Der Schatz der San José - Kerstin Wollinger - E-Book

Der Schatz der San José E-Book

Kerstin Wollinger

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Beschreibung

Tom, Isabell und Mickey können es nicht glauben. Sie dürfen die Sommerferien gemeinsam mit Toms Dad, dem berühmten Geschichtsforscher, auf der karibischen Insel La Isla Grande verbringen. Toms Vater wurde von der kolumbianischen Regierung beauftragt, die 1708 gesunkene Galeone San José und den größten Schatz der Welt, der an Bord vermutet wird, zu finden. Doch die Reise verläuft nicht so wie geplant, denn noch andere Archäologen sind an dem versunkenen Schiff interessiert. So geht vieles nicht mit rechten Dingen zu und als die Crew mit mehreren Sabotagen und Anschlägen konfrontiert wird, geraten Tom, Isabell und Mickey plötzlich mitten in ihr nächstes Abenteuer.

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Seitenzahl: 208

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Vollständige eBook Ausgabe 2018

© 2018 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt/Regensburg

Lektorat: Sigrid Müller

Umschlaggestaltung: Spielberg Verlag

Umschlagillustration: © CR Ruhland Fotografie

Illustrationen i. Innenteil: © Christian Utz, Kerstin Wollinger

Alle Rechte vorbehalten

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhaltsverzeichnis

Endlich Ferien

Das Schulfest

Überraschender Besuch

Die beste Idee aller Zeiten

Olé, olé, Cartagena!

Ich liebe Knoblauchschnecken

Ausflug zur Insel der Träume

Schlechtes Timing

Schlechtes Gewissen

Operation „San José“

Operation „Schatzkarte“

Mickey in Gefahr

Kleine Notlügen

Suche mit Hindernissen

Ruhe bewahren

Aller Abschied ist schwer

 

 

Kerstin Wollinger wurde 1982 in Roding geboren. Sie lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Töchtern bei Cham in der Oberpfalz. Die Geschichte „Der Schatz der San José“ bildet den zweiten Band der Abenteuer von Tom, Isabell und Mickey. Ihr erstes Buch „Das Erbe der Aravaipa Indianer“ wurde 2014 veröffentlicht.

„Der Schatz der San José“ basiert ebenfalls wieder in Teilen auf einer wahren Geschichte. Der Fund der lange verschollenen Galeone San José, die vor der kolumbianischen Küste entdeckt wurde, sorgte 2015 für großes Aufsehen. Die vermuteten Schätze an Bord haben laut Expertenmeinungen einen Wert in Milliardenhöhe.

Das Schiff befand sich 1708 gerade auf dem Weg nach Spanien, als es von den Briten angegriffen wurde und sank. Die Galeone war Teil der sogenannten „Silberflotte“, die kontinuierlich Silber und andere Schätze aus den südamerikanischen Kolonien nach Spanien brachte.

 

Vielen Dank an Herrn Windmeißer vom Spielberg Verlag für die tolle Unterstützung.

Endlich Ferien

Der letzte Schultag vor den großen Sommerferien lag hinter uns, die Zeugnisse waren verteilt. Die Sonne brannte ohne Erbarmen auf uns herab und nach dem Schulfest heute Abend würden wir endlich die freie Zeit genießen können! Ferien mit Radtouren, Kino, langem Aufbleiben und irgendwelchen Blödsinn im Fernsehen gucken. Und das Beste: unzählige Treffen mit Isabell und Mickey. Ich freute mich wie ein kleines Kind, am liebsten hätte ich Purzelbäume geschlagen.

