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"Der Vierte Weg" ist eine der Hauptquellen, aus der wir heute aus der Weisheit Georges I. Gurdjieffs (1866 – 1949) schöpfen können. Es ist die umfassendste Zusammenstellung der Vorlesungen von Peter D. Ouspensky (1878 – 1947) – des wichtigsten Vermittlers von Gurdjieffs Lehren – die je in Buchform erschienen ist. Was ist der "Vierte Weg"? Gurdjieff grenzte einen "Vierten Weg" ab gegenüber den drei traditionellen spirituellen Wegen: dem des Fakirs, dem des Mönches und dem des Yogi. Während der Fakir sich auf die Wahrnehmung und Erweiterung des Körperbewusstseins (im „ersten Gehirn“) begrenzt, der Mönch auf die des fühlenden Bewusstseins(im „zweiten Gehirn“) und der Yogi auf die des denkenden Bewusstseins (im „dritten Gehirn“), ist der "Vierte Weg" frei von solchen Begrenzungen. Er integriert die drei traditionellen Pfade sowie die drei Gehirne des Menschen. Gurdjieff hielt den "Vierten Weg", was seine Effektivität betrifft, den anderen dreien für überlegen. Es ist der Weg des „schlauen“ Menschen."Der Vierte Weg" bedarf keines besonderes Settings – sei es eines Klosters oder eine Höhle im Himalaja; er kann genau dort gegangen werden, wo wir uns befinden. Er hat das Potential, das gesamte alltägliche Leben zu durchdringen. Er steht allen Menschen offen. Kernelemente des Vierten Weges wie die stetige Übung einer bestimmten inneren Achtsamkeit (Selbst-Erinnerung) und die Nicht-Identifikation mit Vorlieben und Abneigungen entfalten ihre Wirkung unabhängig von Kultur und Zeit.Hervorgehoben werden in diesem Buch auch die Bedeutung einer inneren Schule, deren Grundprinzipien erläutert werden. Wir erfahren, wieso der Schüler nur einen Nutzen von dem haben kann, wofür er bezahlt (nicht notwendigerweise Geld), und welche Vorzüge das Lernen in Gruppen dem Schüler bietet. Die Notwendigkeit der Überprüfung alles Gelernten durch die Schüler wird ebenso betont wie die Bedeutung der Beziehung zum Lehrer. Wesentliche Elemente des Vierten Weges finden sich in heute existierenden Mysterienschulen wieder sowie in der Breite des Spektrums integraler Ansätze zeitgenössischer Spiritualität. Darin spiegelt sich die aktuelle und globale Bedeutung des "Vierten Weges" für die spirituelleEvolution.Die ursprünglichen historischen Quellen der durch Gurdjieff gelehrten Weisheit liegen für uns im Verborgenen. Fest steht, dass Gurdjieff auf seinen jahrzehntelangen Reisen durch Asien, Nordafrika und Europa in Kontakt mit überliefertem esoterischem Wissen gekommen war. Mit Sicherheit war dieses Wissen in Teilen nicht nur unbekannter sondern auch unpersönlicher Herkunft. Im ersten Satz dieses Buches sagt Ouspensky, „dass die wichtigsten Gedanken und Prinzipien des Systems nicht mir gehören.“ Er fährt fort: „Hauptsächlich dieser Umstand gibt ihm seinen Wert, denn wenn sie mir gehörten, wären sie wie alle anderen Theorien, die vom gewöhnlichen Denken erfunden werden – sie gäben lediglich eine subjektive Sichtweite der Dinge.“"Der Vierte Weg" ist ein Lehrbuch im besten Sinne – es besteht in weiten Teilen aus Dialogen zwischen Ouspensky und seinen Schülern. Es berührt, zu lesen, mit welcher Lebendigkeit und welchem Enthusiasmus manche dieser Fragen formuliert wurden, und gleichzeitig zu wissen, dass schon ein langes Menschenleben seither vergangen ist. "Der Vierte Weg" ist seit Jahrzehnten ein Klassiker der Lehren Gurdjieffs und Ouspenskys und erscheint in dieser edlen Ausgabe nun endlich wieder in deutscher Sprache.
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Seitenzahl: 1106
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Titel der amerikanischen Originalausgabe: P. D. Ouspensky: The Fourth Way Erstveröffentlichung 1957 durch Alfred A. Knopf, Inc.
© 1957 Tatiana M. Nagro
Deutsche Erstausgabe:
P. D. Ouspensky: Der Vierte Weg Aus dem Englischen von Rolf Gleichmann © 1983 Sphinx Verlag, Basel Deutsche Neuauflage:
P. D. Ouspensky: Der Vierte Weg Anleitung zur Entfaltung des wahren menschlichen Potentials nach G. I. Gurdjieff In der Übersetzung von Rolf Gleichmann
© 2016 advaitaMedia GmbH, Saunstorf advaitaMedia – Weisheit aus der Stille
Am Gutspark 1
D-23996 Saunstorf
www.advaitamedia.com
Die Neuauflage wurde durch die Unterstützung von Marcel Richter ermöglicht.
Cover, Satz:
Christoph Konradi,www.konradi.com, Saunstorf
Druck & Bindung:
Druckerei “TOLEK”, Żwirki i Wigury 1, 43-190 Mikołów, Polen
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-936718-30-0
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige, auch elektronische Kommunikationsmittel, photomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
INHALT
VORWORT
KAPITEL I
Wovon das System handelt – Studium der Psychologie – Unvollkommenheit des Menschen – Studium der Welt und Studium des Menschen – Prinzip der Skalen – Mögliche Entwicklung – Selbst-Studium – Viele «Ichs» – Einteilung der Funktionen – Vier Bewußtseinszustände – Selbst-Beobachtung – Selbst-Erinnern – Zwei höhere Funktionen – Falsche Arbeit der Maschine – Einbildung – Lügen – Fehlen von Willen – Mangel an Kontrolle – Ausdruck unangenehmer Gefühle – Negative Gefühle – Änderung von Einstellungen – Beobachtung von Funktionen – Identifikation – Sich-Richten – Schlaf – Gefängnis und Entkommen – Sieben Kategorien des Menschen – Mechanisiertheit – Gesetz der Drei – Gesetz der Sieben – Illusionen – Wir können nicht «tun» – Gut und Böse – Moral und Gewissen – Nur wenige können sich entwickeln – A-, B- und C-Einflüsse – Magnetisches Zentrum – Wir leben an einem schlechten Ort im Universum – Schöpfungsstrahl – Anordnung von Gesetzen.
KAPITEL II
Der Mensch ist ein unvollständiges Wesen – Er lebt unterhalb seines angestammten Niveaus – Neubewertung alter Werte – «nützlich» und «schädlich» – Illusionen – Der Mensch schläft – Praktisches Selbst-Studium – Studium von Hindernissen – Psychologie des Lügens – Der Mensch ist eine Maschine – Ein permanentes «Ich» erschaffen – Gleichnis von einem ungeordneten Haushalt – Rollen – Puffer – Selbst-Erinnern – Warum dieses System nicht populär sein kann – Gefängnis – Formulieren des Ziels – Frei sein – Sünde – Reue – Der Menschheit helfen – Anziehung und Abneigung – Selbst-Beobachtung – Einteilung all dessen, das zum Menschen gehört, in sieben Kategorien – Wissen und Sein – Ihr Verhältnis – Wir können mehr Wissen haben – Notwendigkeit, das Sein zu verändern – Verstehen – Schädliche Funktionen – Ausdruck negativer Gefühle – Unnötiges Reden – Unterschied zwischen diesem System und anderen – Stufen des Seins – In anderen Kategorien denken – Gefahren der gegenwärtigen Lage.
KAPITEL III
Selbst-Studium und Vervollkommnung – Bewußtseinszustände und Funktionen – Bewußtseinsstufen – Einteilung der Funktionen – Selbst-Erinnern – Mechanisiertheit – Studium der Funktionen der vier Zentren – Untergliederung der Zentren – Aufmerksamkeit – Formatorischer Apparat – Falsche Arbeit der Zentren – Vier Energieformen – Lecks abdichten – Negative Gefühle – Ausdrücken negativer Gefühle unterbinden – Änderung von Einstellungen.
KAPITEL IV
Sprache – Verschiedene, in diesem System benutzte Einteilungen – Wesenskern und Persönlichkeit – A-, B- und C-Einflüsse – Magnetisches Zentrum – Falsches Magnetisches Zentrum – Stellvertretender Haushälter – Gesetz des Zufalls – Gesetz des Schicksals – Gesetz des Willens – Gesetz von Ursache und Wirkung – Dem Gesetz des Zufalls entkommen – Schwerpunkt – Warum Schulen notwendig sind – Für wen Schulen notwendig sind – Was eine Schule ausmacht – Stufen von Schulen – Weg des Fakirs, Weg des Mönches und Weg des Yogi – Der Vierte Weg – Unterschied zwischen dem Vierten Weg und den herkömmlichen Wegen – Alle Wege führen zum selben Ziel – Das Niveau der Schule hängt vom Niveau der Studenten ab – Innere Kreise der Menschheit.
KAPITEL V
Möglichkeit der weiteren Entwicklung des Menschen – Mangel an Bewußtsein – Erkenntnis der Wahrheit – Studium der Bewußtseinsstufen – Selbst-Erinnern und Selbst-Beobachtung – Unmöglichkeit zu definieren, was Selbst-Erinnern ist – Selbst-Erinnern als Methode des Erwachens – Zugang zum Selbst-Erinnern über das Denkzentrum – Gedanken rekonstruieren – Gedankenstop als eine Methode, um Selbst-Erinnern herbeizuführen – Selbst-Erinnern in Gefühlsaugenblicken – Unwissenheit und Schwäche – Identifikation und Kampf mit ihr – Äußeres und inneres Sich-Richten – Negative Gefühle – Ruhiger Ort in uns.
