Der Regional-Krimi 11: Semper und der tote Vulkanier - Ralph Sander - E-Book

Der Regional-Krimi 11: Semper und der tote Vulkanier E-Book

Ralph Sander

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Beschreibung

Die Woche hört für Kommissar Jan Semper und seine neue Kollegin Martina Kamps schlecht auf. Von einer STAR-TREK-Convention wird ein Mord gemeldet. Ein toter Vulkanier.Die beiden Ermittler werden in fremde Welten entführt. Gemeinsam stoßen sie in einen Kosmos vor, dessen unendliche Weiten von einer für sie fremden Spezies bevölkert werden. Science-Fiction-Fans.

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3501 Thomas Ziegler Überdosis3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod3504 Ulli B. Entschärft3505 Udo W. Schulz Unter Blendern3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady3507 Stephan Peters Die Hexe von Gerresheim3508 Uwe Voehl Mörderisches Klassentreffen3509 Andreas Zwengel Mörderisches Windeck3510 Alfred Wallon Tod am Gaswerk3511 Ralph Sander Semper und der tote Vulkanier

Semper und der tote Vulkanier

Der Regional Krimi

Buch 11

Ralph Sander

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

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© 2024 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-7579-2183-5

3511v1

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Epilog

Ein Nachwort zur Wiederveröffentlichung von Ralph Sander

Über den Autor

KapitelEins

Es regnete in der Stadt, durch die sich träge ein trüber Fluss quälte, der nach vielen Dingen roch, die nicht gesund sein konnten. Es war ein schwerer Regen, der aus dichten, fast schwarzen Wolken fiel, und er schien ewig anzudauern. Er spülte den Dreck von den menschenleeren Straßen, von den Hausdächern, von den Autos, die wie eine heimtückische Infektion einfach überall waren und das Bild der Stadt auf unnatürliche Weise prägten und die an manchen Plätzen einem Krebsgeschwür glichen, das schon lange unbemerkt und ungehindert wuchern konnte. Irgendwann würde jemand dieses Geschwür entfernen wollen, doch dann würde es schon längst zu spät sein.

Aber der Regen spülte nicht den Schmutz fort, der an den Geldscheinen klebte, die von dunklen Gestalten für noch dunklere Geschäfte an andere dunkle Gestalten weitergegeben wurden. Er spülte nicht die kriminellen Pilzkulturen fort, die sich überall ansiedelten und die noch viel schlimmer waren als die Autos.

Hellbacher stand hinter einem Baum und beobachtete das Pärchen, das sich in dem unauffälligen Viertürer auf dem Parkplatz unter der Brücke vergnügte. Er hielt die Kamera im Anschlag, um endlich das entscheidende Foto schießen zu können. Um seiner Klientin den Beweis zu erbringen, dass ihr Verdacht richtig war und ihr Mann sie tatsächlich betrog. Hellbacher wartete auf den Augenblick, in dem er beide Gesichter so deutlich vor die Kamera bekam, dass der Mann sich nicht herausreden konnte.

* * *

Semper starrte abwechselnd auf den Monitor und aus dem Fenster, aber auch dort erblickte er nichts, was ihm hätte helfen können. Das Einzige, was er sah, war der Regen. Genau der Regen, den er in seinen Zeilen zu beschreiben versuchte. Und das wiederum war genau das, was ihm nicht gelingen wollte. Oder zumindest glaubte er, dass es ihm nicht gelingen wollte. Vielleicht sollte jemand das lesen und kritisieren, überlegte er, verwarf aber diesen Gedanken sofort wieder. Er war nicht bereit, sich dem Spott irgendwelcher Kollegen hinzugeben, die es zwar wohl nicht besser konnten, aber dennoch alles besser wissen würden.

Seine Überlegungen kehrten zurück zu der Stadt, über die er schreiben wollte, und an ihr reales Vorbild. Nein, ging es ihm durch den Kopf. So ist Köln nicht. Er zögerte, dann fügte er ein Bedauerndes noch nicht an. Was er beschreiben wollte, war für ihn eine Vision der nahen Zukunft oder einer anderen Welt, die dieser ähnlich war, sich aber in Nuancen unterschied, die auf den ersten Blick unbedeutend wirkten. So viele Dinge hätten auch völlig anders verlaufen können, wenn ... ja, wenn nicht der Zufall oder das Schicksal oder wer auch immer die Fäden in die Hand genommen hätte. Er könnte heute noch immer in der Eifel festhängen, wenn man nicht auf ihn aufmerksam geworden wäre, nachdem er den Mord im Landschulheim geklärt hatte.

