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Der Preis, den man zahlt E-Book

Arturo Pérez-Reverte

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Beschreibung

Werden Loyalität und Liebe das letzte Wort haben? Oder Verrat und Gewalt? Der virtuose Geschichtenerzähler Arturo Pérez-Reverte entführt uns in diesem packenden Spionageroman in eine zwielichtige Welt, in der jeder seinen Preis zu zahlen hat…
Spanien, 1936. Der Spion Lorenzo Falcó ist charismatisch, mit allen Wässerchen gewaschen und steht vor der waghalsigsten Mission seines Lebens: Er soll im südspanischen Alicante einen hochrangigen politischen Gefangenen befreien und vor dem sicheren Tod retten, eine kriegsentscheidende Aktion. Falcó hat drei Mitstreiter, darunter die undurchsichtige Eva Rengel. Sie sind sich noch nie begegnet, müssen sich aber absolut aufeinander verlassen. Während sie sich immer weiter in ein Geflecht aus Grausamkeit und Täuschung verstricken, kommen Falcó und Eva sich nahe. Gefährlich nahe, denn schon sehr bald wird deutlich, dass alle Beteiligten ein doppeltes Spiel betreiben.

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Seitenzahl: 361

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Arturo Pérez-Reverte

Ich traue denen nicht, die ein Haus, ein Bett, eine Familie und Freunde haben.

Charles Plisnier, Falsche Pässe

Die Hölle ist in Wahrheit ein starkes Aufputschmittel.

1 NACHTZÜGE

Die Frau, die sterben sollte, redete seit zehn Minuten. Sie sprach in diesem Erste-Klasse-Waggon über banale, unbedeutende Dinge: die Saison in Biarritz, den letzten Film mit Clark Gable und Joan Crawford. Den Krieg in Spanien erwähnte sie höchstens ein, zwei Mal beiläufig. Lorenzo Falcó hörte ihr zu, eine halbgerauchte Zigarette zwischen den Fingern, die Beine übereinandergeschlagen, wobei er darauf achtete, dass die Bügelfalte seiner Flanellhose nicht zu sehr litt. Die Frau saß am Fenster, hinter dem es Nacht wurde, und Falcó am anderen Ende neben der Tür zum Gang. Sie waren allein im Abteil.

»Es war Jean Harlow«, sagte Falcó.

»Wie bitte?«

»Harlow. Jean. Die in Abenteuer im Gelben Meer mit Gable spielt.«

»Oh.«

Die Frau sah ihn an, drei Sekunden länger als üblich, ohne zu blinzeln. Alle Frauen gönnten Falcó zumindest diese drei Sekunden. Er musterte sie noch einen Moment länger, die Seidenstrümpfe mit Naht, die hochwertigen Schuhe, den Hut und die Handtasche auf dem Nebensitz, das elegante Kleid von Vionnet, das für einen scharfen Beobachter – der er war – im Widerspruch zur leicht vulgären Ausstrahlung der Frau stand. Auch ihre Affektiertheit war ein verräterisches Indiz. Sie hatte die Tasche geöffnet, um Lippen und Brauen nachzuziehen, und gab ein kultiviertes Benehmen vor, an dem es ihr in Wahrheit mangelte. Schlecht machte sie ihre Sache nicht, dachte Falcó. Sie war geübt. Aber alles andere als perfekt.

»Fahren Sie auch nach Barcelona?«, fragte sie.

»Ja.«

»Trotz Krieg?«

»Ich bin Unternehmer. Der Krieg ist für manche Geschäfte schädlich, andere macht er leichter.«

Ein Hauch von Geringschätzigkeit verschattete kurz den Blick der Frau.

»Verstehe.«

Drei Wagen weiter vorn stieß die Lokomotive einen langen Pfiff aus, und das Rattern der Drehgestelle verstärkte sich, als der Schnellzug in eine weitgeschwungene Kurve fuhr. Falcó sah auf die Patek Philippe an seinem linken Handgelenk. In einer Viertelstunde würde die Bahn in Narbonne fünf Minuten Aufenthalt haben.

»Verzeihung«, sagte er.

Er drückte die Zigarette im Aschenbecher seiner Armlehne aus, stand auf, zog den Krawattenknoten zurecht und strich das Jackett glatt. Den verbeulten Schweinslederkoffer, der neben Hut und Trenchcoat über seinem Sitz im Gepäcknetz lag, würdigte er kaum eines Blickes. Es war nichts darin außer ein paar alten Büchern, die für ein gewisses Gewicht sorgten. Alles Unentbehrliche – Pass, Brieftasche mit französischem, deutschem und Schweizer Geld, ein Röllchen Cafiaspirinas, ein Zigarettenetui aus Schildpatt, ein silbernes Feuerzeug und eine Neun-Millimeter-Browning mit sechs Kugeln im Magazin – trug er am Körper. Hätte er den Hut mitgenommen, wäre die Frau womöglich misstrauisch geworden, also griff er nur nach dem Mantel und verabschiedete sich in stiller Wehmut von seinem makellosen Trilby aus kastanienbraunem Filz.

»Gestatten Sie«, fügte er noch hinzu und öffnete die Schiebetür.

Als er die Frau ein letztes Mal ansah, hatte sie das Gesicht nach draußen in die Nacht gewendet, und in der dunklen Scheibe spiegelte sich ihr Profil. Falcós abschließender Blick galt ihren Beinen. Schön waren sie, befand er gleichmütig. Ihr Gesicht war nichts Besonderes und verdankte seinen Reiz vorwiegend dem Make-up, doch das Kleid umspielte verheißungsvolle Rundungen, zu denen die wohlgeformten Beine passten.

Auf dem Gang stand ein schmächtiger Mann in einem langen Kamelhaarmantel, zweifarbigen Schuhen und einem Hut mit breiter Krempe. Er hatte vorquellende Augen und eine vage Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Schauspieler George Raft. Als Falcó wie zufällig neben dem Mann innehielt, stieg ihm ein intensiver Geruch nach Haarpomade und Rosenwasser in die Nase. Fast unangenehm.

»Ist sie das?«, raunte das Männlein.

Falcó nickte, während er das Etui hervorholte und sich eine Zigarette zwischen die Lippen steckte. Der andere verzog den kleinen, grausamen Mund.

»Sicher?«

Ohne zu antworten, zündete Falcó die Zigarette an und ging weiter zum Ende des Waggons. Als er die Plattform erreicht hatte, drehte er sich um und stellte fest, dass der Mann schon nicht mehr im Gang war. Er rauchte, reglos neben dem Faltenbalg, der den Waggon mit dem nächsten verband, an die Toilettentür gelehnt, und lauschte dem ohrenbetäubenden Lärm der Räder auf den Schienen. In Salamanca hatte ihm der Admiral eingeschärft, den praktischen Teil der Sache nicht selbst zu übernehmen. Wir wollen dich nicht verbrennen und nichts riskieren, für den Fall, dass etwas schiefgeht, lautete die Anweisung. Der Befehl. Diese Frau reist von Paris nach Barcelona, ohne Begleitung. Beschränke du dich darauf, sie zu identifizieren, und geh aus der Schusslinie. Paquito Araña übernimmt alles andere. Du weißt schon. Auf seine subtile Art. In so etwas ist er gut.