KAPITEL VI
Verständnis als das Haupterfordernis in diesem System – Relativität des Verständnisses – Wie man das Verständnis vergrößern kann – Eine neue Sprache – richtige und falsche Einstellungen – Einstellungen und Verständnis – Notwendigkeit eines Ziels und einer Richtung – Schwierigkeit herauszufinden, was man möchte – Unsere Ziele liegen nicht nahe genug – Gut und Böse – Moral und Notwendigkeit moralischen Empfindens – Notwendigkeit, ein dauerhaftes Maß für richtig und falsch zu finden – Entwicklung des Gewissens als Ziel des Systems – Widersprüche sehen – Puffer als Haupthindernis – Vorbereiten auf das Niederreissen der Puffer – Innere Disharmonie und Glück – Erfordernis der Herstellung eines inneren Gleichgewichts – Richtlinien der Lebensführung – Bewußtsein und Gewissen – Wie man die Wahrheit erkennen kann – Notwendigkeit der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber – Mechanisiertheit.
KAPITEL VII
Vielheit unseres Seins und Fehlen eines bleibenden «Ich» – Fünf Bedeutungen des Wortes «Ich» – Verschiedene Persönlichkeiten und Vorlieben und Abneigungen – Magnetisches Zentrum und Stellvertretender Haushälter – Einteilung unserer selbst in «Ich» und «Herrn X» – Falsche Persönlichkeit – Was ist «Ich»? – Studium der falschen Persönlichkeit als Mittel, sich seiner selbst erinnern zu lernen – Anstrengungen, um gegen die falsche Persönlichkeit zu kämpfen – Notwendigkeit der Herrschaft – Falsche Persönlichkeit und negative Gefühle – Was in uns zuverlässig und was unzuverlässig ist – Leiden und sein Gebrauch – Nicht bedenkenlos «Ich» sagen – Falsche Persönlichkeit verdreht die Idee des Systems – Haupteigenschaft oder Eigenschaften – Notwendigkeit, unsere Schwächen zu kennen – Statische Triade – Wertschätzung – Gefahr, zwei zu werden – Kristallisation.
KAPITEL VIII
Stellung des Menschen in der Welt – Grenzen unserer Wahrnehmung und unseres Denkens – Wissen bedeutet, alles zu wissen – Prinzipien der Relativität und der Skalen – Gesetz der Drei – Vier Zustände der Materie – Wir sind der dritten Kraft gegenüber blind – Gesetz der Sieben – Aufsteigende und absteigende Oktaven – Intervalle beobachten – Schöpfungsstrahl – Wille des Absoluten – Schöpfungsstrahl als Instrument eines neuen Denkens – Besondere Sprache – Schöpfungsstrahl als eine Oktave – Organisches Leben auf der Erde – Den Mond ernähren – Kosmische Einflüsse – Mechanischer Einfluß des Mondes – Einflüsse und Seinsstufe – Planetarische Einflüsse und Wesenskern – Befreiung von Gesetzen – Möglichkeit der Entwicklung – Der Mensch als Teil des organischen Lebens – Gesetzesstudium – Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit – Gesetze, die dem Menschen zugehören – Gegen die Natur arbeiten – Studium kosmologischer Ideen als Hilfe zum Selbst-Erinnern – Gesetz der Drei und Schöpfung – Durchfluß der Kräfte – Drei Strahlungsoktaven – Wasserstoff-Tabelle – Verschiedene Stufen der Materie – Nebenoktave – Möglichkeit der Entwicklung.
KAPITEL IX
Studium des Menschen als einer chemischen Fabrik – Ernährungsdiagramm – Drei Ernährungsoktaven und ihre Entwicklung – Erste Stufe mit einem mechanischen Schock – Zweite Stufe mit einem bewußten Schock – Dritte Stufe mit dem zweiten bewußten Schock – Relativer Wert der drei Nahrungen – Eindrücke – Selbst-Erinnern – Kohlenstoff 12 – Lachen – Gute und schlechte Eindrücke – Eindrücke als verschiedene Wasserstoffe – Beherrschung der Eindrücke – Arbeit an mi 12 – Zentren und ihre Geschwindigkeit – Höhere Zentren und ihre Charakteristiken – Verbindung mit höheren Zentren – Höhere Zentren und Drogen – Telepathie – Notwendigkeit, die Herstellung höherer Stoffe zu steigern – Energie und das Speichern von Energie – Akkumulatoren – Anschluß an den großen Akkumulator – Gähnen – Alle Arbeit muß sich auf das Bewußtsein konzentrieren.
KAPITEL X
Wir können nicht «tun» – Wichtigkeit des Verständnisses dieser Idee – Illusion des «Tuns» und was sie bewirkt – Im Leben geschieht alles, aber in der Arbeit müssen wir zu «tun» lernen – Gegen den Strom schwimmen – Inneres «tun» – Ein verderblicher Kreislauf und der Weg heraus – Harmonische Zusammenarbeit der Zentren – «Tun» beginnt mit «Nicht-Tun» – Innere Herrschaft – Das Unmögliche tun und was es bedeutet – Mehr Druck in unsere Anstrengungen geben – Arbeit am Willen – Was ist Wille im vollen Sinne des Wortes, und was ist unser Wille? – Unser Wille als Folge von Verlangen – Innerer Widerstreit und Kampf – Willen aufgeben – Wir haben nur kurze Augenblicke von Willen – Disziplin – Notwendigkeit des Selbst-Erinnern – Bewußtsein bedeutet Willen – Ziel als beherrschender Faktor – Notwendigkeit, beständig zur Frage des Ziels zurückzukehren – Eigenwille und Eigensinn – Reibung – Arbeit gegen Eigenwillen – Ohne Schule kann man nichts tun – Notwendigkeit regelmäßiger Arbeit – Kreuzungen – Den Mond in sich selbst erschaffen – Schwerpunkt – Über-Anstrengung – Was einen Arbeitsanreiz erzeugt.
KAPITEL XI
Notwendigkeit des Studiums der Schulprinzipien und Methoden – Drei Linien der Arbeit – Richtig und Falsch in bezug auf die drei Linien – Bedarf an Verständnis – Ziele und Bedürfnisse der Schule – Jemand anderen an seine Stelle setzen – Für praktische Arbeit ist eine Organisation erforderlich – Was ist die «Arbeit»? – Wertschätzung – Mit Menschen arbeiten – Für die Schule arbeiten – Sich persönlich für die Organisation interessieren – Die richtige Art von Menschen – Eine Schule des Vierten Wegs – Richtige Haltung – Bezahlung – Wie soll man bezahlen? – Schwerpunkt Disziplin – Regeln – Unterlassen, was unnötig ist – Auf seine Entscheidungen verzichten – Anforderungen entsprechen – Schocks in der Schul-Arbeit – Idee der Wahl – Körperliche Arbeit – Schul-Wissen – Menschen eines höheren Geistes – Können Schulen das Leben beeinflussen?
KAPITEL XII
Notwendigkeit, wichtigere Ideen des Systems von weniger wichtigen zu unterscheiden – Grenzen des Seins – Möglichkeiten der Seinsänderung – Haushälter, Vagabund und Verrückter – Hasnamuss – Schlaf und die Möglichkeit des Erwachens – Erkenntnisse und Worte – Wie sich die Gefühlseinstellung verstärken läßt – Sinn für richtige Proportionen – Selbst-Erinnern – Sich selbst zu kennen und zu sehen – Ernsthaft sein – Kampf mit Gewohnheiten – Mechanisiertheit verstehen – Anstrengungen – Selbst-Studium – Selbstbeobachtung – Schocks – Wie kann man mehr in seinen Gefühlen sein? – Mehr Druck in die Arbeit legen – Schulung des Gefühlszentrums – Positive Gefühle – Angenehme und unangenehme Gefühle – Wertschätzung erhöhen – Wie neue Dinge auftreten – Langsamkeit des Verstehens – Unser Niveau heben.
KAPITEL XIII
Verschiedene Kategorien menschlicher Handlungen – Richtiger und falscher Gebrauch der Triaden – Studium menschlicher Tätigkeiten – Sich des Ausgangspunktes erinnern – Innere Teilung – Lernen, die falsche Persönlichkeit zu sehen – Masken – Puffer und Schwächen – Studium der Methoden – Weckuhren – Unmöglichkeit, das System vom Nützlichkeitsstandpunkt aus zu studieren – Philosophische, theoretische und praktische Sprache – Drei Stufen von Schulen – Richtiges Denken – Lange und kurze Gedanken – Rolle des Verstandes – Verschiedene Werte – Richtige und falsche Neugier – Kritische Einstellung – Andere beeinflussen – Geschichte vom schlauen Menschen und dem Teufel.
KAPITEL XIV
Persönliche Schwierigkeiten – Notwendigkeit, seine dringlichste und hartnäckigste Schwierigkeit zu finden – Negative Gefühle, Einbildung, formatorisches Denken – Neue Gesichtspunkte erzeugen – Kampf mit der Identifikation – Drei Kategorien von negativen Gefühlen und wie mit ihnen umzugehen ist – Umformung negativer Gefühle – Ärger – Trägheit – Dumpfe negative Zustände – Verschiedene Formen der Einbildung – Leiden aufgeben – Freiwilliges Leiden als größte Kraft, die wir haben können – Die Rolle des Leidens im organischen Leben – Der Mensch wurde besonders zur Entwicklung geschaffen – Verantwortung in der persönlichen Arbeit – Notwendigkeit, gleichzeitig in vielen Richtungen zu arbeiten – Formatorisches Denken und seine Eigentümlichkeiten – Assoziatives Denken – Die Notwendigkeit höherer Zentren, um die Wahrheit zu verstehen – Meditation – Richtiges Denken – Eingebildete Gespräche – Verschiedene Bedeutungen des Glaubens – Leben nach dem Tode.