Mickey und Isabell schlenderten zufrieden neben mir nach Hause, unsere letzten Habseligkeiten aus der Schule hatten wir in einer Mappe unter den Arm geklemmt. Lauter unwichtiger Kram: Zeugnis, Malblock, ein Elternbrief mit einer Einladung zum Schulfest am Abend. Eine Urkunde vom Sportfest, bei dem ich den 3. Platz im Weitwurf belegt hatte. Für mich immer noch unfassbar, weil ich bis vor Kurzem froh war, wenn ich keine „Minusmeter“ warf. Das Wort „Minusmeter“ hatte unser Sportlehrer Mr. Wright erfunden, nachdem Mario Ortega, ein Schüler der 8. Klasse beim Weitwurf etwa 40 Meter Anlauf genommen und es dann irgendwie geschafft hatte, den Ball 4 Meter hinter sich zu werfen anstatt nach vorne. So etwas hatte selbst Mr. Wright noch nicht gesehen und trug dem Schüler die beeindruckende Leistung als „4m-!“ in die Unterlagen ein. Da ich beim Weitwurf normalerweise auch kein Ass war, befürchtete ich seitdem, diesen Negativrekord noch zu überbieten, doch wollte ich sicher nicht in die Geschichte der Schule damit eingehen. Umso überraschter und stolzer war ich, als dieses Jahr wenigstens ein Wurf klappte und dieser gleich für Platz 3 in der Klasse reichte. Mein persönlicher Rekord!

Mickey riss mich aus meinen Gedanken. Er kramte gerade in seiner Mappe und wollte uns unbedingt seine kreativen Auswüchse aus dem diesjährigen Kunstunterricht zeigen. Sein größtes Meisterwerk: Ein Selbstportrait, das wir Anfang des Schuljahres bei Mrs. Sanders hatten zeichnen müssen. Zugegeben, meines war auch nicht besonders gelungen, aber mal im Ernst, seines konnte nicht einmal mehr als moderne Kunst bezeichnet werden. In einem Gesicht sollten doch zumindest Nase, Mund und Augen erkennbar und an den dafür vorgesehenen Stellen platziert sein. Es hatte mal überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihm oder der menschlichen Spezies an sich, und obwohl er dafür eine schlechte Note kassiert hatte, war er doch unendlich stolz darauf. Er tat ja gerade so, als hätte er das Rad neu erfunden!

„Ich glaube, ich sollte mal irgendwas mit Kunst machen, also beruflich meine ich!“, sagte er dann vollen Ernstes.

Isabell sah mich entsetzt an und musste dann schmunzeln.

„Ach wirklich, Mickey?“

„Ja. Meine Mam sagt auch immer, ich hätte da so ein Talent. Wohl von meinem Opa, der war auch so was wie ein Künstler, sagt sie. Also der hat Figuren gebastelt, aus Streichhölzern. Ganz besondere! So Männchen und Tiere.“

„Wow, Figuren aus Streichhölzern, hm?“, erwiderte ich und musste extrem aufpassen, nicht laut loszulachen. Mickeys Mutter war grundsätzlich von allem begeistert, was er so fabrizierte und von sich gab. Also überraschte mich die Aussage seiner Mama gar nicht.

Als ich kürzlich bei ihm zum Abendessen blieb, hatte er aus Langeweile einen Turm aus seinen Fischstäbchen gebaut. Seine Mutter hatte sich gar nicht mehr eingekriegt vor Begeisterung. Sie wollte daraufhin der Fischstäbchenfirma ein Foto davon schicken, als Anreiz für eine neue Verpackung mit einem Foto von Mickey und seinem genialen Turm. Nur mit Müh´ und Not konnte Mickeys Dad, der genauso entgeistert guckte wie ich, sie davon abhalten, sich zu blamieren.

Mickeys Visage auf einer Fischstäbchenpackung. Das hätte noch gefehlt!

„Mann, ich kann´s nicht glauben, dass die Schule endlich vorbei ist!“, jauchzte Isabell vergnügt neben mir und fing an, sich wie wild zu drehen und zu springen.

„Ja, ich weiß, ich kann es nicht erwarten, das doofe Schulfest heute Abend noch hinter mich zu bringen“, erwiderte ich genervt.

„Aber vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm“, antwortete sie und lächelte mir zu, „Wir müssen definitiv nebeneinander sitzen, ok?“

„Sollen wir uns um kurz vor acht Uhr am Eingang treffen? Dann können wir uns gemeinsam einen Platz suchen“, rief ich in Isabells Richtung, doch die war schon in ihre Straße eingebogen, und nickte uns nur noch vor Freude hüpfend zu.

