Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Held des Buches ist Paul Jones, der über eine dunkle Vergangenheit und ein noch dunkleres Schicksal hadert. Während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges segelt ein Schiff im Auftrag des neu gegründeten amerikanischen Kongresses nach England, ins Herz des britischen Empires. Aber das waghalsige Landemanöver wird nur dank der Kenntnisse des geheimnisumwitterten Lotsen gelingen können. Cooper schafft es, das raue Leben auf den Segelschiffen der damaligen Zeit hautnah zu vermitteln. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 702
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
James Fenimore Cooper
Der Lotse oder: Abenteuer an Englands Küste
Komplettausgabe
James Fenimore Cooper
Der Lotse oder: Abenteuer an Englands Küste
Komplettausgabe
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: . r. EV: Adolf Wienbrack, Leipzig, 1824 1. Auflage, ISBN 978-3-962816-17-9
null-papier.de/653
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil.
Vorrede.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
Zweiter Teil
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
Dritter Teil
Vorwort.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr Verfangen will, ist – das Schwert gegeben!
Schiller.
Versteht es jemand, den Kindern der Fantasie zu ihren Spielen einen historischen Grund und Boden zu geben; so ist es, außer Walter Scott, irrt sich der Übersetzer nicht, der Amerikaner Cooper, dessen »Ansiedler« bereits so gern gelesen werden, so gut beurteilt wurden. Dort wird der Leser in eine junge amerikanische Kolonie versetzt. Die Natur und das Leben des Menschen, wie beide in Amerika sind, werden mit der geübten Hand eines Landschaftmalers gezeichnet. Hier, in dem Lootsen,1 machen wir die Fahrt längs Englands nördlichen, steilen Klippen, und schauen die furchtbarsten Abenteuer auf dem stürmischen Meere, der Küste selbst. Nicht bloße Fantasie malt uns hier die Gestalten eines Barnstable, eines Griffith, des geheimnisvollen Lootsen. Der Name des letztern wenigstens steht in den Annalen des amerikanischen Freiheitskrieges mit unauslöschlichen Zügen eingegraben. Wohl zitterte Englands Volk vor dem furchtbaren Paul Jones, der mit seinem kleinen Geschwader an Englands Küste vor Scarborougs Hafen ein englisches viel größeres die Seegel zu streichen nötigte. Der Übersetzer bemerkt nur noch, dass er bei seiner Arbeit eine doppelte Klippe zu umschiffen hatte. Die große Menge Wörter aus der Schiffsterminologie waren im Deutschen von einem Manne, der nur immer »süsses Wasser« sah, mit Mühe wiederzugeben; sie mussten aber auch so wiedergegeben werden, dass sie anderen, welche gleich ihm nie das feste Land verließen, nicht langweilig und unverständlich wurden. Ob er zwischen diesen Klippen glücklich durchgekommen ist, wird ihm die billige Kritik eines seemännischen Rezensenten sagen. Dass er statt einiger aus englischen Dichtern genommenen Rubriken hoffentlich passende aus deutschen unterschob, wird wohl keiner Verteidigung bedürfen. Das Motto auf dem Titel: List! Ye Landsmen all, to me! hätte sich für uns am Wenigsten geeignet.
Leipzig, den 20. Junius 1824.
Der Titel des Originals ist: The pilot; a Tale of the Sea. In three Vol. Lond. 1824. 8. <<<
Drohend kommt das Meer gezogen, Bricht sich an des Schiffes Bauch.
Lied.
Ein Blick auf die Landkarte wird den Leser sogleich mit der östlichen Küste der Insel von Großbritannien in Hinsicht ihrer Lage bekannt machen. Die Gestade des festen Landes sind ihr gegenüber. Zwischen beiden findet sich die Gränze des kleinen Meeres, das seit Menschenaltern der ganzen Welt als die Bühne von so vielen Taten zur See, als der große Kanal bekannt war, auf welchem Krieg und Handel die Flotten der nördlichen Völker Europas leiteten. Die Inselbewohner machten lange Zeit darauf einen Anspruch, den die gesunde Vernunft auf die Heerstraße aller Völker keiner Macht einräumen kann und welcher häufig zu Streitigkeiten führte, die mit einem Blutvergießen, einem Aufwande endeten, dass beides mit dem Gewinne, der je aus der Behauptung solcher nutzlosen und unsichern Rechte entspringen kann, in keinem Verhältnis stand. Auf die Gewässer dieses in Anspruch genommenen Ozeans wollen wir unsere Leser in Gedanken zu versetzen suchen, indem wir einen Zeitrahmen für unsere Abenteuer wählen, der namentlich für jeden Amerikaner teuer ist. Er wurde der Geburtstag dieses Volkes. Er war der Augenblick, wo Vernunft und Gemeinsinn an die Stelle der Gewohnheit und des Feudalrechts bei den Angelegenheiten der Völker traten.
Bald nachdem die Ereignisse der amerikanischen Revolution die Königreiche Frankreich und Spanien und die Republik Holland in diesen Krieg verwickelt hatten, war eine Zahl von Landleuten auf einem Felde beisammen, das dem Winde des Ozeans an der Nordostküste Englands offen gegenüber lag. Sie suchten sich ihre mühselige Arbeit, die traurige Dunkelheit eines Dezembertages durch Mitteilung ihrer schlichten Meinungen über Politik und die Aussichten der Zeit zu erleichtern, aufzuhellen. Dass England mit einigen seiner Staaten auf der anderen Seite des Ozeans im Kriege war, galt ihnen als lang bekannte Tatsache, insoweit das Gerücht von entfernten, sie wenig angehenden Dingen ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Allein jetzt hatten sich auch Völker, mit denen England in Streit zu liegen gewohnt war, hineingemischt, und das Geräusch der Waffen störte selbst die Ruhe dieser einsam wohnenden und ungebildeten Landleute. Die Hauptsprecher bei dieser Gelegenheit waren ein schottischer Viehtreiber, und ein irländischer Feldarbeiter, der den Weg über den Kanal und so weiter ins Innere der Insel, indem er dem Tagelohn nachging, gefunden hatte.
»Die Schwarzen1 würden ein Spaß für Alt-England sein, ohne Irland zu rechnen«, sagte der letztere, »wenn die Franzosen und Spanier sich nicht in die Sache gemengt hätten. Ich denke, wir sind ihnen dafür nicht viel Dank schuldig, wenn ein Mensch so nüchtern sein muss, wie ein Priester in der Messe, bloß aus Furcht, sich sonst unter die Soldaten genommen zu sehen, ehe er daran nur gedacht hat.«
»Bah, bah! Ihr wisst viel, wie geworben werden muss, ihr in Irland, wenn ihr nicht eine Trommel auf eine Tonne mit Whiskey stellt«, bemerkte der andere und winkte den übrigen Landleuten. »Ja, da hier im Norden dürfen wir nur pfeifen, und dann folgen sie dem Dudelsack so willig, als wenn es am Sonntag in die Kirche geht. Ich habe die Liste von einem ganz hochschottischen Regimente auf einem Papierchen gesehen, das eines Mädchens Hand bedecken konnte. Es waren bloß Camerons und M’Donalds und doch paradierten 600 Mann. – – Aber was gibts denn da? Der Bursche scheint mir für einen Seemann zu viel Appetit zum festen Lande zu haben und wenn der Grund so ist, wie die Oberfläche der See, kann er leicht Schiffbruch leiden.«
Die unerwartete Wendung in der Rede zog aller Augen auf den Gegenstand, den ihnen der Stab des Sprechenden bemerklich machte. Zum großen Erstaunen aller Anwesenden umsegelte ein kleines Fahrzeug die Landspitze, welche eine der beiden Seiten der kleinen Bai bildeten, auf deren anderen das Feld der Landleute lag. In dem Äußern des ungewöhnlichen Zuspruches war etwas ganz Besonderes, und dies trug zu dem Staunen, das seine Erscheinung in dieser fernen Gegend erregte, nicht wenig bei. Nur die kleinsten Fahrzeuge, aber auch diese selten, und in langen Zwischenräumen ein verzweifelnder Schmuggler, waren dafür bekannt, dass sie sich unter den Sandbänken und verborgenen Klippen, die an dieser Küste in so großer Menge liegen, so nahe ans Land wagten. Die kühnen Seeleute, welche jetzt diese gefährliche und, wie es schien, ohne allen Kopf begonnene Fahrt wagten, waren auf einem kleinen Schooner, dessen Bauart mit den hochaufstrebenden Masten in gar keinem Verhältnisse stand. Die letztern trugen eine leichtere aufgesetzte Spitze, die am äußersten Ende so dünn ausging, dass sie nicht stärker erschien, als der träge Wimpel, der sich bei dem schwachen Winde umsonst zu entwickeln suchte.