Wieder ertönte das Signal an der Spitze des Zuges. Die Lokomotive verlor an Geschwindigkeit, und man sah Lichter, die immer langsamer vorüberglitten. Das Rattern wurde stockend, unregelmäßig. Am Ende des Ganges erschien der Schaffner in seiner blauen Uniform, die Mütze auf dem Kopf, und verkündete »Narbonne, fünf Minuten Aufenthalt«. Falcó war sofort auf der Hut und beobachtete angespannt, wie der Schaffner sich dem Abteil näherte, das er selbst soeben verlassen hatte, und weiterging. Nichts hatte die Aufmerksamkeit des Beamten erregt – Araña hatte vermutlich die Vorhänge zugezogen –, denn er wiederholte nur »Narbonne, fünf Minuten Aufenthalt«, als er an Falcó vorbeikam, und trat durch den Faltenbalg in den nächsten Waggon.

Auf dem Bahnsteig war nicht viel Betrieb: ein halbes Dutzend Reisende, die mit ihren Koffern aus dem Zug stiegen, ein Stationschef mit roter Mütze und Signallampe, der sich gemächlich auf die Lokomotive zubewegte, und beim Ausgang ein gelangweilt wirkender Gendarm in kurzem Umhang, der die Hände auf dem Rücken gefaltet hatte und unverwandt auf die Uhr am Vordach starrte. Sie zeigte 0:45. Auf dem Weg nach draußen streifte Falcós Blick kurz den Wagen, in dem er gerade noch gesessen hatte: Die Vorhänge an den Fenstern zum Gang waren zugezogen. Zugleich bemerkte er, dass Araña aus einem anderen Waggon gestiegen und ein paar Schritte hinter ihm war.

An der Zugspitze angekommen, hob der Stationschef die Lampe und pfiff. Die Lokomotive stieß fauchend eine Dampfwolke aus und setzte sich in Bewegung. Zu diesem Zeitpunkt durchquerte Falcó bereits die Halle des Bahnhofsgebäudes und trat auf die Straße hinaus in den gelblichen Schein der Laternen, die eine Mauer voller Werbeplakate und einen Peugeot beleuchteten. Das Auto parkte in der Nähe eines Taxistandes am Bordstein, genau da, wo es sein sollte. Falcó verhielt den Schritt gerade lange genug, damit Araña ihn einholen konnte. Er brauchte sich nicht umzudrehen, er merkte es an dem unverwechselbaren Geruch nach Pomade und Rosenwasser, als der andere auf seiner Höhe war.

»Sie war es.« Mit diesen Worten steckte er Falcó eine kleine Ledermappe zu. Die Hände in den Manteltaschen, den Hut über die Augen geschoben, entfernte sich der kleine Mann dann mit kurzen, schnellen Schritten im schwachen Licht der Straße, bis ihn die Schatten verschluckt hatten. Indessen wandte sich Falcó dem Peugeot zu. Der Motor lief, und hinter dem Lenkrad war eine bewegungslose schwarze Silhouette auszumachen. Er öffnete die hintere Tür und ließ sich auf dem Rücksitz nieder, den Trenchcoat legte er neben sich, die Ledermappe auf seine Knie.

»Haben Sie eine Taschenlampe?«

»Ja.«

»Her damit.«

Der Fahrer reichte sie ihm, legte den ersten Gang ein und fuhr los. Die Scheinwerfer erleuchteten verwaiste Straßen, dann eine Vorstadtgegend und eine Landstraße mit Bäumen, um deren Stämme weiße Streifen gemalt waren. Falcó schaltete die Lampe ein und richtete den Strahl auf den Inhalt der Tasche: Briefe und maschinengeschriebene Dokumente, ein Notizbuch mit Telefonnummern und Adressen, zwei Ausschnitte aus einer deutschen Zeitung und ein Ausweis mit Foto und Stempel der katalanischen Regierung auf den Namen Luisa Rovira Balcells. Vier der Schriftstücke trugen Stempel der spanischen Kommunistischen Partei. Er packte alles in die Mappe zurück, legte die Lampe zur Seite, setzte sich bequemer hin, und nachdem er den Krawattenknoten gelockert und sich mit dem Mantel zugedeckt hatte, legte er den Kopf an die Rückenlehne und schloss die Augen. Nicht einmal jetzt, da ihn der Schlaf übermannte und seine Züge erschlaffen ließ, verlor sein kantiges, um diese Tageszeit von Bartstoppeln übersätes Gesicht seinen gewohnten Ausdruck: sympathisch, vergnügt, wenn auch zuweilen mit einem grausamen Zug, der seine Miene auf beunruhigende Weise trüben konnte, als würde er sich ständig eines tragischen Scherzes bewusst, an dem er selbst beteiligt war.

Die weiß angestrichenen Bäume zogen noch immer im Scheinwerferlicht zu beiden Seiten der Straße dahin. Falcós letzter Gedanke, ehe ihn die Fahrgeräusche endgültig in den Schlaf gesummt hatten, galt den Beinen der toten Frau. Ein Jammer, dachte er im Wegdämmern. So eine Verschwendung.

»Wir haben einen neuen Auftrag«, sagte der Admiral.

Hinter ihm überragte die Kuppel der Kathedrale von Salamanca die noch kahlen Äste der Bäume auf dem Platz. Der Leiter des Geheimdienstes SNIO – Servicio Nacional de Información y Operaciones – bewegte sich auf die große Karte der Iberischen Halbinsel zu, die neben einigen Bücherregalen mit der Enzyklopädie Espasa und einem Franco-Porträt die halbe Wand einnahm.

»Einen undurchsichtigen, vertrackten neuen Auftrag«, bekräftigte er.

Er nahm ein zerknittertes Taschentuch aus seiner Strickjacke – im Büro trug er nie Uniform –, schnäuzte sich geräuschvoll und sah Lorenzo Falcó an, als wäre der an seinem Schnupfen schuld. Während er das Taschentuch wieder einsteckte, blickte er auf die Landkarte und wies auf eine Stelle unten rechts.

»Alicante«, sagte er.

»Rote Zone«, stellte Falcó überflüssigerweise fest, und sein Chef sah ihn erst scharf, dann missbilligend an.

»Klar ist das rote Zone.«

Falcó hatte den provokanten Ton wohl bemerkt. Er war erst einen Tag in Salamanca, nachdem er nach einer strapaziösen Reise durch Südfrankreich bei Irun die Grenze überquert hatte. Und davor hatte er eine schwierige Mission in Barcelona hinter sich gebracht, das in der republikanischen Zone lag. Seit dem Militäraufstand hatte er keinen freien Tag gehabt.

