Der Sandmann. Studienausgabe - E.T.A. Hoffmann - E-Book

Der Sandmann. Studienausgabe E-Book

E.T.A. Hoffmann

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Alles wird mysteriöser, unerklärlicher, erschreckender: E. T. A. Hoffmann hat den Text des "Sandmanns" zwischen Handschrift und Druck ganz entscheidend verändert. Das lässt sich in dieser neuen Studienausgabe präzise nachvollziehen, denn sie bietet zum ersten Mal eine synoptische Anordnung des Textes: Die in der Druckausgabe auf linker und rechter Buchseite parallelisierten Textfassungen werden im E-Book durch Verlinkung der Anfänge paralleler Textpassagen zur Druckfassung bzw. zur Handschrift wiedergegeben. Diese Anlage ermöglicht einen aufschlussreichen Einblick in die Werkstatt des Autors. Ein Zeilenkommentar und ein Nachwort unterstreichen die Sonderstellung dieses Klassikers.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 218

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



E. T. A. Hoffmann

Der Sandmann

Studienausgabe Parallelausgabe der Handschrift und des Erstdrucks (1817)

Herausgegeben von Ulrich Hohoff

Reclam

Die in der Druckausgabe auf linker und rechter Buchseite parallelisierten Textfassungen werden im vorliegenden E-Book durch Verlinkung der Anfänge paralleler Textpassagen durch [↕ D] (zur Druckfassung) bzw. [↕ H] (zur Handschrift) wiedergegeben.

 

 

2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Friedrich Forssman, Cornelia Feyll

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961354-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019509-3

www.reclam.de

Inhalt

Der Sandmann  · HandschriftDer Sandmann  · Druckfassung (1817)Zu dieser AusgabeAnmerkungenLiteraturhinweiseNachwort

[H 1]

 

[↕ D]Nachtstücke.

 

Herausgegeben

 

 

vom Verfaßer der Fantasiestücke in Callotts Manir

 

Der Sandmann

 

d. 16. Novbr. 1815 Nachts 1 Uhr

[↕ D][Das zweite Blatt mit der Vorderseite H 3 und der Rückseite H 4 fehlt.]