Der kurze Tag in jener nördlichen Breite ging bereits zu Ende, die Sonne warf schon ihre scheidenden Strahlen schief über das Gewässer und versilberte hier und da die düstern Wogen mit ihrem blassen Lichte. Dem Scheine nach war der stürmische Wind des deutschen Ozeans eingeschläfert. Zwar rollten die Wogen an der Küste unaufhörlich, und machten den Anblick, die düstere Stunde noch grausender. Allein ein sanfter vom Land her wehender Wind zerschnitt doch die Fluten. Nur in dem dumpfen, hohlen Murmeln, dem eines Vulkans am Abend, ehe er ausbricht, ähnlich, war trotz des letztern günstigen Umstandes, etwas, das die Unruhe, die Furcht steigerte, mit welcher die Landleute diese ungewöhnliche Störung der Ruhe in ihrer kleinen Bai wahrnahmen. Das große Segel war auf dem Fahrzeuge allein in Tätigkeit, ein leichtes Focksegel abgerechnet, das weit über den Vorderbord hinaus leicht und luftig flatterte und den Zuschauern ganz wie ein Zauberbild vorkam. Sie wendeten den verwundernden Blick in stillem Staunen auf einander selbst. Endlich meinte der Viehtreiber ganz ernstlich:
»Der das Steuerruder hat, muss ein kecker Bursche sein. Und wenn sein Schiff im Kiel mit Holz ausgefüttert ist, wie die Brigantinen, die zwischen London und dem Frith bei Leith hin- und herfahren, er ist doch in größern Gefahren, als ein kluger Mann es wünschen möchte. Jetzt ist er bei dem Felsen, der sich in die Höhe hebt, wenn die Flut verlaufen ist. Er ist glücklich herum. Aber lange kann kein Mensch an einer solchen Küste steuern, ohne bald Wasser über dem Land zusammenzutreffen.«
Der kleine Schooner aber steuerte immer zwischen Klippen und Sandbänken dahin und machte so leichte Wendungen, dass man wohl sah, er sei unter der Leitung eines Mannes, der seine Lage kenne. Nachdem er endlich soweit in die Bai gefahren war, als die Klugheit gestatten konnte, wurde das Segel eingerefft, ohne dass eine Hand dabei tätig zu sein schien. Das Schiff fuhr einige Längen über die Wogen daher, die der Ozean hereinströmen ließ, schwankte in der Flut noch hin und her und lag endlich ruhig an seinem Anker.
Die Bauern machten nun manche kühnere Bemerkungen über das, was der Besuch wolle, wer er sei. Einige meinten, er wäre wohl mit Contrebande beladen. Andere, es seien hier feindliche Absichten und Krieg dahinter. Es kam sogar von ferne der Zweifel zur Sprache, ob hier ein wirkliches Schiff zu sehen sei; denn, meinte einer und der andere, kein von Menschen bemanntes Fahrzeug würde es wagen, an einer so gefährlichen Küste zu einer Zeit zu steuern, wo der unerfahrenste Landmann den bevorstehenden Sturm voraussagen könne. Der Schotte hatte bei aller Tätigkeit, die seinen Landsleuten eigen ist, doch auch keinen kleinen Teil von ihrem Aberglauben. Er neigte sich daher gar sehr zu der letztern Meinung hin und fing eben an, seine Gedanken mit Bedachtsamkeit und Umsicht auszusprechen, als der Irländer, der mit seiner Ansicht nicht völlig in Richtigkeit war, ihn unterbrach.
»Meiner Treu!« rief er. »Ein großes und ein kleines! Wenn das Seegeister sind, so lieben sie Gesellschaft wie andere Christenmenschen!«
»Zwei?« wiederholte der andere. »Zwei? Das bedeutet für einen von uns ein Unglück. Zwei Schiffe, die niemand führt, an einer so gefährlichen Stelle, und wo keines Menschen Auge hinreicht, die Gefahr alle zu zeigen, droht dem, der hinguckt, Gefahr. Ei! ein Jährling ist das nicht, der da ankommt. Seht; seht! das ist ein schönes Schiff; ein großes!«
Er hielt inne, nahm sein Bündel vom Boden auf, warf noch einen forschenden Blick auf die Gegenstände seines Verdachts, sah dann bedächtig seine Umgebungen an und nahm dann langsam den Weg tiefer ins Land, indem er meinte: »Ich wundere mich gar nicht, wenn das große Schiff einen Befehl vom König Georg am Bord hat. Nun, ich gehe nach der Stadt. Mir ahnet etwas. Die zwei Schiffe sind mir verdächtig. Das kleine nimmt einen Menschen weg, mir nichts, dir nichts, und das große verschluckt uns alle und noch zweimal soviel, wie wir hier sind.«
Dieser heilsame Rat machte eine allgemeine Bewegung rege, denn eine tüchtige Matrosenpresse war bereits ein Gerücht des Tages geworden. Die Männer rafften ihr Arbeitsgeräte zusammen und gingen heim. Zwar warfen manche einen neugierigen Blick auf die Bewegungen der Schiffe von den fernen Hügeln, aber wenige von ihnen wagten es, sich den Klippen zu nähern, die die Bai selbst umgürteten. Hatten sie doch nichts unmittelbar mit den geheimnisvollen Fremdlingen zu tun.
Das Schiff, das alle diese Unruhe erregte, war ein großes Gebäude. Seine hohen Masten, seine viereckigen Raaen, ließen es in der Abenddämmerung über das Meer wie einen aus der Tiefe emporsteigenden Berg anschauen. Es führte nur wenig Segel und ob es schon sorgfältig vermied, sich mehr dem Lande zu nähern, das der Schooner bereits erreicht hatte, so war doch die Übereinstimmung aller Bewegungen von beiden groß genug, auf die Vermutung zu kommen, beide seien mit einem Zwecke beschäftigt. Die Fregatte, – denn zu dieser Ordnung gehörte das Schiff, – lief bis an den Eingang der Bai majestätisch hin und manövrierte nicht mehr als nötig war, um dem Gefährten gegenüber die Segelstangen gerade zu stellen und ruhig zu halten. Indessen der Wind, der bis jetzt ihre Segel geschwellt hatte, ließ nach. Die Landluft hörte ebenfalls auf. Die Wogen, vom deutschen Meere heranwälzend, fanden keinen Widerstand mehr, und so trieben sie die Fregatte mit der Strömung vereinigt nach einer der Spitzen von der Bai, wo die schwarzen Häupter der Felsen aus dem Meere herauftauchten. Die Mannschaft warf hier seinen Anker und reffte alle Segel ein. Während das Schiff am Tau schwankte, ward eine große Flagge aufgehisst und ein scharfes Lüftchen entfaltete bald das weiße Feld und rote Kreuz, das Englands Wappen schmückt, in dem Maaße, dass selbst der bedächtige Viehtreiber in der Freie stehen geblieben war, hinzuschauen. Als indessen ein Boot aus dem einen und dem anderen Schiffe herabgelassen war, so beschleunigte er seine Schritte und machte seinen sich wundernden Gefährten bemerklich: »Die Schiffe wären eines wie das andere; aber weit davon zu sein, bliebe am besten!«
Eine starke Mannschaft stieg in die Schaluppe, die von der Fregatte herabgelassen war. Sie nahm einen Offizier und einen jungen, unter seinem Befehl stehenden Mann ein und ging dann mit abgemessenem Ruderschlag gerade in das Innere der Bai. Als sie nicht fern vom Schooner war, stieß eine kleine Barke, von vier kräftigen Männern geführt, auch von diesem ab, über die Fluten mehr hintanzend, als sie durchschneidend, und mit wundervoller Schnelligkeit auf sie zueilend. Kaum waren die Fahrzeuge einander nahe, als die Mannschaft, den von den Offizieren gegebenen Signalen zufolge, das Rudern einstellte und beide einige Augenblicke anhielten. Während dessen fand folgendes Gespräch statt.
»Ist denn der alte Mann närrisch?« rief der junge Offizier in der Barke, als seine Leute mit Rudern inne gehalten hatten. »Denkt er denn, der Kiel des Ariels ist von Eisen und ein Felsen kann ihm keinen Leck beibringen? Oder glaubt er, wir sind Alligators, die nicht ersaufen können?«
Ein bedächtiges Lächeln spielte einen Augenblick in den Zügen des jungen Mannes, der hinten in der Schaluppe mehr lag, als saß. Dann bemerkte er:
»Er kennt eure Klugheit viel zu gut, Kapitän Barnstable, als dass er fürchten sollte, euer Schiff könnte untergehen oder eure Mannschaft ersaufen. Wie viel Faden habt ihr?«
»Ich mag gar nicht sondieren«, erwiderte Barnstable. »Wenn ich die Klippen so wie die Meerschweine herausgcuken sehe, fürchte ich mich die Hand ans Senkblei zu legen.«
»Nun ihr seid doch noch flott!« rief der andere mit einer Heftigkeit, die eine innere Unruhe verriet.
»Flott?« wiederholte sein Freund. »Ja, der Ariel würde in der Luft flott sein.«
Während er so sprach, sprang er auf, nahm die lederne Schiffsmütze ab und strich das schwarze lockige Haar aus dem von der Sonne gebräunten Gesichte zurück, während er nach seinem kleinen Schiff mit dem Wohlgefallen eines Seemannes schaute, der auf die Eigenschaften desselben stolz ist.
»’s ist aber doch ein böses Stück Arbeit, Griffith, auf einem solchen Orte und in so einer Nacht und mit einem Anker liegen zu bleiben. Nun, wie lauten denn die Befehle?«
»Ich soll so weit vordringen, als ich kann, und dann anlegen; ihr sollt Merry an Bord nehmen und das Ufer zu gewinnen suchen.«
»Ufer?« erwiderte Barnstable. »Nennt ihr einen senkrechten Felsen von hundert Fuß Höhe ein Ufer?«
»Wir wollen nicht über Ausdrücke streiten!« versetzte Griffith lächelnd. »Aber ihr müsst schon so manövrieren, dass ihr das Land gewinnt. Wir haben das Signal vom Lande und wissen, der schon so lange erwartete Lootse ist da, an Bord bei uns zu gehen.«
Barnstable schüttelte den Kopf mit bedenklicher Miene.