»Ausruhen kannst du dich, wenn du tot bist.«

Leise lachte der Admiral über seinen eigenen Scherz. Der Humor seines Chefs, dachte Falcó, war häufig fies, vor allem seit sein einziger Sohn, ein junger Leutnant zur See, am dritten August an Bord des Kreuzers Libertad zusammen mit anderen Offizieren ermordet worden war. Dieser finstere, leicht makabre Wesenszug war sein Markenzeichen, sogar wenn er einen Agenten seiner Spezialeinheit Grupo Lucero hinter die feindlichen Linien schickte, damit der sich in einer der »Tschekas«, der nach der russischen Staatssicherheit benannten Folterkeller, bei lebendigem Leib die Haut abziehen ließ. Er konnte so etwas sagen wie: »Dann weiß deine Witwe wenigstens endlich einmal, wo du schläfst« und ähnliche Dinge, die niemand zum Lachen fand. Doch nach vier Monaten Bürgerkrieg und mit einem Dutzend ein wenig ziellos umherstreunenden Agenten bestimmte dieser harsche, zynische Ton mittlerweile die gesamte Kommunikation des Dienstes. Selbst Sekretärinnen, Funker und Codierer hatten ihn sich zu eigen gemacht. Dem Chef jedenfalls passte er wie angegossen. Der Admiral, ein Galicier aus Betanzos, dürr, klein, mit dichtem grauem Haar und einem nikotingelben Schnauzbart, der seine gesamte Oberlippe bedeckte, war hochintelligent. Die Begriffe rot und Feind lösten regelmäßig stillen Groll in ihm aus, der aus seinem lebhaften rechten Auge blitzte. Das linke war aus Glas. Verantwortlich für den harten Kern der franquistischen Spionage, war er trotz seiner zierlichen Statur furchteinflößend. Im Hauptquartier von Salamanca nannte man ihn den Keiler. Doch niemand sagte ihm das ins Gesicht.

»Darf ich rauchen?«, fragte Falcó.

»Nein, verdammt noch mal. Du darfst nicht rauchen.« Schmachtend blickte der Admiral auf eine Dose Pfeifentabak auf dem Tisch. »Ich habe eine scheußliche Grippe.«

Obwohl sein Chef stand, blieb Falcó sitzen. Sie waren alte Bekannte aus der Zeit, als der Admiral, damals noch Schiffskapitän und Marineattaché in Istanbul, die republikanischen Geheimdienste im östlichen Mittelmeerraum organisierte, die er bei Ausbruch des Bürgerkrieges dann den Franquisten zur Verfügung gestellt hatte. Zum ersten Mal waren sich die beiden lange vor dem Krieg in Istanbul begegnet, im Zusammenhang mit einem Waffengeschäft, an dem Falcó als Mittelsmann für die IRA beteiligt gewesen war.

»Ich habe etwas für Sie«, sagte Falcó.

Mit diesen Worten holte er einen Umschlag aus der Jackentasche und legte ihn auf den Tisch vor den Admiral. Der sah mit fragender Miene darauf. Das Glasauge war ein wenig heller als das echte, was seinem Blick ein eigentümliches Schielen verlieh und seine Gesprächspartner irritierte. Dann öffnete er den Umschlag und brachte eine Briefmarke zum Vorschein.

»Ich weiß nicht, ob Sie die schon haben«, sagte Falcó. »Von 1850.«

Der Admiral drehte sie zwischen den Fingern und hielt sie gegen das Licht. Anschließend holte er aus einer Schreibtischschublade voller Pfeifen und Tabakdosen eine Lupe und studierte die Marke eingehend.

»Schwarz auf blau«, bestätigte er zufrieden. »Und ungestempelt. Die Nummer eins von Hannover.«

»Das hat mir der Philatelist auch gesagt.«

»Wo hast du sie gekauft?«

»In Hendaye, bevor ich über die Grenze bin.«

»Laut Katalog kostet die mindestens viertausend Franc.«

»Ich habe fünftausend bezahlt.«

Der Admiral trat an einen Schrank, nahm ein Album heraus und legte die Briefmarke hinein.

»Setz es auf deine Spesenabrechnung.«

»Habe ich schon. Was ist mit Alicante?«

Der Admiral schloss langsam die Schranktür. Dann fasste er sich an die Nase, schaute auf die Landkarte und griff sich noch einmal an die Nase.

»Das hat noch Zeit. Zumindest ein paar Tage.«

»Muss ich hin?«

»Ja.«

Wie viele Dinge sich doch in einer einzigen Silbe zusammenfassen ließen, dachte Falcó mit Ironie. Den Wechsel von einer Zone in die andere, die vertraute Ungewissheit, sich erneut auf feindlichem Gelände zu bewegen, die Gefahr, die Angst. Womöglich auch Gefängnis, Folter und Tod. Ein Erschießungskommando im Morgengrauen, ein Nackenschuss in einem schummrigen Keller. Eine namenlose Leiche am Straßenrand oder in einem Massengrab. Eine Schaufel voll ungelöschtem Kalk, und alles wäre zu Ende. Für einen Augenblick erinnerte er sich an die Frau im Zug vor ein paar Tagen, und mit resignierter Miene stellte er fest, dass er sich kaum noch an ihr Gesicht erinnern konnte.

»Nutz die Zeit bis dahin«, riet ihm der Admiral. »Entspann dich.«

»Wann erfahre ich Genaueres?«

»Das machen wir diesmal in Etappen. Mit der ersten fangen wir morgen an, da sehen wir die Leute vom SIIF.«

Unwillig zog Falcó eine Augenbraue hoch. Die Abkürzung stand für Servicio de Información e Investigación de la Falange, den Nachrichtendienst der paramilitärischen faschistischen Miliz. Die strammsten und unerbittlichsten Ideologen der sogenannten Nationalen Bewegung unter der Führung von General Franco.

»Was hat die Falange damit zu tun?«

»Einiges. Wirst schon sehen. Wir treffen uns um zehn Uhr mit Ángel Luis Poveda … Ja, zieh nicht so ein Gesicht. Mit dieser Bestie.«

Falcó brachte seine Züge wieder unter Kontrolle. Poveda war der Chef des SIIF. Einer der harten Linie, ein Sevillaner, der es mit der Erschießung von Gewerkschaftern und Lehrern unter dem Befehl von General Queipo de Llano während der ersten Tage der Erhebung in Andalusien zu einigem Ruhm gebracht hatte.

»Ich dachte, wir arbeiten immer allein. Auf eigene Faust.«

»Nicht mehr, wie du siehst. Auf direkten Befehl vom Generalissimus … Diesmal koordinieren wir uns mit den Falangisten, und das ist nicht alles: Auch die Deutschen haben die Finger im Spiel, und ich bete zu Gott, dass die Italiener nicht auch noch mitmischen. Vorhin habe ich die Sache mit Schröter diskutiert.«

Falcó kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hans Schröter war ihm nicht persönlich bekannt, doch wusste er, dass es sich um den Geheimdienstchef der Nazis im nationalistischen Spanien handelte und dass dieser in unmittelbarem Kontakt mit Admiral Canaris in Berlin stand. Das gesamte franquistische Hauptquartier in Salamanca war ein Ameisenhaufen aus Agenten mehrerer in- und ausländischer Dienste. Parallel zur deutschen Abwehr arbeitete dort der italienische Servizio Informazioni Militare neben zahlreichen Organismen der spanischen Spionage und Gegenspionage, die zueinander in Konkurrenz standen und sich oft gegenseitig behinderten: die Falangisten des SIIF, der militärische Nachrichtendienst SIM, der Geheimdienst der Armada, das unter der Bezeichnung SIFNE bekannte zivile Spionagenetz, der MAPEBA – eine von Frankreich aus operierende nationalistische Spitzelgruppe –, die Direktion für Polizei und Sicherheit und weitere kleinere Dienste. Was den vom Admiral geleiteten SNIO anging, so war dieser unmittelbar dem Hauptquartier unterstellt und dort dem direkten Befehl von Nicolás Franco, dem Bruder des Caudillo Francisco Franco. Diese Organisation war spezialisiert auf Unterwanderung, Sabotage und Ausschaltung feindlicher Elemente, sowohl in der republikanischen Zone als auch im Ausland. Die kleine Eliteeinheit Grupo Lucero, zu der Lorenzo Falcó gehörte und die im lokalen Geheimdienstlerjargon die Müllabfuhr genannt wurde, war ein Teil davon.