„Kommst du auch mit deiner Mam und deinem Dad?“, wandte ich mich nun Mickey zu.

„Mein Paps hat keine Zeit, aber Mama kommt mit. Können wir dann zusehen, dass wir in Marie Meiers‘ Nähe sitzen, Tom?“, flehte er mich von der Seite an.

Ich rollte demonstrativ mit den Augen. „Muss das sein?“

„Tom, ich muss sie vor den Ferien nochmal aus der Nähe sehen. Wenn ich mich heute Abend traue, frage ich sie nach ihrer Handynummer! Ganz sicher! Also vielleicht. Also mal überlegen. Ich weiß noch nicht!“

Ich klopfte ihm tröstend auf die Schulter.

„Dich hat´s ja ganz schön erwischt, Freundchen!“

Mickey sah mich entsetzt an.

„Tom! Nicht einfach ‚erwischt‘. Sie ist die zukünftige Mrs. Marie Mickey Parker!“

„Was soll das für ein Name sein?“, lachte ich ihn aus. „Wieso sollte sie denn deinen Vornamen annehmen?“

„Na, damit jeder weiß, dass sie zu mir gehört!“, antwortete er und schnaubte dazu verliebt. Amor hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Allerdings nicht zum ersten Mal. Genauer gesagt war dies bereits die dritte große Liebe innerhalb kürzester Zeit. Vor einigen Wochen war es Elena Watson aus dem Chemiekurs gewesen, davor irgendein Mädchen, das er beim Schulausflug flüchtig an einem Eisstand gesehen hatte. Er redete daraufhin die gesamte Busfahrt nach Hause auf Miss Menunes ein, dass wir sofort umkehren müssten, weil er nochmal ein Eis bräuchte. Am nächsten Tag schrieb er Miss Menunes dann einen eigenartigen Entschuldigungs-Liebesbrief, in dem er ihr sagte, wie toll er ihre neue Frisur fände. Mickeys Gefühlswelt stand momentan einfach Kopf. Er würde sich in diesem Zustand wohl auch in einen Kaktus verlieben. Doch nun war also erst einmal unsere Klassenbeste, Marie Meiers, an der Reihe.

„Nun, wir werden sehen, dass wir heute in Maries Nähe sitzen, zufrieden?“

Er lächelte mich an, als hätte ich ihm gerade einen Hundewelpen geschenkt und tänzelte dann wie auf rosa Wölkchen in Richtung Haus.

Nachdem ich endlich die Anhöhe überwunden hatte, hörte ich schon von Weitem lautes Hämmern und Sägen. Unsere Bruchbude war inzwischen recht ansehnlich geworden und erstrahlte in frischen Farben. Sogar ein neues Geländer zur Veranda und einen neuen Zaun hatten wir uns geleistet. Unser Nachbar und Freund Wakanda war Richards und Mamas Bauhelfer geworden, da er, wie sich herausgestellt hatte, ein gewisses Geschick in Sachen Renovierung hatte. Etwas, das meiner Mutter und ihrem Lebensgefährten Richard eindeutig fehlte. Ich freute mich über Wakandas Hilfe, denn so konnte ich ihn so gut wie jeden Tag sehen und über Gott und die Welt mit ihm quatschen. Leider musste ich auch immer wieder helfen, doch meistens redete ich mich mit ‚überdimensional vielen Hausaufgaben‘ heraus. Meine liebreizende Schwester Vicky entzog sich der Arbeit noch geschickter, indem sie nach der Schule kaum mehr nach Hause kam. Sie hatte inzwischen eine neue Clique gefunden, mit der sie so gut wie jeden Tag unterwegs war, um über ‚wichtige Dinge‘ wie Makeup und Frisuren-Tutorials auf Youtube zu reden. Wahnsinnig interessant eben.

Vicky hatte vor einigen Monaten endlich ihren Führerschein bestanden und wollte nun unbedingt ein eigenes Auto. Meine Mam fand das idiotisch, da man mit dem Fahrrad in fünf Minuten unten in der Stadt war und sie wegen des andauernden Umbaus eh kein Geld dafür übrig hatte.