Vielleicht sollte ich gar keinen Krimi schreiben, sondern dieses futuristische Zeugs, überlegte er. Vielleicht war das gar keine so schlechte Idee. Immerhin galt sein Anliegen in diesem Moment vor allem den Autos, die von der Stadt klammheimlich Besitz ergriffen hatten und die mit jedem Tag wieder ein wenig Raum mehr eroberten. Ganz gleich, was man gegen sie unternahm, ob Park- und Halteverbote, ob Fußgängerzonen oder Poller. Nichts half wirklich gegen sie. Immer wieder fanden sie eine neue Lücke, die niemand zuvor entdeckt hatte, und besetzten sie gnadenlos. Oder sie ignorierten die Verbote, die gegen sie ausgesprochen wurden, und trotzten der Ordnung, um eine eigene Ordnung zu schaffen. Semper war Realist genug, um zu wissen, dass es eigentlich die Besitzer dieser Autos waren, die sich so verhielten, aber manchmal kam es ihm einfach so vor, als führten die Autos eine Art Eigenleben, dass sie die Fähigkeit besaßen, die Persönlichkeit ihrer Besitzer zu ihrem eigenen Vorteil zu verändern.

Auch der Schmutz, von dem die Stadt überzogen wurde, war eine Vision, die gar nicht so weit von der Realität entfernt war. Sicher, räumte Semper sich selbst gegenüber ein, es war keine vollkommen korrupte Gesellschaft, in der er lebte. Es gab viele, sogar sehr viele Menschen, denen man den beinahe schon altmodisch klingenden Begriff der Rechtschaffenheit zuschreiben konnte. Aber mit jedem neuen Skandal und auch mit jedem bescheidener ausfallenden Skandälchen gelangten wieder ein paar Bürger mehr zu der Ansicht, dass ein klein wenig Betrug und Klüngel nicht so schlimm sein konnten. Und mit jedem, der in dieses Lager überwechselte, wurde die Gruppe der Rechtschaffenen kleiner und kleiner. Und irgendwann würde sie so klein sein, dass die Ehrlichkeit auf der Strecke bleiben musste. Davor fürchtete er sich wirklich. Davor und vor dem nächsten Satz, der ihm beim besten Willen nicht in den Sinn kommen wollte.

Was sollte er mit diesem Privatdetektiv anstellen? Er konnte ihn doch nicht einfach auf den Wagen losstürmen und das Liebespärchen fotografieren lassen, damit der seinen Auftrag erledigen konnte.

Sempers Blicke wanderten langsam über die Tastatur, sie hefteten sich auf die einzelnen Tasten, als würden die eine Lösung bereithalten, die sich aber standhaft weigerte, auf seinen flehenden Blick zu reagieren.

„Ich sollte mal speichern“, sagte er leise und studierte den Bildschirm, indem er sich ein Stück vorbeugte. „Wenn ich bloß wüsste, wie man das macht.“ Dass er dabei mit der linken Hand auf die Tastatur geriet, bemerkte er nicht sofort. Was ihm allerdings auffiel, war, dass hinter dem Text, den er bislang geschrieben hatte, erst ein X und dann noch eins erschien, bis schließlich die Zeile voll war und Augenblicke später der bislang geschriebene Text aus dem oberen Bildschirmrand geschoben wurde und das Bild tausendmal oder mehr den Buchstaben X zeigte.

„Scheiße“, murmelte Semper und riss erschrocken die Hand zurück. Er starrte auf die matte Oberfläche des Bildschirms, die nur verschwommen sein Ebenbild reflektierte.

„Probleme?“

Semper wirbelte herum und sah eine Frau an, die ohne anzuklopfen das Büro betreten hatte. Der geübte Blick des Polizisten ließ ihn seinen Besucher sofort taxieren. Die Frau war vielleicht Mitte dreißig, gut einen halben Kopf kleiner als er, sie war schlank und fast schon zierlich, ihr blondes Haar hatte sie auf dem Kopf hochgesteckt, um es dann bis über die Schultern wallen zu lassen. Sie trug eine helle Jeanshose, ein weißes Sweatshirt und darüber eine Jeansjacke. Und sie sieht gut aus, verdammt gut sogar, dachte Semper, als der professionelle Teil seiner Analyse abgeschlossen war.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte er.

„Ich glaube, das sollte ich besser Sie fragen“, erwiderte die Frau. Der Klang ihrer Stimme erinnerte ihn an jemanden, aber er wusste nicht auf Anhieb, wer diese andere Frau war, die ihr so ähnlich zu sein schien.

Er stand auf und kam auf sie zu, während sie in der Türöffnung stehen blieb.

„Sie haben nicht angeklopft“, meinte er etwas mürrisch, als er vor ihr stand.

„Muss ich denn anklopfen, wenn ich mein eigenes Büro betrete?“

Semper runzelte die Stirn. „Ihr eigenes Büro?“

„Ja, soweit ich weiß, bin ich Ihre Assistentin. Es sei denn, Sie sind nicht Kommissar Semper.“

Er nickte. „Doch, der bin ich.“

„Dann bin ich ja richtig.“ Sie streckte ihre Hand aus, die er ein wenig irritiert nahm und drückte. Erstaunt registrierte er den festen Händedruck, der nicht zu der zierlichen Erscheinung der Frau vor ihm zu passen schien. „Ich bin Martina Kamps. Kommissar Kamps.“

„Sie sind ...“, begann er, führte seinen Satz aber nicht zu Ende. Stattdessen fuhr er sich mit der Hand durch sein leicht angegrautes Haar, das schon längst wieder mal hätte geschnitten werden müssen.