»Heute Abend wird der italienische Botschafter im Kasino mit einem Fest empfangen. Sein Büro wird sich im ersten Stock niederlassen, und es werden viele Leute dort sein. Vielleicht hast du ja auch Lust.«

Falcó betrachtete ihn aufmerksam. Er wusste, dass sein Chef ihn gut leiden konnte – »Du hast ein bisschen Ähnlichkeit mit meinem Sohn«, hatte er einmal gesagt –, doch er war gewiss kein Vorgesetzter, den die Freizeitgestaltung seiner Untergebenen gekümmert hätte. Der Admiral verstand und verzog das Gesicht zu einem stacheligen Grinsen.

»Hans Schröter wird auch da sein. Ich habe euch ein kleines Treffen arrangiert, nur ein paar Minuten. Unter vier Augen. Er möchte dich kennenlernen, aber unauffällig. Kein Besuch auf der Dienststelle oder so.«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Nichts.« Der Admiral putzte sich wieder die Nase. »Eine unverfängliche Plauderei. Du hältst den Mund, lässt dich begutachten und gibst nichts preis. Es ist nur ein erstes Beschnuppern. Er hat von dir gehört und ist neugierig geworden.«

»Verstehe. Schauen, lauschen, schweigen.«

»Genau. Übrigens wird noch ein anderer Deutscher da sein, der uns beiden kein Unbekannter ist: Wolfgang Lenz.«

»Der von der Rheinmetall?«

»Ganz recht. Mit seiner Frau, glaube ich … Ute heißt sie. Oder Greta. Etwas in der Art. Ein kurzer Name. Vielleicht ist es auch Petra.«

»Greta. Ich kenne sie.«

Der Admiral bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln, als könnte ihn nichts mehr überraschen. Sie waren schon zu lange zusammen.

»Intim?«

»Nein, nur vom Sehen. Wir sind den beiden bei einem Abendessen begegnet, in Zagreb. Letztes Jahr. Wissen Sie nicht mehr? Sie waren auch dabei.«

»Natürlich erinnere ich mich.« Das Lächeln wurde zu einem abschätzigen Lachen. »Eine füllige Blonde mit einem Rückendekolleté bis zum Hintern. Nuttig wie die Deutschen nun mal sind … Und weil ich dich kenne, würde es mich wundern, wenn dir die durch die Lappen gegangen wäre.«

Falcó lächelte ausweichend, fast entschuldigend.

»Ich war anderweitig beschäftigt, Admiral.«

»Vermutlich.« Sein Chef war in Gedanken schon weiter. »Nun, jetzt sind sie jedenfalls auf Besuch. Ehrengäste mit allem Pipapo. Mal sehen, was sie uns an Material liefern können.«

»Hat das mit der Alicante-Geschichte zu tun?«

Ein Zeigefinger zielte wie eine geladene Pistole auf Falcó.

»Ich habe Alicante nie erwähnt. Verstanden?«

»Verstanden.«

Das rechte Auge war noch kälter und strenger geworden. 

»Weder diesen noch sonst irgendeinen Ort habe ich bislang erwähnt.«

»Selbstverständlich nicht.«

»Gut, dann lässt du jetzt die Klugscheißerei sein, stehst von diesem Stuhl auf und verschwindest. Wir sehen uns morgen um Viertel vor zehn in der Calle del Consuelo und statten Poveda einen Besuch ab … Ach, übrigens, du solltest in Uniform kommen.«

»In Uniform? Ist das Ihr Ernst?«

»Natürlich. Du hast sie hoffentlich noch, oder haben die Motten sie schon aufgefressen?«

Falcó erhob sich gemächlich. Er war verblüfft. Das Militär war nicht sein Metier, im Gegenteil. 1918 hatte man ihn – nach einer Affäre mit der Frau eines Professors und einer Schlägerei mit dem selbigen während einer Vorlesung über Torpedos und U-Boot-Bewaffnung – der Marineakademie verwiesen. Trotzdem war es dem Admiral bei Ausbruch des Krieges gelungen, ihm eine provisorische Ernennung zum Kapitänleutnant der Armada zu verschaffen, um ihm die Arbeit zu erleichtern. Nichts öffnete so viele Türen im nationalistischen Spanien wie ein paar Tressen oder Sterne am Ärmelaufschlag.

»Die Falangisten sind von Uniformen immer sehr angetan«, sagte der Admiral, als Falcó schon im Hinausgehen war. »Lass uns also einen guten Eindruck machen.«

In der Tür stand Falcó plötzlich stramm, und das lächerlich übertrieben.

»Und wenn ich in Uniform bin, muss ich dann ›zu Befehl, Herr Admiral‹ sagen?«

»Scher dich zum Teufel!«

Er roch nach Varón Dandy und trug das sehr hoch gescheitelte Haar mit Festiger nach hinten gekämmt, als er vor dem Spiegel seines Hotelzimmers in aller Ruhe Kragen und Manschetten seines Smokinghemdes anlegte. Die Hemdbrust war makellos, die Hosenträger schwarz, perfekte Bügelfalten über glänzenden Lackschuhen. Einen Moment lang musterte Lorenzo Falcó zufrieden sein Spiegelbild: das glatt rasierte Gesicht, die exakt gestutzten Koteletten, die grauen Augen, die sich selbst mit derselben ruhigen, ironischen Melancholie betrachteten wie den Rest der Welt. Eine Frau – immer waren es Frauen, die derartige Beobachtungen machten – hatte sie einmal als die Augen eines lieben Jungen beschrieben, der es in der Schule schwer gehabt hatte.

In Wahrheit hatte er es überhaupt nicht schwer gehabt, wenngleich es oft von Nutzen war, so zu tun, insbesondere gegenüber Frauen. Falcó stammte aus guter andalusischer Familie, Winzer, die mit Bodegas und Weinexporten nach England zu tun hatten. Was er aus seiner Kindheit an Bildung und Manieren mitbekommen hatte, war ihm später hilfreich gewesen, als im Laufe einer wenig vorbildhaften Jugend, einer abgebrochenen Militärkarriere und eines abenteuerlichen Vagabundenlebens andere Eigenschaften seines Charakters zum Tragen kamen. Jetzt war er siebenunddreißig Jahre alt und hatte schon ein bewegtes Leben hinter sich: Amerika, Europa, Spanien. Krieg. Nachtzüge, Landesgrenzen bei Regen und Schnee, internationale Hotels, dunkle, gespenstische Straßen, heimliche Umarmungen. Im Zwielicht seines Gedächtnisses mischten sich Erinnerungen und Orte mit jüngeren Ereignissen, deren Anzahl weiter zu erhöhen ihm im Moment nichts ausgemacht hätte. Das Leben war für ihn ein faszinierendes Spielfeld, ein Jagdgrund für Großwild, ein nur wenigen Wagemutigen vorbehaltener Tummelplatz. Denen, die bereit waren, Risiken einzugehen und, wenn es so weit war, ohne Murren den entsprechenden Preis zu zahlen. Wie viel bin ich Ihnen schuldig, Herr Ober. Danke, der Rest ist für Sie. Es gab Prämien, die sofort fällig wurden, und womöglich auch grauenvolle Strafen, doch Letztere lagen noch in weiter Ferne. Falcó sah in Begriffen wie Vaterland, Liebe oder Zukunft keinen Sinn. Er war ein Mann des Augenblicks, darauf war er trainiert. Ein Wolf im Schatten. Gierig und gefährlich.