»Das ist eine wunderliche Fahrt«, brummte er für sich; »erst laufen wir in eine unbekannte Bai ein, die voller Klippen, Sandbänke und Untiefen ist, und dann bekommen wir unsern Lootsen. – Ja, aber wie soll ich ihn denn erkennen?«
»Merry wird euch die Parole geben und sagen, wie ihr ihn zu suchen habt. Ich würde selbst ans Land gehen, aber meine Weisung verbietet dies. Trefft ihr auf Schwierigkeiten, so lasst nur drei Ruder in die Höhe heben, und ich komme euch zu Hilfe. Drei Ruder in die Höhe gehalten und ein Pistolenschuss bringen meine Gewehre zum Schuss, und so wie die Schaluppe das Signal wiederholt, gibt die Fregatte Feuer.«
»Großen Dank!« rief Barnstable sorglos, »großen Dank! Ich denke, auf der Küste will ich meine Feinde, die etwa hier zu treffen wären, ganz allein bekämpfen. Der alte Mann ist aber wahrlich närrisch. Ich würde« –
»Ihr würdet seinem Befehl gehorchen, wenn er hier wäre, und werdet jetzt so gut sein, dem meinigen zu gehorchen!« war Griffiths Gegenrede, in einem Ton, dem der freundliche Blick des Auges widersprach. – »Macht fort und sucht einen kleinen Mann in dunkelgrüner Jacke auf. Merry wird euch die Parole geben. Antwortet er darauf, so bringt ihr ihn an Bord.«
Die beiden jungen Männer grüßten einander, freundlich mit dem Kopfe nickend, und der junge Mann, Namens Merry, eilte aus der Schaluppe in die andere Barke. Barnstable nahm seinen Platz wieder ein und winkte mit der Hand. Die Matrosen legten aufs Neue Hand an ihre Ruder. Das leichte Fahrzeug entfernte sich geschwind von seinem Gefährten und eilte dem felsigen Gestade zu. Es fuhr erst eine Strecke längs demselben hin, um einen bequemen Landungsplatz zu suchen, und endlich bot sich, als es die Fluten durchschnitten hatte, ein Punkt dar, wo bequem ausgestiegen werden konnte.
Die Schaluppe folgte während dessen in einiger Entfernung langsamer und vorsichtig, und als sie sah, die Barke habe an der Seite des Felsens angelegt, warf sie einen Anker aus, während die Mannschaft zum Gewehr griff, beim ersten Zeichen feuern zu können. Jedermann schien strengen Befehlen zu gehorchen, die schon vorher gegeben sein mussten, denn der junge Mann, den unsere Leser bereits unter dem Namen Griffith kennen gelernt haben, sprach nur wenig und dann bloß in kräftigen Ausdrücken, wie man sie von Leuten hört, die wohl wissen, dass man ihnen gehorchen muss. Als die Schaluppe vor Anker lag, warf er sich auf seine gepolsterte Bank und zog nachlässig den Hut über das Auge. Dann schien er einige Minuten in Gedanken vertieft, die seiner gegenwärtigen Lage ganz fremd zu sein schienen. Manchmal stand er auch auf und warf einen Blick auf die Küsten, als wolle er seine Kameraden ausspähen. Dann blickte er wieder ausdrucksvoll nach dem Ozean, und sein zerstreutes gleichgültiges Wesen machte dann dem besorgten, verständigen Blick eines Seemannes Platz, dessen Erfahrung den Jahren vorausgeeilt ist. Seine an Beschwerden gewöhnten kräftigen Leute saßen, als sie sich in Verteidigungszustand gesetzt hatten, in tiefem Stillschweigen, die eine Hand in die Jacken gesteckt, das Auge immer ernstlich auf alle Wolken gerichtet, die in der drohenden Atmosphäre zerstreut waren. So oft sich die Schaluppe höher als gewöhnlich hob, wenn eine Woge vom Ozean in die Bai mit steigender Schnelligkeit und Größe eindrang, warfen sie sich gar bedenkliche Blicke zu.
Spottname für die Amerikaner <<<
Ein Reuterwamms muss deine Schönheit bergen. Tritt kühner auf, verbirg des Mädchens Schein, Bei Männern wirst du dann ein kecker Mann auch sein.
Prior.
Als die Barke die oben beschriebene Stellung eingenommen, sprang der junge Lieutnant, den man, weil er einen Schooner kommandierte, gewöhnlich Kapitän nannte, auf das Ufer und ihm folgte der junge Kadet, der, wie wir im vorigen Kapitel sahen, die Schaluppe verließ, um an der gefährlichen Fahrt Anteil zu nehmen.
»Hier gibts, wenns hoch kommt, eine Art Jacobsleiter zu ersteigen«, bemerkte Barnstable und warf einen Blick in die Höhe auf die zu erklimmende Felsenmasse: »Und wenn wir oben sind, wissen wir noch gar nicht, dass wir gut aufgenommen werden.«
»Wir sind ja unter den Kanonen der Fregatte!« erwiderte der Kadet. »Erinnert euch daran, Sir, drei Ruder und ein Pistolenschuss, den die Schaluppe wiederholt, lässt sie Feuer geben.«
»Ja, auf euren Kopf. Bursche, traue ja nicht so einem fernen Schusse. Er macht viel Qualm und ein bischen Lärm, aber es ist ein entsetzlich ungewisses Wesen, wenn solch alt Eisen umhergeworfen wird. Bei so einer Geschichte, wie diese ist, traue ich Tom Coffin und seiner Harpune, wenn ich sie im Hinterhalte weiß, mehr, als der besten Lage von allen drei Decken eines Schiffes mit neunzig Kanonen. – Frisch! nimm die Knochen zusammen, sieh, ob du auf dem festen Lande fortkommen kannst, Master Coffin.«
Der Bootsmann, der auf solche eben nicht tröstliche Art angeredet wurde, stand langsam von dem Platze auf, wo er als Beischiffsführer der Barke gesessen hatte, und schien in eben dem Maaße höher zu werden, als er seinen mehrfach zusammengebeugten Körper auseinanderstreckte. Wie er da stand, hielt er reichliche sechs Fuß und eben soviel Zoll, und doch war er, selbst wenn er möglichst senkrecht stand, immer mit Kopf und Schultern vorwärts geneigt, – eine Folge seines gewöhnlichen Aufenthaltes in niedrigen Wohnungen. Seinem Äußern fehlte die runde Linie eines wohlgebildeten Mannes. Aber die ungeheuern Hände ließen soviel Knochen und Sehnen sehen, dass sie wohl einen Vorschmack von seiner Riesenkraft gaben. Ein kleiner brauner Hut mit krummer Spitze, gab seinen rauen Zügen noch mehr Ausdruck und unterstützte darin den schwarzen Backenbart, den bereits das Alter ein wenig grau zu färben begann. Eine seiner Hände griff mechanisch gleichsam nach dem Schaft einer Harpune, deren Spitze fest auf den Felsen eingesetzt wurde, und so verließ er, dem Befehle seines Führers zufolge, das Plätzchen, das er, ob es schon, in Betreff seines geraden Umfanges, einen ungemein kleinen Raum gewährte, bis jetzt eingenommen hatte.
Als Kapitän Barnstable seine Kräfte so gesteigert sah, gab er erst der Mannschaft in der Barke noch einige vorläufige Weisungen und begann den schwierigen Versuch, auf den Felsen zu klettern. Trotz seiner Kühnheit und Gelenkigkeit würde er dabei gescheitert sein. Allein von Zeit zu Zeit stand ihm der Beischiffsführer bei, dem seine ungeheure Stärke, seine ungemein langen Glieder Anstrengungen erlaubten, die die meisten vergeblich machen würden. Als nun noch einige Schritte zu erklimmen waren, machten sie auf einem Vorsprunge Halt, teils um Rat zu zu halten. Beides schien für das, was ferner geschehen sollte, gleich sehr nötig.
»Das ist ein böser Platz zum Rückzuge, wenn wir auf Feinde stoßen!« sagte Barnstable. »Wo sollen wir denn aber den Lootsen finden, Merry, und wie ihn kennen? Seid ihr denn auch gewiss, dass er uns nicht hintergehen wird?«
»Die Frage, die ihr ihm vorzulegen habt, steht auf dem Papier da«, versetzte der Kadet und reichte Barnstable die Parole hin. »Wir bekamen von der Felsenspitze jenes Hornes von der Bai das Signal, und da er unsere Barke gesehen haben muss, so wird er wohl hierher kommen. Trauen müssen wir ihm, denn er hat das Vertrauen des Kapitäns Munson, der nicht aufgehört hat, nach dem Signal zu schauen, so bald wir Land sahen.«
»Ei«, brummte der Lieutnant, »ich kann nun lange nach ihm schauen, jetzt da wir am Lande sind. Ich fahre nicht gern so dicht an der Küste und habe zu einem Verräter kein Vertrauen. Was meinst du, Master Coffin?«
Der raue, alte Seemann drehte sich, so angeredet, gegen seinen Befehlshaber.