„Die Neue, wenn Sie wollen, Herr Semper“, sagte sie. „Wo ist mein Schreibtisch?“

„Ähm“, meinte er nur und machte mit der linken Hand eine ausholende Handbewegung.

„Störe ich?“

„Nein, nein, das ... Wie kommen Sie darauf? Ich hatte nur noch nicht mit Ihnen gerechnet, ich bin nur überrascht, weiter nichts.“

„Überrascht, dass ich da bin, oder überrascht, dass ich da bin?“ Sie lächelte ihn gut gelaunt an und ging an ihm vorbei zu dem Schreibtisch, der offensichtlich für sie vorgesehen war, da er bis auf die üblichen Büroutensilien leer war, während sich auf dem anderen, Sempers, Schreibtisch die Akten stapelten.

Als sie sich hinsetzte, bekam sich Semper wieder in den Griff und ging zu seinem Schreibtisch. „Wenn ich ehrlich sein soll“, begann er, „dann bin ich ein wenig überrascht, was Sie angeht, Frau Kamps.“

„Aha?“ Sie nahm Platz und zog die Schubladen auf, um sich mit ihrem neuen Arbeitsplatz vertraut zu machen und alles so einzurichten, wie es ihr am liebsten war. „Bin ich zu jung, zu alt, zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn?“

Semper verzog den Mund. Ihre direkte Art war zwar in gewisser Weise hilfreich, weil sie den Eindruck vermittelte, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darauf ankam. Trotzdem fühlte er sich etwas unbehaglich, obwohl das schon der Fall gewesen war, als ihm sein Vorgesetzter eröffnet hatte, er werde als Nachfolger für Kommissar Beltz eine Frau an seine Seite bekommen. „Wird Ihnen guttun“, hatte der Chef gesagt.

„Ist mein Busen zu klein? Oder zu groß?“, redete sie weiter. „Sagen Sie ruhig, was Sie stört. Ich werde ganz bestimmt keine Klage wegen sexueller Belästigung einreichen.“

Semper musste unwillkürlich grinsen. „Ich glaube, Ihre Art gefällt mir, Frau Kamps“, sagte er schließlich. „Ich habe Ihre Akte gelesen und dabei einfach nur den Eindruck bekommen, dass eine Frau, die so sportlich ist wie Sie, etwas, na ja, wie soll ich sagen, dass Sie nicht ganz so zart und zierlich wirken würden. Ich hoffe nicht, dass Sie jetzt beleidigt sind.“

Sie grinste ihn breit an. „Warum sollte ich das sein? Es ist ja auch gut, wenn ich diejenige bin, die weiß, wie viel Kraft in mir steckt. Solange mein Gegenüber das nicht weiß, ist das Überraschungselement immer auf meiner Seite.“

Semper nickte nachdenklich. „Ja, da haben Sie allerdings recht.“

Er sah sie wieder an und fand, dass sie sich rein äußerlich auf jeden Fall sehr gut als seine Assistentin machte, da er selbst es auch bevorzugte, eher lässig gekleidet aufzutreten und die Mode Mode sein zu lassen. Er verzichtete aus Prinzip darauf, eine Krawatte zu tragen, seine Hemden waren stets gemustert, wenn auch unaufdringlich. Und es kümmerte ihn nicht, ob seine karierten Jacketts in irgendeiner Weise zu den braunen Cordhosen passten, die er üblicherweise trug. Und wenn ihm zwei Tage lang nicht danach war, sich zu rasieren, dann ließ er es eben bleiben. Allerdings begann er sich jetzt schon zu fragen, ob er den letzten Punkt mit Blick auf seine neue Partnerin beibehalten würde. Mein Gott, du hältst nicht um ihre Hand an, rief er sich zur Ordnung.

Erfreulich war vor allem, dass sie das völlige Gegenteil von Beltz war, ihrem Vorgänger. Der war immer bestens gekleidet zur Arbeit gekommen, auch wenn es nachts um drei an einen Tatort ging. Dunkler Anzug, weißes, im äußersten Fall ein beiges Hemd, dezente Krawatte, ordentliche Frisur.

Es hatte ihn nie gestört, wie Beltz aufgetreten war, sondern vielmehr amüsiert, wenn andere nach dem äußeren Eindruck gingen und Beltz für den Chef hielten. Und es würde ihn auch heute nicht stören, wenn Beltz ...

Semper schloss die Augen. Zu frisch war die Erinnerung daran, wie Beltz vor Sempers Augen bei einem Einsatz erschossen worden war. Der Schock hatte sehr tief gesessen, und Semper war sicher, dass er sich für den Rest seines Lebens Vorwürfe machen würde.