[↕ D][H 5] Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindischen Gemüthe entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß die Mutter den Sandmann nur verlaügne, damit wir uns [später ergänzt: vor ihm] nicht fürchten sollten; ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll Neugierde über diesen Sandmann und seine Beziehung auf uns Kinder zu erfahren frug ich endlich die alte Frau, die meine jüngste Schwester wartete, was denn das für ein Mann sey, der Sandmann. [↕ D]»Ey Thanelchen, erwiederte diese, [am Rand ergänzt: weißt du das noch / nicht?] das ist ein böser Mann, der komt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett’ gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie zum Kopfe blutig heraus springen, [die folgenden drei Worte am Rand ergänzt: die nimt er; daneben:und denn wirft er die Augen] sie in den Sack und trägt sie in den Halbmond, da sitzen seine Kinder zur Atzung für seine Kinderchen die sitzen dort im Nest, und haben krumme Schnäbel wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf. – [↕ D]Gräßlich mahlte sich nun mir im Innern das Bild des grausamen MondSandmanns aus; so wie ich es Abends auf der Treppe hinaufpoltern hörte zitterte ich vor Angst und Entsetzen. Nichts, als den unter Thränen hergestotterten Ruf: der Sandmann, der Sandmann konte die Mutter aus mir herausbringen, ich lief vorauf in das Schlafzimmer, und wälzte mich oft noch lange von der fürchterlichen Erscheinung des Sandmanns gequält schlaflos auf dem Lager umher. – Schon alt genug war ich worden um einzusehen, dass das mit dem Sandmann und seinem Kinder Nest im Halbmonde so wie es die KindeWartefrau mir erzählt hatte wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben könne; indeßen blieb der Sandmann mir ein fürchterliches Gespenst, und Grauen und Entsetzen erfüllten mich ganz und gar, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen sondern auch später meines Vaters Stubenthüre aufmachen und hinein treten hörte. [↕ D]Manchmahl blieb er lange fort, dann kam er öfter hintereinander, Jahre lang dauerte das, und nicht gewöhnen konte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen Sandmanns. – Sein Umgang mit dem Vater fing an / mehr und mehr meine Fantasie zu beschäfftigen, den Vater darum zu befragen hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück, aber selbst – selbst das Geheimniß zu erforschen – den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu [unter der Zeile steht als Merkwort für die nächste Seite: keimte] [H 6] keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. – [↕ D]Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abentheuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemüth sich einnistet. Nichts war mir lieber / als schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, Däumlingen pp aber oben an stand immer der Sandman, den ich in den seltsamsten abscheuligsten Gestalten überall auf Tische und Wände mit Kreide – Kohlen hinzeichnete. – Im zehnten Jahre wies mich die Mutter aus der Kinderstube in ein Kämmerchen, das auf dem Corridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. – [↕ D]Noch [später ergänzt: immer] mußten wir uns, wenn jener Unbekante auf den Schlag Neun Uhr sich [später ergänzt: auf der Treppe] hören ließ schnell entfernen. – In meinem Kämmerchen hörte ich, wie er bey dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir denn, als verbreite sich im Hause ein feiner / seltsam riechender Dampf – Immer höher wuchs mit der Neugierde, der Muth / auf irgend eine Weise des Sandmanns Bekantschaft zu machen. [↕ D]Ich öf schlich mich schlich mich oft schnell aus dem Kämmerchen auf den Corridor, wenn Mutter vorbeigegangen, aber nichts konte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann schon zur Türe hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir sichtbar werden konte. Endlich beschloß ich / von unwiderstehlicher Gewalt unwiderstehlichem Drange getrieben mich im Zimmer des Vaters [später ergänzt: selbst] zu verbergen und [später ergänzt: dort] den Sandmann zu erwarten. [↕ D]An des Vaters ech Stillschweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines Abends, daß der Sandmann kommen werde, ich schüzte daher große Müdigkeit vor, und ging schon vor Neun Uhr aus dem Zimmer, verbarg mich indeßen dicht neben der Thüre in einen Schlupfwinkel. Die Hausthüre knarrte, es fing an auf / im Fl durch den Flur ging es schweren langsamen schweren dröhnenden Schrittes nach der Treppe, die Mütter [richtig: Mutter] eilte mit meinem Geschwister mir vorüber. Leise – leise öffnete ich des Vaters Stube – der Vater saß wie gewöhnlich stumm und starr mit dem Rücken nach der Thüre hin, er bemerkte mich nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardiene, die nebe [später ergänzt: einem] gleich neben der Thüre über stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider hingen vorgezogen war. [↕ D]Näher und näher dröhnten die Tritte – es hustete und schnarrte und brummte draußen – das Herz bebte mir vor Angst und Erwartung – Heftig wurde die Thüre aufgerißen, mich mit Gewalt er- [H 7] mannend kukte ich behutsam hervor, der Sandmann stand mitten in der Stube vor meinem Vater – es war der mir wohlbek der helle Schein der Lichter fiel brannte ihm ins Gesicht – der Sandmann – der fürchterliche Sandmann war der alte AdvokatCoppelius [hier und im Folgenden größer und in lateinischer Schrift: Coppelius, Coppola; am Rand ergänzt: (Eigenschaft als Advokat] der manchmahl bey uns Mittag zu eßen pflegte! – [↕ D]Aber die gräßlichste Gestalt hätte in mir nicht das tiefe tieferes Entsetzen erregen können, als eben dieser Coppelius. – Denke dir einen großen breitschultrigen Mann mit einem unförmlich großen Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigten graun Augenbraunen, unter denen ein paar schwarze kleine Augen Katzenar grünliche KatzenAugen hervorfunkeln, großen großer dicker übr die Oberlippe hervorgezogener Nase – der Mund verz das schiefe Maul verzieht sich oft zum hämischen Lächeln, dann werden auf den [den versehentlich gestrichen] Backen ein paar dunkelrothe Flecke sichtbar und es zischt ein seltsam zischender Ton führt durch die zusammengekniffenen Zähne. [↕ D]Coppelius erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen Rock gr aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Strümpfe und Schue mit kleinen Steinschnallen. Die kleine Perücke bedekte [bedekte versehentlich nicht gestrichen] kaum den Ko reichte kaum über den Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen, hoch über den großen roten Ohren hinweg, und ein großer breiter verschoßener Harbeutel starrte von dem Nacken weg / so daß man die Steinschnalle silberne Schnalle sah, die die gefaltelte [richtig: gefältelte] Halsbinde schloß. [Am Rand ergänzt und im Ganzen gestrichen: Zur Winterszeit pflegte er ganz weiß zu gehen – selbst Hut, Rock / und Uhrband waren von weißer Farbe – Ich glaube, er hätte weiße Schue tragen / mögen wär’ das nur irgend Sitte gewesen – Noch entsetzlicher starrte dann war / dann sein haßlich’ Gesicht anzuschauen. – Uns Kindern war er dann wie ein scheußlicher / Schneemann, dem man das Gesicht mit Ziegel gefärbt und Kohlen statt der / Augen eingesezt.] Die ganze Figur war [später ergänzt: überhaupt] widrig und abscheulig, aber vor allem waren uns Kindern die [die versehentlich nicht gestrichen] großen knotig Coppelius große knotige haarigte Faüste zuwider, so daß wir, was er damit berührt, nicht mehr anfaßen mochten. [↕ D]Das hatte er bemerkt, und nun war es seine Freude irgend ein Stückchen Kuchen, oder eine süße Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt unter diesem, jenem Vorwande zu berühren, daß wir, helle Thränen in den Augen, die Näscherey, womit uns die der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr genießen mochten vor Ekel und Abscheu. Eben so machte er es, wenn uns an Feyertagen der Vater ein klein Gläschen süßen Wein eingeschenkt hatte, [↕ D]dann fuhr er schnell mit der Faust herüber oder kostete wohl gar davon das Glas an die blauen Lippen bringen [richtig: bringend], und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Aerger nur leise schluchzend aüßern durften – Er pflegte uns nur immer, die kleinen Bestien zu nennen, wir durften, war er da, keinen Laut von uns geben, und verwünschten den häßlichen Mann feindlichen Mann, der uns recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. – [↕ D]Die gute liebe Mutter schien unsern[H 8] eben so wie wir den widerwartigen [richtig: widerwärtigen] Coppelius zu haßen, denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unb fangenes [richtig: unbefangenes] Wesen hin. Der Vater betrug sich gegen ihn, als sei es ein höheres Wesen, deßen Unarten man dulden, müße und das man auf jede Weise bey guter Laune erhalten müße. Er durfte nur leise andeuten und LieblingsGerichte wurden gekocht und seltene Weine credenzt. [↕ D]Als ich nun diesen Coppelius sah, da war es mir ging es grausig und entsetzlich in meiner Seele auf, daß [später ergänzt: ja] niemand anders als er der Sandmann seyn könne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem Ammenmährchen, der dem Eulen Nest im Halbmonde KinderAugen zur Atzung holt, nein – ein häßlicher gespenstischer Unhold / der überall wo er einschreitet Jammer und Noth bringt! und zeitliches – ewiges Verderben bringt – [↕ D]Ich war wie festgezaubert, auf die Gefahr entdeckt / und wie ich deutlich dachte hart gestraft zu werden blieb ich stehen den Kopf durch die Gardiene lauschend hervorgestreckt – Mein Vater empfing ihn feyerlich – Zum Werk zum Werk, rief Coppelius mit heiserer schnarrender Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen Schlafrock aus, und beide kleideten sich in schwarze Kittel, wo sie die hernahmen hatte ich übersehen. Nun öffnete Der Vater [später ergänzt: öffnete] die Flügelthüren eines Wandschranks, aber nun wurde ich wohl gewahr ich sah, daß das, was ich so lange dafür gehalten / keinesweges ein Wandschrank, sondern vielmehr der Eingangeine schwarze Hölung war in der ein kleiner Heerd stand. [↕ D]Coppelius trat hinzu, und ein blaue Flamme loderte hoch auf dem Heerde auf – Allerley seltsame Geräthschaften erblickte ich nun – Ach Gott! – wie sich nun mein alter Vater zum Feuer bückte, da sah er ganz anders aus – ein gräßlicher Schmerz schien seine sanften ehrlichen Züge zum häßlichen widerwärtigen Teufelsbilde verzogen zu haben – Er rührte schwang Coppelius schwang die glühende Zange und fuhr hin und her damit in dem dicken Qualm – mein Vater ächzte laut – mir war es als würden Menschen Gesichter rings umher sichtbar aber ohne Augen – scheußliche AugenHöhlen tiefe [oder: triste] schwarze Höhlen statt ihrer, und Coppelius schrie mit dumpferentsetzlicher [später am Rand verbessert: dröhnender] Stimme: Augen her, Augenher! Da vergingen mir die Sinne – [↕ D]Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gepackt, und stürzte heraus auf den Boden [H 9] Da ergriff mich Coppelius – kleine Bestie – kleine Bestie meckerte er zähn fletschend und riß mich herauf und legte mich warf mich auf den Heerd, daß die Flamme mein Haar zu sengen begann. »Nun haben wir Augen – Augen – ein schön Paar Kinder Augen – So flüsterte Coppelius und zog ein griff mit den Faüsten in die Flamme und griff glutrothe Körner heraus und wollt es mir [fehlt: in] die Augen streuen, [↕ D]da hob mein Vater flehend die Hände empor und rief: Meister – Meister! laß meinem Nathanael die Augen – laß sie ihm! – Coppelius lachte gellend auf und rief: Mag der Junge denn Augen haben und sein Pensumflennen und was weiß ich sonst, aber nun wollen wir doch den Mechanismus der Hände und Füße recht observiren [am Rand ergänzt: (Unbekante Sprache)] – Und damit faßte er mich gewaltig, und schrob mir die Arme ab und die Füße, und sezte sie bald hier – bald dort wieder ein – [↕ D]’S steht doch überall nicht fein – ’S gut so wie es war – der Alte hat’s verstanden – So zischte und lispelte Coppelius / aber Alles wurde schwarz und finster – ein jäher Krampf durchzukte Nerv und Gebein – ich fühlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt über mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem TodesSchlaf, die Mutter hatte sich über mich hingebeugt: Nathanael – mein Nathanael – so schluchzte sie – »Ist der Sandmann noch da? – stammelte ich. Nein, mein liebes Kind! der ist lange f lange fort – der thut dir kein Schaden! – So sprach die Muter, und küßte und herzte mich, den wieder gewonnenen Liebling! – [↕ D]Was soll ich Dich ermüden, mein herzlieb Lothar! – was soll ich so weitläuftig einzelnes hererzählen, da noch so vieles zu sagen mir übrig ist – Ich war bey Genug sey es – ich war bey der Lauscherey entdeckt und von Coppelius gemißhandelt worden, Angst und Schreck hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich drey Wochen krank lag – Ist der Sandm noch da? – das war mein erstes gesundes Wort und das Zeichen mein Genesung – meiner Rettung. [↕ D]Coppelius ließ sich nicht mehr sehen – bis – Doch ich greife nur ein Hauptmoment mn. Jugendjahre heraus / denn nur dies diesen darfst du wißen, daß es nicht / meiner Augen Blödigkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern / daß ein dunkles Verhängniß wirklich einen trüben Wolkenschleyer über mein Leben / gehängt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreiße. – Wie gesagt, Coppelius. [am Blattrand daneben ergänzt: es hieß er habe die / Stadt] [H 10] [nach der gestrichenen Passage nimmt Hoffmann den letzten Satz der vorhergehenden Seite wieder auf:] ließ sich nicht mehr sehen – mein Vater schien unbefangen und heiter, nicht mit einer Sylbe wurde des Vorfalls g meiner Neugierd, die ich so schwer büßen mußte