»Gebt mir nur Fahrwasser und gut Takelwerk«, sagte er mit geziemendem Ernste, »und wir brauchen keinen Lootsen. Ich für meinen Teil bin am Bord einer Schebecke zur Welt gekommen und habe nie einsehen lernen, wozu man mehr Land braucht, als etwa eine kleine Insel ist, um ein Paar Rettige mitzunehmen oder einen Fisch zu trocknen. Ich darf nur Land sehen, so wird mir schon übel, wenn nicht ein frischer Wind von daher weht.«
»Bist ein gescheiter Bursche, Tom!« rief Barnstable, halb ernst, halb lustig. »Aber wir müssen machen. Die Sonne will schon da hinter den Wolken am Horizonte versinken, und Gott bewahre uns davor, auf einem solchen Platze in der Nacht vor Anker liegen zu müssen.«
Er legte die Hand auf den Vorsprung und schwang sich höher. Zwei- oder dreimal den verzweifelten Satz wiederhohlend, stand er endlich auf der Klippe. Der Bootsmann schob bedachtsam den Kadeten seinem Lieutnant nach, und vorsichtiger, ohne so große Anstrengung, war er bald selbst an der Seite des Letztern.
Als sie auf der Fläche standen, die oberhalb der Klippen lag, und nun so mit neugierig forschendem Blick die Umgebung überschauten, sahen unsere Abenteurer ein angebautes Land, das in gewöhnlicherweise durch Mauern und Hecken getrennt war. Indessen stand im Umkreise von einer Meile nur eine einzelne Wohnung und auch diese war halb verfallen. Die meisten Gebäude lagen den Seenebeln und Dünsten so weit entfernt, als möglich.
»Hier ist nichts zu fürchten, aber auch nicht zu finden, was wir suchen;« bemerkte Barnstable, als er das Ganze in Augenschein genommen hatte. »Ich fürchte, wir sind umsonst ausgestiegen, Merry. – Was sagst du, langer Tom? Siehst du, was wir nötig haben?«
»Einen Lootsen nicht«, war des Bootsmannes Antwort, »aber das wär’ ein schlechter Wind, der keinem zusagte; da ist ein Maul voll frisches Fleisch hinter der Hecke dort, das wohl eine doppelte Portion für alle Leute auf dem Ariel hergäbe.«
Der Kadet lachte, als er Barnstable den Gegenstand von der Sorgsamkeit des Beischiffsführers zeigte. Es war ein fetter Ochse, der ruhig hinter einer Hecke, ohnfern von ihnen, wiederkäute.
»Wir haben manchen hungrigen Patron am Bord, der Toms Motion gern unterstützen würde«, bemerkte Merry lachend, »wenn nur Zeit und Umstände uns erlaubten, das Tier zu töten.«
»Dazu gehört ein Augenblick«, versetzte Tom, ohne eine Muskel seines Gesichts zu verziehen, indem er mit dem Harpunenschafte derb auf die Erde stieß, und dann eine Bewegung machte, als werfe er die Waffe. »Lasst den Kapitän Barnstable ein Wort sagen, und ich treibe ihm das Eisen, mir nichts dir nichts, durch den Leib. Das ist schon in manchen Wallfisch gegangen, der nicht so eine Fettjacke anhatte, wie dieser Bursche.«
»Still! Hier bist du nicht auf der Wallfischjagd, wo alles, was aufstößt, gute Prise ist;« rief Barnstable, sah aber nach einem anderen Orte hin, als fürchte er sich selbst vor der Versuchung. – »Seid ruhig! Ich sehe jemanden hinter der Hecke kommen. Macht euch fertig, Merry; das Erste, was wir hören, ist vielleicht ein Schuss.«
»Von dem Kreuzer nicht!« bemerkte der andere. »Der ist ja noch jünger als ich, und würde nicht gegen eine so furchtbare Macht anrücken, wie wir aufstellen.«
»Habt recht, Kadet!« stimmte Barnstable bei, und zog die Hand zurück, die er ans Pistol gelegt hatte. »Er nähert sich bedächtig, als fürchte er sich. Groß ist er nicht. Sein Rock ist braun. Eine Jacke ist das kaum zu nennen. Sollte das unser Patron sein? Bleibt beide hier. Ich will ihn anreden.«
Barnstable ging rasch nach der Hecke hin, die den Fremden zum Teil verbarg. Der letztere blieb plötzlich stehen, und schien in Zweifel, ob er weiter gehen sollte oder nicht. Bevor er sich zu dem einen entschlossen hatte, stand der Seemann nur wenig Fuß vor ihm.
»Mit Vergunst«, sagte der letztere, »was für Wasser haben wir in dieser Bai?«
Eine ungewöhnliche Bewegung ergriff den Fremden bei dieser Frage. Er drehte sich unwillkührlich seitwärts, als wolle er sein Gesicht verbergen, bevor er mit kaum hörbarer Stimme antwortete:
»Ich sollte meinen, das wäre Wasser aus dem deutschen Meere.«
»Wirklich? Du musst nicht wenig Zeit gebraucht haben, um in der Geografie soweit zu kommen!« versetzte der Lieutnant. »Nun, vielleicht bist du auch so klug und sagst mir, Patron, wie lange wir dich festhalten, wenn wir dich als Gefangenen mitnehmen, um über deinen Witz zu lachen.«
Der so angeredete Jüngling gab auf diese beunruhigende Bemerkung keine Antwort. Er drehte sich nur immer um und verhüllte das Gesicht mit beiden Händen. Der Seemann glaubte, bei seinem Zuhörer einen heilsamen Eindruck rege gemacht zu haben, und wollte mit neuen Fragen beginnen. Die wunderliche Unruhe bei dem jungen Manne bestimmte ihn aber doch, noch einige Augenblicke länger zu schweigen, als er zu seinem großen Erstaunen entdeckte, dass das, was er für Unruhe genommen hatte, nur Folge des Bestrebens war, ein recht lautes Lachen zu unterdrücken.
»Nun, bei allen Wallfischen im Meere!« rief Barnstable, »jetzt ist nicht die Zeit zum Lachen. Es ist schlimm, in so einer Bucht, wie diese, ankern zu müssen, wenn der Sturm vor sichtlichen Augen im Anzuge ist, ohne landen zu dürfen, um dann von einem Naseweis ausgelacht zu werden, der nicht Kraft genug hat, einen Bart zu tragen, wenn er einen hätte. Eigentlich sollte ich das offene Meer suchen, um Leib und Seele zu retten. Indessen ich werde wohl mehr von Euch und euern Späßen erfahren, wenn ich euch selbst ins Gebet nehme und an Bord bringe, dass ihr mich munter erhaltet, solange ich hier kreuze.«
Mit diesen Worten näherte sich ter Commendant des Schooners dem Fremden nicht ohne den Schein, ein wenig derb Hand an ihn zu legen. Der letztere sprang vor seinem ausgestreckten Arme zurück.
»Barnstable!« rief er, mit einem Tone, in welchem der wirkliche Schreck die Freude zu verdrängen schien, »guter Barnstable, willst du mir was zu Leide tun?«
Der Seemann fuhr einige Schritte bei diesem unerwarteten Zurufe zurück. Er rieb sich die Augen und zog die Mütze herab.
»Was hör’ ich, was seh’ ich?« rief er. »Hier liegt der Ariel und dort ist die Fregatte. Kann dies Katharina Plowden sein?«
Seine Zweifel, wenn noch einige da waren, schwanden bald, denn der Fremde setzte sich an den Rand eines Grabens in einer Art, wo weibliche Verschämtheit lieblich gegen die männliche Kleidung abstach, und ließ die Freude endlich ohne Zwang in lautes Lachen übergehen.
Von dem Augenblicke an waren, wie es schien, alle Gedanken an seinen Dienst, an den Lootsen, selbst an den Ariel, aus der Brust des Seemanns entfernt. Er sprang zu dem Mädchen hin, und lachte mit ihm um die Wette, ob er schon nicht wusste, warum es lachte.
Als das lustige Mädchen allmählich ein wenig ruhiger geworden war, wandte sie sich an ihren Gefährten, der ganz unschuldig neben ihr saß und sie immerhin lachen ließ.
