter den zahllosen Baumstämmen verschwand, die sich in düsteren Linien dazwischen erhoben.

3

Eh’ man die Felder noch gepflügt,

Voll bis zum Rand die Flüsse strömten.

Der Wasser Melodie erfüllt’

Den frischen, weiten Wald, es rauschten

Waldströme, und das Bächlein spielt’,

Und in dem Schatten sprangen Quellen.

WILLIAM CULLEN BRYANT

Wir lassen den argwohnlosen Heyward und seine ihm vertrauenden Begleiter noch tiefer in den Wald eindringen, der so verräterische Bewohner in sich schloss, und bedienen uns der Freiheit des Schriftstellers, die Szene einige Meilen weiter westlich von dem Orte, wo wir sie zuletzt gesehen haben, zu versetzen.

An jenem Tage schlenderten zwei Männer an dem Ufer eines kleinen, aber reißenden Stroms, ungefähr eine Tagesreise von dem Lager Webbs, als harrten sie der Ankunft eines Dritten, oder der Annäherung eines erwarteten Ereignisses. Das weite Laubdach des Waldes dehnte sich an dem Rande des Flusses aus, indem es das Wasser überhing und seine dunklen Fluten mit noch tieferem Dunkel überschattete. Die Strahlen der Sonne fingen bereits an schwächer zu werden, und die übermäßige Hitze des Tages sich zu mildern, während kühlere Dünste von Quellen aus ihren Laubbetten emporstiegen und sich mit der Atmosphäre vermischten. Immer noch herrschte in dieser Einsamkeit jene Stille, welche die drückende Schwüle einer amerikanischen Juli-Landschaft charakterisiert, und wurde nur von den leisen Stimmen der Männer, dem gelegentlichen, müden Picken eines Waldspechts, dem unharmonischen Schrei eines bunten Hähers oder dem dumpfen Rauschen eines entfernten Wasserfalls unterbrochen.

Diese schwachen und abgebrochenen Laute waren jedoch den Waldbewohnern zu vertraut, als dass sie ihre Aufmerksamkeit von dem interessanteren Gegenstand ihrer Unterhaltung abgezogen hätten. Während einer dieser müßigen Wanderer die rote Haut und den wilden Aufzug eines Eingeborenen der Wälder hatte, zeigte der andere unter der Hülle roher und fast wilder Bekleidung die hellere, wenngleich sonnenverbrannte und lang verwitterte Farbe eines, der auf europäische Abstammung Anspruch machen durfte. Der eine saß auf dem Rand eines bemoosten Baumstammes in einer Stellung, die ihm vergönnte, die Wirkung seiner ernsten Rede durch die ruhigen und ausdrucksvollen Gebärden des in einem Streitgespräche begriffenen Indianers zu erhöhen. Sein beinahe nackter Leib bot durch die verschlungene Mischung weißer und schwarzer Farbenzüge ein schreckliches Sinnbild des Todes dar. Sein kahl geschorener Kopf, auf dem kein anderes Haar als der wohl bekannte, ritterliche Skalpierschopf belassen worden, war ohne anderen Putz als eine einzige Adlerfeder, die über seinen Scheitel lief und auf die linke Schulter, herunterhing. Ein Tomahawk und ein Skalpiermesser von englischer Arbeit staken in seinem Gürtel, während eine Büchse von der Art, womit die Politik der Weißen ihre wilden Verbündeten bewaffnete, nachlässig über seinen bloßen, sehnigen Knien lag. Die gewölbte Brust, die vollgeformten Glieder und die ernste Haltung dieses Kriegers schienen anzudeuten, dass er sich in der Vollkraft seines Lebens befinde, ohne Spuren der Abnahme seiner Mannheit zu fühlen.

Die Gestalt des Weißen glich, nach den Körperteilen zu schließen, welche er nicht mit dem Kleide bedeckte, jemand, der seit seiner frühesten Jugend Mühseligkeiten zu ertragen und Anstrengungen zu machen gelernt hatte. Seine Person, obgleich muskulös, war eher mager als voll; aber jeder Nerv und Muskel schien gedrungen und durch unausgesetzte Anstrengung und Arbeit abgehärtet. Er trug ein waldgrünes Jagdhemd mit verwittertem Gelb besetzt, und eine Sommermütze von geschorenem Fell. Auch trug er ein Messer in einem Wampumgürtel, gleich dem, der die ärmliche Bekleidung des Indianers umschloss, aber keinen Tomahawk. Seine Mokassins waren nach der Weise der Eingeborenen verziert, während der einzige Teil seiner unteren Bekleidung, der unter dem Jagdrock sichtbar war, aus ein Paar bockledernen Gamaschen bestand, die, auf beiden Seiten verbrämt, über dem Knie mit Hirschsehnen befestigt waren. Eine Jagdtasche und ein Pulverhorn vollendeten seinen Anzug, und eine Büchse von großer Länge, welche die Theorie der erfahreneren Weißen die Waldbewohner als die gefährlichste Feuerwaffe betrachten ließ, lehnte an einem benachbarten Bäumchen. Das Auge des Jägers oder Kundschafters, was immer er sein mochte, war klein, lebhaft, scharf und unruhig, und rollte, während er sprach, in allen Richtungen umher, als ob er ein Jagdwild suchte oder die plötzliche Annäherung eines Feindes befürchtete. Trotz dieser Symptome gewohnten Misstrauens verriet sein Gesicht nicht nur keine Tücke, sondern trug in dem Augenblick, da er sprach, sogar das Gepräge offener Rechtlichkeit.

