Melanie Little
Der Schreiber von Córdoba
Aus dem Englischen von Christa Broermann
Carl Hanser Verlag
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel The Apprentice’s Masterpiece. A Story of Medieval Spain bei Annick Press Ltd., Toronto/Vancouver.
ISBN 978-3-446-24096-4
© Melanie Little 2008
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© Carl Hanser Verlag München 2012
Alle Rechte vorbehalten
Aus dem Englischen von Christa Broermann
Umschlagsillustration: Ludvik Glazer-Naudé
Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch
E-Book-Konvertierung: Beltz Bad Langensalza GmbH
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Dieses Buch ist den Opfern von Intoleranz überall auf der Welt sowie jenen gewidmet, die dadurch Widerstand leisteten, dass sie Fragen stellten, und sei es auch nur sich selbst.
Das Papier könnt ihr verbrennen, aber was darauf steht, nicht, denn ich trage es im Herzen.
Ibn Hazm, Córdoba 994–1064
DER SCHREIBER VON CÓRDOBA
Prolog
Spanien war schon immer reich an Geschichten. Sogar der erste große Roman, Don Quijote, kam aus Spanien. Die Spanier des Mittelalters ließen sich von Erzählungen über Ritter und vornehme Damen verzaubern, und selbst die Könige und Adeligen liebten die eher weit hergeholte Geschichte ihrer Abstammung von dem griechischen Halbgott Herakles. Aber manchmal hatte diese Freude am Geschichtenerzählen auch eine gefährliche Seite.
In den Jahren vor der Ära, die in Geschichtsbüchern als das Goldene Zeitalter Spaniens bezeichnet wird, war das Land in drei verschiedene Reiche unterteilt: das christliche Kastilien in der Mitte, das christliche Aragón im Osten und das kleine, aber wichtige Granada an der Südspitze, das von der muslimischen Dynastie der Nasriden regiert wurde. Am 19. Oktober 1469 heiratete der Thronerbe von Aragón, Prinz Ferdinand, Prinzessin Isabella, die Thronerbin von Kastilien. Das war der erste Schritt zur Verwirklichung des großen Traums von einem geeinten Spanien.
Aber Spanien hatte schon einmal ein Goldenes Zeitalter erlebt. Vom Jahr 711 n.Chr. bis ins zwölfte Jahrhundert bezeichnete man es als Königreich al-Andalus, regiert von maurischen Herrschern, die aus Damaskus in Syrien gekommen waren. Der Koran, das heilige Buch der Muslime, lehrte die Anhänger des Islam, andere Religionen zu respektieren – besonders die der anderen sogenannten Buchvölker, Christen und Juden. Nach der Eroberung von al-Andalus durften die Christen weiter ihren eigenen Glauben praktizieren und ihre eigene Sprache sprechen. Ebenso die Juden, die schon seit der Römerzeit in Spanien ansässig waren. Viele entschlossen sich jedoch, Arabisch zu lernen, und es entwickelte sich eine blühende Gemeinschaft, geprägt von Kultur, Bildung und friedlicher Koexistenz (oft convivencia genannt). Über hundert Jahre lang war die spanische Stadt Córdoba der Sitz der Kalifen – der Oberhäupter der muslimischen Welt. Dank ihrer gelangten wichtige Bücher über Medizin, Naturwissenschaft und Philosophie nach Europa. Die Bibliotheken von Córdoba beherbergten mit der Zeit fast eine halbe Million Bücher.
Während der allmählichen »Rückeroberung« (reconquista) Spaniens wurden Muslime und Juden zunächst ähnlich respektvoll behandelt. Die drei Kulturen existierten weiterhin Seite an Seite. Muslime und Juden konnten ihren Glauben noch immer relativ frei praktizieren. Aber sie wurden mit einer drückenden Steuerlast belegt, wenn sie sich nicht zum Christentum bekehrten. Sowohl die Mudéjares – Muslime, die unter christlicher Herrschaft lebten – als auch die Juden wurden gedrängt und nicht selten gezwungen, in Stadtvierteln zu leben, die von Mauern umschlossen waren und bewachte Tore hatten. Neue Gesetze verboten ihnen die Ausübung bestimmter Berufe und untersagten ihnen, Christen zu heiraten oder als Arbeitskräfte zu beschäftigen und vornehme Kleidung zu tragen. An christlichen Feiertagen durften sie nicht einmal ihre Viertel verlassen. Sie mussten Abzeichen tragen – in Kastilien gelbe, wenn sie Juden waren, und rote, wenn sie Muslime waren –, damit die Christen wussten, mit wem sie es zu tun hatten, und gewarnt waren. Die Krone und die Kirche behaupteten, die Juden versuchten unablässig, Christen zum Judentum zu bekehren, aber dafür gibt es keine historisch belegten Anhaltspunkte. Im Jahr 1483 wurden die Juden aus Südspanien vertrieben.
Córdoba wurde zu einer Stadt, in der die Angst herrschte. Dort lebten jetzt große Bevölkerungsanteile von Conversos, Juden, die zum Christentum übergetreten waren. Viele hatte man gezwungen, gegen ihren Willen zu konvertieren – manche unter Androhung der Todesstrafe. Andere waren aus eigenem Interesse übergetreten, meist, um in Spanien bleiben zu können. Spanien – das auf Ladino, der Sprache der spanischen Juden, Sepharad hieß – war ihr neues Jerusalem, ihre geliebte Heimat.