»Das ist aber nicht bloß einfältig; es ist grausam gegen andere;« sagte sie. »Ich bin euch eine Erklärung von meinem unerwarteten Erscheinen und vielleicht auch von meinem ungewöhnlichen Anzuge schuldig.«
»Ich kann mir alles im Voraus denken;« versetzte Barnstable. »Du hörtest, wir wären an der Küste und eiltest herbei, dein mir in Amerika gegebenes Wort zu lösen. Ich frage weiter gar nicht. Der Kapellan auf der Fregatte –«
»Kann predigen wie gewöhnlich, und mit eben so wenigem Nutzen«, unterbrach ihn die verkleidete Katharine, »allein seinen Ehesegen soll er über mich nicht aussprechen, bis ich den Zweck meines gewagten Unternehmens geärndtet habe. Du bist ja sonst nicht so eigennützig, Barnstable; willst du denn, dass ich das Wohl anderer aus den Augen setzen soll?«
»Von wem sprichst du denn?«
»Von meiner Base, meiner armen Base. Ich hörte, dass zwei Schiffe, die der Beschreibung von Ariel und der Fregatte entsprechen, längs der Küste segelten, und beschloss gleich, mit dir zusammen zu kommen. Ich folgte euren Bewegungen wohl eine ganze Woche lang, immer so gekleidet, ohne aber eher als jetzt glücklich zu sein. Heut sah ich euch der Küste näher kommen, als gewöhnlich, und glücklich ist mein Wagstück belohnt worden.«
»Ja, Gott weiß, nahe genug dem Lande sind wir! Weiß denn aber Kapitän Munson, dass du bereit bist, bei ihm an Bord zu gehen?«
»Gewiss nicht. Niemand weiß das, als du. Ich glaubte, wenn du und Griffith unsere Lage kennen lerntest, so würdest du versucht werden, uns aus unserer Not zu befreien. Da hast du ein Papier. Ich habe eine Schilderung entworfen, die alle eure ritterliche Tapferkeit rege machen wird. Danach könnt ihr eure Manövres einrichten.«
»Unsere Manövres?« unterbrach sie Barnstable. »Ach du musst selbst der Lootse sein!«
»Dann wären zwei da!« sagte eine Stimme hinter ihnen.
Das erschrockene Mädchen schrie und sprang auf, indem sie sich doch, wie von Natur getrieben, fest an ihren Geliebten schloss. Barnstable erkannte gleich die Stimme seines Beischiffsführers. Er warf einen zornigen Blick auf das nüchterne Gesicht, das über die Hecke hervorragte, und fragte nach der Ursache dieser Unterbrechung.
»Nun, Sir Merry sah euch an der Küste hinstreichen, und da er fürchtete, ihr könntet auf den Strand laufen, hielt ers fürs Beste, euch ein Rettungsboot zu senden. Ich sagte ihm, ihr würdet wohl bloß wegzubekommen suchen, was für Flagge das Schiff führe, worauf ihr Jagd machtet. Allein er war Offizier und ich konnte also bloß Ordre parieren.«
»Geht, geht dahin, wo ich sagte, dass ihr bleiben solltet, und Sir Merry soll erwarten, was mir gutdünkt!« erwiderte Barnstable.
Der Beischiffsführer grüßte subordinationsmäßig in gewöhnlicher Seemannsart. Bevor er aber die Hecke verließ, streckte er doch einen seiner kräftigen Arme nach dem Meere aus.
»Kapitän Barnstable«, sagte er in einem Tone, dessen Ernst seiner Miene, seiner Bedenklichkeit entsprach, »ich habe euch den ersten Knoten knüpfen und die Raabänder zusammenziehen gelehrt, denn ich glaube nicht, dass ihr so ein Ding verstandet, als ihr an Bord der Spalmacitty kamt. So etwas kann der Mensch bald lernen. Aber das ganze Leben gehört dazu, das Wetter wegzubekommen. Dort streichen Windgallen übers Wasser hin, die sprechen so deutlich zu allen, welche sich auf Gottes Wolken verstehen, als ihr es je mit eurem Sprachrohr könnt, wenn die Segel eingerefft werden sollen. Außerdem – hört ihr nicht die See brausen, als wüsste sie, die Stunde sei da, wo sie aus dem Schlafe erwachen soll?«
»Ja, Tom«, bemerkte der Offizier, und ging nach dem Felsenrande, indem er mit Seemannsauge den Ozean und den Himmel musterte, »die Nacht wird wirklich fürchterlich. Allein der Lootse muss doch – und«
»Ist er das vielleicht?« unterbrach ihn Tom. Er zeigte auf einen Mann, der nicht weit von ihnen stand, und, indem er aufmerksam auf ihr Benehmen Acht gab, wieder seinerseits vom jungen Seekadeten beobachtet wurde. – »Nun, wenn er es ist, so gebe Gott, dass er sein Handwerk versteht, denn der Kiel braucht gute Augen, falls er den Weg aus diesem Grunde finden soll.«
»Das muss der Mann sein!« rief Barnstable, auf einmal seiner Pflicht wiedereingedenk. Er sprach einige Worte mit seinem weiblichen Gefährten, den er hinter der Hecke ließ und ging vor, den Fremden anzureden. Als er nahe genug war, um verstanden zu werden, fragte er ihn:
»Was für Wasser haben wir in dieser Bai?«
Der Fremde schien diese Frage erwartet zu haben.
»Genug«, antwortete er, ohne Anstand, »um alle in Sicherheit herauszubringen, die mit Vertrauen eingelaufen sind.«
»Ihr seid der Mann, den ich suche«, rief Barnstable. »Und ihr wollt mitgehn?«
»Mitgehn, von Herzen gern!« war des Lootsens Gegenrede. »Und zwar ist Eile nötig. Ich wollte gleich die schönsten hundert Guineen geben, die je geschlagen wurden, wenn ich die Sonne, welche uns verlässt, zwei Stunden länger haben könnte, und wär’ es auch nur eine Stunde von ihrem noch vorhandenen Dämmerlichte.«
»Denkt ihr denn, unsere Lage sei so schlecht?« fragte der Lieutnant. »Folgt, wenn das ist, dem jungen Mann ins Boot. Ich werde gleich bei euch sein; indes ihr hinabklimmt, hoffe ich noch einen Mann mehr anzuwerben.«
»Die Zeit ist edler, als die Menge von Händen!« versetzte der Lootse und schaute unter den dicken Brauen ungeduldig hervor. »Wer den Aufschub verursacht, mag auch die Folge davon tragen!«
»Und diese werd’ ich bei allen auf mich nehmen, welche ein recht haben, nach meinem Benehmen zu fragen!« entgegnete Barnstable mit Würde.
Mit jener Warnung und diesem Verweise trennten sie sich. Der junge Offizier eilte ungeduldig nach dem Orte, wo er sein Mädchen gelassen hatte, und machte seinem Verdruss in halblauten Flüchen Luft, während der Lootse mechanisch den ledernen Gürtel seiner Jacke um den Leib zusammenzog, und mit düstern Schweigen dem Bootsmann und Seekadeten ins Boot folgte.
Barnstable fand das verkleidete weibliche Wesen, das sich selbst als Katharina Plowden verraten hatte; aber in jedem Zuge ihres sinnigen Antlitzes malte sich die heftigste Unruhe. Er fühlte ganz, wie sehr er in seiner Lage verantwortlich sei, so kalt er auch dem Lootsen geantwortet hatte. So nahm er hastig Katharinens Arm, ohne weiter an ihre Verkleidung zu denken, und führte sie vorwärts.
»Komm, Katharine«, sagte er, »die Zeit drängt.«
»Was treibt euch denn so zur unmittelbaren Abfahrt?« fragte sie, sich sanft von seinem Arme losmachend.
»Hast du nicht die bedenkliche Wetter-Prophezeiung meines Bootsmannes gehört. Ich muss seiner Meinung beistimmen. Eine stürmische Nacht bedroht uns, ob ich schon nicht böse bin, die Bai hier gekommen zu sein, da ich dich hier getroffen habe.«
»Gott bewahre uns, dass einer von uns Ursache fände, dies zu bereuen!« rief Katharine, indem die blasse Furcht die Purpurröte verjagte, welche die frischen Wangen des Mädchens schmückte. – »Indessen du hast das Papier. Folge seinen Weisungen und komm zu unserer Rettung. Du wirst uns als willige Gefangene finden, wenn Griffith und du unsere Sieger sind.«
»Was meinst du, Katharine?« fragte ihr Geliebter. »Zum Mindesten sollst du jetzt in Sicherheit kommen. Es wäre Torheit, das Schicksal noch einmal zu versuchen. Mein Schiff kann und soll dich schützen, bis deine Base gerettet ist, und dann erinnere dich, ich habe ein Recht auf dich, so lange ich lebe.«
»Und was wolltest du denn in der Zwischenzeit mit mir anfangen?« sagte das Mädchen, indem es sich vor seiner Hastigkeit zurückzog.
»Auf dem Ariel sollst du Commendant sein – beim Himmel! Ich will bloß dem Namen nach kommandieren.«
»Schönen Dank, schönen Dank, Barnstable; ich habe nur ein wenig Misstrauen in meine Fähigkeit für solchen Posten!« war Katharinens Antwort, die sie mit Lachen gab, obschon die Farbe, die wieder ihr jugendliches Antlitz überzog, nur dem Strahl der Abendsonne glich. »Versteh mich nicht falsch, Hitzkopf! Wenn ich mehr tat, als mein Geschlecht gestatten will, so erinnere dich, es geschah aus einer reinen Absicht. Wagte ich mehr, als ein Weib tun darf, so geschah es –«
»Um dich über die Schwäche deines Geschlechts zu erheben und dir so Gelegenheit zu geben, mir dein edles Vertrauen zu beweisen.«
»Um mich darauf vorzubereiten, und würdig zu sein, eines Tages dein Weib zu heißen!« rief sie, fortspringend, und so geschwind hinter eine nahe Hecke verschwindend, dass sie seine Versuche, sie zurückzuhalten, vereitelte. Einen Augenblick stand Barnstable vor Staunen ganz bewegungslos. Dann eilte er ihr nach. Allein er sah nur im Zwielicht den Umriss ihrer schlanken Gestalt und aufs Neue verschwand sie in einem etwas fernen dicken Gesträuche.
