Der Rote - Jack London - E-Book

Der Rote E-Book

Jack London

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Beschreibung

Als der Biologe Bassett am Strand der Südseeinsel Guadalcanal im Landesinneren ein seltsames Geräusch hört, beschließt er dessen Herkunft zu erforschen. Gemeinsam mit seinem Träger dringt er in den Dschungel ein und wird bald von Eingeborenen bedrängt. Sein Träger fällt ihnen zum Opfer und einige Zeit später bricht er, von Fieberanfällen geschwächt, zusammen. Eine Eingeborene findet ihn und kann ihren Willen, ihn für sich zu besitzen, gegen ihre Stammesmitglieder durchsetzen, die ihn lieber getötet hätten. Er erfährt, dass ein seltsamer Stammesgott für das Geräusch verantwortlich ist, das ihn in den Dschungel gelockt hat. Es ist ihm strengstens verboten, den "Der Rote" genannten Gott zu sehen, aber er setzt alles daran, doch bis zu ihm vorzudringen. Dafü nimmt er selbst eine Liebesbeziehung zu seiner abgrundtief hässlichen Retterin in Kauf. Als es ihm schließlich gelingt, den Gott zu erreichen, steht er vor einem Wunder. London, sonst für seine Abenteuerromane bekannt, hat auch phantastische Geschichten geschrieben. Und er beherrscht auch dieses Genre ausgezeichnet. In "Der Rote" mischen sich Abenteuer- und Science Fiction-Elemente gekonnt zu einer spannenden Erzählung.

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Jack London

Der Rote

Vergangene Zukunft Band 11

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorspann

 

Vergangene Zukunft – Band 11

Jack London – Der Rote

Übersetzung: Chris Schilling

1. eBook-Auflage – September 2014

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Titelbild: Armin Bappert

unter Verwendung eines Fotos von pixabay.com

Lektorat: Armin Bappert

 

Jack London

 

Der Rote

 

 

1

 

Da war er! Dieser jäh ertönende Klang, dessen Dauer Bassett mit Hilfe seiner Uhr bestimmte und der ihm wie die Trompeten eines Erzengels erschien. Stadtmauern, so sann er, könnten wohl angesichts eines solchen unermeßlichen und zwingenden Rufes einstürzen. Zum tausendsten Mal mühte er sich vergebens, die Lautqualität dieses mächtigen Dröhnens zu analysieren, welches das Land bis hin zu den Festungen der angrenzenden Stämme beherrschte. Die Bergschlucht — Ursprung des Schalles — hallte vom anschwellenden Tosen wider, bis es Erde, Himmel und Luft erfüllte. Mit der üppigen Phantasie eines kranken Mannes verglich er es mit dem gewaltigen Schrei eines Titanen aus der antiken Welt, der in Schmerzen und Zorn befangen war. Immer höher stieg es, so bedrohlich und gebieterisch in seiner Unermesslichkeit, dass es für Ohren jenseits der engen Grenzen des Sonnensystems gedacht zu sein schien. Auch schien es ein Klageschrei, ein Aufbegehren dagegen zu sein, dass da keine Ohren waren, diese Äußerung zu hören und zu verstehen.

Derart war die Phantasie des kranken Mannes. Immer noch bemühte er sich, den Ton zu analysieren. Volltönend wie ein Donner, weich wie eine goldene Glocke, fein und süß wie der Klang eines straff gespannten Silberfadens — nein; es war weder das eine noch das andere und auch keine Mischung von alldem. Er hatte in seinem Wortschatz keinen Ausdruck, nichts, was dem nahekam, keine Erfahrung, um diese Klangfülle zu beschreiben.

