Der Ruf der Wildnis - Jack London - E-Book + Hörbuch

Der Ruf der Wildnis E-Book

Jack London

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Beschreibung

Ein unvergessliches Leseerlebnis Jack Londons 1903 erschienener Abenteuerroman, der die Zeit des Goldrauschs beschreibt, gilt als eines seiner besten Werke. Es ist die Geschichte von Buck, einer Mischung aus Bernhardiner und Schlittenhund, der menschlicher Brutalität und Gewalt ausgesetzt ist und erst durch den Goldgräber Jack Thornton Güte und Freundlichkeit kennenlernt: ein eindrucksvolles Plädoyer für Menschlichkeit und Nächstenliebe und ein spannendes Abenteuer, das bis zur letzten Seite fesselt.

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Seitenzahl: 189

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Buck, die Hauptfigur in Jack Londons berühmtem Roman, ist eine Mischung aus Bernhardiner und Schäferhund. Die ersten Lebensjahre verbringt er auf einer Farm in Kalifornien, doch als er gestohlen wird, beginnt für das Tier ein qualvolles Leben. Der brutalen, schonungslosen Behandlung durch seine Besitzer schutzlos ausgeliefert, muss Buck in der unwirtlichen Landschaft Alaskas um sein Leben kämpfen.

Jack London

Der Ruf der Wildnis

Roman

Neu übersetzt, mit einem Nachwort,Anmerkungen und einer Zeittafelvon Lutz-W. Wolff

Alte Sehnsucht aus NomadentagenAn der Gewohnheit Kette zerrt,Und aus dem Winterschlaf erwachtDer Drang zum wilden Leben.

1  Hinab ins Primitive

Buck las die Zeitungen nicht, sonst hätte er gewusst, dass sich etwas zusammenbraute an der Küste von San Diego bis Puget Sound, nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen Hunde mit starken Muskeln und langhaarigem, warmem Fell. Weil einige Männer beim Wühlen in arktischer Finsternis ein gelbes Metall entdeckt hatten und die Dampfschiff- und Verkehrsgesellschaften diesen Fund gewaltig aufblähten, strömten Tausende von Männern ins Nordland. Diese Männer brauchten Hunde, sie brauchten schwere Hunde mit starken Muskeln, die arbeiten konnten, und dichten Fellen, die sie vor dem Frost schützten.

Buck wohnte in einem großen Haus im sonnengeküssten Santa Clara Valley. Es wurde »Richter Miller’s Schloss« genannt, stand weit zurückgesetzt von der Straße und war halb von Bäumen verdeckt, durch die man flüchtige Blicke auf die breite, kühle Veranda werfen konnte, die es an allen vier Seiten umgab. Die Zufahrt zum Haus bildeten geschwungene Kieswege, die unter den verschlungenen Ästen von hohen Balsam-Pappeln über den weit hingestreckten Rasen führten. Hinter dem Haus war alles noch geräumiger als davor. Es gab große Stallungen, wo ein Dutzend Kutscher und Pferdeknechte regierten, eine ganze Reihe von rankenüberwucherten Dienstbotenhäusern, eine endlose, aber ordentlich gegliederte Ansammlung von Nebengebäuden, lange Laubengänge mit Weinreben, grüne Weiden, Obstgärten und Erdbeerbeete. Außerdem gab es noch eine Pumpenanlage für den Springbrunnen und ein großes Becken aus Zement, in dem die Jungs von Richter Miller ihr Morgenbad nahmen und sich am heißen Nachmittag abkühlten.

Und über dieses ganze große Reich herrschte Buck. Hier war er geboren und hier hatte er die gesamten vier Jahre seines bisherigen Lebens gelebt. Es gab noch andere Hunde, das stimmte. Auf so einem riesigen Anwesen mussten einfach noch andere Hunde sein, aber sie zählten nicht. Sie kamen und gingen, wohnten in den gut bevölkerten Hundezwingern oder lebten in der abgeschiedenen Dunkelheit des Hauses wie Toots, der japanische Mops, oder Ysabel, die mexikanische Nackthündin, kuriose Geschöpfe, die selten ihre Nase vor die Tür steckten oder festen Boden betraten. Andererseits gab es aber auch mindestens ein Dutzend Foxterrier, die Toots und Ysabel fürchterliche Versprechungen machten, wenn diese, beschützt von einer Legion von Dienstmädchen, die mit Besen und Scheuertüchern bewaffnet waren, aus den Fenstern auf sie herabschauten.