Noch wollte er ihr nachfolgen, als ein Blitz plötzlich durch die Luft leuchtete und ein Kanonenschuss längs den Klippen donnernd hinrollte, von allen Bergen im Innern wiederhallend.
»Ja doch, alter Schwätzer, ich verstehe!« brummte der junge Seemann für sich, dem Signal voller Verdruss Gehorsam leistend. »Du gehst eben so geschwind daran, aus der Gefahr herauszukommen, wie du hineinzukommen wusstest.«
Drei Musketenschüsse aus der Schaluppe zu seinen Füßen trieben zu größerer Eile. Sorglos sprang er die rauen, gefährlichen Klippen herab, und behielt immer das wohlbekannte Licht, auf der Fregatte scheinend, im Auge, die damit die beiden Barken zurückrief.
In solcher Zeit, wie diese, Darf uns ein böses Wörtchen nicht entzweien.
Shakespeare.
Die Klippen warfen ihre dunkeln Schatten über das Wasser und die Abenddämmerung war so weit vorgerückt, dass man nicht wahrnahm, wie die gewöhnlich offene Stirn Barnstables jetzt sehr finster war, als er vom Felsen ins Boot sprang und seinen Platz neben dem schweigenden Lootsen nahm.
»Stoßt ab!« rief der Lieutnant, in einem Tone, den seine Leute recht gut verstanden, um ihm zu gehorchen. »Eines Seemanns Fluch komme auf die Narrheit, die solcher Fahrt Planken und Leben Preis gibt, um ein paar alte Wraks mit Zimmerholz zu verbrennen oder ein solches Schiff wegzunehmen. – Frisch drauf los, frisch!«
Trotz der starken und gefährlichen Brandung, die an den Felsen auf eine beunruhigende Weise brach, trieben die Matrosen doch glücklich das leichte Fahrzeug über die Wellen hin.
In wenig Augenblicken waren sie von dem Punkte, wo die größte Gefahr war, entfernt. Barnstable hatte, wie es schien, die bedenkliche Lage unbeachtet gelassen. Er sah zerstreut auf den Schaum, den Welle für Welle hervorbrachte, bis die Barke auf den großen Wogen regelmäßig dahinglitt und er nun rings in der Bai herumschaute, um die Schaluppe wahrzunehmen.
»Ah«, brummte er, »Griffith ist’s müde geworden, sich auf seinem Kissen zu wiegen, und will uns nach der Fregatte hinlocken, statt dass wir daran gehen sollten, den Schooner aus dem verteufelten Loche wegzuführen. Das ist ein Plätzchen, wie es ein schmachtender Liebhaber wünschen kann! Ein bischen Wasser, ein bischen Land, und Felsen vollauf. Höre, Tom, ich bin beinahe deiner Meinung, dass ein Seemann weiter kein festes Land braucht, als manchmal eine Insel.«
»Das heißt Verstand haben und vernünftig sprechen!« erwiderte der ernste Bootsmann; »und was das bischen Land anbetrifft, das man braucht, so müsste es immer weichen Grund oder Sand haben, dass der Anker gut fasste und das Sondieren richtig vor sich ginge. Ich habe auf Felsengrunde manch großes Senkblei eingebüßt, ohne die Dutzende von kleinen zu rechnen. Aber ich lobe mir eine Rhede, wo ein Senkblei leicht und ein Anker schwer auffällt. – Da unten ist eine Barke, gegenüber dem Vordersteven; Kapitän, soll ich darauf zufahren oder ausbeugen?«
»Das ist die Schaluppe!« rief der Offizier. »Sie hat mich doch nicht verlassen, bei alledem!«
Ein lauter Zuruf aus dem sich nähernden Fahrzeuge bestätigte diese Meinung. In wenig Augenblicken waren die Barke und Schaluppe vollkommen neben einander. Griffith blieb nicht länger auf seinem Kissen. Er sprach ernstlich mit einem Anstrich des Verweises in seiner Art.
»Wie habt ihr so viele Augenblicke vorbeigehen lassen können, wo jede Minute uns mit neuen Gefahren bedroht?« fragte er. – »Ich gehorchte eben dem Signal, als ich eure Ruder hörte und rückwärts eilte, den Lootsen einzunehmen. Seid ihr glücklich gewesen?«
»Da ist er; und wenn er seinen Weg durch die Klippen herausfindet, wird er seinen Namen mit Recht führen. Das scheint eine Nacht zu werden, wo man eine Brille aufsetzen kann, wenn man den Mond sehen will. Wenn ihr aber erfahrt, was ich auf dem verwünschten Felsen gesehen habe, werdet ihr mein Ausbleiben gewiss entschuldigen!«
»Nun ihr habt den rechten Mann gesehen, hoff’ ich, denn sonst haben wir uns in diese Gefahr ohne Nutzen begeben.«
»Nun ja, ich habe den rechten Mann gesehen, aber auch Jemanden, der’s nicht ist;« erwiderte Barnstable empfindlich. »Ihr habt ja den Kadet hier, fragt nachher, was des jungen Mannes Auge beobachtet hat?«
»Soll ich reden?« rief der Kadet lachend. »Nun, ich sah ein kleines Fahrzeug unter falscher Flagge ein tüchtiges Kriegsschiff übersegeln, das gewaltige Jagd darauf machte; einen leichten Korsaren mit falscher Flagge, der meinem Mühmchen glich.«
»Still, Schwätzer!« rief Barnstable mit einer Donnerstimme. »Wollt ihr die Fahrt mit eurem törichten Unsinne in einem Augenblicke, wie dieser, aufhalten? Fort in die Schaluppe, und wenn ihr Griffith dazu bereit findet, so erzählt ihm eure Vermutungen, wie’s euch gefällt.«
Merry sprang gewandt aus der Barke in die Schaluppe, wohin bereits der Lootse vorher gestiegen war, und als er sich etwas ärgerlich an Griffiths Seite gesetzt hatte, sagte er:
»Nun, das wird solange nicht dauern. Ich weiß, Herr Griffith denkt und fühlt an Englands Küste, wie er dachte und fühlte, als er in der Heimat war.«
Ein Druck der Hand, mit dem dies der junge Lieutnant schweigend erwiderte, bevor er Barnstables Abschiedsgruß zurückgab, war die ganze Antwort. Seine Ruderer erhielten Befehl, nach dem Schiffe hinzufahren.
Die Fahrzeuge trennten sich. Das Rauschen der Ruder ließ sich bereits hören, als die Stimme des Lootsen jetzt zum ersten Male laut wurde.
»Halt!« rief er. »Rückwärts gerudert, ich bitte euch!«
Die Matrosen befolgten seine Weisung. Sie wandten nach der Barke um.
»Ihr setzt gleich die Segel auf, Kapitän Barnstable«, rief er diesem mit gleichem festen Tone zu, »und sucht aufs offene Meer zu kommen, so geschwind es sein kann. Nehmt euch in Acht vor der nördlichen Landspitze, und passiert bei uns vorbei, dass man euch anrufen kann.«
»Nun die Karte ist deutlich genug, Herr Lootse«, war Barnstables Erwiederung. »Allein wer soll denn meine Abfahrt ohne Ordre beim Kapitän Munson rechtfertigen? Ich habe es schwarz auf weiß, den Ariel auf dies Flaumenbett zu bringen, und muss mindestens ein anderes Signal, ein Wort von meinen Obern haben, bevor der Schooner eine Welle anders durchschneidet. Der Weg heraus mag wohl so schwer sein, als der hinein. Ja, wenn ich den Tag so vor mir hätte, und eure Weisungen zu Papiere gebracht.«
»Wollt ihr denn hier liegen bleiben, um in so einer Nacht umzukommen?« fragte der Lootse ernst. »Noch zwei Stunden und diese wilden Wogen toben dann an demselben Punkte, wo jetzt euer Schiff ruhig vor Anker liegt.«
»Wir denken beide gleich. Allein sink’ ich, so sink’ ich laut Ordre. Geht aber eine Planke am Schooner hin, weil ich eurer Weisung gehorchte; so ist das ein Leck, der nicht bloß Seewasser hereinlässt, sondern auch nach Insubordination schmeckt.«
»Das heißt vernünftig sein!« brummte der Beischiffsführer des Schooners mit vernehmlicher Stimme, »allein ’s ist immer hart für einen ehrlichen Mann, auf so einem Flecke liegen zu müssen.«
»Nun so lasst euren Anker und folgt ihm selbst nach!« sagte der Lootse übellaunig für sich selbst. »Mit einem Narren zu streiten, ist noch ärger, als mit dem Sturme. Aber wenn –«
»Nicht doch, nicht; nichts von Narren!« unterbrach ihn Griffith. »Barnstable verdient den Namen nicht, ob er schon im Dienste bis zum Äußersten geht. – Lichtet ihr nur, Barnstable, und verlasst die Bai so geschwind, als möglich!«
»Ei, ihr könnt mir den Befehl nicht halb so gern geben, als ich ihn ausführen werde! Frisch zu, Kinder! Der Ariel soll seine Knochen nicht auf so einem harten Bette lassen, so lange ich dabei helfen kann.«
Der Kommandant vom Schooner machte diese Bemerkung mit seinem launigen Tone, und seine Leute brachen von selbst in ein Freudengeschrei aus. Die Barke eilte schnell aus dem Bereich der Schaluppe und bald schwand sie in den düstern Schatten, den die Klippen herüberwarfen.
