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Ein neuer Anfang: Der bewegende Liebesroman »Der Patchwork-Club – Eine Liebe in St. Elwine« von Britta Orlowski jetzt als eBook bei dotbooks. Niemals konnte Charlotte sich damit abfinden, dass ihre Mutter ihr den Kontakt zum Großvater verbot. Als sie viele Jahre später ein Brief von ihm erreicht, ist sie so berührt, dass sie beschließt, seine Zahnarztpraxis im kleinen St. Elwine zu übernehmen. Hier trifft sie auf den attraktiven Rockstar Tyler, der gerade für eine Auszeit in die Heimat zurückgekehrt ist – und obwohl ihre erste Begegnung alles andere als rosig verläuft, muss sie sich nach einer Weile doch eingestehen, dass es zwischen ihnen knistert. Zum Glück sind ihre neuen Freundinnen im örtlichen Patchworktreff nie um einen Rat verlegen. Und so nimmt Charlotte ihren Mut zusammen und lässt sich auf Tyler ein ... aber ist er wirklich bereit für die Liebe? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die mitreißende Smalltown-Romance »Der Patchwork-Club – Eine Liebe in St. Elwine« von Britta Orlowski ist der zweite Band ihrer Patchwork-Club-Reihe, so cosy wie die Romane von Susan Elizabeth Phillips und so dramatisch wie die von Nicholas Sparks. Der Roman ist ursprünglich unter dem Titel »Pampelmusenduft« erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 625
Über dieses Buch:
Ein neuer Anfang ...
Niemals konnte Charlotte sich damit abfinden, dass ihre Mutter ihr den Kontakt zum Großvater verbot. Als sie viele Jahre später ein Brief von ihm erreicht, ist sie so berührt, dass sie beschließt, seine Zahnarztpraxis im kleinen St. Elwine zu übernehmen. Hier trifft sie auf den attraktiven Rockstar Tyler, der gerade für eine Auszeit in die Heimat zurückgekehrt ist – und obwohl ihre erste Begegnung alles andere als rosig verläuft, muss sie sich nach einer Weile doch eingestehen, dass es zwischen ihnen knistert. Zum Glück sind ihre neuen Freundinnen im örtlichen Patchworktreff nie um einen Rat verlegen. Und so nimmt Charlotte ihren Mut zusammen und lässt sich auf Tyler ein ... aber ist er wirklich bereit für die Liebe?
Über die Autorin:
Britta Orlowski, Jahrgang 1966, wohnt im Havelland und ist Mutter zweier Söhne. Sie arbeitete 20 Jahre als zahnmedizinische Fachangestellte. Aber da sie in einer Zahnarztpraxis leider keine Geschichten erfinden durfte, widmete sie sich schließlich ihrem Traumjob, wurde Buchautorin und jobbte nebenbei in Buchhandlungen. Im Jahr 2008 erschien ihr Debütroman. Inzwischen arbeitet sie in einer Arztpraxis und lebt ihre Liebe zu Büchern trotzdem aus. Ihr Lebensmotto: Tu, was du liebst. Wenn sie nicht gerade Quilts näht, tummelt sie sich in ihrem geliebten Garten und/oder schreibt am nächsten Buch. Sie ist Mitglied im Schriftstellerverband des Landes Brandenburg, sowie bei DELIA und Organisatorin der DELIA Liebesromantage 2011 in Rathenow.
Britta Orlowski veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Patchwork-Club-Reihe mit den Einzelbänden »Rückkehr nach St. Elwine«, »Eine Liebe in St. Elwine«, »Sommertage in St. Elwine«, »Der Himmel über St. Elwine«, »Ein Kuss in St. Elwine« und »Herzklopfen in St. Elwine«.
Die Website der Autorin: britta-orlowski.de
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/Britta-Orlowski-155028824578718/?ref=bookmarks
Die Autorin auf Instagram: instagram.com/brittaorlowski/
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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Oktober 2024
Dieses Buch erschien bereits 2012 unter dem Titel »Pampelmusenduft« bei Aaronis Collection Aspach.
Copyright © der Originalausgabe 2012 Aaronis Collection Aspach und Britta Orlowski
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
Vignette: © Freepik.com/macrovector
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98952-215-2
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].
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Britta Orlowski
Der Patchworkclub – Eine Liebe in St. Elwine
Roman
dotbooks
Für alle Kinder,
deren Seelen Trauer tragen.
Vergesst nie: es ist nicht eure Schuld!
Traurigkeit ist etwas Natürliches. Sie ist das Atemholen der Freude.
Paula Modersohn-Becker
Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.
Lew Tolstoi
Familie Tanner:
Peter Tanner
Olivia Tanner geb. Conroy – Peters Ehefrau
deren Kinder:
Angelina Rickman geb. Tanner
Victoria de Bourrillon geb. Tanner Olivia
Joshua Tanner
Alexander Rickman – Angelinas Ehemann
deren Kind:
Leah Rickman
Jaques de Bourrillon – Victorias Ehemann
Elizabeth Tanner geb. Crane – Joshuas zweite Ehefrau
deren Kind:
Lucas Tanner
Familie Cumberland:
George Cumberland
Megan Cumberland – Georges Exfrau
deren Kind:
Marc Cumberland
Jennifer Cumberland geb. Brighton – Georges zweite Ehefrau
Amy – Marcs Freundin
Familie Svenson:
Johann Svenson
Emma Svenson – Johanns Ehefrau – verstorben
deren Kind:
Nathan Svenson
Celina Sinclair geb. Conroy – Nathans Exfrau – verstorben
deren Kind:
Charlotte Svenson
Maxwell Sinclair – Charlottes Stiefvater – verstorben
Annie Svenson – Nathans zweite Ehefrau
deren Kinder:
Thery Svenson
Emma Svenson
Familie Carmichael:
Chadwick Carmichael
Maureen Carmichael – Chadwicks Frau – verstorben
deren Kind:
Tyler O’Brian (Künstlername) Carmichael
Rodney Myers geb. Walsh – Tylers Halbbruder
Edward Walsh – Maureens zweiter Mann
Ruth Carmichael – Chadwicks zweite Ehefrau
deren Kind:
Matthew Carmichael
Nora: Besitzerin Patchworkladen
Doris Ross: frühere Haushälterin bei Frederick und Elizabeth Crane
Cybill Barlow: Angestellte bei einer Versicherung
Allison Webber: arbeitet im Autohaus
Kate: Haushälterin der Ganderton
Rachel Ganderton: Besitzerin der Boutique Schatztruhe
Dr. Elizabeth Crane: Chirurgin – Oberärztin im St. Elwine Hospital
Irene Reinhold: Kosmetikerin – Schwester des Sheriffs
Leslie Burg: Krankenschwester in der Notaufnahme
Dr. Charlotte Svenson: Zahnärztin
Floriane Usher: alleinerziehende Mutter – stammt aus der DDR
Bonny Sue Parker: Besitzerin des Schönheitssalons
Tanner & Cumberland Construction: Joshua Tanner, Marc Cumberland, Carry, Jenny
Schönheitssalon: Bonny Sue Parker, Irene Reinhold, Floriane Usher
Rickman Immobilien: Angelina Tanner-Rickman, Alexander Rickman
Zahnarztpraxis Svenson: Dr. Charlotte Svenson, Janet Carter, Anna Foley, (früher auch Bertha Chappell)
St. Elwine Hospital: Dr. Theodor Jefferson, Dr. Elizabeth, Dr. Curtis Zimmerman, Schw. Leslie Burg
Die Beleuchter blendeten die Scheinwerfer ab und tausende Fans schwenkten ihre Feuerzeuge hin und her. Die Töne waren verklungen, für einen Augenblick herrschte absolute Stille.
Tyler lächelte und winkte der Menschenmenge von der Bühne aus zu, doch mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Vor dem Konzert hatte er das Gefühl gehabt, im Hotel wäre jemand an seinen persönlichen Sachen gewesen. Es fehlte zwar nichts, dennoch blieb das ungute Gefühl.
Vielleicht war er einfach nur zu erschöpft. Seit Tagen fühlte er sich wie ausgebrannt. Er würde noch heute mit Norman reden und das Gespräch nicht länger hinausschieben.
Die Musik erklang wieder, die Spots flammten auf, und er sang noch einmal den Refrain in das Mikrofon. Es war das Lied, das stets den Schluss seiner Konzerte signalisierte. Seine Stimme veränderte sich, er hauchte die letzten Worte, bis sein heiseres Flüstern gänzlich verstummte. Die Streicher vollführten eine abschließende, schwungvolle Bewegung mit ihren Bögen und das Publikum brach in frenetischen Beifall aus.
Die Fans kreischten wie Teenager, und all die Jubelrufe galten ihm. Es war überwältigend.
»Ich danke euch, ihr seid ein wunderbares Publikum. Kommt sicher nach Hause und schlaft gut!« Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verließ die Bühne.
Die nicht nachlassenden Begeisterungsrufe begleiteten ihn auf dem Weg zur Garderobe. Irgendjemand warf ihm ein Handtuch zu. Tyler griff danach und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Erstklassige Vorstellung.« Norman McKee klopfte ihm auf die Schulter. »Was habe ich dir gesagt, Tyler? Bereits letzten Sommer, erinnerst du dich? Du bist reif für Europa, aber du wolltest nichts davon hören. Siehst du nun, dass ich recht hatte?«
Tyler grinste ihn an.