Wutentbrannt hatte meine Schwester eines Abends dann meinen Dad im fernen Jordanien angerufen und ihm ihr Leid geklagt. Ich wusste, dass er ihr sofort etwas überwiesen hätte, doch Mama war schneller gewesen und hatte ihm Tage vorher schon eingetrichtert, er solle ihr das Geld dafür nicht einfach so schenken.

„Wenn du wirklich ein eigenes Auto möchtest, kannst du dir in den Ferien was dazuverdienen! Wir bräuchten dringend Hilfe in der Werbeagentur!“, hatte Mam ihr daraufhin vorgeschlagen und nach einigen Tagen des Trotzens hatte Vicky mürrisch zugestimmt.

Das Schulfest

Kurz vor acht standen wir nun also, geschniegelt und gestriegelt, am Eingang der Schule. Vicky stand absichtlich bei einigen ihrer Freunde etwas abseits von uns und machte ständig bescheuerte Selfies. Mama und Richard hatten sich für das Abschlussfest der Schule ordentlich ins Zeug gelegt und farblich abgestimmte Klamotten in Dunkelblau an. Überhaupt hatten sich alle inklusive der Lehrer recht fein herausgeputzt.

Sie alle wurden allerdings übertroffen, als nun Mickey mit seiner Mam auf der Bildfläche erschien. Er trug tatsächlich einen quietschgelben Anzug mit weißem Hemd und roter Fliege. Passend dazu hatte sich seine Mutter wohl neonfarbene Schuhe besorgt, die schon aus der Ferne wie ein Warndreieck leuchteten. Da konnte man einfach nicht wegsehen. Nun ja, über Geschmack lässt sich ja angeblich streiten, aber das war wirklich etwas zu viel des Guten. Aus Höflichkeit versuchte ich sie nicht weiter anzustarren, als wäre er ein Außerirdischer. Das taten ohnehin schon alle anderen.

„Was hat der denn für eine Mission?“, hörte ich die Kinder hinter mir tratschen. Mickey und seine Mutter ignorierten das Flüstern und schienen sich regelrecht in den Blicken der anderen zu suhlen. Vielleicht fielen sie einfach gerne auf.

Ich glaubte nicht, dass mich etwas anderes als Mickeys gelber Anzug noch mehr in den Bann ziehen konnte, doch als Isabell von der Seite auf mich zukam, wurde ich eines Besseren belehrt. Ich merkte, wie ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam, denn sie sah einfach toll aus. Ich glaube, ich sah sie zum ersten Mal überhaupt mit offenen Haaren, die ihr an der einen Seite locker ins Gesicht glitten. Dazu trug sie einen coolen schwarzen Hosenanzug, nicht sehr mädchenhaft, aber eben total lässig.

„Mund zu, Bruderherz! Du fängst ja gleich an zu sabbern!“, stieß mich Vicky von der Seite mit dem Ellbogen in die Rippen, so dass ich mich vor Schmerz krümmte. Dazu lachte sie wie ein bescheuerter Kobold. Also holte ich kräftig aus und trat ihr mit dem Fuß gegen das Schienbein. Leider traf sie der Schlag nicht mit voller Härte, da Richard, der Spielverderber, dazwischen ging.

„Hört ihr wohl sofort auf mit dem Blödsinn!“, zischte nun meine Mutter von der Seite. „Das ist eine Schulveranstaltung. Seid ihr völlig verrückt, euch so zu benehmen?“

Reumütig ließen wir die Köpfe hängen und taten so, als würde es uns leidtun. Vicky jedoch kniff gleich wieder drohend die Augen zusammen und flüsterte in meine Richtung, dass ich das noch bitterlich bereuen werde.

Ich lachte nur, denn ich wusste, dass sie nie lange auf mich böse sein konnte. Außerdem hatte sie angefangen!

Als Isabell nun vor mir stand, bekam ich nur ein leises „Hi. Tolle Haare!“ heraus. Etwas noch Dämlicheres hätte wohl nur noch Mickey einfallen können. Tolle Haare?

Isabell lächelte höflich und ging dann voraus in den Sitzplatzbereich vor der Bühne.

