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Dieser Band enthält Gedichte aus den letzten fünfzehn Jahren. Darin werden grundlegende Themen des Lebens berührt wie Heimatlosigkeit, d.h. sich innerlich unbehaust zu fühlen, die Beziehung zu Menschen, die Beziehung zu sich selbst, die Liebe, das Bewußtsein für die Vergänglichkeit, aber auch der Sinn und Nutzen der Sprache. Dies vollzieht sich in den Texten nicht in einem sentimentalen Sinne, sondern als klare, unverstellte Selbstreflexion.
Einen großen Einfluß darauf hat dabei die jahrelange Auseinandersetzung des Autors mit dem Buddhismus gehabt. Der Titel des Buches verweist gewissermaßen darauf.
Im Buddhismus wird das erlebende Bewustsein mit einem Spiegel verglichen und die Bilder darin mit unseren inneren Erlebnissen, sowie den scheinbar äußeren Erscheinungen. Es geht darum, die Perspektive zu wechseln: die Strahlkraft des Spiegels hinter und zwischen den Bildern als das eigentlich Wirkliche erfahren zu wollen. Nicht die Erlebnisse sind das entscheidende, sondern der Erleber. In diesem Zusammenhang sind diese Gedichte zu verstehen, nicht das Benannte an sich ist wichtig, sondern worauf es hinweist.
Giuseppe Ungaretti, der große Erneuerer der italienischen Lyrik, hat einmal auf die Frage, wie er sich denn literaturgeschichtlich einschätzen würde, geantwortet, das könne er nicht sagen, er wisse nur, was er geliebt, erlebt und gelitten habe. Diese Deckungsgleichheit von Dichtung und Leben ist neben dem beschriebenen, angedeuteten buddhistischen Hintergrund das literarische Leitbild und der Anspruch dieser poetischen Selbst- und Daseinsbespiegelung.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Victor Herrlich
Gedichte
Für den 17. Karmapa Thrinley Thaye Dorje
„Das Frühlicht löst die Ungeheuer auf“
Paul Eluard
In der Frühe
Die Stundenrose
Nacht
entblättert sich
zerfällt
auf den Körpern
noch schlafender Frauen
Blütenasche
Aschenblüte
zerstäubt
in fahlem Licht
Taufeucht
Wenn die Nacht warm
taufeucht und reif ist
fällt sie
ein blutdunkler
Pfirsich
in deinen Schoß
Ein metallisch
kalter Mondstrahl
schneidet ihn
in zwei Hälften
Ich sehe
sein innerstes Fruchtfleisch
glänzen
Behutsam
Die Sonne
wie sanft
wie behutsam
als wisse sie
um die Bilder
das Geträumte
in den Augen
des angstsüchtigen Wilds
tritt sie
aus dem geräuschvoller werdenden
Unterholz
dieser Nacht
Es zittert
ein weißes Herz
in der Luft
die waidwunde Frühe
Morgens
Jetzt schneit es
Ich sehe zu
wie es schneit
Wir sollten dem Tag
einen Namen geben
der so vor Stille sanft ist
Für Julia Jentsch
Am Abend
Eine brennende Feder
legt sich die Nacht
auf die Stadt
glimmt auf
über dem grünen Fluss
erlischt
Ich bin so müde
meiner Sucht
nach Begriffen und Bildern
Im Sommer
Unter Tage
im Grubendunkel
der Sprache
staublind
die Lungen verengt
sandigen Munds
Wie lange schon
Etwas vom Schwimmbadblau
deiner Kindheit
greift dir jählings
ans Herz