»Gib’s schon zu!«
»Okay, du hattest recht, Norman.«
»Du könntest ruhig etwas dankbarer klingen.«
Tyler, der schon fast an ihm vorbei war, blieb stehen. »Ich bin dir dankbar, Norman. Die Tournee ist ein Riesenerfolg. Aber vergiss nicht, wer daran einen beträchtlichen Anteil hat.«
Norman schob in einer unbewussten Geste seine Brille zurecht und hob beschwichtigend die Hände. »Okay, okay. Sei nicht gleich beleidigt. Wir Iren müssen schließlich zusammenhalten. Das ganze Team hat sein Bestes gegeben.«
»Yep.« Tyler war kein Freund großer und vor allem vieler Worte.
Er kannte Norman schon seit einigen Jahren. Norman hatte ihn Schritt für Schritt aufgebaut, ihn zu dem gemacht, was er war – ein umjubelter Rockstar. Das Fingerspitzengefühl und die unermessliche Geduld seines Managers hatten sich letzten Endes ausgezahlt. Tylers Erfolg schlug sich allerdings auch in barer Münze auf Norman McKees Konto nieder.
Tyler war weitergegangen und betrat seine Garderobe. Norman folgte ihm und lehnte sich von innen an die Tür. »Sag mir nicht, dass du dich vor dem heutigen Abend drücken willst. Die größte After-Show-Party, die London je gesehen hat. Das gerade war dein Abschlusskonzert. Du bist es dem Team einfach schuldig.«
Typisch Norman! McKees Agentur betreute viele Stars. Um Tyler allerdings kümmerte er sich stets persönlich. Tyler konnte nicht mit Sicherheit sagen, warum. McKee war erst heute in den frühen Morgenstunden in London gelandet, um das Abschlusskonzert mitzuerleben.
»Ist mir klar.« Tyler zog sich ein frisches Hemd über.
»In all den Jahren, die ich als Manager arbeite, habe ich nie jemanden kennengelernt, der so wenig für wilde Partys übrig hat wie du, Mr. O’Brian.«
Natürlich wusste Tyler, dass all die Menschen, die zum Team gehörten und letztlich zum Erfolg der Tournee beigetragen hatten, erwarteten, dass er mit ihnen feierte. Er nahm ein Haargummi vom Frisiertisch und band seine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Die Leute haben sich die Feier wirklich verdient.«
»So ist es. Und du auch, Tyler.«
»Die Tournee war aufregend, aber auch anstrengend. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass sie zu Ende ist. Nach dem Rückflug werde ich mir eine Auszeit gönnen.«
In Normans Gesichtsausdruck flackerte kurz Alarmbereitschaft auf, bevor er wieder sein Pokerface aufsetzte. »Das scheint mir nicht besonders klug. Du stehst jetzt ganz oben, Junge, auf dem Zenit deiner Karriere. Davon träumen andere ihr Leben lang.«
»Ich brauche trotzdem eine Auszeit. Ich bin erschöpft, und ich suche nach einem …« Er zögerte. »Nach einem neuen Ziel in meinem Leben.«
Norman öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes, als wurde ihm plötzlich der Kragen zu eng. »Was für ein Ziel, verdammt? Du bist ganz oben! Was willst du noch?«
Tyler nickte. »Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich ein Star. Wir beide wissen, dass ich zurzeit gefragt bin wie noch nie. Aber …«
Norman ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. »Aber was?«
»Was, wenn sich das ändert? Was, wenn die Tourneen beendet sind und die Auftritte hinter mir liegen? Ich ziehe von Hotel zu Hotel, lebe ständig aus dem Koffer. Früher habe ich mir das als eine Art Abenteuer vorgestellt, aber das ist es nicht. Ich möchte für den Rest meines Lebens kein umherziehender Wanderer sein. Ich brauche ein Zuhause, wenn es still wird um mich. Doch wohin soll ich dann gehen?«
Norman sah ihn entgeistert an. »Du redest von einem Heim? Mit Haus und Gartenzaun, oder was gehört deiner Meinung nach dazu?«
Tyler zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine konkreten Vorstellungen. Vielleicht eine Art Ranch mit Pferden. Vielleicht auch das Meer in der Nähe. Ein Stück Land, etwas außerhalb, wo mich Fans und Presse nicht so schnell aufspüren können.«
Norman runzelte die Stirn, als überlegte er bereits, wie er einen Kompromiss finden könnte. Wahrscheinlich dachte er an das Benefizkonzert im New Yorker Central Park, das in einer Woche stattfand. Anschließend, so hatte er einigen wichtigen Leuten versprochen, wollte er ein paar Gastauftritte mit Tyler in Fernsehshows organisieren. Außerdem löcherte ihn der örtliche Radiosender von Jonesville in Louisiana seit geraumer Zeit wegen eines Liveinterviews. In dieser Stadt war Tyler aufgewachsen.
Er hatte Norman bereits gesagt, dass er den Sender abwimmeln sollte. Wie immer würde er einen großen Bogen um den Ort seiner Kindheit machen. Norman hatte ihn nie danach gefragt, aber wahrscheinlich vermutete er irgendein dunkles Geheimnis in Tylers Vergangenheit. Was immer er glaubte, er hatte ohne Weiteres und äußerst gekonnt eine Biografie für Tyler zusammengebastelt, diese mit einigen tatsächlichen Daten gespickt, um sie anschließend mit zahlreichen erfundenen Details auszuschmücken. Die Fans, die Presse und letztlich Tyler selbst zeigten sich damit zufrieden. Außerdem nutzte Norman Tylers – so wörtlich – »geheimnisvolle Ausstrahlung eines dunklen Rebellen« aus, um dieses Image weiter auszubauen. Es funktionierte.
Junge Männer erkannten sich in den Liedern wieder, die Tyler sang, und konnten sich mit den Problemen, die er ansprach, identifizieren. Frauen beteten ihn an. Doch es war seine Musik, die sie alle vereinte. Das war unverfälschter Rock ’n ’ Roll, mal laut, mal leise, mit unverkennbar irischen Einflüssen.
»An welche Himmelsrichtung hast du denn gedacht? Amerika ist groß.« Norman lächelte versöhnlich.
»Alles bis auf Louisiana. Aber mach dir keine Mühe, Norman. Ich werde mich selbst auf die Suche machen.«
Wieder zupfte Norman mit fahrigen Bewegungen an seinem Hemdkragen herum. »Wie stellst du dir das vor? Du kannst nicht einfach losmarschieren, ein Plakat in der Hand, mit der Aufschrift: Häuschen im Grünen gesucht.«
Tyler wurde langsam ärgerlich. »Wir reden später.« Er war verschwitzt und wollte endlich ins Hotel und unter die Dusche. »Vergiss nicht, Norman, ich bin achtunddreißig Jahre alt.«
Wie nicht anders erwartet, wedelte sein Manager aufgeregt mit den Händen. »Nicht so laut, Tyler, um Gottes willen. Sonst kannst du dein wahres Alter gleich in der Times veröffentlichen.«
»Warum auch nicht? Ich habe kein Problem damit.«
Sie wussten beide, dass dies der einzige Fakt der zusammengestellten Biografie war, mit dem Tyler nicht einverstanden gewesen war. Er sah wesentlich jünger aus und Norman hatte ihn schließlich dazu gebracht, in diesem Punkt nachzugeben.
Junge, schöne Rebellen ließen sich einfach besser verkaufen als Helden, die langsam in die Jahre kamen.
Medizinische Station, ehemalige Missionsstation
Hunderte Kilometer von Mombasa
Charlotte saß in dem spärlich eingerichteten Raum, in dem sie die meisten Nächte der vergangenen zehn Jahre verbracht hatte. Sie lümmelte auf dem schmalen Bett und nahm noch einmal den Brief ihres Großvaters zur Hand. In den letzten Wochen hatte sie ihn so oft gelesen, dass sie die Worte inzwischen aus dem Gedächtnis aufsagen konnte.
Meine liebe Charly,
zunächst möchte ich dir mein Beileid zum Tod deiner Mutter und deines Stiefvaters aussprechen. Welch herber Verlust für dich. Ich weiß nicht, wie es dir jetzt geht und ob du dich überhaupt noch an mich erinnerst. Vor vielen Jahren musste ich deiner Mutter das Versprechen geben, mich von dir fernzuhalten. Jetzt, nach ihrem Tod, fühle ich mich nicht mehr daran gebunden. Inzwischen bin ich ein alter Mann, der viele Menschen verloren hat, die er liebte. Ich habe deinen Weg trotz allem im Auge behalten und weiß, dass du denselben Beruf ergriffen hast wie ich. Vielleicht bist du an einem Punkt in deinem Leben angelangt, an dem du erkennst, dass du noch etwas anderes möchtest.
Wenn du einen Teil deiner Wurzeln kennenlernen willst, dann komm zu mir. Meine alte Praxis wartet noch auf einen Nachfolger. Ich habe stets gezaudert, sie jemandem anzubieten. Vielleicht, weil ich davon geträumt habe, dass du sie eines Tages übernehmen wirst. Ich wohne noch immer in dem schönen Haus in St. Elwine, das du als Kind so geliebt hast. Oder hast du es vergessen?
Wie könnte sie das je vergessen? Die Erinnerung an die frühesten Jahre ihrer Kindheit hütete sie wie einen kostbaren Schatz.
Grandpa. Woher wollte er wissen, dass sich jetzt, wo ihre Mutter nicht mehr lebte, alles geändert hatte? Er hatte Charly verstanden, damals. Wäre das heute auch noch so?