„Wenn ich nicht die geeignete Partnerin für Sie bin, Herr Semper, dann können Sie das ruhig sagen. Ich habe damit kein Problem“, sagte Martina schließlich. „Ich weiß, dass Sie mich nicht ausgesucht haben.“

„Ach Unsinn“, entgegnete er. „Ich muss mich erst umstellen, das ist alles.“

„Das mit Beltz tut mir leid“, sagte sie. „So etwas sollte nie passieren.“

Semper nickte langsam. „Dass ich Sie nicht ausgesucht habe, hat einen guten Grund. Ich wollte nicht, dass Sie den Eindruck bekommen, irgendwelche Anforderungen erfüllen zu müssen, die ich stillschweigend an Sie stellen könnte. Auf diese Weise ist das für uns beide eine neue Situation, ich wollte keinen zweiten Beltz.“

„Na, lassen Sie sich darüber mal keine grauen Haare wachsen ...“, begann Kamps, hielt dann aber abrupt inne, während Semper lauthals zu lachen begann.

„Verraten Sie mir doch mal, wo sich hier ein graues Haar einschleichen soll“, erwiderte er und fuhr sich durch seine Haare, die ihn erheblich älter aussehen ließen, die aber, und das betrachtete Semper als ausgleichenden Vorteil, auch seine Autorität unterstrichen. Ganz gleich, wie respektlos einige der jüngeren Kollegen auch auftraten, sobald sie mit Semper zu tun hatten, genügte ein giftiger Blick, um sie förmlich zur Salzsäule erstarren zu lassen.

Auch Kamps musste jetzt lachen, zum Teil auch aus Erleichterung, weil Semper ihr die Bemerkung nicht übelgenommen hatte.

„Sagen Sie, hat das hier eine besondere Bedeutung?“, fragte sie plötzlich, als ihr Blick auf den Monitor fiel, der auf ihrem Schreibtisch stand. Semper blickte erschrocken auf, als ihm einfiel, dass er vergessen hatte, den Computer auszuschalten.

„Das ... das ...“, stammelte er verlegen und suchte nach einem Vorwand, damit die junge Frau das Büro wenigstens für ein paar Minuten verließ. Aber es war vergeblich, da ihre Neugier einmal geweckt worden war.

„Ich habe ja schon davon gehört, dass Sie manchmal, wie soll ich sagen, unorthodoxe Ideen haben, um einen Fall zu lösen“, meinte Kamps. „Und man hat mir auch gesagt, dass die Kollegen Ihnen die etwas sonderbaren Fälle geben, weil Sie damit so gut umgehen können. Aber können Sie mir verraten, wofür der Buchstabe X steht? Ist das unser großer Unbekannter?“ Sie drückte auf eine der Pfeiltasten, eine weitere X-Reihe kam zum Vorschein. „Da sind ja noch mehr Unbekannte. Ist das ein ungeklärter Massenmord?“

Semper fühlte eine unbeschreibliche Ohnmacht in sich aufsteigen, wie er es nur selten erlebt hatte. Er erinnerte sich an nicht enden wollende mündliche Prüfungen in der Schule. An die Zeiten, als er vorturnen sollte und bei der Rolle vorwärts zur allgemeinen Belustigung kläglich versagte. An seine erste Beinahe-Freundin, die eigentlich gar nichts von ihm wollte, und über seine Liebeserklärung, deren Formulierung ihn fast um den Verstand gebracht hätte, die von seiner Angebeteten mit einem minutenlangen Lachanfall quittiert wurde.

Alle diese Augenblicke, es waren längst nicht alle gewesen, die ihm in diesen Sekunden durch den Kopf schossen, lagen Ewigkeiten zurück und waren eigentlich in Vergessenheit geraten. Seitdem war er in allem so vorsichtig gewesen, dass etwas derart Peinliches einfach nicht mehr hatte passieren können. Bis jetzt. Seine Unvorsichtigkeit hatte ihn wieder zu einem potenziellen Opfer des Spotts gemacht, der diesmal zu allem Überfluss auch noch von einer untergebenen Mitarbeiterin kommen würde, die mit ihm zusammenarbeiten sollte.

„Haben Sie im Moment nichts Wichtigeres zu tun, Frau Kamps?“, fragte er schließlich, nachdem er seine Verlegenheit unter Kontrolle hatte.

„Nein, mein Schreibtisch ist leer, wie Sie sehen“, antwortete sie und tippte weiter auf der Tastatur herum. „Komisch.“

Semper stieß einen Seufzer aus. „Also gut, Sie werden ja vermutlich sowieso keine Ruhe geben. Ich habe versucht, etwas zu schreiben. Ich habe es sogar geschafft, etwas zu schreiben. Was mich zutiefst erstaunt hat. Aber ich weiß nicht, wie ich das speichern kann.“

„Diese X-Reihen wollen Sie wirklich speichern?“ Kamps sah ihn verwundert an. „Warum?“

Semper stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch. „Natürlich nicht. Ich wollte einen Text speichern, der eben noch auf dem Bildschirm war. Aber ich weiß weder, wo der abgeblieben ist, noch, warum jetzt nur noch ein X nach dem anderen zu sehen ist!“ Leise Verzweiflung schwang in Sempers Worten mit.