Während dessen blieben die Ruderer in der Schaluppe nicht müßig. Ihre kräftigen Arme führten das Fahrzeug rasch durch die Fluten. In wenig Minuten hielt sie zur Seite der Fregatte.
Der Lootse hatte inzwischen in einer Art, die von dem befehlshaberischen, stolzen Wesen, das sich in dem kurzen Gespräch mit Barnstable äußerte, keine Spur mehr zeigte, Griffith ersucht, ihm die Namen der auf dem Schiffe befindlichen Offiziere zu nennen. Der junge Lieutnant war bereit dazu.
»’s sind lauter brave, rechtliche Männer, lieber Lootse«, bemerkte er, als er zu Ende war. »Für einen Engländer mag das, was ihr jetzt tut, gefährlich sein, aber unter uns verrät euch keiner. Wir haben euch nötig und erwarten von euch Treu’ und Glauben. Die sollt ihr aber aber auch bei uns finden.«
»Und warum denkt ihr denn, dass ich darauf rechnen muss?« fragte der Lootse in einer Art, die seine völlige Gleichgültigkeit dafür bezeichnete.
»Ihr sprecht zwar gut Englisch, wie Eingeborne«, unterbrach ihn Griffith, »aber habt doch einen gewissen Akzent, der nach der Zunge von unser einem auf der anderen Seite des Ozeans in Bewegung schmeckt.«
»Wo der Mensch geboren ist und wie er spricht, darauf kommt wenig an;« erwiderte der Lootse kalt. »Wenn er nur seine Schuldigkeit ordentlich und redlich tut!«
Vielleicht war es, um das Gespräch nicht zu stören, gut, dass die Düsterheit, welche jetzt zur vollkommnen Finsternis wurde, den spöttischen Blick verbarg, welcher die hübschen Züge des jungen Seemanns durchkreuzte.
»Ja, ja«, wiederholte er dabei, »wenn er nur seine Schuldigkeit ordentlich und redlich tut. Aber wie Barnstable sagte, müsst ihr den Weg durch die Klippen bei einer solchen Nacht gut zu finden wissen. Wie viel Wasser haben wir denn?«
»Genug für eine Fregatte, und ich werde euch immer vier Faden zu halten suchen. Weniger wäre gefährlich.«
»’s ist ein schönes Schiff!« bemerkte Griffith, »und gehorcht dem Steuerruder, wie ein Seesoldat dem Korporal beim Exerzieren. Aber Raum müsst ihr dafür schaffen, denn es schießt dahin, als wollte es den Wind übereilen.«
Der Lootse hörte mit geübtem Ohre die Beschreibung der Eigenheiten, die das Schiff besaß, das er aus einer außerordentlich gefahrvollen Lage leiten sollte. Nicht ein Wort ging bei ihm verloren. Als Griffith schwieg, bemerkte er mit der ihm eigenen, sein ganzes Wesen bezeichnenden Kälte:
»In so einem engen Fahrwasser ist das eine eben so vorteilhafte als nachteilige Eigenschaft. Für die Nacht, wo wir das Schiff herausbringen sollen, ist die letzere, fürchte ich, überwiegend.«
»Ich denke, wir werden unsern Weg mit dem Senkblei heraussuchen müssen«, sagte Griffith.
»Augen und Senkblei – beide sind nötig;« erwiderte der Lootse und kam wieder unmerklich auf sein einsilbiges Wesen zurück. »Ich bin in dunklern Nächten, als diese ist, hier ein- und ausgefahren, allein nur mit Schiffen, die bloß zwei und einen halben Faden brauchten.«
»Dann, beim Himmel, könnt ihr nicht unser Schiff durch die Felsen und Klippen durchbringen. Eure Fahrzeuge, die nicht tief gehen, wissen gar nicht, wie viel Wasser unter ihnen ist. Nur der tiefer gehende Kiel sucht ein tiefes Fahrwasser. – Lootse! Lootse! Nimm dich in Acht, mit uns ein Spiel der Unwissenheit zu treiben. Unter Feinden ist so etwas ein gewagtes Ding!«
»Junger Mann, ihr wisst nicht, was und wem ihr droht!« bemerkte der Lootse finster, obschon sein ruhiges Wesen immer ungestört blieb. – »Ihr vergesst, dass über euch jemand ist und über mir niemand.«
»Das hängt von der Treue ab, mit der ihr eurer Pflicht nachkommt!« rief Griffith, »denn –«
»Ruhig!« unterbrach ihn der Lootse. »Wir sind dem Schiffe nahe. Lasst uns ruhig zusammensein.«
Er zog sich auf seinen Sitz zurück, indem er so sprach, und Griffith war zwar nichts weniger als ruhig, weil er die Folgen überdachte, die die Unwissenheit oder Verräterei des Lootsen haben möchte, allein er bekämpfte doch seine Gefühle so weit, dass er schweigen konnte. Beide beistiegen die Fregatte, dem Scheine nach im besten Einverständnis.
Die Fregatte trieb bereits immer auf den hohen Wellen, die vom Ozean mit größerer Gewalt hereinstürmten. Indessen hing das große und kleine Topsegel an den Raaen ganz schlaff da. Die Luft kam zwar noch dann und wann vom Lande her, ohne aber imstande zu sein, die schwere Leinwand aufzublähen.
Wie Griffith und der Lootse die Treppe hinaufstiegen, hörte man nichts, als das dumpfe Geräusch der gegen die Seiten des Schiffes anprallenden See und die gellende Pfeife des Bootsmanns, der die Mannschaft auf die Treppenseite rief, dem ersten Lieutnant und seinem Gefährten die schuldige Ehre zu bezeugen, indem sie eine doppelte Reihe bildeten.
Stillschweigen herrschte unter den Hunderten, die auf dem großen Gebäude hausten. Das Licht von einem Dutzend Laternen, die auf den verschiedenen Teilen der Verdecke angezündet waren, brachte soviel Heiligkeit hervor, dass man nicht nur ziemlich deutlich jeden einzelnen Mann im großen Gedränge, sondern selbst die Mischung von Neugier und Unruhe wahrnehmen konnte, die sich uf den meisten Gesichtern abspiegelte.
Auf den Gängen, um die Masten herum und auf den Segelstangen, waren zahlreiche Gruppen. Nicht weniger lagen auf den Unterraaen, oder guckten aus den Mastkörben und machten den Hintergrund des Gemäldes. Alle aber zeigten in ihren Mienen, wie viel Anteil sie an der Rückkehr der Schaluppe nahmen.
Soviel Haufen jedoch auch auf allen anderen Punkten versammelt waren, immer blieb doch das Hinterdeck bloß von den Offizieren eingenommen, die nach ihrem verschiedenen Range herumstanden, und übrigens so still und aufmerksam, als die übrige Mannschaft waren. Vorn erblickte man eine Gesellschaft von jungen Leuten, die, in gleicher Uniform, Kameraden von Griffith und mit ihm vom nämlichen Grade, obschon die jüngsten Lieutnants waren. Auf der anderen Seite sah man eine größere Gruppe, an deren Spitze Herr Merry stand. An der Spille waren Drei oder Vier, deren einer einen blauen Rock mit scharlachroten Aufschlägen und der andere die schwarze Kleidung eines Schiffskaplans trug. – Hinter ihnen, dicht unter Treppe, die zu der Kajüte führte, aus der er eben gekommen war, stand die lange, hagere Gestalt des Kommendanten vom Schiffe.
Griffith grüßte flüchtig seine Kameraden. Der Lootse folgte ihm langsam nach dem Orte hin, wo der alte Befehlshaber beide erwartete. Der junge Mann zog hastig den Hut und grüßte umständlicher, als gewöhnlich seine Art war.
»Alles ist in Ordnung gebracht! Sir«, sagte er, »obschon mit mehr Zeit und Aufenthalt, als wir erwartet hatten.«
»Aber den Lootsen habt ihr ja nicht?« entgegnete der Kapitän zweifelhaft. – »Ohne ihn ist alle unsere Gefahr und Unruhe umsonst.«
»Hier ist er!« versetzte Griffith, seitwärts tretend, und strekte seinen Arm nach dem Manne aus, der hinter ihm stand und in seine raue Jacke bis ans Kinn eingewickelt war. Die herabfallenden Krämpen eines breiten Hutes, der schon lange und saure Dienste geleistet hatte, beschatteten sein Gesicht.
»Das ist er?« rief der Kapitän. »O welch ein hässlicher Missgriff! – Das ist nicht der Mann, den ich haben wollte, und den auch kein anderer ersetzen kann!«
»Ich weiß nicht, wen ihr erwartet, Kapitän Munson!« sagte der Fremde ruhig und kaum vernehmlich. »Aber wenn ihr nicht den Tag vergessen habt, wo eine andere Flagge als dieses Bild der Tyrannei, das jetzt auf eurem Rahme weht, zum ersten Male im Winde flatterte, so werdet ihr auch der Hand gedenken können, die sie aufpflanzte.«
»Licht her!« rief der Kommendant hastig.
Eine Laterne ward nach dem Lootsen hingehalten. Der Schein fiel auf seine Züge. Kapitän Munson staunte, als er das durchdringende blaue Auge und das blasse, aber ruhige Antlitz sah. Unwillkührlich zog der Veteran den Hut und entblößte sein Silberhaar.