Seit deine Großmutter vor sechs Jahren starb, ist es nicht mehr dasselbe für mich. Fühlst du dich auch so allein wie ich? Ohne eine richtige Familie? Komm zu mir! Egal, für wie lange, egal wann. Komm einfach! Ich werde auf dich warten.
Immer dein Großvater
Johann Svenson
Charlotte schloss für einen Moment die Augen.
Als dieser Brief sie vor exakt vierzig Tagen erreichte, hatte sie gleich dieses kribbelnde Gefühl in den Beinen gespürt. Sie musste lächeln, als sie sich an das alte Spiel mit Grandpa erinnerte. Charly, mein Liebling. Du musst hüpfen! Spürst du es? Hüpf auf und nieder, von einem Bein aufs andere. Es verscheucht die bösen Gedanken und wärmt dich auf, hatte er zu ihr gesagt, wann immer sie traurig oder ängstlich war. Sie war gehüpft und gehüpft, so lange, bis sie sich beide die Bäuche vor Lachen gehalten hatten.
Charlotte stand auf und stellte sich auf die Zehenspitzen. Sie bewegte federnd die Knöchel, bis sie schließlich auf und nieder hüpfte.
»Was treibst du denn da?«
Sie hatte nicht gehört, dass Konesha ins Zimmer getreten war.
»Das Flugzeug wird in zehn Minuten starten. Der Pilot setzt dich in Mombasa ab.«
»In Ordnung, ich bin so weit.« Charlotte ließ ein letztes Mal den Blick durch den Raum schweifen, nahm ihren Koffer und ging mit Konesha hinaus in die Hitze Afrikas.
»Tja, es bleibt mir nicht mehr viel zu sagen, Charly. Ich erinnere mich, wie du vor zehn Jahren hier aufgetaucht bist. Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Sie schicken mir ein Modepüppchen statt eines kräftig zupackenden Zahnarztes. Drei Monate gab ich dir höchstens, nach denen du freiwillig heim zu Mama und Papa wollen würdest. Ich habe mich geirrt. Übrigens der beste Irrtum meines Lebens. So lange wie du hat es noch keiner hier ausgehalten.« Die schwarze Ärztin zog Charlotte an ihre Brust.
»Konesha, du wirst mir fehlen. Aber ich muss fort.«
»Ich weiß, mein Kleines. Du hast nie hierher gehört. Es ist nicht deine Bestimmung, aber du hast den Menschen meines Volkes unendlich viel Gutes gegeben. Ich danke dir.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Charlotte, wie der Pilot auf seine Armbanduhr sah.
Es war Zeit zum Aufbruch.
Die stickige Luft und die ungeheure Menschenmasse am John F. Kennedy International Airport in New York trafen Charlotte wie ein Schlag in die Magengrube. Sie war verschwitzt, ihre Hände fühlten sich klebrig an und ihr Koffer war nicht auffindbar gewesen, sodass sie noch beinahe eine Stunde in der Schlange am Reklamationsschalter gestanden hatte.
Sie brauchte Luft, und wenn es nur die von Abgasen verpestete Großstadtbrühe wäre. Die Schiebetüren zum öffentlichen Bereich des Terminals glitten auseinander und ein wildes Kreischen und Johlen aus Hunderten Kehlen brandete auf.
Charly blieb abrupt stehen. Himmel, was war denn hier los? Sie erkannte schnell, dass es sich nicht um Angstschreie oder eine Massenpanik handelte. Vorrangig waren es Frauen, die wie Groupies auf einem Konzert kreischten und mit den Armen in der Luft fuchtelten.
Und da musste sie mitten hindurch. O Gott.
Charly holte tief Luft und zog sich einige Meter bis hinter die nächste Gangbiegung zurück. Sie lehnte sich an einen Betonpfeiler und tastete im Rucksack nach dem Handy, bekam es endlich zu fassen und tippte eine Nummer ein. Am anderen Ende nahm jemand ab.
»Hallo?« Die warme Bassstimme ihres Großvaters. Ihn jetzt wahrhaftig zu hören, verschlug ihr schier die Sprache.
»Hallo, Dr. Svenson hier. Wer ist da bitte?« Pause. »Charly – bist du es? Charly?«
Sie war plötzlich nicht mehr in der Lage, zu antworten und legte rasch auf. Später, wenn sie sich besser mental darauf vorbereitet hatte, würde sie mit ihm telefonieren.
Charlotte warf einen Blick um die Ecke. Immer wieder gingen Passagiere auf den Ausgang zu, die Schiebetüren schoben sich auseinander und schlossen sich wieder. Das Kreischen hallte bis zu ihr herüber.
Sie atmete tief durch. Wenn sie nicht auf dem Flughafen übernachten wollte, würde sie sich einen Ruck geben müssen. Sie stieß sich von dem Betonpfeiler ab und bog um die Ecke. Prompt krachte sie gegen einen unnachgiebigen Oberkörper.
Durch den heftigen Zusammenprall fiel etwas auf den Boden und landete auf ihrem Schuh.
Charly bückte sich instinktiv nach der Sonnenbrille, ehe sie noch darauf trat. Gleichzeitig, und unschöne Flüche murmelnd, bückte sich auch ihr Kollisionspartner. Um ein Haar wären sie auch noch mit den Köpfen zusammengestoßen.
Während sie ein schuldbewusstes »Sorry« hervorbrachte, murmelte der Typ irgendetwas von einem Autogramm.
Charly musste trotz ihrer miserablen Laune lachen, aber es klang eher bissig. »Tja, Mister. Ich fürchte, Sie haben Ihr Idol verpasst.« Sie bekam die Sonnenbrille zu fassen und hob sie auf.
»Wen verpasst?« Der Blick des Unbekannten bohrte sich in ihren.
Sie hielt ihm die Brille entgegen. Wow – was für ein Gesicht. Einfach zu schön, um wahr zu sein. Nimm dich zusammen, Charlotte Svenson! Anscheinend war sie einige Zeit zu lange im Dschungel gewesen. Aber diese Augen! Wie konnte jemand so traurige Augen haben? Sie riefen ein Gefühl in ihr hervor, als hätte sie ein Küken vor sich, das aus dem Nest gefallen war.
»Ich fürchte, Lady, Sie haben vor sich hingeträumt.« Entrüstet schnappte sie nach Luft. Der Kerl besaß die Unverfrorenheit, ihr die Schuld an dem Zusammenstoß zu geben?
»Also wirklich. Was …?« Mehr brachte sie nicht heraus.
Tyler musterte die Frau genauer. Klein und blond, jedoch nicht blauäugig. Sie passte nicht ganz in das Blondinenklischee. Ihre Augen waren von einem helleren Braun als seine eigenen und erinnerten ihn an schmelzende Milchschokolade. Sie trug enge Jeans und eine weite, unförmige Bluse – zu schade. Ihre Wangen waren gerötet, sie roch ein bisschen nach Schweiß, aber keineswegs unangenehm. Da war noch ein anderer Duft, ein kräftiger, der alles überlagerte. Sie roch nach Früchten, nach Grapefruit, mit Pfefferminz gemixt, wenn er sich nicht täuschte. Tyler ermahnte sich gerade noch rechtzeitig, um nicht wie ein Hund an ihr herumzuschnuppern. O Gott, hatte er den Verstand verloren?
»Schon gut. Anscheinend mögen Sie keine Rockmusik, Lady.«
»Nein, ich bevorzuge Klassik.«
Tyler war erleichtert und doch insgeheim auch ein klein wenig enttäuscht, dass die Frau kein Fan war. »Auch okay, Lady. Meinen Sie im Ernst, ich hab ihn verpasst?« Er hatte plötzlich Lust, sie ein wenig an der Nase herumzuführen.
»Was?«
»Tyler O’Brian. Der soll gerade gelandet sein.« Er deutete auf die Menschenmenge, die gebannt die Schiebetüren beobachtete und kollektiv aufkreischte, sobald das Glas auseinanderfuhr.
»Nun, ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen. Der Name sagt mir nichts.« Sie lächelte ein wenig verkniffen.
»Tja, da kann man wohl nichts machen. Herrje, wäre ich bloß nicht aufs Klo gegangen. Dann hätte ich ihn bestimmt noch erwischt. Diese verdammte schwache Blase.«
Angewidert verzog die Blondine das Gesicht.
Tyler verkniff sich ein Lachen. Er schüttelte scheinbar ungläubig den Kopf. »Alles umsonst. Sie müssen wissen, Lady, ich warte hier schon seit zwei Tagen, nur um ein Autogramm zu ergattern«, fügte er in seinem breitesten Südstaatenakzent hinzu.
Sie holte tief Luft und lächelte ihn zuckersüß an. »Das … ähm … tut mir schrecklich leid. Suchen Sie doch mal einen Urologen auf, der wird Ihnen bei Ihrem Problem sicher weiterhelfen können.«
Tyler biss sich auf die Lippen, um nicht loszuprusten. »Wirklich, Ma’am? Können Sie mir jemanden empfehlen?«
Die Kleine verdrehte die Augen.
Leider ersparte ihr das Läuten seines Handys eine Antwort.
»Sorry.« Er drehte sich zur Seite.
»Tyler, wo zum Kuckuck stecken Sie? Die Presseleute warten.« Normans PR-Assistentin, wirkte wie immer gehetzt.
»Ich bin auf dem Flughafen aufgehalten worden. Immer mit der Ruhe. Spielen Sie denen doch meine neueste CD vor. Bis gleich.« Er beendete das Gespräch und drehte sich um.
Die Blondine mit dem Pampelmusenduft war verschwunden. Mist!