„Ich verstehe“, murmelte Kamps und setzte den Text in Bewegung.

„Wie haben Sie das gemacht?“, rief Semper aufgeregt.

„Mit diesen Pfeiltasten, weiter nichts.“ Sie deutete auf vier Tasten, deren Pfeile in alle Himmelsrichtungen wiesen.

„Soll ich Ihnen dieses X-Zeugs löschen?“

„Ja, aber nicht den richtigen Text.“

„Erst mal sehen, wo Sie den hingepackt haben“, meinte sie und löschte eine X-Zeile nach der anderen, dann war der sinnlose Text fort und übrig blieb der ursprüngliche Anfang.

„Haben Sie das geschrieben?“, fragte Kamps, nachdem sie den kurzen Text überflogen hatte. Semper räusperte sich anstelle einer Antwort.

„Soll ich ehrlich sein?“, fragte sie, nachdem sie die Zeilen ein zweites Mal gelesen hatte.

„Soweit ich weiß, sind Sie das doch immer, auch wenn es anderen nicht unbedingt gefällt. Der Teil Ihrer Personalakte spricht jedenfalls Bände“, entgegnete Semper.

„Oh, Sie haben meine ganze Akte?“, fragte Kamps leicht beunruhigt.

„Natürlich habe ich das, wohin denken Sie? Glauben Sie, ich lasse mir eine notorische Alkoholikerin aufs Auge drücken, die sonst niemand haben will? Oder eine Hysterikerin, die beim ersten Anzeichen von Gefahr schreiend davonrennt?“

„Und?“ hakte sie nach.

„Was und?“, erwiderte Semper.

„Na, meine Akte natürlich.“

Semper blickte sie durchdringend an. „Stimmt irgendetwas nicht mit Ihrer Akte?“

„Ich meine, was genau haben Sie über mich gelesen?“

„Jede Aktennotiz, jede Stellungnahme und jede Beschwerde inklusive Ihrer Gegendarstellung.“

„Und trotzdem haben Sie mich genommen?“

„Ich sage Ihnen mal was, Frau Kamps“, begann Semper. „Ich weiß, dass sich viele Leute hier im Haus über Sie beschwert haben, es gibt da genug Briefe und vor allem sehr lange und ins Detail gehende Briefe in Ihrer Akte, die sich alle mit Ihrem Verhalten befassen.“

„Ich kann das alles erklären“, unterbrach sie ihn, aber Semper sprach ungerührt weiter: „Ich kenne einen großen Teil der Kollegen, die sich über Sie beschwert haben. Ich weiß, dass einige von ihnen echte Trottel sind, und ein Großteil der anderen kommt noch immer nicht damit klar, dass eine Frau genauso gut sein könnte wie sie. Oder sogar noch besser. Und ich muss sagen, dass Sie verdammt ehrlich sind und offenbar nicht davor zurückschrecken, andere mit der Nase auf ihre Fehler zu stoßen.“

„Ich ...“, versuchte es Kamps in einem zweiten Anlauf, konnte aber auch diesmal Sempers Redefluss nicht unterbrechen.

„Das ist eine Eigenschaft, die ich an einem Menschen sehr schätze. Ich brauche jemanden an meiner Seite, der selbstständig denkt und seinen Mund benutzt, um mich auf Irrtümer oder Fehler aufmerksam zu machen. Ich kann nicht mit einem Assistenten zusammenarbeiten, der zu allem nickt, was ich sage. Ich erwarte von meinem Assistenten, dass er mir notfalls auch klarmacht, dass ich mich in irgendetwas verrannt habe.“

Kamps war verblüfft und sprachlos. Sie sah Semper eine Weile an, und erst langsam wurde ihr bewusst, dass sie soeben gelobt worden war. Und das auch noch für eben jenes Verhalten, das ihr diese dicke Personalakte beschert hatte.

Sie nickte Semper zu.

„Und jetzt raus mit der Wahrheit“, sagte Semper dann und deutete auf den Text auf dem Bildschirm.

„Das ist kein gelungener Anfang“, sagte Kamps, nachdem sie die Zeilen überflogen hatte. „Damit vergraulen Sie die Leser, das ist zu Amerikanisch.“

„Zu Amerikanisch?“

„Ja, das kennen Sie doch, aus Filmen zum Beispiel. Diese Geschichten von harten Detektiven, die über die Handlung sprechen und erzählen, wie cool sie sind und wie ergeben ihnen die Frauen sind, die sie in der letzten Nacht reihenweise mit in ihr Schlafzimmer genommen haben.“

„Ich hatte nicht vor, meinen Helden reihenweise Frauen in sein Schlafzimmer abschleppen zu lassen. Und ich bin auch nicht gerade der größte Kinofan“, sagte Semper ausweichend, konnte aber nicht vermeiden, dass Kamps ein weiteres Mal erkannte, wie ertappt er sich fühlte.