Aber Buck war weder ein Haus- noch ein Zwingerhund. Ihm gehörte das ganze Anwesen. Er planschte im Schwimmbecken oder ging mit den Söhnen des Richters zur Jagd; er begleitete Mollie und Alice, die Töchter des Richters, auf langen Spaziergängen in der Dämmerung oder am frühen Morgen; in Winternächten lag er zu Füßen des Richters vor dem prasselnden Feuer im Kamin der Bibliothek; er trug die Enkel des Richters auf seinem Rücken, balgte mit ihnen im Gras und bewachte ihre Schritte auf wilden, abenteuerlichen Wegen zum Brunnen hinter den Stallungen und sogar noch darüber hinaus, wo die Koppeln und die Erdbeerfelder begannen. Unter den Terriern ging er mit herrischen Schritten umher, und Toots und Ysabel ignorierte er völlig; denn er war der König – König über alles, was auf Richter Millers Anwesen kroch, krabbelte und flog, einschließlich der Menschen.

Sein Vater Elmo, ein gewaltiger Bernhardiner, war der unzertrennliche Gefährte des Richters gewesen, und Buck versprach, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er war nicht ganz so massiv, sondern wog nur hundertvierzig Pfund, denn seine Mutter Shep war eine Schottische Schäferhündin gewesen. Dennoch genügten diese hundertvierzig Pfund und die zusätzliche Würde, die ihm das gute Leben und die allgemeine Anerkennung verschafften, um eine wahrhaft königliche Lebensweise zu garantieren. In den vier Jahren seit seiner Welpenzeit hatte er das Leben eines satten Aristokraten geführt; er war stolz auf sich, sogar etwas selbstherrlich, so wie es Landedelleute wegen ihres isolierten Daseins nicht selten sind. Gerettet hatte er sich nur dadurch, dass er nicht zum verwöhnten Haushund geworden war. Die Jagd und andere Freiluftvergnügen hatten den Fettansatz niedrig gehalten und die Muskeln gehärtet; und die Liebe zum Wasser hatte wie bei den Freunden des Eistauchens auch bei ihm als Tonikum gewirkt und seine Gesundheit gefestigt.

So eine Art Hund war Buck im Herbst 1897, als der Goldrausch am Klondike Männer aus aller Welt in den gefrorenen Norden trieb. Aber Buck las keine Zeitungen, und er wusste auch nicht, dass Manuel, einer der Helfer des Gärtners, ein wenig wünschenswerter Bekannter war. Manuel hatte eine hartnäckige Obsession. Er liebte die chinesische Lotterie. Und bei seiner Spielsucht hatte er eine fatale Schwäche: Er glaubte an ein System. Und das machte seine Verdammnis unausweichlich. Wenn man ein System spielen will, braucht man Geld, aber der Lohn eines Gartenhelfers reicht kaum, um eine Frau und eine zahlreiche Nachkommenschaft zu ernähren.

Der Richter war bei einer Versammlung des Rosinen-Farmer-Verbandes und seine Söhne waren damit beschäftigt, einen Sportklub zu organisieren, an jenem denkwürdigen Abend, als Manuel seinen Verrat beging. Niemand sah ihn und Buck auf ihrem Weg durch den Obstgarten, einem Weg, den Buck nur für einen Spaziergang hielt. Und abgesehen von einem einsamen Mann sah niemand, wie sie am Haltepunkt College Park eintrafen. Dieser Mann sprach mit Manuel und dann klimperte Geld zwischen ihnen.

»Sie könnten die Ware ruhig verpackt übergeben«, sagte der Fremde mürrisch, und Manuel legte Buck zusätzlich zum Halsband noch einen dicken Strick um den Hals.

»Wenn Sie den drehen, können sie ihm tüchtig die Luft abschnüren«, sagte er, und der Fremde knurrte zufrieden.