Die ganze Schule hatte sich richtig ins Zeug gelegt.

Vorne neben dem Schulhaus erhob sich eine gigantische Bühne, vor der sich Hunderte von Stühlen für Schüler, ihre Familien, Lehrer und Freunde aufreihten. Es war das Ereignis in unserem kleinen Kaff Dudleyville und daher füllten sich die Reihen schnell. Isabell, Mickey und ich mussten in der zweiten Reihe Platz nehmen, da Mickey, unser neongelber Freund, unbedingt in der Nähe von Marie Meiers sitzen wollte, die sich in der ersten Reihe niedergelassen hatte. Unsere Eltern gesellten sich alle zusammen einige Plätze hinter uns und quasselten angeregt aufeinander ein. Wahrscheinlich ging es wieder mal um uns. Oder darum, wie froh sie alle waren, dass endlich wieder ein Schuljahr vorbei war, ohne dass einer durchgefallen war. Egal, Hauptsache ich saß bei Isabell und Mickey konnte seine Marie stalken. Das schien auch eine Zeit lang gut zu gehen, bis Frank Menzino aus der Klasse über uns auf dem freien Sitz neben Marie Platz nahm und sie mit einem seltsamen Blick anlächelte. Zum Ärger von Mickey lächelte Marie verlegen zurück. Das löste in Mickey eine seltsame unkontrollierbare Reaktion aus.

Sein linkes Auge fing nun regelrecht an zu zucken, doch bevor er sich weiter darüber aufregen konnte, gingen zum Glück die Lichter aus und die Show begann. Im Halbdunkel konnte man nun den Umriss einer sehr kleinen, aber auch sehr breiten Person erkennen, die sich auf den Weg die Bühne hinauf machte.

„Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserem alljährlichen Abschluss-Schulfest der Dudleyville-Highschool!“, tönte es plötzlich mit solcher Gewalt aus den Lautsprechern, dass es alle aus den Sitzen hob.

„Oh, entschuldigen Sie bitte! Ein wenig laut eingestellt“, sagte sie nervös.

„Wie haben wir uns alle das Ende dieses Schuljahres gewünscht! Sehnlichst haben wir darauf gewartet! Doch jetzt ist es Wirklichkeit. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es wieder einmal geschafft, ein weiteres Schuljahr überlebt!“, quietschte die Rektorin Mrs. Cain ins Mikrofon, gefolgt von schallendem Gelächter ihrerseits. Nur fand das leider niemand sonst witzig und so sah man überall im Publikum betretene Gesichter.

„Sie ist einfach eine Stimmungskanone!“, spöttelte Isabell leise und Mickey ergänzte: „Ich werde sie für meinen nächsten Geburtstag engagieren! Als Comedy-Einlage.“

Mrs. Cain hatte inzwischen erkannt, dass der Beginn ihrer Rede in die Hose gegangen war und räusperte sich nun peinlich berührt.

„Ähm ja, also, natürlich nur ein kleiner Scherz, meine lieben Eltern! Haha. Es war selbstverständlich ein ganz bezauberndes Jahr mit ihren Kindern und wir freuen uns schon auf das kommende, in dem wieder viele tolle Aktionen und Veranstaltungen auf uns warten!“

Jetzt erntete sie wenigstens von ein paar Eltern Applaus und da die Rede eh nicht mehr zu retten war, machte sie schnell weiter.

„Nun, ich will Sie nicht lange auf die Folter spannen und Ihnen sogleich unseren ersten Showact ankündigen: Unser liebreizender Amadeus Jonathan Finkenwisler, der ein Mundharmonika-Solo zum Besten geben wird. Eine selbstinterpretierte Version des Stücks „Rolling in the deep“. Applaus, meine Damen und Herren, einen großen Applaus bitte für unseren talentierten Amadeus!“, sprach sie und klatschte dann wie eine Verrückte in die Hände.