„Na ja, ist ja auch Ihr Roman. Da müssen Sie schon selber entscheiden, was Sie schreiben.“ Kamps stand schulterzuckend auf und bot Semper den Platz vor dem Computer an. „Der gehört jetzt wieder Ihnen, Herr Semper, damit Sie weiterschreiben können.“

„Haben Sie das auch gespeichert?“

„Schon längst erledigt“, sagte sie und ging zu seinem Schreibtisch, um dort vorübergehend Platz zu nehmen und sich mit den Akten zu befassen. Aus dem Augenwinkel sah sie zu Semper, der seinerseits auf den jetzt weitgehend leeren Monitor blickte.

Dann drehte sich Semper um und sah Kamps an, sagte aber nichts.

Ich weiß, was jetzt kommt, dachte sie, nahm aber ihren Blick nicht von der Akte, die vor ihr lag.

„Sie wollen wissen, wo Ihr Text geblieben ist, stimmt’s?“, fragte sie, nachdem sie ihn noch einen Moment lang hatte schwitzen lassen.

Semper nickte, was Kamps zwar nicht sehen konnte, da sie den Blick nach wie vor nicht von der Akte abwenden wollte. Aber es war auch nicht nötig, das sehen zu müssen.

„Zu dem Programm gehört auch eine Hilfefunktion.“

„Sie machen mir Spaß. Wenn ich nicht mal weiß, wieso ich überhaupt ein Wort schreiben konnte, ohne dass sich die Kiste selbst zerstört hat, wie soll ich dann irgendeine Hilfe finden?“

„Welche Version ist das eigentlich?“

Semper zögerte. Nachdem er einen erneuten Blick auf die Befehlszeilen am oberen Bildschirmrand geworfen hatte, erwiderte er zaghaft: „Die deutsche ...“

Kamps sah ihn schweigend an und versuchte, ein breites Grinsen zu unterdrücken, doch es gelang ihr nur mühsam.

„Das war wohl nicht das, was Sie wissen wollten“, folgerte Semper und lehnte sich zurück. „Klären Sie mich doch mal auf.“

„Sie sollten einen Lehrgang machen, dann können Sie das alles lernen.“

Kamps wollte aufstehen und zu ihm gehen, um ihm wieder zu helfen, doch in diesem Moment klingelte das Telefon.

Sie nahm ab und hörte eine Zeitlang aufmerksam zu, dann legte sie wieder auf und notierte etwas. Ihr Blick fiel wieder auf Semper, der nach wie vor darauf wartete, einen Computerschnellkurs absolvieren zu dürfen. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Was ist los, Frau Kamps?“, fragte Semper ungeduldig. Offensichtlich hatte er Angst, dass seine Idee irgendwo im Computer verschwinden würde, wenn er jetzt nichts unternahm. „Haben Sie eine Gehaltserhöhung bekommen?“

„Nein, es gibt Arbeit.“

„Ich wusste noch gar nicht, dass Sie sich über Arbeit so freuen. Wenn das der Fall ist, dann kann ich Ihren Schreibtisch so vollpacken, dass Sie vor Begeisterung kaum noch Luft holen können. Dann können Sie glücklich sterben.“

Kamps wandte den Blick von Semper ab und sah auf eine Weise zum Monitor, dass Semper klar wurde, welche Drohung sie gerade ohne ein einziges Wort geäußert hatte. Sie war in der Lage, den Text wieder zurückzuholen, aber sie konnte ihn auch einfach verschwinden lassen. Semper verstand den Wink sofort, reagierte aber nicht.

„Also, was ist passiert?“

„Sie werden es nicht glauben.“

„Dann müssen Sie es mir auch nicht sagen“, entgegnete Semper und schwieg, bis seine Assistentin merkte, dass diese Art nicht ankam. Noch nicht, dachte sie, dann sagte sie: „Es gibt einen Toten.“

Semper lehnte sich zurück und bemerkte bissig: „Einen Toten? Hm, vielleicht sollten wir das ans Morddezernat weiterleiten, die kennen sich bestimmt mit solchen Dingen aus, oder was meinen Sie? Aber ... Da fällt mir ein: Wir sind hier doch im Morddezernat. Wäre das nicht vielleicht ein Fall für uns?“

„Denkbar wäre es“, gab sie schulterzuckend zurück. Wenn er nicht auf ihre Art anspringen wollte, dann würde sie auch nicht auf seinen ironischen Tonfall reagieren.

„Also gut“, sagte Semper schließlich, da er merkte, dass diese Frau mehr als entschlossen war, ihren Kopf durchzusetzen. „Jetzt erklären Sie mir, was es mit diesem Toten auf sich hat.“

„Der Tote ist ein Vulkanier.“

Semper sah hinüber zum Fenster und versuchte, den Worten einen Sinn zu geben. Er überlegte, ob er Kamps einfach nur falsch verstanden hatte. Aber er war sicher, dass das nicht der Fall war.