Die Zeit verging. Die Minuten verschmolzen zu Viertelstunden, Viertelstunden zu halben Stunden, und immer noch hielt der Ton an, ewig seinen anfänglichen Klangimpuls variierend, ohne je neue Impulse zu erhalten — schwächer werdend, verhallend und dann ebenso grandios ersterbend, wie er entstanden war. Er ging über in ein Gemisch aus gequältem Murmeln, Wispern und ungeheurem Geflüster. Langsam, Seufzer für Seufzer, kehrte er in irgendeinen gewaltigen Schoß zurück, aus dem er geboren wurde, bis er schließlich schreckliche Laute des Zorns flüsterte und gleichzeitig verführerische Laute des Entzückens, immer noch bemüht, gehört zu werden, um ein kosmisches Geheimnis zu übermitteln, einen Begriff von unerhörtem Wert. Er verkümmerte zu einem Abklang seiner selbst, der sowohl das Bedrohliche als auch die Verheißung verloren hatte. Noch mehrere Minuten, nachdem er ganz verklungen war, pulsierte er im Bewusstsein des kranken Mannes. Als Bassett nichts mehr vernehmen konnte, blickte er auf seine Uhr. Eine Stunde war vergangen, seit sich die Trompetenklänge des Erzengels in ein tonales Nichts verloren hatten.

War das jetzt also sein Verlies? — Bassett sinnierte, dachte an seinen Browning und starrte auf seine knochigen, vom Fieber ausgezehrten Hände. Er hatte ein Bild vor Augen, das ihn lächeln ließ — das Bild vom getreuen Paladin Boland, der versuchte, mit seinem Arm, so schwach wie der seine jetzt, ein Gifthorn an seinen Mund zu führen. Waren Monate oder Jahre vergangen, fragte er sich, seit er jenen geheimnisvollen Ruf an der Küste von Ringmanu zum ersten Mal vernommen hatte? Um sich zu schonen, wollte er es nicht errechnen. Die Krankheit währte schon zu lange. Wenn er die Zeit, die er bei Bewusstsein war, zusammenzählte, kam er auf Monate, viele Monate; aber es war ihm nicht möglich, die langen Zwischenräume, als er im Delirium und in stumpfsinniger Betäubung lag, abzuschätzen. Und wie ging es wohl Kapitän Bateman vom Sklavenschiff Nari, fragte er sich, ob der betrunkene Maat des Kapitäns schon am Delirium tremens gestorben war?

Von diesen fruchtlosen Spekulationen wandte sich Bassett dann träge seinen Betrachtungen über all jene Ereignisse zu, die sich seit dem Tag zugetragen hatten, da er das Tönen zum erstenmal an der Küste von Ringmanu vernommen hatte und auf der Suche nach dessen Ursprung in den Dschungel getaucht war. Sagawa hatte protestiert. Er sah ihn jetzt vor sich, sein sonderbar kleines, äffisches Gesicht, in dem deutlich Angst zu lesen war, seinen von den Sammelkästen gebeugten Rücken, in den Händen Bassetts Schmetterlingsnetz sowie das Gewehr des Naturforschers, wie er im Beche-de-mer-Englisch stammelte: „Junge hat große Angst in Busch. Viele schlechte Männer in Busch.“

Bassett lächelte traurig bei der Erinnerung. Der kleine Kerl von New Hanover hatte auch Angst, blieb ihm aber treu und folgte ihm auf der Suche nach dem wunderbaren Klang ohne Zögern in den Busch. Nein, es war kein vom Feuer ausgehöhlter Baumstamm, der durch die Tiefen des Dschungels Krieg verkündete, wie Bassett zuerst geschlussfolgert hatte. Auch seine nächste Schlussfolgerung hatte sich als Irrtum erwiesen, nämlich, dass die Quelle beziehungsweise Ursache nicht weiter als eine Stunde Fußmarsch entfernt sei und dass er bis zum Nachmittag ganz bequem zurück sein würde, um vom Walfischboot der Nari mitgenommen zu werden.

„Lärm von große Mann nicht gut, immer Teufel-Teufel44, urteilte Sagawa. Und Sagawa hatte recht behalten. War ihm nicht am selben Tag noch der Kopf abgehackt worden?