Tyler nickte Jerry und seinem Kollegen in ihren schwarzen korrekten Armani-Anzügen zu und wies auf den Ausgang. Die Bodyguards folgten ihm in angemessenem Abstand.
Charlotte konnte nicht umhin, zu bemerken, wie knackig sein Hintern in den engen Jeans saß. Kurz schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, was für eine Verschwendung es doch war, diesem Spatzenhirn einen derart wunderbaren Körper als Heim zu geben. Die blanke Ungerechtigkeit.
Herrgott, wie beschränkt musste jemand sein, um an einem Flughafen wegen eines Autogramms auszuharren. Na ja, ein Mann mit einem so schönen Gesicht durfte einen Sprung in der Schüssel haben. Immerhin ein gerechter Ausgleich für die Laune der Natur.
Charlotte trat an die Rezeption im Plaza-Hotel. »Mein Name ist Charlotte Svenson. Ich bin mit Miss Faye Carrington verabredet.«
Die Dame am Empfang blickte auf. »Entschuldigen Sie, wir haben heute etwas viel Trubel im Haus.«
O nein, nicht schon wieder! »Sagen Sie jetzt bitte nicht den Namen Tyler O’Brian.« Das sollte ein Witz sein.
»Ja, er ist aufregend, nicht wahr? Ich liebe seine Songs.«
Schmerz, lass nach! Charlotte gab sich die größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
»Faye erwartet Sie bereits, Dr. Svenson.« Sie winkte einen Pagen heran. »Bringen Sie die Dame bitte zu Miss Carrington.«
»Haben Sie Gepäck, Madam?«
»Nein, kein Gepäck. Mein Koffer ist abhandengekommen. Die Fluggesellschaft wird ihn mir nachsenden.« Charlotte deutete nur auf ihre Handtasche.
»Natürlich, wir werden Sie sofort benachrichtigen, wenn das Gepäckstück eintrifft.«
»Vielen Dank.« Erleichtert folgte Charlotte dem jungen Pagen zum Lift.
»Herein«, rief Faye nach dem Klopfen. »Charly, wie schön, dass du da bist. Dich schickt mir der Himmel.« Ihre Freundin saß mit einem Gipsbein auf dem Sofa.
»Was ist passiert?« Charlotte sah sie entgeistert an.
»Gestern Abend – ich bin über die Teppichkante gestolpert und umgeknickt. So ein Pech. Gerade jetzt, wo ich meinen Onkel so weit hatte, dass er mir die Stelle der VIP-Betreuerin in diesem Hotel übertragen hat. Ich könnte endlich einen Superstar betreuen, sozusagen als Feuertaufe. Ich weiß, dass ich das Zeug dazu habe, die Wünsche unserer ganz besonderen Gäste zu erfüllen.« Sie fuhr sich durch ihr welliges Haar. »Ich wollte es meinem Onkel beweisen, dass ich nicht nur auf die kulturellen Wünsche der normalen Gäste eingehen kann, wenn sie Tickets für den Broadway oder sonst was wollen. Und nun das.« Sie klopfte gegen den Gips um ihren linken Knöchel.
»Oje. Dein lang gehegter Traum.«
Faye nickte niedergeschlagen.
»Lass mal Tante Charly überlegen. Du brauchst jemanden, der dich bei dieser Berühmtheit vertritt.«
»Aber mein Onkel …«
»Der muss das doch nicht erfahren. Wohnt er im Hotel?«
»Normalerweise schon. Momentan ist er allerdings für einen Monat im Plaza in Kalifornien.« Faye grinste.
Charlotte hob die Hände. »Na bitte. Denk nach, wer könnte für die Aufgabe infrage kommen?«
»Ich weiß nicht recht. Wenn ich es genau betrachte, eigentlich nur du, Charly.«
»Ich?« Entgeistert fuhr sie herum. »Ich bin gerade aus Afrika gekommen. Meine paar Klamotten sind in meinem Koffer und der ist weg. Sieh mich an, wie ich aussehe! Ich bin hundemüde und hungrig und mit derlei Aufgaben nicht vertraut.«
Faye musterte Charly und klopfte auf das Sofa, auf den Platz neben sich. »Komm, setz dich erst einmal. Mein Gott, es ist furchtbar lange her, seit wir so zusammensitzen konnten.«
Charlotte überlegte. »Drei Jahre, seit meinem letzten Urlaub.«
»Lass dich einfach mal drücken! Immer nur Briefe und Telefonate …« Faye breitete ihre Arme aus.
Charly bückte sich ihrer Freundin entgegen. »Du hast recht. Das ist nicht dasselbe.«
Faye hielt sie fest. »Die Sache mit deinen Eltern tut mir leid.«
»Danke.«
»Wie geht es dir? Kommst du klar?« Faye streichelte ihr über den Arm.
»Du weißt doch, was ich für ein Verhältnis zu meiner Mutter hatte.« Charly rieb sich die Stirn. »Ich empfinde keinen Schmerz. Nicht den leisesten Hauch. Vielleicht bin ich zu kaltherzig.«
»Du weißt genau, dass das nicht zutrifft.«
Wirklich? Charly wusste nicht, ob sie tatsächlich daran glauben sollte.
»Und dein Großvater? Hast du schon mit ihm gesprochen?«
Charlotte setzte sich und schüttelte den Kopf. »Ich konnte noch nicht.«
Faye berührte immer noch Charlottes Arm. »Ich mache dir einen Vorschlag. Du gehst jetzt erst einmal duschen und ich lasse in der Zeit etwas zu Essen bringen. Im Kleiderschrank findest du, was du brauchst. Sieht so aus, als hätten wir noch immer dieselbe Größe.«
Charlotte rollte mit den Augen. »Nicht, was meine verflixte Oberweite anbelangt.«
Faye seufzte. »Ich wünschte, ich hätte so einen vollen Busen.«
»Ich geb dir gern etwas ab. Hoffentlich hast du eine weite Bluse.« Charlotte versuchte immer ihre Oberweite zu kaschieren.
»Wie hätten Sie es gern, Dr. Svenson? Klassisches Rot oder etwas Ausgefallenes?«
Charlotte linste auf das Namensschild der jungen Frau, die ihr gegenübersaß. »Eine French-Maniküre.«
Sie hatte wunderbar geschlafen und anschließend gefrühstückt. Jetzt saß sie im Beautysalon des Plaza und ließ sich verwöhnen. Das war es, was sie in Afrika am meisten vermisst hatte. Obgleich dieser Genuss einen nicht gerade kleinen Haken hatte. Faye Carrington, dieses gerissene Biest, hatte es tatsächlich geschafft, sie zu überreden, ihre Vertretung zu übernehmen.
Charly als VIP-Betreuerin. Einfach lächerlich.
Aber Faye hatte ihr in aller Logik sämtliche Vorteile aufgelistet.
Charlotte war es zwar gelungen, sie fast alle zu widerlegen – bis auf einen. Nämlich, dass Faye Charly in dieser Sache absolut vertrauen konnte. Was blieb ihr, als händeringend nachzugeben? Die Vorteile waren nicht von der Hand zu weisen. Charlotte durfte in den Räumen ihrer Freundin wohnen, Kost und Logis frei – verstand sich. Als Bonus konnte sie sämtliche Leistungen des Hotels kostenlos in Anspruch nehmen. Was sie auch ausgiebig zu tun gedachte.
»Hallo Liebes.« Faye ließ sich auf den Stuhl neben sie plumpsen und lehnte die Krücken an die Wand. »Ich hoffe, du bist zufrieden mit allem.«
Charlotte nickte. »Mehr als das.«
»Du hast so friedlich geschlafen, ich wollte dich nicht wecken.«
Charlotte warf ihrer Freundin einen dankbaren Blick zu. »Wann geht mein Einsatz los?« Sally vom Empfang hatte gestern Abend mitgeteilt, dass der VIP-Gast zu müde für eine Unternehmung sei und früh zu Bett gehen wolle. So hatten sie ein bisschen Zeit gewonnen und Faye konnte sie besser einweisen. Frisur, Make-up und Klamotten mussten natürlich dem Stil des Hauses entsprechen. Elegant, teuer, aber unaufdringlich. Also hatte Faye flugs alles mit Grace und der Friseuse besprochen und für Charly den Termin bei der Nageldesignerin vereinbart.
»Wahrscheinlich am frühen Nachmittag. Erst gehen wir gleich in die Boutique und suchen dir neue Kleider aus«, bestimmte Faye.
Charly verdrehte die Augen. Wie hatte sie sich nur zu dieser Sache hinreißen lassen? Sie musste vorübergehend geistig umnachtet gewesen sein. Das konnte niemals gut gehen. Vielleicht sollte sie die ganze Angelegenheit als eine Art Urlaubsgag betrachten. Sie nahm rasch einen großen Schluck Orangensaft. »Willst du mir nicht endlich verraten, wer dein VIP-Gast ist?«
»Habe ich das noch nicht getan? Ich dachte, du wüsstest es.« Faye trällerte beinahe. »Tyler O’Brian natürlich.«
Charlotte verschluckte sich fast an ihrem Saft. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Wieso, kennst du ihn?«
»Nein. Aber der Kerl war verantwortlich für das Chaos auf dem Flughafen.«
»Dafür kann er schließlich nichts.« Faye blickte auf ihre Uhr. »Er sieht unglaublich gut aus. Der Typ gefährlicher, doch zutiefst verletzter Rebell.«
Charlotte betrachtete ihre Fingernägel. »Garantiert alles nur Show. Sein Management wird sein Image passend zu seinem Aussehen aufgebaut haben.«
Faye nickte. »Garantiert. Er ist der Johnny Depp Typ der Rockmusik. Ich finde, es besteht sogar eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden. Meinst du nicht?«
»Faye, du weißt doch, dass ich klassische Musik über alles liebe. Ich kenne weder seine Songs noch habe ich bis gestern überhaupt je seinen Namen gehört. Seitdem allerdings öfter, als mir lieb ist.«
»Charly, ich liebe dich. Aber manchmal klingst du wie ein Snob. Ich wette, das ist der Teil deiner DNS, den deine Mutter dir vererbt hat. Es gibt so viele schöne Arten von Musik. Jede hat ihren besonderen Reiz.«
»Ph …« Beleidigt wandte sich Charly ab.