KAPITEL XV
Idee der Esoterik – Die logische und die psychologische Denkmethode – Erläuterung der psychologischen Methode – Was die Idee der Esoterik beinhaltet – Bestimmte Arten von esoterischen Gedanken werden nur in schwierigen Zeitabschnitten zugänglich – Notwendigkeit, vereint zu sein – Stofflichkeit des Wissens – Das große Wissen und wie es sich vom gewöhnlichen Wissen unterscheidet – Wissensakkumulatoren – Schulen – Kann man äußere Ereignisse beeinflussen? – Studium des Lebens – Große Ereignisse im Leben und ihr Einfluß – Subjektive Wege und objektive Wege – Einstellungen als ein Mittel, um Einflüsse zu ändern – Ereignisse im Leben einschätzen – Allmähliches Verschwinden der B-Einflüsse – Mangel an Vorbereitung – Der Grund für die Abnahme des Einflusses esoterischer Kreise – Mangel an Vorbereitung – Das System, und wie es gelehrt wird – Verschiedene Skalen – Tod von Schulen und notwendigen Bedingungen für ihre Existenz – Beziehung des Systems zum Christentum – Sterben und geboren werden – Gebet – Anregungen in bezug auf das Studium des Vater Unser.
KAPITEL XVI
Die Idee der Wiederkehr kann nur als eine Theorie betrachtet werden – Unterschiedliche Beziehung der Menschen zur Möglichkeit der Wiederkehr – Drei aufeinanderfolgende Stufen – Warum die Möglichkeit, C-Einflüsse zu empfangen, begrenzt sein muß – Sich vergangener Leben erinnern – Theorie der Reinkarnation als eine Vereinfachung der Idee der Wiederkehr – Unmöglichkeit, Beweise zu finden – Wir sind durch unseren Seinszustand beschränkt – Verschiedene Arten von Wesenskernen als stärkstes Argument zu Gunsten eines früheren Daseins – Warum Schulen nicht wiederkehren können – Studium der Wiederkehr in einem Leben – Ewige Wiederkehr ist nicht unaufhörlich – Möglichkeit von Abweichungen – Möglichkeiten sind begrenzt, und die Zeit ist gezählt – Selbst-Erinnern und Wiederkehr – Persönlichkeit und Wiederkehr – Studium des Geistes von Kindern – Ursprung der Idee der Wiederkehr – Drei Dimensionen der Zeit – Die Idee der Wiederkehr und das System – Parallele Zeit – Beschränkungen unseres Geistes – Wachstum von Neigungen und Wiederkehr – Möglichkeiten, das nächste Mal einer Schule zu begegnen – Vorbereitet sein – Ist der Ausgangspunkt für jeden derselbe? – Schule und die in ihr gestellten Anforderungen – Tod des Wesenskerns – Wiederkehr und Zeitpunkt des Todes – Wiederkehr von Weltereignissen – Es geht nur darum zu erwachen.
ÜBER DEN AUTOR
VORWORT
Der Vierte Weg ist eine der Hauptquellen, aus der wir heute aus der Weisheit Georges I. Gurdjieffs (1866 – 1949) schöpfen können. Es ist die umfassendste Zusammenstellung der Vorlesungen von Peter D. Ouspensky (1878 – 1947) – des wichtigsten Vermittlers von Gurdjieffs Lehren – die je in Buchform erschienen ist. Uns war es ein Anliegen, dieses Standardwerk der Lehren Gurdjieffs und Ouspenskys endlich wieder der deutschsprachigen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Was ist der Vierte Weg? Gurdjieff grenzte einen Vierten Weg ab gegenüber den drei traditionellen spirituellen Wegen: dem des Fakirs, dem des Mönches und dem des Yogi. Während der Fakir sich auf die Wahrnehmung und Erweiterung des Körperbewußtseins (im „ersten Gehirn“) begrenzt, der Mönch auf die des fühlenden Bewußtseins (im „zweiten Gehirn“) und der Yogi auf die des denkenden Bewußtseins (im „dritten Gehirn“), ist der Vierte Weg frei von solchen Begrenzungen. Er integriert die drei traditionellen Pfade sowie die drei Gehirne des Menschen. Gurdjieff hielt den Vierten Weg, was seine Effektivität betrifft, den anderen dreien für überlegen. Es ist der Weg des „schlauen“ Menschen.
Der Vierte Weg bedarf keines besonderes Settings – sei es eines Klosters oder eine Höhle im Himalaya; er kann genau dort gegangen werden, wo wir uns befinden. Er hat das Potential, das gesamte alltägliche Leben zu durchdringen. Er steht allen Menschen offen. Kernelemente des Vierten Weges wie die stetige Übung einer bestimmten inneren Achtsamkeit (Selbst-Erinnerung) und die Nicht-Identifikation mit Vorlieben und Abneigungen entfalten ihre Wirkung unabhängig von Kultur und Zeit.
Hervorgehoben werden in diesem Buch auch die Bedeutung einer inneren Schule, deren Grundprinzipien erläutert werden. Wir erfahren, wieso der Schüler nur einen Nutzen von dem haben kann, wofür er bezahlt (nicht notwendigerweise Geld), und welche Vorzüge das Lernen in Gruppen dem Schüler bietet. Die Notwendigkeit der Überprüfung alles Gelernten durch die Schüler wird ebenso betont wie die Bedeutung der Beziehung zum Lehrer. Wesentliche Elemente des Vierten Weges finden sich in heute existierenden Mysterienschulen wieder sowie in der Breite des Spektrums integraler Ansätze zeitgenössischer Spiritualität. Darin spiegelt sich die aktuelle und globale Bedeutung des Vierten Weges für die spirituelle Evolution.
Die ursprünglichen historischen Quellen der durch Gurdjieff gelehrten Weisheit liegen für uns im Verborgenen. Fest steht, daß Gurdjieff auf seinen jahrzehntelangen Reisen durch Asien, Nordafrika und Europa in Kontakt mit überliefertem esoterischem Wissen gekommen war. Mit Sicherheit war dieses Wissen in Teilen nicht nur unbekannter sondern auch unpersönlicher Herkunft. Im ersten Satz dieses Buches sagt Ouspensky, „daß die wichtigsten Gedanken und Prinzipien des Systems nicht mir gehören.“ Er fährt fort: „Hauptsächlich dieser Umstand gibt ihm seinen Wert, denn wenn sie mir gehörten, wären sie wie alle anderen Theorien, die vom gewöhnlichen Denken erfunden werden – sie gäben lediglich eine subjektive Sichtweite der Dinge.“
Der Vierte Weg ist ein Lehrbuch im besten Sinne – es besteht in weiten Teilen aus Dialogen zwischen Ouspensky und seinen Schülern. Es berührt, zu lesen, mit welcher Lebendigkeit und welchem Enthusiasmus manche dieser Fragen formuliert wurden, und gleichzeitig zu wissen, daß schon ein langes Menschenleben seither vergangen ist. Das Buch ist ohne Zweifel ein zeitloser Klassiker des spirituellen Weges.
KAPITEL I
Wovon das System handelt – Studium der Psychologie – Unvollkommenheit des Menschen – Studium der Welt und Studium des Menschen – Prinzip der Skalen – Mögliche Entwicklung – Selbst-Studium – Viele «Ichs» – Einteilung der Funktionen – Vier Bewußtseinszustände – Selbst-Beobachtung – Selbst-Erinnern – Zwei höhere Funktionen – Falsche Arbeit der Maschine – Einbildung – Lügen – Fehlen von Willen – Mangel an Kontrolle – Ausdruck unangenehmer Gefühle – Negative Gefühle – Änderung von Einstellungen – Beobachtung von Funktionen – Identifikation – Sich-Richten – Schlaf – Gefängnis und Entkommen – Sieben Kategorien des Menschen – Mechanisiertheit – Gesetz der Drei – Gesetz der Sieben – Illusionen – Wir können nicht «tun» – Gut und Böse – Moral und Gewissen – Nur wenige können sich entwickeln – A-, B- und C-Einflüsse – Magnetisches Zentrum – Wir leben an einem schlechten Ort im Universum – Schöpfungsstrahl – Anordnung von Gesetzen.
Bevor ich Ihnen auf umfassende Art erkläre, wovon dieses System handelt, und über unsere Methoden spreche, möchte ich Ihnen besonders einprägen, daß die wichtigsten Gedanken und Prinzipien des Systems nicht mir gehören. Hauptsächlich dieser Umstand gibt ihm seinen Wert, denn wenn sie mir gehörten, wären sie wie alle anderen Theorien, die vom gewöhnlichen Denken erfunden werden – sie gäben lediglich eine subjektive Sichtweite der Dinge.
Als ich im Jahre 1907 Ein neues Modell des Universums zu schreiben begann, legte ich mir klar – wie es viele Leute vor und nach mir taten –, daß hinter der Oberfläche des Lebens, das wir kennen, etwas viel Größeres und Wichtigeres liegt. Und ich sagte mir damals, daß all unser Wissen über das Leben und uns selbst in der Tat unbedeutend ist, bis wir mehr über das wissen, was dahinter liegt. Ich erinnere mich an ein Gespräch aus jener Zeit, als ich sagte: «Wenn es möglich wäre, als bewiesen anzunehmen, daß Bewußtsein (oder Intelligenz, wie ich es jetzt nennen würde) sich unabhängig vom physischen Körper manifestieren kann, dann könnte vieles andere bewiesen werden. Ich erkannte, daß Manifestationen paranormaler Psychologie wie Gedankenübertragung, Hellsehen, die Fähigkeit, die Zukunft zu kennen, in die Vergangenheit zurückzuschauen usw. nicht bewiesen worden waren. Daher versuchte ich eine Methode zu finden, um diese Dinge zu studieren, und arbeitete mehrere Jahre lang in dieser Richtung. Auf diese Art fand ich sehr interessante Dinge, aber die Ergebnisse waren sehr schwer zu erfassen; und obwohl einige Experimente erfolgreich waren, war es nahezu unmöglich, sie zu wiederholen.
Im Laufe dieser Experimente kam ich zu zwei Schlüssen: Erstens, daß wir nicht genug über die gewöhnliche Psychologie wissen; wir können die paranormale Psychologie nicht studieren, weil wir die normale Psychologie nicht kennen. Zweitens kam ich zu dem Schluß, daß ein gewisses wirkliches Wissen existiert; daß es Schulen geben mag, die genau das wissen, was wir wissen wollen, aber aus irgendeinem Grund sind sie und ihr Wissen verborgen. Daher begann ich, nach diesen Schulen zu suchen. Ich reiste durch Europa, Ägypten, Indien, Ceylon, die Türkei und den Nahen Osten; aber tatsächlich traf ich erst später, nachdem ich diese Reisen bereits beendet hatte, während des Krieges eine Gruppe von Menschen in Russland, die ein bestimmtes System studierten, das ursprünglich aus Schulen des Ostens stammte. Dies System begann mit dem Studium der Psychologie, genauso wie ich erkannt hatte, daß es beginnen müsse.