Buck akzeptierte den Strick mit stiller Würde. Wohlgemerkt, es war eine ungewohnte Maßnahme, aber er hatte gelernt, den Menschen, die ihm bekannt waren, einen Vertrauensvorschuss zu geben. Er ging davon aus, dass sie eine höhere Vernunft besaßen als er. Aber als die beiden Enden des Stricks in die Hände des Fremden gelegt wurden, knurrte er drohend. Er hatte lediglich sein Missfallen äußern wollen, weil er in seinem Stolz davon ausging, dass es schon ein Befehl war, wenn er so etwas äußerte. Aber zu seiner Überraschung zog sich der Strick um seinen Hals zu und schnitt ihm die Luft ab. In jähem Zorn sprang er den Mann an, der ihm auf halbem Weg entgegenkam, ihn dicht an der Kehle packte und mit einer geschickten Drehung auf den Rücken warf. Dann zog der Strick sich gnadenlos zusammen, während Buck wütend dagegen ankämpfte, bis die Zunge ihm aus dem Hals hing und seine große Brust vergeblich keuchte. In seinem ganzen Leben war er noch nicht so übel behandelt worden und auch nicht so wütend gewesen. Aber seine Kraft versiegte, seine Augen wurden glasig, und er war nicht bei Bewusstsein, als der Zug angehalten wurde und die beiden Männer ihn in den Gepäckwagen warfen.

Als nächstes spürte er undeutlich, dass seine Zunge wehtat und dass er in irgendeinem Transportmittel dahinrumpelte. Der heisere Pfiff der Lokomotive vor einem Bahnübergang machte ihm klar, wo er sich befand. Er war zu oft mit dem Richter gereist, um nicht zu wissen, wie es sich anfühlte, wenn man in einem Gepäckwagen fuhr. Er öffnete die Augen, und sie füllten sich mit dem unbändigen Zorn eines Königs, den man entführt hatte. Der Mann versuchte, ihn an der Kehle zu packen, aber Buck war zu schnell für ihn. Seine Kiefer schlossen sich um die Hand und ließen erst los, als er zum zweiten Mal das Bewusstsein verlor.

»Ja, der hat Krämpfe«, sagte der Mann und versteckte seine zerbissene Hand vor dem Schaffner, der von dem Lärm angelockt worden war. »Ich bringe ihn für den Chef nach Frisco. Da gibt’s ’nen Spezialisten, der meint, er könne ihn wieder gesund machen.«

Erst als er in einem kleinen Schuppen hinter einer Hafenbar in San Francisco eintraf, wurde der Mann etwas redseliger hinsichtlich dieser nächtlichen Fahrt.

»Alles, was ich dafür kriege, sind fünfzig«, schimpfte er. »Dabei sollte ich mindestens tausend in bar kriegen.«

Seine Hand war in ein blutiges Taschentuch gewickelt und sein rechtes Hosenbein war vom Knie bis zum Saum aufgerissen.

»Wie viel hat denn der andere Typ gekriegt?«, fragte der Barbesitzer.

»Hundert«, war die Antwort. »Wollte keinen Cent runtergehen, bei Gott.«

»Das macht hundertfünfzig«, rechnete der Barbesitzer. »Und das ist er auch wert, sonst kannst du mich einen Klotzkopf nennen.«

Der Hundedieb wickelte das blutige Tuch ab und betrachtete seine zerfleischte Hand. »Ich krieg bestimmt Tollwut – «

»Ach was, du bist für den Galgen geboren«, lachte der Barbesitzer. »Komm, jetzt hilf mir mal, ehe du abzitterst.«

Halb erwürgt, benommen und mit unerträglichen Schmerzen in Zunge und Kehle versuchte Buck, sich gegen seine Peiniger zu wehren. Trotzdem wurde er niedergeworfen und mehrfach gewürgt, bis es den Männern gelang, das schwere Messinghalsband von seinem Genick abzufeilen. Dann wurde ihm der Strick abgenommen, und er wurde in eine käfigartige Kiste gesperrt.