»Super – einfach perfekt. Ein wenig flippig, aber nicht zu gewagt. Du siehst aus wie Britney Spears große Schwester«, rief Faye schließlich eine Stunde später in ihrem Zimmer begeistert aus.
»Wer ist Britney Spears?«, hakte Charlotte nach.
Faye verdrehte die Augen. »Ach, vergiss es!«
Charlotte stemmte die Hände in die Hüften. »Lass das, ja? Oder ich überlege mir alles im letzten Moment anders.«
Faye verzog erschrocken das Gesicht. »Schon gut, schon gut. Hier. Das Handy habe ich extra aufgeladen, für eventuelle Hilferufe. Ich werde den ganzen Abend für dich erreichbar sein.«
»Ich kann unmöglich diesen knappen Fummel anbehalten. Meine Brüste kommen darin viel zu sehr zur Geltung und der Ausschnitt reicht ja fast bis zum Bauchnabel.« Charlotte zupfte an ihrem Oberteil herum.
Faye versuchte sie zu beruhigen. »Unsinn, es ist perfekt.«
»In welche Diskothek soll ich denn mit diesem Typen gehen?«
Faye reichte ihr einen Zettel. »Hier ist eine Liste der angesagtesten Lokalitäten. Frag ihn einfach. Was immer er möchte, das Plaza erfüllt seine Wünsche.«
Charlotte überflog die Zeilen. »Ähm … Faye … nur für den Fall. Was mache ich, wenn er später noch einen Schlummertrunk in seiner Suite mit mir einnehmen möchte? Du verstehst schon.«
»Verlass dich einfach auf dein Gefühl. Entscheide aus dem Bauch heraus.«
»Soll das heißen, du würdest mit ihm ins Bett gehen, wenn die Situation es erfordert?« Charlotte konnte es nicht fassen.
Faye zuckte mit den Schultern. »Was weiß denn ich.«
»Das kommt für mich nicht infrage. Ist das klar?« Charlotte blickte ihrer Freundin fest in die Augen.
»Selbstverständlich. Niemand verlangt das von dir, Charly. Das wäre rein privat und nichts, was das Hotel anbietet.«
Es klopfte an der Tür.
»Der Page bringt dich zu O’Brians Suite. Also los – alles wie besprochen. Du stellst dich ihm vor, mit meinem Namen, nicht vergessen! Und denk dran, das Plaza oft genug zu erwähnen. Es kann gar nichts schief gehen.« Faye küsste sie auf die Wange und schob sie auf den Gang hinaus.
Auf das Klopfen des Pagen öffnete niemand.
»Gehen Sie nur rein, er erwartet Sie«, forderte der junge Hotelangestellte Charly auf.
»Sind Sie sicher?«
Er nickte und komplimentierte sie in die Suite hinein.
Im Wohnzimmer war keine Menschenseele. Sie hörte schwache Geräusche. »Hallo Mr. O’Brian?«, rief sie und machte ein paar Schritte vorwärts.
»Sind Sie die VIP-Betreuerin?«
Er schien im Badezimmer zu sein, denn sie hörte kurz Wasser fließen. »Ja, Sir, Cha … Faye Carrington vom Plaza New York. Sie hatten mich angefordert.«
»Einen Augenblick. Tut mir leid, ich bin etwas eingenickt, aber gleich bei Ihnen.«
Eingenickt – so viel zu dem Rebellenimage. Alles Lüge.
Charly sah sich um. Auf dem Sofa lagen eine zerwühlte Decke und ein Buch. Ordnungsliebend, wie sie war, wollte sie schon die Decke zusammenlegen, konnte sich aber im letzten Moment bremsen. Stattdessen nahm sie das Buch zur Hand. Ein Gedichtband, na so was. Gehörte sicher zur Grundausstattung dieser Luxussuite. Schließlich waren hier oft genug gekrönte Häupter aus aller Welt zu Gast. Ein Rockstar freilich schlief gelangweilt bei solchen literarischen Leckerbissen ein.
»Entschuldigen Sie, es ist sonst nicht meine Art, Termine zu verschlafen. Ich war für einige Monate in Europa und habe noch ein wenig mit der Zeitverschiebung zu kämpfen. Bin gestern erst zurückgekommen«, erklang eine tiefe Stimme in ihrem Rücken.
Charlotte setzte, wie sie hoffte, ein professionelles Lächeln auf und wandte sich um. Im selben Moment begriff sie, das eben jenes Lächeln verrutschte. Vor ihr stand der Typ vom Flughafen, der sie fast über den Haufen gerannt hatte.
Er trug eine elegante schwarze Hose, teure Schuhe von Gucci und ein weißes Hemd, das er gerade erst zuknöpfte. Auf seiner breiten Brust erkannte sie ein Tattoo. Das dunkle schulterlange Haar trug er offen.
Sein Blick blieb an ihrem Busen hängen. Er schluckte. Charly verfluchte ihre Freundin im Stillen, war dennoch froh, dass er sie nicht wiederzuerkennen schien.
Sie atmete tief durch. »Mr. O’Brian, wie möchten Sie den heutigen Abend verbringen? Ich versichere Ihnen, das Plaza scheut keine Mühen, Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Wünsche behilflich zu sein.«
Er starrte immer noch auf ihre Brüste. »Tatsächlich?«
Tyler hob den Blick. Sie trat einen Schritt rückwärts. Bei der sanften Bewegung verströmte sie einen Duft nach frischen Früchten mit Pfefferminz gemixt.
Tyler kannte diesen Geruch.
Natürlich – die Pampelmusenlady vom Flughafen. Er musterte sie genauer. In den knallengen Klamotten kam ihre kleine, aber bestens geformte Figur ausgezeichnet zur Geltung. Diese sagenhaften Brüste hatten ihn vorübergehend zu sehr abgelenkt, aber er war jetzt sicher. Sie war eindeutig die Frau vom Flughafen.
Sie schien zu bemerken, dass er sie wiedererkannte. Ihr Blick glitt zu Boden. Was verbarg die Kleine? Sie wirkte viel zu unsicher für ihren Job.
»Sie sind sicher, dass Sie VIP-Betreuerin sind?« Die Leitung vom Plaza hatte ihre Angestellte zum Girly-Groupie-Typ aufgepeppt. Warum dachten die Leute nur immer, Rockstars würden so etwas mögen? Sie wirkte ungeheuer jung für eine Angestellte mit dieser Verantwortung. Ihr Gesicht war mit allzu viel Make-up zugekleistert. Sie starrte ihn an wie ein verschrecktes Kaninchen.
Sie nickte und lächelte.
»Wie passt es dann zusammen, dass Sie einen Prominenten nicht erkennen, wenn Sie mit der Nase darauf stoßen? Bei Ihrer Tätigkeit ein wenig ungewöhnlich. Das müssen Sie zugeben.«
»Ähm – ja, Sie haben recht. Ich bin ebenfalls erst gestern angekommen. Die letzten zehn Jahre habe ich in Afrika verbracht.«
»In Afrika, soso.« Er glaubte ihr kein Wort.
Sie legte sein Buch zurück. »Ähm … vielleicht ist es besser, ich fange ganz von vorn an.«
»Oh, ich bitte darum, Miss. Ich habe nämlich mitunter Schwierigkeiten, etwas zu begreifen.« Er grinste, als er sich daran erinnerte, wie er gestern den Einfaltspinsel gespielt hatte.
»Ja, ja – ich weiß«, antwortete sie prompt.
Er hob die Brauen.
Die Wangen der Kleinen liefen feuerrot an. Sie starrte ihm erschrocken ins Gesicht. Offenbar ging ihr auf, dass er sie durchschaut hatte und hielt ihn gleichzeitig für einen absoluten Trottel. »Warum setzen wir uns nicht und Sie erklären mir alles in Ruhe? Möchten Sie etwas zu trinken?«
»Da gibt es nicht viel zu erklären.« Sie versank in den weichen Polstern des Sofas. »Einen Orangensaft, bitte.«
Er schlenderte zur Minibar und lauschte ihrem Kurzbericht. »Dann sitzt die wahre Faye Carrington oben mit einem Gipsbein, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«
Sie nickte.
»Und wie heißen Sie wirklich?«
»Emma Woods.« Sie schlug die Beine übereinander. Der knappe Minirock rutschte einige Zentimeter höher und Emma zupfte rasch am Saum herum. Ihren Blick richtete sie starr auf die mörderischen Plateausandalen an ihren Füßen, die aussahen, als würden sie eine Tonne wiegen.
»Was haben Sie all die Jahre in Afrika gemacht?«, fragte er, um die etwas zu lange, beinahe peinliche Stille zu beenden.
»Ich war … in der Entwicklungshilfe tätig«, kam ihre Antwort etwas stockend.
»Interessant. Was genau haben Sie gemacht, Miss Woods?« Er reichte ihr das Glas.