Als er Fliege, Weste und Jackett angezogen hatte, schnallte er das Uhrarmband ums Handgelenk – die Hemdmanschetten, von denen ein genau drei Zentimeter breiter Streifen aus dem Sakkoärmel hervorschaute, waren mit glatten, ovalen Manschettenknöpfen geschlossen – und verstaute die Sachen, die er sorgsam auf der Kommode zurechtgelegt hatte, in den Taschen: ein Parker-Beacon-Feuerzeug aus massivem Silber, einen jadegrünen Sheaffer-Balance-Füllfederhalter, einen Bleistift mit Stahlkappe, ein Notizbuch, ein silbernes Tablettendöschen mit vier Cafiaspirinas, eine Brieftasche aus Krokodilsleder mit zweihundert Peseten in kleinen Scheinen und ein paar Münzen für Trinkgelder. Aus einer großen Dose Player's – die er sich über einen Kurier des SNIO aus Lissabon beschaffte – nahm er zwanzig Zigaretten, füllte beide Hälften seines Schildpattetuis damit auf und schob dieses in die rechte Jackentasche. Zum Schluss klopfte er sich noch einmal ab, um zu überprüfen, ob alles am rechten Platz war, und griff dann nach der Pistole auf dem Nachttisch. Es war seine Lieblingswaffe, und seit Juli dieses Jahres hatte er sie stets in Reichweite. Es handelte sich um eine FN Browning Modell 1910, hergestellt in Belgien, dreifach gesichert, einfach zu handhaben, mit einem Sechs-Schuss-Magazin: eine sehr flache, handliche, leichte Waffe, die eine Neun-Millimeter-Kugel mit einer Geschwindigkeit von zweihundertneunundneunzig Metern pro Sekunde losschickte. Am Nachmittag, bevor er in die Badewanne gestiegen war, hatte er einige Zeit darauf verwendet, sie zu zerlegen, zu reinigen, alle wichtigen Teile sorgfältig zu ölen und zu kontrollieren, ob die um den Lauf gewundene Schließfeder frei beweglich war. Er wog sie noch einen Moment in der Hand, sah nach, ob das Magazin voll und richtig eingerastet war, sich aber keine Patrone in der Kammer befand, dann schlug er sie in ein Tuch ein und verbarg sie oben auf dem Kleiderschrank. Zum Fest im Kasino, sagte er sich, sollte er nicht bewaffnet gehen, auch wenn es dort in diesen Zeiten von Uniformen, Waffengurten und Pistolen nur so wimmeln würde.

Ein letzter Blick durchs Zimmer, dann nahm er den Mantel, den weißen Schal und seinen schwarzen Hut, löschte

2 SUSPIROS DE ESPAÑA

Eine Militärkapelle spielte Suspiros de España, als Lorenzo Falcó den Salon betrat. Der überdachte Innenhof des Gesellschaftshauses, eines Palastes aus dem sechzehnten Jahrhundert, erstrahlte in einem so verschwenderischen Glanz, dass es die Sparsamkeitspredigten der nationalen Führer Lügen strafte. Wie erwartet, sah er viele Uniformen, Lederzeug, gewichste Stiefel und polierte, kokett am Gürtel hängende Pistolentaschen. Es handelte sich größtenteils um höhere Dienstgrade, vom Hauptmann aufwärts, und fast alle trugen sie Abzeichen des Generalstabs oder der Intendantur, doch waren auch die eine oder andere Armschlinge und frisch verliehene, auf dem Schlachtfeld errungene Orden zu sehen, denn die Zeitungen waren in jenen Zeiten voll von Kriegsnachrichten, und die Kämpfe um Madrid tobten mit extremer Härte. Dennoch schien das alles, trotz der Insignien, der Uniformen und der schneidigen Gesten der Anwesenden, viel zu weit weg von der Front. Die Damen waren zwar sittsam, was bei den Nationalen zum guten Ton gehörte – die Frau als zartes Wesen, Stütze des Kriegers, Braut, Gattin und Mutter –, aber elegant und nach den Vorgaben der Modezeitschriften gekleidet, und manch einer gelang es sogar, die neuen Moralvorstellungen mit den Reizen ihres Geschlechtes zu kombinieren. Was die Männer betraf, so sah man neben Uniformen etliche mehr oder weniger korrekte Smokings, viele dunkle Anzüge, einige davon mit dem blauen Hemd der Falange und mit schwarzem Schlips. Man unterhielt sich lebhaft, Kellner in kurzen weißen Jacken gingen mit Tabletts voller Getränke umher, und im hinteren Teil des Saales, gegenüber dem Orchester, gab es eine Bartheke. Niemand tanzte. Falcó grüßte zerstreut den einen oder anderen Bekannten, ließ den Blick kreisen, blieb an der breiten, mit dem gelb-roten Banner geschmückten Treppe stehen – die Flagge war wenige Wochen zuvor durch die Nationalen zurückerobert und von dem violetten Streifen der Republik befreit worden – und wollte sich eben eine Zigarette anzünden.

»Was machst du denn hier, Lorenzo? Ich dachte, du wärst im Ausland.«

Er hob den Blick, noch ehe er das Zigarettenetui öffnete. Vor ihm stand ein Paar. Der Mann hieß Jaime Gorguel und trug die Sterne eines Hauptmannes am Ärmelaufschlag und die Infanterieabzeichen am Revers seines Waffenrocks. Die Frau war eine ihm unbekannte schmale Brünette in silbrig schimmerndem Kaschmirsatin, einem edlen, teuren Kleid, urteilte Falcó, wenn ihn sein Auge und seine Erfahrung nicht trogen.

»Und ich dachte, du wärst an der Front«, erwiderte er.