Dort lag er für den Rest dieser schrecklichen Nacht und nährte seinen Zorn und seinen verletzten Stolz. Er verstand nicht, was das alles sollte. Was wollten diese fremden Männer von ihm? Warum hatten sie ihn in diesen engen Käfig gesperrt? Er wusste nicht, warum, aber ihn bedrückte eine unbestimmte Ahnung von kommendem Unheil. In der Nacht sprang er mehrfach auf, wenn die Tür des Schuppens sich klappernd öffnete. Er erwartete, dass der Richter kam oder wenigstens seine Söhne. Aber jedes Mal war es nur das aufgedunsene Gesicht des Barbesitzers, der ihn im fahlen Licht einer Talgkerze anstarrte. Und jedes Mal verwandelte sich das freudige Bellen, das in seiner Kehle zitterte, in ein wütendes Knurren.

Der Barbesitzer ließ ihn in Ruhe, aber am Morgen kamen vier Männer und hoben den Käfig auf. Noch mehr Quälgeister, entschied Buck, denn es waren übel aussehende Burschen, unrasiert und zerlumpt. Durch die Gitterstäbe knurrte er sie wütend an, aber sie lachten bloß und stocherten mit Stöcken nach ihm, die er mit seinen Zähnen empört attackierte, bis er merkte, dass sie genau das gewollt hatten. Woraufhin er sich mürrisch hinlegte und zuließ, dass die Kiste auf ein Fuhrwerk geladen wurde. Dann gingen er und die Kiste, in die er gesperrt war, durch viele Hände. Angestellte in der Expressgutabteilung nahmen sich seiner an; er wurde auf ein weiteres Fuhrwerk geladen; ein Karren brachte ihn mit einer ganzen Ladung von Paketen und Kisten zu einer Fähre; dann ging es zu einem Güterbahnhof und schließlich wurde er in einem Expresswaggon abgestellt.

Zwei Tage und Nächte lang wurde dieser Waggon hinter kreischenden Lokomotiven hergezogen; und in diesen zwei Tagen und Nächten gab es nichts zu fressen und zu trinken für Buck. In seiner Wut war er den ersten Annäherungsversuchen der Expressdienstboten mit Knurren begegnet, und sie hatten sich gerächt, indem sie ihn neckten. Wenn er sich zitternd und schäumend an die Gitterstäbe warf, lachten sie und verspotteten ihn. Sie knurrten und bellten wie hässliche Köter, miauten, flatterten mit den Armen und krähten. Er wusste, dass es alles ganz albern war, aber dafür umso beleidigender für seine Würde, und seine Wut wurde dadurch noch größer. Unter dem Hunger litt er nicht allzu sehr, aber der Mangel an Wasser machte ihm schwer zu schaffen und steigerte seine Raserei bis zur Weißglut. Er war sensibel und hochempfindlich, und die üble Behandlung hatte ein Fieber bei ihm ausgelöst, das durch die Entzündung seiner ausgedörrten und geschwollenen Kehle und Zunge genährt wurde.

Nur für eins war er dankbar: Der Strick, der den Männern einen unfairen Vorteil verschafft hatte, hing nicht mehr an seinem Hals. Und jetzt, wo er nicht mehr da war, würde er es ihnen zeigen. Die würden ihm keinen zweiten Strick um den Hals legen. Das hatte er schon beschlossen. Zwei Tage und zwei Nächte lang kriegte er nichts zu fressen und nichts zu trinken, und in diesen zwei qualvollen Tagen und Nächten sammelte er einen Vorrat an Wut, der nichts Gutes für den verhieß, der ihm als Erster in die Quere kam. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er hatte sich in einen rasenden Dämon verwandelt. Er hatte sich so verändert, dass sogar der Richter persönlich ihn wahrscheinlich nicht wiedererkannt hätte, und die Leute vom Expressdienst waren sehr erleichtert, als sie ihn in Seattle hastig ausluden.

Vier Männer trugen die Kiste vorsichtig aus dem Transportwagen in einen kleinen, von hohen Mauern umgebenen Hinterhof. Ein stämmiger Mann mit einem roten Pullover, der am Hals weit herunterhing, kam heraus und quittierte dem Kutscher im Frachtbuch. Das war sein nächster Peiniger, vermutete Buck und warf sich heftig gegen die Gitterstäbe. Der Mann lächelte grimmig und holte einen Knüppel und eine Axt.