»Aufbau von Verwaltungsstrukturen.« Sie nahm einen kleinen Schluck.
»Klingt etwas langweilig.« Er setzte sich ihr gegenüber.
»Afrika ist groß. Waren Sie in verschiedenen Ländern?«
»Nein. Ich habe ausschließlich in Kenia gearbeitet.« Sie zerrte wieder an ihrem Rocksaum, obwohl Tyler beim besten Willen nicht feststellen konnte, dass etwas mit ihren Beinen nicht stimmte.
»Sind Sie jetzt fertig mit Ihrem Kreuzverhör, Sir?«
Abrupt hob er den Kopf. »Sicher, Miss Woods. Schließlich sind Sie ja hier, um mich …«
»Zu begleiten«, unterbrach sie ihn rasch.
»Genau. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären. Ich würde gern einen einfachen Spaziergang an der frischen Luft machen. Durch den Central Park? Hätten Sie etwas dagegen, mich dabei zu begleiten?«
»Durchaus nicht. Sie wollen nicht in eine Disco?« Sie nahm erneut einen Schluck.
»Nein.«
»Hm.« Der Blick, mit dem sie an sich hinuntersah, amüsierte ihn. Er spürte ihr Unbehagen. Für einen normalen Spaziergang war sie nicht richtig angezogen. Selbst schuld, wenn man sich anmaßte, Menschen in bestimmte Schubfächer einzuordnen. Rockstars gehörten eben in laute Discoschuppen. Doch er hatte Erbarmen mit Emma Woods. »Ihre Freundin Faye war es wohl auch, die Sie hinsichtlich Ihrer … Kleiderwahl beraten hat?«
Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Wenn es Ihnen lieber ist, Emma, ziehen Sie sich doch einfach um. Ich habe keine Eile.«
Ihr Gesicht hellte sich augenblicklich auf. Sie erhob sich und ging zur Tür, wobei sie kurz strauchelte. Kein Wunder bei diesen Schuhen.
»Ich bin gleich wieder da. Es dauert nicht lange.« Sie zog die Tür hinter sich zu.
Der dicke Teppich verschluckte das Klackern ihrer Plateausohlen.
»Hier wird morgen die Hölle los sein«, erklärte Tyler.
Charlotte beobachtete, wie die Bühnentechniker letzte Vorbereitungen für das Benefizkonzert trafen. Es wurden Kabeltrommeln geschleppt, riesige Lautsprecherboxen miteinander verbunden und Planen festgezurrt.
An Tylers Seite betrat sie die Bühne.
»Hey Ty, du hast es gut. Machst dir einen netten Abend, wie ich sehe.« Ein Mann mit kariertem Arbeitshemd und einem verschwitzten Stirnband deutete grinsend auf sie.
»Ich zeige Miss Woods, was alles zu einem solchen Konzert dazugehört.« Tyler wandte sich an Charly. »Emma, darf ich vorstellen? Jason Leary, der beste Toningenieur, den ich je hatte.«
»Übertreib nicht, Ty!« Grinsend tippte sich Jason an die Stirn und ging davon.
»Müssen Sie sich nicht auf so ein Konzert vorbereiten?« Charlotte musste aufpassen, um nicht über eines der Kabel zu stolpern.
»Doch, natürlich. Ich war heute Morgen bereits zur Probe.« O`Brian winkte weiteren Technikern zu.
Sollte sie das glauben? »Aha.«
»Wenn Sie wollen, ich habe noch eine Freikarte für das Konzert.«
»Vielen Dank, aber …« Hastig suchte sie nach einer Ausrede.
Er kam ihr zuvor. »Stimmt, Sie mögen ja keine Rockmusik.«
»Oh, ich wollte Sie keineswegs beleidigen«, sagte Charlotte rasch, als sie seinen zerknirschten Gesichtsausdruck bemerkte. »Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin einfach nur mit viel klassischer Musik aufgewachsen. Meine Erziehung …« Selbst in ihren Ohren hörte sich das total versnobt an und so sprach sie den Satz nicht zu Ende.
O’Brian sah ihr tief in die Augen und wieder musste Charlotte feststellen, dass sie noch niemals traurigere Augen gesehen hatte. Sie verspürte den irrationalen Drang, ihn zu trösten.
»Es wird viel Prominenz da sein«, fuhr er fort. »Natürlich auch die Stars, die als meine Gäste morgen auftreten werden. Bryan Adams zum Beispiel, Bono mit U2, Tom Jones, Anni Lennox …«
Charlotte versuchte, einen höflichen Gesichtsausdruck zu bewahren, denn keiner dieser Namen sagte ihr etwas.
»Meat Loaf, George Michael, Christina Aguilera …«, zählte er weiter auf. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
Sie erkannte, wie bestürzt er war. »Es ist nicht so, dass ich keinen einzigen Rockstar kenne. Nein, wirklich.« Sie durchforstete ihr Gehirn nach einem passenden Namen.
»Tatsächlich? Nennen Sie mir auf Anhieb drei!«, forderte er sie heraus.
»Äh … da wäre … Madonna. Die kenne ich und die Beatles, ja, und die Rolling Stones … natürlich.«
»Natürlich.« Amüsiert sah er sie an.
Er besaß die Frechheit, sich über sie lustig zu machen. Dieser … dieser hergelaufene Rock’n’Roll-Rebell. »An klassischer Musik gibt es ja wohl nichts auszusetzen.«
»Absolut nicht.« O’Brian grinste immer noch.
»Ich wette, Sie wissen nicht, aus welchem Stück der Gefangenenchor stammt. Wenn Sie überhaupt je davon gehört haben.«
»Sie meinen das Stück aus Nabucco von Giuseppe Verdi?« O’Brians unverschämtes Lächeln wurde noch breiter.
»Jede Wette, der löst Kreuzworträtsel«, murmelte sie vor sich hin.
»Wie bitte?«
»Nichts.« Charlotte zog ein argloses Gesicht. »Wem kommt eigentlich der Erlös des Benefizkonzerts zugute?«
»Verschiedenen sozialen Einrichtungen, einigen Stiftungen. Mein Manager weiß darüber mehr als ich.«
Das war eine glatte Lüge, und sie kam ihm ohne Skrupel über die Lippen. Tyler wusste über den Verbleib jedes einzelnen Pennys bestens Bescheid. Er hatte diese Stiftungen gegründet. Allerdings gehörte das zu seinen Geheimnissen. Er war nicht der Typ, der sich mit solchen Hilfsprogrammen brüstete.
Nach einem langen, aber kurzweiligen Spaziergang, saßen sie sich in einem Bistro gegenüber. Eher unfreiwillig, denn hierher hatte es sie auf der Flucht vor einem Paparazzo verschlagen.
Tylers Handy klingelte und er lächelte Emma entschuldigend an.
»T. J., wo bist du?«
Das Blut stockte ihm in den Adern. Es war die hohe Stimme eines ängstlichen Kindes.
»Geh nicht weg, T. J.! Hilf mir! Lass mich nicht allein!«
Es gab nur zwei Menschen auf der Welt, die ihn je T. J. genannt hatten. Der eine war seine Mutter und sie lebte nicht mehr. Der andere war sein kleiner Bruder. Auch er war fort. Über seinen Verbleib wusste Tyler so gut wie nichts. Aber, diese Stimme … Er hätte schwören können, dass es sich um die Stimme seines Bruders handelte, doch der war längst erwachsen.
Tyler fühlte sich in die späteren Jahre seiner Kindheit zurückversetzt. Sein schlimmster Albtraum war die Vergangenheit. Die Erinnerung überwältigte ihn und hielt ihn gefangen. Angst kroch in ihm hoch wie eine Schlange, die sich langsam um einen Ast wand.
Er hatte geglaubt, er wäre darüber hinweg.
Die Träume hatten vor Jahren aufgehört. Er hatte es sogar geschafft, die schrecklichen Bilder in einen Winkel seines Gehirns zu drängen, den nicht einmal er selbst kannte. Und plötzlich war da wieder die Stimme seines Bruders, die ihn anflehte, ihm zu helfen.
Seine Hände wurden feucht, das Lächeln auf seinem Gesicht war längst eingefroren. Aus seinem Handy klang ein Signalton, der das Ende des Gesprächs anzeigte. Langsam ließ Tyler den Arm sinken.
»Ist etwas passiert?«, flüsterte Emma verunsichert.
Ihre Stimme holte ihn zurück aus einer fremden Welt, weit fort von hier. Sein Blick klärte sich. »Nein, alles okay«, presste er durch seine viel zu enge Kehle. »Möchten Sie einen Cappuccino, Miss Woods?« Tyler hatte sich fast wieder im Griff.
»Nein danke, ich trinke keinen Kaffee.«
Tyler nickte. »Keinen Kaffee, keine Rockmusik, ganz solide. Ich könnte weder ohne das eine noch ohne das andere über den Tag kommen. Wie schaffen Sie das nur?«
Er gab ihr das Gefühl, eine biedere Gouvernante zu sein. Dagegen musste sie etwas tun. »Ich nehme eins dieser fruchtig bunten Mixgetränke. Die schmecken herrlich tropisch, wie frisch gepresster Saft. Möchten Sie nicht auch einen probieren?«
Er schüttelte den Kopf. »Danke, ich trinke keinen Alkohol.«
Oh – jetzt klang er aber spießig. »Ein Rockstar und kein noch so klitzekleines Alkoholexzesschen? Ich dachte immer, das gehört dazu.«
Er schob das Handy in seine Hemdtasche. »So kann man sich irren, Miss Woods. Ich habe morgen einen harten Tag vor mir.«
»Meinen Sie etwa das neunzigminütige Konzert am Abend?« Charlotte war ehrlich verblüfft. »Da müssen Sie erst mal sechzig bis siebzig Patienten an einem Tag durchziehen, dann wissen Sie, was harte Arbeit ist.«
Ein halbes Dutzend kleiner, gegenseitiger Spitzen später zahlte O’Brian die astronomisch hohe Rechnung, ohne mit der Wimper zu zucken. Teurer Spaß, so ein paar Drinks.