Kaum war Mrs. Cain von der Bühne gehüpft, betrat auf der anderen Seite Amadeus Finkenwisler die Bretter, die die Welt bedeuten. Der arme Kerl, der sicher seit seinem 5. Lebensjahr dazu gezwungen wurde, Mundharmonika zu spielen, ging mit starrem, zu Boden gerichtetem Blick zur Mitte der Bühne, sah dann nervös zwinkernd in sein Notenblatt und begann eine sehr moderne und gewöhnungsbedürftige Version eines Songs, den ich in Teilen aus dem Radio kannte. Nichts gegen den armen Amadeus, aber es war todlangweilig, viel zu lang und es klang einfach nur schrecklich. Nach einer gefühlten Ewigkeit gesellte sich dann auch noch das sägenartige Schnarchen von Marie Meiers‘ Opa zu den sanften Klängen. Zumindest das sorgte für etwas Auflockerung und Gelächter im vom Mundharmonika erschöpften Publikum.

Als er endlich fertig war, brauchten die Leute einige Sekunden, um aus ihrer Narkose zu erwachen und ihre Hände zum Applaudieren zu bewegen. Nur zwei völlig Unbändige aus der ersten Reihe sprangen auf wie Gummibälle, schossen Fotos und warfen sogar Blumen auf die Bühne. Das mussten ganz klar Mr. und Mrs. Finkenwisler sein. Wir drei schüttelten beim Anblick solch elterlicher Peinlichkeit nur den Kopf. Genauso wie er die Bühne betreten hatte, verließ er sie wieder, der kleine, nette Amadeus und machte sie erneut frei für Mrs. Cain.

„Man kann nur hoffen, dass ihr nächster Beitrag besser wird als die Rede gerade eben“, lästerte Isabell nun schon im Voraus über unsere Rektorin, die sich das Mikro jetzt wieder nach unten stellen musste, um es bei ihrer Größe von 1,45 m überhaupt zu erreichen.

„Was für ein Auftritt, Amadeus, was für ein Auftritt! Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist. Ich hatte gerade Tränen der Rührung in den Augen! Und es geht nicht weniger spektakulär weiter, meine Damen und Herren! Wir möchten heute besonders Ihnen, liebe Eltern, die ganze Vielfalt unserer Schulgemeinschaft aufzeigen. Wir haben Clowns, wilde Tiere, kunstvolle Tänze, moderne, aber auch längst vergessene Poesie. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber wir haben wirklich noch unglaubliche Darbietungen und Überraschungen für Sie vorbereitet.“

„Naja, sehr atemberaubend hört sich das für mich nicht an!“, nörgelte ich leise in Richtung der anderen, doch Mickey hörte mich gar nicht. Er beugte sich gerade soweit es ging vor, weil er offensichtlich etwas neben der Bühne entdeckt hatte.

„Seht mal da!“, wies er mit einem Fingerzeig in Richtung rechter Bühnenaufgang. „Der Typ an dem Koffer mit den grünen Knöpfen.“

Isabell und ich machten ein ratloses Gesicht. „Was ist mit dem?“

„Den kenne ich! Der war letztes Jahr beim Geburtstag meines Vaters. War ein ordentlicher Kracher auf der Party, wenn ihr versteht, was ich meine.“

Mickey lachte in sich hinein und wir verstanden nur Bahnhof.

„Das ist ne Pyrotechnik-Ausrüstung!“, ergänzte er nun, weil wir nicht kapierten, wovon er sprach.

„Was ist eine Pyrotechnik-Ausrüstung?“, erwiderten wir recht ratlos.

Mickey sah uns völlig entgeistert an, weil wir das nicht wussten.

„Sagt mal, lebt ihr hinterm Mond? Damit regelt man große Feuerwerke! Kostet ne ordentliche Stange Geld, glaube ich. Da hat sich Mrs. Cain ja richtig ins Zeug gelegt“, rieb er sich freudig die Finger.

Isabell und ich waren immer noch nicht recht überzeugt von seiner Theorie. Konnten wir uns doch nur schwer vorstellen, dass unsere sonst so knausrige Direktorin für ein Feuerwerk so viel Geld ausgeben würde.