Der Hauptgedanke dieses Systems war, daß wir noch nicht einmal einen kleinen Teil unserer Kräfte und unserer Fähigkeiten nutzen. Wir haben, sozusagen, eine sehr große und subtile Organisation in uns, nur wissen wir nicht, wie wir sie nutzen sollen. In dieser Gruppe verwandten sie gewisse orientalische Metaphern, und sie erzählten mir, daß wir in uns ein weitläufiges Haus voll schöner Möbel haben, mit einer Bibliothek und vielen anderen Räumen, aber daß wir im Keller und in der Küche leben und sie nicht verlassen können. Wenn uns jemand erzählt, was dieses Haus in den oberen Geschossen aufweist, glauben wir ihm nicht oder lachen ihn aus, oder wir nennen es Aberglaube, Märchen oder Fabeln.
Dieses System kann in das Studium der Welt unterteilt werden, auf der Basis bestimmter neuer Prinzipien und in das Studium des Menschen. Das Studium der Welt und das Studium des Menschen beinhalten eine Art besonderer Sprache. Wir versuchen, gewöhnliche Wörter zu benutzen, dieselben Wörter, wie wir sie in der üblichen Konversation verwenden, aber wir legen ihnen eine leicht verschiedene und präzisere Bedeutung bei.
Das Studium der Welt, das Studium des Universums, basiert auf dem Studium einiger grundlegender Gesetze, die im allgemeinen innerhalb der Wissenschaft nicht bekannt oder anerkannt sind. Die beiden Hauptgesetze sind das Gesetz der Drei und das Gesetz der Sieben, die später erklärt werden. Hierin inbegriffen, und von diesem Gesichtspunkt aus notwendig, ist das Prinzip der Skalen – ein Prinzip, auf das das gewöhnliche wissenschaftliche Studium nicht oder sehr wenig eingeht.
Das Studium des Menschen steht in enger Verbindung mit der Vorstellung von der Entwicklung des Menschen, aber die Entwicklung des Menschen muß auf eine von der gewöhnlichen leicht verschiedenen Art verstanden werden. Gewöhnlich setzt das Wort Entwicklung, wenn es auf den Menschen oder irgend etwas anderes angewandt wird, eine Art mechanische Entwicklung voraus; ich meine damit, daß sich bestimmte Dinge, aufgrund gewisser bekannter oder unbekannter Gesetze, in etwas anderes umwandeln, und dieses verwandelt sich wiederum in noch etwas anderes und so weiter. Aber vom Gesichtspunkt dieses Systems aus gibt es überhaupt keine derartige Entwicklung – ich spreche nicht uneingeschränkt, sondern spezifisch vom Menschen. Die Entwicklung des Menschen, falls sie eintritt, kann nur das Ergebnis von Wissen und Anstrengung sein; solange ein Mensch nur weiß, was er auf die gewöhnliche Art wissen kann, gibt es keine Entwicklung für ihn und hat es nie irgendeine Entwicklung für ihn gegeben.
Ernsthaftes Studium beginnt in diesem System mit dem Studium der Psychologie, das heißt mit dem Studium unserer selbst, denn Psychologie kann nicht, so wie Astronomie, außerhalb von uns selbst studiert werden. Der Mensch muß sich selbst studieren. Als mir das gesagt wurde, sah ich sofort, daß wir überhaupt keine Methoden, um uns zu studieren, und bereits viele falsche Vorstellungen über uns haben. So erkannte ich, daß wir die falschen Vorstellungen über uns selbst loswerden und gleichzeitig Methoden zum Selbst-Studium entwickeln müssen.
Vielleicht erkennen Sie, wie schwierig es ist zu definieren, was unter Psychologie verstanden wird? So viele Bedeutungen wurden denselben Wörtern in verschiedenen Systemen beigelegt, daß es schwer ist, eine allgemeine Definition zu gewinnen. Daher beginnen wir damit, die Psychologie als das Studium unserer selbst zu definieren. Sie müssen bestimmte Methoden und Prinzipien lernen, und gemäß diesen Prinzipien und durch Anwenden dieser Methoden werden Sie sich selbst von einem neuen Gesichtspunkt aus zu sehen versuchen.
Wenn wir uns zu studieren beginnen, gelangen wir zuallererst zur Auseinandersetzung mit einem Wort, das wir häufiger als jedes andere verwenden, und das ist das Wort «ich». Wir sagen: «ich tue», «ich sitze», «ich fühle», «ich mag», «ich mag nicht» und so weiter. Dies ist unsere hauptsächlichste Illusion, denn der Hauptirrtum über uns selbst besteht darin, daß wir uns als Einheit betrachten; wir sprechen über uns immer als «ich» und nehmen an, daß wir uns die ganze Zeit auf dasselbe beziehen, während wir in Wirklichkeit in Hunderte und Aberhunderte von verschiedener «Ichs» aufgespalten sind. Wenn ich in einem Augenblick «ich» sage, spricht ein Teil von mir, und wenn ich in einem anderen Augenblick «ich» sage, spricht ein völlig anderes «Ich». Wir wissen nicht, daß wir nicht ein «Ich», sondern viele verschiedene «Ichs», die mit unseren Gefühlen und Wünschen in Verbindung stehen, und kein kontrollierendes «Ich» haben. Diese «Ichs» ändern sich die ganze Zeit; eins unterdrückt das andere, eines ersetzt das andere, und dieser ganze Kampf macht unser inneres Leben aus.
«Ichs», die wir in uns sehen, sind in verschiedene Gruppen eingeteilt. Einige dieser Gruppen bestehen zu Recht, sie gehören zur richtigen Unterteilung des Menschen, und einige von ihnen sind völlig künstlich und wurden durch unzureichendes Wissen und bestimmte imaginäre Vorstellungen erzeugt, die der Mensch über sich selbst hat.
Zu Beginn des Selbst-Studiums ist es notwendig, Methoden der Selbstbeobachtung zu studieren, aber diese müssen wiederum auf einem gewissen Verständnis der Unterteilungen unserer Funktionen beruhen. Unsere gewöhnliche Vorstellung von diesen Unterteilungen ist völlig falsch. Wir kennen den Unterschied zwischen intellektuellen und emotionalen Funktionen. Wenn wir zum Beispiel Dinge diskutieren, über sie nachdenken, sie vergleichen, Erklärungen erfinden oder wirkliche Erklärungen entdecken, so ist das intellektuelle Arbeit; während Liebe, Haß, Furcht, Argwohn zu den Gefühlen gehören. Wenn wir versuchen, uns zu beobachten, vermischen wir jedoch gerade die intellektuellen und emotionalen Funktionen; wenn wir tatsächlich fühlen, nennen wir es Denken, und wenn wir lernen, nennen wir es Fühlen. Aber im Laufe des Studiums werden wir lernen, in welcher Weise sie sich unterscheiden. Zum Beispiel besteht ein enormer Unterschied in der Geschwindigkeit, aber hierüber werden wir später mehr sprechen.
Dann gibt es zwei andere Funktionen, die kein System der gewöhnlichen Psychologie auf die richtige Art einteilt und versteht – instinktive Funktion und Bewegungsfunktion. Instinktiv bezieht sich auf die innere Arbeit des Organismus: Verdauung, Herzschlag, Atmung – dies sind instinktive Funktionen. Zur instinktiven Funktion gehören auch die gewöhnlichen Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren, das Empfinden von kalt und warm – solche Dinge, und das ist wirklich alles. Von den äußeren Bewegungen gehören nur die einfachen Reflexe zur instinktiven Funktion, denn kompliziertere Reflexe gehören zur Bewegungsfunktion. Es ist sehr leicht, zwischen instinktiven und Bewegungsfunktionen zu unterscheiden. Wir brauchen nichts von dem zu erlernen, was zur instinktiven Funktion gehört, wir wurden mit der Fähigkeit geboren, alle instinktiven Funktionen zu gebrauchen. Andererseits müssen sämtliche Bewegungsfunktionen erlernt werden – ein Kind lernt gehen, schreiben und so weiter. Zwischen den beiden Funktionen besteht ein großer Unterschied, denn in den Bewegungsfunktionen gibt es nichts Instinktives, und alle instinktiven Funktionen sind angeboren. Daher ist es bei der Selbst-Beobachtung notwendig, zuallererst diese vier Funktionen zu unterscheiden und sofort alle Beobachtungen einzuordnen, indem Sie sagen: «Dies ist die intellektuelle Funktion»; «Dies ist die emotionale Funktion» und so weiter.
Wenn Sie diese Wahrnehmungsweise eine Zeitlang praktizieren, können Sie einige seltsame Dinge beobachten. Zum Beispiel werden Sie merken, daß das tatsächlich Schwierige an der Beobachtung der Umstand ist, daß Sie sie vergessen. Sie beginnen zu beobachten, und Ihre Gefühle verbinden sich mit irgendeinem Gedanken, und Sie vergessen die Selbst-Beobachtung.
Wiederum einige Zeit später, wenn Sie sich weiterhin anstrengen, um zu beobachten – die auf die gleiche Art im gewöhnlichen Leben nicht benutzt wird –, werden Sie einen weiteren interessanten Sachverhalt bemerken – daß Sie sich gewöhnlich nicht Ihrer selbst erinnern. Wenn Sie sich Ihrer die ganze Zeit gewahr sein könnten, dann wären Sie fähig, sich die ganze Zeit zu beobachten oder auf jeden Fall solange, wie Sie es wünschen. Aber weil Sie sich Ihrer nicht erinnern können, können Sie sich nicht konzentrieren; und aus diesem Grund werden Sie zugeben müssen, daß Sie keinen Willen haben. Wenn Sie sich Ihrer erinnern könnten, hätten Sie Willen und könnten tun, was Sie wünschen. Aber Sie können sich Ihrer nicht erinnern, Sie können Ihrer nicht gewahr sein, und daher haben Sie keinen Willen. Sie mögen manchmal eine kurze Zeit lang Willen haben, aber er wendet sich etwas anderem zu und Sie vergessen Ihr Vorhaben.