Beim Hinausgehen hielt er ihr die Tür auf.
Charly atmete tief durch. Die frische Abendluft war nur in den ersten Momenten angenehm. Plötzlich hatte sie einige Mühe mit dem Laufen. Ihr Magen rebellierte. Statt der Drinks hätte sie wohl eher etwas essen sollen.
Tyler umfasste ihre Taille, rief ein Taxi und half ihr auf den Rücksitz.
»Sind Sie sicher, Sir, dass die Lady alles bei sich behält?«, fragte der Fahrer. »Hab gestern erst die Bezüge reinigen lassen. Das kann Sie teuer zu stehen kommen.«
»Hoffen wir das Beste«, erwiderte O’Brian.
Charlotte lehnte den Kopf an die Stütze zurück und versuchte, ihren Schwindel in den Griff zu bekommen. Blamiert hatte sie sich ohnehin genug, es fehlte gerade noch, dass sie der Befürchtung des Fahrers nachkam.
»Wohnen Sie in den Räumen ihrer Freundin, Emma?«, wollte Tyler wissen, als sie die Lobby des Plaza betraten. Zum Glück hatte sich ihr Magen beruhigt und sie schaffte es, einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne zu schwanken.
»Ja.«
»In welcher Etage? Ich setze Sie dort ab.«
»Danke, aber das müssen Sie wirklich nicht«, sagte sie.
»Seien Sie nicht albern.« Er flüsterte und sah sich um.
»Nein, nein. Machen Sie sich keine Umstände.«
Es herrschte noch ziemlicher Betrieb im Hotel. Schließlich war es Freitagabend. Charlotte bemerkte die Blicke der anderen Gäste auf O’Brian. Er zog sie kurzerhand in den Lift, gerade rechtzeitig, bevor jemand ein Foto von ihnen machte. Sie stellte sich vor, wie lästig das für ihn sein musste. Auch ihre Mutter und Maxwell waren als schillerndes Diplomatenpaar oft dem Blitzlichtgewitter ausgesetzt gewesen. Allerdings hatte Celina es genossen.
Im Lift war es stickig. »Ein Königreich für ein Glas Wasser«, murmelte sie.
O’Brian schmunzelte. Dieses feine Lächeln stand ihm gut und vertrieb sogar für einen Atemzug seinen traurigen Gesichtsausdruck. Seine dunklen, braunen Augen bargen eine Verletzlichkeit in sich, als hätten sie bereits das Schlimmste gesehen. Sie passten nicht zu seinem Jungengesicht.
»Welche Etage?«, fragte er nochmal.
»Eigentlich ist es meine Aufgabe, Sie zu begleiten, schon vergessen?«
»Stimmt, Sie sind die VIP-Betreuerin des Plaza.« Er kreiste mit dem Finger über die Etagenknöpfe.
»Ganz genau, und ich habe eine klar formulierte Aufgabe erhalten. Wenn Sie also nichts dagegen haben, bringe ich Sie zu Ihrer Suite.«
Er schien sich immerhin zu amüsieren und drückte, statt zu antworten, auf den Etagenknopf. Kaum hatten sie den Lift verlassen, klickte bereits wieder eine Kamera.
Blitzschnell öffnete er mit dem Plastikchip seine Tür und zog sie mit hinein. »Verzeihen Sie, aber …«
Sie winkte ab. »Schon gut. Diese Fotojäger würden mir auch auf den Zeiger gehen.«
»Wenn Sie schon als VIP-Betreuerin fungieren, darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Sie war wirklich fast am Verdursten und nickte dankbar. »Unter einer Bedingung.«
»Oho. Die da wäre?«, fragte er.
»Ich übernehme die Aufgabe der Gastgeberin, gehört ja gewissermaßen zu meinem Job.«
»Bitte sehr.« Er wies auf die Minibar.
Sie war bereits auf dem Weg und wandte den Kopf. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Auch ein Wasser, bitte.«
Als sie mit zwei vollen Gläsern zurückging, kam sie ins Stolpern und verschüttete den Inhalt über sein Hemd. Mit Fayes hohen Absätzen kam sie einfach nicht klar. »Verzeihen Sie!«
»Kein Problem.« Tyler zerrte sein Hemd aus dem Hosenbund und zog es aus. Quer über der Brust prangte sein Tattoo.
»Sie sollten sich für die Wahl des neuen Coca-Cola-Mannes zur Verfügung stellen.« Charlotte ging zur Minibar und schenkte erneut ein.
»Aha, Werbespots gibt es also auch in Kenia«, konterte er trocken.
Sie reichte ihm sein Glas. »Wenn Sie so singen, wie Sie aussehen, O’Brian, kriegen die Leute was Ordentliches für ihr Geld.«
»Vielen Dank, Miss Woods.«
Für einen Moment stand Tyler ihr dicht gegenüber. Er sah aus, als wollte er sie küssen. Oder bildete sie sich das nur ein? Sie hielt immer noch sein Glas in der Hand und sah auf seinen Mund. Für den Bruchteil einer Sekunde bedauerte sie, dass er nichts dergleichen tat. Sie räusperte sich rasch.
»Keine Ursache.«
Ihr Grapefruitduft stieg verlockend in seine Nase. Ob sie wohl so schmeckte, wie sie roch? Er ertappte sich bei dem Gedanken, sachte seine Lippen auf ihren Mund zu legen, aber natürlich tat er nichts dergleichen.
»Danke für den schönen Abend«, sagte er leise und griff sich endlich das Glas.
Ihr Blick huschte wie der eines verschüchterten Rehs über sein Gesicht. Sie senkte den Kopf. »Es tut mir leid wegen …«
»Schscht, schon gut.« Er legte einen Finger an ihr Kinn und hob es an, bis sich ihre Blicke begegneten. Um ein Haar hätte er alles andere vergessen, nur um von diesen weichen Lippen zu kosten, bis er wieder an das Telefonat denken musste. Der Anruf saß ihm wie ein Stachel im Fleisch. »Wir sehen uns morgen und ich freue mich darauf, okay?«
Sie nickte. »Danke«, flüsterte sie und verließ die Suite.
Noch einige Sekunden blickte er auf die geschlossene Zimmertür.
Tyler trat nackt aus dem Bad und löschte das Licht im Schlafzimmer. Im Dunkeln tastete er nach seinen Shorts, streifte sie über und schob sich zwischen die Decken.
Es dauerte nicht lange bis er einnickte.
Eine kleine Gestalt schlüpfte in sein Bett. »T. J., er tut Mommy weh. Ich habe Angst.«
Verschlafen richtete sich Tyler auf und hörte das leise Wimmern seiner Mutter. »Dieses Schwein!« Er sprang auf.
Rodney verkroch sich tiefer in die Kissen.
Tyler riss die Tür zur Küche auf. Seine Mutter stand vor der Spüle und ließ Wasser auf einen Lappen laufen. Anschließend presste sie ihn sich gegen das Gesicht. Die linke Schläfe begann bereits, anzuschwellen.
Plötzlich wurde er von hinten von zwei starken Armen gepackt, die Tyler umklammerten, und ehe er sich versah, krachte er gegen die Wand.
Seine Nase blutete und jemand zerrte seine Pyjamahose hinunter. Dann spürte er einen bohrenden, abscheulichen Schmerz und schrie.
Tyler erwachte schweißgebadet. Die Träume waren zurückgekehrt und mit ihnen das Grauen.
Er schnappte nach Luft, das Atmen fiel ihm schwer, bis er endlich den Schalter der Nachttischlampe fand und das Licht anknipste. Tyler setzte sich auf, stützte das Gesicht in seine Hände und holte tief Luft. Die Leuchtziffern auf dem Wecker sagten ihm, dass es drei Uhr morgens war.
Er vermisste Emma.
Das Ortsschild von St. Elwine huschte vorüber. Charlotte war endlich am Ziel ihrer langen Reise. Die kleine Stadt hieß sie willkommen. Alles schien noch genauso auszusehen, wie in ihrer Erinnerung und doch war es anders.
Während der Busfahrt war Charlys innere Anspannung stetig gewachsen. Zwischen ihren Schulterblättern ballten sich die Muskeln und Sehnen zu einem Knoten. Dafür lag wenigstens die Episode mit Tyler O’Brian hinter ihr. Noch immer war ihr der Abend peinlich, doch zum Glück würde sie diesen Mann nie wiedersehen. Zum Teufel – sie wusste nicht, warum sie ihm ihren richtigen Namen nicht hatte sagen wollen, war im Nachhinein jedoch froh darüber.
Das Gespräch mit Faye, als Charly – noch immer leicht beschwipst – die Suite betreten hatte, ging ihr durch den Kopf.
»Wo warst du nur so lange? Ich habe mir bereits Sorgen gemacht.«
Charlotte blieb halbwegs bei der Wahrheit.
Am nächsten Tag hatte Faye in ihrem Fach eine Mitteilung gefunden, dass Mr. O’Brian keine Betreuerin mehr für den Rest seines Aufenthaltes benötige, weil er die Stadt in Kürze verlassen werde.