„Und nun, meine Damen und Herren, folgt unsere Schul-Tanzgruppe „Fit Chips“ mit den Schülerinnen Frida Feyn, Annie Blinker und Marie Meiers!“, jaulte Mrs. Cain plötzlich in das Mikrofon und versuchte wieder, das Publikum mitzureißen.

Mickey fiel fast vom Stuhl, als er Maries Namen hörte. Schnell suchte er sie in der ersten Reihe, doch sie saß nicht mehr auf ihrem Platz. Wie ein nervöses Erdmännchen sah er mich und Isabell jetzt an, dann wieder zur Bühne, dann wieder zu uns.

„Gaaaanz ruhig, Mickey“, sagte Isabell langsam und hielt ihm dabei seine Hand, als wäre er nicht mehr ganz bei Verstand.

„Jetzt kann sie auch noch tanzen“, redete er leise vor sich hin und starrte gebannt auf die beleuchtete Bühne. Als sich der Vorhang endlich öffnete, staunten wir nicht schlecht, als wir die brave Marie Meiers in lässigen weiten Jeans und coolem weißen Shirt auf der Bühne sitzen sahen. Die Musik erklang und riss sogleich das ganze Publikum mit. Die drei legten tolle Hiphop-Moves hin und tanzten meist synchron. Ein Teil des Publikums stand sogar auf, weil es den Auftritt so toll fand und auch uns hielt es kaum noch auf den Sitzen.

Als die Performance vorbei war, verharrten die „Fit Chips“ noch einige Sekunden in Position und genossen grinsend den tosenden Applaus der Leute.

„Das war echt irre!“, sagte Isabell begeistert. „Echt super, deine zukünftige Freundin, Mickey!“

Und Mickey nickte, während er wild applaudierte.

Nach einigen Minuten stieg Marie mit ihren Mittänzerinnen wieder den rechten Bühnenabgang hinunter, als wir bemerkten, dass sich Frank Menzino in geduckter Haltung in dieselbe Richtung aufmachte, um Marie abzufangen. Überschwänglich hielt er sie nun auf und umarmte sie innig.

Als Mickey dies sah, quetschte er Isabells Hand so fest, dass die aufschrie und sich losriss. Mickey achtete nicht auf sie und beobachtete die Szene neben der Bühne haargenau. Gleich würde er platzen, ich konnte es deutlich sehen. Während sich Mrs. Cain zum dritten Mal auf das Podest hinaufkämpfte, galt unsere Aufmerksamkeit immer noch der Szene neben der Bühne.

„Ich hasse diesen verdammten Frank! Ich hasse den schon immer!“, zischelte Mickey nun völlig außer sich, während ich versuchte, ihn zu beruhigen.

„Lass sie doch. Marie ist viel zu schlau, als dass sie auf das Gequatsche von dem reinfällt. Ihr kennt euch doch schon viel länger!“

Mickey kniff verbissen die Augen zusammen, um besser zu erkennen, was da vor sich ging. Meine kleine Rede hatte ihn anscheinend nicht gerade inspiriert, denn plötzlich sprang er wie von der Tarantel gestochen auf.

„Jetzt reicht´s!“, sagte er noch und bevor ich ihn aufhalten konnte, drückte er sich schon durch zwei Stühle der ersten Reihe und stapfte wütend in Richtung Marie und Frank, die sich innig zu unterhalten schienen.

Was dann geschah, konnten Isabell und ich nur erahnen. Jedenfalls war er wohl nicht dorthin gestürmt, um Frank einen auflockernden Witz zu erzählen. Ganz im Gegenteil. Mickey fing an, seinen Konkurrenten zu schubsen. Nur ganz leicht, nur ein wenig. Und Frank schubste natürlich zurück. Nur ein bisschen stärker, nur ein wenig. Und dann schubste Mickey Frank erneut. Diesmal noch etwas stärker, zu stark, würde ich sagen, denn Frank konnte sich plötzlich nicht mehr halten und flog rückwärts über einen Stuhl an einen dritten Unbeteiligten, der dadurch ebenfalls zu Boden ging.

Ich hörte nur noch ein lautes „Oh, oh!“ und was dann folgte, war, nun sagen wir´s mal so: Die Veranstaltung wurde erheblich aufgepeppt.