So ist die Lage, der Seins-Zustand, der Zustand, von dem unser Selbst-Studium ausgehen muß. Aber wenn Sie weiterarbeiten, werden Sie sehr schnell zu dem Schluß kommen, daß Sie beinahe vom Beginn des Selbst-Studiums an gewisse Dinge in sich korrigieren müssen, die nicht stimmen, und bestimmte Dinge, die nicht auf den ihnen zukommenden Plätzen stehen, ordnen müssen. Das System hat hierfür eine Erklärung.
Wir sind so beschaffen, daß wir in vier Bewußtseinszuständen leben können, aber in unserer gegenwärtigen Verfassung gebrauchen wir nur zwei: einen, wenn wir schlafen, und den anderen, wenn wir «wach» sind, wie wir es nennen – das heißt, in diesem unserem jetzigen Zustand, in dem wir reden, zuhören, lesen, schreiben können und so weiter. Aber sie sind nur zwei unserer vier möglichen Zustände. Der dritte Bewußtseinszustand ist sehr seltsam. Wenn man uns erklärt, was es mit dem dritten Bewußtseinszustand auf sich hat, fangen wir an zu glauben, daß wir ihn haben. Der dritte Zustand kann Selbst-Bewußtsein genannt werden, und die meisten Leute sagen, wenn sie gefragt werden, «Zweifellos sind wir bewußt!» Viel Zeit oder wiederholte und häufige Anstrengungen der Selbst-Beobachtung sind notwendig, bevor wir die Tatsache wirklich erkennen, daß wir nicht bewußt sind; daß wir nur potentiell bewußt sind. Wenn wir gefragt werden, sagen wir: «Ja, ich bin bewußt», und während dieses Augenblickes sind wir es, aber im nächsten Augenblick hören wir auf, uns zu erinnern und sind nicht bewußt. Im Verlauf des Selbstbeobachtens erkennen wir also, daß wir nicht im dritten Bewußtseinszustand sind, daß wir nur in zweien leben. Wir leben entweder im Schlaf oder im Wachzustand, der in diesem System relatives Bewußtsein genannt wird. Der vierte Bewußtseinszustand, der objektives Bewußtsein genannt wird, ist uns nicht zugänglich, weil er nur über das Selbst-Bewußtsein erreicht werden kann, das heißt dadurch, daß man zuerst seiner selbst gewahr wird, so daß wir es vielleicht viel später fertig bringen, den objektiven Bewußtseinszustand zu erreichen.
Daher versuchen wir, während wir uns gleichzeitig selbst beobachten, unserer selbst gewahr zu sein, indem wir die Empfindung halten: «Ich bin hier» – nichts weiter. Und genau dies ist die Tatsache, die die gesamte westliche Psychologie ohne die geringste Ausnahme übersehen hat. Obwohl ihr viele Menschen recht nahe gekommen sind, erkannten sie nicht die Wichtigkeit dieser Tatsache; sie sahen nicht ein, daß der gegenwärtige Zustand des Menschen geändert werden kann – daß der Mensch sich seiner selbst erinnern kann, wenn er es während einer langen Zeit versucht.
Es handelt sich nicht um einen Tag oder um einen Monat. Es ist ein sehr langes Studium, ein Studium darüber, wie man Hindernisse entfernt, weil wir uns unserer selbst nicht gewahr sind, weil wir wegen vielen falschen Funktionen in unserer Maschine unserer selbst nicht bewußt sind; und all diese Funktionen müssen korrigiert und richtiggestellt werden. Wenn die meisten dieser Funktionen ausgerichtet worden sind, werden diese Perioden des Selbst-Erinnerns länger und länger werden, und wenn sie lang genug dauern, werden wir zwei neue Funktionen erlangen. Mit dem Selbst-Bewußtsein, welches der dritte Bewußtseinszustand ist, erwerben wir eine Funktion, die Höheres Emotionales genannt wird, obwohl sie in gleichem Masse intellektuell ist, denn auf dieser Ebene gibt es keinen Unterschied zwischen intellektuell und emotional wie auf der gewöhnlichen Ebene. Und wenn wir zum Zustand des objektiven Bewußtseins gelangen, erwerben wir eine weitere Funktion, die Höheres Geistiges genannt wird. Erscheinungen dessen, was ich als paranormale Psychologie bezeichne, gehören zu diesen beiden Funktionen; und aus diesem Grund kam ich, als ich diese Experimente vor fünfundzwanzig Jahren durchführte, zu dem Schluß, daß experimentelle Arbeit nicht möglich ist, weil es sich nicht um eine Frage von Experimenten handelt, sondern darum, seinen Bewußtseinszustand zu ändern.
Ich habe Ihnen nur einige allgemeine Ideen gegeben. Versuchen Sie mir nun zu sagen, was Sie nicht verstehen, was Sie von mir besser erklärt haben möchten. Versuchen Sie, jede Frage zu stellen, die Sie möchten, entweder in bezug auf das, was ich sagte, oder Ihre eigenen Fragen. Auf diese Art wird es leichter sein, einen Anfang zu machen.
F. Ist es notwendig, seiner selbst dauernd gewahr zu sein, um den höheren Bewußtseinszustand zu erlangen?
A. Das können wir nicht, also handelt es sich nicht darum, seiner selbst dauernd gewahr zu sein. Wir können jetzt nur über den Anfang sprechen. Wir müssen uns dann in Verbindung mit dieser Einteilung in verschiedene Funktionen studieren, wenn wir es können – wenn wir uns daran erinnern, es zu tun, denn hierin sind wir vom Glück abhängig. Wenn wir daran denken, müssen wir versuchen, unserer selbst gewahr zu sein.
F. Muß man in der Lage sein, sich seiner instinktiven Funktionen bewußt zu werden?
A. Nur der Sinne. Die innere instinktive Arbeit braucht nicht bewußt zu werden. Sie ist für sich selbst bewußt, unabhängig von der intellektuellen Funktion, und es gibt keinen Grund, das zu erweitern. Wir müssen versuchen, unserer selbst, so wie wir uns sehen, bewußt zu werden, nicht unserer inneren Funktionen. Nach einiger Zeit mögen wir gewisser innerer Funktionen gewahr werden, von denen es nützlich ist, daß wir sie kennen; aber nicht jetzt. Sie sehen, wir erwerben keine neuen Gefühle. Wir klassifizieren nur unsere gewöhnlichen Eindrücke besser, die gewöhnlichen Dinge, die wir vom Leben, von Leuten, von allem empfangen.
F. Wäre es korrekt zu sagen, daß, wenn wir so etwas wie Autofahren lernen, die intellektuelle Funktion der Bewegungsfunktion sagt, was sie tun soll und daß die Bewegungsfunktion, wenn sie geübt ist, alleine arbeitet?
A. Ganz recht. Sie können viele solche Dinge beobachten. Sie lernen zuerst durch die intellektuelle Funktion.
F. Wie wichtig ist das Wissen, das wir durch die Beobachtung unserer körperlichen Handlungen gewinnen? Ist das lediglich eine Übung, um unseren Geist zu beobachten?
A. Nein, es ist sehr wichtig, weil wir vieles vermischen und die Ursache vieler Dinge nicht kennen. Wir können Ursachen nur durch dauerndes Beobachten über einen langen Zeitraum verstehen.
F. Können wir eine Anleitung haben, wie wir an jeder der vier Funktionen arbeiten sollten?
A. All das wird erklärt werden, aber vorläufig können Sie nur beobachten.
F. Wäre es ein Beispiel für die Arbeit verschiedener «Ichs», wenn man spät zu Bett geht und fest entschlossen ist, in der nächsten Nacht früh zu Bett zu gehen, und anders handelt, wenn die nächste Nacht kommt?
A. Ganz recht, ein «Ich» entscheidet, und ein anderes muß es tun.
F. Wie fangen wir den Versuch an, unserer selbst bewußter zu sein?
A. Das ist ganz einfach zu erklären, obwohl es sehr schwer auszuführen ist. Es gibt keine Umwege. Ein besserer Zustand kann nur durch direkte Anstrengung erreicht werden, einfach dadurch, daß man versucht, bewußter zu sein, und daß man sich so oft wie möglich fragt: «Bin ich bewußt oder nicht?»
F. Und wie erlangt man die Gewißheit, daß Ihre Methode richtig ist?
A. Genau dadurch, daß man eine Beobachtung mit der anderen vergleicht. Und dann werden wir miteinander sprechen, wenn wir uns treffen. Die Leute sprechen über ihre Beobachtungen; sie vergleichen sie; ich versuche zu erklären, was sie nicht verstehen; es gibt andere Leute, die mir helfen, und auf diese Weise wird man sich gewöhnlicher Dinge sicher, gerade so, wie man weiß, daß das Gras grün ist.
Bei alledem handelt es sich nicht um Vertrauen oder Glauben. Ganz im Gegenteil, dieses System lehrt die Menschen, an absolut nichts zu glauben. Sie müssen alles, was Sie sehen, hören und fühlen, nachprüfen. Nur auf diese Art können Sie zu etwas gelangen.
Gleichzeitig müssen Sie erkennen, daß unsere Maschine nicht perfekt arbeitet; wegen vieler falscher Funktionen arbeitet sie weit entfernt von Perfektion, so daß ein sehr wichtiger Teil des Selbst-Studiums mit dem Studium dieser falschen Funktionen verknüpft ist. Wir müssen sie kennen, um sie beseitigen zu können. Und eine der besonders falschen Funktionen, die wir manchmal in uns mögen, ist die Fantasie. In diesem System ist mit Fantasie nicht ein bewußtes oder absichtliches Nachdenken über einen Gegenstand oder die Visualisierung von etwas gemeint, sondern Fantasie, die ohne Kontrolle und ohne irgendein Ergebnis in uns kreist. Sie verbraucht sehr viel Energie und wendet das Denken in eine falsche Richtung.