»Da komme ich her.« Der Offizier wies auf seine Schläfe, wo unter dem mit Brillantine frisierten Haar ein blauer Fleck zu erkennen war. »Gehirnerschütterung, hieß es.«

»Oje, muss man sich Sorgen machen?«

»Ach, nein, nur ein Querschläger. Zum Glück abgefedert durch die Mütze. In Somosierra. Sie haben mir eine Woche Genesungsurlaub gegeben. Übermorgen rücke ich wieder ein.«

»Wie geht es denn voran?«

»Ausgezeichnet. Wir stehen etwa zwanzig Kilometer vor Madrid und gewinnen weiter an Boden. Die rote Regierung hat die Hauptstadt anscheinend verlassen und sich nach Valencia zurückgezogen. Mit etwas Glück ist bis Weihnachten alles vorbei. Kennst du meine Schwägerin Chesca?«

Ein Hauch von Amok. Ein teures, edles Parfüm, das sicher nicht leicht aufzutreiben war. Wahnsinn des Orients nannten es die Magazine. Falcó sah sich die Frau genauer an: helle Augen, große Nase, eine harmonische Gestalt. Wie ein Modell des Malers Romero de Torres. Dass ihr Aussehen vage an eine Gitana erinnerte, tat ihrem Stil keinen Abbruch, sondern betonte ihn eher noch. Und sie war überdurchschnittlich hübsch. Auffallend hübsch.

»Das Vergnügen hatte ich noch nicht.«

»Nun … Das ist Lorenzo Falcó, ein alter Schulfreund. Wir waren zusammen auf der Marianistenschule in Jerez. María Eugenia Prieto, die Frau meines Bruders Pepín. Wir nennen sie Chesca.«

Falcó nickte und drückte ihre ausgestreckte Hand. Er kannte ihren Mann vom Sehen: José María Gorguel, Graf von Migalota. Ein hagerer, steifer, vornehmer Herr um die vierzig mit einer Schwäche für Pferderennen. Eine Zeitlang hatten sie in denselben Flamenco-Lokalen von Sevilla und Madrid verkehrt.

»Und wie geht es deinem Bruder?«, erkundigte sich Falcó, mehr aus Höflichkeit als aus echtem Interesse, sah dabei aber sie an. Es war immer aufschlussreich und nützlich, die Reaktionen einer verheirateten Frau zu beobachten, wenn von ihrem abwesenden Gatten die Rede ist.

»Gut, soviel ich weiß«, gab der andere zurück. »Er ist am 18. Juli eingerückt. Er befehligt eine Kompanie Regulares und ist jetzt irgendwo bei Madrid an der Front. In Navalcarnero, glaube ich … Klingt gut, nicht wahr? Wie in alten Zeiten. Eine Marokkaner-Kompanie unter der Führung eines spanischen Granden. Das ewige Spanien, das sich aufs Neue erhoben hat, um diesem ganzen marxistischen Pack den Garaus zu machen.«

»Wahrlich eine Zeitenwende«, sagte Falcó.

Als er den Blick der Frau auffing, bemerkte er, dass ihr seine Ironie nicht entgangen war. Doch hatte er keine Zeit, herauszufinden, ob dies taktisch klug oder ein Fehler gewesen war, denn über ihre Schulter hinweg – nackte Haut unter feiner Gaze, gemäß den neuen Anstandsregeln – winkte ihm jemand zu. Es war Marili Granger, Sekretärin und Vertraute des Admirals. Es überraschte ihn, sie dort anzutreffen, bis ihm einfiel, dass Marili mit einem Offizier aus dem Hauptquartier der Armada in Salamanca verheiratet war. Eine natürlichere, diskretere Kontaktperson hätte man sich kaum denken können. Zwischen den Säulen im hinteren Teil des Saales erspähte er den blonden Schopf von Hans Schröter, der sich auf die Tür eines kleinen privaten Salons zubewegte.

»Entschuldigt mich«, sagte er.

Nachdem Marili die Tür hinter sich zugemacht und die beiden alleingelassen hatte, nahm Schröter Lorenzo Falcó gründlich in Augenschein. Der Deutsche hielt in der einen Hand ein Glas Cognac, in der anderen eine Havanna. Sein Adamsapfel stand so weit vor, dass er den festen Kragen und die schwarze Fliege seines Smokings überragte. Eine waagerechte Narbe unterhalb des linken Jochbeins verhärtete seine Züge. Er war groß und mager, mit sorgsam rasierten Kinnbacken und ausdruckslosen eisblauen Augen.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte er in gutem Spanisch, wenn auch mit schnarrendem R.

»Danke, gleichfalls.«

Sie standen sich gegenüber und musterten einander schweigend, während der Deutsche an seiner Zigarre zog und gelegentlich an seinem Cognac nippte. Man hörte nur, wie aus weiter Ferne, die Musik der Militärkapelle. Schröter nickte zur Tür hinüber.

»Schönes Fest«, sagte er.

»Ja.«

»Mir scheint, die Nachrichten von der Front sind gut. Die Marxisten sind auf dem Rückzug, und Madrid wird jeden Moment fallen.«

»Wie man so hört.«

Die Skepsis in Falcós Ton schien die Neugierde des Deutschen noch zu steigern, denn der nahm wieder einen Schluck Cognac und betrachtete ihn nun noch eingehender.

»Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte er schließlich.

»Natürlich.«

»Was hat Ihr Chef, der Admiral, Ihnen gesagt?«

»Dass Sie mich aus der Nähe sehen wollten, wegen irgendeiner Mission.«

»Was für eine Mission?«

»Hat er mir nicht verraten.«

Schröter starrte ihm ins Gesicht. Es gab Sessel in dem Salon, doch keiner von beiden machte Anstalten, sich niederzulassen.

»Sprechen Sie Deutsch?«

Die Frage hatte er auf Deutsch gestellt, und Falcó antwortete lächelnd in derselben Sprache.

»Leidlich. Ich habe eine Zeitlang in Mitteleuropa gelebt.«

»Welche anderen Sprachen können Sie?«

»Französisch und Englisch. Ein bisschen Italienisch. Und ich kenne alle unflätigen Wörter, Beleidigungen und Gotteslästerungen auf Türkisch.«

Der Scherz perlte an Schröters ungerührter Miene ab. Er schaute auf seine Havanna, sah sich suchend nach einem Aschenbecher um, und da es keinen gab, ließ er die Asche mit einem leichten Tippen seines Zeigefingers auf den Teppich fallen.

»Da Sie das Türkische erwähnen … Sie haben letztes Jahr in Istanbul einen Landsmann von mir getötet.«

Falcó erwiderte stumm seinen Blick.

»Möglich.«

Die Narbe auf der Wange des Deutschen schien sich ein wenig zu vertiefen.

»Er hieß Klaus Topeka und verkaufte optisches Gerät fürs Militär.«

»Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern.« Falcó hob die Schultern. »Keine Ahnung.«

»So viele haben Sie in Istanbul und anderswo umgebracht, dass Sie sich nicht daran erinnern?«

Falcó sagte nichts. Er erinnerte sich sehr gut an Topeka, einen privaten Händler, der auch für die Abwehr arbeitete. November 1935, vor dem Krieg. Eine schnelle, saubere Sache. Ein Nackenschuss vor der Tür eines billigen Bordells im Stadtteil Beyoğlu. Getarnt als Raubüberfall. Man hatte ihm den Auftrag erteilt, Topeka zu eliminieren, weil der sich beim Verkauf optischer Instrumente von der Sowjetunion an die spanische Republik übermäßig in das Geschäft einmischen wollte. Der Admiral persönlich, seinerzeit noch Chef des spanischen Geheimdienstes im östlichen Mittelmeer, hatte ihm die Zielperson genannt. Seltsam, dachte Falcó, wie das Leben alles dreht und wendet. Die Verbundenheit. Die Zuneigung. Den Hass.