»Sie werden ihn doch jetzt nicht da rauslassen?«, sagte der Kutscher.

»Aber sicher doch«, gab der Mann zurück und schob das Beil wie ein Stemmeisen unter die Latten der Kiste.

Die vier Männer, die die Kiste getragen hatten, zerstreuten sich umgehend. Sie zogen es vor, das Schauspiel vom sicheren Hochsitz der Mauern aus zu beobachten.

Buck stürzte sich auf das splitternde Holz, senkte seine Zähne hinein, stürmte dagegen und zerrte daran. Wo immer das Beil fiel, knurrte und grollte er von innen dagegen, selbst so rasend begierig hinauszukommen, wie sich der Mann im roten Pullover gelassen bemühte, ihn rauszuholen.

»So, du rotäugiger Teufel«, sagte er, als er eine Öffnung geschaffen hatte, die groß genug für Bucks Körper war. Gleichzeitig ließ er das Beil fallen und nahm den Knüppel in die rechte Hand.

Und Buck war wirklich ein rotäugiger Teufel, als er mit gesträubtem Fell, Schaum vor dem Maul und einem wahnsinnigen Glitzern in den blutunterlaufenen Augen zum Sprung ansetzte und sich mit seinen hundertvierzig wütenden Pfund, aufgeladen von der Leidenschaft zweier Tage und Nächte, direkt auf den Mann warf. Aber mitten in der Luft, als seine Kiefer sich gerade um den Kerl schließen wollten, bekam er einen Schlag, der seinen Körper stoppte und seine Zähne mit einem schmerzhaften Ruck zusammenschlagen ließ. Er überschlug sich und landete halb auf dem Rücken, halb auf der Seite. Er war in seinem ganzen Leben noch nicht mit einem Knüppel geschlagen worden und wusste nicht, wie ihm geschah. Mit einem Knurren, das ein halbes Bellen und ein halber Schrei war, kam er wieder auf die Füße und sprang erneut hoch. Und wieder kam der Schlag und warf ihn brutal auf den Boden. Diesmal wurde ihm klar, dass es der Knüppel gewesen war, aber seine Raserei war größer als alle Vorsicht. Ein Dutzend Mal griff er an, und jedes Mal stoppte der Knüppel den Angriff und warf ihn nieder.

Nach einem besonders brutalen Schlag kam er nur noch schwer auf die Füße, zu benommen für einen weiteren Angriff. Er humpelte mühsam herum, das Blut floss ihm aus der Nase, dem Maul und den Ohren, und sein schönes Fell war bedeckt von blutigem Schaum. Dann ging der Mann auf ihn zu und versetzte ihm in voller Absicht einen schrecklichen Schlag auf die Nase. Alles, was er bisher erlitten hatte, war gar nichts gegen diesen extremen Schmerz. Mit einem wilden, löwengleichen Gebrüll stürzte er sich erneut auf den Kerl. Aber der Mann nahm den Knüppel bloß mit der Linken und packte ihn eiskalt am Unterkiefer, den er nach unten und hinten wegdrehte. Buck vollführte einen anderthalbfachen Salto und krachte mit dem Kopf und der Brust auf den Boden.

Zum letzten Mal griff er an. Der Mann versetzte ihm den tückischen Schlag, den er absichtlich bis zuletzt aufgespart hatte, und Buck sank bewusstlos zu Boden.

»Ich sag’s ja! Der weiß, wie man Hunde behandelt!«, rief einer der Männer auf der Mauer begeistert.

»Ich würde lieber jeden Tag einen Mustang zähmen und sonntags auch zwei«, sagte der Kutscher, als er auf den Wagen kletterte und die Pferde antrieb.

Bucks Bewusstsein kehrte zurück, aber nicht seine Kraft. Er lag, wo er gefallen war, und von dort aus beobachtete er den Mann im roten Pullover.