erwähnt. – Ich war vierzehn Jahr alt worden, mein [über dem gestrichenen Wort klein später ergänzt: jüngste] Schwester, der Muter treus Ebenbild, anmuthig, sanft und gut wie sie, sechs Jahr alt worden, ich liebte sie sehr, und so geschah es, daß ich oft mit ihr spielte. So saß ich einst mit ihr in unserer ziemlich einsamen Straße vor der Hausthür, und ließ ihre Puppen mit einander sprechen, so daß sie in kindischer Lust lachte und jauchzte / Da stand mit ein Mahl der verhaßte Coppelius vor uns – Was wollen Sie hier? – Sie haben hier nichts zu suchen – Gehen Sie – gleich gehen sie – So fuhr ich den Menschen an, und stellte mich wie kampflustig vor ihn hin – Hoho hoho klein Bestie – lachte er hämisch, aber er schien nicht ohne Scheu vor meiner kleinen Person. Doch schnell, ehe ich mir’s versah, ergriff er m[eine] klein Schwester – und fuhr ihr mit den Fäusten nach dem Gesicht – Da schlug ich ihn mit geballter Faust nach dem Gesicht – er hatte sich gebückt – ich traf ihn schmerzlich – mit wüthendem Blick fuhr er auf mich loß – ich schrie Hülfe, Hülfe, des Nachbars Brauers Knecht, sprang vor die Thür, Hey Hey – hey – der tolle Advokat – der tolle Coppelius – macht euch über ihn her / macht euch über ihn her – so rief es und stürmte von allen Seiten auf ihn ein – er floh gehezt über die Straße – Aber nicht lange dauerte es, so fingen meinem Schwesterlein die Augen an zu schweren zu schmerzen – Geschwüre, unheilbar sezten sich dran – in drey Wochen war sie blind – drey Wochen darauf vom Nervenschlag getroffen todt – »Die hat der teuflische Sandmann ermordet – so schrie Vater – Vater gieb ihn bey der Obrigkeit an, den verruchten Morder [richtig: Mörder]! – so schrie ich unaufhörlich. Der Vater schalt mich heftig und bewies mir, daß ich was unsiniges behaupte, aber in dem Jammerblicke der trostlosen Mutter las ich nur zu deutlich, daß sie [sie versehentlich nicht gestrichen] dieselbe Ahnung in ihr wohne [später zusätzlich am Rand ergänzt: ihr trage]. – Es hieß, Coppelius habe die Stadt verlaßen. – [↕ D]Ein Jahr mochte vergangen seyn, als wir der alten unveränderten Sitte gemäß Abends an dem runden Tische saßen, der Vater war den Abend sehr heiter und erzählte viel ergötzliches von der Reise nach Neapel, die er in sein Jugend gemacht. [später ohne Zuweisung am Rand ergänzt: Es muß n so seyn] Da hörten wir plötzlich die Hausthüre in den Angeln knarren, und langsame, eisenschwere – Tritte dröhnten durch den Hausflur die Treppe herauf! – Das ist Coppelius, sagte mein Mutter erblaßend. Ja! – es ist Coppelis wiederholte der Vater mit matter gebrochn Stimme. [H 11] Die Thränen stürzten der Mutter aus den Augen: aber Vater Vater! rief sie: Es muß nun so seyn, erwiederte dieser: zum lezten mahle komt er zu mir, ich verspreche es Dir; geh nur, geh’ mit den Kindern, geht zu Bette! – Gute Nacht. [↕ D]Es war mir, als sey ich in kalten schweren kalten Stein eingepreßt – mein Athem stockte, die Mutter ergriff mich beym Arm, als ich unbeweglich stehen blieb: Komm Nathanael komm nur. Ich ließ mich fortführen, ich trat in meine Kammer! – Sey ruhig – sey ruhig, lege dich ins Bette, schlafe, schlafe, rief mir die Mutter nach, aber voll von innerer Angst und Unruhe gequält konte ich kein Auge zuthun. Der verhaßte abscheulige Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich hämisch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht seyn, als ein entsetzlicher Knall Schlag geschah; als würde ein daß das ganze Haus zitterte und dröhnte, es raßelte und rauschte bey meiner Thüre vorüber – [↕ D]»Das ist Coppelius! rief ich entsezt / als die Hausthüre heftig zugeschlagenworfen wurde; ich sprang aus dem Bette, da kreischte es auf in entse schneidendem trostlosen Jammer – fort stürzte ich nach des Vaters Zimmer – die Thür war offen ein erstickender Dampf quoll heraus – das Dienstmädchen schrie: Ach der Herr – der Herr – Auf dem Boden vor dem Vor dem dampfenden Heerde auf dem Boden lag mein Vater todt mit schwarz verbranntem gräßlich verzerrten Gesichte – um ihn herum heulten [später ergänzt: u: winselten] die Schwestern, die Mutter ohnmächtig neben [daneben:ihnen;später ergänzt zu: daneben]. »Coppelius – verruchter Satan – du hast die Schwester – den Vater ermordet! – So schrie ich auf – mir vergingen die Sinne! – Als man zwey Tage darauf mein Vater in den Sarg legte, waren seine Züge wieder mild und sanft worden wie sie im Leben waren, und tröstend ging es in meiner Seele auf, daß sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn nicht ins Verderben gestürzt haben könne. – [langer Gedankenstrich]