„So, so“, erwiderte er schließlich und sah sie einfach nur an.

„Auf dieser großen Convention in der Messe“, fuhr Kamps fort.

„Aha.“ Semper verzog das Gesicht, weil er das Gefühl nicht loswurde, dass Kamps ihm einfach nur einen Streich spielen wollte.

Kamps wiederholte die Meldung und wirkte dabei einigermaßen überzeugend.

„Dann werde ich mal hinfahren“, beschloss Semper, ohne auf weitere Erklärungen von Kamps zu warten, und stand auf.

„Soll ich nicht mitfahren?“

„Ich denke, dass ich da alleine klarkomme.“

„Wollen wir wetten?“, entgegnete Kamps.

„Illegales Glücksspiel, Frau Kollegin?“

„Sie sollten mich mitnehmen.“

Semper zog seinen Mantel an, dann legte er den gelben Schal um, den eine Kollegin aus dem Büro schräg gegenüber ihm vor längerer Zeit zum Geburtstag geschenkt hatte und den er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Seitdem unterlag er jedoch ihrer ständigen Kontrolle, da sie sicher sein wollte, dass er ihr Geschenk nicht verschmähte. Semper hielt sich an die Spielregeln, solange er in ihrem Blickfeld war, spätestens im Wagen würde er ihn wieder ausziehen.

„Nennen Sie mir einen guten Grund, warum ich Sie mitnehmen und von Ihrer wichtigen Arbeit abhalten sollte, die in der Durchsicht all dieser Akten besteht, damit Sie wissen, was alles noch zu erledigen ist“, sagte er.

„Ich nenne Ihnen sogar zwei. Erstens bin ich Ihre Assistentin, und allein deshalb sollte ich schon mitkommen“, erwiderte Kamps. „Und zweitens. Sagen Sie mir doch mal, was ein Vulkanier ist.“

„Mir ist im Augenblick völlig egal, was ein Vulkanier den ganzen Tag macht, ich weiß nur, dass er tot ist und dass es wohl ein Mord war. Sonst hätte man uns nicht angerufen.“

„Vulkanier ist kein Beruf, Chef“, erklärte Kamps.

„Sondern?“

„Das ist nicht so schnell erklärt“, sagte sie. „Aber in der Messe läuft eine Science-Fiction-Convention, mit Autoren und Schauspielern aus Filmen und Fernsehserien. Das ist ein Ereignis für die Fans aus ganz Europa, da kommen Trekker, Fiver und Warsler und was weiß ich nicht alles. Sie werden das Gefühl haben, auf einem anderen Planeten zu sein. Sie brauchen jemanden, der sich da ein wenig auskennt.“

„Und Sie kennen sich da aus?“, fragte Semper überrascht.

Kamps nickte.

Semper zögerte einen Moment lang. „Ich muss zugeben, dass ich von dem, was Sie mir gerade erzählt haben, nicht viel verstanden habe. Eigentlich überhaupt nichts. Ich weiß zwar nicht, ob das alles so stimmt. Vielleicht wollen Sie mir ja nur einen besonders großen Bären aufbinden. Aber genau darum nehme ich Sie mit, dann blamiere ich mich nicht. Hoffentlich. Und wenn Sie Pech haben, wird Ihre Akte um eine Beschwerde reicher. Und wenn Sie ganz großes Pech haben, können Sie bald in einer anderen Abteilung Einstand feiern.“

Als sie das Gebäude verließen und zu ihrem Dienstwagen gingen, regnete es immer noch. Es war ein feiner, durchdringender Regen, der von allen Seiten zugleich kam und gegen den ein Schirm nichts ausrichten konnte. Es war ein typischer Novembertag, auch was die Temperaturen anging. Das einzige Problem war, dass es Ende April war. „Das erinnert mich an Ihren Roman“, rief Kamps ihm zu, während sie über den Parkplatz rannten, um einigermaßen trocken den Wagen zu erreichen.

Semper reagierte nicht, sondern stieg ein. „Wenn wir nicht ein solches Sauwetter hätten, dann hätten wir fast zu Fuß zur Messe gehen können“, meinte Kamps, als sie im Wagen saßen.

„Stimmt, ist aber auch der einzige Vorteil, den das neue Präsidium in dem Fall hätte“, gab er zurück und warf dem Neubau einen missbilligenden Blick zu.

„Ich weiß, was Sie meinen“, sagte sie. „Das alte Gebäude hat mir auch besser gefallen.“

„Sehen Sie, das ist der Beweis, dass wir alle schon zu alt sind für unseren Job“, sagte Semper und lächelte sie an. „Wir sind schon so unflexibel, dass wir uns nicht mal mit einem neuen Präsidium anfreunden wollen, obwohl es alles bietet, was uns bis dahin gefehlt hat.“

„Zeit für die Rente“, gab Kamps zurück und fuhr los.