»Hört auf den Namen Buck«, sagte der Mann zu sich selbst und zitierte dabei aus dem Brief des Kneipenbesitzers, der die Kiste und ihren Inhalt begleitet hatte. »Na, Buck, alter Junge«, fuhr er dann etwas freundlicher fort. »Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung, und das Beste ist wahrscheinlich, wenn wir es dabei belassen. Du weißt jetzt, wo du hingehörst; und wer ich bin, weiß ich ja sowieso. Wenn du ein braver Hund bist, geht alles gut und die Stimmung ist prima. Aber wenn du ein böser Hund bist, schlag ich dir die Füllung raus. Ist das klar?«

Während er das sagte, tätschelte er furchtlos den Schädel, den er so unbarmherzig geschunden hatte, und obwohl sich Buck unwillkürlich die Haare sträubten, ertrug er die Berührung ohne Protest. Als ihm der Mann Wasser brachte, trank er begierig und verschlang später noch, Brocken für Brocken, eine große Mahlzeit von rohem Fleisch aus den Händen des Mannes.

Er war geschlagen (das wusste er); aber er war nicht gebrochen. Er begriff ein für alle Mal, dass er gegen einen Mann mit einem Knüppel keine Chance hatte. Er hatte diese Lektion gelernt und vergaß sie in seinem ganzen Leben nicht mehr. Der Knüppel war eine Offenbarung gewesen. Es war seine Einführung in die Herrschaft des Faustrechts, und er kam ihr auf halbem Wege entgegen. Die harte Wirklichkeit des Lebens nahm Gestalt an; er ließ sich davon nicht einschüchtern, aber er fasste sie mit aller Berechnung ins Auge, die jetzt in ihm erwachte. Die Tage vergingen, und andere Hunde wurden gebracht, mal in Kisten und mal am Ende eines Stricks, manche fügsam, andere tobend und brüllend wie er; und bei allen sah er, wie sie ausnahmslos unter die Herrschaft des Mannes im roten Pullover gerieten. Jedes Mal, wenn er dem brutalen Schauspiel beiwohnte, wurde ihm die Lektion eingebläut: Ein Mann mit einem Knüppel war das Gesetz, ein Herr, dem man gehorchen musste, wenn auch nicht unbedingt gern. Solcher Unterwürfigkeit machte Buck sich nie schuldig, obwohl er genug geprügelte Hunde sah, die sich bei dem Mann einschmeicheln wollten, mit dem Schwanz wedelten und seine Hand leckten. Buck sah aber auch einen Hund, der sich weder aussöhnen noch gehorchen wollte und schließlich beim Kampf um die Herrschaft getötet wurde.

Ab und zu kamen Fremde, die aufgeregt auf den Mann im roten Pullover einredeten, ja auf gewisse Weise geradezu bettelten. Und wenn dann Geld den Besitzer wechselte, nahmen die Fremden einen oder mehrere Hunde mit. Buck fragte sich, wohin sie verschwanden, denn sie kehrten niemals zurück; aber er hatte genug Angst vor der Zukunft, um jedes Mal froh darüber zu sein, wenn er nicht ausgewählt wurde.

Aber auch seine Zeit sollte kommen, in Gestalt eines kleinen, wettergegerbten Mannes, der gebrochenes Englisch sprach und viele grobe, fremdartige Sprüche herumspuckte, die Buck nicht verstand.

»Sacredame!«, rief er, als sein Blick auf Buck fiel. »Das ist ja eine verdammte Bullydogge! Na? Wie viel?«

»Dreihundert«, sagte der Mann im roten Pullover. »So gut wie geschenkt. Außerdem ist es Regierungsgeld. Da kriegst du bestimmt keinen Ärger, Perrault.«

Perrault grinste. Wenn man in Betracht zog, dass die Preise für Hunde wegen der überraschenden Nachfrage durch die Decke gegangen waren, war die verlangte Summe für so ein schönes Tier gar nicht ungerechtfertigt. Die kanadische Regierung würde dabei nichts verlieren, und ihre Depeschen würden nicht langsamer reisen. Perrault kannte sich mit Hunden aus, und als er Buck sah, wusste er, dass man so einen nur einmal unter tausend findet – »einmal unter zehntausend«, dachte er bei sich.