»Selbst eure Überlieferungen sprechen für mich, Chingachgook«, entgegnete er in einer Sprache, welche allen Eingebornen, die früher das Land zwischen dem Hudson und dem Potomac bewohnten, bekannt war, und von der wir zugunsten des Lesers eine freie Übersetzung geben, aber zugleich darauf Bedacht nehmen werden, einige Eigentümlichkeiten, sowohl des Individuums als des Ausdrucks beizubehalten. »Eure Väter kamen von der untergehenden Sonne her, gingen über den großen Fluss, kämpften mit dem Volke des Landes und nahmen dieses weg; die meinigen kamen vom roten Morgenhimmel über den Salzsee und taten ganz nach dem Beispiel, das die eurigen ihnen gegeben hatten. So lass denn Gott unsere Sache entscheiden, und Freunde darüber keine Worte verlieren.«

»Meine Väter fochten mit dem nackten roten Mann«, versetzte der Indianer ernst, in der nämlichen Sprache. »Ist kein Unterschied, Falkenauge, zwischen dem steingespitzten Pfeil des Kriegers und der bleiernen Kugel, womit ihr tötet?«

»Ein Indianer hat Verstand, wenn ihm die Natur eine rote Haut gegeben hat«, sprach der Weiße, den Kopf schüttelnd, gleich einem, bei dem eine solche Berufung auf seine Gerechtigkeit nicht weggeworfen war. Einen Augenblick schien es ihm, als ob er im Nachteil wäre; dann aber nahm er sich zusammen und beantwortete den Einwurf seines Gegners so gut, als seine beschränkten Kenntnisse ihm gestatteten. »Ich bin kein Schriftgelehrter und schere mich auch den Henker um ihre Weisheit; wenn ich aber nach dem urteile, was ich bei meinen Jagden auf die Hirsche und Eichhörnchen von den Burschen da unten gesehen habe, da sollt’ ich meinen, dass eine Büchse in den Händen ihrer Großväter nicht so gefährlich gewesen wäre als ein Bogen von Nussbaumholz und eine gute Feuersteinspitze sein mochten, wenn jener mit indianischer Umsicht gespannt und diese mit einem Indianerauge entsendet wurde.«

»Dir wurde die Geschichte so von deinen Vätern erzählt«, erwiderte der andere, mit der Hand eine verächtliche Bewegung machend. »Was sagen eure alten Männer? Sagen sie den jungen Kriegern, dass die Blassgesichter den roten Männern entgegengetreten sind, die zum Krieg bemalt und mit der steinernen Streitaxt und dem hölzernen Geschoss bewaffnet waren?«

»Ich habe keine Vorurteile und bin nicht der Mann, der sich natürlicher Vorrechte rühmt, obgleich der schlimmste Feind, den ich habe, und der ist ein Irokese, nicht wagen darf, zu leugnen, dass ich von echt weißer Abstammung bin«, sprach der Kundschafter, indem er mit geheimem Wohlgefallen die verwitterte Farbe seiner knöchernen und sehnigen Hand überblickte, »und ich gestehe gerne, dass mein Volk manche Wege geht, die ich als ehrlicher Mann nicht gutheißen kann. Es ist eine ihrer üblen Gewohnheiten, dass sie in Bücher schreiben, was sie getan und gesehen haben, statt davon in ihren Dörfern zu erzählen, wo man einen feigen Prahlhans ins Gesicht Lügen strafen und der brave Soldat seine Kameraden zu Zeugen für die Wahrheit seiner Worte aufrufen kann. Infolge dieser schlechten Sitte kann ein Mensch, der zu gewissenhaft ist, um seine Tage unter Weibern und im Lernen der schwarzen Zeichen zu verschwenden, nie von den Taten seiner Väter hören, noch einen Stolz darein setzen, sie übertreffen zu wollen. Für meinen Teil glaube ich, dass alle Bumppos schießen konnten: Denn ich habe ein natürliches Geschick für die Büchse, das sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt haben muss, da, wie unsere heiligen Gebote uns melden, alle guten und schlimmen Gaben von oben kommen, obgleich ich in solchen Dingen nicht gern für andere stehe. Aber jedes Ding hat seine zwei Seiten: So frage ich dich, Chingachgook, was begab sich nach den Überlieferungen der roten Männer, als unsere Väter sich zuerst getroffen haben?«

Eine augenblickliche Stille erfolgte, während welcher der Indianer stumm dasaß; dann fing er, von der Würde seines Amtes erfüllt, seine kurze Erzählung mit einer Feierlichkeit an, die dazu diente, ihre anscheinende Wahrheit zu verstärken.