Der getroffene Dritte entpuppte sich schnell als der Pyrotechniker, der am Ende des Festes das Feuerwerk hätte zünden sollen. Stattdessen hatte Franks Sturz seine Knöpfchen nun frühzeitig ausgelöst, so dass innerhalb von Sekunden unkontrollierte Feuerwerkskörper in allen Farben und Formen aus allen Ecken schossen. Panik brach vor und hinter der Bühne aus.

Als Mrs. Cain kapierte, was da passierte, versuchte sie mit einem schrillen „Keine Paaaanik!“ die Menschen zu beruhigen. Dadurch erreichte sie jedoch eher das Gegenteil. Isabell und ich gingen hinter den Stühlen der ersten Reihe in Deckung und bestaunten das heitere Spektakel, das sich uns bot. Ein wild gewordener Esel mit kleinem rosa Federhut stürzte plötzlich hinter der Bühne hervor. An dessen Hals klammernd erkannte ich den als Clown verkleideten Mr. Beck, unseren alten Mathematiklehrer, der offensichtlich die Kontrolle über das aufgeschreckte Tier verloren hatte und sich nun halb oben, halb am Boden hängend, mit einem Bein im Sattel zu halten versuchte, während er wie ein Fünfjähriger laut um Hilfe schrie. Eine Rakete verfehlte knapp Mrs. Cains Frisur und schoss dann hoch in die Luft, wo es zur ersten Feuerwerks-Explosion unter freiem Himmel kam. Ein wunderschönes Herz wallte da auf, als meine Aufmerksamkeit von einem weiteren lauten Schmettern wieder auf die Bühne gezogen wurde. Das gesamte Schulorchester rannte da, inklusive ihrer Instrumente, vor einer ganzen Batterie Knallkörper davon. Dabei stolperte ein Schüler über sein Cello. Die dahinter Fliehenden übersahen den kleinen Musiker allerdings und fielen nun reihenweise über ihm zusammen, bis sich ein gewaltiges Schüler-Instrumenten-Knäuel geformt hatte.

Mrs. Cain rannte immer noch wie ein besessener Zombie auf der Bühne hin und her und versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen. Mickey und Frank waren inzwischen ebenfalls in Deckung gegangen und beobachteten das Spektakel, wie wir, aus sicherer Entfernung. „Vorsicht!“, schrie da der Pyrotechniker aus vollem Leibe, der nun panisch an seinen Knöpfen drückte und versuchte, Schlimmeres zu verhindern. Doch schon schlug die nächste riesige, bunt wirbelnde Rakete im Bühnenvorhang ein. Der fing sofort Feuer, woraufhin der tapfere Mr. Beck, der inzwischen jäh von seinem Esel abgeworfen worden war, zum Feuerlöscher in der Ecke griff. Leider wurde er in diesem Moment von einem panischen Sambatänzer geschubst, so dass der erste Schwall aus dem Löschgerät zunächst voll in Mrs. Cains Gesicht landete, die ihm eigentlich zu Hilfe eilen wollte. Ihr nerviges Geschrei verstummte sogleich, als sich ihr Mund mit der Schaummasse füllte. Es folgte ein ekliges Husten und Würgen, während sie quietschend nach Luft japste. Als sie ihr Gesicht von der Pampe befreit hatte, versuchte sie gemeinsam mit dem Sambatänzer, auf der rutschigen Fläche wieder aufzustehen, doch sie fielen immer wieder zusammen wie ein tollpatschiges Pinguin-Pärchen.

„Das ist ja furchtbar!“, sagte Isabell mit aufgerissenen Augen, das Spektakel aus unserer Deckung heraus beobachtend. Trotzdem konnten wir uns ein Schmunzeln irgendwie nicht verkneifen.

Ich für meinen Teil war hoch konzentriert, eventuell nahenden Raketen auszuweichen.

Die meisten Zuschauer waren inzwischen geflohen und nur noch vereinzelt flogen kleinere Raketen zum Himmel oder in den nächsten Baum.

Langsam, ganz langsam, legte sich das Durcheinander auf der Bühne etwas.