F. Wenn Sie «Fantasie» sagen, meinen Sie damit, sich einzubilden, etwas sei wahr, nicht das Sich-Ausmalen von Bildern?
A. Die Fantasie hat zwei Seiten; sie kann gewöhnliches Tagträumen, aber auch die Einbildung von Kräften sein, die es in uns nicht gibt. Beides ist dasselbe, sie arbeitet ohne Kontrolle, sie dreht sich von alleine.
F. Ist jede der beiden Selbsttäuschung?
A. Man hält es nicht für Selbsttäuschung: Man bildet sich etwas ein, dann glaubt man es und vergißt, daß es Einbildung war.
Wenn wir den Menschen in seinem gegenwärtigen Zustand von Schlaf, fehlender Einheit, Mechanisiertheit und mangelnder Beherrschung studieren, entdecken wir einige andere Fehlfunktionen, die das Ergebnis seines Zustands sind – im besonderen sich selbst und andere die ganze Zeit zu belügen. Die Psychologie des Durchschnittsmenschen könnte sogar Studium des Lügens heißen, denn der Mensch lügt mehr als alles andere; und, genaugenommen, kann er nicht die Wahrheit sagen. Es ist nicht so einfach, die Wahrheit zu sagen; das muß man lernen, und manchmal dauert es sehr lange.
F. Könnten Sie vielleicht erklären, was Sie mit Lügen meinen?
A. Lügen bedeutet, über etwas nachzudenken oder zu sprechen, was man nicht weiß; das ist der Anfang des Lügens. Es bedeutet nicht absichtliches Lügen – Geschichten zu erzählen, wie z. B. daß ein Bär im Nebenraum sei. Sie können in den Nebenraum gehen und sehen, daß da kein Bär ist. Aber wenn Sie alle die Theorien sammeln, die die Menschen über jeden beliebigen Gegenstand aufstellen, ohne etwas über ihn zu wissen, dann werden Sie sehen, wo das Lügen anfängt. Der Mensch kennt sich nicht, er weiß überhaupt nichts, dennoch hat er über alles Theorien. Die meisten dieser Theorien sind Lügen.
F. Ich möchte den Teil der Wahrheit kennen, der mir in meinem gegenwärtigen Zustand weiterhilft. Wie kann ich wissen, ob sie eine Lüge ist?
A. Für beinahe alles, was Sie wissen, haben Sie Überprüfungsmethoden. Aber zuerst müssen Sie wissen, was Sie wissen können und was nicht. Das unterstützt die Überprüfung. Wenn Sie damit anfangen, werden Sie bald Lügen hören, sogar ohne Denken. Lügen haben einen anderen Klang, besonders Lügen über Dinge, die wir nicht kennen können.
F. Was die Fantasie angeht – wenn Sie denken anstatt sich etwas einzubilden, sollten Sie sich dann die ganze Zeit über der Anstrengung gewahr sein?
A. Ja, sie werden ihrer gewahr sein – nicht so sehr der Anstrengung als der Beherrschung. Sie werden fühlen, daß Sie die Dinge beherrschen, sie laufen nicht einfach von alleine.
F. Wenn Sie «Erinnern Sie sich ihrer selbst» sagen, meinen Sie damit, sich zu erinnern, nachdem man sich beobachtet hat, oder meinen Sie, sich der Dinge zu erinnern, die wir in uns kennen?
A. Nein, betrachten Sie es getrennt von der Beobachtung. Sich seiner selbst zu erinnern, bedeutet dasselbe wie sich seiner selbst gewahr zu sein: «Ich bin.» Manchmal kommt es von alleine; es ist ein sehr seltsames Gefühl. Es ist keine Funktion, nicht Denken, nicht Fühlen; es ist ein anderer Bewußtseinszustand. Von alleine tritt es nur in sehr kurzen Augenblicken, gewöhnlich in einer völlig neuen Umgebung, auf, und man sagt sich: «Wie seltsam. Hier bin ich nun.» Das ist Selbstgewahrsein; in diesem Augenblick erinnern Sie sich Ihrer selbst.
Später, wenn Sie zwischen diesen Augenblicken zu unterscheiden beginnen, kommen Sie zu einem weiteren interessanten Ergebnis: Sie erkennen, daß Ihre Kindheitserinnerungen nur Schimmer von Selbstgewahrsein darstellen, denn alles, was Sie von gewöhnlichen Augenblicken wissen, ist, daß etwas geschah. Sie wissen, daß Sie da waren, aber Sie können sich an nichts Genaues erinnern; aber wenn dieser Blitz auftritt, dann werden Sie sich an alles erinnern, was diesen Augenblick umfaßte.
F. Kann man durch Beobachtung lernen, daß man bestimmte Dinge nicht hat? Soll man die Dinge von dem Gesichtspunkt aus beobachten, daß alles möglich ist?
A. Ich halte es nicht für notwendig, ein Wort wie «alles» zu benutzen. Beobachten Sie einfach, ohne zu vermuten, und beobachten Sie nur, was Sie sehen können. Für eine lange Zeit müssen Sie einfach beobachten und über Denk-, Gefühls-, instinktive und Bewegungsfunktionen herauszufinden versuchen, was Sie nur können. Sie mögen zu dem Schluß gelangen, daß Sie vier klar umrissene Gehirne haben – nicht nur eines, sondern vier verschiedene. Ein Gehirn beherrscht die intellektuellen Funktionen, ein ganz unterschiedliches beherrscht die Gefühlsfunktionen, ein drittes die instinktiven Funktionen, und ein viertes, wiederum ganz anderes, beherrscht die Bewegungsfunktionen. Wir nennen sie Zentren: intellektuelles Zentrum, Gefühlszentrum, Bewegungszentrum und instinktives Zentrum. Sie sind völlig unabhängig voneinander. Jedes Zentrum hat sein eigenes Gedächtnis, seine eigene Fantasie und seinen eigenen Willen.
F. Ich nehme an, daß man im Falle sich widerstreitender Wünsche in der Lage sein würde zu sehen, daß sie einander nicht widersprechen, wenn man genug Wissen über sich hätte?
A. Wissen alleine reicht nicht aus. Man kann Wissen haben, und die Wünsche können sich dennoch streiten, weil jeder Wunsch einen verschiedenen Willen darstellt. Was wir im gewöhnlichen Sinne unseren Willen nennen, ist nur das Ergebnis von Wünschen. Dieses Ergebnis erreicht manchmal eine bestimmte Handlungslinie, und zu anderen Zeiten kann es überhaupt keine bestimmte Handlungslinie erreichen, weil ein Wunsch in eine Richtung und ein anderer in die andere geht, und wir können uns nicht entscheiden, was wir tun sollen. Das ist unser gewöhnlicher Zustand. Es muß sicherlich unser zukünftiges Ziel sein, zur Einheit zu gelangen, anstatt viele zu sein, wie wir es jetzt sind, denn um irgendetwas richtig zu tun, irgendetwas richtig zu kennen oder irgendwohin zu gelangen, müssen wir eine Einheit werden. Es ist ein sehr entferntes Ziel, und wir können nicht anfangen, ihm näherzurücken, bis wir uns selbst kennen, denn in dem Zustand, in dem wir uns jetzt befinden, ist unsere Unkenntnis über uns selbst derart, daß wir, wenn wir das sehen, uns zu fürchten beginnen, wir würden vielleicht überhaupt keinen Weg finden.
Das menschliche Wesen ist eine sehr komplizierte Maschine und muß als solche studiert werden. Wir erkennen, daß wir erst lernen müssen, um jede Art von Maschine, wie ein Automobil oder eine Lokomotive, beherrschen zu können. Wir können diese Maschinen nicht instinktiv beherrschen, aber aus irgendeinem Grund glauben wir, der gewöhnliche Instinkt reiche aus, um die menschliche Maschine zu beherrschen, obwohl sie so viel komplizierter ist. Das ist eine der verbreitetsten Fehlannahmen: Wir erkennen nicht, daß wir lernen müssen; daß Beherrschung eine Frage des Wissens und der Fertigkeit ist.
Bitte sagen Sie mir, was Sie an all dem am meisten interessiert und worüber Sie mehr hören möchten.
F. Ich war an der Frage der Fantasie interessiert. Ich nehme an, es bedeutet, daß man bei der gewöhnlichen Verwendung des Wortes eine falsche Bedeutung anwendet?
A. Bei der gewöhnlichen Bedeutung der Einbildungskraft wird der wichtigste Umstand verfehlt, aber in der Terminologie dieses Systems beginnen wir mit dem Wichtigsten. Der wichtigste Faktor jeder Funktion ist: «Beherrschen wir sie oder nicht?» Wenn wir die Fantasie aber unter Kontrolle haben, bezeichnen wir sie nicht einmal als Fantasie; wir geben ihr verschiedene Namen: Visualisierung, kreatives Denken, schöpferisches Denken – Sie können einen Namen für jeden besonderen Fall finden. Aber wenn sie unwillkürlich auftritt und uns beherrscht, so daß wir in ihrer Gewalt sind, dann nennen wir sie Fantasie oder Einbildungskraft. Dann gibt es noch eine andere Seite der Fantasie, die wir im gewöhnlichen Verständnis verfehlen. Nämlich daß wir uns nicht existente Dinge einbilden – zum Beispiel nicht existente Fähigkeiten. Wir schreiben uns Kräfte zu, die wir nicht haben; wir bilden uns ein, selbstbewußt zu sein, obwohl wir es nicht sind. Wir haben eingebildete Kräfte und eingebildetes Selbstbewußtsein, und wir bilden uns ein, eine Einheit zu bilden, während wir in Wirklichkeit viele verschiedene «Ichs» sind. Es gibt viele solcher Einbildungen in bezug auf uns und andere. Zum Beispiel bilden wir uns ein, «tun» zu können, eine Wahl zu haben; wir haben keine Wahl, wir können nicht «tun», die Dinge stoßen uns einfach zu.