Mit Billigung der Kirche begannen die Menschen, sich gegen die Conversos zu wenden. Einmal kam das wilde Gerücht in Umlauf, ein bekehrtes Judenmädchen habe aus einem Fenster Urin auf ein Bildnis der Muttergottes unten auf der Straße geschüttet. Daraufhin wurden Hunderte von Conversos umgebracht, angeblich als Vergeltung. Danach verschlechterte sich die Lebenslage der noch in Spanien verbliebenen Conversos drastisch. Man diskriminierte sie im Geschäftsleben und in vielen Berufen, in der Kirche und im Alltag. Oft wurden sie auf der Straße angepöbelt oder angegriffen.
Immer häufiger betrachtete man die übrig gebliebenen Juden, die Conversos und die Mudéjares als Nicht-Spanier. Die Krone und die Kirche, die einst von dem aufrichtigen Wunsch geleitet schienen, den christlichen Glauben zu verbreiten, waren nun wie besessen von der Idee der »Reinheit des christlichen Blutes«.
Im Jahr 1482 wurde das Heilige Offizium der spanischen Inquisition ins Leben gerufen. Sein Zweck war, Ketzerei gegen den katholischen Glauben aufzuspüren. (Unter Ketzerei verstand man eine Praxis, einen Glauben oder auch nur eine Meinung, die nicht mit der als gültig angesehenen Lehre übereinstimmten.) Seine Methode bestand darin, jeden spanischen Christen, auf den auch nur der Verdacht einer solchen Ketzerei fiel, zu verhaften, zu foltern und zu bestrafen. Die konvertierten Juden saßen in der Falle. Obwohl sie nun dem Gesetz nach Christen geworden waren, konnte die Inquisition ihnen den Prozess machen, weil sie nicht christlich genug waren.
Mit sogenannten Glaubensedikten forderte man die Leute auf, ihre Freunde, Nachbarn und Verwandten der Ketzerei zu bezichtigen. Aus der Bevölkerung wurden familiares ausgewählt und dazu bestimmt, ihre Mitbürger zu bespitzeln und anzuzeigen. Schon so einfache »Verstöße« wie die Weigerung, Schweinefleisch zu essen (was den Juden verboten ist), konnten jemanden – besonders einen Converso – hinter Schloss und Riegel bringen. Tausende von Menschen wurden bei riesigen Spektakeln, die man »Autodafé« nannte, lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und die Richter des Offi-ziums verlangten normalerweise keine Beweise. Wer gegen jemanden einen Groll hegte, konnte ihn für Fehltritte anschwärzen, die er vielleicht gar nicht begangen hatte.
Bis dahin waren die Mudéjares nicht den gleichen Verfolgungen ausgesetzt gewesen, vielleicht, weil es im Süden und Osten mächtige maurische Königreiche gab, die den spanischen Muslimen zu Hilfe eilen konnten. Aber die Inquisition, die auch das Vermögen ihrer Gefangenen einzog, hatte Kastilien reich gemacht. Es war jetzt stark genug, das maurische Granada anzugreifen, das dritte Königreich auf der Spanischen Halbinsel. Es war das letzte Stück des Puzzles, das Isabella und Ferdinand zu vervollständigen suchten. Sie wollten ein vereinigtes christliches Spanien unter ihrer Herrschaft erreichen. Mit dem »Spanien der drei Kulturen« war es vorbei. Der Krieg der sogenannten heiligen Reconquista führte zum Sieg.
Eins
RAMÓN
Córdoba, Kastilien1485–1486
Papas Credo für Schreiber
Ein Schreiber macht viel mehr
als einfach nur Wörter abschreiben.
Er lässt Welten
lebendig werden.
Sei stolz auf deine Kunst.
Übe Sorgfalt.
Nimm dir Zeit.
Ein guter Schreiber ist ein Krug.
Ein Krug nimmt Wein auf
und verliert keinen Tropfen.
So müssen Schreiber
mit Worten umgehen, die sie aufnehmen.
Schau sie genau an.
Wenn dir auch nur eines entgeht,
ist es fort. Vielleicht für immer.
Du musst auch auf das achten,
was du ausgießt.
Deine Hand muss ruhig sein.
Meide, was sie zum Zittern bringt.
Wein trinken – das ist eine Ursache.
Mädchen nachstellen eine andere.
»Und wenn der Krug
einen Sprung bekommt?«, frage ich.
»Dann ist er zu nichts mehr nütze«, sagt Papa.
»Keine Angst. Schau her!«
Er streckt eine Hand aus, die leicht vibriert.
»Sechzig Jahre alt und nie ein Zittern.«
Ich versuche, mit ihm zu lachen.
Aber wir wissen beide, sein ganzer,
gesegneter Körper ist neuerdings zittrig.
Papa tut, als bemerke er
meine Sorge nicht. Fest legt er mir die Hand auf die Schulter.
»Vor allem, Ramón,
musst du immer wahrhaftig sein.«
Unser neues altes Zuhause
Córdoba.
Blühend schon mindestens seit der
Römerzeit. Sogar Herakles,
der große Grieche, hat meine Stadt
geliebt.
Als die Mauren al-Andalus eroberten,
wählten sie das schöne Córdoba, umflossen vom Guadalquivir,
wie selbstverständlich zum Sitz ihres Kalifats.
Es wurde die Heimat des Oberhaupts aller Muslime,
des Kalifen.
Aber die Mauren wurden schon vor langer Zeit besiegt.
Seither ist Córdoba ein Juwel in den Kronen
unserer christlichen Könige. Und jetzt ist Isabella,
unsere huldvolle Königin, hierhergekommen.
Sie hält im mächtigen Alcázar Hof.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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