»Höre, Falkenauge, und dein Ohr soll keine Lüge trinken. So haben meine Väter gesagt und die Mohikaner getan.« Er zögerte einen Augenblick und heftete einen vorsichtigen Blick auf seinen Begleiter. Dann fuhr er auf eine Weise fort, die zwischen Frage und Behauptung geteilt war: »Fließt nicht der Strom zu unseren Füßen dem Sommer zu, bis seine Wasser salzig werden und sein Lauf aufwärts geht?«

»Es kann nicht geleugnet werden, dass eure Überlieferungen in diesen beiden Stücken Wahrheit enthalten«, sagte der weiße Mann; »denn ich bin da gewesen und habe sie gesehen; warum aber das Wasser, das so süß im Schatten ist, in der Sonne bitter wird, weiß ich nicht und habe mir’s nie erklären können.«

»Und der Lauf?«, fragte der Indianer, welcher seine Antwort mit jener Art von Interesse erwartete, das jemand bei der Bestätigung eines Wunders fühlt, das er selbst unbegreiflich findet, während er seine Wirklichkeit anerkennt; »die Väter von Chingachgook haben nicht gelogen.«

»Die heilige Bibel ist nicht wahrer, und das ist doch das Wahrste, was es hienieden gibt. Die Leute nennen diesen aufströmenden Lauf die Flut, was bald erörtert und klar genug ist. Sechs Stunden laufen die Wasser hinein und sechs heraus und das kommt daher: Wenn das Wasser in der See höher ist als in dem Fluss, dann läuft es herein, und wenn’s der Fluss gewinnt und wieder höher wird, dann läuft es wieder hinaus.«

»Die Wasser in den Wäldern und an den großen Seen laufen hinab, bis sie so flach daliegen wie meine Hand«, versetzte der Indianer, indem er diese horizontal vor sich ausstreckte, »und dann laufen sie nicht weiter.«

»Kein ehrlicher Mann wird das bestreiten«, erwiderte der Kundschafter, ein wenig empfindlich über dieses Misstrauen gegen seine Erklärung des Geheimnisses der Flut, »und ich gebe zu, dass es wahr ist im verjüngten Maßstab, und wo das Land eben ist. Aber alles kommt darauf an, nach welchem Maßstab du die Dinge betrachtest. Nun ist die Erde nach dem verjüngten Maßstab eben; nach dem vergrößerten aber ist sie rund. So mögen Teiche und Weiher und selbst die großen Frischwasserseen stillstehen, wie du und ich wissen, weil wir sie gesehen haben; wenn du aber kommst und Wasser über eine große Fläche gießest, wie die See: Wie kann da das Wasser vernünftigerweise ruhig bleiben, wo die Erde rund ist? Ebenso gut kannst du erwarten, dass der Fluss an dem Rand der schwarzen Klippen da oben eine halbe Meile über uns ruhig liegen bleibe, während deine eigenen Ohren dir sagen, dass er in diesem Augenblick darüber hinwegbraust.«

Wenn auch unbefriedigt von der Philosophie seines Begleiters, so besaß der Indianer doch zu viel Würde, um seinen Unglauben zu verraten. Er hörte zu wie jemand, der sich überzeugen lassen will, und nahm dann seine Erzählung mit der früheren Feierlichkeit wieder auf:

»Wir kamen von dem Orte, wo die Sonne nachts sich verbirgt, über große Flächen, wo die Büffel leben, bis wir den großen Fluss erreichten. Hier kämpften wir mit den Alligewis, bis der Boden sich von ihrem Blute rötete. Von den Ufern des großen Flusses bis zu den Gestaden des Salzsees war keiner mehr, der es mit uns aufgenommen hätte. Dann folgten in einiger Entfernung die Maquas. Wir sagten, das Land sollte unser sein, von der Stelle an, wo das Wasser nicht mehr stromaufwärts fließt, bis zu einem Flusse zwanzig Sonnen (Tagreisen) sommerwärts. Das Land, das wir als Krieger eroberten, behaupteten wir als Männer. Wir trieben die Maquas in die Wälder zu den Bären. Sie schmeckten das Salz ihrer Tränen und zogen keinen Fisch aus dem großen See: Wir warfen ihnen die Gräten zu.«

»All das habe ich gehört und glaube es«, sagte der Weiße, als er bemerkte, dass der Indianer innehielt; »aber das war lange, bevor die Engländer in das Land kamen.«