So bilden wir uns uns eigentlich ein. Wir sind nicht, was wir uns zu sein einbilden.
F. Besteht ein Unterschied zwischen Fantasie und Tagträumen?
A. Wenn Sie das Tagträumen nicht beherrschen können, bedeutet das, daß es Teil der Fantasie ist; aber nicht alles daran. Die Fantasie hat viele verschiedene Seiten. Wir bilden uns nichtexistente Zustände, nichtexistente Möglichkeiten, nichtexistente Kräfte ein.
F. Könnten Sie mir eine Definition der negativen Fantasie geben?
A. Sich alle Arten unangenehmer Dinge einbilden, sich quälen, sich all die Dinge einbilden, die Ihnen und anderen Menschen geschehen könnten – solche Dinge; sie nimmt verschiedene Formen an. Manche Menschen stellen sich verschiedene Krankheiten vor, andere Unfälle und wieder andere Unglücksfälle.
F. Ist die Kontrolle über seine Gefühle ein vernünftiges Ziel?
A. Herrschaft über die Gefühle ist etwas sehr Schwieriges. Sie ist ein sehr wichtiger Teil des Selbst-Studiums, aber wir können nicht bei der Kontrolle über unsere Gefühle beginnen, weil wir nicht genug von Gefühlen verstehen.
Ich möchte es so sagen: Etwas, das wir gleich zu Beginn unternehmen können, wenn wir die Gefühlsfunktion beobachten, ist der Versuch, eine besondere Äußerung in uns zu unterbinden. Wir müssen versuchen, die Äußerung unangenehmer Gefühle zu unterbinden. Für viele Menschen ist dies etwas vom Schwierigsten, denn unangenehme Gefühle werden so schnell und so leicht ausgedrückt, daß sie es gar nicht merken. Bevor Sie das jedoch nicht versuchen, können Sie sich nicht wirklich selbst beobachten, also müssen Sie vom ersten Augenblick, da Sie Ihre Gefühle beobachten, versuchen, den Ausdruck unangenehmer Gefühle zu unterbinden. Das ist der erste Schritt. In diesem System werden all diese unangenehmen, gewalttätigen oder niederdrückenden Gefühle als negative Gefühle bezeichnet.
Wie gesagt, besteht der erste Schritt in dem Versuch, diese negativen Gefühle nicht auszudrücken; der zweite Schritt ist das Studium der negativen Gefühle selbst, eine Liste von ihnen anzufertigen, ihre Verbindungen zu finden – einige von ihnen sind einfach, andere setzen sich aus mehreren Teilen zusammen – und der Versuch zu verstehen, daß sie völlig nutzlos sind. Es hört sich seltsam an, aber es ist sehr wichtig zu verstehen, daß alle negativen Gefühle absolut überflüssig sind: Sie dienen keinem nützlichen Zweck; sie machen uns nicht mit neuen Dingen vertraut oder bringen uns ihnen näher; sie geben uns keine Energie; sie verschwenden nur Energie und erzeugen unangenehme Illusionen. Sie können sogar unsere körperliche Gesundheit zerstören.
Als Drittes können wir nach einer gewissen Zeit des Studiums und der Beobachtung zu dem Schluß gelangen, daß wir unsere negativen Gefühle loswerden können, daß sie nicht verbindlich sind. Hier hilft das System, weil es zeigt, daß es tatsächlich kein wirkliches Zentrum für negative Gefühle gibt, sondern daß sie zu einem künstlichen Zentrum in uns gehören, das wir in der Kindheit dadurch erzeugen, daß wir die negativen Gefühle der Menschen um uns herum nachahmen. Die Leute lehren Kinder sogar, negative Gefühle auszudrücken. Dann lernen die Kinder durch weiteres Nachahmen hinzu; sie ahmen ältere Kinder nach, ältere Kinder ahmen Erwachsene nach, und so werden sie schon in jungen Jahren Professoren für negative Gefühle.
Es ist eine große Befreiung, wenn wir zu verstehen beginnen, daß es keine verbindlichen negativen Gefühle gibt. Wir werden ohne sie geboren, aber aus irgendeinem unbekannten Grund lehren wir uns die negativen Gefühle selbst.
F. Müssen wir das Auftauchen negativer Gefühle unterdrücken, um frei von ihnen zu sein?
A. Das ist falsch, weil wir unsere Gefühle nicht beherrschen können. Ich erwähnte die unterschiedliche Geschwindigkeit der verschiedenen Funktionen. Die langsamste ist die Denkfunktion. Als nächste kommen die instinktive und Bewegungsfunktion, die eine annähernd gleiche Geschwindigkeit haben und die ungeheuer viel schneller als die Denkfunktion sind. Die Gefühlsfunktion sollte noch schneller sein, arbeitet aber gewöhnlich mit ungefähr derselben Geschwindigkeit wie die instinktive Funktion. Also sind die Bewegungs-, instinktive und Gefühlsfunktionen sehr viel schneller als das Denken, und es ist unmöglich, der Gefühlen mit Hilfe des Denkens Herr zu werden. Wenn wir uns in einem Gefühlszustand befinden, jagen sie einander so schnell, daß wir keine Zeit zum Denken haben. Aber wir können uns ein Bild von dem Geschwindigkeitsunterschied machen, wenn wir die Denkfunktionen mit den Bewegungsfunktionen vergleichen. Wenn Sie sich während einer schnellen Bewegung selbst zu beobachten versuchen, werden Sie sehen, daß Sie es nicht können. Der Gedanke kann der Bewegung nicht folgen. Entweder müssen Sie die Bewegung ganz langsam ausführen, oder Sie können sie nicht beobachten. Das ist eine Tatsache.
F. Meinen Sie mit Bewegungen körperliche Bewegungen?
A. Ja, gewöhnliche Dinge, wie Autofahren oder Schreiben; Sie können nichts derartiges beobachten. Sie können sich erinnern, und das erzeugt später die Illusion der Beobachtung. In Wirklichkeit können Sie schnelle Bewegungen nicht beobachten.
Sie sehen also, daß der Kampf mit negativen Gefühlen, so wie wir jetzt sind, eine Frage der Zukunft ist – keiner sehr fernen Zukunft, aber es gibt viele Dinge, die wir zuvor kennen, und Methoden, die wir studieren müssen. Es gibt keinen direkten Weg; wir müssen Methoden erlernen, wie wir sie auf Umwegen angreifen können.
Zuallererst müssen wir viele unserer geistigen Einstellungen ändern, die mehr oder weniger in unserer Gewalt sind. Ich meine intellektuelle Einstellungen oder Ansichten. Wir haben zu viele falsche Ansichten über negative Gefühle; wir finden sie nützlich, schön oder edel; wir verherrlichen sie und so weiter. Wir müssen uns von all dem befreien. Also müssen wir unseren Geist von negativen Gefühlen reinigen. Wenn unser Geist in bezug auf negative Gefühle in Ordnung ist, wenn wir sie nicht länger verherrlichen, dann werden wir nach und nach einen Weg finden, um mit ihnen, jeder gesondert, zu kämpfen. Die eine Person findet den Kampf mit dem einen negativen Gefühl leichter, während eine andere etwas anderes leichter findet. Sie müssen mit dem leichtesten beginnen, und was für mich das leichteste ist, mag für Sie das schwierigste sein; also müssen Sie das für Sie leichteste finden, und später kommen die schwierigeren.
F. Erklärt das, warum ich bestimmte eigene negative Gefühle mit Menschen in Verbindung bringe, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere?
A. Sehr wahrscheinlich, denn viele negative Gefühle werden durch Nachahmung erlernt. Aber einige können wesentlich in unserer Natur liegen, da unsere Natur auch verschiedene Neigungen auf die eine oder andere Art hat. Gefühle können in Gruppen eingeteilt werden, und eine Person mag mehr zu einer Gruppe und eine andere zu einer anderen Gruppe neigen. Zum Beispiel neigen einige Menschen zu bestimmten Formen der Angst, andere zu bestimmten Formen des Ärgers. Aber sie sind anders und kommen nicht von der Nachahmung.
F. Läßt sich mit ihnen am schwersten kämpfen?
A. Ja, aber sie beruhen im allgemeinen auf einer Form von Schwäche, denn negativen Gefühlen liegt im allgemeinen eine Art der Genussucht zu Grunde – man gestattet sie sich. Und wenn man sich keine Angst erlaubt, gestattet man sich Ärger, und wenn man sich keinen Ärger erlaubt, gestattet man sich Selbstmitleid. Negative Gefühle beruhen darauf, sich etwas zu gestatten.
Aber bevor wir zu so verwickelten Fragen wie dem Kampf mit negativen Gefühlen kommen, ist es sehr wichtig, uns in kleinen, alltäglichen Äußerungen der Bewegungsfunktion zu beobachten und auch in denen der instinktiven Funktion, das heißt unsere Empfindungen von angenehm und unangenehm, warm und kalt – Empfindungen dieser Art, die uns dauernd durchlaufen.
F. Sie haben die Identifikation nicht erwähnt, aber darf ich Ihnen eine Frage dazu stellen?
A. Bitte. Aber es hat noch nicht jeder davon gehört, so will ich gerade ein wenig erklären. Sehen Sie, wenn wir besonders die Gefühle, aber auch genauso alle anderen Funktionen zu beobachten beginnen, entdecken wir, daß alle unsere Funktionen von einer bestimmten Einstellung begleitet sind; wir werden von den Dingen zu sehr gefesselt, verlieren uns zu sehr in ihnen, besonders wenn das kleinste Gefühlselement auftaucht. Das wird Identifikation genannt. Wir identifizieren uns mit den Dingen. Es ist kein sehr gutes Wort, aber es gibt kein besseres im Deutschen. Die Idee der Identifikation existiert in indischen Schriften, und die Buddhisten sprechen von Verhaftet- und nicht Verhaftet-Sein. Diese Worte scheinen mir sogar noch unbefriedigender, denn bevor ich diesem System begegnete, las ich diese Worte und verstand nicht – oder ich verstand vielmehr, nahm aber die Idee intellektuell. Ich verstand erst vollständig, als ich dieselbe Idee auf Russisch und Griechisch von alten christlichen Verfassern ausgedrückt fand. Sie haben vier Wörter für vier Grade der Identifikation, aber das ist für uns noch nicht notwendig. Wir versuchen diese Idee nicht durch Definition sondern durch Beobachtung zu verstehen. Es ist eine bestimmte Qualität des Verhaftet-Seins – sich in den Dingen zu verlieren.