Nein, mein herzlieber Freund[↕ D]Die Explosion hatte die Nachbaren geweckt – die Geschichte wurde ruchbar und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung vorfordern wollte. [↕ D]Der war aber spurlos vom Orte verschwunden. – Wenn ich dir nun sage, mein herzlieber Freund, daß jener Wetterglashändler eben der verruchte Coppelius war, so wirst du mir es nicht verargen, wenn ich die feindliche Erscheinung nur [später ergänzt: als] unheilbringend schweres Unheil bringend deuten kan. – Er war anders gekleidet, aber Coppelius Figur und Gesicht sind zu tief in mein Innerstes eingeprägt als daß hier ein Irrthum möglich seyn sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmahl seinen Nahmen geändert. Er giebt sich hier, wie ich höre, für einen piemontesischen Mechanikus aus und [H 12] nennt sich [Vor- und Nachname deutlich größer und in lateinischer Schrift:] Giuseppe Coppola. [↕ D]Ich bin entschloßen es mit ihm aufzunehmen; mag es denn nun gehen wie es will:

[↕ D]Der Mutter erzähle nichts von dem Erscheinen des grausigten Unholds – Grüße meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr bey in ruhigerer Gemüthsstimmung recht viel. Lebe wohl etc etc

[↕ D]Clara an Nathanael.