»Ihr Chef hat Sie als solide beschrieben. Sehr vertrauenswürdig. Und die Mission, die er Ihnen übertragen will, ist heikel … Er hat Ihnen noch gar nichts darüber erzählt, sagen Sie?«

»Genau das habe ich gesagt.«

Nachdenklich nahm Schröter einen langen Zug aus seiner Zigarre.

»Auch von mir werden Sie nicht viel erfahren«, sagte er schließlich und ließ den Rauch aus dem Mund strömen. »Aber ich sage Ihnen, dass die deutsche Kriegsmarine die Sache unterstützt. Eines unserer Schiffe wird sich an der Operation beteiligen. Ob es ein Kreuzer oder ein Unterseeboot sein wird, klärt sich in den nächsten Tagen.«

Falcó beschloss, den Ahnungslosen zu spielen.

»In der roten Zone?«

Der andere sah ihn zunächst wortlos an, als versuchte er abzuwägen, was Falcó tatsächlich nicht wusste und was er wissentlich verschwieg.

»In Cartagena gibt es einen deutschen Konsul«, sagte er dann. »Sein Name ist Sánchez-Köpenick, und er hat bereits Anweisung erhalten, sich zu gegebener Zeit mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«

»Von Cartagena hat mir gegenüber bisher noch niemand gesprochen.«

Die frostigen Augen blieben regungslos.

»Na, dann habe ich das hiermit getan. In der festen Überzeugung allerdings, dass Sie den Namen dieser Stadt vergessen haben werden, sobald Sie dieses Zimmer verlassen.«

Cartagena und Alicante. Der republikanische spanische Osten. Falcó überlegte hastig, bemühte sich, Zusammenhänge herzustellen. Viele Anhaltspunkte hatte er nicht.

»Und was soll ich dort tun? Worin besteht die Mission?«

»Darüber wird Sie Ihr Chef informieren, das ist nicht meine Aufgabe.« Schröter zog an der Zigarre. »Ich glaube, morgen soll ein wichtiges Treffen zu dem Thema stattfinden. Mit weiteren Beteiligten.«

Falcó unterdrückte eine Grimasse. Er war beunruhigt. Am liebsten arbeitete er auf seine Weise, was der Admiral ihm auch zu gestatten pflegte. Dafür war die Grupo Lucero schließlich da. Doch um was auch immer es sich hier handeln mochte, diese Angelegenheit roch anders. Wenn der SNIO, die Falangisten und die Deutschen am selben Strang zogen, war das alles andere als eine gute Nachricht. Viele Köche verderben den Brei, wie das Sprichwort sagte. Und der Gedanke, dass er ihn am Ende auslöffeln musste, war nicht erfreulich.

»Was noch?«, fragte er.

Schröter stellte das leere Glas auf den Tisch.

»Sonst nichts.«

Falcó war erstaunt.

»Das ist alles?«

»Ja. Ich wollte Sie kennenlernen. Ihnen ins Gesicht sehen.«

»Professionelle Neugierde?«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Man hat mir erzählt, Sie wären 1920 mit der Weißen Armee bei der Räumung der Krim dabei gewesen. Und sogar verwundet worden.«

Falcó hielt seinem Blick stand, ohne eine Miene zu verziehen.

»Mag sein.«

»Ich war Marineoffizier an Bord der SMS Lützow. Aber Sie sind kein Russe … Und Sie waren damals sehr jung. Was hatten Sie dort zu suchen?«

»Geschäfte.«

»Sonderbare Art, Geschäfte zu machen. Da ging es rau zu.«

»Wie man so hört.«

»Sie haben Waffen verkauft, richtig? Ein bisschen hier, ein bisschen da. Oder für Leute gearbeitet, die Waffen verkauften … Zaharoff und Konsorten.«

Falcó schmunzelte in sich hinein. Er hatte Basil Zaharoff an Bord der Berengaria beim Kartenspielen kennengelernt. Im Lauf der fünftägigen Seereise von Gibraltar nach New York hatte der unbefangene junge Spanier, der gerade von der Marineakademie geflogen war und von seiner Familie nach Amerika geschickt wurde, damit er ein neues Leben anfing, zunehmend die Sympathie des berüchtigten Waffenhändlers gewonnen. Sechs Monate später war Falcó für Zaharoff geschäftlich zwischen Mexiko, den Vereinigten Staaten und Europa unterwegs.

»Keine Ahnung«, erwiderte er. »Das habe ich längst vergessen.«

Der andere starrte ihn immer noch an.

»Und ist es wahr, dass Sie, abgesehen von Ihren russischen Geschäften, zugleich auch die mexikanischen Revolutionäre und die IRA belieferten?«

»Das habe ich erst recht vergessen.«

»Tja … Verstehe. In Deutschland sind Sie auch eine Zeitlang gewesen, glaube ich. In Berlin, richtig?«

»Sehen Sie, daran erinnere ich mich noch sehr gut. Die Stuckfassaden, die Lichter der Kabaretts und dieser Überschwang, der zwei Straßen weiter ins heulende Elend umschlug. Und all die Schnepfen in ihren räudigen Pelzmänteln, die einen angurrten: ›Komm, Süßer‹.«

»Das war früher.«

»Was heißt früher?«

»Vor dem Nationalsozialismus.«

»Wenn Sie meinen.«

Der Deutsche hatte die Tür geöffnet. Seite an Seite kehrten sie in den Saal zurück, wo das Orchester mit einem Stück aus der Oper El gato montés das Stimmengewirr übertönte.

»Kennen Sie Herrn Lenz?«, wollte Schröter wissen.

»Ja.«

Sie waren bei einem Paar stehen geblieben, einem Mann mit rötlichem Haar und einer blonden, sehr hochgewachsenen, vollschlanken Frau in schwarzem Satin.

»Wolfgang Lenz und seine Gattin Greta. Sie sind sich wohl schon begegnet, nicht wahr? Das ist Lorenzo Falcó.«

»Wir kennen den Herrn«, bestätigte Lenz.

Wolfgang Lenz war nicht im Smoking, sondern trug einen dunklen Anzug. Sein Atem roch nach Anis, und er hielt ein halbleeres Glas in der Hand. Er war rundlich, über dem Bauch spannte die Jacke ein wenig. Im Süden Europas vertrat er die Munitionsfabrik Rheinmetall. Falcó und er waren in der Vergangenheit mehrfach aus geschäftlichen Gründen zusammengetroffen. Und 1929 hatten sie sogar gemeinsam einen Handel in Bukarest abgewickelt – eine Lieferung von dreitausend alten, defekten, aber sehr gut bezahlten Mauser-Gewehren – bei dem Falcó als Mittelsmann aufgetreten war. Und beide hatten sie kräftig daran verdient. Seit dem Militärputsch gegen die Republik versorgte Lenz die aufständischen Truppen. Er wohnte mit seiner Frau in einem Hotel in Salamanca, und man sah ihn im Bischofspalast, in dem General Francos Hauptquartier eingerichtet war, nach Belieben ein und aus gehen.

»Ich lasse Sie in bester Gesellschaft zurück«, sagte Schröter im Weggehen.

Falcó zog sein Zigarettenetui und reichte es herum. Lenz lehnte ab, seine Frau akzeptierte.