KapitelZwei

Als sie die Unfallstelle kurz vor dem Deutzer Bahnhof passierten, schüttelte Semper den Kopf. „Da regnet es mal für ein paar Stunden, und schon verlernen die Leute das Autofahren“, stöhnte er. „Sehen Sie sich das an. Eine nasse Fahrbahn und prompt fahren sechs Wagen aufeinander und geraten auch noch auf die Gegenfahrbahn.“

„Zu Fuß wären wir wirklich viel schneller gewesen“, meinte Kamps und war froh, dass es endlich weiterging. Fast eine Viertelstunde waren sie durch den Unfall aufgehalten gewesen, da es weder vor- noch zurückgegangen war und ihnen nichts anderes übrig geblieben war, als so wie alle anderen geduldig darauf zu warten, dass vor ihnen das Chaos auf der Fahrbahn beseitigt wurde.

Der Regen hatte inzwischen wieder ein wenig nachgelassen, als sie vor dem zum Rhein gelegenen Eingang zur Messe vorfuhren. Der Wachmann erkannte den Dienstausweis, den Semper aus dem Fenster hielt, bereits von Weitem und winkte den Wagen durch. Nach wenigen Metern mussten sie aber schon anhalten, da der Leichenwagen bereits eingetroffen war und die Weiterfahrt unmöglich machte.

„Stellen Sie sich einfach dahinter“, sagte Semper.

Ein Polizeibeamter in Uniform kam ihnen entgegen.

„Tag, Herr Kollege, Frau Kollegin“, sagte er knapp. „Ich führe sie hin.“

Entlang der Halle hatte man eine Reihe von Aufliegern abgestellt, die bei der nächsten Messe zum Einsatz kommen sollten. Die beiden folgten dem Polizisten durch den schmalen Korridor, der durch die Auflieger entstanden war, bis sie auf zwei weitere Beamte trafen. Sie begrüßten sich mit kurzem Kopfnicken, und dann sah Semper auch schon die schwarze Kunststoffplane, die über den Toten gelegt worden war.

Er ging hin und sah Kamps an, die einen ernsten Eindruck machte. „Wenn Sie nicht wollen ...“, begann er, aber sie schüttelte den Kopf.

„Nein, nein“, entgegnete sie. „Das ist nicht die erste Leiche, die ich sehe. Ich kann das.“

„Wie Sie wollen“, sagte er. „Falls Sie trotzdem ...“

„Bringen wir’s hinter uns“, meinte sie. „Der arme Kerl soll ja nicht ewig da liegen.“

„Na, dann lassen Sie mal sehen“, sagte Semper und kniete sich hin. Einer der Polizisten wollte die Plane zur Seite ziehen, aber im gleichen Moment begann er zu würgen, ließ die Plane los und lief außer Sichtweite, um sich zu übergeben.

Semper, der an diesem Tag noch nicht viel gegessen hatte und schon seit einiger Zeit beträchtlichen Hunger verspürte, fragte sich, warum der Mann nicht auch außer Hörweite hatte laufen können. Sein Magen begann ebenfalls, sich zu verkrampfen. Einer der Rettungssanitäter von der Unfallhilfestelle in der Messe kam hinzu und vollendete das, was der Polizist vorzeitig abgebrochen hatte. Er hob die Plane an und legte sie so, dass der Oberkörper des Opfers zum Vorschein kam. „Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig“, sagte Semper mehr zu sich selbst, während er den Toten betrachtete. Er musste sich keine Notizen machen, da er vom Gerichtsmediziner ohnehin alle Fakten bekommen würde, die wichtig waren. Und die Fotos vom Tatort taten ein Übriges.

Der Tote sah auf den ersten Blick so durchschnittlich aus, dass bei einer Suchmeldung mit Sicherheit Hunderte von seiner Sorte gesichtet worden wären. Wären da nicht die aufgesetzten spitzen Ohren gewesen.

„Was ist denn das?“ Semper blickte ratlos auf die Maskerade, dann wanderte sein Blick weiter nach unten über den blauen Pullover, der mit diversen obskuren Abzeichen versehen war, die für Semper keinen Sinn ergaben. Er betrachtete die Wunde. Ein Messerstich genau ins Herz, das austretende Blut war in den blauen Pullover eingezogen und ließ ihn rund um die Wunde tieflila erscheinen.

Semper widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem schmalen, schneeweißen Gesicht, das dem einer Wachsfigur glich. Es schien, als schlafe der junge Mann nur, als würde er jeden Moment die Augen aufschlagen und April, April rufen. Es war nicht das erste Mal, dass Semper etwas Derartiges dachte. Oft wurde er nachts von den erstarrten Gesichtern verfolgt, die ihn aus dem Schlaf rissen, da sie sich nicht bewegten, solange er sie betrachtete, sich aber zu regen schienen, sobald er den Blick von ihnen nahm. So ging es ihm auch jetzt. Er hatte fast Angst, wegzusehen, da der junge Mann sich genau in dem Augenblick bewegen könnte.