»Er ist es!« brach er aus. – »Aber so verändert!«
»Dass ihn seine Feinde nicht erkennen!« unterbrach ihn der Lootse schnell. Dann nahm er den Kapitän bei dem Arme und führte ihn auf die Seite.
»Auch seine Freunde dürfen ihn nicht kennen«, setzte er leiser hinzu, »bis Zeit und Stunde gekommen ist.«
Griffith war zurückgegangen, um den dringenden Fragen seiner Kameraden Rede zu stehen. Keiner der Offiziere hörte daher das kleine Gespräch, ob sie schon bald wahrnahmen, dass ihr Befehlshaber seinen Irrtum eingesehen habe und froh sei, den rechten Mann an Bord gebracht zu sehn. Beide blieben einige Minuten, in ein ernstes Gespräch vertieft, auf einer Ecke des Hinterdecks beisammen.
Griffith hatte nicht viel zu erzählen. Die Neugier seiner Zuhörer war bald gestillt und aller Augen richteten sich nun auf den geheimnisvollen Führer, der sie aus Gefahren bringen sollte, die bereits groß waren und jeden Augenblick in der Tat zunahmen.
Da sieh die Segel! Ein Wind treibt sie, den niemand merkt, dahin. Und lange Furchen zieht der Kiel im Meere, trotzend Allen Wogen. –
Shakespeare.
Es ist bereits von uns angedeutet worden, dass in der Atmosphäre so Manches da war, was in der Brust des Seemannes ernste Unruhe rege machen konnte. Sah man von den Felsenschatten hinweg, so war die Nacht keinesweges so finster, um nicht in mäßiger Ferne alle Gegenstände zu entdecken. Am östlichen Himmel zog sich aber im dunkeln Gewässer ein heller Streifen bedenklicher Art dahin. Das Brausen des hohlgehenden Meeres ward mit jedem Augenblick stärker und damit beunruhigender. Mehrere dicke Wolken hingen über dem Schiffe, und die turmhohen Masten desselben schienen die schwarzen Dünste zu tragen, während nur wenige Sterne mit mattem Lichte in dem hellern Streife blinkten, der den Ozean umgürtete. Noch wehte gelegentlich ein sanfter Landwind, mit den frischen Dünsten der Küste geschwängert, allein zu leicht, zu unregelmäßig, um nicht sein gänzliches Ersterben sicher prophezeihen zu können. Das Brausen der Wogen an der Küste brachte ein einförmiges Geräusch hervor, das nur dann und wann von einem noch stärkern Brüllen unterbrochen ward, wenn eine Welle, größer als gewöhnlich, heftig gegen eine Höhle im Felsen anschlug. Kurz alles vereinte sich, die Szene düster und bedenklich erscheinen zu lassen, obschon keine Furcht für den Augenblick da war: denn noch schwebte das Schiff leicht auf den Wogen, ohne selbst das schwere Tau anzuziehen, das es an seinem Anker hielt.
Die Ober-Offiziere waren alle bei der Spille versammelt, und in ernste Gespräche über ihre Lage, ihre Aussichten vertieft, indessen einige der ältesten und begünstigtesten Matrosen ihren kurzen Weg bis zu den bestimmten Schranken des Hinterdecks ausdehnten, um mit begierigem Ohre die Vermutungen aufzuschnappen, die hier von ihren Obern fielen. Zahllos waren die ungeduldigen Blicke, welche die Offiziere, wie die Matrosen, auf den Kommendanten und den Lootsen warfen. Beide standen immer noch in einem entfernteren Teile des Schiffes im geheimen Gespräche begriffen. Einen der jungen Kadeten führte entweder unbesiegbare Neugier oder die Unbesonnenheit seiner Jahre dahin. Allein ein derber Verweis vom Kapitän schickte den Jüngling beschämt und verwirrt zurück, seinen Verdruss unter den Kameraden zu verbergen. Die ältern Offiziere nahmen dies als Weisung an, dass die Beratung, welche beide miteinander hielten, durchaus unverletzlich sein solle. In keiner Art unterdrückten sie freilich die wiederholten Ausbrüche ihrer Ungeduld. Aber sie wagten doch nicht, das Gespräch unmittelbar zu stören, so sehr es auch alle als unzeitig und über die Maaßen lang gedehnt erklärten.
»Jetzt ist nicht die Zeit, über Lage und Entfernung zu sprechen«, bemerkte der Offizier, welcher Griffith im Range am Nächsten war. »Wir müssen alle Hand ans Werk legen und die Fregatte herauszubugsieren suchen, so lange noch das Meer ein Boot tragen will.«
»Das wäre eine eben so unnütze als beschwerliche Arbeit!« erwiderte Griffith. »Ein Schiff meilenweit zu bugsieren, wenn das Meer gegen den Boogspriet anstößt! Allein der Landwind geht noch in der Oberluft frisch, und wenn ihn unsere leichten Segel annehmen und die Ebbe mithilft, so können wir dann wohl von der Küste wegkommen.«
»Ruft doch die Wache im Korbe an!« sagte der andere. »Fragt, ob sie Wind bemerkt. Es wird zum Mindesten ein Wink sein, den alten Mann und seinen Hans von Lootsen in Bewegung zu bringen.«
Griffith lachte, indem er dem Begehren Genüge tat. Als er die gewöhnliche Antwort auf den Ruf bekam, fragte er mit lauter Stimme:
»Von welcher Seite her kommt der Wind da oben?«
»Von Zeit zu Zeit kommt ein Windzug vom Lande her!« erwiderte der muntere Bootsmann; »allein unser Bramsegel hängt steif herunter und rührt sich nicht.«
Kapitän Munson und sein Gefährte machten eine Pause, während Frage und Antwort hier miteinander wechselten. Dann aber fuhren sie im Gespräch so eifrig fort, als hätte keine Unterbrechung Statt gefunden.
»Das Bramsegel könnte gehn wie es wollte, bei unserm Herrn hülf’ es doch nichts!« bemerkte der erste Offizier von den Seesoldaten, dessen Unwissenheit im Seewesen ihm die Gefahr noch größer erscheinen ließ. Indessen der Müßiggang ließ ihn mehr Scherz zu Tage fördern, als jeden anderen auf dem Schiffe. »Der Lootse«, fuhr er fort, »will mit den Ohren einen feinen Wink nicht wahrnehmen, – Herr Griffith, ich dächte, ihr nähmt ihn einmal bei der Nase.«
»Ach, wir hatten in der Schaluppe ein Lauffeuer!« erwiderte der erste Lieutnant, »und er scheint nicht der Mann, der solche Winke, wie ihr meint, verdauen kann. So sieht er sanft und stille, allein ich zweifle doch, dass er sich mit dem Buche Hiob viel zu schaffen macht.«
»Wozu sollte er denn das?« fragte der Kapellan, dessen Furcht zum Mindesten der des Offiziers von den Seesoldaten gleich kam. »Ich weiß gewiss, es wäre das großer Zeitverlust. Hier sind so manche Seekarten und Bücher über die Küstenschifffahrt zu studieren, dass er gewiss seine Zeit besser anwenden kann.«
Allgemeines Lachen war die Folge von dieser Bemerkung bei Allen, die sie hörten, und wie es schien, hatte sie die so sehnlich erwartete Folge. Sie machte der geheimnisvollen Unterhaltung des Kapitäns mit dem Lootsen ein Ende. Der letztere kam auf die erwartungsvolle Menge zu.
»Lasst den Anker einziehen und die Segel stellen!« sagte er zum Lieutnant Griffith mit der ruhigen und festen Haltung, die den Hauptzug seines Charakters bildete. »Die Stunde ist da, wo wir fort müssen!«
Das freudige: »Ja! Ja! Sir!« des jungen Lieutnants war kaum heraus, als das Geschrei von einem Halbdutzend Kadeten ertönte, die jeden Bootsmann und seine Matrosen zum Dienste riefen.
Eine allgemeine Bewegung kam nun in die lebenden Massen, die um den Hauptmast, auf den Raaen, den Leitern herum wogte, obschon die gewohnte Mannszucht alle einen Augenblick in Erwartung hielt. Das Stillschweigen unterbrach zuerst die Pfeife des Bootsmanns. Ihr folgte das raue Geschrei: »Jedermann an den Anker! frisch dabei!« Der tiefe Ton der Pfeife wechselte in der Dunkelheit mit einem gellenden, der wieder über dem Wasser hinschwand. Das Geschrei hallte im ganzen Schiffe wieder, wie das dumpfe Rollen eines fernen Donners.
Wunderbar war die Veränderung, die diese gewöhnlichen Zeichen zu Wege brachten. Menschliche Gestalten sprangen unter den Kanonen hervor, huschten aus den Luken heraus, schwangen sich mit sorgloser Eile von den Raaen herab, und kamen aus jedem Winkel so schnell herbei, dass das ganze Verdeck der Fregatte mit Menschen bedeckt war. Das tiefe Schweigen, das bisher bloß von dem leisen Gespräch der Offiziere unterbrochen ward, wich nun den ernsten Befehlen der Lieutnants, die das lautere Geschrei der Kadeten, die Donnerstimme des Bootsmanns und seiner Gefährten wiederholte. Die Stimme der Letztern war stärker als jeder Lärm und alle diese Vorbereitungen.