»Englische? O ja, danke. Ich mag die englischen Zigaretten.«

Greta Lenz war einen Kopf größer als ihr Mann und trotz ihrer scharfen, ordinären Züge durchaus nicht hässlich. Glattes, schulterlanges Haar. Knalliges Rot auf den Lippen. Die Abendrobe schmiegte sich um ausladende Hüften und zeigte einen gut gefüllten Ausschnitt: schwere, pralle Wölbungen, die – wie Falcó amüsiert dachte – in diesen nationalistischen neuen Zeiten keine Spanierin mit solcher Selbstverständlichkeit zu tragen gewagt hätte.

»Sie haben interessante Freunde«, bemerkte Lenz und wies mit seinem Glas auf Schröters Rücken.

»Geschäftsfreunde«, erklärte Falcó, während er Greta Lenz, die ihre Zigarette in ein Bernsteinmundstück gesteckt hatte, Feuer gab.

Der Mann trank einen Schluck und musterte Falcó boshaft.

»Vaterland und Geschäft gehen oft Hand in Hand.«

Falcó zündete seine eigene Zigarette an und blies den Rauch durch die Nase.

»Und wie laufen Ihre?«

»Ich kann nicht klagen. Sie wissen ja, wie das ist. General Franco braucht Sachen, die ich ihm beschaffen kann.«

»Diese Sachen kosten Geld.«

»Klar. Aber es gibt da jemanden, der sie ihm bezahlt, und so sind alle fein raus. Deutschland und Italien kooperieren und stellen es in Rechnung. Oder werden es in Rechnung stellen. Angeblich finanziert ein Landsmann von Ihnen, der in Frankreich lebt, der Bankier Tomás Ferriol, derzeit einen Großteil der Aufwendungen. Wissen Sie etwas darüber?«

»Nein.«

Die Plauderei setzte sich noch eine Weile fort. Greta Lenz öffnete ihre Handtasche, puderte sich die Nase und verbreitete ein Aroma von Elizabeth Arden. Sie taxierte Falcó mit Interesse, doch daran war er gewöhnt. Die Damenwelt pflegte Gefallen zu finden an seinem eleganten Auftreten in Kombination mit dem attraktiven Profil und dem gewinnenden, kühnen Lächeln, das er, tausend Mal geprobt und auf den Millimeter genau austariert, Frauen gegenüber einsetzte wie eine Visitenkarte. Schon in frühester Jugend hatte er – um den Preis einiger kleinerer Enttäuschungen – eine grundlegende Lektion gelernt: Frauen fühlten sich von Kavalieren angezogen, aber ins Bett gingen sie lieber mit Schurken. So viel war sicher.

»Möchtest du noch einen Anis, meine Liebe?«, fragte Lenz.

»Nein danke.« Sie senkte ein wenig die Stimme und setzte vorwurfsvoll hinzu: »Und du hast, glaube ich, schon genug.«

»Übertreib nicht.«

Lenz entfernte sich auf der Suche nach einem weiteren Glas, und als die Frau sich Falcó zuwandte, begegnete sie dessen gelassenem Lächeln.

»Wolfgang liebt Spanien«, sagte sie dann. »Er fühlt sich hier sehr wohl.«

»Das sehe ich. Und Sie?«

»Weniger«, antwortete sie herablassend. »Mir kommt hier alles schmutzig und grau vor. Die Männer sind gefühllos und eitel und die Frauen vor lauter Kirche und Rosenkranz nur noch traurig. Früher hat es mehr Spaß gemacht: Madrid, Sevilla, Barcelona …« Sie bedachte Falcó mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Wo haben wir uns das letzte Mal gesehen?«

»In Zagreb. Im Hotel Esplanade. Bei irgendeiner Feierlichkeit.«

Als es ihr wieder einfiel, zog sie die Augenbrauen hoch. Die hatte sie sehr schmal gezupft, sodass nur zwei dünne, mit einem braunen Stift nachgestrichelte Linien geblieben waren. In ihren hellbraunen Augen blitzten gelbliche Reflexe.

»Richtig. Sie waren mit einer Frau dort, zusammen mit dem spanischen Soldaten und diesem Schriftsteller, Malaparte aus Italien … Wir unterhielten uns eine Weile auf der Terrasse, hatten aber keine Gelegenheit, das Gespräch zu vertiefen.«

»Ganz recht.« Falcó machte eine kleine, wohlberechnete Pause, in der er ihr unverschämt in den Ausschnitt blickte. »Was ich sehr bedauert habe.«

Greta Lenz ließ die Prüfung mit bewundernswerter Natürlichkeit über sich ergehen. Angestarrt zu werden, war anscheinend das Selbstverständlichste von der Welt für sie.

»Es sah nicht aus, als ob Sie es bedauerten«, entgegnete sie. »Ich glaube mich zu erinnern, dass Ihre Begleiterin sehr hübsch war. Griechin oder Italienerin, habe ich recht?«

Falcó hielt ungerührt ihrem Blick stand.

»Ich erinnere mich an keine Frau.«

»In Zagreb?«

»Nirgendwo.«

Jetzt schaute Greta Lenz ihm mit Ironie und Neugierde ins Gesicht. Sie schien etwas sagen zu wollen, als sie ihren Mann zurückkommen sahen. Er hielt ein Glas in der Hand und war stehen geblieben, um mit jemandem zu sprechen.

»Sind Sie hier in Salamanca abgestiegen?«, fragte sie beinahe gleichgültig.

»Ja. Im Gran Hotel.«

Die Frau senkte die Wimpern hinter dem Rauch ihrer Zigarette.

»So ein Zufall«, sagte sie. »Wir auch.«

Es war halb elf Uhr abends, als Lorenzo Falcó auf die Straße trat. Ab elf herrschte Ausgangssperre, aber bis zum Hotel war es nicht weit, und er bewegte sich ohne Eile. Ein Spaziergang von vielleicht zehn Minuten, und nach all dem Tabakqualm, dem Alkohol und dem Gerede war es ihm ein Bedürfnis, sich ein wenig auszulüften. Vor einer Weile hatte er zwei Cafiaspirinas geschluckt – die häufigen Migräneanfälle waren seine Achillesferse –, und die schmerzstillende Wirkung der Tabletten ließ sein Wohlbefinden allmählich wieder steigen. Ihn fröstelte leicht, verstärkt durch die Feuchtigkeit des nahen Flusses Tormes. Er schlenderte durch die düsteren Häuserreihen der Calle Zamora, der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Stadt war zum Schutz vor republikanischen Luftangriffen verdunkelt. Die Hände in den Manteltaschen, den Schal über der Brust verschlungen und den Hut bis zu den Augenbrauen gezogen, überquerte er die Plaza Mayor. Er begegnete keiner Menschenseele und vernahm nichts als das Echo seiner eigenen Schritte. Es war so stockfinster, dass er den Torbogen der Straßenmündung nur erahnen konnte, und bevor er die Treppe hinunterging, hielt er einen Moment inne, um sich eine Zigarette anzuzünden. Beim Aufflammen des Feuerzeuges rührte sich eine schattenhafte Gruppe am Fuß der Treppe.

»Wer da?«, fragte eine Stimme.

»