Diese Tatsache hätte Charly zutiefst beunruhigt, wenn da nicht neben der Notiz noch Tickets für das Benefizkonzert am Abend gesteckt hätten. Faye war ganz aus dem Häuschen und Charly tat ihr den Gefallen, sie zu begleiten. Obwohl sie sich anfangs sträubte, musste sich Charlotte widerwillig eingestehen, dass ihr das Konzert gefiel. Weil sie keine Rockmusik mochte, hatte sie mehr auf andere Dinge geachtet. Sie fand beispielsweise die Wahl der Gaststars gut und auch das Konzept der Show. Alles schien gut durchdacht und die Liveatmosphäre tat ihr Übriges, um die Zuhörer zu wahren Begeisterungsstürmen hinzureißen.
Und dann kam er.
Seine Band begann langsam und eindringlich. Sie spielten mit Gitarren und einer Mundharmonika. Tyler zog das Publikum in seinen Bann. Selbst Charly hatte sich dem nicht entziehen können. Als er leise zu singen begann, schien seine Stimme sie zu liebkosen.
Liebe hätte sie vielleicht retten können. Ich sah schon lange die Schatten, schon, als sie noch lächeln konnte. Sie war nicht stark genug für diese Welt. Doch Liebe hätte sie vielleicht retten können.
Bei seinen Worten lief ihr ein Schauder über den Rücken, Schwermut erfasste sie. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Gefühle in den Griff zu bekommen, und das allein deshalb, weil sie sich auf das Zupfen der Gitarrensaiten und die eindringlichen, gospelartigen Soul-Stimmen der Chorsängerinnen im Hintergrund konzentrierte. Dann war ein gefühlvolles Schallala gefolgt, das sich wie der Hauch einer Berührung über sie gelegt hatte.
Mit dem Song Desire war es rockig geworden auf der Bühne. Für Charly hatte es sich angefühlt, als würde er nur für sie singen. Was natürlich völliger Blödsinn war, denn Faye und die anderen meinten genau dasselbe.
Der Bus stoppte. Charly erhob sich und stieg aus.
Mühelos fand sie das Haus ihres Großvaters. An der Pforte hing noch immer das Schild Dr. Johann Svenson – Zahnarzt und den Sprechzeiten mit dem Hinweis Auf Wunsch auch nach Vereinbarung. Inzwischen war es leicht verwittert.
Charlotte ging die Auffahrt entlang. Hinter dem Fenster machte sie eine Bewegung aus und blieb zögernd stehen. Die Tür wurde aufgerissen und dann stand er da und lächelte sie an.
Sie flog in seine Arme, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen.
Grandpa drückte sie fest an sich, während Tränen über seine Wangen liefen. »Du bist wirklich und wahrhaftig gekommen, mein Kind. Ich kann es kaum glauben. All die langen Jahre, in denen ich mich Tag für Tag gefragt habe, wie es dir wohl geht. Lass dich anschauen, Charly!« Er hielt sie auf Armeslänge von sich, strich durch ihr Haar, fuhr mit einem Finger sachte über ihre Wange. »Du hast keine Stupsnase mehr.«
Sie lächelte. »Zum Glück. Ich bin mittlerweile sechsunddreißig. Wie würde ich wohl damit aussehen?«
»Du siehst zauberhaft aus. Viel hübscher, als ich es mir immer vorgestellt habe. Aber ich sage dir, du siehst keinen Tag älter aus als zwanzig.«
»Du bist noch immer ein Schmeichler, Grandpa.«
Eine kräftige Frau mit einer Schürze um den Bauch trat zu ihnen. Sie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. »Jetzt lassen Sie das Kind doch nicht vor der Tür stehen, Dr. Svenson! Kommen Sie rein, meine Liebe! Hier ist es kühler. Ich habe bereits Zitronenlimonade gemacht, oder ist Ihnen Eistee lieber?« Eilig wies sie in das Innere des Hauses. »Sie möchten sich sicher frisch machen und ein wenig ausruhen. Ich habe Ihr altes Zimmer hergerichtet.« Sie wischte sich ihre Rechte an der Schürze ab. »Ach, wie unhöflich von mir. Bertha Chappell.«
»Die Bertha, die die besten Schokoladenplätzchen in ganz St. Elwine gemacht hat? Und außerdem noch in Grandpas Praxis assistierte? Die den Patienten tröstend die Hand hielt oder resolut mit der Zahnbürste wedelte?« Charlotte erinnerte sich lebhaft.
»Oh, Dr. Svenson, sie weiß es noch.« Gerührt zog die ältere Frau ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich.
»Natürlich, wie könnte ich mich nicht an dich erinnern.«
Bertha zog sie in ihre Arme. »Ach, Charly, mein Kind. Wie schön, dass du wieder da bist. Du weißt gar nicht, wie glücklich du deinen Großvater machst. Wirst du bleiben und seine Praxis übernehmen? Wirst du hierbleiben, Charly?«
»Bertha! Wie müssen Sie immer gleich mit der Tür ins Haus fallen?«, brummte Grandpa.
»Papperlapapp! Sie reden doch seit Wochen von nichts anderem. Bertha, was glauben Sie, wird meine Charly bei mir bleiben? Wird Sie hier leben und arbeiten wollen? Was denken Sie? Und jetzt darf ich mal wieder meine Meinung für mich behalten, wie?«, äffte die Ältere Grandpa nach.
Charlotte lachte und hakte sich bei beiden unter. »Ich bin hergekommen, um mich in St. Elwine niederzulassen und die Praxis zu übernehmen. Hier ist mein Zuhause – ist es immer gewesen.« Jetzt, wo sie die Worte ausgesprochen hatte, begriff sie erst, dass sie der Wahrheit entsprachen. Charly schmiegte sich an Grandpa. »Celina wollte dich mir wegnehmen. Aber sie hat es nie geschafft, nie.«
»Ich weiß, mein Herz.« Ihr Gr0ßvater tätschelte ihre Hand.
Charly erwachte schon früh am Morgen. Sie lag in ihrem alten Zimmer in der oberen Etage. Es sah noch fast genauso aus wie damals. Zarte, pastellfarbene Tapete mit einer Bordüre aus Früchten, luftige Gardinen, ebenfalls mit kleinen Obstmotiven. Bis auf eine große Stoffpuppe, die damals ihre Lieblingspuppe gewesen war, war das Spielzeug fortgeräumt worden. Die Puppe hieß Mopsi, wie sich Charly erinnerte. Sie trug ein hübsches blaues Kleid mit einer Schürze, auf die Grandma ein Mädchen und einen Jungen sowie einen Apfelbaum mit großen roten Äpfeln aufgenäht hatte. Mopsis langes helles Wollhaar steckte unter einem hübschen, breitkrempigen Hut, dessen vorderer Teil hochgesteckt war. An diesem Krempenstück prangten ebenfalls Äpfel, Birnen, Kirschen und Erdbeeren, die ihre Großmutter aus Stoff gefertigt hatte. Über der Puppe hing ein kleiner Wandquilt mit den gleichen Applikationen wie auf der Schürze. Mopsi and her Quilt hatte Großmutter ihre Kreation genannt. Charly strich liebevoll darüber.
Sie tappte ins angrenzende, kleine Bad. Es war ebenfalls in Gelb gehalten und typisch schwedisch, mit weißen Holzschränkchen, eingerichtet. Auf dem Waschtisch stand ein Glasteller mit Seifenstückchen, die wie ein Obstsalat mit winzigen Sonnenblumen arrangiert waren. Charlotte hegte von klein auf eine Vorliebe für Obst-, Gemüse- oder Blumenmotive. Ihre Großeltern hatten diese Macke geteilt, wenn nicht erst ausgelöst.
Charly stellte sich unter die Dusche und nahm eine Handvoll Showergel mit Erdbeerduft.
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Bertha und Grandpa sah sie sich in Ruhe das ganze Haus an. Im oberen Stockwerk befanden sich neben ihrem Zimmer noch die Räume, die früher ihren Eltern gehört hatten. Bertha bewohnte sie schon seit Jahren. An Charlys Zimmer grenzten zwei weitere, die früher als zusätzliche Kinderzimmer vorgesehen waren, aber sie war ein Einzelkind geblieben. So hatte ihre Großmutter die Räume zum Nähen und Lagern ihrer zahlreichen Stoffe genutzt.
Die Möbel waren mit Laken abgedeckt.
Charly würde Grandpa fragen, ob sie diese Räume mitbenutzen dürfte.
In der unteren Etage befanden sich auf der einen Seite die große Küche und die Räume ihres Großvaters, auf der anderen Seite die Praxis. Der Haupteingang zum Haus führte über eine kleine Treppe, ein Seiteneingang zur Praxis.
Die hintere Hausfront war mit einer offenen Veranda versehen, auf der gemütliche Holzsessel zum Verweilen einluden. Die Polster und Kissen hatte noch Grandma genäht, in fröhlichen blaugelben Stoffen. Im Garten duftete es nach Blumen. Charly erinnerte sich an die zahlreichen Rosenstöcke. Grandpa war leidenschaftlicher Hobbygärtner. Der Garten war noch genauso zauberhaft, wie in ihren Erinnerungen, nur dass sie ihn jetzt nicht mehr als selbstverständlich ansah. Da blühten Lavendel, Rittersporn, Gladiolen, Margeriten. Im Spätsommer würden Sonnenblumen, Dahlien und noch mehr Rosen aufblühen.