F. Sie verlieren Ihren Beobachtungssinn?
A. Wenn Sie identifiziert sind, können Sie nicht beobachten.
F. Beginnt sie gewöhnlich mit einem Gefühl? Ist auch Besitzen-Wollen an ihr beteiligt?
A. JA. Viele Dinge. Es fängt zuerst mit Interesse an. Sie interessieren sich für etwas, und im nächsten Augenblick stecken Sie drin und existieren nicht länger.
F. Aber wenn Sie denken und sich der Anstrengung des Denkens bewußt, sind, bewahrt Sie das vor der Identifikation? Sie können nicht beides gleichzeitig tun, nicht wahr?
A. Ja, es bewahrt Sie einen Augenblick lang, aber im, nächsten Augenblick kommt ein anderer Gedanke und führt Sie fort. Also gibt es keine Garantie. Sie müssen die ganze Zeit davor auf der Hut sein.
F. Welche negativen Gefühle werden Sie wahrscheinlich am ehesten verherrlichen?
A. Manche Leute sind sehr stolz auf ihre Reizbarkeit oder ihren Ärger oder dergleichen. Sie werden gerne für sehr hart gehalten. Es gibt praktisch kein negatives Gefühl, das Sie nicht genießen können, und das zu erkennen ist das schwierigste. Einige Leute beziehen wirklich ihr ganzes Vergnügen aus negativen Gefühlen.
Die Identifikation mit Menschen nimmt eine besondere Form an, die in diesem System Sich-Richten genannt wird. Aber es gibt zwei Arten des Sich-Richtens – wenn wir uns nach den Gefühlen anderer Menschen richten, und wenn wir uns nach unseren eigenen richten. Wir richten uns hauptsächlich nach unseren eigenen Gefühlen. Wir machen dies meist, indem wir finden, die Menschen würden uns irgendwie nicht genug würdigen, nicht genug an uns denken oder sonst wie nicht genug Rücksicht auf uns nehmen. Wir erfinden dafür viele Namen. Dies ist eine sehr wichtige Facette der Identifikation, und es ist sehr schwer, sich davon zu befreien; einige Leute sind vollständige in ihrer Gewalt. Auf jeden Fall ist es wichtig, das Sich-Richten zu beobachten.
Ich bin dem Gedanken des Selbst-Erinnerns nachgegangen. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie den Menschen etwas derartiges entgehen konnte. Die gesamte europäische Philosophie und Psychologie hatte diesen Punkt einfach verfehlt. In älteren Lehren gibt es Spuren, aber sie sind so gut verborgen und zwischen Unwichtigeres gesetzt, daß man übersehen hat, wie wichtig es ist.
Wenn man versucht, an alle diese Dinge zu denken und sich zu beobachten, kommt man zu dem eindeutigen Schluß, daß wir in unserem gegenwärtigen Zustand mit all seiner Identifikation, seinem Sich-Richten, seinen negativen Gefühlen und seinem Mangel an Selbst-Erinnern wirklich schlafen. Wir bilden uns nur ein, wach zu sein. Wenn wir uns also unserer selbst zu erinnern versuchen, bedeutet das nur eines – wir versuchen zu erwachen. Dann erwachen wir für eine Sekunde, um gleich wieder einzuschlafen. Das ist unser Seinszustand, also schlafen wir tatsächlich. Wir können nur erwachen, wenn wir viele Dinge in der Maschine in Ordnung bringen und wenn wir ausdauernd und für lange Zeit an dieser Idee des Erwachens arbeiten.
F. Verzerrt körperlicher Schmerz unsere geistigen Ideen?
A. Gewiß. Deshalb können wir nicht darüber sprechen. Wenn wir über den Menschen sprechen, sprechen wir über den Menschen in seinem Normalzustand. Dann können wir über die Erlangung dieser neuen Funktionen, Bewußtsein und so weiter, sprechen. Es können keine außergewöhnlichen Fälle genommen werden, weil sie das ganze Bild verzerren.
Dies deutet auf einen Zusammenhang vieler interessanter Dinge. Jene Gruppe, die ich in Moskau traf, verwendete orientalische Metaphern und Parabeln, und eines der Dinge, über die sie gerne sprachen, war das Gefängnis – daß der Mensch im Gefängnis sitzt; was kann er also wünschen, wonach kann er sich sehnen? Wenn er ein mehr oder weniger empfindsamer Mensch ist, kann er nur eines wünschen – zu entkommen. Aber sogar bevor er sein Verlangen, entkommen zu wollen, formulieren kann, muß er sich seiner Gefangenschaft gewahr werden. Wenn er dann diesen Wunsch formuliert, beginnt er die Möglichkeiten des Entkommens zu erkennen, und er versteht, daß er alleine nicht entfliehen kann, weil es notwendig ist, Mauern zu untertunneln und dergleichen. Er erkennt, daß er in erster Linie einige Menschen haben muß, die mit ihm entkommen möchten – eine kleine Gruppe von Menschen. So erkennt er, daß vielleicht eine kleine Anzahl Menschen entkommen kann. Aber alle können nicht entfliehen. Einer kann es nicht, und alle können es nicht, aber eine kleine Anzahl Menschen kann es. Außerdem, unter welchen Bedingungen? Er kommt zu dem Schluß, daß er Hilfe braucht. Ohne sie kann er nicht entfliehen. Sie müssen Karten, Feilen, Werkzeuge und so weiter haben, also benötigen sie Hilfe von außerhalb.
Dies ist genau, beinahe buchstäblich, die Lage des Menschen. Wir können lernen, die ungenutzten Teile unserer Maschine zu gebrauchen. Dieses Gefängnis bedeutet in Wirklichkeit, daß wir in der Küche und im Erdgeschoß unseres Hauses sitzen und sie nicht verlassen können. Man kann hinausgelangen, aber nicht alleine. Ohne Schule kann man es nicht. Schule bedeutet, daß es Leute gibt, die bereits dabei sind auszubrechen oder sich zumindest darauf vorbereiten. Eine Schule kann nicht ohne die Hilfe einer anderen Schule beginnen, ohne die Hilfe jener, die zuvor entkommen sind. Von ihnen können wir bestimmte Ideen, einen bestimmten Plan, ein bestimmtes Wissen erhalten – dies sind unsere Werkzeuge. Ich wiederhole, alle können nicht entkommen. Dem stehen viele Gesetze entgegen. Um es einfach zu sagen, es würde zu sehr auffallen, und das würde eine unmittelbare Reaktion mechanischer Kräfte hervorrufen.
F. Der Wunsch zu entfliehen ist instinktiv, nicht wahr?
A. Nein. Nur die innere Arbeit des Organismus ist instinktiv. Er muß intellektuell und gefühlsmäßig sein, denn die instinktive Funktion gehört tatsächlich zu den unteren, den körperlichen Funktionen. Dennoch mag es unter bestimmten Bedingungen einen körperlichen Wunsch geben zu entkommen. Nehmen Sie an, es sei in einem Raum zu heiß und wir wüßten, daß es draußen kühler ist, dann würden wir sicher gerne entkommen. Aber zu erkennen, daß wir im Gefängnis sind und daß es möglich ist zu entfliehen, erfordert Vernunft und Gefühl.
F. Ohne größere Selbstbeobachtung scheint es unmöglich zu wissen, zu welchem Zweck Sie entfliehen möchten.
A. Ja, gewiß. Das Gefängnis ist nur ein Beispiel. Für uns ist der Schlaf das Gefängnis, und wir wollen ohne Metaphern erwachen, wenn wir erkennen, daß wir schlafen. Es muß gefühlsmäßig erkannt werden. Wir müssen erkennen, daß wir im Schlaf hilflos sind; alles kann geschehen. Wir können Darstellungen des Lebens sehen, sehen, warum die Dinge auf die eine oder andere Art geschehen – große und kleine Dinge – und erkennen, daß es am Schlaf der Menschen liegt. Natürlich können sie im Schlaf überhaupt nichts tun.
Wissen Sie, in bezug auf diese Ideen und diese Methoden leben wir in einer Hinsicht in einer ziemlich seltsamen Zeit, denn die Schulen verschwinden schnell. Vor dreißig oder vierzig Jahren konnten Sie viele Arten von Schulen finden, die jetzt praktisch nicht existieren oder viel schwieriger zu finden sind.
F. Verschwinden sie im Osten genauso wie im Westen?
A. Ich meine natürlich im Osten. Im Westen gibt es schon seit langem keine mehr.
Aber ich denke, wir sollten über Schulen besser gesondert sprechen. Es ist ein sehr interessantes Thema, weil wir nicht wissen, wie wir die richtigen Einteilungen vornehmen sollen. Es gibt verschiedene Arten von Schulen.
F. Wenn Sie sich zuerst zu beobachten versuchen, ist es dann besser, eine Menge kurz dauernder Beschäftigungen zu wählen, als sich in langdauernde zu verwickeln? Macht das einen Unterschied?
A. Nein. Sie müssen sich unter verschiedenen Bedingungen zu beobachten versuchen, nicht nur unter denselben.
F. Ist es gut, dann hinterher zu analysieren?
A. Nein. Nein, allgemein gesagt sollte es zu Beginn und für längere Zeit keine Analyse geben. Um zu analysieren, müssen Sie Gesetze kennen; warum Dinge auf diese Art geschahen und auf keine andere Art geschehen konnten. Bevor Sie also die Gesetze nicht kennen, ist es besser, nicht zu analysieren. Beobachten Sie die Dinge einfach, wie sie sind, und versuchen Sie sie in Denk-, Gefühls-, instinktive und Bewegungsfunktionen zu klassifizieren. Jede dieser Funktionen hat ihr eigenes Zentrum oder Gehirn, durch das sie sich äußert.