Buck sah, wie Geld den Besitzer wechselte, und war nicht überrascht, als er und Curly, eine gutmütige Neufundlandhündin, von dem kleinen verwitterten Mann weggeführt wurden. Den Mann im roten Pullover hatte er zum letzten Mal gesehen, und als er und Curly vom Deck der »Narwhal« auf Seattle zurückblickten, war das auch sein letzter Blick auf das warme Südland. Curly und er wurden von Perrault unter Deck gebracht und einem schwarzgesichtigen Riesen namens François übergeben. Perrault war Franko-Kanadier und hatte eine bräunliche Haut, aber François war ein Halbblut und seine Haut war doppelt so dunkel. Für Buck waren sie eine ganz andere Sorte Menschen (von der er noch sehr viele sehen sollte), und obwohl er keine besondere Zuneigung für sie entwickelte, lernte er doch, sie ehrlich zu respektieren. Er begriff schnell, dass Perrault und François redliche, ruhige, unparteiische Männer waren, die Gerechtigkeit übten und sich viel zu gut mit Hunden auskannten, um sich von ihnen täuschen zu lassen.

Im Zwischendeck der »Narwhal« stießen Buck und Curly auf zwei andere Hunde. Einer von ihnen war ein großer, schneeweißer Bursche, der vom Kapitän eines Walfängers aus Spitzbergen geholt worden war und später eine geologische Erkundungsfahrt in die Barrens begleitet hatte. Er war von trügerischer Freundlichkeit und lächelte einem ins Gesicht, während er über einen hinterhältigen Trick nachdachte. Gleich bei der ersten Mahlzeit stahl er Bucks Futter. Aber als Buck auf ihn losgehen wollte, um ihn zu bestrafen, hörte man die Peitsche singen. François war schneller gewesen und hatte den Übeltäter zuerst erwischt, Buck brauchte nichts weiter zu tun, als sich seinen Knochen zurückzuholen. Das war sehr fair von dem Mann gewesen, entschied Buck, und das Halbblut stieg erheblich in seinem Ansehen.

Der andere Hund machte keinerlei Annäherungsversuche und erhielt auch keine; er versuchte aber auch nicht, den Neuankömmlingen etwas zu stehlen. Er war ein trübsinniger, mürrischer Bursche und zeigte Curly deutlich, dass er sich vor allem wünschte, in Ruhe gelassen zu werden, und dass es Ärger geben würde, wenn man ihn nicht in Ruhe ließ. »Dave« war sein Name, er fraß und schlief und zwischendrin gähnte er. Ansonsten interessierte er sich für gar nichts, auch nicht, als die »Narwhal« den Queen Charlotte Sund überquerte und wie eine Besessene stampfte, rollte und bockte. Als Buck und Curly nervös und vor Angst wild wurden, hob er bloß irritiert den Kopf, bedachte sie mit einem gelangweilten Blick, gähnte und schlief wieder ein.

Tag und Nacht vibrierte das Schiff im unermüdlichen Rhythmus der Schraube, und obwohl jeder Tag wie der andere war, spürte Buck, dass es ständig kälter wurde. Eines Morgens stand die Schraube dann schließlich still, und die »Narwhal« wurde von einer erwartungsvollen Stimmung erfasst. Buck spürte es ebenso wie die anderen Hunde, und er wusste, dass Veränderungen bevorstanden. François nahm sie an die Leine und brachte sie an Deck. Schon beim ersten Schritt auf dem kalten Boden sanken Bucks Füße in eine weiße, matschige Masse, die ähnlich wie Schlamm war. Er sprang mit einem Schnauben zurück. Und aus der Luft kam noch mehr von dem weißen Zeug! Er schüttelte sich, aber es fiel einfach auf ihn drauf. Er schnupperte neugierig und nahm ein bisschen davon auf die Zunge. Es biss wie Feuer und war im nächsten Augenblick weg. Das verblüffte ihn. Er versuchte es noch einmal, mit demselben Ergebnis. Die Zuschauer lachten brüllend und er schämte sich, wusste aber nicht warum, denn es war sein erster Schnee.