Wahr ist es, daß du recht lange mir nicht geschrieben hast, aber gewiß dennoch ich glaube es dir ich, daß du mich in Sinn und Gedanken trägst; denn sonst hättest du denn meiner gedachtest du wohl [später ergänzt: mit] recht lebhaft, als du deinen lezten Bruder [versehentlich anstelle von: Brief; später ergänzt: an] Lothar absenden wolltest, und die Aufschrift [später ergänzt: statt an ihn] an mich richtetest. Freudig erbrach ich den Brief, und wurde den Irrthum erst bey den Worten inne: Ach mein herzlieber Lothar! – Nun hätte ich nicht weiter lesen, sondern den Brief dem Bruder geben sollen – [↕ D]aber, hast du mir [später ergänzt: auch sonst] wohl manchmahl in kindischer Neckerey vorgeworfen, ich hätte solch ruhiges weiblich besonnenes Gemüth, daß ich wie jene Frau, drohe das Haus einzustürzen den Einsturz, noch vor schneller Flucht ganz geschwinde ein Fältchen in der Fenster Gardiene glattstreichen würde, so darf ich dich ich doch [später ergänzt: wohl] kaum versichern, daß deines Briefes Anfang mein Inneres so aufregte, daß ich mich gar nicht entsinne mich tief erschütterte. – Ich konte kaum athmen – es flimmerte mir vor den Augen – [↕ D]Ach mein lieber – herzlieber Nathanael was konte so entsetzlich in dein Leben getreten seyn – Trennung von dir – Niemahls dich wiedersehen – der Gedanke durchfuhr meine Brust wie ein glühender Dolchstich – Ich las und las – deine Schilderung des widerwärtigen Coppelius ist gräßlich – Erst jetzt erfuhr ich, wie dein guter alter Vater solch’ entsetzlichen gewaltsamen Todes starb – Lothar Bruder Lothar / dem ich sein Eigenthum zustellte, suchte mich zu beruhigen, aber es wollt ihm schlecht gelingen, der fatale Wetterglashändler Giuseppe Coppola verfolgte mich auf Schritt und Tritt, und beinahe schäme ich mich es zu gestehen / daß er selbst meinen sonst so gesunden ruhigen Schlaf durch in allerley wunderlichen Traumgebilden verstörte verstören konte. – Doch bald, schon den andern Tag / hatte sich alles anders [später ergänzt: in mir] gestaltet, und sey mir nicht böse, mein Inniggeliebter, wenn Lothar dir sagen möchte, daß ich, trotz deiner wunderlichen [H 13] Angst und Furcht, daß Coppelius dir was böses anthun werde, ganz heitern unbefangenen Sinns bin wie immer. – [↕ D]Gerade heraus will ich es dir nur sagen, daß Alles Schreckliche und Entsetzliche wovon du sprichst nur in deinem Innern vorging, die Außenwelt aber daran wohl wenig Theil hatte. – Widerwärtig genug mag der alte Coppelius gewesen seyn, aber daß er Kinder haßte das machte ihn Euch Kindern unerträglich. Nun[↕ D]Natürlichr [Natürlichr am Rand ergänzt] verknüpfte sich [später ergänzt: nun] in deinem kindischen Gemüth der schreckliche Sandmann aus dem Ammenmährchen mit dem Coppelius, der dir, glaubtest du auch nicht mehr an den Sandmann, ein gespenstischer, vorzüglich Kindern gefährlicher Unhold blieb. [↕ D]Das unheimliche Treiben mit deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts anders, als daß beide insgeheim [über insgeheim später ergänzt: sich mit] Alchymistische Versuche machten. womit deine Mutter nicht zufrieden seyn konnte, da gewiß viel Geld in unnützer Weise verschleudert und obendrein wie es immer mit alchymistischen Laboranten der Fall seyn soll, des Vaters Gemüth ganz von dem trügerischen Drange nach hoher Weisheit erfüllt, der Familie abwendig gemacht wurde. Weder an deines Schwesterchens noch an des Vaters Tode ist wohl Coppelius im mindesten [aus der gestrichenen Passage versehentlich stehengeblieben:] Schuld.– Schwesterchen litt ja, wie mir nur noch neulich Mutter erzählte von klein auf an bösen Augen und starb an der Abzehr Auszehrung, der Vater hat wohl gewiß [später ergänzt: durch] eigene Unvorsichtigkeit seinen Tod herbeygeführt. [am Rand ergänzt: und Copelis ist / ncht] – Glaubst du es, daß ich den erfahrnen Nachbar Apotheker frug, ob wohl bey Chemischen Versuchen eine solche augenblicklich tödtende Explosion statt finden könne? [↕ D]Der sagte, Ey allerdings, und beschrieb mir nach seiner Art gar weitläuftig und umständlich, wie das zugehen köne und nannte dabey so viel sonderbar klingende Nahmen, die ich gar nicht zu behalten vermochte. – Nun wirst du wohl unwillig werden über deine Clara, du wirst sagen: [später ergänzt: in] dies kalte Gemüth dringt kein Strahl des Geheimnißvollen [darunter:Wunderbaren] hinein, das den Menschen oft mit unsichtbaren Armen umfaßt, sie erschaut nur [später ergänzt: die] bunte Oberfläche der Welt, und freut sich wie das harmlose Kind über die glänzend gleißende Frucht in derem Innern [für: in deren Innerm] tödtliches Gift verborgen! – [↕ D]Ach mein herzlieber Nathanael! glaubst du denn nicht, daß [später ergänzt: auch] in heitern unbefangenen – sorglosen Gemüthern die Ahnung [später ergänzt: wohnen könne von] einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen Seyn zu verderben strebt. – Aber, verzeih’ es mir, wenn ich einfältig Mädchen es versuche / auf irgend eine Weise anzudeuten, was ich eigentlich von solchem Kampfe im Inern glaube. – Mag es eine du wirklich eine dunk Ich finde wohl gar am Ende nicht die rechten Worte, und du [unter der Zeile steht als Merkwort für die nächste Seite: lachst] [H 14] lachst mich aus, nicht weil [unter weil steht: wenn] ich was dummes meine, sondern weil ich mich so ungeschickt anstelle. [am Rand ergänzt: es zu sagn.] Mag[↕ D]Giebt es eine Dunkle Macht geben, die so recht feindlich und verrätherisch einen Faden in unseres [richtig: unser Inneres] legt, woran sie dann uns festhält und regirt festpackt und fortzieht auf einem [am Rand ergänzt: gefahrvollen / verderblichen] Wege, den wir sonst nicht betreten haben würden [haben würden am Rand ergänzt; danach in der Zeile: hätten] – giebt es eine solche Macht, so muß sie sich [darüber:um das zu vollbringen] in Uns sich wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst seyn, denn nur so glauben wir an sie und raümen ihr den Platz ein / deßen sie bedarf um jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir festen durch das heitre Leben gestärkten Sinn genug um feindliches fremdes Einwirken als solches stets zu erkennen und den Weg in den uns Neigung und Beruf geschoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, so geht wohl jene unheimliche Macht [später ergänzt: unter] in dem vergeblichen Ringen nach der Gestaltung, die unser eignes Spiegelbild [darunter:Fantom] seyn sollte. – Mir ist es auch so, als wenn wir uns einmahl durch uns selbst unheimlicher Gewalt hingegeben, aber diese dann fremdes, das uns die aüßere Welt in den Weg wirft, in uns selbst hineinziehet, und so uns selbst Fantome bilden wir dann in wunderlicher Taüschung und [über der Zeile stehende Wörter uns und aber diese versehentlich nicht gestrichen] [↕ D]